ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu den Todesfällen, die kürzlich durch Brände in Textilfabriken verursacht wurden, vor allem in Bangladesch
9.1.2013 - (2012/2908(RSP))
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Jean Lambert, Barbara Lochbihler, Marije Cornelissen, Karima Delli, Malika Benarab-Attou, Elisabeth Schroedter, Nicole Kiil-Nielsen, Raül Romeva i Rueda, Franziska Katharina Brantner, Ulrike Lunacek, Ana Miranda, Sven Giegold, Claude Turmes, Emilie Turunen, Judith Sargentini, Helga Trüpel im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0004/2013
B7‑0020/2013
Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Todesfällen, die kürzlich durch Brände in Textilfabriken verursacht wurden, vor allem in Bangladesch
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf das Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Volksrepublik Bangladesch aus dem Jahr 2001,
– unter Hinweis auf die Stellungnahme der Vertretung der EU in Dhaka vom 27. November 2012 zu dem Brand in einer Textilfabrik in Ashulia,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen der IAO über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz (2006, C‑187) und das Übereinkommen der IAO über Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt (1981, C‑155), die von Bangladesch und Pakistan nicht ratifiziert worden sind, und die entsprechenden Empfehlungen (R‑197),
– unter Hinweis auf das Übereinkommen über die Arbeitsaufsicht in Gewerbe und Handel (1947, C‑81), das Bangladesch und Pakistan unterzeichnet haben, und die entsprechenden Empfehlungen (R‑164),
– unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 25. November 2010 zu Menschenrechten, Sozial- und Umweltnormen in internationalen Handelsabkommen[1] und zur sozialen Verantwortung von Unternehmen in internationalen Handelsabkommen[2],
– unter Hinweis auf seine aktuellen Berichte zu den Themen „Soziale Verantwortung der Unternehmen: rechenschaftspflichtiges, transparentes und verantwortungsvolles Geschäftsgebaren und nachhaltiges Wachstum“ und „Soziale Verantwortung der Unternehmen: Förderung der Interessen der Gesellschaft und ein Weg zu einem nachhaltigen und integrativen Wiederaufschwung“,
– unter Hinweis auf die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Unternehmen und Menschenrechte, mit denen für Regierungen und Unternehmen ein Rahmen zum Schutz und zur Achtung der Menschenrechte geschaffen worden ist und die vom Menschenrechtsrat im Juni 2011 bestätigt worden sind,
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass am 24. November 2012 im Rahmen des bisher schwersten Fabrikbrands in Bangladesch ein neunstöckiges Gebäude der von Tazreen Fashions, einer Tochterfirma des Tuba‑Konzerns, betriebenen Fabrik in Ashulia zerstört wurde, wo 1200 Textilarbeiter, davon größtenteils Frauen, Textilien für westliche Großhändler zusammensetzen, und der Regierung zufolge infolge dieses Brands mindestens 112 Menschen starben und mehr als 100 verletzt wurden, die Zahl der Todesopfer Gewerkschaftsvertretern zufolge jedoch wesentlich höher liegt;
B. in der Erwägung, dass Wal‑Mart, Carrefour, C&A, IKEA und Sears zu den Kunden des Tuba‑Konzerns gehören und die Fabriken des Konzerns in viele Länder Europas und in die USA Kleidungsstücke ausführen;
C. in der Erwägung, dass Bangladesch nach China inzwischen der zweitgrößte Textilienexporteur ist, dort die niedrigsten Löhne gezahlt werden, der Textilbranche nahezu 80 % der Ausfuhren des Landes zugrunde liegen und die EU der größte Ausfuhrmarkt des Landes ist; in der Erwägung, dass die Arbeitnehmer in Bangladesch aufgrund des Produktionsdrucks auf dem internationalen Textilmarkt, der von niedrigen Preisen und einem schnellen Umsatz beherrscht wird, besonders gefährdet sind;
D. in der Erwägung, dass nur Wochen vor diesem Brand, nämlich am 11. September 2012, in Pakistan bei einem Brand in der Textilfabrik Ali Enterprises in Karatschi, wo für den deutschen Discounter KiK Jeanshosen hergestellt werden, mehr als 300 Menschen starben und etwa 250 verletzt wurden, darunter viele Minderjährige, und in Lahore in einer Schuhfabrik ein Brand wütete, der wiederum in Pakistan als der bisher schlimmste Fabrikbrand mit den meisten Todesopfern gilt;
E. in der Erwägung, dass die hohe Zahl der Todesopfer in diesen Fällen zum Großteil fehlenden Sicherheitsmaßnahmen zugeschrieben wird, wie deutlich wurde durch verschlossene Türen und Fenster, fehlende Fluchtwege und Feuerlöscher sowie Notbeleuchtung, unvorbereitete und inkompetente Führungskräfte, die gefährliche Lagerung entzündlicher Materialien in der Nähe der Arbeiter, illegale und funktionsgestörte Gebäudeteile und die Tatsache, dass die Feuerwehr keinen angemessenen Zugang hatte und nur mit Verzögerung reagierte;
