ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Freiheit der Meinungsäußerung in der Türkei im Zusammenhang mit den aktuellen Festnahmen von Journalisten und führenden Medienvertretern und dem systematischen Druck auf die Medien
12.1.2015 - (2014/3011(RSP))
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Rebecca Harms, Ska Keller, Michel Reimon, Judith Sargentini, Barbara Lochbihler, Davor Škrlec, Jean Lambert, Heidi Hautala, Bodil Ceballos, Ulrike Lunacek im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B8-0036/2015
B8‑0042/2015
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Freiheit der Meinungsäußerung in der Türkei im Zusammenhang mit den aktuellen Festnahmen von Journalisten und führenden Medienvertretern und dem systematischen Druck auf die Medien
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Türkei, insbesondere die Entschließung vom 12. März 2014 zu dem Fortschrittsbericht 2013 über die Türkei[1], vom 13. Juni 2013 zur Lage in der Türkei[2] und vom 13. November 2014 zu Maßnahmen der Türkei, die Spannungen in der ausschließlichen Wirtschaftszone der Republik Zypern verursachen[3],
– unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik/Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Federica Mogherini, und des Mitglieds der Kommission Johannes Hahn vom 14. Dezember 2014 zu Polizeirazzien zur Festnahme von Medienvertretern in der Türkei,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates (Allgemeine Angelegenheiten) vom 16. Dezember 2014,
– gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass türkische Sicherheitskräfte am 14. Dezember 2014 in der gesamten Türkei unter anderem mehrere Journalisten und führende Medienvertreter festgenommen haben, darunter auch den Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Zaman, Ekrem Dumanlı, den Geschäftsführer des türkischen Fernsehsenders Samanyolu TV, Hidayet Karaca, weitere Journalisten und einen Polizeichef aus der östlichen Türkei;
B. in der Erwägung, dass diese Festnahmen offensichtlich Teil des andauernden Konflikts zwischen Präsident Erdoğan und der Hizmet-Bewegung sind, die von dem in den USA ansässigen muslimischen Gelehrten Fethullah Gülen angeführt wird; in der Erwägung dass diese Festnahmen ein Jahr, nachdem die Polizei und die Staatsanwaltschaft Mitglieder der Regierung von Präsident Erdoğan der Korruption beschuldigt hatten, stattfanden;
C. in der Erwägung, dass die niederländische Korrespondentin Frederike Geerdink am 6. Januar 2015 in Diyarbakır festgenommen, von der Polizei verhört und am selben Tag wieder freigelassen wurde, nachdem sich der niederländische Außenminister eingeschaltet hatte, der der Türkei zu diesem Zeitpunkt einen Besuch abstattete; in der Erwägung, dass am 7. Januar 2015 ein weiterer niederländischer Journalist, Mehmet Ülger, bei seiner Ankunft am Flughafen von Istanbul festgenommen, auf einer Polizeiwache verhört und im späteren Verlauf des Tages wieder freigelassen wurde;
D. in der Erwägung, dass Präsident Erdoğan der Öffentlichkeit im November 2014 einen Gesetzentwurf zur inneren Sicherheit vorgestellt hat, der nun von der Nationalversammlung behandelt wird, und durch den der Staat weitreichende zusätzliche Befugnisse erhalten soll, um die Subversion zu bekämpfen, indem die Befugnisse für die Durchsuchung durch die Polizei, die Beschlagnahme von Eigentum durch Gerichte und das Abhören durch die Regierung erweitert werden; in der Erwägung, dass durch dieses Gesetz die Überwachung von und die Einschränkung der Freiheit von Straftätern verstärkt werden, es jedoch auch gegen Oppositionelle eingesetzt werden könnte und es das jüngste drastische Vorgehen gegen das Internet ergänzt;
E. in der Erwägung, dass Präsident Erdoğan am 17. Dezember 2014 – anlässlich des zehnten Jahrestags des Beschlusses des Europäischen Rates, mit der Türkei Verhandlungen über den EU-Beitritt aufzunehmen – die Kritik der EU an der Türkei entschieden zurückwies und bekräftigte, dass die EU der Türkei keine Vorträge über Freiheit, Demokratie und Menschenrechte halten könne; in der Erwägung, dass Kritiker von Präsident Erdoğan und seiner Regierung in Strafverfahren verwickelt wurden und viele ihre Arbeitsplätze verloren haben, wobei sie angeblich Opfer der Anstrengungen der Regierung zur Einschüchterung und Kriminalisierung von Oppositionellen waren;
F. in der Erwägung, dass in der Türkei der Druck gegen Medien und gegen Inhaber und Geschäftsführer von Medienunternehmen in den letzten Jahren zugenommen hat; in der Erwägung, dass die Türkei in den letzten Jahren in Bezug auf die Presse- und Medienfreiheit zu den Ländern mit den schlechtesten Bedingungen zählte, insbesondere was die Anzahl der inhaftierten Journalisten betrifft; in der Erwägung, dass viele der Journalisten, die sich derzeit in Haft befinden, für kurdische Medien arbeiten; in der Erwägung, dass sich einige Journalisten nicht in Haft befinden, sondern auf ein Gerichts- oder Berufungsverfahren warten; in der Erwägung, dass viele weitere Journalisten im Laufe des Jahres für einen kurzen Zeitraum inhaftiert wurden, manche nur für wenige Tage oder Monate; in der Erwägung, dass die türkische Regierung Journalisten hauptsächlich aufgrund des türkischen Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus und der Artikel des Strafgesetzbuches über „terroristische Organisationen“ anklagt;
