ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage im Nordirak/Mossul
24.10.2016 - (2016/2956(RSP))
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Javier Nart, Petras Auštrevičius, Beatriz Becerra Basterrechea, Dita Charanzová, Marielle de Sarnez, Gérard Deprez, José Inácio Faria, María Teresa Giménez Barbat, Marian Harkin, Ivan Jakovčić, Alexander Graf Lambsdorff, Valentinas Mazuronis, Louis Michel, Urmas Paet, Maite Pagazaurtundúa Ruiz, Carolina Punset, Marietje Schaake, Jasenko Selimovic, Hannu Takkula, Pavel Telička, Ramon Tremosa i Balcells, Ivo Vajgl, Johannes Cornelis van Baalen, Paavo Väyrynen, Ilhan Kyuchyuk im Namen der ALDE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B8-1159/2016
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Vereinten Nationen über die Beseitigung jeglicher Form von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder des Glaubens von 1981,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984,
– unter Hinweis auf die Leitgrundsätze der Vereinten Nationen betreffend Binnenvertreibung von 1998;
– unter Hinweis auf die Erklärung der Hohen Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Navi Pillay, vom 16. Juni 2014, in der sie die außergerichtlichen Hinrichtungen durch den „Islamischen Staat“ (IS) verurteilt und die Ansicht äußert, dass es sich sehr wahrscheinlich um Kriegsverbrechen handelt,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Untergeneralsekretärin der Vereinten Nationen und Generaldirektorin von UN Women, Phumzile Mlambo-Ngcuka, in der sie ihre Sorge über die Sicherheit von Frauen und Mädchen im Irak, insbesondere in den vom IS eingenommenen Gebieten, bekundet,
– unter Hinweis auf die Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zum Irak, insbesondere die Resolution 2299 (2016) und 2249 (2015), in der die jüngsten Terrorangriffe des „Islamischen Staats“ verurteilt werden,
– unter Hinweis auf die von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 27. Januar 2016 angenommene Resolution 2091 (2016) zu dem Thema „Auswärtige Kämpfer in Syrien und im Irak“,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen vom 27. Februar 2014 zur Lage im Irak[1], vom 18. September 2014 zur Lage im Irak und in Syrien[2] und vom 12. Februar 2015 zu der humanitären Krise im Irak und in Syrien[3],
– unter Hinweis auf die Äußerungen der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, im Anschluss an die zweite Tagung des Kooperationsrates EU-Irak im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (PKA) zwischen der EU und dem Irak,
– gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Operation zur Befreiung der Stadt Mossul vom so genannten „Islamischen Staat“ vor Kurzem begonnen hat; in der Erwägung, dass die Offensive zu einer äußerst beunruhigenden humanitären Lage führen könnte; in der Erwägung, dass alle ungelösten Streitigkeiten über interne Grenzen im Nordirak, wenn sie nicht von den einschlägigen militärischen Akteuren, die den IS bekämpfen, und der Völkergemeinschaft insgesamt gelöst werden, den Wiederaufbau des Gebietes und die Rückführung der vertriebenen Einwohner verhindern und so in Zukunft eine Gefahr für die Existenz schutzbedürftiger Minderheiten darstellen könnten; in der Erwägung, dass der Nordirak seit langer Zeit die Heimat ethnischer und religiöser Minderheiten ist, in der trotz Zeiten von Gewalt und Verfolgung Pluralismus, Stabilität und Kooperation zwischen den Gemeinschaften herrschen;
B. in der Erwägung, dass Mossul seit langem eine multiethnische Stadt ist, in der eine sunnitische Mehrheit und Chaldäer/syrische Christen/Assyrer, Kurden, Jesiden und Turkmenen zusammenleben; in der Erwägung, dass das Umland der Stadt ebenfalls auf eine Geschichte ethnischer und religiöser Unterschiede zurückblickt, wobei die Christen hauptsächlich in der Ninive-Ebene, die Jesiden im Sindschar-Gebirge und die muslimischen Turkmenen in Tal Afar leben;
C. in der Erwägung, dass das Europäische Parlament am 4. Februar 2016 festgestellt hat, dass „der sogenannte IS an Christen und Jesiden und anderen religiösen und ethnischen Minderheiten, die nicht mit seiner Auslegung des Islams einverstanden sind, Völkermord verübt“ und „dass die Verfolgung, die Gräueltaten und die internationalen Verbrechen als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu gelten haben“;
