Entschließungsantrag - B7-0027/2011Entschließungsantrag
B7-0027/2011

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage in Haiti ein Jahr nach dem Erdbeben: humanitäre Hilfe und Wiederaufbau

12.1.2011

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Kommission
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Charles Goerens, Niccolò Rinaldi und Marielle De Sarnez im Namen der ALDE-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0023/2011

Verfahren : 2010/3018(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B7-0027/2011
Eingereichte Texte :
B7-0027/2011
Abstimmungen :
Angenommene Texte :

B7‑0027/2011

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in Haiti ein Jahr nach dem Erdbeben: humanitäre Hilfe und Wiederaufbau

Das Europäische Parlament,

–   unter Hinweis auf die internationale Geberkonferenz zum Thema „Eine neue Zukunft für Haiti“ vom 31. März 2010 in New York und den Bericht über die Reise einer Delegation seines Entwicklungsausschusses nach New York,

–   unter Hinweis auf den Aktionsplan für den Wiederaufbau und die nationale Entwicklung Haitis – die großen Zukunftsaufgaben – vom März 2010,

–   unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen der außerordentlichen Tagung des Rates (Auswärtige Angelegenheiten) vom 18. Januar 2010 in Brüssel,

–   unter Hinweis auf die am 19. Januar 2010 abgegebene Erklärung der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zum Erdbeben in Haiti,

–   unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen der vorbereitenden Ministerkonferenz vom 25. Januar 2010 in Montreal,

–   unter Hinweis auf den im Dezember 2007 von den drei europäischen Organen unterzeichneten Europäischen Konsens über die humanitäre Hilfe,

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 10. Februar 2010 zu dem jüngsten Erdbeben in Haiti,

–   unter Hinweis auf den Bericht über die Reise einer Delegation seines Entwicklungsausschusses nach Haiti (25.–27. Juni 2010),

–   gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass das Erdbeben der Stärke 7,3 auf der Richterskala, das Haiti am 12. Januar 2010 erschüttert hatte, 222 750 Todesopfer gefordert hat, dass drei Millionen Menschen in Mitleidenschaft gezogen wurden und 1,7 Millionen Menschen ihre Häuser verlassen mussten, wovon eine Million nach wie vor in Notunterkünften, die eigentlich nur vorübergehenden Charakter haben sollten, untergebracht sind,

B.  in der Erwägung, dass ein Jahr nach dem Erdbeben die Lage in Haiti weiterhin chaotisch ist und dass in dem Land nach wie vor eine Notstandssituation herrscht und der Wiederaufbau nur schwer in Gang kommt,

C. in der Erwägung, dass jahrzehntelange Armut, Umweltzerstörung, Gefährdung durch verschiedenste Naturkatastrophen, Gewalt, politische Instabilität und Diktatur Haiti zum ärmsten Land Amerikas gemacht haben und dass die von dem Erdbeben verursachten Schäden das Unvermögen des Staates, grundlegende öffentliche Dienstleistungen zu erbringen und damit aktiv auf die Hilfs- und Wiederaufbaubemühungen zu reagieren, noch vergrößert haben,

D. in der Erwägung, dass bis heute von den zehn Milliarden Dollar, die auf der Internationalen Geberkonferenz für den Wiederaufbau Haitis vom 31. März 2010 in New York versprochen wurden, nur einige hundert Millionen Dollar auch tatsächlich überwiesen wurden,

E.  in der Erwägung, dass auf Vorschlag Haitis eine Interimskommission für den Wiederaufbau Haitis (CIRH) geschaffen wurde, um für die Koordinierung und den wirksamen Einsatz der Ressourcen Sorge zu tragen und um den Aktionsplan für die Entwicklung Haitis umzusetzen, sowie in der Erwägung, dass die Europäische Kommission als wichtigster Geber in der CIRH vertreten ist und dort Stimmrecht besitzt,

