Entschließungsantrag - B7-0552/2011Entschließungsantrag
B7-0552/2011

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu den gegenwärtigen Entwicklungen in der Ukraine

24.10.2011

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Hannes Swoboda, Kristian Vigenin, Marek Siwiec, Pavel Poc im Namen der S&D-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0543/2011

Verfahren : 2011/2865(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B7-0552/2011
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B7-0552/2011
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B7‑0552/2011

Entschließung des Europäischen Parlaments zu den gegenwärtigen Entwicklungen in der Ukraine

Das Europäische Parlament,

–   unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zur Ukraine und insbesondere auf seine Entschließungen vom 25. Februar 2010 und vom 25. November 2010,

–   unter Hinweis auf die am 7. Mai 2009 in Prag abgegebene Gemeinsame Erklärung zur Östlichen Partnerschaft und auf die Gemeinsame Erklärung des Gipfeltreffens der Östlichen Partnerschaft vom 29. und 30. September 2011 in Warschau,

–   unter Hinweis auf das Partnerschafts– und Kooperationsabkommen (PKA) zwischen der Europäischen Union und der Ukraine, das am 1.März 1998 in Kraft getreten ist, und auf die laufenden Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen (AA), das das Abkommen über die weitreichende und umfassende Freihandelszone einschließt und das PKA ablösen soll,

–   unter Hinweis auf die Assoziierungsagenda EU-Ukraine, die den Aktionsplan EU-Ukraine ersetzt und die vom Kooperationsrat EU-Ukraine im Juni 2009 angenommen wurde,

–   unter Hinweis auf das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Ukraine über Visaerleichterungen, das am 18. Juni 2007 unterzeichnet wurde und am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist, sowie auf den Dialog über Visafragen zwischen der EU und der Ukraine, der im Oktober 2008 aufgenommen wurde,

–   unter Hinweis auf das Nationale Richtprogramm für die Ukraine für den Zeitraum 2011 bis 2013,

–   unter Hinweis auf die Ergebnisse der jüngsten Gipfeltreffen EU-Ukraine, etwa auf die Tatsache, dass auf dem Gipfel EU-Ukraine 2008 in Paris die Ukraine als ein europäisches Land anerkannt wurde, das durch eine gemeinsame Geschichte und gemeinsame Werte mit den Ländern der Europäischen Union verbunden ist, sowie die Schlussfolgerungen des Gipfels EU-Ukraine, der am 4. Dezember 2009 in Kiew stattgefunden hat,

–   unter Hinweis auf die Erklärungen der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik der EU und von Kommissionsmitglied Štefan Füle bezüglich des Falls Julija Tymoschenko,

–   unter Hinweis auf die am 5. Oktober 2010 angenommene Resolution 1755 der Parlamentarischen Versammlung des Europarats über die Funktionsweise der demokratischen Institutionen in der Ukraine,

–   unter Hinweis auf das Gesetz über die Verhinderung und Bekämpfung der Korruption, das am 7. April 2011 vom ukrainischen Parlament angenommen wurde und am 1. Juli 2011 in Kraft trat,

–   gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass die Ukraine ein europäischer Staat ist und gemäß Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union wie jeder Staat, der sich auf die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit stützt, einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellen kann;

B.  in der Erwägung, dass sich die EU für eine stabile und demokratische Ukraine ausspricht, die die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft, die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und den Schutz der Minderheiten achtet und die Wahrung der Grundrechte gewährleistet; in der Erwägung, dass in der Ukraine innenpolitische Stabilität, Konzentration auf innerstaatliche Reformen, Achtung der Rechtsstaatlichkeit sowie faire, unparteiische und unabhängige Gerichtsverfahren die Voraussetzungen für den weiteren Ausbau der Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine darstellen;

C. in der Erwägung, dass die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine die Ermittlungen gegen die frühere Ministerpräsidentin der Ukraine Julija Tymoschenko am 24. Mai 2011 abgeschlossen und sie unter anderem wegen Amtsmissbrauchs in Zusammenhang mit dem Abschluss von Erdgasverträgen mit der Russischen Föderation im Jahre 2009 angeklagt hat;

D. in der Erwägung, dass Julija Tymoschenko am 6. August 2011 wegen Missachtung des Gerichts festgenommen wurde und seitdem in Haft ist;

