Entschließungsantrag - B7-0236/2011Entschließungsantrag
B7-0236/2011

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu den Lehren für die Kernenergiesicherheit in Europa nach dem atomaren Unfall in Japan

4.4.2011

eingereicht im Anschluss an Erklärungen des Rates und der Kommission
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Corien Wortmann-Kool, Pilar del Castillo Vera, Peter Liese, Herbert Reul, Lena Kolarska-Bobińska, Romana Jordan Cizelj, Jean-Pierre Audy im Namen der PPE-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0236/2011

Verfahren : 2011/2650(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B7-0236/2011
Eingereichte Texte :
B7-0236/2011
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Angenommene Texte :

B7‑0236/2011

Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Lehren für die Kernenergiesicherheit in Europa nach dem atomaren Unfall in Japan

Das Europäische Parlament,

–   unter Hinweis auf die Richtlinie 2009/71/Euratom des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen,

–   unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen der Tagungen des Rates der für Energiefragen zuständigen Minister vom 28. Februar und 21. März,

–   unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 25. März,

–   unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zum 10. und 15. Jahrestag der nuklearen Katastrophe im Kernkraftwerk Tschernobyl,

–   gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass das jüngste Erdbeben mit Tausenden von Toten im Nordosten Japans zur Abschaltung einer Reihe operativer Kernreaktoren in Japan führte und dass der anschließende Tsunami mit mehr als 10 Meter hohen Flutwellen nicht nur die bestehenden Stromversorgungsnetze zerstörte, sondern auch die Reserve- und Notstromsysteme des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi; in der Erwägung, dass der dadurch verursachte Ausfall des Kühlsystems zu einer Überhitzung einiger Brennelemente und zu einer teilweisen Kernschmelze im Reaktorinnern führte; in der Erwägung, dass die IAEA diese Entwicklungen bislang als ernsthaften Unfall (Stufe 6) auf der internationalen INES-Leiter eingestuft hat,

B.  in der Erwägung, dass vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ein Überdenken der Sicherheitsstandards in Europa erforderlich ist;

C. in der Erwägung, dass die Zusammensetzung des Energiemix in der EU in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleibt, dass aber gleichzeitig die Atomsicherheit ein Anliegen von grenzüberschreitender Bedeutung ist und deshalb wirksamer im Rahmen der Regulierungsbefugnis der EU angegangen werden sollte,

D. in der Erwägung, dass den Angaben der Kommission zufolge die Kernenergie einen Anteil von 13,4 % am Bruttobinnenenergieverbrauch der EU im Jahre 2008 hatte und dass dieser Anteil im Falle einer Fortführung der derzeitigen Politik auf 15 % im Jahre 2030 steigen wird,

E.  in der Erwägung, dass im Mai-Bericht 2010 „Projekt Europa 2030“ der vom Europäischen Rat eingesetzten Reflexionsgruppe betont wird, dass die Europäer eine ernsthafte Diskussion über die Notwendigkeit einer sicheren Kernenergie in Europa in die Wege leiten müssen und dass Europa es sich nicht leisten kann, auf diese Energiequelle zu verzichten,

1.  begrüßt den Umstand, dass die Kommission auf die schwerwiegenden Ereignisse in Japan so schnell reagiert hat und in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten europaweite Risiko- und Sicherheitsprüfungen für Kernkraftwerke, sogenannte Belastungsproben, in die Wege geleitet hat; begrüßt die Unterstützung des Europäischen Rates zugunsten umfassender und transparenter Risiko- und Sicherheitsprüfungen und im Hinblick auf die Überprüfung des Rahmens für nukleare Sicherheit;

2.  fordert die Kommission auf, dafür Sorge zu tragen, dass diese Überprüfungen von den zuständigen Behörden (oder von den Sicherheitsbehörden) in Bezug auf alle bestehenden und geplanten Kernanlagen in der EU bis zum Ende dieses Jahres unabhängig und koordiniert durchgeführt werden; betont, dass diese Überprüfungen auf einem angeglichenen und verbindlichen Prüfplan beruhen sollten, der alle Arten von vorstellbaren Risiken in einem realistischen europäischen Szenario umfasst, wie etwa Erdbeben und Flutwellen oder unerwartete Ereignisse wie Terror- und Cyberattacken oder Flugzeugabstürze; betont, wie wichtig es ist, dass die Europäische hochrangige Gruppe für nukleare Sicherheit und Abfallentsorgung (ENSREG) und der Verband der westeuropäischen Aufsichtsbehörden im Nuklearbereich (WENRA) umfassend in die Ausarbeitung der Risiko- und Sicherheitsüberprüfungen eingebunden werden;

3.  betont, dass für den Fall, dass ein Kernkraftwerk die Belastungsprobe nicht besteht, gewährleistet werden sollte, dass der betreffende Mitgliedstaat umgehend Maßnahmen ergreift, einschließlich der vorübergehenden Stilllegung oder der endgültigen Schließung;

4.  fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, alles zu unternehmen, um dafür Sorge zu tragen, dass diese Belastungsproben und die entsprechenden Normen in Bezug auf nukleare Sicherheit und Abfallentsorgung nicht nur in der EU angewendet werden, sondern auch in Bezug auf die bereits errichteten oder geplanten Kernkraftwerke in den der EU benachbarten Drittstaaten und international; ist der Ansicht, dass die EU diesbezüglich die internationalen Organisationen und Stellen umfassend in Anspruch nehmen sollte; fordert die EU und die Mitgliedstaaten auf, innerhalb der IAEA eine Diskussion in die Wege zu leiten mit dem Ziel, auf internationaler Ebene einen strengeren Rahmen für die nukleare Sicherheit zu begründen; fordert die Mitgliedstaaten mit Kernkraftanlagen auf, die benachbarten Mitgliedstaaten in die Sicherheitsüberwachung einzubinden;

