Entschließungsantrag - B7-0621/2010Entschließungsantrag
B7-0621/2010

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu ACTA

17.11.2010

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Kommission
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Helmut Scholz, Eva-Britt Svensson, Marie-Christine Vergiat, Miloslav Ransdorf, Cornelia Ernst im Namen der GUE/NGL-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0617/2010

Verfahren : 2010/2935(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B7-0621/2010
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B7-0621/2010
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B7‑0621/2010

Entschließung des Europäischen Parlaments zu ACTA

Das Europäische Parlament,

–   unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 8,

–   unter Hinweis auf die Strategie für eine wirksame Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union,

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 10. März 2010 zur Transparenz und zum Stand der Verhandlungen über das ACTA,

–   unter Hinweis auf seine schriftliche Erklärung Nr. 0012/2010 zu dem intransparenten Prozess des Abkommens zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (ACTA),

–   in Kenntnis der am 14. November 2001 angenommenen Erklärung von Doha zum TRIPS-Übereinkommen und zur öffentlichen Gesundheit,  

–   unter Hinweis auf die Stellungnahmen des Europäischen Datenschutzbeauftragten zu den laufenden Verhandlungen der Europäischen Union über ein Übereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie sowie auf das Schreiben der Arbeitsgruppe „Datenschutz“ an die Europäische Kommission,

–   unter Hinweis auf die WTO-Streitsache DS409 betreffend die Europäische Union und einen Mitgliedstaat im Zusammenhang mit der Beschlagnahme von Generika im Transit,

–   gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass das ACTA-Übereinkommen zunächst als ein Übereinkommen zur Bekämpfung von Piraterie vorgelegt wurde, es sich dann jedoch zu einem Übereinkommen zum Schutz von Patenten, Marken und des Urheberrechts entwickelt hat, und dass die Europäische Kommission ohne ein diesbezügliches Mandat verhandelt,

B.  in der Erwägung, dass das ACTA im Europäischen Parlament und bei den Bürgerinnen und Bürgern große Bedenken in Bezug auf Fragen geweckt hat, wie etwa die Achtung der Grundrechte, der Privatsphäre und des Datenschutzes, die Achtung der wichtigen Rolle des freien Internets und die Wahrung der Rolle der Diensteanbieter und des Zugangs zu Arzneimitteln,

C. in der Erwägung, dass die Rechtsgrundlage des ACTA noch nicht festgelegt worden ist, obwohl das Europäische Parlament dies klar und deutlich gefordert hat,

D. in der Erwägung, dass die Kommission weiter über das ACTA-Übereinkommen verhandelt hat, ohne ein angemessenes Mandat zu besitzen, in dem die Rechtsgrundlage angegeben ist, und obwohl die wichtigsten Fragen, die das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 10. März 2010 aufgeworfen hat, nicht angegangen wurden,

E.  in der Erwägung, dass die 11. und letzte Verhandlungsrunde über das Übereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (ACTA) am 2. Oktober 2010 in Tokio (Japan) abgeschlossen wurde und die Kommission den möglichen Abschluss der Verhandlungen ankündigt,

F.  in der Erwägung, dass neben der EU lediglich zehn Staaten, die über die meisten, weltweit bestehenden Patente, Marken, Rechte des geistigen Eigentums und geografischen Angaben verfügen, und nur zwei Entwicklungsländer (Marokko und Mexiko) an den Verhandlungen teilnahmen,

G. in der Erwägung, dass der unmissverständliche Anspruch der Verhandlungsparteien darin besteht, den Schwellen- und Entwicklungsländern ein bereits abgeschlossenes und besiegeltes ACTA-Übereinkommen, wahrscheinlich im Rahmen bilateraler Handelsabkommen und multilateraler Handelsübereinkommen vorzuschreiben, ohne ihnen die Gelegenheit zu geben, den ausgehandelten Text mit zu gestalten,

H. in der Erwägung, dass bis zum 6. Oktober 2010, als der weitgehend zum Abschluss gebrachte Text veröffentlicht wurde und die Kommission das Parlament anschließend unterrichtete, nicht alle Verhandlungstexte öffentlich zugänglich gemacht wurden, wie es vom Europäischen Parlament in seiner Entschließung vom 10. März 2010 gefordert worden war,

