Entschließungsantrag - B8-0054/2016Entschließungsantrag
B8-0054/2016

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Unterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien

14.1.2016 - (2015/3033(RSP))

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Ernest Urtasun, Barbara Lochbihler, Ulrike Lunacek, Tamás Meszerics, Molly Scott Cato, Jordi Sebastià, Igor Šoltes, Josep-Maria Terricabras, Bodil Valero im Namen der Verts/ALE-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B8-0041/2016

Verfahren : 2015/3033(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B8-0054/2016
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B8-0054/2016

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien

(2015/3033(RSP))

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf seine zahlreichen Entschließungen zur Lage in Kolumbien, einschließlich der Menschenrechtslage in Kolumbien, und auf die Entschließungen zur Unterstützung früherer Friedensprozesse,

–  unter Hinweis auf die besonderen Beziehungen zwischen der EU und Kolumbien auf politischer und handelspolitischer Ebene sowie im Bereich der Zusammenarbeit,

–  unter Hinweis auf die in Havanna über die umfassende Landreform, über politische Beteiligung und eine demokratische Öffnung für den Friedensprozess sowie über die Lösung des Problems der illegalen Drogen, die Rechte der Opfer und ein ganzheitliches Justizsystem erzielten Einigungen,

–  unter Hinweis auf Ziffer 44 der Botschaft der Delegation des EP in der Parlamentarischen Versammlung Europa-Lateinamerika (EuroLat) an das zweite Gipfeltreffen CELAC-EU in Brüssel über die Beendigung des innerstaatlichen Konflikts zwischen der Regierung Kolumbiens und den FARC sowie auf die zum Abschluss des Gipfeltreffens am 11. Juni 2015 verabschiedete Brüsseler Erklärung,

–  unter Hinweis auf die Erklärung der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Federica Mogherini, vom 24. September 2015 zur Vereinbarung über die Übergangsjustiz in Kolumbien und ihre Erklärung vom 1. Oktober 2015 zur Ernennung von Eamon Gilmore zum EU-Sonderbeauftragten für den Friedensprozess in Kolumbien,

–  gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass die politischen Dialogbeziehungen zwischen der EU und Kolumbien auf dem Grundsatz der gegenseitigen Achtung im Sinne der Vereinbarung vom 28. November 2009 sowie – seit seiner Aufnahme im Jahr 2009 – auf einem politischen Dialog über Menschenrechte basieren;

B.  in der Erwägung, dass es seit 2013 einen Rahmen für eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU und Kolumbien in den Bereichen Wirtschaft und Handel gibt, der mit dem Handelsabkommen zwischen Kolumbien und Peru sowie der EU und ihren Mitgliedstaaten – das eine Menschenrechtsklausel (Artikel 1) enthält – und insbesondere mit dessen Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung eingeführt wurde;

C.  in der Erwägung, dass im Anschluss an die Unterzeichnung der Allgemeinen Vereinbarung über die Beendigung des Konflikts und den Aufbau eines stabilen und dauerhaften Friedens am 19. November 2012 in Havanna (Kuba) der Dialog zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC aufgenommen und somit dem Wunsch des kolumbianischen Volkes, in Frieden zu leben, entsprochen wurde, und in der Erwägung insbesondere, dass die gesamte Bevölkerung in den Friedensprozess eingebunden werden muss, dass der Staat verpflichtet ist, die Menschenrechte auf seinem gesamten Hoheitsgebiet zu fördern, und dass eine ausgewogene wirtschaftliche und soziale Entwicklung einerseits den Frieden sicherstellt und andererseits eine unabdingbare Voraussetzung für ein inklusives und nachhaltiges Wachstum des Landes ist;

D.  in der Erwägung, dass die Verhandlungsführer in Havanna Einigungen über eine neue Landverteilung in Kolumbien und eine umfassende Landreform, über politische Beteiligung und eine demokratische Öffnung für den Friedensprozess sowie über die Lösung des Problems illegaler Drogen erzielt haben;

