ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu dem vom IS verübten systematischen Massenmord an religiösen Minderheiten
27.1.2016 - (2016/2529(RSP))
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Fabio Massimo Castaldo, Ignazio Corrao, Isabella Adinolfi, Rolandas Paksas im Namen der EFDD-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B8-0149/2016
B8-0162/2016
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem vom IS verübten systematischen Massenmord an religiösen Minderheiten
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf die Artikel 2, 3 und 21 Absatz 1 des EUV,
– unter Hinweis auf Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948,
– unter Hinweis auf Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950,
– unter Hinweis auf Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) von 1966,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Überzeugung von 1981,
– unter Hinweis auf die Konvention der Vereinten Nationen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948,
– unter Hinweis auf das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, insbesondere auf die Artikel 5 und 14,
– unter Hinweis auf die Intervention der EU im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vom 25. März 2015 (interaktiver Dialog über den Bericht des Amtes des Hohen Kommissars für Menschenrechte zum Irak),
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 16. März 2015 zur EU‑Regionalstrategie für Syrien und Irak sowie zur Bewältigung der Bedrohung durch ISIL/Da'esh, vom 20. Oktober 2014 zur ISIL/Da‘esh‑Krise in Syrien und Irak, vom 30. August 2014 zum Irak und zu Syrien, vom 14. April 2014 und 12. Oktober 2015 zu Syrien und vom 15. August 2014 zu Irak,
– unter Hinweis auf den Beschluss 2002/495/JI des Rates, der durch den Beschluss 2003/335/JI des Rates vom 8. Mai 2003 betreffend die Ermittlung und Strafverfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen bekräftigt wurde,
– unter Hinweis auf die Leitlinien der EU zur Förderung und zum Schutz der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, die Leitlinien der EU zur Förderung der Einhaltung der Normen des humanitären Völkerrechts, die Leitlinien der EU betreffend Gewalt gegen Frauen und die Bekämpfung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die Leitlinien für die Politik der Europäischen Union gegenüber Drittländern betreffend Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und die Leitlinien der EU zum Thema Kinder und bewaffnete Konflikte,
– unter Hinweis auf die Erklärungen der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zum Irak und zu Syrien und auf ihre Antworten auf die parlamentarischen Anfragen zu „Genocide of Greek Orthodox Christians in Syria“ (Völkermord an griechisch‑orthodoxen Christen in Syrien) (E‑004733/2015) vom 1. Juni 2015, zu „Iraq – Christians martyred and robbed of their belongings“ (Irak – gemarterte und ausgeplünderte Christen) (E‑004152‑15) vom 30. Juni 2015, zu „Persecution and genocide of Christians“ (Verfolgung von und Völkermord an Christen) (P‑012721/2015) vom 30. Oktober 2015, zu „Abduction of Christians in Syria“ (Entführung von Christen in Syrien) (E‑004156‑15) und zu „Safeguarding Christian communities in the Middle East“ (Schutzmaßnahmen für Christengemeinden im Nahen Osten) (E‑004001/15) jeweils vom 10. November 2015,
– unter Hinweis auf die Gemeinsame Mitteilung der Kommission und der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik an das Europäische Parlament und den Rat mit dem Titel „Elemente einer EU‑Regionalstrategie für Syrien und Irak sowie zur Bewältigung der Bedrohung durch Da’esh“,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen vom 27. Februar 2014 zur Lage im Irak[1], vom 18. September 2014 zur Lage im Irak und in Syrien sowie zur IS‑Offensive, einschließlich der Verfolgung von Minderheiten[2] (insbesondere Ziffer 4), vom 27. November 2014 zum Irak: Entführung und Misshandlung von Frauen[3], vom 12. Februar 2015 zu der humanitären Krise im Irak und in Syrien, insbesondere vor dem Hintergrund der Aktivitäten des IS[4] (insbesondere Ziffer 27), vom 12. März 2015 zu insbesondere gegen Assyrer gerichteten Angriffen und Entführungen durch ISIS/Da’ish in jüngster Zeit im Nahen Osten[5] (insbesondere Ziffer 2), vom 12. März 2015 zu dem Jahresbericht 2013 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt und die Politik der Europäischen Union in diesem Bereich[6] (insbesondere Ziffer 129 und 211), vom 12. März 2015 zu den Prioritäten der EU für den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im Jahr 2015[7] (insbesondere Ziffer 66 und 67), vom 30. April 2015 zu der Verfolgung von Christen in der Welt, in Verbindung mit der Ermordung von Studenten in Kenia durch die Terrorgruppe Al‑Schabab[8] (insbesondere Ziffer 10), und vom 30. April 2015 zur Zerstörung von Kulturstätten durch den ISIS/Da‘isch[9],
