ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Achtung des Grundrechts auf Freizügigkeit in der EU
13.1.2014 - (2013/2960(RSP))
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Renate Weber, Nadja Hirsch, Metin Kazak im Namen der ALDE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0016/2014
B7‑0024/2014
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Achtung des Grundrechts auf Freizügigkeit in der EU
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Artikel 20, 21, 45, 47 und 151 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und die Artikel 15, 21, 29, 34 und 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG[1],
– unter Hinweis auf die Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union[2],
– unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 883/2004[3] und die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit[4],
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 25. November 2013 mit dem Titel „Freizügigkeit der EU-Bürger und ihrer Familien: fünf grundlegende Maßnahmen“ (COM(2013)0837),
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 13. Juli 2010 mit dem Titel „Bekräftigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer: Rechte und wesentliche Entwicklungen“ (COM(2010)0373),
– unter Hinweis auf die Erklärung von Vizepräsidentin Viviane Reding an den Rat „Justiz und Inneres“ vom 5. Dezember 2013 zur Freizügigkeit,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 2. April 2009 zur Anwendung der Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten[5],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 29. März 2012 zu dem Bericht über die Unionsbürgerschaft 2010: Weniger Hindernisse für die Ausübung von Unionsbürgerrechten[6],
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass das Recht der EU-Bürger, gemeinsam mit ihren Familienangehörigen in jedes EU-Land zu ziehen und dort zu leben, eine der vier im EU-Recht verankerten Grundfreiheiten und ein Eckpfeiler der EU-Integration ist;
B. in der Erwägung, dass das Recht auf Freizügigkeit ein Recht ist, das unabhängig vom Vorhandensein etwaiger Grenzkontrollen, die einige Mitgliedstaaten für die Einreise von EU-Bürgern in ihr Hoheitsgebiet eingerichtet haben, allen europäischen Bürgern garantiert wird; in der Erwägung, dass die Tatsache, dass nicht alle Mitgliedstaaten Teil des Schengenraums sind, keine Auswirkungen auf das Recht aller EU-Bürger auf Freizügigkeit in der Union hat;
C. in der Erwägung, dass die Freiheit der EU-Bürger, sich an einem beliebigen Ort in der EU niederzulassen, uneingeschränkt für alle EU-Bürger gilt, gemäß der Richtlinie 2004/38/EG jedoch insofern an Auflagen geknüpft ist, als der betroffene EU-Bürger nach drei Monaten nachweisen muss, dass er sich selbst versorgen kann, um dem Gastland nicht zur Last zu fallen;
D. in der Erwägung, dass EU-Bürger seit den 1960er Jahren von dieser Freiheit profitiert haben; in der Erwägung, dass im Vertrag von Maastricht das Recht auf Freizügigkeit für alle EU-Bürger anerkannt wurde, ob sie wirtschaftlich aktiv sind oder nicht; in der Erwägung, dass die Freizügigkeit für andere Zwecke als Arbeit, beispielsweise um sich zur Ruhe zu setzen, zu studieren oder Familienmitglieder zu begleiten, zu einem wesentlichen Merkmal der EU-Bürgerschaft geworden ist;
E. in der Erwägung, dass 2 Millionen freie Stellen in der EU aufgrund geringer Arbeitsmobilität nicht besetzt werden können und die EU gleichzeitig mit einer nie dagewesenen Arbeitslosenrate zu kämpfen hat; in der Erwägung, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowohl für die EU als auch für die Mitgliedstaaten ein positives sozioökonomisches Beispiel sowie einen Meilenstein für die Integration in der EU, die wirtschaftliche Entwicklung, den sozialen Zusammenhalt und die Verbesserung der persönlichen beruflichen Qualifikationen darstellt und dass mit ihrer Hilfe den negativen Folgen der Wirtschaftskrise entgegengewirkt und die Union als stärkere Wirtschaftsmacht konsolidiert wird, die in der Lage ist, den Herausforderungen der weltweiten Veränderungen zu begegnen;
F. in der Erwägung, dass Mobilitätsströme hauptsächlich durch die Nachfrage nach Arbeitskräften bestimmt sind und dass Übergangsbeschränkungen in Zeiten von Missverhältnissen zwischen Angebot und Nachfrage auf europäischer Ebene die wirtschaftliche Entwicklung europäischer Unternehmen und das Recht, auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu arbeiten und zu leben, behindern können;
G. in der Erwägung, dass Übergangsregelungen für die Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus Bulgarien und Rumänien zum 1. Januar 2014 abgeschafft wurden;