I.   in der Erwägung, dass die Kommission auf die Entscheidung des Bürgerbeauftragten verwiesen hat, um zu rechtfertigen, dass das ACTA als Handelsübereinkommen verhandelt wird und nicht als Vollstreckungsübereinkommen, und in der Erwägung, dass der Bürgerbeauftragte der Ansicht war, dass der Abschluss des ACTA in der Tat dazu führen könnte, dass die EU Vorschläge für neue Rechtsvorschriften erarbeiten bzw. Rechtsvorschriften erlassen muss, und dass ACTA in diesem Fall die einzige bzw. die wichtigste Erwägung zur Untermauerung dieser Rechtsvorschriften wäre und die Bürger ein eindeutiges Interesse daran hätten, über ACTA informiert zu werden,

J.   in der Erwägung, dass die Kommission als die Hüterin der Verträge verpflichtet ist, den gemeinschaftlichen Besitzstand zu wahren, was im Klartext bedeutet, dass er nicht geändert werden kann, wenn sie internationale Übereinkommen aushandelt, die Auswirkungen auf die Rechtsvorschriften in der EU haben,

K. in der Erwägung, dass die Kommission bei Plenardebatten wiederholt kundgetan hat, dass das Übereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie lediglich Durchsetzungsmaßnahmen behandelt und keine Bestimmungen enthält, die die materiellen Rechtsvorschriften im Bereich der Rechte des geistigen Eigentums in der EU ändern,

L.  in der Erwägung, dass die Richtlinie 2001/29/EG einen harmonisierten Rechtsrahmen für das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte sowie eine rigorose und wirksame Regelung zu ihrem Schutz bietet, und dass Artikel 5 dieser Richtlinie eine erschöpfende Auflistung von Ausnahmen und Beschränkungen enthält, durch die die Mitgliedstaaten in ihren Möglichkeiten eingeschränkt werden, neue Ausnahmen und Beschränkungen festzulegen; in der Erwägung, dass der Schutz der Rechteinhaber durch das ACTA-Übereinkommen weiter ausgedehnt werden soll, indem weitergehende Befugnisse zur Durchsetzung des Urheberrechts vorgesehen werden, die Möglichkeit, bestehende Ausnahmen und Beschränkungen auszuweiten, allerdings nicht behandelt wird, und dass der Ermessensspielraum nationaler Gerichte, bestehende Ausnahmen flexibel auszulegen, durch das Übereinkommen eingeschränkt werden kann; in der Erwägung, dass der technologische Fortschritt die Möglichkeiten für das Schaffen, die Produktion und die Verwertung kreativer Werke vervielfacht und diversifiziert hat und dass ein angemessenes Gleichgewicht der Interessen von Rechteinhabern und Nutzern neue Strategien für die Liberalisierung des Zugangs zu diesen Werken durch digitale Technologien erfordert, sowie in der Erwägung, dass die Kommission einen Legislativvorschlag zu verwaisten Werken vorbereitet, um die Digitalisierung und Verbreitung von kulturellen Werken in Europa zu erleichtern,

M. in der Erwägung, dass alle Vereinbarungen, die die Europäische Union zum ACTA erzielt, den rechtlichen Verpflichtungen der EU im Hinblick auf die Achtung der Privatsphäre und der Datenschutzvorschriften entsprechen muss, wie sie insbesondere in den Richtlinien 95/46/EG und 2002/58/EG sowie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs der Europäischen Union niedergelegt sind,

N. in der Erwägung, dass die Vertragsparteien des ACTA zugesagt haben, die Verpflichtung nach Artikel 7 des TRIPS-Übereinkommens einzuhalten und zur Förderung technologischer Innovationen beizutragen, sowie in der Erwägung, dass die wesentlichen politischen Maßnahmen der EU im Zusammenhang mit der Interoperabilität auf den Bestimmungen des gemeinschaftlichen Besitzstands beruhen, die in einigen Fällen „Reverse Engineering“ ermöglichen,

