ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu den Wahlen in der Ukraine
5.12.2012 - (2012/2889(RSP))
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Rebecca Harms, Werner Schulz, Raül Romeva i Rueda, Indrek Tarand, Nicole Kiil-Nielsen im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0544/2012
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen, insbesondere die vom 9. Juni 2011 zu den Fällen von Julija Tymoschenko und anderen Mitgliedern der früheren Regierung[1], vom 27. Oktober 2011 zu den gegenwärtigen Entwicklungen in der Ukraine[2] und vom 24. Mai 2012 zur Ukraine[3],
– unter Hinweis auf das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) zwischen der Europäischen Union und der Ukraine, das am 1. März 1998 in Kraft getreten ist, und auf das Assoziierungsabkommen, das am 30. März 2012 paraphiert und noch nicht unterzeichnet wurde,
– unter Hinweis auf die Erklärung der internationalen Beobachtungsmission vom 29. Oktober 2012 über vorläufige Erkenntnisse und Schlussfolgerungen zu den Parlamentswahlen in der Ukraine,
– unter Hinweis auf die gemeinsamen Erklärungen der Hohen Vertreterin, Catherine Ashton, und des für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik zuständigen Mitglieds der Kommission, Štefan Füle, zu den Parlamentswahlen in der Ukraine vom 29. Oktober 2012 sowie zu den Verzögerungen bei der Stimmenauszählung vom 3. November 2012,
– unter Hinweis auf die Erklärung seines Präsidenten Martin Schulz vom 29. Oktober 2012 zum Ablauf und zu den Ergebnissen der Parlamentswahlen in der Ukraine,
– unter Hinweis auf die Assoziierungsagenda EU-Ukraine, die den Aktionsplan EU-Ukraine ersetzt und vom Kooperationsrat EU-Ukraine im Juni 2009 angenommen wurde,
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 12. Mai 2011 mit dem Titel: „Die Europäische Nachbarschaftspolitik – eine Bestandsaufnahme“,
– in Kenntnis des am 14. Mai 2012 veröffentlichten Fortschrittsberichts über die Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik in der Ukraine,
– unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung des Gipfeltreffens der Östlichen Partnerschaft vom 29./30. September 2011 in Warschau,
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Integration in die EU nach wie vor eines der vorrangigen Themen auf der politischen Agenda der Ukraine und unverändert eine der wesentlichen Hoffnungen ist, die von der ukrainischen Gesellschaft sowie der jetzigen Regierung und den vormaligen Regierungen – unabhängig davon, welche politischen Kräfte gerade die Regierung stellen – gehegt werden; in der Erwägung, dass eine stabile und demokratische Ukraine, die die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft, die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte, den Schutz der Minderheiten respektiert und die Grundrechte achtet, im Interesse sowohl der EU als auch der Bevölkerung der Ukraine ist;
B. in der Erwägung, dass der Kooperationsrat EU-Ukraine in seiner Sitzung vom 15. Mai 2012 mitteilte, dass Fortschritte auf dem Weg zu einer politischen Assoziierung und wirtschaftlichen Integration von den Leistungen der Ukraine abhingen, insbesondere in Bezug auf die Achtung der gemeinsamen Werte und der Rechtsstaatlichkeit;
C. in der Erwägung, dass die Kommission und Vertreter der ukrainischen Regierung am 30. März 2012 das Assoziierungsabkommen EU-Ukraine paraphierten, welches auf die Vertiefung der Beziehungen zwischen den beiden Parteien und die Integrierung der Ukraine in die politischen Maßnahmen der EU abzielt; in der Erwägung, dass die Unterzeichnung des neuen Abkommens mit der Absicht verschoben wurde, sie von politischen Fortschritten in der Ukraine in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit und die Reform des Justizwesens abhängig zu machen;
D. in der Erwägung, dass die Parlamentswahlen vom 28. Oktober 2012 als ein wesentlicher Prüfstein für die Ukraine betrachtet wurden, mit denen die Unumkehrbarkeit der Bestrebungen des Landes zum Aufbau eines vollwertigen demokratischen Systems, der Festigung der Rechtsstaatlichkeit und der Fortsetzung politischer Reformen signalisiert wird;
E. in der Erwägung, dass nach den vorläufigen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen der internationalen Beobachtungsmission der Wahltag zwar im Großen und Ganzen ruhig und friedlich verlief, die Wahlen aber durch ungleiche Ausgangsbedingungen gekennzeichnet waren und insgesamt einen Rückschritt im Vergleich zu früheren Wahlen darstellten; in der Erwägung, dass erhebliche Probleme in Bezug auf die Stimmenauszählung und Stimmenauswertung in mehreren Einerwahlkreisen festgestellt wurden;
