Entschließungsantrag - B8-1364/2015Entschließungsantrag
B8-1364/2015

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zum 20. Jahrestag des Friedensabkommens von Dayton

9.12.2015 - (2015/2979(RSP))

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Jiří Maštálka, Sofia Sakorafa im Namen der GUE/NGL-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B8-1362/2015

Verfahren : 2015/2979(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B8-1364/2015
Eingereichte Texte :
B8-1364/2015
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Angenommene Texte :

B8-1364/2015

Entschließung des Europäischen Parlaments zum 20. Jahrestag des Friedensabkommens von Dayton

(2015/2979(RSP))

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Bosnien und Herzegowina,

–  gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass die Auflösung Jugoslawiens in einen blutigen Krieg und eine ausländische Intervention auf dem Westbalkan mündete; in der Erwägung, dass die Entwicklungen auf dem Westbalkan zu der Zeit auch das Unvermögen der EU, ihrer Mitgliedstaaten und der internationalen Gemeinschaft insgesamt widerspiegelten, eine Politik zur Verhütung solcher Krisen zu gestalten;

B.  in der Erwägung, dass durch das Abkommen von Dayton zwar der Krieg beendet, der Konflikt zwischen den Serben, Kroaten und Bosniern im Lande jedoch eher auf Eis gelegt denn gelöst wurde; in der Erwägung, dass das durch das Abkommen von Dayton geschaffene politische System die ethnischen Spaltungen verfestigt und die Beschlussfassung komplizierter gemacht hat;

C.  in der Erwägung, dass Fortschritte im Land durch die übermäßig komplexe und ineffiziente institutionelle Architektur, das Fehlen einer gemeinsamen Vision und eines gemeinsamen politischen Willens sowie ethnozentrische Einstellungen ernsthaft beeinträchtigt wurden; in der Erwägung, dass der langanhaltende politische Stillstand ein ernsthaftes Hindernis für die Stabilisierung und Entwicklung des Landes darstellt und den Bürgern dadurch eine sichere und von Wohlstand geprägte Zukunft verwehrt wird;

D.  in der Erwägung, dass Bosnien und Herzegowina, um funktionieren zu können, weiterhin von ausländischer Hilfe abhängig ist; in der Erwägung, dass über 50 % der Staatseinnahmen Bosnien und Herzegowinas für die Aufrechterhaltung der Verwaltung auf zahlreichen Ebenen eingesetzt werden; in der Erwägung, dass Bosnien und Herzegowina andererseits eine der höchsten Jugendarbeitslosenquoten in Europa aufweist (59 % der erwerbstätigen Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 24 Jahren);

E.  in der Erwägung, dass die politischen Spannungen zwischen den beiden Entitäten und den drei ethnischen Gemeinschaften weiter anhalten und für das Funktionieren von Bosnien und Herzegowina kontraproduktiv sind; in der Erwägung, dass sich diese Spannungen in der Arbeit der Justiz des Landes widerspiegeln, die hinsichtlich der Gerichtsprozesse gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher und der Verkündung endgültiger Urteile nicht ihre volle Wirkung entfalten kann; in der Erwägung, dass das größte Hindernis für die wirksame Verfolgung von Kriegsverbrechen in Bosnien und Herzegowina die komplizierte und bruchstückhafte Gesetzgebung ist;

F.  in der Erwägung, dass nicht zugelassen werden darf, dass sich Kriegsverbrecher dem Zugriff der Justiz entziehen; in der Erwägung, dass die Beendigung der Straflosigkeit für Kriegsverbrechen eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass die Menschen in Bosnien und Herzegowina wieder Vertrauen in ihr Justizsystem gewinnen;

G.  in der Erwägung, dass Bosnien und Herzegowina immer noch ein internationales Protektorat ist; in der Erwägung, dass der Hohe Repräsentant der Vereinten Nationen für Bosnien und Herzegowina über weitreichende Befugnisse – auch legislative und administrative Befugnisse – verfügt; in der Erwägung, dass sich die Politiker in Bosnien und Herzegowina so der politischen Eigenverantwortung und Rechenschaftspflicht entziehen können;

H.  in der Erwägung, dass die meisten bosnischen Politiker und ausländischen Amtsträger sich nunmehr darüber einig sind, dass das Abkommen von Dayton mittlerweile überholt ist; in der Erwägung, dass die vom Staatspräsidium von Bosnien und Herzegowina beschlossene, von den führenden Politikern aller Parteien unterzeichnete und vom Parlament am 23. Februar 2015 gebilligte schriftliche Verpflichtung, Maßnahmen zu ergreifen, um die Funktionstüchtigkeit und Effizienz der Institutionen herzustellen, Reformen auf allen Regierungsebenen durchzuführen, die Aussöhnung voranzutreiben und die Verwaltungskapazitäten zu stärken, zwar einen Schritt in Richtung Verfassungsreform bedeutet, jedoch bislang noch keine spürbaren Ergebnisse gezeitigt hat;

