ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage in Eritrea
2.3.2016 - (2016/2568(RSP))
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Marie-Christine Vergiat, Patrick Le Hyaric, Barbara Spinelli, Stelios Kouloglou, Kostadinka Kuneva, Kostas Chrysogonos im Namen der GUE/NGL-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B8-0318/2016
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Intoleranz und der Diskriminierung aufgrund von Religion und Glauben von 1981,
– unter Hinweis auf das Genfer Abkommen von 1951 und den Pakt von New York von 1967,
– unter Hinweis auf den Bericht des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen vom Mai 2014 zur Lage der Menschenrechte in Eritrea,
– unter Hinweis auf das überarbeitete Cotonou-Abkommen und dessen Demokratie- und Menschenrechtsklausel,
– unter Hinweis auf die Migrationsrouten-Initiative EU-Horn von Afrika, die am 28. November 2014 gestartet wurde,
– gestützt auf Artikel 21 des Vertrags über die Europäische Union,
– gestützt auf Artikel 208 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf den Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik vom Dezember 2005,
– unter Hinweis auf das Abschlussdokument des Vierten Hochrangigen Forums über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zur Partnerschaft für wirksame Entwicklungszusammenarbeit (Dezember 2011),
– unter Hinweis auf die Erklärung der Sprecherin des EAD vom September 2014 zu den politischen Gefangenen in Eritrea,
– gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Eritrea nach einem dreißig Jahre andauernden Krieg 1993 von Äthiopien unabhängig wurde; in der Erwägung, dass Schätzungen zufolge während des Grenzkriegs mit Äthiopien in den Jahren 1998–2000 zwischen 54 000 und 137 000 Personen ums Leben kamen;
B. in der Erwägung, dass Eritrea eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt ist; in der Erwägung, dass mehr als die Hälfte (61 %) der etwa 6 Millionen Einwohner Eritreas im Alter von 25 Jahren oder jünger sind; in der Erwägung, dass Eritrea auf dem Index der menschlichen Entwicklung Platz 186 von 188 belegt; in der Erwägung, dass 69,0 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben;
C. in der Erwägung, dass Eritrea ernsthaft durch den Klimawandel bedroht ist, der dramatische Folgen nach sich ziehen kann, was die Ernährung, den Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung, die Gesundheit und Wohnmöglichkeiten betrifft;
D. in der Erwägung, dass in Eritrea seit 1993 keine demokratischen Wahlen mehr abgehalten wurden; in der Erwägung, dass die 1996 ratifizierte Verfassung Eritreas niemals umgesetzt wurde und das Land sich seit 2001 allmählich in eine Diktatur verwandelt hat; in der Erwägung, dass im Januar 2013 nach einer „Revolte der Exilopposition, die als gescheiterter Putsch dargestellt wurde“, eine neue Welle von Massenfestnahmen eingesetzt hat; in der Erwägung, dass die Abriegelung des Landes dadurch gerechtfertigt wurde;
E. in der Erwägung, dass sämtliche Formen von Widerstand – sowohl im Land als auch außerhalb – von den eritreischen Behörden als Provokation aufgefasst und Einzelpersonen schikaniert, verfolgt und in manchen Fällen mit dem Tod bedroht und ermordet werden;
F. in der Erwägung, dass das Gesetz, nach dessen Maßgabe der Wehrdienst in Eritrea auf höchstens 36 Monate begrenzt wird, keine Anwendung findet; in der Erwägung, dass die Bedingungen im Rahmen des Wehrdienstes denen der Sklaverei ähneln und zu den wichtigsten Gründen gehören, weswegen junge Menschen das Land verlassen;
G. in der Erwägung, dass 305 000 Eritreer oder 5 % der Bevölkerung das Land wegen der gravierenden Menschenrechtslage und einer stagnierenden Wirtschaft verlassen haben; in der Erwägung, dass Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen zufolge von den 200 000 Menschen, die das Mittelmeer 2014 überquert haben, 18 % (oder beinahe einer von fünf) Eritreer waren;
H. in der Erwägung, dass das eritreische Regime mindestens 2 % der Einnahmen der eritreischen Diaspora für eine Erholungs- und Wiederaufbausteuer einfordert; in der Erwägung, dass die eritreische Diaspora regelmäßig Bedrohungen ausgesetzt ist, wozu auch Vergeltungsmaßnahmen gegen deren noch in Eritrea lebenden Familien gehören;
I. in der Erwägung, dass die eritreischen Behörden einem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Menschenrechte die Einreise verweigert haben, der im Oktober 2012 ernannt wurde, um die Gründe für die zunehmende Flucht zu untersuchen; in der Erwägung, dass auch der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Menschenrechte Bedrohungen ausgesetzt war;
