Entschließungsantrag - B8-0729/2016Entschließungsantrag
B8-0729/2016

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage in Venezuela

1.6.2016 - (2016/2699(RSP))

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Francisco Assis, Ramón Jáuregui Atondo, Carlos Zorrinho, Marlene Mizzi, Doru-Claudian Frunzulică, Claudia Țapardel, Nicola Caputo, Nicola Danti, Pier Antonio Panzeri, Nikos Androulakis, Karoline Graswander-Hainz, Knut Fleckenstein, Enrique Guerrero Salom, Sergio Gutiérrez Prieto, Ana Gomes, Inmaculada Rodríguez-Piñero Fernández, Jonás Fernández, Juan Fernando López Aguilar, Victor Boştinaru im Namen der S&D-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B8-0700/2016

Verfahren : 2016/2699(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B8-0729/2016
Eingereichte Texte :
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Angenommene Texte :

B8-0729/2016

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in Venezuela

(2016/2699(RSP))

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Lage in Venezuela, insbesondere die Entschließungen vom 27. Februar 2014 zur Lage in Venezuela[1], vom 18. Dezember 2014 zur Verfolgung der demokratischen Opposition in Venezuela[2] und vom 12. März 2015 zur Lage in Venezuela[3],

–  unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948,

–  unter Hinweis auf die am 11. September 2001 verabschiedete Interamerikanische Demokratische Charta,

–  unter Hinweis auf die Erklärung des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom 20. Oktober 2014 zur Festnahme von Demonstranten und Politikern in Venezuela,

–  unter Hinweis auf das Schreiben von Human Rights Watch an den Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, Luis Almagro, vom 16. Mai 2016 zum Thema Venezuela[4],

–  unter Hinweis auf die offiziellen Mitteilungen des Generalsekretärs der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) vom 23. Mai 2016[5] und vom 28. Mai 2016[6] über die Sondierungsgespräche zur Aufnahme eines nationalen Dialogs zwischen der venezolanischen Regierung und dem Oppositionsbündnis MUD,

–  unter Hinweis auf die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der G7 von Ise-Shima vom 26./27. Mai 2016[7],

–  unter Hinweis auf die Erklärung von US-Außenminister John Kerry vom 27. Mai 2016 zu seinem Telefongespräch mit dem früheren spanischen Premierminister José Luis Rodríguez Zapatero[8],

–  gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass Venezuela über 20 % der weltweiten Ölreserven verfügt, die nur 3 % der weltweiten Förderung ausmachen; in der Erwägung, dass Ölexporte 96 % der Ausfuhren des Landes ausmachen; in der Erwägung, dass Venezuela während des Wirtschaftsaufschwungs keine Ersparnisse generiert hat, um eine Wende im Bereich des Handels oder die Auswirkungen von erforderlichen makroökonomischen Anpassungen abzuschwächen;

B.  in der Erwägung, dass die Wirtschaft Venezuelas laut Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Jahr 2016 um 8 % schrumpfen wird, nachdem sie 2015 um 5,7 % geschrumpft ist; in der Erwägung, dass die Mindestlöhne zwar um 30 % gestiegen sind, dass jedoch die Inflationsrate von 180,9 % die Möglichkeit, dass grundlegende Güter für die Venezolaner erschwinglich sind, zunichte macht; in der Erwägung, dass die Inflationsrate den Prognosen des IWF zufolge Ende 2016 700 % und im Jahr 2017 2 200 % betragen wird;

C.  in der Erwägung, dass sich, auch wenn es an offiziellen Daten dazu fehlt, laut ENCOVI (Encuesta de Condiciones de Vida – Statistik der Lebensbedingungen) die Armutsrate in Venezuela von 30 % im Jahr 2013 auf 60 % im Jahr 2016 verdoppelt hat; in der Erwägung, dass 75 % der von der Weltgesundheitsorganisation als grundlegend betrachteten Arzneimittel in Venezuela nicht erhältlich sind;