H. in der Erwägung, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung oder Nichtdiskriminierung bedeutet, dass alle EU-Bürger die gleichen Rechte und Pflichten haben wie die Staatsangehörigen des Landes, in dem sie leben (die Verordnungen 883/2004 und 987/2009 basieren auf diesem Grundsatz); in der Erwägung, dass jeder Mitgliedstaat sein eigenes nationales System der sozialen Sicherheit festlegt und dass die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit auf EU-Ebene koordiniert, aber nicht harmonisiert werden;
I. in der Erwägung, dass die jüngste Entwicklung unserer Gesellschaften, insbesondere durch industriellen Wandel, Globalisierung, neue Beschäftigungsmuster, demografischen Wandel und die Weiterentwicklung der Verkehrsmittel, eine höhere Mobilität der Arbeitnehmer erfordert;
J. in der Erwägung, dass in Anbetracht des gegenwärtigen Wirtschaftsabschwungs in Europa die Geldtransfers von mobilen Arbeitskräften in ihre Heimatländer einen positiven Nettoeffekt auf die Zahlungsbilanz der Länder, aus denen sie getätigt werden, haben können; in der Erwägung, dass angesichts der demographischen Situation vieler Mitgliedstaaten deren zukünftige wirtschaftliche Stabilität und Wachstum von Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten abhängig sind;
K. in der Erwägung, dass dank der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU Tausende von Arbeitslosen, insbesondere junge Menschen, die infolge der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa keine Aussicht hatten, eine Stelle zu finden, eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat gefunden haben;
L. in der Erwägung, dass die EU-Bürger die Freizügigkeit als das Recht sehen, das am stärksten mit der EU-Bürgerschaft in Verbindung gebracht wird, als positivste Errungenschaft der EU und als etwas, was der Wirtschaft ihres Landes Vorteile bringt;
M. in der Erwägung, dass der Rat seine Unterstützung der Freizügigkeit bekräftigt und die wechselseitigen Vorteile, die sie bringt, anerkannt hat, beispielsweise in der Aussprache, die vor kurzem im Rat „Justiz und Inneres“ stattgefunden hat (8. Oktober 2013, 5./6. Dezember 2013);
N. in der Erwägung, dass mit der anstehenden Europawahl die Freizügigkeit der EU-Bürger für einige Parteien zu einem Wahlkampfthema geworden ist; in der Erwägung, dass das Risiko besteht, dass EU-Bürger aus einigen Mitgliedstaaten oder mobile EU-Bürger zu Sündenböcken gemacht werden und dass es zu einer Zunahme von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit kommt, wenn diese Diskussion nicht rational geführt wird;
1. fordert die Mitgliedstaaten auf, ihren vertragsmäßigen Pflichten hinsichtlich der EU-Vorschriften zu Freizügigkeit nachzukommen und sicherzustellen, dass der Gleichheitsgrundsatz und das Grundrecht auf Freizügigkeit für alle Mitgliedstaaten gewahrt bleiben;
2. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, für eine strikte Durchsetzung des Unionsrechts zu sorgen, um zu garantieren, dass alle EU-Arbeitnehmer in Bezug auf Zugang zu Beschäftigung, Beschäftigung und Arbeitsbedingungen, Vergütung, Entlassung sowie Sozial- und Steuervorteile gleich behandelt und nicht diskriminiert werden, wodurch ein fairer Wettbewerb unter Unternehmen sichergestellt wird; fordert die nationalen Behörden dringend auf, jegliche ungerechtfertigten Einschränkungen oder Hindernisse für das Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit sowie jegliche Ausbeutung dieser Arbeitnehmer zu bekämpfen;
3. weist darauf hin, dass alle Bürger der Union mit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer das Recht haben, unabhängig von ihrem Wohnsitz ohne Einschränkung in einen anderen Mitgliedstaat zu ziehen, um dort zu arbeiten bzw. um dort zum Zweck der Arbeit ihren Wohnsitz zu nehmen;
4. lehnt jeden Vorschlag zur Begrenzung der Anzahl der EU-Migranten kategorisch ab, da dies dem Grundsatz der Freizügigkeit des EU-Vertrags widerspricht; weist darauf hin, dass die Mobilität der Arbeit zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft beiträgt;
5. begrüßt die Mitteilung der Kommission COM(2013)0837, in der fünf Maßnahmen erläutert werden, um Mitgliedstaaten und ihren lokalen Behörden zu helfen, EU-Gesetze und Instrumente in vollem Umfang anzuwenden, und unterstützt in diesem Zusammenhang die folgenden Aktionen, die gemeinsam mit den Mitgliedstaaten umgesetzt werden sollen: Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung von Scheinehen (Handbuch); Unterstützung der Behörden bei der Anwendung der EU-Koordinierungsvorschriften zur sozialen Sicherheit (praktischer Leitfaden); Unterstützung der Behörden bei der Bewältigung von Herausforderungen im Zusammenhang mit sozialer Inklusion (Finanzierung); Austausch von bewährten Verfahren zwischen lokalen Behörden; und Schulung und Unterstützung lokaler Behörden zum Zwecke der Anwendung der EU-Vorschriften zur Freizügigkeit;
