ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage in Ägypten und Syrien, insbesondere im Hinblick auf die christlichen Gemeinschaften
24.10.2011
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Charles Tannock, Peter van Dalen, Geoffrey Van Orden, Ryszard Antoni Legutko, Konrad Szymański, Valdemar Tomaševski, Ryszard Czarnecki, Tomasz Piotr Poręba im Namen der ECR-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0542/2011
B7‑0548/2011
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in Ägypten und Syrien, insbesondere im Hinblick auf die christlichen Gemeinschaften
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Ägypten und Syrien und seine Entschließung vom 20. Januar 2011 zur Lage der Christen im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit,
– unter Hinweis auf das Assoziationsabkommen zwischen der EU und Ägypten, insbesondere dessen Artikel 2,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Hohen Vertreterin, Catherine Ashton, vom 10. Oktober 2011 zur Gewalt in Ägypten,
– unter Hinweis auf die Erklärung seines Präsidenten vom 10. Oktober 2011 zu den gewalttätigen Zusammenstößen in Ägypten,
– in Kenntnis des Beschlusses 2011/522/GASP des Rates zur Änderung des Beschlusses 2011/273/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Syrien, des Beschlusses 2011/523/EU des Rates zur teilweisen Aussetzung des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Arabischen Republik Syrien, der Verordnung (EU) Nr. 878/2011 des Rates vom 2. September 2011 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 442/2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien und der Verordnung (EU) Nr. 1011/2011 des Rates vom 13. Oktober 2011 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 442/2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien,
– in Kenntnis der Erklärungen der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zu Syrien vom 8. und 31. Juli, 1., 4., 18., 19., 23. und 30. August, 2. und 23. September sowie 12. Oktober 2011,
– in Kenntnis der Schlussfolgerungen des Rates zu Syrien vom 18. Juli und 10. Oktober 2011,
– unter Hinweis auf die gemeinsame Mitteilung „Eine neue Antwort auf eine Nachbarschaft im Wandel“ der Kommission und der Hohen Vertreterin an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 25. Mai 2011,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 3. August 2011,
– in Kenntnis der Resolution des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur Lage der Menschenrechte in der Arabischen Republik Syrien vom 23. August 2011,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948,
– unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) von 1966, zu dessen Vertragsparteien Syrien gehört,
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass am 9. Oktober 2011 eine zunächst friedliche Demonstration koptischer Christen als Reaktion auf den Anschlag auf eine koptische Kirche im Dorf Marinab im Gouvernement Assuan durch die ägyptische Armee brutal niedergeschlagen wurde, wodurch mehr als 25 Menschen starben, darunter vor allem koptische Christen, und Hunderte verletzt wurden;
B. in der Erwägung, dass durch das ägyptische staatliche Fernsehen zu noch mehr Gewalt angestiftet wurde, als die Menschen aufgefordert wurden, „die Armee zu schützen“ – ein Aufruf, dem islamische Extremisten folgten; in der Erwägung, dass zeitgleich zwei Einrichtungen unabhängiger Medien gestürmt und von den Sicherheitskräften zwangsweise geschlossen wurden;
C. in der Erwägung, dass darüber hinaus Berichten zufolge auch Geschäfte und Unternehmen von Christen in Kairo geplündert wurden;
D. in der Erwägung, dass ungefähr 10 % der ägyptischen Bevölkerung koptische Christen sind; in der Erwägung, dass es in Ägypten im Laufe der vergangenen Jahre wiederholt zu Gewalttaten gegen koptische Christen kam und dass sich die Sicherheitslage der Kopten seit Beginn der Revolution verschlechtert zu haben scheint;
E. in der Erwägung, dass die Glaubensfreiheit und die Freiheit, religiöse Riten zu praktizieren, durch die ägyptische Verfassung garantiert werden;
F. in der Erwägung, dass die Europäische Union einer der wichtigsten internationalen Geldgeber Ägyptens ist und sich finanziell und anderweitig in hohem Maße eingesetzt hat, um den politischen Übergang zu unterstützen;
G. in der Erwägung, dass die Europäische Union ihr Eintreten für Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit wiederholt deutlich gemacht und betont hat, dass es überall in der Welt Aufgabe der Regierungen ist, diese Freiheiten zu garantieren;
H. in der Erwägung, dass in den nächsten Monaten ab 28. November 2011 Parlamentswahlen in mehreren Durchgängen stattfinden sollen;
I. in der Erwägung, dass seit März in vielen syrischen Städten Proteste und Demonstrationen stattfinden;
