ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage in Ägypten
6.3.2013 - (2013/2542(RSP))
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Charles Tannock, Peter van Dalen im Namen der ECR-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0095/2013
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zu Ägypten, insbesondere seine Entschließung vom 15. Februar 2012,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 31. Januar 2013 zur EU-Unterstützung für einen nachhaltigen Wandel in Übergangsgesellschaften[1],
– unter Hinweis auf die Erklärung der Hohen Vertreterin/Vizepräsidentin vom 25. Dezember 2012 zum Referendum in Ägypten,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Sprechers der Hohen Vertreterin/Vizepräsidentin vom 25. Januar 2013 zu den Todesfällen in Port Said,
– unter Hinweis auf die Ergebnisse des ersten Treffens der Taskforce EU-Ägypten am 13./14. November 2012,
– unter Hinweis auf den Beschluss des Rates vom 26. November 2012 zur Vereinfachung der Rückführung von Vermögen,
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Ägypten, das größte Land des Arabischen Frühlings und eines der wichtigsten Länder im Nahen Osten bzw. in Nordafrika, für die EU ein wichtiger Handelspartner ist und zu den wichtigsten Empfängern von EU-Finanzhilfen gehört;
B. in der Erwägung, dass die EU nach Beginn des Arabischen Frühlings ihre Bemühungen verstärkt hat, in Ägypten Einfluss zu nehmen, unter anderem durch Besuche der HV/VP, des Präsidenten des Europäischen Rates, des Präsidenten der Kommission und von Staats- und Regierungsoberhäuptern ihrer Mitgliedstaaten, wie auch durch verschiedene Gipfeltreffen und Initiativen und die Auszahlung von Finanzhilfen;
C. in der Erwägung, dass Präsident Mursi am 22. November 2012 eine Verfassungserklärung abgegeben hat, mit der er unter anderem die Präsidentschaft über die Kontrolle der Justiz gestellt hat; in der Erwägung, dass der Präsident diese Erklärung wenige Tage später annulliert hat, es aber bereits zu eskalierenden Demonstrationen kam;
D. in der Erwägung, dass die von Islamisten dominierte Verfassunggebende Versammlung am 30. November 2012 einen Verfassungsentwurf annahm, der dem Präsidenten am gleichen Tag vorgelegt wurde;
E. in der Erwägung, dass am 15. und 22. Dezember 2012 in Ägypten ein Referendum über den Verfassungsentwurf abgehalten wurde; in der Erwägung, dass die Mehrheit für den Verfassungsentwurf stimmte, wobei die Wahlbeteiligung 33 % betrug;
F. in der Erwägung, dass das Kairoer Gericht die Rechtssachen der 21 Angeklagten aus Port Said an den Großmufti verwies, der die gegen sie gefällten Todesurteile bestätigen sollte;
G. in der Erwägung, dass infolge dieser Nachricht Tausende, darunter Angehörige der Angeklagten, Mitglieder des Fußballfanclub der Ultras von Port Said und andere Sympathisanten, die sich in der Nähe des Gefängnisses in Port Said versammelt hatten, das Gefängnis stürmten;
H. in der Erwägung, dass einige der Demonstranten Schusswaffen trugen oder Steine und Molotowcocktails warfen; in der Erwägung, dass die Sicherheitskräfte sofort mit einem massiven Einsatz von Tränengas und Schusswaffen reagierten;
I. in der Erwägung, dass die dadurch ausgelöste Welle der Gewalt hauptsächlich in Port Said, aber auch in anderen ägyptischen Städten dutzende Menschenleben forderte und Hunderte verletzt wurden;
J. in der Erwägung, dass die restlichen Urteile am 9. März 2013 verkündet werden sollen;
K. in der Erwägung, dass auf dem Tahrir-Platz in Kairo und anderswo nach wie vor Demonstrationen stattfinden; in der Erwägung, dass die Lage indessen vor allem für weibliche Demonstranten extrem gefährlich geworden ist und täglich sexuelle Übergriffe gemeldet werden;
L. in der Erwägung, dass der Rat am 26. November 2012 Schritte einleitete, um die Rückführung veruntreuter Gelder an die ägyptischen und tunesischen Behörden zu erleichtern;
M. in der Erwägung, dass die EU zugesagt hat, dass für 2012–2013 Zuschüsse und Darlehen in Höhe von 5 Mrd. EUR zur Verfügung stehen, die von der Kommission, der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) bereitzustellen sind;
N. in der Erwägung, dass die EU zwei Wahlsachverständige für die Präsidentschaftswahl zur Verfügung gestellt und angeboten hat, eine Wahlbeobachtungsmission zu der Parlamentswahl in Ägypten zu entsenden, wenn sie von Ägypten dazu eingeladen wird;
1. bekräftigt seine bisherigen Aufrufe zum Dialog zwischen allen ägyptischen Parteien, um im Streben nach einer vertieften und tragfähigen Demokratie weiter voranzukommen; fordert alle Parteien und insbesondere den Präsidenten nachdrücklich auf, die Bemühungen in dieser Hinsicht zu verstärken; bekräftigt außerdem seine Solidarität mit dem ägyptischen Volk in dieser kritischen Phase des Übergangs und unterstützt weiterhin legitime demokratische Ziele;