D.  in der Erwägung, dass mangelnde Voraussicht im Hinblick auf grundlegende Infrastruktur und eine ineffiziente Staatsführung eine schwere wirtschaftliche und soziale Krise verursacht haben, was sich an einer seit Langem bestehenden Knappheit an Ressourcen, Rohstoffen, Betriebsmitteln, Grundnahrungsmitteln und grundlegenden Arzneimitteln bei einer gestoppten Produktion zeigt, und in der Erwägung, dass das Land kurz vor erheblichen sozialen Unruhen steht, die zu einer humanitären Krise mit unvorhersehbaren Folgen führen könnten;

E.  in der Erwägung, dass Venezuelas Oppositionsbündnis, die MUD, in der Nationalversammlung mit Einkammersystem und 167 Sitzen 112 Sitze und somit eine Zwei-Drittel-Mehrheit erzielt hat, während die PSUV 55 Sitze erzielt hat; in der Erwägung, dass der Oberste Gerichtshof in der Folge vier neu in die Nationalversammlung gewählten Vertretern der MUD den Amtsantritt verwehrt und der Opposition somit ihre Zwei-Drittel-Mehrheit entzogen hat;

F.  in der Erwägung, dass prominente politische Oppositionsführer gemeinsam mit etwa einhundert weiteren Personen aus ideologischen und politischen Gründen inhaftiert worden sind; in der Erwägung, dass die Nationalversammlung am 29. März 2016 das Gesetz über Amnestie und nationale Aussöhnung verabschiedet hat und dass der Oberste Gerichtshof dieses Gesetz am 11. April 2016 zum wiederholten Male für verfassungswidrig erklärt hat;

G.  in der Erwägung, dass der Oberste Gerichtshof seit Beginn des Mandats der Nationalversammlung im Januar 2016 die vier von der Versammlung verabschiedeten Gesetze für rechtswidrig oder nicht anwendbar erklärt hat: im Februar erklärte der Oberste Gerichtshof das von Präsident Maduro erlassene wirtschaftspolitische Dekret mit wirtschaftlichem Charakter, das von der Nationalversammlung im Januar abgelehnt wurde, für gültig; im März entschied der Gerichtshof, dass der Gesetzgeber Ende 2015 nicht die Befugnis hatte, die Ernennung von 13 Richtern zu prüfen; im April erklärte der Gerichtshof das Amnestiegesetz für verfassungswidrig und eine Verfassungsänderung, mit der die Amtszeit des Präsidenten von sechs auf vier Jahre verkürzt worden wäre, für rechtswidrig;

H.  in der Erwägung, dass im Rahmen von UNASUR kürzlich Sondierungssitzungen in der Dominikanischen Republik unter der Leitung des ehemaligen Premierministers Spaniens, José Luis Rodríguez Zapatero, des ehemaligen Präsidenten der Dominikanischen Republik, Leonel Fernández, und des ehemaligen Präsidenten von Panama, Martín Torrijos, stattgefunden haben, die auf die Aufnahme eines nationalen Dialogs mit Vertretern der Regierung der Bolivarischen Republik Venezuela und den Oppositionsparteien, vertreten durch die MUD, abzielten;

I.  in der Erwägung, dass in den mineralreichen Gegenden nahe der Grenzen zu Guyana und Brasilien Kämpfe mit dem Ziel der Kontrolle der illegalen Minen an der Tagesordnung sind; in der Erwägung, dass es am 4. März 2016 in Tumeremo, im Bundesstaat Bolívar, zu einem Massaker kam, bei dem 28 Bergleute verschwanden und in der Folge ermordet wurden; in der Erwägung, dass eine zufriedenstellende Reaktion der staatlichen Stellen immer noch aussteht, und in der Erwägung, dass die Journalistin Lucía Suárez, die den Fall kurz zuvor untersucht hatte, am 28. April 2016 in ihrem Haus in Tumeremo erschossen wurde;

