ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Krise in der Viehwirtschaft der EU
3.11.2010
gemäß Artikel 115 Absatz 5 der Geschäftsordnung
Nikolaos Chountis, Bairbre de Brún, Kyriacos Triantaphyllides, Patrick Le Hyaric, João Ferreira, Alfreds Rubiks im Namen der GUE/NGL-Fraktion
B7‑0607/2010
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Krise in der Viehwirtschaft der EU
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass auf den weltweiten Getreidemärkten in den vergangenen Wochen die internationalen Weizenpreise kräftig gestiegen sind, woraus sich wichtige Fragen betreffend die Stabilität der Märkte, die Genauigkeit von Produktionsvorausschätzungen sowie letztlich die Aussichten für Angebot und Nachfrage insgesamt ergeben,
B. in der Erwägung, dass die Weizenpreise um 60 bis 80 % höher sind als zu Beginn der Saison im Juli, dass die Preise jedoch nach wie vor um ein Drittel unter den Spitzenwerten von 2008 liegen und dass der Preis für Mais im selben Zeitraum um etwa 40 % gestiegen ist,
C. in der Erwägung, dass die Finanzmärkte einen Rückgang der Getreideproduktion in der Russischen Föderation, wo sich die Dürre auf die Erträge ausgewirkt und in der Folge zu der Entscheidung der russischen Regierung geführt hat, den Export von Weizen bis zur Ernte nächstes Jahr zu verbieten, erwartet und damit spekuliert haben,
D. in der Erwägung, dass eine große Zahl an Tierhaltungsbetrieben durch die vor kurzem angestiegenen Getreidepreise in der Europäischen Union ernsthaft bedroht sind, vor allem kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe,
E. in der Erwägung, dass die steigenden Kosten für Mischfuttermittel die Produktionskosten für den Viehwirtschaftssektor in die Höhe treiben,
F. in der Erwägung, dass das von der Russischen Föderation erlassene Ausfuhrverbot von Weizen möglicherweise nicht ausreichend sein wird, um in der zweiten Jahreshälfte eine ausreichende Versorgung mit Futtermitteln für die Tierproduktion zu gewährleisten, und ferner in der Erwägung, dass in diesem Fall, angesichts der Knappheit der weltweiten Exportlieferungen, eine unzureichende Fleischerzeugung in der Russischen Föderation die internationalen Fleischpreise in den kommenden Monaten voraussichtlich weiter in die Höhe treiben würde,
G. in der Erwägung, dass die weltweite Nachfrage nach Nahrungsmitteln rascher ansteigt als das Angebot, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass die steigenden Einkommen in Ländern mit aufstrebenden Volkswirtschaften wie Indien und China gekoppelt mit dem Bevölkerungswachstum die Nachfrage verstärken, vor allem bei Fleisch und Milchprodukten und somit auch bei Futtermitteln,
H. in der Erwägung, dass die internationalen Fleischpreise in der ersten Jahreshälfte 2010 angezogen haben, vor allem bei Fleisch, das lange Produktionszyklen erfordert, wie etwa Rind- und Schaffleisch, und ferner in der Erwägung, dass sie auf der Grundlage der 2008 erreichten Höchstbelastung im Zuge des seit kurzem rasanten Anstiegs der Lebensmittelpreise ebenso wie Geflügel und Schweinefleisch auch weiterhin steigen werden, da derzeit auch die Futtermittelkosten explodieren,