Patente

O. in der Erwägung, dass das für Handel zuständige Kommissionsmitglied das Parlament in der Plenarsitzung vom 20. Oktober 2010 aufforderte, zu der ausstehenden Frage, ob Patente in die Abschnitte über die zivilrechtliche Durchsetzung aufgenommen werden sollten, Stellung zu nehmen, und dass die Verhandlungsführer des ACTA-Übereinkommens erklärt haben, dass das ACTA den grenzüberschreitenden Verkehr rechtmäßig hergestellter Generika nicht behindern wird; in der Erwägung, dass das Parlament in seiner Entschließung und seiner schriftlichen Erklärung dargelegt hat, dass alle Maßnahmen zur Stärkung der Befugnisse für eine grenzübergreifende Inspektion und Beschlagnahme von Waren den allgemeinen Zugang zu rechtmäßig hergestellten, erschwinglichen und sicheren Arzneimitteln nicht beeinträchtigen sollte; in der Erwägung, dass die Verordnung Nr. 1383/2003 des Rates, deren Bestimmungen derzeit in einer WTO-Streitsache diskutiert werden, Grenzkontrollmaßnahmen für Transitgüter vorsieht; in der Erwägung, dass einige Akteure wie Pharmaunternehmen, Hersteller von Generika und weltweit im Gesundheitsbereich engagierte Personen vor der Einbeziehung von Patenten in das ACTA sowie den möglichen schädlichen Auswirkungen auf die technologischen Innovationen, den Zugang zu Arzneimitteln und den Generikawettbewerb gewarnt haben,

P.  in der Erwägung, dass es keine EU-Rechtsvorschriften über Patente gibt,

Q. in der Erwägung, dass der Handel mit rechtmäßig hergestellten qualitativ hochwertigen Generika nicht durch die Bekämpfung vorsätzlicher Versöße gegen das Markenrecht in gewerblichem Ausmaß behindert werden darf; in der Erwägung, dass die Anwendung zivilrechtlicher Durchsetzungsmaßnahmen des ACTA-Übereinkommens auf Patente den Zugang zu rechtmäßig hergestellten, erschwinglichen Arzneimitteln erschweren könnte; in der Erwägung, dass deutliche Zunahmen von Schadenersatz und anderen Rechtsbehelfen für mögliche Verstöße gegen Rechte des geistigen Eigentums Hersteller und Dritte, die an der Produktion, am Verkauf oder Vertrieb von erschwinglichen Generika beteiligt sind, abschrecken wird, insbesondere, wenn diese Bestimmungen auf Transitgüter angewendet werden; in der Erwägung, dass die Anwendung von Bestimmungen über die zivilrechtliche Durchsetzung des ACTA-Übereinkommens auf Patente dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen könnte und das Investitionsrisiko erhöhen, die Unsicherheit auf den Märkten vergrößern und die technologischen Innovationen gefährden könnte, insbesondere in Bereichen, in denen Verstöße schwer festzustellen sind, oder wenn Patente auf Lebewesen, Produkte von indigenen Bevölkerungen und traditionelle Arzneimittel durchgesetzt werden; in der Erwägung, dass die Kommission den ausdrücklichen und absoluten Ausschluss von Patenten vom Anwendungsbereich des Abschnitts zivilrechtliche Durchsetzung des Übereinkommens unterstützen sollte,

Zugang zu Arzneimitteln

R.  in der Erwägung, dass einige wichtige Handelspartner, die gegenwärtig keine Vertragsparteien des ACTA sind (z.B. Brasilien, Indien und China), im WTO/TRIPS-Rat erklärt haben, dass das ACTA-Übereinkommen möglicherweise im Widerspruch zu dem TRIPS-Übereinkommen und anderen WTO-Übereinkommen steht, eine Gefahr für das WTO-Recht und die WTO-Verfahren darstellt, weil es außerhalb des WTO-Rechtsrahmens angesiedelt ist, das ausgewogene Verhältnis der Rechte, Verpflichtungen und Flexibilitätsbestimmungen untergräbt, die in den verschiedenen WTO-Übereinkommen sorgsam ausgehandelt wurden, zu Handelsverzerrungen oder Handelshemmnissen führt und die Flexibilitätsbestimmungen aushöhlt, die in das TRIPS-Übereinkommen und in die Erklärung von Doha zum TRIPS-Übereinkommen und zur öffentlichen Gesundheit von 2001 eingebaut wurden, wie etwa in Bezug auf die öffentliche Gesundheit und den Handel mit Generika,

Grundrechte

S.  in der Erwägung, dass die Kommission in ihrer Mitteilung vom 19. Oktober 2010 erklärt hat, dass die „Tätigkeit der Union (…) keinerlei Angriffspunkte in Bezug auf die Grundrechte bieten“ darf und dass die „Union [dazu] mit gutem Beispiel vorangehen“ muss; in der Erwägung, dass die Kommission am 20. Oktober 2010 im Plenum erklärt hat, dass das ACTA noch nicht paraphiert ist und dass es das Vorrecht der Kommission als Verhandlungsführerin ist, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem die Verhandlungen aus technischer Sicht abgeschlossen sind und das Übereinkommen paraphiert werden kann,