2. fordert die ägyptische Führung auf, dafür zu sorgen, dass alle Ägypter durch die demokratischen Institutionen und durch die Verfassung ordnungsgemäß vertreten werden und dass die Menschenrechte für alle gewahrt werden, ungeachtet des Glaubens, des Geschlechts oder anderer Aspekte und im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsvorschriften;
3. fordert die unverzügliche Einrichtung einer parlamentarischen Demokratie, in deren Rahmen Präsident Mursi Spaltungen überbrücken und das gesamte Volk nach dem Verfassungsreferendum einbinden soll;
4. bedauert, dass Militärgerichte nach Artikel 189 der neuen Verfassung immer noch für Zivilpersonen zulässig sind; betont, dass eine unparteiische Zivilgerichtsbarkeit und faire Verfahren zu den Kernwerten demokratischer Länder gehören;
5. ist der Auffassung, dass das Hauptaugenmerk darauf gerichtet sein sollte, Gewissensfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Glaubensfreiheit für alle Bürger Ägyptens sicherzustellen; ist der Ansicht, dass die ägyptische Regierung sichtbar für die Religionsfreiheit der ägyptischen christlichen Gemeinschaft sorgen muss; fordert, dass Bemühungen unternommen werden, um die Welle der Auswanderung von Christen aus Ägypten zu stoppen, die das Weiterbestehen einer der ältesten Gemeinschaften Ägyptens gefährdet und der ägyptischen Wirtschaft schadet, weil ausgebildete Fachleute das Land verlassen;
6. fordert die ägyptische Polizei und die Justizbehörden auf, eine umfassende, unabhängige und gründliche Untersuchung der Gewalttaten infolge des Gerichtsurteils vom 26. Januar 2013 vorzunehmen und die für diese Verbrechen Verantwortlichen vor Gericht zu stellen;
7. begrüßt die Zusicherung der Versammlungsfreiheit in Artikel 50 der neuen Verfassung, ist aber nach wie vor besorgt über die Gewalt bei den Protesten in ganz Ägypten;
8. spricht auch den Angehörigen der Opfer der jüngsten Zusammenstöße in Kairo und Port Said sein Beileid aus und fordert, dass die Vorwürfe der Folter und Misshandlung durch Sicherheitskräfte untersucht werden; mahnt mit Blick auf die Demonstrationen, die auf die Verurteilungen der wegen der Fußballkrawalle in Port Said Angeklagten folgten, zur Ruhe, insbesondere auch mit Blick auf die noch ausstehenden Urteile, die für den 9. März erwartet werden; fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, Ägypten Hilfe zur Reformierung seines Polizeidienstes anzubieten, damit die Demonstrationen besser überwacht werden können;
9. fordert die ägyptischen Behörden auf, gegen die Gewalt gegen Frauen vorzugehen; verurteilt die Übergriffe auf Frauen auf dem Tahrir-Platz und bei anderen Demonstrationen;
10. fordert nachdrücklich, dass nichtstaatliche Organisationen ungehindert ihren legitimen Tätigkeiten, auch Nachforschungen in Bezug auf Menschenrechte und Justiz- und Verfassungsangelegenheiten, nachgehen dürfen; ist der Auffassung, dass keine Gesetze erlassen werden dürfen, mit denen die Tätigkeiten dieser Organisationen im humanitären oder sozialen Bereich oder ihre Kontakte zu ausländischen Einrichtungen eingeschränkt werden; verurteilt daher das Schreiben des ägyptischen Ministeriums für Versicherungen und Soziales an die nichtstaatliche Organisation „Ägyptische Organisation für Menschenrechte“, in dem über weitere Beschränkungen informiert wurde;
11. begrüßt die nach dem Besuch Präsident Mursis in Brüssel getroffene Vereinbarung, die bilateralen Kontakte unter Nutzung der Strukturen des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Ägypten und die Verhandlungen über einen neuen ENP-Aktionsplan wiederaufzunehmen;
12. begrüßt die Einrichtung der Taskforce EU-Ägypten im November 2012; nimmt das Ergebnis des ersten Treffens der Taskforce am 13. und 14. November zur Kenntnis; ist der Ansicht, dass die Kommission, die EIB und die EBWE die Zusagen für Darlehen und Zuschüsse an eine strenge und umfassende Überwachung der Lage der Menschenrechte knüpfen sollte;
13. begrüßt die von der EBWE ins Leben gerufene Sonderinitiative für Ernährungssicherheit, die es Ägypten als weltgrößtem Weizenimporteur ermöglicht, eine stabile Lebensmittelversorgung sicherzustellen;
14. begrüßt die Entscheidung, Möglichkeiten für eine Intensivierung des Handels und der Investitionen zwischen Ägypten und der EU zu ergründen; ist der Ansicht, dass ein vertieftes und umfassendes Freihandelsabkommen, das auf der gegenseitigen Achtung der Menschenrechte gründet, der beste Weg zur Steigerung des Wohlstands und zur Verringerung der Armut in Ägypten wäre;
15. begrüßt die Gespräche über Zusammenarbeit und Abstimmung im Hinblick auf die Rückführung von Vermögen, die von den früheren Machthabern veruntreut wurden und seit März 2011 eingefroren sind; spricht sich dafür aus, den angekündigten Fahrplan zur Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Ägypten in dieser Frage fertigzustellen;
16. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und der Regierung und dem Parlament von Ägypten zu übermitteln.
- [1] http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/EN/foraff/135130.pdf