E.  in der Erwägung, dass Julija Tymoschenko am 11. Oktober 2011 wegen Amtsmissbrauchs während ihrer Zeit als Ministerpräsidentin zu einer siebenjährigen Haftstrafe, der Erstattung der durch den Gasliefervertrag entstandenen Verluste in Höhe von 188 Millionen US-Dollar an den ukrainischen Staat, dem Entzug des passiven Wahlrechts während der Dauer ihrer Haftzeit und drei Jahren gemeinnütziger Arbeit während ihrer Haftzeit verurteilt wurde;

F.  in der Erwägung, dass am 12. Oktober 2011 ein neues Strafverfahren gegen Julija Tymoschenko eröffnet wurde, in dem der Vorwurf erhoben wird, sie habe die Schulden der Firma UESU auf den Staatshaushalt der Ukraine abgewälzt; in der Erwägung, dass der Eröffnung dieses neuen Strafverfahrens gegen die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin ein Schreiben des russischen Verteidigungsministeriums an den Ministerrat der Ukraine zugrunde liegt, in dem der ukrainische Staat aufgefordert wird, die Schulden der Firma in Höhe von 405, 5 Millionen US‑Dollar zu begleichen;

G. in der Erwägung, dass der vormalige Innenminister Jurij Luzenko unter dem Vorwurf des „Amtsmissbrauchs mit schwerwiegenden Folgen“ und der „Aneignung von Staatseigentum durch Amtsmissbrauch“ festgenommen wurde und seit dem 27. Dezember 2010 inhaftiert ist;

H. in der Erwägung, dass immer mehr Staatsbeamte – unter anderem ehemalige Minister, größtenteils jedoch Leiter und stellvertretende Leiter staatlicher Dienststellen und Aufsichtsbehörden, Leiter von Unterabteilungen in Strafverfolgungsbehörden, Richter an Bezirksgerichten und Leiter lokaler Gebietskörperschaften – strafrechtlichen Verfahren ausgesetzt sind;

I.   in der Erwägung, dass die EU weiterhin hervorhebt, dass die Rechtsstaatlichkeit geachtet werden muss, wozu auch faire, unparteiische, unabhängige und transparente Gerichtsverfahren gehören, und dass der Eindruck vermieden werden muss, dass Maßnahmen der Justiz selektiv eingesetzt werden; in der Erwägung, dass die EU diese Grundsätze in einem Land, das engere vertragliche Beziehungen mit der Europäischen Union auf der Grundlage einer politischen Assoziierung anstrebt, als besonders wichtig erachtet;

J.   in der Erwägung, dass die Verhandlungen über das Abkommen über eine weitreichende und umfassende Freihandelszone erfolgreich abgeschlossen wurden; in der Erwägung, dass hiermit die Grundlage für einen erfolgreichen Abschluss eines Assoziierungsabkommens mit der Ukraine vor Ende dieses Jahres geschaffen wurde;

1.  betont seine Enttäuschung über die Verurteilung der ehemaligen Ministerpräsidentin der Ukraine und führenden Oppositionspolitikerin Julija Tymoschenko zu der harten Strafe von sieben Jahren Haft, dem Verbot, während ihrer Haftzeit öffentliche Ämter zu bekleiden, und der Erstattung der Verluste von Naftogaz an den Staat;

2.  verleiht seiner großen Besorgnis über die fortdauernde Inhaftierung des ehemaligen Innenministers Jurij Luzenko Ausdruck, der sich in Haft befindet, obwohl in seinem Gerichtsverfahren bisher kein Urteil gesprochen wurde;

3.  hebt hervor, dass dieses und andere Verfahren deutlich beweisen, wie dringend der Reformbedarf für das veraltete Justizsystem der Ukraine ist; betont entschieden, dass bei einer Reform des Justizsystems die Empfehlungen der Venedig‑Kommission in vollem Umfang berücksichtigt werden müssen;

4.  fordert die ukrainischen Behörden auf, den Eindruck zu vermeiden, dass Maßnahmen der Justiz selektiv eingesetzt werden, und besteht darauf, dass bei strafrechtlichen Ermittlungen und Verfolgungen sowie bei den Gerichtsverfahren eine möglichst weitgehende Transparenz gewährleistet werden muss; fordert gleichzeitig alle politischen Kräfte der Ukraine auf, jede Einmischung in die Arbeit der Generalstaatsanwaltschaft zu vermeiden;

5.  begrüßt daher die Änderungen, die der ukrainische Präsident hinsichtlich der Entkriminalisierung von bestimmten, im Strafgesetzbuch als Wirtschaftsstraftaten gewerteten Tatbeständen vorgeschlagen hat, sowie die Annahme dieser Änderungen durch das Parlament;