T.  in der Erwägung, dass alle Vereinbarungen, die die Europäische Union zum ACTA-Übereinkommen erzielt, mit den rechtlichen Verpflichtungen der EU in Bezug auf die Achtung der Privatsphäre und die Datenschutzvorschriften im Einklang stehen müssen, wie sie insbesondere in den Richtlinien 95/46/EG und 2002/58/EG (zuletzt geändert durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009), in den Richtlinien 2009/136/EG und 2009/140/EG über elektronische Kommunikationsnetze und -dienste sowie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs der Europäischen Union niedergelegt sind,

U. in der Erwägung, dass die Kommission durch die interinstitutionelle Vereinbarung von 2010 gebunden ist und daher keine Selbst- und Koregulierungsmechanismen unterstützen darf, wenn es um Grundrechte wie die freie Meinungsäußerung geht,

V. in der Erwägung, dass die Kommission am 19. Oktober 2010 eine Mitteilung über Folgenabschätzung veröffentlicht hat,

Gewerbliches Ausmaß

W. in der Erwägung, dass die Definition des Begriffs „gewerbliches Ausmaß“ in Artikel 2.14.1 des ACTA sinngemäß besagt, dass für die Zwecke des betreffenden Abschnitts als Handlungen gewerblichen Ausmaßes mindestens solche Handlungen anzusehen sind, die als gewerbliche Tätigkeit zur Erlangung eines direkten wirtschaftlichen oder gewerblichen Vorteils unternommen werden,

X. in der Erwägung, dass Fußnote 9 des ACTA sinngemäß besagt, dass jede Vertragspartei die vorsätzliche und in gewerblichem Ausmaß vorgenommene Einfuhr oder Ausfuhr von nachgeahmten Markenwaren oder unerlaubt hergestellten urheberrechtlich geschützten Waren als rechtswidrige Handlungen erachtet, die gemäß dem betreffenden Artikel strafrechtlich verfolgt werden, und dass eine Vertragspartei ihren Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Ausfuhr und Einfuhr von unerlaubt hergestellten urheberrechtlich geschützten Waren oder nachgeahmten Markenwaren nachkommen kann, indem sie den Vertrieb, den Verkauf oder das Anbieten von nachgeahmten Markenwaren oder unerlaubt hergestellten urheberrechtlich geschützten Waren in gewerblichem Ausmaß als rechtswidrige Handlungen strafrechtlich verfolgt,

Strafrechtliche Belangung und strafrechtliche Sanktionen

Y. in der Erwägung, dass derjenige Teil des ACTA, in dem es um die strafrechtliche Belangung geht, Bestimmungen zum Strafprozessrecht, zur strafrechtlichen Haftung, zu strafbaren Handlungen, zur strafrechtlichen Belangung und zu strafrechtlichen Sanktionen betrifft, sowie in der Erwägung, dass der Ratsvorsitz die ACTA-Bestimmungen über die strafrechtliche Belangung für die Mitgliedstaaten ausgehandelt hat,

Rechte des geistigen Eigentums im digitalen Umfeld

Z.  in der Erwägung, dass in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr und in der schriftlichen Erklärung 0012/2010 die Auffassung vertreten wird, dass Internetdiensteanbieter nicht für die im Rahmen ihrer Dienste übertragenen oder bereitgestellten Daten haftbar gemacht werden können, wenn die Daten dazu im Vorfeld kontrolliert oder gefiltert werden müssten; in der Erwägung, dass in der Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zu ACTA davor gewarnt wird, dass Internetdienstanbieter Klauseln in die Verträge mit ihren Kunden aufnehmen könnten, die eine Überwachung ihrer Daten und eine Einstellung ihrer Abonnements ermöglichen,

AA. in der Erwägung, dass in Artikel 1.2 des Übereinkommens geregelt ist, dass es jeder Vertragspartei freisteht, innerhalb ihres eigenen Rechtssystems und im Rahmen ihrer Rechtspraxis die geeignete Methode zur Umsetzung der Bestimmungen dieses Übereinkommens festzulegen,

BB. in der Erwägung, dass die nationalen Justizbehörden mit Verstößen gegen die Rechte des geistigen Eigentums im digitalen Umfeld befasst werden,