– unter Hinweis auf die Erklärung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 25. Februar 2015, in der die Entführung von über 100 Assyrern durch den IS verurteilt wird,
– unter Hinweis auf die am 27. März 2015 im Namen der Europäischen Union von Stavros Lambrinidis, EU‑Sonderbeauftragter für Menschenrechte, abgegebene Erklärung anlässlich der offenen Debatte des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen über das Thema „Opfer von Angriffen und Menschenrechtsverletzungen aus ethnischen oder religiösen Gründen im Nahen Osten“,
– unter Hinweis auf die Resolution 2199 (2015) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch von Al‑Qaida begangene terroristische Handlungen,
– unter Hinweis auf die Resolution 2249 (2015), in der die kurz zuvor vom IS begangenen terroristischen Anschläge verurteilt werden,
– unter Hinweis auf die Resolution S‑22/1 des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen vom 3. September 2014 zur Menschenrechtslage im Irak angesichts der von dem so genannten Islamischen Staat im Irak und in der Levante und von mit ihm verbündeten Gruppen begangenen Menschenrechtsverletzungen,
– unter Hinweis auf das Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Februar 2007 in der Rechtssache betreffend die Anwendung der Konvention der Vereinten Nationen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (Bosnien und Herzegowina gegen Serbien und Montenegro), das Urteil vom 2. August 2001 der Strafkammer des Internationalen Gerichtshofs zur Verfolgung von Personen, die für schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verantwortlich sind, welche seit 1991 im Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangen wurden, (Anklagebehörde gegen Radislav Krstić) sowie das Urteil vom 19. April 2004 der Berufungskammer dieses Gerichts in derselben Rechtssache,
– unter Hinweis auf den Analyserahmen des Amtes des Sonderberaters der Vereinten Nationen für die Verhütung von Völkermord (OSAPG),
– unter Hinweis auf die am 12. August 2014 abgegebene Erklärung des Sonderberaters des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für die Verhütung von Völkermord und des Sonderberaters des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für die Schutzverantwortung zur Lage im Irak,
– unter Hinweis auf die Berichte der Hilfsmission der Vereinten Nationen für Irak (UNAMI) über den Schutz von Zivilpersonen im bewaffneten Konflikt in Irak, bezogen auf den Zeitraum vom 11. September bis 10. Dezember 2014 bzw. vom 11. Dezember 2014 bis 30. April 2015,
– unter Hinweis auf den Bericht des Amts des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom 27. März 2015 über die Menschenrechtslage in Irak im Lichte der vom sogenannten Islamischen Staat im Irak und in der Levante und von mit ihm verbündeten Gruppen begangenen Menschenrechtsverletzungen, insbesondere auf Ziffer 16 über vom IS begangene Vergehen und Angriffe gegen religiöse und ethnische Gruppen,
– unter Hinweis auf die am 13. Oktober 2015 abgegebene Erklärung des Sonderberaters des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für die Verhütung von Völkermord und des Sonderberaters des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für die Schutzverantwortung zur Zunahme der Anstachelung zur Gewalt aus religiösen Gründen in Syrien,
– unter Hinweis auf den Bericht des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom 27. Juli 2015 über technische Hilfe zur Unterstützung der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte im Irak, insbesondere Ziffer 18,
– unter Hinweis auf den Bericht der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission für die Arabische Republik Syrien, der am 13. August 2015 im Menschenrechtsrat vorgestellt wurde, insbesondere die Ziffern 165 bis 173,
– gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der IS weiterhin systematisch und großräumig Menschenrechtsverletzungen begeht, die insbesondere gegen Minderheitengruppen wie Jesiden, Christen, Turkmenen, Schiiten, Schabak, Sabier/Mandäer, Kaka'i und Kurden gerichtet sind; in der Erwägung, dass die Gewalttaten des IS nicht auf Menschen begrenzt sind, sondern sich auch auf die Zerstörung von religiösen Heiligtümern und archäologischen Funden erstrecken;