6.   verleiht jedoch seinem tiefen Bedauern darüber Ausdruck, dass diese vorgeschlagenen Änderungen bisher nicht die Entkriminalisierung des in Artikel 365 des Strafgesetzbuchs genannten Tatbestands beinhalten, der die Grundlage für die Verurteilung von Julija Tymoschenko darstellte;

7.  fordert das ukrainische Parlament dringend auf, so bald wie möglich eine Änderung von Artikel 365 des Strafgesetzbuchs zu beschließen, um die Grundlage für eine Entkriminalisierung des politischen Entscheidungsprozesses zu schaffen, indem dafür gesorgt wird, dass Personen, die in der politischen Verantwortung stehen, nicht auf der Grundlage dieses Artikels angeklagt werden können;

8.  fordert alle politischen Kräfte in der Ukraine auf, eine faire und transparente Diskussion über den politischen Entscheidungsprozess zu führen, und betont, dass Untersuchungen von möglichen Fehlern im politischen Entscheidungsprozess durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss durchzuführen sind, der bei der Feststellung von schwerwiegendem Fehlverhalten von Inhabern hoher politischer Ämter diese Fälle an den höchsten Gerichtshof des Landes verweisen kann;

9.  besteht darauf, dass alle strafrechtlichen Verfahren gegen ehemalige und gegenwärtige Träger hoher Regierungsämter in Einklang mit den in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union geltenden Standards von Fairness, Unparteilichkeit, Transparenz und Unabhängigkeit durchgeführt werden;

10. fordert alle Institutionen der Europäischen Union auf, die Reformen des Justizsystems der Ukraine umfassend zu unterstützen, und fordert die Kommission in diesem Zusammenhang auf, die Justizreform in der Ukraine durch eine bessere Nutzung des EU‑Programms für den Kapazitätsaufbau zu unterstützen und die Einrichtung einer Hochrangigen Beratenden Gruppe der EU für die Ukraine zu prüfen, um dem Land bei seinen Bemühungen um eine Angleichung an das EU-Recht auch im Bereich Justiz zu helfen;

11. begrüßt die wiederholten Äußerungen führender ukrainischer Politiker und Amtsträger über die Bestrebungen der Ukraine in Bezug auf ihre europäische Integration und ihren langfristigen Wunsch, Mitglied der Europäischen Union zu werden;

12. betont, wie wichtig der Prozess der Integration der Ukraine in Europa für das Vorantreiben wirtschaftlicher, sozialer, rechtlicher und politischer Reformen in dem Land ist; hebt hervor, dass ein erkennbarer Fortschritt des innerstaatlichen Reformprozesses und die Achtung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine einschließlich fairer, unparteiischer, transparenter und unabhängiger Gerichtsverfahren Voraussetzung für den weiteren Ausbau der Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine sind;

13. begrüßt das Übereinkommen, das hinsichtlich des Abschlusses eines Abkommens über eine vertiefte und umfassende Freihandelszone erreicht wurde; ist der Auffassung, dass dieses Abkommen eine tragfähige Grundlage für den Abschluss der Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine darstellt, das den Bestrebungen der Ukraine nach fortschreitender europäischer Integration sowie ihrer Möglichkeit entspricht, als europäischer Staat gemäß Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union wie jeder Staat, der sich auf die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit stützt, einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft zu stellen;

14. verleiht seinem Wunsch Ausdruck, dieses Assoziierungsabkommen auf dem für Ende dieses Jahres geplanten Gipfeltreffen EU‑Ukraine zu paraphieren; hebt hervor, dass ein erkennbarer Fortschritt des innerstaatlichen Reformprozesses und die Achtung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine einschließlich fairer, unparteiischer, transparenter und unabhängiger Gerichtsverfahren wesentlich für die endgültige Unterzeichnung, Umsetzung und Ratifizierung dieses Abkommens ist;

15. betont, dass ein stetiger und intensiver gestalteter Dialog zwischen Vertretern aller Institutionen der Europäischen Union sowie der Regierung und des Parlaments der Ukraine von größter Wichtigkeit ist, um weitere Fortschritte beim Prozess der europäischen Integration der Ukraine zu erzielen;

16. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Mitgliedstaaten, der Regierung und dem Parlament der Ukraine sowie den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der OSZE zu übermitteln.