E.  in der Erwägung, dass die kolumbianische Regierung und die FARC am 15. Dezember 2015 den Abschluss eines Abkommens mit Blick auf die Opfer des Konflikts mit dem Titel „Ganzheitliches System der Wahrheit, Gerechtigkeit, Entschädigung und Nichtwiederholung“ angekündigt haben, das eine Friedensgerichtsbarkeit und eine Verpflichtung zur Einhaltung der Menschenrechte umfasst; in der Erwägung, dass mit diesem Abkommen die Kommission für Wahrheitsfindung, Zusammenleben und Nichtwiederholung, die Sondereinheit für die Suche von Personen, die aufgrund des Konflikts und im Zusammenhang mit ihm vermisst werden, und die Einheit für die Untersuchung und Auflösung krimineller Organisationen, die die Nachfolge des Paramilitarismus angetreten haben, eingesetzt werden;

F.  in der Erwägung, dass dieses Abkommen einen bedeutenden Fortschritt beim Aufbau eines stabilen und dauerhaften Friedens darstellt, mit dem alle Opfer des Konflikts nicht nur in ihrer Eigenschaft als Opfer, sondern auch und in erster Linie als Bürger mit Rechten anerkannt werden, zu denen insbesondere das Recht gehört, an der Wahrheitsfindung mitzuwirken und für die während des bewaffneten, sozialen und politischen Konflikts erlittenen Schäden entschädigt zu werden;

G.  in der Erwägung, dass es in Kolumbien keine Garantien für den Schutz der Menschenrechte gibt und dass dies insbesondere für diejenigen gilt, die Gebiete vor Projekten der Agrarwirtschaft und der Bergbauindustrie schützen wollen;

H.  in der Erwägung, dass der organisierten Zivilgesellschaft im Friedensprozess eine wichtige Rolle zukommt, da sie Menschenrechtsorganisationen, Frauenorganisationen, ländliche Gemeinschaften, afrokolumbianische Gemeinschaften und indigene Völker zusammenführt, die eine Vielzahl von Initiativen und Vorschlägen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene ausgearbeitet haben;

I.  in der Erwägung, dass der Prozess des Aufbaus eines stabilen und dauerhaften Friedens in Kolumbien, der über die Beilegung eines innerstaatlichen Konflikts, der über 50 Jahre lang andauerte und Millionen Opfer forderte, hinausgeht, in erster Linie für Kolumbien, aber auch für die Europäische Union und die internationale Gemeinschaft eine Priorität darstellt, wie aus den zahlreichen Erklärungen verschiedener Länder sowie regionaler und internationaler Organisationen – darunter auch der Europäischen Union – zur Unterstützung des Friedensprozesses hervorgeht;

1.  begrüßt die bislang erzielten Vereinbarungen, die einen entscheidenden Schritt hin zur Unterzeichnung eines endgültigen Friedensabkommens darstellen;

 

2.  verurteilt sämtliches durch den Konflikt verursachtes Leid und ist der Ansicht, dass diese Einigungen einen entscheidenden Schritt hin zur Unterzeichnung eines Abkommens über einen stabilen und dauerhaften Frieden darstellen, das einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt, der ein halbes Jahrhundert lang andauerte, ein Ende setzt, und insbesondere dem Recht der Opfer des Konflikts auf eine vollständige, tatsächliche und faire Entschädigung für die erlittenen körperlichen, seelischen und materiellen Schäden Rechnung trägt sowie sicherstellt, dass sich der Konflikt nicht wiederholt;

 

3.  weist auf die bedeutenden politischen Bemühungen, den Realitätssinn und die Beharrlichkeit sowohl der kolumbianischen Regierung als auch der FARC hin, die ihre entgegengesetzten Standpunkte angenähert und nach und nach einen Raum für Kompromisse geschaffen haben, mit dem es möglich war, in den Verhandlungen voranzuschreiten;

 