J. in der Erwägung, dass während der Proteste Schätzungen zufolge mindestens 3.000 Menschen getötet wurden und dass diese Zahl ständig steigt, da die syrischen Behörden mit zunehmender Gewalt reagieren, während davon ausgegangen wird, dass die Zahl der Bürger, die während der Proteste verletzt wurden, weit höher liegt;
K. in der Erwägung, dass die Sondierungsmission der Hohen Kommissarin vom 19. August 2011Beweise für hunderte summarische Hinrichtungen, die Verwendung scharfer Munition gegen Demonstranten, den verbreiteten Einsatz von Heckenschützen während der Proteste, die Verhaftung und Folter von Menschen aller Altersstufen, die Blockade von Städten durch die Sicherheitskräfte und die Zerstörung der Wasserversorgung vorgefunden hat;
L. in der Erwägung, dass die syrischen Bürger willkürlicher Verhaftung und Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren oder Gerichtsverfahren vor Militärgerichten ausgesetzt sind und weder eine unabhängige Justiz zu ihrer Verteidigung noch Redefreiheit oder Demonstrationsrecht existieren, die per Gesetz gewährleistet wären;
M. in der Erwägung, dass Berichten zufolge Städte in ganz Syrien von Regierungstruppen belagert werden und von der Lebensmittelversorgung, der medizinischen Versorgung und Kommunikationsmitteln abgeschnitten sind;
N. in der Erwägung, dass Präsident Bashar Al-Assad in zahlreichen öffentlichen Erklärungen zwar politische Reformen zugesagt hat, es jedoch versäumt hat, auf die Durchführung einer spezifischen Agenda hinzuwirken, durch die die Grundfreiheiten und die Unabhängigkeit der Justiz gewahrt würden und die syrische Regierung an der Verletzung von Menschenrechten gehindert würde;
O. in der Erwägung, dass die syrische Regierung den Obersten Gerichtshof für Staatssicherheit, ein Sondergericht, das weiterhin außerhalb des ordentlichen Strafrechtssystems steht, nutzt, um politischen Aktivisten und Menschenrechtsverteidigern den Prozess zu machen;
P. in der Erwägung, dass der Golf-Kooperationsrat mit den syrischen Staatsorganen zusammenarbeiten wird, um den Übergang zu freien Wahlen und die Machtübergabe durch Präsident Assad in die Wege zu leiten;
Q. in der Erwägung, dass die EU-Mitgliedstaaten am 2. September und 13. Oktober 2011 übereinkamen, zusätzlich zu den für Syrien bereits geltenden Beschränkungen erweiterte Sanktionen zu verhängen;
1. verurteilt die Gewalt, die am 9. Oktober 2011 von der ägyptischen Armee und Extremisten gegen die Kopten verübt wurde, sowie jegliche andere sektiererische Gewalt auf das Schärfste und spricht den Opfern und ihren Angehörigen seine Anteilnahme aus;
2. begrüßt die Zusagen des ägyptischen Kabinetts vom 10. Oktober 2011, darunter die Einsetzung einer Untersuchungskommission, die Einleitung rechtlicher Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft und den Militärstaatsanwalt, die Vorlage eines Erlassentwurfs zur Legalisierung des Status nicht zugelassener Gebetsstätten, weitere Bemühungen zur Annahme eines „gemeinsamen Kodex für die Errichtung von Gebetsstätten“ und die Einfügung eines neues Artikels in das ägyptische Strafgesetzbuch bezüglich des Tatbestandes der „Diskriminierung“;
3. begrüßt ferner die Einrichtung einer Untersuchungskommission durch den Nationalen Menschenrechtsrat in Ägypten;
4. fordert die ägyptischen Behörden nachdrücklich auf, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der verschiedenen Untersuchungen sicherzustellen, indem sie eine angemessene Aufsicht zulassen;
5. fordert die ägyptischen Behörden auf zu gewährleisten, dass die koptischen Christen und die Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften und Minderheiten per Gesetz und in der Praxis in den Genuss sämtlicher Menschenrechte und aller grundlegenden Freiheiten – einschließlich des Rechts, ihre Religion frei zu wählen und zu wechseln – gelangen und dass jegliche gegen sie gerichtete Diskriminierung unterbunden wird;
6. fordert die ägyptischen Behörden daher auf, Artikel 2 der ägyptischen Verfassung zu überarbeiten, in dem festgelegt ist, dass „die Grundsätze der islamischen Scharia die Hauptquelle der ägyptischen Gesetzgebung“ darstellen, und zu gewährleisten, dass alle verfassungsrechtlichen Bestimmungen integrativ sind und keine Möglichkeit der Diskriminierung von Menschen in der ägyptischen Gesellschaft zulassen;
7. äußert sich besorgt über die Aussagen von Generalmajor Rouini, einem gegenwärtigen Mitglied des Obersten Rates der Streitkräfte, in einem Fernseh-Interview in dem Sender Al Qahera Al Youm (Cairo Today) vom 10. Mai 2011, wonach das gesamte Militär und die gesamte Bevölkerung Ägyptens salafistisch seien;
8. fordert die Hohe Vertreterin und die Kommission auf, die finanziellen Verpflichtungen der EU gegenüber Ägypten zu überprüfen und eine strenge Konditionalität sicherzustellen, damit finanzielle Hilfe nur dann ausbezahlt wird, wenn die ägyptischen Behörden nachweisen können, dass sie alles in ihrer Macht Stehende unternommen haben, um die grundlegenden Menschenrechte, einschließlich der Religions- oder Glaubensfreiheit, für alle Ägypter zu gewährleisten;