5.  erinnert daran, dass im April 2009 das Europäische Parlament sich im Rahmen einer Abstimmung für eine Stärkung der Richtlinie über nukleare Sicherheit ausgesprochen hat, und zwar dadurch, dass die Sicherheitsgrundsätze der IAEA von einer freiwilligen zu einer gesetzlichen Anforderung werden; bedauert, dass die Mitgliedstaaten die Bedenken des Europäischen Parlaments nicht berücksichtigt haben; weist darauf hin, dass bis heute nicht alle Mitgliedstaaten die überarbeitete Richtlinie über nukleare Sicherheit umfassend in ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften übernommen haben; bekräftigt die Bedeutung einer echten Zusammenarbeit in Bezug auf die Richtlinie über nuklearen Abfall und die Behandlung abgebrannter Brennelemente und fordert den Rat auf, sich die wesentlichen Forderungen des Europäischen Parlaments zu eigen zu machen;

6.  fordert die Kommission auf, bis zum Jahresende einen Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie über nukleare Sicherheit auf der Grundlage der Ergebnisse der derzeit entwickelten Risiko- und Sicherheitsprüfungen unter Berücksichtigung einer eingehenden Analyse des atomaren Unfalls in Japan vorzulegen, mit dem neue harmonisierte Normen für nukleare Sicherheit festgelegt werden; fordert, dass dieser Vorschlag an den höchsten geltenden Normen ausgerichtet wird und dass er für deren laufende Verbesserung Sorge trägt;

7.  bekundet seine Besorgnis in Bezug auf Berichte, denen zufolge die Betreibergesellschaft die Regulierungsbehörden kurz vor dem Atomunfall in Fukushima über mehrere Inspektionspannen in Kenntnis gesetzt hatte; fordert die Kommission vor dem Hintergrund derartiger möglicher Fälle von Aufsichtsversagen auf, die Wirksamkeit, die Zuständigkeiten und die Unabhängigkeit der aufsichtsrechtlichen Überwachung in Europa zu untersuchen und gegebenenfalls Verbesserungen vorzuschlagen; fordert die Kommission diesbezüglich auf, die Möglichkeiten zur Schaffung einer EU-Regulierungsbehörde für nukleare Sicherheit auf der Grundlage des WENRA-Rahmens, die mit den erforderlichen Zuständigkeiten ausgestattet wäre, um einen gemeinsamen Ansatz in Bezug auf nukleare Sicherheit zu gewährleisten, zu prüfen;

8   fordert in Bezug auf die Sicherheitskultur einen ganzheitlichen Ansatz, der Sicherheitsstandards, eine starke und unabhängige Regulierungsbehörde, angemessene finanzielle und personelle Ressourcen und eine angemessene Unterrichtung der Bürger umfasst;

9.  fordert die Kommission auf, die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Behörden für nukleare Sicherheit auszubauen und zu intensivieren;

10. begrüßt den Vorschlag der Kommission, das Rahmenprogramm Euratom für nukleare Forschungs- und Weiterbildungsaktivitäten auf die Jahre 2012 und 2013 auszudehnen, was einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der nuklearen Sicherheitsperformance und des Strahlenschutzes darstellt; fordert im nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen ein ehrgeiziges Forschungsprogramm zur nuklearen Sicherheit und zur Abfallentsorgung; weist nachdrücklich darauf hin, dass mit Blick auf den zu erwartenden Anstieg der künftigen Elektrizitätsnachfrage die Kernfusion über das Potential verfügen könnte, in erheblichem Umfange zur Strom- und Wärmeerzeugung beizutragen; fordert deshalb, dass die internationalen Verpflichtungen der EU zu diesem Zweck eingehalten werden;

11. fordert eine umfassende Nutzung des weltweiten geographischen Geltungsbereichs des Instruments für Zusammenarbeit im Bereich der nuklearen Sicherheit (INSC), beispielsweise zur Finanzierung von Aktivitäten in Japan, und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen dem INSC und dem internationalen Zentrum für Erdbebensicherheit (ISSC) der IAEA;

12. betont, dass Kernenergie zur Zeit unverzichtbar ist, um die emissionsarme Energieversorgung in Europa sicherzustellen; hebt die noch größere Bedeutung der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien nach den jüngsten Ereignissen hervor; fordert die Mitgliedstaaten auf, den Aktionsplan für Energieeffizienz beschleunigt umzusetzen und den Einsatz nachhaltiger emissionsarmer Technologien wie der CO2-Sequestrierung oder der sauberen Kohletechnologie und der erneuerbaren Energiequellen zu beschleunigen; fordert die Kommission sowie die Fernleitungsnetzbetreiber ENTSO-E und ENTSO-G und die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden ACER auf, die möglichen Entwicklungen sorgfältig zu beobachten und vor allem in Bezug auf die Erfordernisse der Stromnetzentwicklung und andere Folgen die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen;

13. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, alles Erforderliche zu unternehmen, um die europäische Energieinfrastruktur zu modernisieren und auszuweiten und die Netze grenzüberschreitend miteinander zu verknüpfen, um möglichen Ausfällen vorzubeugen, die zu verheerenden Zwischenfällen wie kürzlich in Japan führen könnten;

14. hebt die Bedeutung der Technologien der Energiespeicherung und der intelligenten Energienetze hervor, um auch in Zukunft eine zuverlässige Energieversorgung aufrechterhalten zu können;

15. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regulierungsagenturen der EU sowie den in dieser Entschließung genannten Stellen und Netzen zu übermitteln.