4.  bekundet seine uneingeschränkte Unterstützung für die laufenden Verhandlungen, in denen schnellstmöglich eine endgültige Vereinbarung über einen Waffenstillstand und die Einstellung aller Kampfhandlungen erzielt werden soll; fordert die politischen Kräfte Kolumbiens in diesem Sinne auf, sich darum zu bemühen, einen Konsens über diese Vereinbarung zu erzielen;

 

5.  fordert eine Ausweitung des laufenden Prozesses auf die Nationale Befreiungsarmee (ELN) oder gegebenenfalls die Aufnahme eines parallelen Verhandlungsprozesses, der nach vergleichbaren Bedingungen durchgeführt wird, mit der Begründung, dass ein dauerhafter Frieden ohne die Einbeziehung sämtlicher Konfliktparteien nicht möglich ist;

 

6.  begrüßt außerdem die Einigung zu Punkt 5 (Opfer) der Agenda der Allgemeinen Vereinbarung zwischen der kolumbianischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC), die die Einsetzung der Kommission für Wahrheitsfindung, Zusammenleben und Nichtwiederholung und der Sondereinheit für die Suche von Personen, die aufgrund des Konflikts und im Zusammenhang mit ihm vermisst werden, die Friedensgerichtsbarkeit, konkrete Wiedergutmachungsmaßnahmen und Garantien für die Nichtwiederholung sowie die Einsetzung der Einheit für die Untersuchung und Auflösung krimineller Organisationen, die die Nachfolge des Paramilitarismus angetreten haben, umfasst;

 

7.  stellt zufrieden fest, dass sich das Friedensabkommen an das internationale Strafrecht, das humanitäre Völkerrecht und die im Bereich der Menschenrechte gültigen internationalen Instrumente und Standards anlehnt, da Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und schwere Kriegsverbrechen von der Amnestie bzw. einer Begnadigung ausgeschlossen sind; weist darauf hin, dass die multilateralen Menschenrechtsgremien und der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) gemäß dem bestehenden Völkerrecht für die Überwachung der Einhaltung des Völkerrechts zuständig sind;

 

8.  hält es für geboten, dass wirksame Strukturen eingeführt werden, mit denen der Zusammenhang zwischen Verbrechen und dem bewaffneten Konflikt beurteilt werden kann, sodass nichtpolitische Straftaten, die in keinerlei Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt stehen, nicht in den Zuständigkeitsbereich der Sondergerichtsbarkeit fallen;

 

9.  begrüßt die über die Einsetzung einer Kommission für Wahrheitsfindung, Zusammenleben und Nichtwiederholung erzielte Einigung, bei der es sich um ein unabhängiges, unparteiisches und außergerichtliches Instrument für die wahrheitsgetreue Aufarbeitung der historischen Fakten, das der Stimme der Opfer Gehör verschafft, handelt, da sich nur dann eine versöhnliche Zukunft einstellen kann sowie die Rechte aller Opfer gewahrt und tragfähige Garantien dafür gegeben werden können, dass sich der Konflikt nicht wiederholt, wenn die Vergangenheit objektiv aufgearbeitet und jegliche Verantwortung übernommen wird;

 

10.  erkennt ferner die wichtige Rolle von Kuba und Norwegen als Garanten und von Chile und Venezuela als Begleiter des Friedensprozesses an;

 

11.  begrüßt den Beschluss der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Kommission, Federica Mogherini, vom 1. Oktober 2015, den ehemaligen stellvertretenden Regierungschef und früheren Außen- und Handelsminister der Republik Irland, Eamon Gilmore, zum Sonderbeauftragten der Europäischen Union für den Friedensprozess in Kolumbien zu ernennen; verpflichtet sich, sämtliche Bemühungen zu unternehmen, die erforderlich sind, damit dem neuen Sonderbeauftragten schnellstmöglich die für die erfolgreiche Erfüllung seiner wichtigen Aufgabe notwendigen Haushaltsmittel zur Verfügung stehen; ersucht den Sonderbeauftragten, mit beiden Seiten und mit der organisierten Zivilgesellschaft in Kolumbien Kontakt aufzunehmen;

 