B. in der Erwägung, dass die Förderung der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten zu den Grundprinzipien und Zielen der Europäischen Union gehören und eine gemeinsame Grundlage für ihre Beziehungen mit Drittstaaten bilden; in der Erwägung, dass der Wille, zu verhindern, dass es erneut zu Kriegen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit kommt, einer der zentralen Faktoren ist, durch die die europäische Integration vorangebracht wird;
C. in der Erwägung, dass gemäß den internationalen Menschenrechtsnormen und Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte jedermann das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat, das die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit umfasst, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden; in der Erwägung, dass dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen zufolge alle Formen des Glaubens, d. h. auch theistische, nichttheistische und atheistische Überzeugungen, durch die Religions- bzw. Glaubensfreiheit geschützt sind;
D. in der Erwägung, dass der IS in den von ihm kontrollierten Gebieten eine Kampagne eingeleitet hat, mit der alle Spuren der Religions- und Glaubensgemeinschaften beseitigt werden sollen, die nicht die Auslegung des Islam durch den IS vertreten, und in der Erwägung, dass dies durch die Tötung oder Vertreibung der Anhänger dieser Religions- und Glaubensgemeinschaften sowie die Zerstörung ihrer heiligen und historischen Stätten sowie ihrer Artefakte erfolgt, zu denen auch von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärtes einzigartiges und unersetzbares Erbe gehört;
E. in der Erwägung, dass der IS wahllos Christen, Jesiden, Turkmenen, Schiiten, Schabak, Sabier/Mandäer, Kaka'i, Kurden und weitere ethnische und religiöse Minderheiten angreift und er es hierbei auf ihre völlige physische und kulturelle Auslöschung in den von ihm kontrollierten Gebieten absieht;
F. in der Erwägung, dass sich Extremismus und die anhaltende Verfolgung von Minderheiten immer deutlicher als wesentliche Faktoren der zunehmenden Massenmigration und Binnenvertreibung herausbilden; in der Erwägung, dass über 700 000 der 1,1 Millionen Christen Syriens durch den IS vertrieben wurden und in Syrien höchstens noch 250 000 Christen leben; in der Erwägung, dass von den 1,5 Millionen Christen, die im Jahr 2003 im Irak lebten, noch etwa 250 000 Christen verblieben sind; in der Erwägung, dass Berichten zufolge Christen vom IS gekreuzigt, enthauptet, vergewaltigt und gezwungen werden, zum Islam zu konvertieren, und christliche Kinder versklavt werden;
G. in der Erwägung, dass seit 2014 schätzungsweise 5 000 Jesiden getötet und viele weitere gefoltert oder gezwungen wurden, zum Islam zu konvertieren; in der Erwägung, dass mindestens 2 000 Jesidinnen versklavt und zwangsverheiratet wurden sowie Opfer von Menschenhandel geworden sind; in der Erwägung, dass Mädchen, die in einigen Fällen erst sechs Jahre alt waren, vergewaltigt wurden und dass Kinder der Jesiden vom IS als Soldaten zwangsrekrutiert worden sind; in der Erwägung, dass es eindeutige Beweise für Massengräber gibt, in denen vom IS verschleppte Jesiden verscharrt wurden;
H. in der Erwägung, dass der IS in der jüngsten Ausgabe seiner Internetzeitschrift allen schiitischen Muslimen den Krieg erklärt und dazu aufgerufen hat, mit vereinten Kräften sämtliche Schiiten im Nahen Osten auszurotten;
I. in der Erwägung, dass der IS erklärtermaßen ganzen Gruppen der Menschheit das Existenzrecht abspricht; in der Erwägung, dass es eindeutige Beweise für vom IS verübte Massenmorde und die sexuelle Versklavung und systematische Vergewaltigung von Mädchen und Frauen gibt, die der Religionsgemeinschaft der Christen oder Jesiden angehören;
J. in der Erwägung, dass am 15. Juli 2014 die Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für sexuelle Gewalt in Konflikten, Zainab Hawa Bangura, festgestellt hat, dass im Irak ethnische und religiöse Minderheiten ständig Ziele tätlicher Angriffe einschließlich sexueller Gewalt sind; in der Erwägung, dass die Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen am 3. August 2015, dem ersten Jahrestag der Tragödie von Sindschar, festgestellt hat, dass die verübten Verbrechen womöglich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. Völkermord darstellen;
