ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu dem bevorstehenden Gipfeltreffen EU-USA und dem Treffen des Transatlantischen Wirtschaftsrates
9.11.2011
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Helmut Scholz, Marie-Christine Vergiat, Willy Meyer im Namen der GUE/NGL-Fraktion
B7‑0583/2011
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem bevorstehenden Gipfeltreffen EU-USA und dem Treffen des Transatlantischen Wirtschaftsrates
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Wende hin zu einer multipolaren Welt vollzogen hat, in der Probleme gemeinsam, auf internationaler Ebene angegangen werden müssen; in der Erwägung, dass sowohl die EU als auch die USA dieser neuen Situation gerecht werden müssen, indem sie in ihren Außenbeziehungen einen auf Zusammenarbeit ausgerichteten Ansatz verfolgen;
B. in der Erwägung dass die Volkswirtschaften der EU und der USA zusammen etwa die Hälfte der gesamten Weltwirtschaft ausmachen und dass diese beiden Volkswirtschaften daher besondere Verantwortung für die Lösung der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise, die sich nicht nur auf Europa und die USA, sondern auch auf die Weltwirtschaft und die politischen Entwicklungen weltweit auswirkt, tragen;
C. in der Erwägung, dass im Zusammenhang mit der Krise die Arbeitslosenquote in den USA auf 9,1 % und in Europa auf 9,5 % gestiegen ist; in der Erwägung, dass die Jugendarbeitslosigkeit in den USA (Personen unter 20 Jahren) auf 24,6 % gestiegen ist und in Europa (Personen unter 26 Jahren) vor Kurzem die 20 %-Marke überschritten hat, wobei in Spanien und Griechenland Rekordhöhen von über 40 % erreicht wurden;
D. in der Erwägung, dass nach Angaben des Haushaltsbüros des US-Kongresses das inflationsbereinigte durchschnittliche Einkommen eines Haushalts nach Steuern in den USA zwischen 1979 und 2007 für das eine Prozent der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen um 275 % gestiegen ist, während es für die zwanzig Prozent der Bevölkerung mit dem niedrigsten Einkommen im Laufe dieser 28 Jahre um nur 18 % gestiegen ist; in der Erwägung, dass ein ähnlicher, wenn auch weniger deutlich ausgeprägter Trend hin zu einer immer unausgewogeneren Verteilung des Wohlstands auch in der Europäischen Union beobachtet werden kann;
E. in der Erwägung, dass sowohl in den USA als auch in Europa Menschen vor den Großbanken und Börsen – an symbolischen Orten – gegen die zunehmende soziale und wirtschaftliche Ungleichheit sowie gegen die Macht der Unternehmen und deren Einfluss auf die Regierungen, insbesondere vonseiten des Finanzmarktsektors, protestieren; in der Erwägung, dass die Menschen sich weigern, die Rechnung für das Versagen des Bankensektors zu bezahlen;
F. in der Erwägung, dass weder die USA noch die EU und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen im Hinblick auf das Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen nachkommen und dass nur noch drei Jahre Zeit bleiben, ein grandioses Scheitern zu verhindern;
G. in der Erwägung, dass der Krieg in Afghanistan weitergeht und bereits Zehntausende ziviler Opfer gefordert sowie zu einer katastrophalen Destabilisierung des Landes und der gesamten Region geführt hat; in der Erwägung, dass keines der Probleme des Landes durch die vorwiegend militärischen Maßnahmen der NATO gelöst wurde;
H. in der Erwägung, dass die USA und die NATO das Völkerrecht zunehmend untergraben, indem sie den Grundsatz der territorialen Unversehrtheit von Drittstaaten und den Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten verletzen, wie die Drohnenangriffe in Pakistan und die vor Kurzem erfolgten NATO-Einsätze gezeigt haben;
I. in der Erwägung, dass die USA und einige Mitgliedstaaten der Europäischen Union – obwohl sie ihre Unterstützung für eine Zwei-Staaten-Lösung zugesagt haben – Palästina nach wie vor daran hindern, Mitglied in der Organisation der Vereinten Nationen zu werden; in der Erwägung, dass das Quartett jahrelang keinen Beitrag zur Lösung des Nahostkonflikts geleistet hat;