ACTA-Ausschuss

CC. in der Erwägung, dass der ACTA-Ausschuss im Rahmen der institutionellen Regelungen für das ACTA unter anderem Befugnisse in Bezug auf die Umsetzung und Anwendung des Übereinkommens, die Änderung des Übereinkommens, die Beteiligung nichtstaatlicher Akteure sowie Beschlüsse zu seiner Geschäftsordnung und seinen Verfahren erhält, sowie in der Erwägung, dass die Union nach Artikel 21 AEUV gehalten ist, die Demokratie zu fördern,

1.  lehnt es entschieden ab, dass die Europäische Kommission das ACTA-Übereinkommen ohne eine Rechtsgrundlage, ohne ein Mandat, zu dem das Parlament seine Stellungnahme abgeben konnte, und ohne die in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2010 aufgeworfenen Fragen behandelt zu haben, weiter aushandelt und ihre Absicht äußert, es paraphieren zu wollen;

2.  bekräftigt, dass die Bekämpfung der Produkt- und Markenpiraterie zwar notwendig ist, dass dieser legitime Zweck jedoch nicht mit anderen offensiven Handelszwecken (geografische Angaben, Rechte des geistigen Eigentums, ...) vermischt werden sollte und kein neues Handelsinstrument, sondern Durchsetzungsmaßnahmen und Koordinierung erfordert;

3.  hält es für nicht hinnehmbar, dass diese Verhandlungen von wenigen reichen Staaten, die über die meisten Rechte des geistigen Eigentums, geografischen Angaben und Patente verfügen, und nur von zwei Entwicklungsländern geführt wurden, wodurch bestehende multilaterale Gremien wie das WIPO ausgeschlossen und geschwächt werden;

4.  lehnt ein Vorgehen ab, welches darin besteht, ein Handelsübereinkommen mit wenigen Staaten auszuhandeln und die übrigen Staaten aufzufordern, einem Übereinkommen später beizutreten, über das sie nicht verhandelt haben, oder, was noch schlimmer ist, sie zu zwingen, dem ACTA in der Zukunft beizutreten, wodurch Verbindungen zwischen bilateralen Abkommen oder multilateralen Übereinkommen hergestellt werden;

5.  ist der Ansicht, dass das ACTA sogar in der Fassung des veröffentlichten jüngsten konsolidierten Textes weiterhin eine schwerwiegende Bedrohung für die bürgerlichen Freiheiten und die Grundrechte, für die Entwicklung und den Zugang zu Generika darstellt, und dass die Kommission auf die vom EP vorgebrachten Bedenken bei weitem nicht mit den erforderlichen Antworten reagiert;

6.  fordert die Kommission und den Rat auf, vor weiteren Verhandlungen über das Übereinkommen die Rechtsgrundlage zu klären; fordert die Kommission auf, die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Rat und der Kommission in Bezug auf den Abschnitt strafrechtliche Belangung des ACTA zu klären, einschließlich hinsichtlich der Paraphierung des Übereinkommens; besteht darauf, dass dem Parlament vor der Paraphierung des Übereinkommens nachgewiesen wird, dass die Rechtsgrundlage für die Aushandlung des ACTA in vollem Einklang mit dem Vertrag von Lissabon steht;

7.  nimmt die Entscheidung des Bürgerbeauftragten zur Kenntnis und vertritt die Ansicht, dass die Bürgerinnen und Bürger ein eindeutiges Interesse daran haben, informiert zu werden und zu verfolgen, ob dem öffentlichen Interesse gedient wird, insbesondere wenn für das ACTA Rechtsvorschriften erlassen werden müssen; sieht in der öffentlichen Kritik an der Geheimhaltung der Verhandlungen ein klares Signal dafür, dass das für die Verhandlungen angewandte Verfahren unter politischen Gesichtspunkten nicht haltbar ist; erinnert die Kommission an ihre vertragliche Verpflichtung gemäß Artikel 15 AEUV, „eine verantwortungsvolle Verwaltung zu fördern und die Beteiligung der Zivilgesellschaft sicherzustellen“, sowie „unter weitestgehender Beachtung des Grundsatzes der Offenheit zu handeln“; beauftragt die Kommission, dafür zu sorgen, dass die Unionsbürger vor der Paraphierung des Übereinkommenstextes die Gelegenheit erhalten, sich dazu zu äußern, und dass ihren Beiträgen angemessen Rechnung getragen wird;