D. in der Erwägung, dass der Europarat, das US-amerikanische Außenministerium, der US-Kongress, das Parlament des Vereinigten Königreichs, das australische Parlament und andere Nationen und Institutionen dem Europäischen Parlament beigepflichtet und festgestellt haben, dass die vom „Islamischen Staat“ begangenen Gräueltaten gegen religiöse und ethnische Minderheiten auch Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord darstellen;
E. in der Erwägung, dass nach Angaben des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) seit 2014 etwa 3,3 Millionen Iraker durch den Krieg entwurzelt wurden und über 1,5 Millionen Menschen in Mossul als direkte Folge der Operation zur Rückeroberung des Gebiets unmittelbar von Vertreibung bedroht sind;
F. in der Erwägung, dass der UNHCR fünf Lager eröffnet hat und bereit ist, 45 000 aus Mossul und dessen Umland fliehenden Menschen Obdach zu gewähren, wobei geplant ist, in den kommenden Wochen insgesamt 11 Lager mit einem Fassungsvermögen von 120 000 Personen zu betreiben, sofern Land in sicheren Gebieten in gewisser Entfernung von der Front gefunden werden kann; in der Erwägung, dass die Finanzierung der Maßnahmen des UNHCR für Mossul derzeit nur zu etwas mehr als 38 % sichergestellt ist; in der Erwägung, dass nicht nur Finanzmittel für die anfänglichen Vorbereitungsmaßnahmen erforderlich sind, sondern auch zur Bewältigung der weitverbreiteten Vertreibungen, die den ganzen Winter hindurch anhalten könnten;
G. in der Erwägung, dass Kinder in und um Mossul besonders schutzbedürftig sind und die Gefahr besteht, dass sie im Zuge der Kampfhandlungen getötet oder verletzt werden bzw. von bewaffneten Gruppen sexuell missbraucht, entführt oder als Kämpfer rekrutiert werden;
H. in der Erwägung, dass die Europäische Union eine Schlüsselrolle innerhalb der Globalen Koalition gegen den IS spielt, indem sie humanitäre Hilfe und Stabilisierungshilfe leistet; in der Erwägung, dass die EU bislang 134 Millionen EUR für humanitäre Hilfe im Irak bereitgestellt hat, davon 50 Millionen EUR für Mossul;
I. in der Erwägung, dass das Parlament betont hat, wie wichtig es ist, dass die internationale Gemeinschaft entsprechend dem Völkerrecht Schutz und Unterstützung, unter anderem in militärischer Hinsicht, für all diejenigen bietet, die vom sogenannten „Islamischen Staat“ und anderen terroristischen Organisationen im Nahen Osten bedrängt werden, wie ethnische und religiöse Minderheiten, und dass solche Gruppen an künftigen dauerhaften politischen Lösungen mitwirken;
J. in der Erwägung, dass die Militäroperation gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ im Nordirak im Rahmen einer gemeinsamen nationalen Sicherheitsmission durchgeführt wird, an der irakische Sicherheitskräfte, die Peschmerga-Kämpfer der kurdischen Regionalregierung und lokale Sicherheitskräfte beteiligt sind; in der Erwägung, dass die Globale Koalition durch Beratung, Unterstützung aus der Luft und nachrichtendienstliche Unterstützung mitwirkt;
K. in der Erwägung, dass durch die Bewahrung der Identität der Volksgemeinschaften des Nordirak und die Gewährleistung von deren Schutz im Rahmen der Republik Irak die grundlegenden Menschenrechte – einschließlich der Eigentumsrechte – der angestammten Bevölkerung dieser Region wiederhergestellt und gewahrt würden;
L. in der Erwägung, dass Artikel 2 der irakischen Verfassung „das uneingeschränkte Recht aller Menschen auf Glaubensfreiheit und auf freie Religionsausübung garantiert“;
M. in der Erwägung, dass in dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Irak und insbesondere in dessen Menschenrechtsklausel betont wird, dass im politischen Dialog zwischen der EU und dem Irak der Schwerpunkt auf den Menschenrechten und dem Ausbau demokratischer Institutionen liegen sollte;
1. verurteilt mit Nachdruck die anhaltenden Gewaltakte und Massenhinrichtungen durch den „Islamischen Staat“ im Irak; bringt seine tiefe Besorgnis über die anhaltenden Berichte zum Ausdruck, wonach der „Islamische Staat“ Kinder, ältere Menschen, Frauen und schutzbedürftige Personen als Schutzschilde gegen die laufenden militärischen Befreiungsaktionen im Nordirak benutzt; verurteilt mit Nachdruck die Vertreibung tausender Iraker, einschließlich der im Nordirak lebenden ethnischen und religiösen Minderheiten; stellt mit größter Sorge fest, dass der IS bei seinen Versuchen, alle religiösen und ethnischen Minderheiten in den von ihm beherrschten Gebieten zu vernichten, weiterhin Christen (Chaldäer/syrische Christen/Assyrer, melkitische und armenische Christen), Jesiden, Turkmenen, Schiiten, Schabak, Sabier, Kakai und Sunniten ins Visier nimmt;