I.  in der Erwägung, dass Bosnien und Herzegowina mit Herausforderungen wie der Flüchtlingskrise, dem organisierten Verbrechen (insbesondere Drogen- und Menschenhandel) und religiösem Extremismus konfrontiert ist; in der Erwägung, dass immer mehr Asylsuchende in den Ländern des westlichen Balkans festsitzen werden; in der Erwägung, dass dadurch die Gewalt in der Region wahrscheinlich zunehmen wird und dass sich die bereits bestehenden Probleme wie ethnische Spannungen, organisierte Kriminalität und hohe Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten noch weiter verschlimmern könnten;

1.  unterstreicht, dass eine Lösung der Probleme in Bosnien und Herzegowina für die Stabilität und den Wohlstand des Balkanraums von entscheidender Bedeutung ist; betont, dass wirtschaftlicher Wohlstand und gesellschaftliche Stabilität nur möglich sind, wenn sie sich auf eine unabhängige, demokratische und inklusive Gesellschaft bzw. einen unabhängigen, demokratischen und inklusiven Staat stützen; stellt fest, dass eine Verfassungsreform, die auf die Konsolidierung, Vereinfachung und Stärkung des durch das Abkommen von Dayton geschaffenen institutionellen Gefüges abzielt, weiterhin der Schlüssel für die Umwandlung von Bosnien und Herzegowina in einen effizienten, inklusiven und voll funktionsfähigen Staat ist; legt allen führenden Politikern in Bosnien und Herzegowina und der Völkergemeinschaft nahe, die notwendigen Änderungen herbeizuführen und sich auch mit der Frage der kostspieligen und komplizierten Verwaltungsstrukturen auseinanderzusetzen, die zu einer Überschneidung der Zuständigkeiten des Zentralstaats, der Entitäten, der Kantone und der Kommunen führen;

2.  betont, dass eine wirkliche Eigenverantwortung der Bevölkerung in Bosnien und Herzegowina für den Reformprozess von entscheidender Bedeutung ist; fordert daher die sofortige Aufnahme von Verhandlungen zur Beendigung des Protektoratsstatus von Bosnien und Herzegowina;

3.  fordert die politischen Kräfte auf allen politischen Ebenen des Landes dringend zur Verstärkung der Zusammenarbeit und des Dialogs auf, um die bestehenden Unstimmigkeiten zu überwinden; begrüßt die von den führenden Politikern aller Parteien eingegangene und vom Parlament gebilligte Verpflichtung zur Einleitung von Reformen auf allen Regierungsebenen und zur Beschleunigung der Aussöhnung; fordert, dass diese Prozesse transparent vonstatten gehen und dass alle darin einbezogen werden;

4.  hält es für wesentlich, die Rolle der Zivilgesellschaft in politischen Prozessen zu stärken, indem sie in die Lage versetzt wird, die Interessen der Bürger, insbesondere der jungen Menschen, zu artikulieren; bedauert, dass der institutionelle Mechanismus für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft nach wie vor schwach ausgeprägt ist und dass dadurch die Entwicklung einer partizipativeren, inklusiveren und aufgeschlosseneren Demokratie landesweit beeinträchtigt wird; fordert daher die Einführung transparenter und inklusiver Mechanismen der öffentlichen Konsultation, in die alle öffentlichen Akteure eingebunden werden, die Schaffung eines Rahmens für die öffentliche Debatte über wichtige Legislativbeschlüsse und die Verabschiedung einer nationalen Strategie für die Zivilgesellschaft;

5.  fordert die Entitäten und das gesamtstaatliche Justizsystem auf, Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen und den Erwartungen hunderttausender Opfer des Krieges in Bosnien und Herzegowina gerecht zu werden, die auf eine Erleichterung des Aussöhnungsprozesses und des friedlichen Zusammenlebens aller drei Volksgruppen im gesamten Staatsgebiet von Bosnien und Herzegowina hoffen;

6.  fordert eine Abkehr von der nationalistischen und ethnozentrischen Rhetorik aus der Führungsriege der drei Volksgruppen in Bosnien und Herzegowina; verurteilt jegliche Form von Segregation und Diskriminierung in einem Land aus religiösen oder ethnischen Gründen;

7.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, dem Staatspräsidium von Bosnien und Herzegowina, dem Ministerrat von Bosnien und Herzegowina, der Parlamentarischen Versammlung von Bosnien und Herzegowina sowie den Regierungen und Parlamenten der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und den Regierungen der zehn Distrikte/Kantone von Bosnien und Herzegowina zu übermitteln.