J. in der Erwägung, dass der Untersuchungsausschuss der Vereinten Nationen für Eritrea 2015 die Schlussfolgerung gezogen hat, dass die eritreische Regierung in „systematische, weit verbreitete und gravierende Menschenrechtsverletzungen“ verwickelt ist, die vor dem „Hintergrund einer ganz und gar fehlenden Rechtsstaatlichkeit“ begangen werden; in der Erwägung, dass zu den gängigen Formen von Missbrauch in Eritrea Zwangsarbeit während des Wehrdienstes, willkürliche Festnahmen, Haft, außergerichtliche Hinrichtungen und Verschwindenlassen, einschließlich Folter, erniedrigender Behandlung in Gefängnissen, Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Bewegungsfreiheit, Schikanen gegenüber Mitarbeitern der Vereinten Nationen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Journalisten und LGTBI-Personen, sowie die Unterdrückung der Religionsfreiheit gehören, was nach Angaben des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für die Menschenrechtslage in Eritrea als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet werden könnte;
K. in der Erwägung, dass die Menschenrechte universell, unveräußerlich, unteilbar, einander bedingend und miteinander verknüpft sind; in der Erwägung, dass es sich bei der Entwicklung um ein Recht handelt; in der Erwägung, dass die Standards für die Pressefreiheit und die freie Meinungsäußerung nach Aussagen verschiedener nichtstaatlicher Organisationen und des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für die Menschenrechtslage in Eritrea zu den schlechtesten weltweit zählen;
L. in der Erwägung, dass mindestens 21 eritreische Schriftsteller und Journalisten, darunter der schwedisch-eritreische Schriftsteller Dawit Isaak, im September 2001 aus unbekannten Gründen festgenommen wurden und nach wie vor ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Isolationshaft festgehalten werden; in der Erwägung, dass ernsthafte Anschuldigungen erhoben wurden, dass sie inzwischen möglicherweise infolge der entsetzlichen Bedingungen in den eritreischen Gefängnissen ums Leben gekommen seien;
M. in der Erwägung, dass es dem Anschein nach keine zivilgesellschaftlichen Organisationen gibt; in der Erwägung, dass dies bedeutet, dass die Wirksamkeit der internationalen Hilfen für Eritrea unterbrochen ist;
N. in der Erwägung, dass das Horn von Afrika eine wichtige geostrategische Region ist und schon immer war; in der Erwägung, dass heutzutage die gesamte Region destabilisiert wurde; in der Erwägung, dass die Golfstaaten diese Destabilisierung verschärfen, insbesondere vor dem Hintergrund des Kriegs im Jemen; in der Erwägung, dass diese Länder, darunter Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate, privilegierte Beziehungen zu Eritrea unterhalten und logistische Einrichtungen in Eritrea, etwa den Hafen von Assab, für deren Militärinterventionen im Jemen nutzen;
O. in der Erwägung, dass Eritrea von der EU und insbesondere von einigen ihrer Mitgliedstaaten, die Teile der Region kolonisiert hatten, als Land angesehen wird, das für deren geopolitische und wirtschaftliche Interessen strategisch wichtig ist;
P. in der Erwägung, dass internationale Hilfe, darunter Entwicklungshilfe, in erster Linie auf die Bedürfnisse der Bevölkerung, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Achtung der Menschenwürde, die Grundsätze der Gleichheit und der Solidarität sowie die Achtung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts ausgerichtet sein sollten;
Q. in der Erwägung, dass die EU in Eritrea seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1993 Projekte finanziert hat; in der Erwägung, dass Eritrea seine Zusammenarbeit mit der EU 2001 mit der Ausweisung beinahe aller im Land tätigen ausländischen Hilfsorganisationen ausgesetzt hat;
R. in der Erwägung, dass die Minister der EU-28 und verschiedener afrikanischer Staaten, einschließlich Eritrea, sowie die Europäische Union und die Afrikanische Union am 28. November 2015 die Migrationsrouten-Initiative EU-Horn von Afrika, auch bekannt als „Khartum-Prozess“, eingeleitet haben, deren Zweck darin besteht, die Grenzkontrollen der EU zu externalisieren und die Anzahl der sich nach Europa begebenden Migranten einzuschränken, und zwar unter dem Vorwand der Bekämpfung des Menschenhandels und der Schleuserkriminalität; in der Erwägung, dass im Zuge des Khartum-Prozesses das eritreische Regime zudem international legitimiert und finanziell unterstützt wird; in der Erwägung, dass die eritreischen Behörden im Februar angekündigt haben, dass dieses Übereinkommen keine Reform der Politik Eritreas im Bereich des Wehrdienstes zur Folge haben würde;