F. in der Erwägung, dass die internationale Beobachtungsmission in ihren Zwischenberichten bereits auf die anhaltende missbräuchliche Verwendung der Ressourcen von Behörden hingewiesen und außerdem bemängelt hat, dass sich die zentrale Wahlkommission mit Beschwerden über indirekten Stimmenkauf hinter verschlossenen Türen befasst und diese abgewiesen hat;
G. in der Erwägung, dass die nichtstaatliche Organisation OPORA eine langfristige unabhängige Wahlbeobachtung durchgeführt hat und dabei zu dem Schluss gekommen ist, dass der Wahlkampf durch eine künstliche Beschränkung des politischen Wettstreits sowie durch eklatante Verstöße gegen den Grundsatz der Chancengleichheit für politische Parteien und Kandidaten gekennzeichnet war;
H. in der Erwägung, dass führende Politiker der EU und herausragende Persönlichkeiten der Mitgliedstaaten bei vielen Gelegenheiten ihre Sorge über die Inhaftierung und angebliche Misshandlung von Oppositionellen in der Ukraine zum Ausdruck gebracht haben, was insbesondere die Fälle der früheren Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko und des früheren Innenministers Jurij Luzenko betrifft, denen man nicht gestattet hat, sich als Kandidaten registrieren zu lassen; in der Erwägung, dass sich ihr Ausschluss von den Wahlen auf den Verlauf der Parlamentswahlen negativ augewirkt hat;
I. in der Erwägung, dass das Kiewer Berufungsgericht am 21. November das Urteil der ersten Instanz gegen Jurij Luzenko bestätigt hat, wonach zwei Jahre „Freiheitsbeschränkung” gegen ihn verhängt wurde, weil er als Innenminister die Genehmigung unterzeichnet hatte, einen Verdächtigen im Fall der Vergiftung des früheren Präsidenten Juschtschenko zu beschatten;
J. in der Erwägung, dass die drei größten Oppositionsparteien einen gemeinsamen Aufruf an die zentrale Wahlkommission unterzeichnet haben, in dem sie fordern, dass die von den Wahlkommissionen begangenen Verstöße untersucht und dass vor allem die Stimmen in 13 Bezirken, aus denen Probleme gemeldet wurden, nachgezählt werden; in der Erwägung, dass diese Parteien auch Protestkundgebungen nahe des Sitzes der zentralen Wahlkommission veranstaltet sowie damit gedroht haben, das neu gewählte Parlament zu boykottieren;
K. in der Erwägung, dass mit ernster Sorge auf Verzögerungen bei der Stimmenauszählung und der Bekanntgabe der Wahlergebnisse hingewiesen wurde; in der Erwägung, dass die zentrale Wahlkommission in fünf Einerwahlkreisen eine erneute Abstimmung anberaumt hat; in de Erwägung, dass die Allukrainische Vereinigung „Vaterland“ (Batkiwschtschyna) angekündigt hat, das Ergebnis der Parlamentswahlen in umstrittenen Wahlkreisen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzufechten;
L. in der Erwägung, dass Präsident Janukowytsch den Generalstaatsanwalt angewiesen hat, die Rechtsverstöße während der Wahlen in Einerwahlkreisen zu überprüfen; in der Erwägung, dass die Werchowna Rada einen befristeten Untersuchungsausschuss gebildet hat, der in mehreren Einerwahlkreisen nachprüfen soll, ob das Wahlgesetz dort eingehalten wurde;
M. in der Erwägung, dass der Server mit der Website des angesehenen Internetspezialisten Andrej Baranowitsch (alias herm1ta) von der ukrainischen Polizei unter dem Vorwand beschlagnahmt wurde, er habe „bösartiger Software freien Zugang gewährt, mit der man unerlaubterweise in Computer, automatisierte Systeme und Computernetzwerke eindringen kann”, indem er eine internationalen öffentliche Dienstleistung in Form eines Softwarearchivs angeboten hat;
N. in der Erwägung, dass die Werchowna Rada den Gesetzesentwurf 8711 prüft, der einschneidende Beschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit für Personen vorsieht, die sich für die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen einsetzen; in der Erwägung, dass der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen vor kurzem entschieden hat, dass dies einen Verstoß gegen Artikel 19 und 26 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte darstellt;
1. begrüßt den im Großen und Ganzen ruhigen und ordentlichen Verlauf der Parlamentswahlen vom 28. Oktober 2012, bedauert aber, dass die Wahlen insgesamt viele Mängel aufwiesen und grundlegenden demokratischen Standards nicht entsprachen, was einen Rückschritt für das demokratische Renommee des Landes bedeutet;