J. in der Erwägung, dass trotz vieler Absichtsbekundungen nur geringe Fortschritte im Bereich der atomaren Abrüstung erzielt wurden; in der Erwägung, dass statt eines Bemühens um Zusammenarbeit mit Russland in Sicherheitsfragen demnächst einseitig Komponenten eines Raketenabwehrsystems von den USA in verschiedenen Teilen Europas installiert werden;
K. in der Erwägung, dass die Regierung Obama die Sanktionen gegen Kuba nicht aufgehoben hat;
L. in der Erwägung, dass die Todesstrafe weiterhin in 38 Bundesstaaten der USA und auf Bundesebene existiert;
M. in der Erwägung, dass die CIA beim sogenannten Kampf gegen den Terrorismus Geheimgefängnisse in Staaten, die heute Mitgliedstaaten der EU sind, für rechtswidrige Verhöre, bei denen Foltermittel eingesetzt wurden, benutzt hat und dass der Fall Abd al-Rahim al-Nashiri, der zum Tode verurteilt werden könnte, ein Beispiel dafür ist;
1. erklärt sich solidarisch mit den Protesten und der Forderung der Demonstranten nach einem Ende des Finanzmarktkapitalismus und einer radikalen Umverteilung des Wohlstands; fordert die politischen Führer der EU und der USA auf, ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Protesten aufzugeben und Lösungen für die derzeitige Wirtschafts-, Finanz- und Sozialkrise zu finden, die im Interesse der Völker liegen, das Diktat der Finanzmärkte brechen und auf eine alternative Politik hin zur Umsetzung der notwendigen sozialen und ökologisch nachhaltigen Umgestaltung der Weltwirtschaft im Einklang mit dem Bericht der Stiglitz-Kommission abzielen;
2. fordert die US-Regierung auf, ihren Widerstand gegen eine weltweite Finanztransaktionssteuer aufzugeben;
3. fordert die transatlantischen Partner auf, die systembedingten Ursachen für die Wirtschafts- und Finanzkrise in Angriff zu nehmen und unverzüglich energische Schritte hin zu Regelungen für eine „neue Wirtschaftsordnung“ zu unternehmen; fordert, dass der Schwerpunkt der Maßnahmen weg vom Beistand für Spekulanten und hin zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur weltweiten Beendigung der Armut verlagert wird; fordert daher die entsprechenden Änderungen an der Tagesordnung der kommenden Tagung des Transatlantischen Wirtschaftsrates und die Entwicklung enger und transparenter Beziehungen zum Transatlantischen Dialogs der Gesetzgeber;
4. würdigt den vorgeschlagenen „American Jobs Act“ als einen ersten Schritt im Rahmen einer neuen Schwerpunktsetzung auf die Entwicklung der Nachfrage und fordert die Kommission auf, eigene Maßnahmenvorschläge für die Schaffung von Arbeitsplätzen in der die EU-Mitgliedstaaten heimsuchenden Krise auszuarbeiten;
5. äußert seine tiefe Besorgnis angesichts der Tatsache, dass die Charta der Vereinten Nationen ständig ausgehöhlt wird; betont, dass ein Politikwechsel erfolgen muss und die auf militärischer Stärke basierenden Strategien der NATO ersetzt werden müssen; fordert die transatlantischen Partner auf, ihr zugesagtes Engagement für Multilateralismus und insbesondere die internationale Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen in die Tat umzusetzen;
6. begrüßt die Aufnahme Palästinas in die UNESCO und bedauert das Einfrieren der Beitragszahlungen der USA an die UNESCO infolge dieser Entscheidung;
7. fordert die unverzügliche Anerkennung eines palästinensischen Staates und die Genehmigung des Antrags auf Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen; bekräftigt seine uneingeschränkte Unterstützung für eine Zwei-Staaten-Lösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 und mit Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten, mit dem Staat Israel und einem unabhängigen, demokratischen, zusammenhängenden und lebensfähigen Staat Palästina, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben; fordert die transatlantischen Partner auf, sich aktiv für dieses Ziel einzusetzen;