S. in der Erwägung, dass der Khartum-Prozess von dem italienischen Vorsitz des Rates der EU mit dem Ziel gefördert wurde, dass Menschenhandel, Schleuserkriminalität und die grundlegenden Ursachen der Migration bekämpft werden; in der Erwägung, dass Eritrea als Begünstigter der Maßnahmen aus dem Nothilfe-Treuhandfonds der EU für Afrika infrage kommt und zusätzliche Mittel im Rahmen des Europäischen Instruments für Demokratie und Menschenrechte erhalten kann;
1. vertritt die Überzeugung, dass eine dauerhafte Lösung der Probleme Eritreas nur dadurch herbeigeführt werden kann, indem ein freier, demokratischer und stabiler Staat gefördert wird, in dem die Würde und die Rechte der Menschen gestärkt werden können, die gleichen Rechte für alle Bürger garantiert werden und die Korruption bekämpft wird;
2. verurteilt die zunehmenden systematischen Menschenrechtsverletzungen in Eritrea aufs Schärfste und verurteilt die damit einhergehenden desaströsen Folgen für die eritreische Bevölkerung und die Region insgesamt;
3. verurteilt die systematische Schikanierung von Journalisten und Vertretern der Zivilgesellschaft in Eritrea aufs Schärfste; verurteilt darüber hinaus die systematische Bedrohung der eritreischen Diaspora, zu der auch die Erholungs- und Wiederaufbausteuer zählt;
4. ist besorgt über die überall herrschende Verquickung von Wirtschaft, Politik und Korruption in Eritrea; fordert, dass eine unabhängige internationale Untersuchung durchgeführt wird, was die Verwicklung von EU-Unternehmen in Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in Formen von Sklaverei, betrifft sowie deren stillschweigende Duldung und Unterstützung des eritreischen Regimes;
5. ist zutiefst besorgt angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Lage, in der sich die Bevölkerung Eritreas insgesamt befindet, von der jedoch vor allem Flüchtlinge und Vertriebene betroffen sind, deren Anzahl aufgrund der gravierenden Menschenrechtslage in dem Land selbst und der Spannungen in den Nachbarländern weiter steigen wird;
6. verurteilt den Khartum-Prozess aufs Schärfste, in dessen Rahmen Regierungen legitimiert werden, die selbst die Ursache für Migration bilden; verurteilt die finanzielle Unterstützung der EU für Maßnahmen, deren Ziel darin besteht, die Grenzkontrollen unter dem Vorwand der Bekämpfung des Menschenhandels zu externalisieren und „Informationskampagnen“ aufzulegen, die in Wirklichkeit autoritäre Regime und Diktaturen legitimieren, ohne dass in der Innenpolitik von Ländern wie Eritrea auch nur geringfügige Änderungen vorgenommen würden;
7. verurteilt alle Arten von politischer Konditionalität, darunter die Zusammenarbeit bei der Migrationssteuerung im Rahmen der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA); fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, den Grundsatz der Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung bei all ihren Maßnahmen zugunsten von Eritrea stets wirksam anzuwenden, damit diese in dieselbe Richtung weisen und dem Ziel der Armutsbekämpfung und den Zielen für nachhaltige Entwicklung nicht entgegenlaufen; bedauert die zunehmende Tendenz in der EU-Entwicklungspolitik, sich von geopolitischen und sicherheitspolitischen Interessen sowie von privaten Profitinteressen leiten zu lassen;
8. fordert, die Konzentration auf die Entwicklung und die Art der ODA zu schützen, wozu auch ein transparentes und nachvollziehbares Meldesystem gehört; weist auf die einzigartige Rolle der ODA hin, wenn es darum geht, wirksame Ergebnisse im Bereich der Entwicklung zu erzielen; fordert, dass die EU-Hilfen auf die international vereinbarten Grundsätze einer wirkungsvollen Entwicklungszusammenarbeit ausgerichtet und an den Menschenrechten orientiert sind, dass durch sie die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau gefördert werden und dass sie schwerpunktmäßig darauf abzielen, die Grundprobleme von Ungleichheit, Armut und chronischer Unterernährung anzugehen, damit die kürzlich gebilligten Ziele für nachhaltige Entwicklung verwirklicht werden;
9. weist darauf hin, dass die Investitionspolitik der EU, insbesondere wenn öffentliche Mittel betroffen sind, zur Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung beitragen muss;
10. fordert die EU mit Nachdruck auf, dringende und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um der eritreischen Bevölkerung dabei zu helfen, ihre Widerstandsfähigkeit gegen das El Niño-Phänomen zu stärken, damit Ernährungssicherheit sowie der Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung garantiert werden können;
11. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem AKP-EU-Ministerrat, der Ostafrikanischen Gemeinschaft und den Regierungen ihrer Mitgliedstaaten, den Institutionen der Afrikanischen Union sowie dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zu übermitteln.