2. bedauert überdies, dass die ukrainischen Staatsorgane während des Wahlkampfs nicht in der Lage waren, auf alle in den Zwischenberichten der internationale Beobachtungsmission enthaltenen Bemerkungen einzugehen, insbesondere, was den missbräuchlichen Einsatz von Ressourcen der Behörden, die Vorwürfe der Bestechung und des Stimmenkaufs und die mangelnde Transparenz in Bezug auf Wahlkampf- und Parteienfinanzierung anbelangt;
3. verweist auf die Entscheidung der zentralen Wahlkommission, wonach in fünf Einerwahlkreisen kein Wahlergebnis festgestellt werden konnte, und fordert die Werchowna Rada auf, unverzüglich eine erneute Wahl dort anzuberaumen;
4. fordert den Rat auf, erneut unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass das neue Assoziierungsabkommen mit der Ukraine erst dann unterzeichnet werden kann, wenn politische, rechtliche und wirtschaftliche Reformen umgesetzt werden, man sich mit den Mängeln bei den Wahlen umfassend befasst und die Praxis der selektiven Justiz eingestellt wird;
5. erachtet es in diesem Zusammenhang für außerordentlich wichtig, dass die von Aleksander Kwaśniewski und Pat Cox angeführte Wahlbeobachtungsmission des Europäischen Parlaments ihre Tätigkeit fortsetzt und die Rechtsfälle der inhaftierten Oppositionsführer weiterhin aufmerksam verfolgt und eingehend prüft, um anschließend mit den ukrainischen Behörden die notwendigen Rechtsreformen zu erörtern;
6. äußert erneut seine Besorgnis über die weitverbreitete Auffassung, dass Maßnahmen der Justiz in diesen Fällen selektiv eingesetzt wurden, und warnt vor einer möglichen Verwendung des Strafrechts als Instrument zur Verfolgung politischer Gegner und zur Verwirklichung politischer Ziele;
7. betont, dass sich die europäische Perspektive der Ukraine auf eine Politik der systematischen und unumkehrbaren Reformen in einigen wichtigen institutionellen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereichen stützen muss;
8. fordert die Kommission in diesem Zusammenhang auf, die Justizreform in der Ukraine durch eine bessere Nutzung des EU-Programms für den Kapazitätsaufbau zu unterstützen und die Einrichtung einer Hochrangigen Beratenden Gruppe der EU für die Ukraine zu prüfen, um dem Land bei seinen Bemühungen um eine Angleichung an das EU-Recht auch im Bereich Justiz zu helfen;
9. betont, dass Justizverfahren in der Ukraine ordnungsgemäß und ohne Einflussnahme politischer Akteure durchgeführt werden sollten, wobei das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf freie Kommunikation im Internet sowie die Wissensgesellschaft geachtet werden;
10. begrüßt die Unterzeichnung des geänderten Visumerleichterungsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine, das im Vergleich zum derzeit geltenden Abkommen klare Verbesserungen enthält, was die Ausstellung von Visa für die Bürger der Ukraine angeht; weist außerdem darauf hin, dass der Abschluss eines Abkommens über den visumfreien Reiseverkehr zwischen der EU und der Ukraine den Austausch und die zwischenmenschlichen Kontakte zwischen den jeweiligen Zivilgesellschaften intensivieren und erleichtern wird, wodurch das gegenseitige Verständnis gefördert wird und die ukrainische Öffentlichkeit die Möglichkeit erhält, sich mit europäischen Standards und bewährten Verfahrensweisen in allen Bereichen vertraut zu machen;
11. fordert die ukrainischen Staatsorgane nachdrücklich auf, die Venedig-Kommission zu ersuchen, das ukrainische Volksabstimmungsgesetz zu prüfen, das am 6. November vom Parlament verabschiedet und am 27. November vom Präsidenten unterzeichnet wurde;
12. fordert die Werchowna Rada auf, den Gesetzesentwurf 8711 abzulehnen, mit dem das Recht auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität beschnitten werden soll und der in der ersten Lesung im Oktober angenommen wurde; weist darauf hin, dass dieses Gesetz eindeutig gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verstößt, die beide vom ukrainischen Parlament ratifiziert wurden;
13. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten, dem Staatspräsidenten, der Regierung und dem Parlament der Ukraine sowie den Parlamentarischen Versammlungen des Europarats und der OSZE zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P7_TA(2011)0272.
- [2] Angenommene Texte, P7_TA(2011)0472.
- [3] Angenommene Texte, P7_TA(2012)0221.