8.  nimmt die wiederholten Erklärungen der Kommission zur Kenntnis, dass die Umsetzung der ACTA-Bestimmungen – insbesondere zu den Verfahren der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums im digitalen Umfeld – vollständig mit dem gemeinschaftlichen Besitzstand im Einklang steht und dass weder Personendurchsuchungen noch das sogenannte „Three-Strikes-Verfahren“ mit diesem Übereinkommen eingeführt werden; die Unterzeichner des ACTA und insbesondere die EU dürfen mit dem Übereinkommen nicht verpflichtet werden, das Three-Strikes-Verfahren oder ähnliche Verfahren einzuführen;

9.  fordert die Kommission eindringlich auf, sich dazu zu verpflichten, dem Europäischen Parlament rechtzeitig vor der Paraphierung des Übereinkommens schriftliche Nachweise dafür vorzulegen, dass durch das ACTA die Harmonisierung der Ausnahmen und Beschränkungen für das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte nicht eingeschränkt wird; vertritt die Auffassung, dass das ACTA, sollte es abgeschlossen werden, die Möglichkeit einer künftigen Ausweitung der Ausnahmen und Beschränkungen über die in der Richtlinie 2001/29/EG aufgelisteten Ausnahmen und Beschränkungen hinaus einschränken würde, künftige politische Optionen und rechtliche Schritte zur Ausweitung des Zugangs zu kreativen Werken aufgrund des technologischen Fortschritts durch die Nutzung von Ausnahmen ausschließen würde, die legislativen Optionen in Bezug auf verwaiste Werke begrenzen oder die Mitgliedstaaten davon abhalten würde, Rechtsvorschriften zur Ausweitung des Zugangs zu verwaisten urheberrechtlich geschützten Werken zu erlassen, die die Rechtsbehelfe für Verstöße gegen diese Werke begrenzen;

10. fordert die Kommission auf zu bestätigen, dass das ACTA den gemeinschaftlichen Besitzstand in Bezug auf die Grundrechte und den Datenschutz und die derzeitigen Anstrengungen der EU, die Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und den elektronischen Geschäftsverkehr zu harmonisieren, weder heute noch in der Zukunft ändern wird;

11. fordert die Kommission auf, rechtzeitig bevor das Zustimmungsverfahren im Parlament in die Wege geleitet wird, ausdrücklich zu bekräftigen, dass die Bestimmungen des gemeinschaftlichen Besitzstands wie etwa die der Richtlinie 91/250/EWG („Software-Richtlinie“) und der Richtlinie 2001/29/EG („Richtlinie über die Informationsgesellschaft“) und deren Umsetzungen durch die Mitgliedstaaten, die in manchen Fällen „Reverse engineering“ von Computerprogrammen und die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen zur Gewährleistung der Interoperabilität ermöglichen, wodurch Wettbewerb und Innovationen gefördert werden, von den Bestimmungen des ACTA unberührt bleiben;

Patente

12. lehnt die Aufnahme von Patenten in den Abschnitt zivilrechtliche Durchsetzung des ACTA ab, insbesondere in Bezug auf die Produktion, den Verkauf und den Vertrieb von erschwinglichen Generika; fordert die Kommission daher auf, den ausdrücklichen und absoluten Ausschluss von Patenten vom Anwendungsbereich des Abschnitts zivilrechtliche Umsetzung des Übereinkommens zu unterstützen;

Zugang zu Arzneimitteln

13. nimmt zur Kenntnis, dass in der Präambel des als Beratungsgrundlage dienenden Textentwurfs vom 2. Oktober 2010 das Ziel des ACTA bekräftigt wurde, wirkungsvolle und angemessene Mittel für die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, die das TRIPS-Übereinkommen ergänzen, bereitzustellen, wobei die Unterschiede in den jeweiligen Rechtsordnungen und -praktiken der Vertragsparteien des ACTA berücksichtigt werden, und erkennt an, dass die Grundsätze, die in der Erklärung von Doha zum TRIPS-Übereinkommen und zur öffentlichen Gesundheit, die von der WTO am 14. November 2001 auf der Vierten Ministerkonferenz der WTO in Doha (Katar) angenommen wurde, Blöcke bilden, auf denen der als Beratungsgrundlage dienende Text des ACTA vom 2. Oktober 2010 beruht, und ist daher der Auffassung, dass die Durchsetzung des ACTA stets mit diesen Grundsätzen übereinstimmen sollte;