F.  in der Erwägung, dass die Beseitigung der Trümmer eine der größten Herausforderungen für den Wiederaufbau des Landes darstellt – weniger als fünf Prozent der Trümmer wurden bisher beseitigt –, dass, falls in der derzeitigen Geschwindigkeit weitergearbeitet wird, sechs Jahre notwendig sein werden, um 20 Millionen Kubikmeter Trümmer zu beseitigen und dass 180 Lkws, die 18 Monate lang rund um die Uhr im Einsatz sein müssten, notwendig wären, um alle Trümmer zu beseitigen,

G. in der Erwägung, dass die Choleraepidemie, die am 19. Oktober 2010 ausgebrochen ist, bis jetzt 3333 Todesopfer gefordert hat und dass über 148 000 Menschen an Cholera erkrankt sind, sowie in der Erwägung, dass die Ausbreitung der Epidemie die offensichtlichen strukturellen Mängel des haitianischen Staates und die Grenzen des Systems der internationalen Hilfe und der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Haiti (MINUSTAH) vor Augen führt und dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Cholera insbesondere von der derzeitigen politischen Krise nach den Wahlen beeinträchtigt werden,

H. in der Erwägung, dass die Wahlen vom 28. November 2010, deren Ergebnis Anfang Dezember bekanntgegeben wurde, zu gewalttätigen Demonstrationen in Haiti und zu zahlreichen Vorwürfen hinsichtlich Wahlbetrugs geführt haben und dass die internationale Gemeinschaft zu einem transparenten und ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen beitragen sollte, um die Integrität der Wahlen zu gewährleisten, die für den Wiederaufbau des Landes unerlässlich ist,

1.  erinnert an die starke Mobilisierung der internationalen Gemeinschaft nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti und deren echten politischen Willen, bei ihrem Beitrag zum Wiederaufbau Haitis die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und ein für allemal die tieferen Ursachen für die Armut in Haiti zu bekämpfen;

2.  bedauert das Ausmaß der Katastrophe in Haiti, deren Folgen ein Jahr danach immer noch weithin sichtbar sind, und begrüßt die Höhe der humanitären Hilfe der Kommission zugunsten Haitis, die sich auf 120 Millionen Euro beläuft (davon 12 Millionen Euro für die Bekämpfung der Cholera), sowie das Engagement des für internationale Zusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Krisenreaktion zuständigen Kommissionsmitglieds und der GD ECHO und ihrer Sachverständigen;

3.  betont, dass durch die Einrichtung von Clustern eine Vor-Ort-Koordinierung der humanitären Einsätze möglich geworden ist, dass diese Methode jedoch angesichts der großen Vielfalt der Akteure im humanitären Bereich und der durch die städtischen Ballungsräume bedingten Komplexität der Notlage an ihre Grenzen gestoßen ist;

4.  begrüßt die Bemühungen und die Arbeit der humanitären Organisationen (Rotes Kreuz, nichtstaatliche Organisationen, Vereinte Nationen) und der Mitgliedstaaten und weist nachdrücklich darauf hin, dass die nicht sichtbaren Folgen der humanitären Einsätze kommuniziert werden müssen und dass die Lage insbesondere durch die Versorgung der Verletzten, die Versorgung mit Trinkwasser und Lebensmitteln sowie die Bereitstellung von Notunterkünften unter Kontrolle gebracht werden konnte;

5.  stellt fest, dass die Choleraepidemie die nahezu völlige Machtlosigkeit des haitianischen Staates gegenüber einer Krankheit, der leicht vorgebeugt und die leicht geheilt werden kann, sowie die Grenzen des Systems der internationalen Hilfe aufgezeigt hat, und dies in einem Land, dem humanitäre Unterstützung größten Ausmaßes zuteil wird (12 000 nichtstaatliche Organisationen); betont, dass die Akteure im humanitären Bereich nicht weiterhin die Defizite des haitianischen Staates ausgleichen können, indem sie an dessen Stelle treten, und dass endlich Maßnahmen für eine langfristige Entwicklung ergriffen werden müssen, insbesondere was den Zugang zu Gesundheitsfürsorge und Trinkwasser sowie die Abwasserentsorgung betrifft;