F. in der Erwägung, dass das Unternehmen Ali Enterprises der pakistanischen Gewerkschaft der Textilarbeiter (Pakistani Textile Workers Union – NTUF) zufolge nur wenige Wochen vor der Katastrophe einen international anerkannten Sicherheitstest bestanden hatte, und in der Erwägung, dass Tazreen Fashions Produktionsaufträge erhalten hatte, obwohl bei Inspektionen durch ein mit Walmarkt verbundenes Unternehmen und die europäische Initiative zur Einhaltung der Sozialstandards (European Business Social Compliance Initiative) schwerwiegende Sicherheitsmängel ermittelt worden waren;
G. in der Erwägung, dass Informationen des internationalen Forums für Arbeitnehmerrechte (International Labour Rights Forum) zufolge seit 2005 bei Fabrikbränden in Bangladesch mehr als 600 Textilarbeiter umgekommen sind und Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge bisher weder Fabrikbesitzer noch Führungskräfte vor Gericht gestellt worden sind;
H. in der Erwägung, dass die Spannungen zwischen der Regierung von Bangladesch und Gewerkschaftsaktivisten in den vergangenen Monaten eskaliert sind und in der Erwägung, dass dies zur – bis heute nicht aufgeklärten – Ermordung von Aminul Islam im April 2012 geführt hat, der die unsicheren Bedingungen in den Fabriken des Textilsektors kritisiert hatte;
I. in der Erwägung, dass durch die Tatsache, dass bestimmte westliche Einzelhändler nur zögerlich eingeräumt haben, dass in den Fabriken von ihnen verkaufte Textilien hergestellt werden, deutlich wird, dass es in der Lieferkette des internationalen Textilsektors an Transparenz und Rechenschaftspflicht mangelt;
J. in der Erwägung, dass hinsichtlich der Erreichung von Forschritten zur Verbesserung der Arbeits- und Sicherheitsstandards im Textilsektor zugunsten der Arbeiter eine gemeinsame Verantwortung zum Tragen kommt, die sich von den Endverbrauchern in Europa über die Einzelhändler und die Unternehmensführungen der Fabriken bis hin zu den Regierungen erstreckt und auf allen Ebenen der Produktion und der Lieferkette von Bedeutung ist;
1. bringt sein tiefes Bedauern über die Todesfälle bei den Bränden in Bangladesch und Pakistan in den vergangenen Monaten zum Ausdruck, sowie darüber, dass dabei viele Menschen verletzt worden sind, und spricht den Familien der Opfer sein Beileid aus;
2. fordert alle europäischen Einzelhändler, deren Aufträge zum Zeitpunkt der Brände bearbeitet wurden, auf, die lokalen Behörden zu unterstützen und die Sozialpartner in die Ausarbeitung eines angemessenen und transparenten Entschädigungssystems für die Opfer und ihre Familien einzubeziehen sowie zu diesem System finanziell beizutragen; vertritt die Ansicht, dass mit diesem System der Einkommensverlust und die Schäden abgedeckt werden müssen, die den Verletzten und den Familienangehörigen der Todesopfer entstanden sind, sowie die kostenfreie medizinische Rehabilitation der Verletzten und die Versorgung und Ausbildung der unterhaltsberechtigten Familienmitglieder;
3. begrüßt das bangladeschische Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit einiger Gewerkschaften, NRO und multinationaler Textileinzelhändler, mit dem die Sicherheitsstandards in Produktionsstätten verbessert werden sollen, insbesondere durch die Einführung eines unabhängigen Inspektionssystems und indem die Einrichtung von „Gesundheits- und Sicherheitsräten“ aktiv unterstützt wird, an denen in allen Fabriken die Arbeitervertretungen beteiligt sind, die zwar gesetzlich vorgeschrieben, jedoch nur selten handlungsfähig sind, und in dessen Rahmen die Kosten für entsprechende Maßnahmen akzeptiert werden; fordert die betreffenden Markenunternehmen und auch den weltweit größten Textilieneinzelhändler Walmart auf, diese Bemühungen zu unterstützen;
4. fordert die in Bangladesch und Pakistan tätigen ausländischen Unternehmen auf, Handelsbeziehungen mit Herstellern den Vorrang zu geben, die in ihrer Tätigkeit den Basisübereinkommen der IAO und den rechtlichen Bestimmungen der beiden Länder Rechnung tragen;
5. erkennt zwar an, dass dank der Beschäftigung in der Bekleidungsbranche Millionen in Armut lebende Frauen aus den ländlichen Gebieten in Pakistan, Bangladesch und anderen Ländern Entbehrungen entkommen und aus der Abhängigkeit von der Unterstützung durch Männer entfliehen konnten; vertritt jedoch die Auffassung, dass bestimmte Mindeststandards in den Bereichen Sicherheit und Arbeit weltweit, einschließlich in der EU, gelten sollten;
6. fordert insbesondere die Regierung von Bangladesch auf, durchzusetzen, dass alle Hersteller das Arbeitsgesetz (2006) einhalten, und fordert sie auf, die Zahl der Inspektionsgruppen und deren Mittel zu erhöhen sowie deren Methoden zu mehren;
