ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu dem Thema „Migration und Flüchtlinge in Europa“
7.9.2015 - (2015/2833(RSP))
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Guy Verhofstadt, Cecilia Wikström, Angelika Mlinar, Gérard Deprez, Filiz Hyusmenova, Louis Michel, Frédérique Ries, Ramon Tremosa i Balcells, Marielle de Sarnez, Hilde Vautmans, Marian Harkin im Namen der ALDE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B8-0832/2015
B8-0834/2015
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Thema „Migration und Flüchtlinge in Europa“
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948,
– unter Hinweis auf die Genfer Konvention von 1951 und ihr Zusatzprotokoll,
– unter Hinweis auf den Bericht der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) vom April 2012 über Maßnahmen zur verbesserten Steuerung der Migrationsströme,
– unter Hinweis auf den Bericht des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für die Menschenrechte von Migranten vom April 2013 über den Grenzschutz an den Außengrenzen der Europäischen Union und dessen Auswirkungen auf die Menschenrechte von Migranten,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 9. Oktober 2013 zu Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten zur Bewältigung des Zustroms von Flüchtlingen infolge des Konflikts in Syrien[1],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 23. Oktober 2013 zu den Flüchtlingswellen im Mittelmeerraum, insbesondere den tragischen Ereignissen vor Lampedusa[2],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 17. Dezember 2014 zur Lage im Mittelmeerraum und die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes der EU für Migration[3],
– unter Hinweis auf den Zehn-Punkte-Aktionsplan zu Fragen der Migration des gemeinsamen Rates der Außen- und Innenminister vom 20. April 2015,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen der Sondersitzung des Rates der Europäischen Union zur Flüchtlingskrise im Mittelmeer vom 23. April 2015,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 30. April 2015 zu den jüngsten Tragödien im Mittelmeer und zur Migrations- und Asylpolitik der EU[4],
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 13. Mai 2015 mit dem Titel „Die europäische Migrationsagenda“ (COM(2015)240 final),
– gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass nach Daten des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) die Zahl der Anträge auf internationalen Schutz im Juli 2015 in den Mitgliedstaaten der EU und in Norwegen und der Schweiz 123 294 betrug und somit erstmals über 100 000 lag und insgesamt 28 % höher war als im Juni 2015[5];
B. in der Erwägung, dass im Juli 2015 die Anzahl der Anträge auf internationalen Schutz, die von Syriern und Syrierinnen gestellt wurden, um 59 % zunahm, die Zahl der afghanischen Antragsteller von Juni bis Juli 2015 um 44 % zunahm und die Zahl der albanischen Antragsteller um 33 % zunahm;
C. in der Erwägung, dass der Sommer 2015 zeigte, dass Migration kein vorübergehendes Thema ist, da die weltweiten Entwicklungen, die zu einem akutem Anstieg der Flüchtlingszahlen geführt haben, sich wegen der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten und in den afrikanischen Länder südlich der Sahara sowie wegen des zunehmenden Klimawandels voraussichtlich fortsetzen werden;
D. in der Erwägung, dass nach Statistiken der Frontex aus 2015 die Mehrheit der Flüchtlinge in der EU vor Konflikt und Verfolgung in Syrien, Eritrea, Afghanistan und Irak fliehen; in der Erwägung, dass mehr als zwei Drittel von ihnen ein Recht auf Asyl oder subsidiären Schutz haben;
E. in der Erwägung, dass in Untersuchungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) darauf hingewiesen wird, dass Europa das gefährlichste Ziel für Migranten ohne geregelten Status[6] ist, wodurch einmal mehr deutlich wird, dass alles getan werden muss, um Menschen in Gefahr vor dem Tod zu retten und internationale Schutzverpflichtungen zu erfüllen;
F. in der Erwägung, dass Personen gemäß der Genfer Konvention von 1951 ungeachtet ihres Herkunftsstaats aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung in einem anderen Land Asyl beantragen können;
G. in der Erwägung, dass die Regierungschefs der EU-Staaten während der Tagung des Europäischen Rates vom 25 bis 26. Juni in Brüssel keine Einigung über verbindliche Mechanismen für die Umsiedlung und Neuansiedlung von Flüchtlingen erzielten;
H. in der Erwägung, dass Flüchtlinge betreffende Vorfälle im Sommer 2015 in zahlreichen Mitgliedstaaten deutlich machten, dass es an Koordinierung und kohärenten Maßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten fehlt; in der Erwägung, dass fehlende Koordinierung und ein Ansatz „spontanen Feuerlöschens“ zu Chaos und einer Verschlechterung dieser kritischen Situation geführt haben;