K. in der Erwägung, dass dem Bericht der Hilfsmission der Vereinten Nationen für Irak über den Schutz von Zivilpersonen im bewaffneten Konflikt im Irak (11. Dezember 2014 bis 30. April 2015) zufolge der IS seine Verfolgung fortsetzt und weiterhin Verstümmelungen und Morde begeht, und zwar in extrem brutaler und unvorstellbarer Art und Weise, wobei die Opfer unter anderem Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, Journalisten, Kriegsgefangene und politisch engagierte Menschen sind;
L. in der Erwägung, dass am 13. August 2014 die Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für sexuelle Gewalt in Konflikten, Zainab Hawa Bangura, und der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Irak, Nikolay Mladenov, eine gemeinsame Erklärung herausgaben, in der sie bestätigen, dass etwa 1 500 Christinnen und Jesidinnen vom IS entführt und anschließend zu sexueller Sklaverei gezwungen wurden; in der Erwägung, dass in dieser Erklärung beide Sonderbeauftragten das gezielte Vorgehen gegen Frauen und Kinder und die barbarischen Handlungen, die der IS gegen Minderheiten in den unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten begangen hat, festgestellt haben;
M. in der Erwägung, dass in der Resolution 2249 (2015) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen festgestellt wird, dass die extremistische Gewaltideologie des sogenannten IS, seine terroristischen Handlungen, seine anhaltenden schweren, systematischen und ausgedehnten Angriffe auf Zivilpersonen, seine Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrechts, insbesondere aus religiösen oder ethnischen Beweggründen, seine Zerstörung von Kulturerbe und sein illegaler Handel mit Kulturgut eine weltweite und beispiellose Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen;
N. in der Erwägung, dass Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, wo und wann immer sie verübt werden, nicht ungestraft bleiben dürfen und dass ihre wirksame Verfolgung durch Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene und durch verstärkte internationale Zusammenarbeit gewährleistet werden muss;
O. in der Erwägung, alle EU-Mitgliedstaaten gemäß dem Gemeinsamen Standpunkt 2003/444/GASP des Rates vom 16. Juni 2003 zusammenzuarbeiten müssen, um diese Straftaten zu verhüten und der Straffreiheit, die die Täter genießen, ein Ende zu setzen;
P. in der Erwägung, dass die internationale juristische Definition von Völkermord gemäß Artikel II der VN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 folgende Worte enthält: „eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; (d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“; in der Erwägung, dass gemäß Artikel III dieser Konvention nicht nur Völkermord zu bestrafen ist, sondern Verschwörung zur Begehung von Völkermord, unmittelbare und öffentliche Anstiftung zur Begehung von Völkermord und Teilnahme am Völkermord;
Q. in der Erwägung, dass laut Ziffer 580 des Urteils vom 2. August 2001 der Strafkammer des Internationalen Gerichtshofs zur Verfolgung von Personen, die für schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verantwortlich sind, welche seit 1991 im Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangen wurden, in der Rechtsache „Anklagebehörde gegen Radislav Krstić“ in Bezug auf den Völkermord von Srebrenica „gleichzeitige Angriffe auf kulturelle und religiöse Güter und Symbole der betroffenen Gruppe ebenfalls [...] als rechtmäßiger Beweis für die Absicht, diese Gruppe zu vernichten, betrachtet werden können“;
R. in der Erwägung, dass es in dem Urteil vom 19. April 2004 der Berufungskammer des Internationalen Gerichtshofs zur Verfolgung von Personen, die für schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verantwortlich sind, welche seit 1991 im Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangen wurden, in der Rechtsache „Anklagebehörde gegen Radislav Krstić“ in Bezug auf den Völkermord von Srebrenica heißt: „die numerische Größe des betroffenen Teils der Gruppe ist der notwendige und wichtige Ausgangspunkt einer Untersuchung, jedoch nicht in allen Fällen ihr Endpunkt. Die Zahl der Betroffenen sollte nicht nur in absoluten Zahlen bewertet werden, sondern auch in Relation zur Gesamtzahl der ganzen Gruppe. Zusätzlich zu der numerischen Größe des betroffenen Teils kann es auch von Nutzen sein, ihre Bedeutung innerhalb der Gruppe zu berücksichtigen. Wenn ein bestimmter Teil der Gruppe sinnbildlich für die ganze Gruppe steht oder von wesentlicher Bedeutung für ihr Überleben ist, kann dies die Erkenntnis unterstützen, dass dieser Teil wesentlich im Sinne von Artikel 4 ist“;
