ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu der Ermordung des russischen Oppositionsführers Boris Nemzow und dem Zustand der Demokratie in Russland
9.3.2015 - (2015/2592(RSP))
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Cristian Dan Preda, Elmar Brok, Jacek Saryusz-Wolski, Sandra Kalniete, Gabrielius Landsbergis, David McAllister, Tunne Kelam, Eduard Kukan, Gunnar Hökmark, Jerzy Buzek, Michael Gahler, Andrej Plenković, Jaromír Štětina, Andrey Kovatchev, Luděk Niedermayer, Michaela Šojdrová, Ivan Štefanec, Michał Boni, Jiří Pospíšil, Pavel Svoboda, Davor Ivo Stier, József Nagy im Namen der PPE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B8-0239/2015
B8‑0252/2015
Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Ermordung des russischen Oppositionsführers Boris Nemzow und dem Zustand der Demokratie in Russland
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Russland, insbesondere die Entschließung vom 23. Oktober 2014 zur Schließung der nichtstaatlichen Organisation „Memorial“[1],
– unter Hinweis auf die Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (HR/VP), Federica Mogherini, vom 28. Februar 2015 zur Ermordung von Boris Nemzow,
– unter Hinweis auf die Erklärung der HR/VP vom 4. März 2015 zur andauernden Inhaftierung von Nadija Sawtschenko,
– unter Hinweis auf die Konsultationen zwischen der EU und Russland vom 28. November 2013 über Menschenrechtsthemen,
– unter Hinweis auf das derzeit geltende Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit (PKA) zur Gründung einer Partnerschaft zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Russischen Föderation andererseits sowie auf die ausgesetzten Verhandlungen über ein neues Abkommen zwischen der EU und Russland,
– gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Boris Nemzow, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident der Russischen Föderation, ehemaliger Gouverneur von Nischni Nowgorod und einer der führenden Vertreter der liberalen und demokratischen Opposition Russlands, zwei Tage vor einer für den 1. März 2015 angesetzten Demonstration gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und den Konflikt in der Ukraine, die er organisierte, ermordet wurde; in der Erwägung, dass Boris Nemzow in den Wochen vor seiner Ermordung die Beteiligung Russlands am Konflikt im Donezbecken untersuchte und beabsichtigte, einen Bericht über seine Ergebnisse zu veröffentlichen; in der Erwägung, dass fünf Männer wegen der Ermordung von Boris Nemzow verhaftet wurden, es jedoch nicht klar ist, ob einer von ihnen die tödlichen Schüsse abgefeuert hat; in der Erwägung, dass die russischen Regierungsstellen einigen Mitgliedern des Europäischen Parlaments und einer Reihe nationaler Delegationen die Einreise in die Russische Föderation verweigerten, so dass sie der Beerdigung von Boris Nemzow nicht beiwohnen konnten;
B. in der Erwägung, dass die HR/VP, Federica Mogherini, am 28. Februar 2015 erklärte, dass „sich Boris Nemzow entschlossen für eine moderne, wohlhabende, demokratische und weltoffene Russische Föderation einsetzte“;
C. in der Erwägung, dass die Russische Föderation als Vollmitglied des Europarates und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und als Unterzeichnerstaat der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an die universellen Grundsätze der Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Grundfreiheiten und Menschenrechte gebunden ist; in der Erwägung, dass Russland aufgrund einer Reihe schwerwiegender Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und angesichts der Tatsache, dass das Land in den letzten Jahren restriktive Gesetze mit mehrdeutigen Bestimmungen erlassen hat, die dazu verwendet werden, die Opposition und die Akteure der Zivilgesellschaft weiter einzuschränken und die freie Meinungsäußerung sowie die Versammlungsfreiheit zu behindern, sowohl seine internationalen als auch seine nationalen Verpflichtungen missachtet hat;
D. in der Erwägung, dass sich die Menschenrechtslage in Russland in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert hat; in der Erwägung, dass einigen Vertretern der EU aus scheinbar willkürlichen Gründen die Einreise nach Russland untersagt wird; in der Erwägung, dass die russischen Regierungsstellen einigen Mitgliedern des Europäischen Parlaments und einer Reihe nationaler Delegationen die Einreise in die Russische Föderation verweigerten, so dass sie der Beerdigung von Boris Nemzow nicht beiwohnen konnten;