14. stellt einige Verbesserungen im Entwurf des Textes des ACTA fest, die mehr Schutzbestimmungen für die Privatsphäre, die öffentliche Gesundheit und einige Schutzklauseln des TRIPS-Übereinkommens vorsehen; fordert die Kommission auf, zu prüfen, ob die im ACTA enthaltenen Schutzbestimmungen auch im Verhältnis zu den Umsetzungsbestimmungen durchsetzbar sind; fordert die Kommission auf, Nachweise darüber vorzulegen, dass die Mitgliedstaaten durch das ACTA nicht daran gehindert werden, Rechtsvorschriften einzuführen, mit denen Rechtsbehelfe für Verstöße eingeschränkt werden, auch, aber nicht nur, um den Zugang zu verwaisten urheberrechtlich geschützten Werken auszuweiten oder Flexibilitätsbestimmungen des TRIPS-Übereinkommens so zu nutzen, dass die volle Bandbreite politischer Optionen für die Zukunft verfügbar ist; fordert die Kommission auf, eine Bewertung darüber vorzunehmen, ob das ACTA tatsächlich ein verbindliches Übereinkommen ist und ob Artikel 1.2 des Übereinkommens eine allgemeine Flexibilität in Bezug auf alle Elemente enthält, die möglicherweise einen Widerspruch zwischen dem ACTA und dem nationalen Recht bedeuten; fordert die Kommission auf, die Mechanismen darzulegen, die den Vertragsparteien eine gewisse Flexibilität hinsichtlich der Festlegung zulässiger Ausnahmen von den Verpflichtungen des Übereinkommens einräumen, die mit den Zielen und Grundsätzen des TRIPS-Übereinkommens und der Erklärung von Doha zum TRIPS-Übereinkommen und zur öffentlichen Gesundheit von 2001 im Einklang stehen;

Grundrechte

15. betont, dass das Recht auf Privatsphäre und der Datenschutz zentrale Werte der Europäischen Union darstellen sollten, die in Artikel 8 EMRK und in den Artikeln 7 und 8 der Charta der Grundrechte der EU verankert sind und die gemäß Artikel 16 AEUV in allen Politikbereichen und bei allen Vorschriften der EU zu wahren sind;

16. beauftragt die Kommission, dem Parlament vor der Paraphierung des Übereinkommens eine rechtliche Analyse der Bedeutung, Rechtmäßigkeit und Durchsetzbarkeit der durch das ACTA erhofften politischen Maßnahmen hinsichtlich der Zusammenarbeit von Dienstleistungserbringern und Rechteinhabern vorzulegen und dabei insbesondere darauf einzugehen, inwiefern durch gemeinsame Anstrengungen der Geschäftswelt die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, einschließlich des Rechts auf Privatsphäre, des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Rechts auf ein ordentliches Gerichtsverfahren, nicht eingeschränkt werden;

17. fordert die Kommission auf, rechtzeitig vor der Paraphierung des Übereinkommens eine Abschätzung der Folgen der Umsetzung des ACTA für die Grundrechte und den Datenschutz, die derzeitigen Bemühungen der EU um die Harmonisierung der Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und den elektronischen Geschäftsverkehr durchzuführen, und kommt zu dem Schluss, dass die Kommission das Parlament zu den Ergebnissen dieser Folgenabschätzung frühzeitig konsultieren muss;

18. besteht darauf, dass die Kommission rasch im Einklang mit ihrer Mitteilung vom 19. Oktober 2010 über die Abschätzung der Folgen für die Grundrechte handelt;

Geografische Angaben

19. bedauert, dass in Artikel 1.X des Übereinkommens die Produkt- und Markenpiraterie in Bezug auf geografische Angaben nicht definiert ist, da dieses Versäumnis für Verwirrung sorgen oder zumindest die Aufgaben der Verwaltungs- und Justizbehörden bei der Auslegung und der Umsetzung des ACTA verkomplizieren könnte;

Gewerbliches Ausmaß

20. stellt fest, dass die Definition des gewerblichen Ausmaßes im ACTA (Artikel 2.14.1) über die Definition hinausgeht, die am 25. April 2007 in seiner Abstimmung über den geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (2005/0127(COD)) angenommen wurde;

21. fordert die Kommission und den Rat angesichts der Tatsache, dass der Ratsvorsitz den Abschnitt strafrechtliche Belangung des ACTA für die Mitgliedstaaten ausgehandelt hat, auf, dem Parlament eine genaue Auslegung des in Artikel 2.14.1 des Übereinkommens genannten Begriffs „gewerbliches Ausmaß” zukommen zu lassen; fordert die Kommission und den Rat auf zu bekräftigen, dass Artikel 2.14.1 keine Änderungen des gemeinschaftlichen Besitzstands erfordert, insbesondere hinsichtlich der Abstimmung des Europäischen Parlaments über den geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums – 2005/0127 (COD); fordert, dass eine „de minimis-Ausnahme” in Artikel 2.14.1 aufgenommen wird;