9. fordert die ägyptischen Behörden nachdrücklich auf, Maikel Nabil Sanad, einen 26 Jahre alten Blogger, der aufgrund seiner Kritik am Einsatz von Gewalt gegen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz durch das ägyptische Militär und aufgrund seiner Ablehnung des Militärdienstes zu dreijähriger Haft verurteilt wurde und sich derzeit im Hungerstreik befindet, unverzüglich freizulassen;
10. fordert den Obersten Rat der Streitkräfte (SCAF) nachdrücklich auf, seine Entscheidung zu überarbeiten, wonach bei den Parlamentswahlen ab dem 28. November 2011 keine ausländischen Beobachter zugelassen werden sollen; fordert den SCAF ferner auf, eine Delegation von Mitgliedern des Europäischen Parlaments im Rahmen einer Wahlbeobachtungsmission zu empfangen;
11. unterstützt nachdrücklich die Schlussfolgerungen des Rates vom 10. Oktober 2011, in denen Präsident Assad aufgefordert wird, zurückzutreten und den demokratischen Übergang zu ermöglichen, und in denen Enttäuschung über das Ausbleiben einer gemeinsamen Reaktion des VN-Sicherheitsrats auf das brutale Vorgehen der syrischen Behörden zum Ausdruck gebracht wird;
12. fordert nachdrücklich, dass die syrische Regierung den Schutz von Demonstranten vor Angriffen gewährleistet, deren Recht wahrt, sich an friedlichen Demonstrationen zu beteiligen, und die freie Meinungsäußerung garantiert; fordert die syrische Regierung daher auf, unverzüglich auf den Einsatz von Gewalt gegen friedliche Demonstranten zu verzichten;
13. äußert sich besorgt über Berichte von gewalttätigen Zusammenstößen und verurteilt die Tatsache, dass sich unter den Demonstranten zunehmend bewaffnete Islamisten befinden, die im Besitz geschmuggelter Waffen sind, zum Dschihad aufrufen und auf die Sicherheitskräfte schießen, was ausgehend von einer konfessionellen Basis die Gefahr eines Bürgerkrieges in sich birgt;
14. fordert die Regierung von Syrien auf, eine unabhängige, effektive und transparente Untersuchung des Vorgehens der Sicherheitskräfte einzuleiten, insbesondere der Tätigkeit des Bruders des Präsidenten, der Spezialkräfte befehligt, und alle Angehörigen der Sicherheitsdienste zur Verantwortung zu ziehen, die mit scharfer Munition auf unbewaffnete Demonstranten schossen oder dies anordneten;
15. fordert die syrische Regierung auf, von der willkürlichen Verhaftung und Inhaftierung von politischen Aktivisten, Menschenrechtsverteidigern und Journalisten abzusehen und alle politischen Gefangenen freizulassen; fordert die Behörden in Syrien auf, öffentlich Rechenschaft abzulegen über alle Personen, die getötet oder verletzt wurden bzw. noch vermisst werden;
16. äußerst sich sehr besorgt darüber, dass sich die Einschüchterung durch die syrischen Behörden auf im Exil lebende Aktivisten der Opposition ausweiten könnte;
17. fordert die syrischen Staatsorgane auf, die Zensur lokaler und ausländischer Veröffentlichungen seitens der Regierung einzustellen, die repressive Kontrolle von Zeitungen und sonstigen Veröffentlichungen durch die Regierung zu beenden und Beschränkungen der Kommunikation und des Internet aufzuheben;
18. fordert die syrische Regierung auf, Menschenrechtsorganisationen und Mitarbeitern humanitärer Organisationen umgehend ungehinderten Zugang zu gewähren;
19. begrüßt die am 2. September und 13. Oktober 2011 von den EU-Mitgliedstaaten verhängten Sanktionen; fordert die EU auf, in ihrem Umgang mit den syrischen Staatsorganen eine einheitliche Linie zu vertreten;
20. begrüßt die vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen angenommene Resolution und fordert die syrische Regierung auf, uneingeschränkt mit der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte zusammenzuarbeiten;
21. begrüßt die Verurteilung des syrischen Regimes durch die Türkei und Saudi-Arabien und die Rolle, die die Türkei bei der Aufnahme von Flüchtlingen spielt; bedauert, dass Iran den unnachgiebigen Standpunkt von Präsident Al-Assad und die Unterdrückung seines Volkes weiterhin unterstützt;
22. fordert einen offenen und friedlichen Dialog zwischen der syrischen Regierung und dem syrischen Volk; fordert die syrische Regierung mit Nachdruck auf, ihre öffentlich gemachten Zusagen zu erfüllen und unter uneingeschränkter Achtung aller Minderheiten unverzüglich demokratische Reformen durchzuführen; fordert Präsident Assad mit Nachdruck auf anzuerkennen, dass seine Regierung vom syrischen Volk abgelehnt wird, und zum Wohle Syriens und der Einheit seines Volkes zurückzutreten;
23. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission/ Hohen Vertreterin der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Obersten Rat der ägyptischen Streitkräfte, dem Generalsekretär der Arabischen Liga und der Regierung und dem Parlament der Arabischen Republik Syrien zu übermitteln.