6.  begrüßt es, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten auf der internationalen Geberkonferenz für den Wiederaufbau Haitis gemeinsam 1,2 Milliarden Euro – davon 460 Millionen Euro an nichthumanitärer Hilfe der Kommission – zugesagt haben; wiederholt seine Forderung, dass die Europäische Union als wichtigste Geldgeberin eine führende politische Rolle bei den Wiederaufbaubemühungen spielen sollte;

7.  fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, im Rahmen ihres gemeinsamen Ansatzes bei der Ressourcenplanung für den Wiederaufbau Haitis und im Rahmen der Halbzeitüberprüfung im Hinblick auf die Verplanung der noch ausstehenden Mittel der Kommission – nämlich 169 der 460 Millionen Euro, die in New York zugesagt wurden – die örtliche Lebensmittelerzeugung und die Lebensmittelsicherheit in die Wiederaufbaubemühungen in Haiti einzubeziehen, und zwar durch die Entwicklung der Infrastrukturen auf dem Lande und die Unterstützung kleiner landwirtschaftlicher Betriebe;

8.  bedauert, dass die CIRH, die eine Schlüsselrolle bei der Koordinierung des Wiederaufbaus spielen soll, ihre Arbeiten mit Verspätung aufgenommen hat; bedauert ferner den Mangel an Informationen hinsichtlich der Funktionsweise und Effizienz dieser Kommission und fordert die Europäische Kommission, die in der CIRH vertreten ist, dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Durchführung des Mandats der CIRH zu beschleunigen, und dem Europäischen Parlament einen Bericht über die Tätigkeiten der CIRH und den Einsatz der Ressourcen sowie darüber, wie viele der auf der Konferenz von New York zugesagten Mittel tatsächlich in den Wiederaufbau investiert wurden, vorzulegen;

9.  erkennt an, dass die CIRH, eine zentrale Struktur für die Verwaltung des Wiederaufbaus, nur wirksam funktionieren kann, wenn die staatlichen Kapazitäten Haitis wiederhergestellt werden und die haitianische Führung im Rahmen einer transparenten und ordnungsgemäßen Wahl neu bestimmt wird und wenn ein echter politischer Wille vorhanden ist, diejenigen Entscheidungen zu treffen, die erforderlich sind, um diese gewaltige Aufgabe in Angriff zu nehmen;

10. bedauert, dass der haitianischen Bevölkerung nur Schaufeln, Hacken und Schubkarren zur Verfügung stehen, um – im Rahmen von Tätigkeiten nach dem Prinzip „Bargeld für Arbeit“ – die Tonnen von Trümmern zu beseitigen, welche die Hauptstadt lahmlegen, was angesichts des Ausmaßes der Notlage lächerlich erscheint; betont, dass die Beseitigung der Trümmer von entscheidender Bedeutung für den Wiederaufbau Haitis ist, und bedauert, dass praktisch keinerlei Mittel für die Beseitigung der Trümmer freigemacht wurden;

11. bedauert die schwere Wohnungskrise in Haiti; betont, dass die Umsiedlung der Obdachlosen, die größtenteils in Notunterkünften in der Hauptstadt Port-au-Prince untergebracht sind, daran scheitert, dass nicht genügend Grundstücke zur Verfügung stehen, es kein Grundbuchsystem gibt und zahlreiche Landflächen von Menschen, die ihre Wohnung verloren haben, in Besitz genommen wurden, und appelliert an den politischen Willen der haitianischen Regierung, voluntaristische Maßnahmen zu ergreifen, wozu insbesondere Enteignungen gehören;