E. in der Erwägung, dass es immer wichtiger wird, gegenüber Russland eine vereinte, entschlossene, kohärente und umfassende EU-Politik zu verfolgen, die von allen Mitgliedstaaten mitgetragen wird und in deren Rahmen Hilfe und Unterstützung angeboten werden, gleichzeitig aber auch entschiedene und faire Kritik auf der Grundlage der universellen Werte, zu deren Einhaltung sich sowohl die EU als auch Russland verpflichtet haben, geübt wird;
F. in der Erwägung, dass der russische Oppositionsführer Alexei Nawalny am 19. Februar 2015 wegen der Verteilung von Flugblättern zur Ankündigung einer bevorstehenden Demonstration zu einer 15-tägigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde; in der Erwägung, dass am 30. Dezember 2014 ein Gericht eine dreieinhalbjährige Bewährungsstrafe gegen ihn verhängt und seinen Bruder, Oleg Nawalny, zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt hat;
G. in der Erwägung, dass am 4. März 2015 ein Moskauer Gericht eine weitere Beschwerde, die Nadija Sawtschenko aufgrund ihrer unrechtmäßigen Inhaftierung durch die Russische Föderation unter Bezugnahme auf ihre Immunität als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) eingereicht hatte, abgelehnt hat; in der Erwägung, dass sich Nadija Sawtschenko am 4. März 2015 bereits seit 82 Tagen im Hungerstreik befand, und in der Erwägung, dass sie sich nach einem derart langen Zeitraum mit der Gefahr bleibender gesundheitlicher Schäden und sogar des Todes konfrontiert sieht;
H. in der Erwägung, dass seit der Verschleppung des estnischen Polizeibeamten Eston Kohver vom Hoheitsgebiet Estlands nach Russland durch die russischen Sicherheitskräfte, was eine Verletzung des Völkerrechts darstellt, bereits sechs Monate vergangen sind; in der Erwägung, dass er weiterhin unrechtmäßig im Lefortowo-Gefängnis in Moskau inhaftiert ist; in der Erwägung, dass er nicht in den Genuss eines angemessenen Rechtsbeistands kommt, ihm das Recht auf ein faires Verfahren verwehrt wird und er sich einer ungerechtfertigten psychiatrischen Untersuchung unterziehen musste, zu der keine weiteren Angaben bekannt sind;
I. in der Erwägung, dass der Europäische Fonds für Demokratie auf die Förderung der Vielfalt der russischsprachigen Medien ausgerichtet ist, und in der Erwägung, dass der Fonds zusammen mit seinen Partnern neue Initiativen im Bereich der Medien entwickeln soll;
1. ist zutiefst entsetzt über die Ermordung von Boris Nemzow, die den bedeutendsten politischen Mord in der jüngsten Geschichte Russlands darstellt, bei dem er in der Nähe des Kremls in einem mit Überwachungskameras und von Polizei- und Sicherheitskräften gesicherten Bereich erschossen wurde;
2. spricht Boris Nemzow, dem bekannten Oppositionsführer, dem Gründer und Leiter der politischen Bewegung Solidarnost, einem führenden Kritiker von Präsident Wladimir Putin und des Krieges in der Ukraine, einem Mann von ungeheurem Mut und großer Entschlossenheit, der während seiner politischen Laufbahn stets ehrlich und aufrichtig war und sein Leben einem demokratischeren, wohlhabenderen und offeneren Russland sowie einer starken Partnerschaft zwischen Russland und seinen Nachbarstaaten und Partnern verschrieb, seine Anerkennung aus;
3. spricht der Familie und den Freunden von Boris Nemzow sowie den Mitgliedern der Opposition und der russischen Bevölkerung sein tiefstes Mitgefühl aus; verurteilt den Beschluss der russischen Staatsführung, eine Reihe von Diplomaten der EU und nationaler Delegationen davon abzuhalten, an seiner Beerdigung teilzunehmen, wodurch die Bemühungen der EU, den mutigen russischen Bürgern, die sich für universelle Werte einsetzen, Anerkennung zu zollen, behindert wurden;
4. fordert die Durchführung einer unabhängigen internationalen Untersuchung des Mordes; vertritt die Auffassung, dass die im Rahmen der OSZE, des Europarates und der Vereinten Nationen zur Verfügung stehenden Instrumente zu einer unparteiischen und gerechten Untersuchung beitragen würden;
5. fordert den Rat, die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, bei der Ausarbeitung ihrer künftigen Politik gegenüber Russland der Tatsache Rechnung zu tragen, dass das politische Klima, für das die russischen Behörden verantwortlich sind, den idealen Nährboden für derartige Morde, Gewaltverbrechen und repressive Maßnahmen darstellt;