22. erachtet es als unangemessen, die Ausweitung der strafrechtlichen Haftung in einer Fußnote vorzunehmen, so wie es in Fußnote 9 des konsolidierten Textes der Fall ist;

23. vertritt die Auffassung, dass kein Staat verpflichtet werden sollte, strafrechtliche Verfahren und Sanktionen für das unerlaubte Kopieren von Kinofilmen von einer Vorführung in einer Filmausstellung, die für die Öffentlichkeit zugänglich ist, vorzusehen;

24. ist der Ansicht, dass die Vertragsparteien nicht verpflichtet werden sollten, Aufzeichnungen mit einem Kamerarekorder unter Strafe zu stellen;

Strafrechtliche Belangung und strafrechtliche Sanktionen

25. stellt fest, dass die Justizbehörden gemäß dem ACTA gegen eine Vertragspartei oder einen Dritten vorgehen dürfen (z. B. „Verfügung“ in Artikel 2.X); weist darauf hin, dass diese Verfügungsbefugnis über die Bestimmungen der Richtlinie über die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums hinausgeht, derzufolge Verfügungen nur zulässig sind, „um eine drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums zu verhindern“; weist darüber hinaus darauf hin, dass etwaige Verfügungsmaßnahmen gegen Dritte gemäß dieser Richtlinie nur zulässig sind, wenn sie an der Verletzung beteiligt waren;

26. fordert den Europäischen Datenschutzbeauftragten auf, eine Stellungnahme zum aktuellen Wortlaut des ACTA abzugeben;

Rechte des geistigen Eigentums im digitalen Umfeld

27. lehnt es entschieden ab, dass die Kommission Artikel 2.18.3 zu akzeptieren scheint, der den Vertragsparteien vorschreibt (d.h. „die Vertragsparteien bemühen sich,“), mit der Geschäftswelt zusammenzuarbeiten, um Verstößen wirksam entgegenzutreten;

28. ist zutiefst besorgt darüber, dass Informationen an die Rechteinhaber (Artikel 2.18.4) nicht notwendigerweise von Justizbehörden („zuständigen Behörden“) bekannt gegeben werden; fordert die Kommission auf, die Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit Artikel 15 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (E-Privacy-Richtlinie) zu erläutern, insbesondere in Bezug auf die zivilrechtliche Durchsetzung;

ACTA-Ausschuss

29. ist der Auffassung, dass die in dem Entwurf vorgesehene Rolle des ACTA-Ausschusses unklar ist und dass es unklar ist, ob er in einer offenen, umfassenden und transparenten Weise tätig werden wird; beauftragt die Kommission damit, vor der Paraphierung des Übereinkommens die Rolle des ACTA-Ausschusses und seine Führung zu klären, insbesondere mit Blick auf die Beteiligung des Europäischen Parlaments und das Verfahren für die Änderung des Übereinkommens;

30. betont, dass Änderungen des Übereinkommens einer öffentlichen Kontrolle durch alle Beteiligten unterzogen werden und vom Parlament gebilligt werden müssen; fordert die Kommission auf, den Rat und das Europäische Parlament im Rahmen eines Verfahrens, das Transparenz, parlamentarische Kontrolle und die Beteiligung der Öffentlichkeit gewährleistet, zu konsultieren, bevor sie Änderungen an dem derzeitigen Text im ACTA-Ausschuss akzeptiert oder vorschlägt;

Bedingungen des EP für die Zustimmung

31. weist darauf hin, dass für das Inkrafttreten des ACTA-Übereinkommens die Zustimmung des EP und möglicherweise die Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten erforderlich sind; fordert die Kommission und den Rat auf, keine vorläufige Anwendung des Übereinkommens vorzuschlagen, bevor das Parlament seine Zustimmung erteilt hat; erinnert die Kommission und den Rat daran, dass das Parlament sich sein Recht vorbehält, die Zustimmung zu dem ACTA-Übereinkommen zu versagen, und macht die mögliche Zustimmung zu dem ACTA-Übereinkommen von der uneingeschränkten Zusammenarbeit in Bezug auf diese Entschließung abhängig;

32. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission und den Regierungen und Parlamenten der Staaten zu übermitteln, die an den Verhandlungen über das ACTA beteiligt sind.