6. unterstützt den Vorschlag der Kommission, der in ihrem Bürgerschaftsbericht 2013 vorgestellt wurde, die Verordnung zur Koordinierung der sozialen Sicherheit zu reformieren, um den obligatorischen Mindestzeitraum, in dem Herkunftsmitgliedstaaten Leistungen für ihre Bürger erbringen müssen, von drei auf sechs Monate zu verlängern; ist der Ansicht, dass ein solcher Vorschlag dazu beitragen wird, Sicherheit für Arbeitssuchende zu schaffen, wenn sie in andere EU-Mitgliedstaaten ziehen, und die Haushaltskosten für die Gastmitgliedsstaaten zu reduzieren;
7. betont, dass in der Europäischen Wirtschaft Bemühungen erforderlich sind, um Freizügigkeit und Arbeitsmobilität in der EU zu steigern, statt sie zu begrenzen, und fordert die Mitgliedstaaten auf, die Freizügigkeit aller Bürger und Arbeitnehmer sicherzustellen, um die Entwicklung eines echten Unionsarbeitsmarkts zu ermöglichen, Engpässe zu beseitigen und es EU-Arbeitnehmern zu ermöglichen, in Gegenden zu ziehen, in denen ihre Fähigkeiten gefragt sind;
8. verweist darauf, dass die Arbeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat für Bürger die Verpflichtung mit sich bringt, in das Sozialsystem dieses Mitgliedstaates einzuzahlen, und somit auch das Recht, darauf zurückzugreifen;
9. bedauert und zeigt sich besorgt über die falsche und irreführende Verbindung, die einige Medien und politischen Akteure auf nationaler und europäischer Ebene zwischen EU-Bürgern aus anderen Mitgliedstaaten und der geringen Anzahl von Fällen missbräuchlicher Nutzung des Systems herstellen, und fordert die Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen zu ergreifen, um solchen Missbrauch, auch durch die eigenen Staatsangehörigen, zu verhindern; begrüßt in diesem Zusammenhang die Initiative der Kommission, die Behörden bei der Anwendung der Koordinierungsvorschriften zur sozialen Sicherheit zu unterstützen, und den praktischen Leitfaden zur Bestimmung des „gewöhnlichen Wohnsitzes“;
10. verweist darauf, dass es keine statistischen Belege für eine Verbindung zwischen der Mobilität von Arbeitnehmern aus der EU und der Großzügigkeit des Systems der sozialen Sicherheit des aufnehmenden Mitgliedstaates gibt;
11. fordert die Mitgliedstaaten und Regierungen auf, EU-Bürgern aus anderen Mitgliedstaaten nicht die Schuld für die schweren wirtschaftlichen Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise zu geben, die Anwesenheit dieser Arbeitnehmer stattdessen zu begrüßen und die eigenen Staatsangehörigen für den Beitrag dieser Arbeitnehmer zur Wirtschaft des Gastlandes zu sensibilisieren;
12. betont, dass Städte bei der Bereitstellung von Programmen zur Bildung und Integration von EU-Migranten unterstützt werden müssen;
13. fordert die Kommission und den Rat auf, eine größere Flexibilität bei der Nutzung von Mitteln zu ermöglichen, insbesondere bei der erneuten Zuweisung von Mitteln, wenn Mitgliedstaaten ihr Budget nicht rechtzeitig ausgeschöpft haben; betont, dass die Kommission die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten im Bereich der Sozialfürsorge achten sollten; fordert die Kommission auf, die Bürokratie in den Mitgliedstaaten nicht durch die Forderung unangemessener Einzelfallprüfungen zu steigern;
14. empfiehlt der Kommission, ihre Bemühungen fortzusetzen, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Mitgliedstaaten die Richtlinie 2004/38/EG in vollem Umfang und ordnungsgemäß umsetzen und durchführen, und dabei uneingeschränkt von ihrer Befugnis zur Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren Gebrauch zu machen; fordert die Mitgliedstaaten auf, bestehende rechtliche und praktische Hindernisse für die Freizügigkeit der Bürger abzuschaffen und keine schwerfälligen, ungerechtfertigten Verwaltungsverfahren einzuführen und auch keine unannehmbaren Praktiken zu dulden, durch die die Anwendung dieses Rechts eingeschränkt wird;
15. bekräftigt seine bisherigen Appelle an die Mitgliedstaaten, die Freizügigkeit für alle Unionsbürger und ihre Familien zu gewährleisten, und zwar ohne Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Ausrichtung oder der Staatsangehörigkeit; fordert die Mitgliedstaaten erneut auf, die nach Artikel 2 und Artikel 3 der Richtlinie 2004/38/EG gewährten Rechte voll und ganz zu umzusetzen, nicht nur für Ehegatten des anderen Geschlechts, sondern auch für eingetragene Lebenspartner, die Haushaltsmitglieder und Partner, mit denen ein Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinigte, stabile Beziehung hat, einschließlich der Partner gleichgeschlechtlicher Paare, auf der Grundlage der Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung, Gleichheit, Nichtdiskriminierung und Würde sowie des Schutzes des Privat- und Familienlebens; fordert die Kommission in diesem Zusammenhang auf, dafür zu sorgen, dass die Richtlinie strikt angewandt wird;
16. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.