I. in der Erwägung, dass diese Entschließung eine Antwort auf die erhebliche Zunahme der Zahl der Menschen ist, die internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten suchen, die im Sommer 2015 zu beobachten war; in der Erwägung, dass sich der strategische Bericht des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres über einen ganzheitlichen Ansatz für Migration mit der Asyl- und Migrationspolitik der EU in all ihren Aspekten befassen wird;
1. bekundet tiefe Trauer und Bedauern angesichts der wiederkehrenden tragischen Todesfälle unter den Menschen, die in der EU Asyl suchen; fordert die EU und die Mitgliedstaaten auf, alles in ihren Kräften stehende zu tun, um weitere Todesfälle zu verhindern;
2. befürwortet erneut seine Entschließung vom 30. April 2015 zu den jüngsten Tragödien im Mittelmeer und zur Migrations- und Asylpolitik der EU; fordert den Rat und die Kommission nachdrücklich auf, diese Entschließung und die Arbeit am strategischen Bericht des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres über einen ganzheitlichen Ansatz für Migration als Grundlage für eine umfassende und globale Lösung, die sowohl Wirtschaftsmigration als auch Asylpolitik umfasst, zu verwenden;
3. bekräftigt, dass die Reaktion der EU auf die aktuelle Flüchtlingssituation – wie in Artikel 80 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorgesehen – auf Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten basieren muss und dass die EU einen umfassenden europäischen Ansatz verfolgen muss;
4. bedauert, die von einigen Mitgliedstaaten eingeleiteten Maßnahmen gegen Gruppen von Asylsuchenden und die Tatsache, dass der Europäische Rat die von der Kommission bereits ergriffenen Initiativen nicht umgesetzt hat, die auf die Schaffung eines glaubwürdigen, EU-weit verbindlichen Mechanismus der Solidarität unter den Mitgliedstaaten ins Leben gerufen hat, der ein obligatorisches Neuansiedlungsprogramm und Notfall-Umsiedlungen unter den Mitgliedstaaten umfassen würde;
5. lobt das Engagement der Bürger, die aktiv wurden, um die Menschen, die internationalen Schutz in der EU suchen, zu begrüßen und ihnen zu helfen;
6. nimmt die Verwendung von Beschlüssen des Rates zur Kenntnis, um Maßnahmepläne für Notfall-Umsiedlungen derjenigen anzunehmen, die internationalen Schutz bedürfen,
7. fordert die Kommission erneut auf, die bestehende Dublin-Verordnung zu ändern und ein dauerhaftes, verbindliches System zur Verteilung der Asylsuchenden auf die 28 Mitgliedstaaten aufzunehmen, und zwar mithilfe eines obligatorischen Verteilungsschlüssels, der sowohl auf quantitativen als auch auf qualitativen Daten basiert, und unter Berücksichtigung der Aussichten auf Integration;
8. erinnert daran, dass das Recht, einen Asylantrag zu stellen, ein grundlegendes Menschenrecht ist, das durch das Völkerrecht und internationale Verpflichtungen garantiert wird, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind; ist besorgt über Vorschläge der Kommission und Mitgliedstaaten, bestimmte Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten zu definieren, was verhindern könnte, dass Bürger dieser Drittstaaten individuelle Asylanträge stellen;
9. fordert die unverzügliche Schaffung von legalen und sicheren Wegen in die EU durch Maßnahmen wie die Ausgabe von humanitären Visa in den Botschaften und konsularischen Vertretungen der EU in Drittstaaten und umfassende Umsiedlungspläne; fordert die Kommission auf, die Überarbeitung der Richtlinie 2011/51/EG in Betracht zu ziehen, um die sichere Einreise von Asylsuchenden in die EU zu gewährleisten;
10. verweist darauf, dass Migration ein komplexes globales Phänomen ist, das auch eine langfristige Strategie erfordert, die sich mit ihren Ursachen, wie etwa Armut, Ungleichheit, Ungerechtigkeit und bewaffneten Konflikten befasst; betont, dass ein umfassender Ansatz der EU notwendig ist, durch den die Kohärenz zwischen ihrer Innen- und Außenpolitik gestärkt wird, insbesondere was ihre Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, ihre Entwicklungspolitik und ihre Migrationspolitik betrifft;
11. fordert den Rat und die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, zu handeln, um eine umfassende und globale Lösung anzustoßen; weist darauf hin, dass der Zweck dieser Entschließung die Umsetzung der bereits von der Kommission angekündigten Initiativen ist, um die Solidarität und die Teilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern;
12. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P7_TA(2013)0414.
- [2] Angenommene Texte, P7_TA(2013)0448.
- [3] Angenommene Texte, P8_TA(2014)0105.
- [4] Angenommene Texte, P8_TA(2015)0176.
- [5] Jüngste Trends im Bereich Asyl, EASO, Juli 2015.
- [6] http://missingmigrants.iom.int/en/latest-global-figures