6. bekundet ernsthafte Besorgnis über das politische Regime Russlands, das sich zunehmend durch die Ausübung von Unterdrückung und Terroranschläge innerhalb Russlands und durch Kriegs- und Gewaltverbrechen außerhalb seiner Grenzen auszeichnet;
7. fordert die russischen Regierungsstellen auf, dem beschämenden Propaganda- und Informationskrieg gegen die Nachbarstaaten Russlands, die westliche Welt und die Bevölkerung des Landes ein Ende zu setzen, angesichts dessen Russland sich zu einem Land des Terrors und der Angst entwickelt, in dem sich die nationalistische Euphorie aus der Annexion der Krim und einem eskalierenden Krieg in der Ukraine nährt und der Kreml Hass und Gewalt schürt; verurteilt den neuen Propagandakrieg, der gegen demokratische und grundlegende Werte geführt wird, die der russischen Zivilgesellschaft als Fremdkörper vorgestellt werden; bekräftigt, dass sich die Europäische Union und die Russische Föderation in zahlreichen internationalen Erklärungen und Verträgen zum Schutz der universellen demokratischen Werte und der Grundrechte verpflichtet haben;
8. bekundet ernsthafte Besorgnis über die Ermordungen und die systematische Einschüchterung und Schikanierung von Mitgliedern der Opposition, Journalisten und Personen, die Kritik an den Machthabern üben, zu denen Anna Politkowskaja, die freimütige Journalistin, die 2006 in Moskau ermordet wurde, und Natalja Estemirowa, die Menschenrechtsaktivisten, die 2009 in der Tschechischen Republik verschleppt und erschossen wurde, gehören, und über die unaufhörlichen Angriffswellen gegen unabhängige Menschenrechtsorganisationen und Gruppen der Zivilgesellschaft in Russland; bedauert die Festnahme von Olexij Hontscharenko, eines Mitglieds der Werchowna Rada der Ukraine und der PACE, am 1. März 2015;
9. bekundet seine tiefe Besorgnis über die Missachtung der internationalen rechtlichen Verpflichtungen durch Russland, die ihm als Mitglied der Vereinten Nationen, des Europarates und der OSZE erwachsen, und die Nichteinhaltung der grundlegenden Menschenrechte und des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit; vertritt die Auffassung, dass die Russische Föderation den Verpflichtungen, die sie eingegangen ist, nachkommen sollte; bedauert die Tatsache, dass die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass sich Russland in eine Richtung bewegt, die einer funktionierenden Demokratie, die sich durch die Achtung der Opposition, den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz eines Landes auszeichnet, zuwiderläuft;
10. fordert die russischen Behörden auf, sämtliche politischen Gefangenen, einschließlich Oleg Nawalnys, unverzüglich freizulassen;
11. fordert die russischen Regierungsstellen auf, Nadija Sawtschenko, die der Werchowna Rada der Ukraine und der PACE angehört und auf dem Hoheitsgebiet der Ukraine entführt wurde und unrechtmäßig in einem russischen Gefängnis inhaftiert ist, unverzüglich freizulassen; betont, dass Russland die Verantwortung für ihren ausgesprochen schlechten Gesundheitszustand trägt;
12. fordert die unverzügliche Freilassung des estnischen Polizeibeamten Eston Kohver und seine sichere Rückkehr nach Estland;
13. erklärt, dass eine wirkliche Unterstützung für Russland darin besteht, die russischen Demokraten zu unterstützen, die sich für Würde und ein auf Werte gestütztes Russland einsetzen und daher unsere uneingeschränkte Solidarität verdienen;
14. hält das Europäische Parlament dazu an, eine Liste der nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisationen, die in der Russischen Föderation und auf der von Russland besetzten Krim tätig sind, zu erstellen und diese Organisationen zu unterstützen;
15. fordert die HR/VP und die Kommission auf, ein stärkeres Programm zur Unterstützung der russischen Zivilgesellschaft zu entwickeln und neue Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit mit ihr zu ermitteln und herauszuarbeiten mit dem Ziel, die demokratischen Werte, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit zu fördern;
16. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, dem Europarat, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P8_TA(2014)0039.