7. fordert die beiden Regierungen auf, die ratifizierten IAO‑Standards wirksam umzusetzen und insbesondere das Übereinkommen der IAO über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz und das Übereinkommen der IAO über Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt umzusetzen;
8. vertritt die Auffassung, dass eine Erhöhung der Mindestlöhne in Bangladesch, die bei vielen Arbeitern unter dem Existenzminimum liegen, in Verbindung mit höheren Preisen für die Endverbraucher einen Teil der erforderlichen Verbesserungen ausmacht, und fordert die Regierung von Bangladesch auf, Unternehmen zu sanktionieren, die Löhne zahlen, die unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn liegen;
9. begrüßt die Schritte, die die Regierung von Bangladesch und die Regierung von Pakistan zur Unterstützung der Opfer und deren Familien und dahingehend unternommen haben, diejenigen, die für diese hohe Zahl an Opfern verantwortlich sind, vor Gericht zu bringen; fordert die Behörden auf, die Unternehmensverwaltungen zu verpflichten, die Namen aller Arbeiter zu veröffentlichen, die von den Bränden betroffen waren, und dafür zu sorgen, dass alle Opfer einen umfassenden Zugang zum Justizsystem haben, damit sie Schadenersatz fordern können; fordert darüber hinaus, dass die Markenunternehmen, die sich in diesen Ländern ihre Waren beschaffen, alle Prüfberichte veröffentlichen;
10. fordert die Behörden von Bangladesch auf, die Folterung und Ermordung des Arbeitsrechtsaktivisten Aminul Islam ordnungsgemäß zu untersuchen, und fordert beide Regierungen auf, die Beschränkungen, die in Bezug auf Gewerkschaftsaktivisten und Tarifverhandlungen bestehen, aufzuheben;
11. fordert die Regierung von Bangladesch auf, dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen beizutreten und das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe zu ratifizieren;
12. fordert die Regierung von Bangladesch und die Regierung von Pakistan sowie Markenunternehmen, Einzelhändler und Arbeitgeber auf, wirksame Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit an Fabrikarbeitsplätzen und zur Schulung der Arbeiter und Führungskräfte in Bezug auf Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, und dafür zu sorgen, dass die Arbeiter sich zur Wehr setzen können, wenn Sicherheitsbestimmungen missachtet werden;
13. begrüßt die erfolgreichen Bemühungen, die Bangladesch zur Reduzierung der Kinderarbeit im Textilsektor ergriffen hat, und fordert Pakistan nachdrücklich auf, sein Engagement gegen Kinderarbeit zu intensivieren;
14. begrüßt darüber hinaus den vor kurzem von der Regierung von Bangladesch gefassten Beschluss, den Mutterschaftsurlaub im Textilsektor auf sechs Monate zu erhöhen;
15. fordert den Rat und die Kommission auf, in alle von der EU unterzeichnete bilaterale Handels- und Investitionsabkommen eine verbindliche Klausel über die Soziale Verantwortung der Unternehmen (SVU) auf der Grundlage der SVU‑Prinzipien aufzunehmen, wie sie auf internationaler Ebene festgelegt worden sind, sowie der aktualisierten Fassung der OECD‑Leitsätze und der Standards der Vereinten Nationen (insbesondere der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Unternehmen und Menschenrechte), der IAO und der EU; schlägt vor, mit dieser Klausel die bestehenden Standards und Konzepte zu harmonisieren, damit für Vergleichbarkeit und Gerechtigkeit gesorgt ist, und schlägt vor, dass sie Maßnahmen zur Überwachung der wirksamen Umsetzung dieser Grundsätze durch die EU enthalten sollte;
16. fordert den Rat und die Kommission auf, Rechtsvorschriften zu erlassen, in deren Rahmen Unternehmen, die auf dem Binnenmarkt unter EU‑Recht agieren möchten, im Einklang mit den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Unternehmen und Menschenrechte verpflichtet sind, Informationen über die gesamte Lieferkette ihrer Produkte vorzulegen;
17. fordert die Kommission auf, für Bangladesch und Pakistan im Rahmen des neuen thematischen Programms „Globale öffentliche Güter und Herausforderungen“ sowie des Instruments für die Entwicklungszusammenarbeit oder des Partnerschaftsinstruments Unterstützung zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz bereitzustellen;
18. fordert, dass dem Thema Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz als Teil der Agenda für menschenwürdige Arbeit im Rahmen künftiger Handelsabkommen mit Drittstaaten ein höheres Gewicht zugeschrieben wird, und dass die EU für die Durchsetzung dieser Bestimmungen technische Unterstützung leistet;
19. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und den Regierungen und Parlamenten von Bangladesch und Pakistan zu übermitteln.