ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu den Präsidentschaftswahlen in Belarus
17.1.2011
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Helmut Scholz, Rui Tavares, Marisa Matias, Marie-Christine Vergiat, Cornelia Ernst im Namen der GUE/NGL-Fraktion
B7‑0055/2011
Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Präsidentschaftswahlen in Belarus
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Erklärung über vorläufige Erkenntnisse und Schlussfolgerungen zu den Präsidentschaftswahlen vom 19. Dezember 2010 in Belarus, die am 20. Dezember 2010 vom OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (OSZE/BDIMR) und von der Parlamentarischen Versammlung der OSZE (OSZE PV) abgegeben wurde,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Belarus,
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die OSZE 452 internationale Wahlbeobachter aus 44 Ländern, darunter 63 Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, entsandt hat,
B. in der Erwägung, dass die Wahlbeobachtungsmission der OSZE zu dem Schluss gekommen ist, dass Belarus, was die Erfüllung seiner OSZE-Verpflichtungen betrifft, trotz einiger konkreter Verbesserungen noch ein gutes Stück Weg vor sich hat; in der Erwägung, dass der Wahlverlauf insgesamt zwar als gut bewertet wurde, er während der Auszählung der Stimmen jedoch Anlass zu erheblichen Beanstandungen gegeben hat, wodurch die zur Verbesserung der Wahlen eingeleiteten Schritte unterlaufen wurden; in der Erwägung, dass die Stimmauszählung weitgehend in intransparenter Weise und in der Regel im Stillen erfolgte, wodurch die Glaubwürdigkeit der Wahlen untergraben wurde; in der Erwägung, dass die Wahlbeobachter in zahlreichen Fällen in ihrer Arbeit behindert wurden und keine echte Möglichkeit hatten, die Stimmauszählung zu beobachten; in der Erwägung, dass die in den Protokollen der Wahllokale festgehaltenen Ergebnisse in einigen Fällen von den bei der regionalen Wahlkommission eingegangenen Ergebnissen abwichen,
C. in der Erwägung, dass die Wahlnacht von Gewalt, der gewaltsamen Auflösung einer Demonstration und der Festnahme von 703 Personen, darunter sieben der neun Präsidentschaftskandidaten sowie Journalisten, überschattet war; in der Erwägung, dass die meisten Festgenommenen wieder auf freien Fuß gesetzt wurden, nachdem sie kurze Verwaltungsstrafen verbüßt hatten; in der Erwägung, dass es Berichte über die Misshandlung der Teilnehmer an der Demonstration und der Festgenommenen gibt,
D. in der Erwägung, dass 27 Personen, darunter Präsidentschaftskandidaten und Journalisten, zur Last gelegt wird, „Massenkrawalle organisiert zu haben“, was mit Haftstrafen von bis zu 15 Jahren geahndet werden könnte,
E. in der Erwägung, dass Berichte darüber vorliegen, dass den Festgenommenen medizinische Versorgung verweigert wurde, dass ihren Rechtsanwälten mit dem Entzug der Anwaltlizenz gedroht wurde und dass die Angehörigen der Festgenommenen kein Besuchsrecht erhalten haben,
F. in der Erwägung, dass über Repressionen gegen Oppositionsparteien, Menschenrechtsorganisationen und nichtstaatliche Medien berichtet worden ist; in der Erwägung, dass die jüngsten Entwicklungen das Bild einer politisch motivierten Verfolgung der politischen Opposition zeichnen,
1. bedauert zutiefst, dass die Staatsorgane von Belarus ihrer Verpflichtung zur Durchführung fairer und transparenter Präsidentschaftswahlen nicht nachgekommen sind; betont, dass die intransparente Stimmauszählung die Legitimität des Wahlergebnisses in Frage stellt;
2. verurteilt den Einsatz von Gewalt und die gewaltsame Auflösung der Demonstration am 19. Dezember 2010 und die große Zahl von Festnahmen führender Oppositionspolitiker, ihrer Anhänger und Journalisten;
3. ist der Auffassung, dass es in Belarus eines auf nationaler Ebene geführten öffentlichen Dialogs über die Zukunft des Landes und demokratische Reformen bedarf, in den alle demokratischen politischen Kräfte einbezogen werden und der ohne Einmischung von außen geführt wird; fordert die Nachbarstaaten von Belarus, die EU und ihre Mitgliedstaaten sowie Russland auf, die Souveränität des Landes und das Recht seines Volkes auf Bestimmung seiner Entwicklung zu respektieren;
4. weist die Staatsorgane von Belarus darauf hin, dass die Existenz und die ungehinderte Ausübung politischer Aktivitäten demokratischer politischer Parteien und einer starken, unabhängigen und lebendigen Zivilgesellschaft von herausragender Bedeutung für das ordnungsgemäße Funktionieren eines demokratischen Staates sind; fordert die staatlichen Stellen von Belarus daher auf, die Einheit politischer und sozialer Menschenrechte zu garantieren, gegenwärtig insbesondere die demokratischen Freiheiten und politischen Rechte aller Bürgerinnen und Bürger von Belarus, einschließlich der Nichtregierungsorganisationen und aller demokratischen Parteien;