J.  in der Erwägung, dass Rechtsstaatlichkeit und der Grundsatz der Gewaltenteilung in Venezuela nicht gebührend geachtet werden; in der Erwägung, dass die aktuellen Fakten darauf schließen lassen, dass auf die Justiz und den Nationalen Wahlrat massive Einflussnahme und Kontrolle durch die Regierung ausgeübt wird, was die Befugnisse des Parlaments und der Opposition, die Eckpfeiler eines jeden demokratischen Systems, beeinträchtigt;

K.  in der Erwägung, dass gemäß dem am 6. April 2016 von der venezolanischen Regierung erlassenen Dekret Nr. 2294 Angestellte im öffentlichen Dienst nur an zwei Tagen pro Woche arbeiten, solange die Auswirkungen von El Niño am Wasserkraftwerk Simon Bolívar andauern; in der Erwägung, dass der Unterricht an Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen aus Gründen der nationalen Sicherheit oder mit dem Ziel von Energieeinsparungen ebenfalls vorübergehend oder vollständig eingestellt wurde; in der Erwägung, dass diese Schließungen die Rechte der Bürger erheblich beschneiden;

L.  in der Erwägung, dass Venezuela durch die sehr hohe Kriminalitätsrate und die vollständige Straflosigkeit zu einem der gefährlichsten Länder der Welt geworden ist und die Rate der Gewaltverbrechen in Caracas mit 119,87 Tötungsdelikten pro 100 000 Einwohner weltweit am höchsten ist;

M.  in der Erwägung, dass die demokratische Opposition ein durch die Verfassung anerkanntes Verfahren, mit dem die Abhaltung einer Volksabstimmung zur Amtsenthebung beantragt wird, eingeleitet hat; in der Erwägung, dass die MUD 1,8 Millionen Unterschriften gesammelt und dem Nationalen Wahlrat übergeben hat, was sehr viel mehr sind, als die 198 000, die ursprünglich notwendig waren, damit das Verfahren rechtmäßig und verfassungsmäßig akzeptabel ist;

1.  erklärt sich zutiefst besorgt über die sich dramatisch verschlechternde Lage in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte in Venezuela;

2.  begrüßt die Vermittlungsbemühungen der UNASUR im Hinblick auf die Aufnahme eines nationalen Dialogs zwischen der Regierung und der Mehrheitsopposition der MUD; weist erneut darauf hin, dass es ohne nationalen Dialog keine tragfähige, friedliche und dauerhafte Lösung für Venezuela geben wird, und fordert alle Parteien auf, sich aktiv in einen konstruktiven und lösungsorientierten Prozess einzubringen; betont, dass eine auf dem Verhandlungsweg erzielte demokratische Lösung der einzig gangbare Weg ist;

3.  fordert die Vizepräsidentin der Kommission/Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (VP/HR) und regionale Organisationen nachdrücklich auf, zu gewährleisten, dass Mechanismen für Dialog und nationale Aussöhnung in Venezuela eine Vermittlerrolle zukommt, mit dem Ziel, eine friedliche, demokratische und verfassungsgemäße Lösung der Krise zu unterstützen, in der sich das Land derzeit befindet;

4.  nimmt die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der G7 zu Venezuela zur Kenntnis; fordert den Europäischen Rat auf, bei seiner Tagung im Juni eine politische Erklärung zur Lage im Land abzugeben und die kürzlich aufgenommenen Vermittlungsbemühungen zu unterstützen, um eine Einigung auf demokratische und politische Lösungen für Venezuela zu ermöglichen;

5.  äußert sich zutiefst besorgt über die weitere Zunahme sozialer Spannungen aufgrund des Mangels an grundlegenden Gütern wie Nahrungs- und Arzneimitteln; fordert die VP/HR auf, einen Kooperationsplan für das Land auszuarbeiten, um die dringendsten und grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung decken zu können; fordert die venezolanische Regierung auf, diese Zusammenarbeit zu akzeptieren und deren Umsetzung zu erleichtern;

