ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu Russland und insbesondere dem Fall Boris Nemzow
9.3.2015 - (2015/2592(RSP))
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Charles Tannock, Ryszard Antoni Legutko, Ryszard Czarnecki, Anna Elżbieta Fotyga, Tomasz Piotr Poręba, Roberts Zīle, Jussi Halla‑aho, Ruža Tomašić im Namen der ECR-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B8-0239/2015
B8‑0249/2015
Entschließung des Europäischen Parlaments zu Russland und insbesondere dem Fall Boris Nemzow
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 23. Oktober 2013 zu dem Thema „Europäische Nachbarschaftspolitik: für eine Vertiefung der Partnerschaft“ – Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu den Berichten für 2012[1],
– unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zu Russland, insbesondere jene vom 23. Oktober 2014 zur Schließung der nichtstaatlichen Organisation „Memorial“ (Träger des Sacharow-Preises 2009) in Russland[2],
– unter Hinweis auf die auf dem Gipfeltreffen zur Östlichen Partnerschaft am 29. November 2013 in Vilnius abgegebene gemeinsame Erklärung,
– unter Hinweis auf die Verfassung Russlands, insbesondere auf Artikel 118, wonach Rechtsprechung in der Russischen Föderation nur durch Gerichte ausgeübt wird, und auf Artikel 120, wonach die Richter unabhängig und nur der russischen Verfassung und dem Föderationsrecht unterworfen sind,
– unter Hinweis auf die Konsultationen zwischen der EU und Russland über Menschenrechtsthemen,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Beauftragten für Menschenrechtsfragen der Russischen Föderation, Wladimir Lukin, vom 4. März 2014 zu öffentlichen Demonstrationen in Moskau und den Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden,
– unter Hinweis auf die gemessenen Werte im Korruptionswahrnehmungsindex 2014 von Transparency International und das wahrgenommene Ausmaß der Korruption im öffentlichen Sektor in Russland,
– gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Boris Nemzow, der eine herausragende Persönlichkeit der russischen Politik und der Opposition zu Präsident Wladimir Putin war, am 27. Februar 2015 in Moskau in der Nähe des Kremls niedergeschossen wurde;
B. in der Erwägung, dass der Mord an Boris Nemzow sinnbildlich dafür steht, dass die Repressionsmaßnahmen gegen die politische Opposition in Russland in verachtenswerter Weise fortgesetzt werden und sich die Lage der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in Russland weiter verschlechtert;
C. in der Erwägung, dass Nemzow als einer der im Kreml am stärksten verhassten Oppositionsführer galt, Mitverfasser von Berichten war, in denen Korruptionsfälle aufgedeckt werden und dargelegt wird, wie Wladimir Putin und Personen im Kreise seiner engsten Vertrauten ihre Macht missbrauchen, und kurz davor stand, seinen aktuellen Bericht über den Einsatz russischer Streitkräfte im Hoheitsgebiet der Ukraine zu veröffentlichen; in der Erwägung, dass der russische Geheimdienst unmittelbar nach Nemzows Tod in dessen Wohnung und Büro eingedrungen ist und dort Unterlagen und Festplatten beschlagnahmt hat;
D. in der Erwägung, dass die vorherigen Morde an Kritikern Präsident Putins – Anna Politkowskaja, Alexander Litwinenko, Selimchan Jandarbijew, Stanislaw Markelow, Natalja Estemirowa, Sergei Juschenkow und Juri Schtschekotschichin – und der Tod von Sergei Magnitski ein verstörendes Bild vom Zustand der Demokratie in Russland zeichnen;
E. in der Erwägung, dass sich die Menschenrechtslage in Russland in den vergangenen Jahren verschlechtert hat und die russische Staatsführung eine Reihe von Gesetzen mit mehrdeutigen Bestimmungen erlassen hat, die aktuell dafür eingesetzt werden, die Opposition und die Akteure der Zivilgesellschaft weiter einzuschränken und die freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit zu behindern;
F. in der Erwägung, dass die Justiz in Russland in einem entsetzlichen Zustand ist, die Richter weder unabhängig noch unparteiisch sind und die Rechte der Angeklagten nahezu vollständig missachtet werden;
G. in der Erwägung, dass sich das Wrack und die Flugdatenschreiber des polnischen Regierungsflugzeugs vom Typ Tu-154, das im April 2010 in der Nähe von Smolensk abgestürzt ist, wobei der Präsident Polens, hochrangige Politiker und Militärangehörige und prominente Kulturschaffende zu Tode kamen, immer noch im Besitz Russlands befinden; in der Erwägung, dass die staatlichen Stellen Russlands sich trotz zahlreicher diesbezüglicher Appelle weigern, sie an Polen zurückzugeben;