1. ist angesichts der brutalen Handlungen der Extremisten des IS schockiert und betroffen, die sich gegen Christen, Jesiden, Turkmenen, Schiiten, Schabak, Sabier/Mandäer, Kaka'i, Kurden und andere ethnische und religiöse Minderheiten richten, und bekundet seine Solidarität mit den Menschen, die unter der Verfolgung durch den IS leiden;
2. verurteilt aufs Schärfste den IS und die von ihm begangenen ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen und ist äußerst besorgt über die gezielten Angriffe dieser terroristischen Gruppe gegen alle religiösen Minderheiten in dem von ihr kontrollierten Gebiet, als Teil ihrer Versuche, ganze Gruppen von Menschen auszulöschen und ihre Identität zu zerstören; bekräftigt, dass diejenigen, die Gräueltaten und Verbrechen gemäß dem internationalen Strafrecht an
ethnischen und religiösen Minderheiten (darunter Christen, Jesiden, Turkmenen, Schabak, Sabier/Mandäer, Kaka'i und Kurden) begehen oder zu begehen versuchen bzw. planen, Beihilfe dazu leisten oder zu diesem Zweck konspirieren, und die dies vorsätzlich aus ethnischen oder religiösen Gründen tun, dann Verbrechen verüben, die womöglich Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord sind;
3. würdigt und unterstützt das unveräußerliche Recht aller indigenen ethnischen und religiösen Minderheiten und anderer im Irak und in Syrien lebender Gruppierungen, weiterhin in Würde, unter gleichen Bedingungen und in Sicherheit in ihren historischen und traditionellen Heimatgebieten zu leben und ungehindert und ohne jeden Zwang, Anwendung von Gewalt oder Diskriminierung ihre Religion auszuüben, und verlangt von allen Seiten die Achtung dieses Rechts;
4. betont, dass nach den Bestimmungen der Übereinkommen der Vereinten Nationen und anderer völkerrechtlicher Übereinkommen keiner der Täter straffrei ausgehen darf, was auch für diejenigen gilt, die diese Taten begangen oder zu begehen versucht bzw. geplant, dazu angestiftet oder zu diesem Zweck konspiriert haben, und dass die Verantwortlichen vor die zuständigen nationalen oder internationalen Gerichte zu stellen sind; fordert alle Vertragsparteien der Konvention der Vereinten Nationen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 und anderer internationaler Übereinkommen zur Verhinderung und Bestrafung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord und insbesondere die zuständigen Organe von Ländern (und deren Staatsbürger), die in irgendeiner Weise diese Verbrechen unterstützen, finanzieren, daran beteiligt oder mitschuldig sind, dazu auf, ihren rechtlichen Verpflichtungen aufgrund der Konvention und anderer internationaler Abkommen in vollem Umfang nachzukommen;
5. weist mit Nachdruck darauf hin, dass die rechtzeitige Verhütung und die wirksame Bestrafung von Völkermorden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu den vorrangigsten Anliegen der internationalen Gemeinschaft und der Europäischen Union gehören sollten; ist der Auffassung, dass angesichts des Leids und der massenhaften Abwanderung von autochthonen Bevölkerungsgruppen jeder Art aus diesem Raum eine klare und eindeutige Stellungnahme aller führenden Politiker und aller Religionsführer dieses Raums zwingend notwendig ist;
6. fordert alle Regierungen und öffentlichen Organe einschließlich der EU (insbesondere des Rates und des EAD) und ihrer Mitgliedstaaten, die Vereinten Nationen und ihren Generalsekretär, die Sonderbeauftragten und Sonderberichterstatter, den Hohen Kommissar der VN für Menschenrechte sowie alle internationalen Gremien und Institutionen und deren Führungspersonen und Vertreter auf, die vom sogenannten IS an Christen, Jesiden, Turkmenen, Schabak, Sabiern/Mandäern, Kaka'i, Kurden und anderen einheimischen religiösen Minderheiten verübten Gräueltaten bei ihrem rechtmäßigen Namen zu nennen und als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Völkermord“ zu bezeichnen;