8. weist erneut darauf hin, dass der sogenannte Kampf gegen den Terrorismus nicht unter Verstoß gegen das Völkerrecht und auf Kosten althergebrachter grundlegender und gemeinsamer Werte, wie etwa Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Rechtsstaatlichkeit und der einschlägigen Genfer Konventionen, stattfinden kann;
9. kritisiert die derzeitige Außen- und Sicherheitspolitik sowie die diplomatische Zusammenarbeit der EU, der USA sowie der Mitgliedstaaten untereinander in Fragen des Nahen Ostens und Nordafrikas, insbesondere hinsichtlich Syriens, Irans und Libyens, und fordert eine Neuorientierung, darunter im Bereich der Handels- und Kulturpolitik, die sich streng an den Grundsätzen der Nichteinmischung und der territorialen Unversehrtheit orientieren muss; fordert die transatlantischen Partner auf, auf einen dauerhaften Frieden und auf dauerhafte Sicherheit in der Region hinzuarbeiten;
10. fordert die USA sowie die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, ihr gesamtes Militär vom afrikanischen Kontinent abzuziehen; fordert gemeinsame Bemühungen, wenn es darum geht, die afrikanischen Regierungen und die Afrikanische Union bei ihrem Kampf gegen die Armut und für wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu unterstützen; fordert einen finanziellen Ausgleich für den Haushalt der Afrikanischen Union nach dem Ausfall der Zahlungen Libyens, des wichtigsten Beitragszahlers der Afrikanischen Union, infolge des NATO-Einsatzes;
11. erinnert an die Versprechen von US-Präsident Obama hinsichtlich atomarer Abrüstung; fordert die EU und die USA auf, sich darum zu bemühen, die Verhandlungen über Rüstungskontrolle und Abrüstung auf multilateraler Ebene innerhalb der Vereinten Nationen wiederzubeleben; wiederholt seine Forderung an die USA,
Ø die atomare Abrüstung nicht an das unnötige US/NATO-Projekt für ein Raketenabwehrsystem in Europa zu koppeln,
Ø atomare Abrüstung nicht durch konventionelle Aufrüstung auszugleichen,
Ø die Entwicklung neuer Generationen von atomaren Gefechtswaffen zu stoppen,
Ø den Vertrag über das Verbot von Nuklearversuchen zu ratifizieren,
Ø das Übereinkommen von Ottawa über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und deren Vernichtung zu ratifizieren,
Ø das Übereinkommen über Streumunition zu ratifizieren,
Ø ihren Widerstand gegen das Protokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über biologische und toxische Waffen aufzugeben,
Ø zur Stärkung des Atomwaffensperrvertrags beizutragen, indem alle Verpflichtungen dieses Vertrags, insbesondere Artikel 2, strikt umgesetzt werden,
Ø die Umsetzung des Chemiewaffenübereinkommens sowie die Stärkung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen voranzutreiben;
12. fordert die USA auf, die Blockade gegen Kuba aufzuheben, die vier in US-amerikanischen Gefängnissen inhaftierten kubanischen Staatsbürger – darunter René González, der bereits entlassen wurde, den Bundesstaat Florida jedoch nicht verlassen darf – freizulassen und den Militärstützpunkt Guantánamo zu schließen;
13. fordert die USA und die EU auf, ihre politischen und Handelsbeziehungen insbesondere mit Lateinamerika zu verändern, wozu auch ein Ende des Ansatzes gehört, rein bilaterale und nicht auf Gegenseitigkeit beruhende Freihandelsabkommen abzuschließen, und stattdessen eine neue Ära von Handels- und politischen Beziehungen einzuläuten, und zwar auf der Grundlage von Partnerschaft, gegenseitigem Respekt und konstruktiver, verstärkter regionaler Zusammenarbeit im Hinblick auf die Unterstützung der lateinamerikanischen Regierungen bei deren Anstrengungen um soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklung und um Fortschritte bei den sozialen und individuellen Menschenrechten, und sich an den Bemühungen um die Bekämpfung der Drogenkriminalität zu beteiligen, da die USA und die EU die wichtigsten Drogenabsatzmärkte und Waffenlieferanten sind;
14. lehnt die aggressive Marktzugangsagenda der USA und der EU ab und fordert insbesondere die USA auf, ihre Blockadehaltung hinsichtlich eines Übereinkommens über ein Maßnahmenpaket zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder auf der bevorstehenden WTO-Ministerkonferenz aufzugeben;