6.  äußert sich besorgt über die derzeitige institutionelle Blockade und die Kontrolle der Regierung über den Obersten Gerichtshof und den Nationalen Wahlrat, mit denen die Anwendung der von der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetze und Initiativen verhindert werden soll; fordert die venezolanische Regierung auf, die Rechtsstaatlichkeit und den Grundsatz der Gewaltenteilung zu achten; weist erneut darauf hin, dass die Teilung gleichermaßen legitimer Gewalten sowie die Nichteinmischung zwischen ihnen einen wesentlichen Grundsatz demokratischer Rechtsstaaten darstellen;

7.  fordert die Regierung Venezuelas auf, für die politischen Häftlinge, die derzeit im Gefängnis sind, die Haftstrafen in Hausarrest umzuwandeln; weist erneut darauf hin, dass die Freilassung politischer Häftlinge eine Bedingung der Opposition für die Verhandlungsgespräche darstellt, und fordert beide Seiten auf, sich auf eine Kompromisslösung zu einigen, mit der die derzeitigen Vermittlungsbemühungen unterstützt werden sollen; weist erneut darauf hin, dass diese Geste den Willen der Exekutive zeigen wird, den nationalen Dialog zu erleichtern;

8.  fordert, dass die staatlichen Stellen das in der Verfassung verankerte Recht, friedlich zu demonstrieren, achten und sicherstellen; fordert außerdem die Oppositionsführer auf, ihre Befugnisse mit Verantwortung und Zurückhaltung auszuüben; fordert die staatlichen Stellen Venezuelas auf, für alle Bürger Sicherheit und die freie Ausübung ihrer Rechte sicherzustellen, insbesondere für Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, politische Aktivisten und Mitglieder von unabhängigen nichtstaatlichen Organisationen;

9.  betrachtet es als absolut vorrangig, die derzeitig hohe Anzahl an ungeahndeten Straftaten, die die zunehmende Gewalt und Unsicherheit in dem Land verstärkt und fördert, zu verringern und dafür zu sorgen, dass das bestehende Rechtssystem geachtet wird, demzufolge die Opfer von Entführungen, Mord und weiteren täglich begangenen Straftaten und ihre Angehörigen Gerechtigkeit erfahren müssen;

10.  fordert die staatlichen Stellen Venezuelas auf, das Massaker von Tumeremo, bei dem 28 Bergleute auf abscheuliche Weise ermordet wurden, zu untersuchen und die Täter und Anstifter vor Gericht zu stellen, einschließlich derer, die hinter dem vor Kurzem an demselben Ort begangen Mord an der Journalistin Lucia Suárez stehen, der mutmaßlich mit dem Massaker im Zusammenhang steht;

11.  fordert die Regierung und die staatlichen Stellen Venezuelas auf, die Verfassung zu achten und die rechtmäßigen und anerkannten Mechanismen und Verfahren zur Auslösung eines in der Verfassung Venezuelas vorgesehenen Wahlverfahrens zu fördern anstatt zu behindern;

12.  fordert die Regierung Venezuelas auf, ihr Möglichstes zu tun, die Arbeits- und Schulzeiten zu regeln, um in dem Land Normalität zu schaffen, und sicherzustellen, dass die sozialen Rechte und die Arbeitnehmerrechte sowie das universelle Recht auf Bildung geachtet werden;

13.  weist darauf hin, dass das Parlament seine Solidarität mit dem venezolanischen Volk mehrfach bewiesen hat; weist darauf hin, dass die Mehrheit der politischen Kräfte in dem Land nachdrücklich und wiederholt um unsere Anwesenheit und Unterstützung ersucht haben; weist in diesem Zusammenhang erneut darauf hin, dass die Reise einer parlamentarischen Delegation bereits genehmigt wurde und noch aussteht; fordert daher die Durchführung dieser Reise, damit der Auftrag der Delegation einer Bestandsaufnahme der politischen und gesellschaftlichen Lage in Venezuela wahrgenommen werden kann;

14.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der Regierung und der Nationalversammlung der Bolivarischen Republik Venezuela, der Parlamentarischen Versammlung Europa-Lateinamerika und dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten zu übermitteln.