7. gibt seiner festen Überzeugung Ausdruck, dass die vom IS verübten Gräueltaten der Definition des Völkermords gemäß den Artikeln 2 und 3 der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes und Artikel 6 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs entsprechen; betont, dass Völkermord jede Handlung ist, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten; betont, dass auch die Vernichtung lediglich eines Teils einer Gruppe wegen ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit Völkermord ist; betont, dass nach diesen Definitionen ein Akt des Völkermords nicht notwendigerweise den Tod eines Angehörigen einer Gruppe verursachen muss, weil die Herbeiführung schwerer körperlicher oder seelischer Schmerzen einschließlich Traumata, Folter, Vergewaltigung, sexuelle Gewalt und Verstümmelung sowie die Verschleppung von Kindern ebenfalls als Handlungen des Völkermords gelten, wenn sie im Rahmen einer Politik begangen werden, die die Existenz einer Gruppe vernichten soll; betont, dass bereits die Verschwörung, die unmittelbare und öffentliche Aufhetzung, Versuche zur Verübung von Völkermord und die Mittäterschaft bei Völkermord den Tatbestand des Völkermords erfüllen, selbst wenn noch kein Massenmord begonnen worden ist;
8. ist der Überzeugung, dass der Internationale Strafgerichtshof am besten in der Lage ist, Verfahren gegen die für die genannten Verbrechen verantwortlichen Personen einzuleiten, in Anbetracht der mangelnden Bereitschaft oder Unfähigkeit des syrischen und des irakischen Staates, ernst zu nehmende Ermittlungen und Strafverfolgung vorzunehmen, obwohl sie in erster Linie dafür zuständig wären;
9. fordert angesichts des Umstands, dass Syrien und der Irak nicht Vertragsstaaten des IStGH sind, eine Befassung des Hofs durch den Sicherheitsrat der VN aufgrund von Artikel 13 Buchstabe b des Römischen Statuts, damit der Hof die notwendige Zuständigkeit erhält, über die genannten Verbrechen zu ermitteln und sie zu bestrafen; fordert deswegen den Sicherheitsrat der VN auf, den IStGH unverzüglich mit der Lage in Syrien zu befassen, damit Gerechtigkeit für die Bevölkerung des Landes zumindest in Aussicht gestellt wird; unterstützt die Forderungen des Hohen Kommissars der VN für Menschenrechte, mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen und einer Gruppe von 58 Staaten unter Führung der Schweiz nach einer Befassung durch den Sicherheitsrat;
10. legt allen Mitgliedstaaten und Drittländern nahe, sich öffentlich den Forderungen nach Befassung anzuschließen, und fordert die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates auf, nicht von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen; fordert die Regierungen Syriens und des Iraks auf, sich verstärkt darum zu bemühen, die Verfolgung und Entführung der Angehörigen von Minderheiten zu verhindern, weil das in erster Linie in ihrer Verantwortung liegt;
11. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, das Problem der zwiespältigen Rolle bestimmter Staaten in dem Konflikt in Angriff zu nehmen, insbesondere, wenn diese Staaten aktiv oder passiv zum Aufstieg des IS und anderer extremistischer Gruppen beigetragen haben oder noch immer beitragen; fordert insbesondere die benachbarten Staaten, auch die Türkei, auf, eine hilfreiche Rolle im Kampf gegen den IS einzunehmen und unverzüglich den aus Syrien fliehenden Angehörigen ethnischer und religiöser Minderheiten die Möglichkeit zu geben, ihre Grenze zu überqueren und Zuflucht zu suchen;
12. weist erneut darauf hin, dass umfangreiche internationale Anstrengungen notwendig sind, um die humanitären Verhältnisse für Menschen in den Konfliktgebieten zu verbessern, und verlangt die Einrichtung humanitärer Korridore, über die die Bedürftigsten erreicht werden können; fordert die Union und ihre Mitgliedstaaten auf, weiterhin humanitäre Hilfe zu leisten, sich dabei an unabhängigen Bedarfsermittlungen zu orientieren und ein unparteiisches Vorgehen anzustreben;
13. fordert den Rat und den EAD auf, gemeinsam mit internationalen und regionalen Partnern die Arbeit an einem Szenario für die Zeit nach der Zerschlagung des IS zu beginnen;
14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem EU-Sonderbeauftragten für Menschenrechte, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Regierung und dem Parlament von Syrien, der Regierung und dem Repräsentantenrat des Irak, der Regionalregierung Kurdistans, den Organen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC), dem Kooperationsrat der Arabischen Golfstaaten (Golf-Kooperationsrat), dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, der Generalversammlung der Vereinten Nationen, dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P8_TA(2014)0011.
- [2] Angenommene Texte, P8_TA(2014)0027.
- [3] Angenommene Texte, P8_TA(2014)0066.
- [4] Angenommene Texte, P8_TA(2015)0040.
- [5] Angenommene Texte, P8_TA(2015)0071.
- [6] Angenommene Texte, P8_TA(2015)0076.
- [7] Angenommene Texte, P8_TA(2015)0079.
- [8] Angenommene Texte, P8_TA(2015)0178.
- [9] Angenommene Texte, P8_TA(2015)0179.