G. in der Erwägung, dass die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte, zu denen auch das Recht auf freie Meinungsäußerung gehört, das Kernstück des europäischen Wertesystems bilden, zu dessen Wahrung sich die Türkei durch ihren Antrag auf EU‑Mitgliedschaft und den laufenden Beitrittsprozess offiziell verpflichtet hat;
H. in der Erwägung, dass Recep Tayyip Erdoğan Anfang 2014 – als er noch das Amt des Ministerpräsidenten innehatte – ein „europäisches Jahr“ ausgerufen hat, in Zuge dessen dem Antrag des Landes auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union neue Dynamik verliehen werden sollte;
1. bedauert zutiefst die Festnahme von Dutzenden von Journalisten und die Razzien gegen regierungskritische Medien am 14. Dezember 2014; betont, dass diese Festnahmen einen weiteren Angriff auf die Pressefreiheit und die Meinungsvielfalt in der Türkei darstellen, und fordert die unverzügliche Freilassung aller Journalisten;
2. fordert die Behörden auf, unverzüglich belastbare und konkrete Belege dafür vorzulegen, dass die festgenommenen Personen tatsächlich die Straftaten, derer sie angeklagt werden, begangen haben; fordert die Behörden darüber hinaus auf, umgehend die Gerichtsverfahren bei völliger Transparenz und mit angemessenen Rechtsgarantien in die Wege zu leiten oder die Anklagen fallen zu lassen;
3. ist der Überzeugung, dass diese riesige Welle von Festnahmen im Voraus geplant wurde und es kein Zufall ist, dass diejenigen, die Korruptionsvorwürfe gegen Mitglieder der Regierungspartei veröffentlicht haben, nun verfolgt werden; fordert Präsident Erdoğan und die türkische Regierung vor diesem Hintergrund auf, alle Maßnahmen zur Ruhigstellung der Regierungskritiker und zur Kriminalisierung von Oppositionellen zu unterlassen und sie nicht länger aufgrund ihrer unterschiedlichen Ansichten als Staatsfeinde darzustellen;
4. betont, dass die Pressefreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und eine lebendige Debatte wesentliche Bestandteile eines jeden demokratischen Staats sind und dass diese Festnahmen und Razzien daher weder mit dem Grundsatz der Rechtstaatlichkeit noch mit demokratischen Standards vereinbar sind; fordert die türkischen Behörden auf, die Verfolgung von friedlichen Beteiligten an den Gezi‑Protesten zu unterlassen;
5. bedauert den Beschluss des türkischen parlamentarischen Ausschusses – der im Mai eingerichtet wurde, um die staatsanwaltschaftlichen Akten zu untersuchen, in denen vier ehemaligen Ministern Fehlverhalten vorgeworfen wird –, diese der Korruption beschuldigten ehemaligen Minister nicht vor Gericht zu bringen; verurteilt, dass im letzten Monat vier Staatsanwälte entlassen wurden, die diese Untersuchung in die Wege geleitet hatten; vertritt die Auffassung, dass dies ein weiteres Zeichen für den Zerfall der Rechtsstaatlichkeit und für den wachsenden Einfluss der Regierung auf das Justizwesen ist;
6. fordert die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin, den Rat und die Kommission auf, den Druck auf die Türkei in den Bereichen Justizwesen, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu erhöhen, da diese von wesentlicher Bedeutung für den Beitrittsprozess sind und einen höheren Stellenwert als Fragen im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt haben sollten; vertritt die Auffassung, dass die Eröffnung der Verhandlungen über die Kapitel 23 und 24 über Justizreformen und Grundrechte konkret dazu beitragen würde;
7. bedauert, dass die Erwartungen im Jahr 2014, das von Präsident Erdoğan zum „europäischen Jahr“ ausgerufen wurde, bei Weitem nicht erfüllt wurden, da die von der Türkei erklärten Ziele und Wünsche bezüglich der EU vielen ihrer Handlungen zuwiderlaufen;
8. fordert eine verstärkte Unterstützung von unabhängigen Medien im Rahmen des Instruments für Heranführungshilfe; betont darüber hinaus, wie wichtig es ist, auch zivilgesellschaftliche Organisationen zu unterstützen, da nur eine transparente und gut funktionierende Zivilgesellschaft Vertrauen zwischen den einzelnen Komponenten einer lebendigen und demokratischen Gesellschaft aufbauen kann;
9. erinnert die Türkei an ihre Verpflichtungen als Mitglied des Europarates und verweist auf die Notwendigkeit, weitere Justizreformen durchzuführen, nicht zuletzt aufgrund der vielen Fälle, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Türkei anhängig sind; fordert Ankara auf, alle im Rahmen des Europarates erlassenen Urteile umzusetzen;
10. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem EAD, der Kommission, den Mitgliedstaaten, dem Präsidenten der Türkei, der Regierung der Türkei, der türkischen Nationalversammlung und dem Europarat zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P7_TA(2014)0235.
- [2] Angenommene Texte, P7_TA(2013)0277.
- [3] Angenommene Texte, P8_TA(2014)0052.