H. in der Erwägung, dass sich die Russische Föderation als Vollmitglied des Europarates und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu den Grundsätzen der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte bekannt hat;
I. in der Erwägung, dass die Staatsorgane Russlands ihre Massenüberwachungsprogramme ausweiten, mit denen der russischen Staatsführung ein sehr wirksames Mittel an die Hand gegeben wird, mit dem Oppositionelle überwacht und unterdrückt werden können;
1. verurteilt den Mord an Boris Nemzow auf das Schärfste und weist darauf hin, dass dieser Mord nur ein weiterer Fall in einer Reihe politisch motivierter Morde in Russland ist, mit denen Kritiker von Präsident Wladimir Putin und andere führende Oppositionspolitiker in Russland zum Schweigen gebracht werden;
2. fordert eine internationale Untersuchung des Mordes an Boris Nemzow, da die Verantwortlichen offenbar nur so zur Rechenschaft gezogen werden können; hebt hervor, dass sowohl die Umstände als auch der Ort des Mordes – eine Gegend in Moskau, die ständig von besonders geschulten Sicherheitskräften überwacht wird – darauf hindeuten, dass bestens ausgebildete Spezialisten an dem Mord beteiligt waren;
3. stellt fest, dass die Staatsorgane Russlands die Verhaftung von vier Verdächtigen tschetschenischer Herkunft bekannt gegeben haben;
4. fordert die Regierung Russlands auf, die Rechte aller Bürger auf Ausübung ihrer Grundfreiheiten zu achten, zu denen das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und die universellen Menschenrechte zählen;
5. erachtet es als wichtig, dass Russland seine internationalen rechtlichen Verpflichtungen als Mitglied des Europarates und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die grundlegenden Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) verankert sind, uneingeschränkt einhält;
6. stellt mit Entsetzen fest, dass es immer noch keine Fortschritte dabei gibt, die Verantwortlichen für den Tod von Personen wie Sergei Magnitski zur Rechenschaft zu ziehen; fordert den Rat nachdrücklich auf, die Empfehlung des Parlaments vom Oktober 2012, in der gezielte Sanktionen der EU gegen diejenigen, die als Verantwortliche für den Tod von Sergei Magnitski ermittelt worden sind, und gegen weitere Personen, die in schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind, gefordert werden, zu prüfen und auf diese Empfehlung zu reagieren;
7. fordert die sofortige Freilassung von Nadija Sawtschenko und anderen illegal in Russland inhaftierten Staatsangehörigen der Ukraine und von EU-Mitgliedstaaten;
8. fordert die russischen Justiz- und Strafverfolgungsorgane auf, ihre Aufgaben unparteiisch und unabhängig wahrzunehmen;
9. betont, dass nach Artikel 31 der russischen Verfassung und nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, zu deren Unterzeichnern Russland gehört, was die russische Staatsführung dazu verpflichtet, sie einzuhalten, in der Russischen Föderation Versammlungsfreiheit besteht;
10. fordert die staatlichen Stellen Russlands auf, das Wrack des polnischen Regierungsflugzeugs vom Typ Tu‑154 und alle Flugdatenschreiber dieses Flugzeugs unverzüglich an Polen zurückzugeben; betont, dass jegliche unparteiischen und aufrichtigen Ermittlungen durch das Ausmaß der Abhängigkeit der russischen Justiz von der Staatsführung untergraben werden; fordert nach Maßgabe der Beschlüsse und Maßnahmen, die nach dem Abschuss des Flugs MH17 der Malaysian Airlines getroffen wurden, internationale und unabhängige Ermittlungen zu den Ursachen des Absturzes des polnischen Regierungsflugzeugs vom Typ Tu‑154;
11. fordert die Präsidenten des Rates und der Kommission sowie die Vizepräsidentin der Kommission / Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik auf, alle Fälle politisch motivierter Verfolgung auch künftig genau zu beobachten, sie in unterschiedlichen Formaten und Treffen mit Russland zur Sprache zu bringen und dem Parlament über den Austausch mit den russischen Stellen zu berichten;
12. fordert den Rat auf, eine einheitliche Politik gegenüber Russland auszuarbeiten, auf deren Grundlage die 28 Mitgliedstaaten und die Organe der EU dazu verpflichtet sind, eine deutliche gemeinsame Position dazu zu vertreten, welche Bedeutung Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in den Beziehungen zwischen der EU und Russland zukommt und dass das scharfe Vorgehen gegen die freie Meinungsäußerung, die Versammlungs- und die Vereinigungsfreiheit in Russland beendet werden muss;
13. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission / Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Europarat, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P7_TA(2013)0446.
- [2] Angenommene Texte, P8_TA(2014)0039.