12.  bekräftigt seine Bereitschaft, die Umsetzung des endgültigen Friedensabkommens mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen, und fordert die Mitgliedstaaten der Europäischen Union erneut auf, einen Treuhandfonds für die Zeit nach dem Konflikt einzurichten; vertritt die Auffassung, dass dieser Fonds von beiden Parteien gemeinsam verwaltet werden sollte und dass die Gemeinschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft direkten Zugang zum Fonds haben sollten, wodurch die vorrangigen Forderungen der Opfer nach Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung mit Blick auf die Schaffung eines stabilen und dauerhaften Friedens eingehalten würden;

 

13.  weist erneut darauf hin, dass Gewalt kein legitimes Mittel im politischen Kampf ist, und fordert diejenigen, die dieser Ansicht sind, auf, den Weg der Demokratie mit all seinen Auswirkungen und Anforderungen zu beschreiten und als ersten Schritt ihre Waffen endgültig niederzulegen; fordert in diesem Sinne, dass das Recht der Opposition geachtet wird, ihrer politischen Arbeit nachzugehen, ohne – wie in der Vergangenheit – systematisch verfolgt zu werden;

 

14.  fordert erneut das politische System Kolumbiens und seine Institutionen im ganzen Land auf, dafür zu sorgen, dass die Menschenrechte vollumfänglich und dauerhaft eingehalten werden; ist der Auffassung, dass in einem Land, in dem fünfzig Jahre Konflikt in manchen staatlichen Institutionen bisweilen ungesetzliche Reaktionen sowie Gewohnheiten und Verhaltensweisen hervorgerufen haben, die nicht mit der Rechtsstaatlichkeit und der gebotenen Achtung der Menschenrechte in Einklang zu bringen sind, Gewalt ausnahmslos beseitigt werden muss; fordert in diesem Zusammenhang, dass Menschenrechtsaktivisten in Kolumbien geschützt und das Recht auf Vereinigungsfreiheit wie auch das Recht auf friedliche Demonstrationen gewährleistet werden; bekräftigt, dass – wie aus mehreren Berichten der Vereinten Nationen hervorgeht – das Recht auf friedliche Proteste und das Recht auf kollektive Meinungsäußerung Eckpfeiler einer freien und demokratischen Gesellschaft sind[1];

 

15.  weist auf die wichtige Rolle hin, die dem Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte bei der Beobachtung der Menschenrechtslage in Kolumbien im Anschluss an die Unterzeichnung der Friedensvereinbarungen zukommen wird;

 

16.  fordert die Republik Kolumbien auf, der nachfolgenden Empfehlung des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte nachzukommen und die paramilitärischen Gruppen aufzulösen: „Die Reaktion eines Staates auf Gewaltakte von Gruppen, die nach der Demobilisierung tätig werden und mit der organisierten Kriminalität in Verbindung stehen, sollte nach einem umfassenden Ansatz erfolgen, der der polizeigeführten öffentlichen Sicherheit, der rechtlichen Bekämpfung der Straflosigkeit und der Verpflichtung von Beamten zur Vorbeugung von Korruption und Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung Rechnung trägt“;

 

17.  fordert die Republik Kolumbien auf, keine Rechtsvorschriften zu erlassen, die den Verhandlungen in Havanna zuwiderlaufen, und den Nationalen Entwicklungsplan an die erzielten Vereinbarungen sowie die Schaffung von Frieden auf territorialer Ebene anzupassen und dabei das Recht auf vorherige Konsultation zu achten und die Bedingungen für die Rückkehr von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen und die Rückgabe von Land zu gewährleisten;

 

18.  verpflichtet sich zur Einsetzung einer gemischten parlamentarischen Gruppe zur Beobachtung der Umsetzung der erzielten Vereinbarungen und der Menschenrechtslage in Kolumbien in dieser so wichtigen Zeit nach dem Konflikt;

 

19.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem amtierenden Ratsvorsitz der EU, der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der Parlamentarischen Versammlung Europa-Lateinamerika sowie der Regierung und dem Kongress der Republik Kolumbien zu übermitteln.