2. unterstreicht, dass die Zivilbevölkerung während der Militäroperationen in und um Mossul geschützt werden muss;
3. stellt fest, dass die Regierung der Republik Irak das Recht hat, ihr Hoheitsgebiet zu verteidigen; fordert die irakischen Sicherheitskräfte eindringlich auf, sich im Rahmen des Völkerrechts und des geltenden nationalen Recht zu bewegen und den Verpflichtungen des Iraks aufgrund internationaler Abkommen über Menschenrechte und Grundfreiheiten nachzukommen;
4. fordert die Europäische Union, die Vereinten Nationen und die gesamte Völkergemeinschaft auf, der irakischen Regierung während der laufenden Befreiungsaktionen in verschiedenen Regionen des Irak weiter nachhaltig humanitäre und militärische Unterstützung zu gewähren; begrüßt, dass die Europäische Union der Region Mossul, die mit einer außergewöhnlichen und beispiellosen humanitären Katastrophe konfrontiert ist, humanitäre Hilfe im Umfang von 50 Millionen EUR bereitgestellt hat;
5. hebt die Bedeutung von Mossul für den gesamten Irak hervor und fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, dafür zu sorgen, dass die Minderheiten in einer neuen Stadtregierung von Mossul vertreten sind; vertritt die Ansicht, dass die Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen davon abhängen wird, wie stabil die neue Stadtregierung ist; unterstreicht das Recht ethnischer und religiöser Minderheiten auf politische Teilhabe und Wiederherstellung ihrer Eigentumsrechte;
6. fordert die irakische Regierung und die kurdische Regionalregierung sowie die EU und ihre Mitgliedstaaten, die Völkergemeinschaft und die internationalen Akteure auf, für die territoriale Integrität und die Sicherheit der Ninive-Ebene zu sorgen;
7. fordert alle Akteure, die den „Islamischen Staat“ in der Republik Irak bekämpfen, auf, eine nachhaltige, langfristige und inklusive politische Zusammenarbeit und einen dementsprechenden Dialog zu entwickeln, um die Grundlage für einen von radikalen und extremistischen Bewegungen freien Irak zu schaffen; fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten, die Globale Koalition gegen den IS, die Völkergemeinschaft und die internationalen Akteure auf, mit der nationalen Regierung und den regionalen Regierungen der Republik Irak auf eine dauerhafte Sicherheit der Ninive-Ebene, von Tal Afar und Sindschar hinzuarbeiten;
8. fordert die Europäische Union, die Vereinten Nationen und die gesamte Völkergemeinschaft auf, mit der nationalen Regierung und den regionalen Regierungen des Irak zusammenzuarbeiten, um die Reintegration aller vertriebenen Iraker und ethnischen und religiösen Minderheiten zu beaufsichtigen; ist der Auffassung, dass Schutzzonen, die von Streitkräften mit VN-Mandat gesichert werden, ein Teil der Reaktion auf die massive Herausforderung sein könnten, Millionen von Menschen, die vor dem Konflikt in Syrien und im Irak fliehen, vorübergehend Schutz zu gewähren;
9. betont, dass die Menschenrechte und Grundfreiheiten geachtet werden müssen, einschließlich der freien Meinungsäußerung, der Pressefreiheit und der digitalen Freiheiten; vertritt die Ansicht, dass eine ausgewogene Medienberichterstattung im Irak und allen seinen Regionen von grundlegender Bedeutung ist, um nach der Beseitigung des „Islamischen Staats“ den Frieden zu fördern und sämtliche Formen radikaler Ideologien zu bekämpfen;
10. fordert alle regionalen Akteure auf, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um alle Aktivitäten öffentlicher oder privater Stellen zu unterbinden, durch die extreme islamistische Ideologien propagiert oder verbreitet werden sollen; fordert die EU auf, einen regionalen Dialog über die Probleme im Nahen Osten zu fördern und alle wichtigen Parteien, vor allem den Iran, Saudi-Arabien und die Türkei, einzubinden; erkennt den entscheidenden Beitrag des Irans im Irak an, durch den der Vorstoß des IS gestoppt wurde und Gebiete zurückerobert wurden, die dem dschihadistischen Terrorismus anheimgefallen waren;
11. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, dem EU-Sonderbeauftragten für Menschenrechte, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Regierung und dem Repräsentantenrat des Iraks, der Regionalregierung von Kurdistan, der Regierung der Türkei, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P7_TA(2014)0171.
- [2] Angenommene Texte, P8_TA(2014)0027.
- [3] Angenommene Texte, P8_TA(2015)0040.