I. in der Erwägung, dass die FAO in ihren jüngsten Vorhersagen für 2010 von einer weltweiten Weizenproduktion von rund 650 Millionen Tonnen ausgeht, was um 5 % unter den Zahlen für das vergangene Jahr liegt, doch immerhin noch der dritthöchste Ertrag seit Beginn der Aufzeichnungen ist, sowie in der Erwägung, dass die Ernteeinbußen in Russland, Kasachstan und der Ukraine zum Teil durch befriedigende Ernteergebnisse in anderen Ländern ausgeglichen werden und die in der Folge entstehende Verringerung der Vorräte zu einem geringfügigen Rückgang führen wird, der jedoch bei weitem nicht so dramatisch ausfallen wird wie während der Nahrungsmittelknappheit 2007-2008,
1. ist der Auffassung, dass es Maßnahmen und neuer Werkzeuge bedarf, um die Getreideproduktion zu steigern und die Preisinstabilität zu verringern, da die Getreideproduktion in der EU 2010-2011 zurückgehen wird und es in Anbetracht der bereits geringen Getreidevorräte 2011 zu einem erneuten Höhenflug der Getreide- und Futtermittelpreise kommen könnte, was katastrophale Auswirkungen für die Tierhaltungsbetriebe in der EU sowie für die Nahrungsmittelversorgung hätte;
2. fordert die Kommission auf, dringend Maßnahmen vorzuschlagen, um den Anstieg der Futtermittelkosten zu stoppen und die Futtermittelpreise auf dem Binnenmarkt zu stabilisieren;
3. fordert die Kommission eindringlich auf, Direktvorauszahlungen für Tierhaltungsbetriebe zu genehmigen, da diese aufgrund gestiegener Futtermittelpreise und geringerer Einkünfte unter Umständen in ernste Liquiditätsprobleme geraten;
4. nimmt zur Kenntnis, dass die steigenden Getreidepreise in allen Sektoren der Viehwirtschaft, insbesondere auf dem Schweinefleischsektor, zu Beeinträchtigungen führen und dass diese Sektoren gleichzeitig ja auch die weltweite Wirtschaftskrise, den begrenzten Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten sowie immer strengere Standards in Bezug auf Sicherheit der Nahrungsmittel, Umwelt und Tierschutz bewältigen müssen;
5. stellt fest, dass es durch die Reform der GAP nicht möglich ist, die Auswirkungen der Preisinstabilität auf die landwirtschaftliche Basis zu verringern und den Erzeugern ein faires Einkommen zu gewährleisten; stellt fest, dass die Getreidepreise in der EU in den letzten beiden Jahren um 45 % gefallen sind, während die Erzeugungskosten im Zeitraum 2004 bis 2009 um 63 % gestiegen sind, und dass dies katastrophale Auswirkungen für die Getreideerzeuger und die Tierhaltungsbetriebe in der EU haben wird;
6. vertritt nachdrücklich die Auffassung, dass Nahrungsmittel nicht eine Ware wie anderes auch sind; Warentermingeschäfte sind zu einem festen Bestandteil der Lebensmittelmärkte geworden und spielen für viele Marktteilnehmer eine wichtige Rolle; ist der Auffassung, dass die landwirtschaftliche Produktion in erster Linie auf die Erzeugung von Nahrungsmitteln ausgerichtet sein und nicht für Finanzspekulationen und Profit herangezogen werden sollte;
7. ist beunruhigt über den zunehmenden Umfang von Spekulationen mit Nahrungsmitteln, wie sie auf den Finanzmärkten beobachtet werden können; fordert die Einführung von Mechanismen, um Spekulationen mit landwirtschaftlichen Rohstoffen und Finanzinstrumenten, denen diese Rohstoffe zugrunde liegen, auf den Finanzmärkten zu bekämpfen;
8. hebt hervor, dass auch hohe Ölpreise, eine starke Nachfrage des Agrartreibstoffsektors nach Feldfrüchten, zurückgehende Nahrungsmittelvorräte und eine geringere Getreideproduktion zu einem dramatischen Anstieg der Nahrungsmittelpreise beitragen; fordert die Kommission auf, im Rahmen der Reform der GAP nach 2013 konkrete Maßnahmen zur Verringerung von Preisschwankungen auf den Märkten, die mit landwirtschaftlichen Rohstoffen handeln, zu prüfen;
9. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.