5. bringt seine Absicht zum Ausdruck, die Beziehungen mit seinen Partnern in Belarus fortzusetzen und zu verstärken; fordert die Staatsorgane von Belarus auf, die Verstärkung der Beziehungen zwischen der Zivilgesellschaft der EU und der in Belarus nicht zu behindern, sondern zu unterstützen; betont, dass dies eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung gutnachbarschaftlicher Beziehungen zwischen der EU und Belarus ist;
6. fordert die Staatsorgane von Belarus auf, die Strafsache gegen die Organisatoren und Teilnehmer an der friedlichen Demonstration vom 19. Dezember 2010 unverzüglich einzustellen und alle politischen Gefangenen freizulassen;
7. fordert, dass eine unabhängige und transparente Untersuchung der Umstände der gewaltsamen Auflösung der Demonstration am 19. Dezember 2010 durchgeführt wird und angemessene Maßnahmen gegen diejenigen ergriffen werden, die für die Gewalt und die Verletzung der Menschenrechte verantwortlich sind;
8. fordert die staatlichen Stellen von Belarus auf, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Medienfreiheit zu garantieren und die Repressionen gegen nichtstaatliche Medien zu beenden;
9. stellt fest, dass die EU-Politik gegenüber Belarus gescheitert ist und zu den jüngsten Entwicklungen beigetragen hat, und vertritt die Auffassung, dass ein Neuanfang im Rahmen eines offenen und kritischen politischen Dialogs mit der Regierung und dem Parlament von Belarus der beste Weg wäre, die demokratischen Reformen in dem Land zu unterstützen; bekräftigt seinen Standpunkt, dass die Vertreter von Belarus nicht von den Strukturen der Zusammenarbeit wie der Östlichen Partnerschaft und der Parlamentarischen Versammlung EURONEST ausgeschlossen werden sollten, sondern dass diese Foren für den Dialog über alle strittigen Fragen genutzt werden sollten;
10. unterstützt die Weigerung der Kommission, auf die jüngsten Entwicklungen mit der Isolation des belarussischen Volkes zu reagieren, und ihre Absicht, einen auf Visaerleichterungen abzielenden Prozess einzuleiten und die Kontakte mit der Zivilgesellschaft zu fördern, insbesondere den Studentenaustausch;
11. ist der Auffassung, dass der unterschiedliche politische Kurs der EU und Russlands, die in ihren benachbarten Ländern einflussreich sind, für die Entwicklung in Belarus kontraproduktiv ist; fordert die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin der Kommission, Catherine Ashton, auf, mit ihren Amtskollegen in Russland ein auf Zusammenarbeit beruhendes Konzept für die gemeinsamen Nachbarstaaten, auch für Belarus, zu erörtern;
12. fordert den Rat und die Kommission auf, die Beziehungen zu Belarus, auch die Wirtschaftsbeziehungen und die finanzielle Unterstützung, zu überprüfen, um die Unterordnung des Landes unter die einseitigen Interessen der EU hinsichtlich der Energieversorgung zu beenden;
13. fordert den Präsidenten des Europäischen Parlaments auf, wie von der Konferenz der Präsidenten am 13. Januar 2011 vorgeschlagen, mit dem Mandat nach Belarus zu reisen, den Weg für den Beginn eines umfassenden und alle einschließenden politischen Dialogs mit den Staatsorganen von Belarus, einschließlich der Mitglieder des belarussischen Parlaments sowie Vertretern der belarussischen Zivilgesellschaft, über alle Themen, die für die Teilnehmer von Interesse sind, zu ebnen und auf die Forderung des Europäischen Parlaments zu pochen, alle im Zusammenhang mit den Demonstrationen am 19. Dezember 2010 Festgenommenen als Voraussetzung für weitere Schritte in den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Belarus unverzüglich freizulassen;
14. fordert Belarus auf, zur Normalisierung seiner Beziehungen zur EU und seinen übrigen Nachbarn beizutragen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Isolation des Landes zu überwinden; vertritt die Auffassung, dass die unverzügliche Freilassung der politischen Gefangenen, die Genehmigung der Wiedereröffnung des OSZE-Büros in Minsk und die Begrüßung der Delegation des Europäischen Parlaments wichtige Schritte in diese Richtung wären;
15. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Parlament und der Regierung von Belarus, den Mitgliedstaaten, der Kommission und dem Rat sowie der Parlamentarischen Versammlung der OSZE zu übermitteln.