12. bringt seine zunehmende Besorgnis angesichts der Lage der Kinder in Haiti zum Ausdruck, die nach dem Erdbeben, von dem mehr als 800 000 Kinder in schwerwiegender Weise betroffen waren, von Gewalt, sexuellem Missbrauch, Menschenhandel, Ausbeutung und Aussetzung bedroht sind, und fordert die Europäische Union (Kommission) auf, sich entschieden dafür einzusetzen, ein schützendes und sicheres Umfeld für die Kinder wiederherzustellen, um den Prozess der Schaffung eines Systems der sozialen Absicherung in Haiti zu unterstützen und die Reform des Bildungswesens zu unterstützen;

13. fordert die Europäische Union auf, mit der Regierung Haitis zusammenzuarbeiten, um umfassende Rechtsvorschriften zum Schutz der Rechte von Kindern auszuarbeiten und die Verpflichtungen, die sich aus zahlreichen von Haiti ratifizierten internationalen Instrumenten im Bereich der Rechte des Kindes, der Menschenrechte, der Abschaffung der Sklaverei und des Schutzes der Rechte des Kindes ergeben, in nationales Recht umzusetzen;

14. hält es für äußerst wichtig, dass die Kommission die Durchführung des Prozesses der Identifizierung, Erfassung und Suche nach den Familien derjenigen Kinder, die von ihren Familien getrennt sind, unterstützt und dass an den Grenzen mit besonderer Wachsamkeit verfahren wird, um Kinderhandel und illegale Adoption von Kindern zu verhindern;

15. betont, wie wichtig es ist, den haitianischen Staat unverzüglich wieder in die Lage zu versetzen, Demokratie und eine gute Regierungsführung, die für den Wiederaufbau des Landes unerlässlich sind, zu gewährleisten, und dafür Sorge zu tragen, dass die Zivilgesellschaft und die Bevölkerung Haitis einbezogen werden;

16. äußert sich tief besorgt angesichts der derzeitigen politischen Krise infolge der heftig umstrittenen Ergebnisse der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die von den ausländischen Wahlbeobachtungsmissionen zurückhaltend bestätigt wurden und in Bezug auf die derzeit eine erneute Auszählung der Stimmen durch Sachverständige der Organisation Amerikanischer Staaten erfolgt;

17. fordert die Europäische Union auf, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen und sich nach Kräften für eine ordnungsgemäße und transparente Durchführung der Wahlen und einen reibungslosen Ablauf des für Februar vorgesehenen zweiten Wahlgangs einzusetzen, um zu verhindern, dass sich die Krise in Haiti noch ausweitet; ist der Auffassung, dass nur ein gewählter und rechtmäßiger Präsident sowie rechtmäßige Abgeordnete die notwendigen Entscheidungen treffen können und dass der Wiederaufbau Stabilität und politischen Willen erfordert;

18. fordert die internationale Gemeinschaft und die Europäische Union auf, eng mit der künftigen haitianischen Regierung zusammenzuarbeiten und sie bei der Organisation ihrer Institutionen, auf dem Weg zu einem neuen Gleichgewicht auf allen Ebenen und zu einer voll funktionsfähigen Demokratie sowie während des gesamten Wiederaufbauprozesses zu begleiten;

19. fordert die Kommission auf, im Geiste des Europäischen Konsenses über die humanitäre Hilfe erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, um in Zusammenarbeit mit der Regierung, den lokalen Behörden und der Zivilgesellschaft die Vorbereitung auf den Katastrophenfall und die Katastrophenvorsorge in die Notfallphase und die langfristige Entwicklung einzubeziehen;

20. stellt fest, dass in Haiti seit Jahrzehnten humanitäre Hilfe geleistet wird und dass sich gerade in dieser Krise zeigt, wie wichtig die Verknüpfung von Notfallhilfe, Wiederaufbau und Entwicklung ist; spricht sich daher für eine Verbesserung des Dialogs und der Koordinierung zwischen den humanitären Organisationen und den Entwicklungsagenturen vor Ort sowie innerhalb der EU-Organe und der Mitgliedstaaten aus;

21. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, den Mitgliedstaaten, dem Präsidenten und der Regierung Haitis, dem Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen sowie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds zu übermitteln.