15. fordert die USA auf, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zu ratifizieren;
16. wiederholt seine Forderung an die USA, die Todesstrafe auf Bundesebene und in allen Bundesstaaten abzuschaffen;
17. nimmt zur Kenntnis, dass im März 2011 Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der EU und den USA über den Schutz personenbezogener Daten aufgenommen wurden; verweist erneut auf seinen Standpunkt zu diesem Abkommen, den es in seiner Entschließung vom 11. November 2010 zu dem bevorstehenden Gipfeltreffen EU-USA zum Ausdruck gebracht hat, und betont, dass ein solches Rahmenabkommen ein hohes Maß an Schutz der Grundrechte gewährleisten sollte, indem es rechtsverbindliche und durchsetzbare Datenschutzstandards festlegt und Mechanismen zur Gewährleistung einer wirksamen Anwendung dieser Standards in der Praxis schafft;
18. bekräftigt, dass es die Massenübertragung von Daten und den Austausch von Fluggastdaten mit den USA und grundsätzlich allen Drittstaaten im sogenannten Kampf gegen den Terrorismus ablehnt; betont, dass es – auf der Grundlage der Gegenseitigkeit mit den US-Behörden – über alle Entwicklungen im Bereich des internationalen Datenaustauschs umfassend unterrichtet werden muss;
19. vertritt die Ansicht, dass die Themen Klimawandel, alternative Energiequellen und Energieeffizienz vom Transatlantischen Wirtschaftsrat vorrangig behandelt werden sollten; legt dem Transatlantischen Wirtschaftsrat in diesem Zusammenhang eine Zusammenarbeit bei den Maßnahmen zur Verringerung des Energieverbrauchs, die zur Bekämpfung des Klimawandels ergriffen wurden, nahe; fordert eine engere ordnungspolitische Zusammenarbeit im Bereich der Energieeffizienzstandards für Produkte;
20. fordert den Transatlantischen Wirtschaftsrat auf, die Zusammenarbeit im Hinblick auf die Schaffung gemeinsamer Standards bei der Elektromobilität auf andere Hersteller auszuweiten und die historische Chance zu nutzen, den jeweiligen Rohstofflieferanten wie beispielsweise Bolivien endlich faire Handelsbedingungen anzubieten, statt einen neuen, scharfen Wettbewerb um Rohstoffe auf Kosten der Armen anzustreben;
21. hebt hervor, dass der Rio+20-Gipfel eine entscheidende Gelegenheit darstellt, das weltweite politische Engagement für nachhaltige Entwicklung und die Partnerschaften zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu stärken; betont, dass der Abschluss eines internationalen, rechtsverbindlichen Übereinkommens, das auf dem Grundsatz einer „gemeinsamen, jedoch differenzierten Verantwortung“ beruht, das übergeordnete Ziel der Durban-Konferenz bleiben muss; fordert die transatlantischen Partner auf, auf ein internationales, rechtsverbindliches Übereinkommen für die Zeit nach 2012 hinzuarbeiten, mit dem das 2° C-Ziel erreicht werden könnte; fordert angesichts eines Rekordanstiegs der CO2-Emissionen um 6 % im Jahr 2010 eine schnelle Erhöhung des Transfers sauberer Technologien aus der EU und den USA nach China und Indien;
22. vertritt die Auffassung, dass eine Intensivierung des politischen Dialogs zwischen der EU und den USA auf parlamentarischer Ebene notwendig und wichtig ist; betont, dass dieser Dialog offen und transparent ablaufen muss; fordert, dass die EU, die US-Regierung und die Parlamente den Beziehungen im Rahmen der Zivilgesellschaft mehr Aufmerksamkeit schenken sollten, wozu auch regelmäßige Konsultationen mit Vertretern der Zivilgesellschaft gehören;
23. äußert seine tiefe Besorgnis angesichts der Ungleichgewichte im legislativen Dialog mit den USA und deren Auswirkungen auf die europäische Gesetzgebung; ist der Ansicht, dass der Transatlantische Wirtschaftsrat und der Transatlantische Dialog der Gesetzgeber transparent und rechenschaftspflichtig gemacht werden müssen;
24. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten und dem Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika zu übermitteln.