ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage in Venezuela
30.1.2019 - (2019/2543(RSP))
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Molly Scott Cato, Tilly Metz im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Sprechers des Generalsekretärs der Vereinten Nationen António Guterres vom 24. Januar 2019 zu der neuen Gewaltwelle in Venezuela[1],
– unter Hinweis auf die Erklärung der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte Michelle Bachelet vom 25. Januar 2019,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Lateinamerikanischen Parlaments vom 28. Januar 2019, die von seinem Präsidenten Elías Castillo unterzeichnet wurde,
– unter Hinweis auf den Bericht des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom Juni 2018 mit dem Titel „Human rights violations in the Bolivarian Republic of Venezuela: a downward spiral with no end in sight“ („Menschenrechtsverletzungen in der Bolivarischen Republik Venezuela: eine Abwärtsspirale, deren Ende nicht in Sicht ist“),
– unter Hinweis auf den Beschluss des Rates (GASP) 2018/901 vom 25. Juni 2018[2], weitere elf venezolanische Amtsträger auf die Sanktionsliste zu setzen,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 15. Oktober 2018,
– unter Hinweis auf den Bericht von Amnesty International vom 20. September 2018 mit dem Titel „This is no way to live: public security and right to life in Venezuela“ („Das ist keine Art zu leben: öffentliche Sicherheit und Recht auf Leben in Venezuela“) und von Amnesty International herausgegebene Dokumente neueren Datums zu Venezuela,
– unter Hinweis auf Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Venezuela,
– gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass in der vergangenen Woche im Zusammenhang mit Protesten in Venezuela die Spannungen zunahmen und es zu einer dramatischen Eskalation der Gewalt kam, wobei mindestens 20 Todesopfer, zahlreiche Verletzte und umfangreiche Festnahmen zu verzeichnen waren;
B. in der Erwägung, dass die derzeitige Lage – gesellschaftliche Unruhen, wirtschaftliche Not und Abwanderung von Millionen Venezolanern, schwere Nahrungsmittelknappheit, Mangel an Arzneimitteln und mangelnde angemessene medizinische Versorgung sowie unzureichender Schutz der Menschenrechte, Unsicherheit und Gewalt auf den Straßen, dies alles eine Folge schlechter politischer Verwaltung und autokratischen Verhaltens der Maduro-Regierung – dringend im Zuge von Verhandlungen bewältigt werden muss;
C. in der Erwägung, dass die Reaktion der staatlichen Behörden auf rechtmäßige Demonstrationen die bislang schlimmste Unterdrückung der Oppositionsgegner ausgelöst hat, die sich durch übermäßigen Einsatz von Polizeigewalt ohne Rücksicht auf die körperliche Unversehrtheit der Demonstranten, willkürliche Massenverhaftungen, Einschüchterung und körperliche Misshandlung einschließlich sexueller Gewalt äußert; in der Erwägung, dass es keine nachhaltige Lösung für den Konflikt ist und allen internationalen Verpflichtungen in Bezug auf das Recht auf friedlichen Protest zuwiderläuft, die Demonstranten zum Schweigen zu bringen;
D. in der Erwägung, dass die Verurteilung von Zivilisten durch Militärgerichte, die Straflosigkeit und die Misshandlung, Schikane und Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidigern durch die Maduro-Regierung bereits vielfach angeprangert und von nationalen und internationalen Organisationen verurteilt wurde;
E. in der Erwägung, dass die Chefanklägerin des IStGH im Februar 2018 beschlossen hat, eine Voruntersuchung der Lage in Venezuela einzuleiten, damit die Verbrechen untersucht werden, die dort mutmaßlich seit April 2017 im Zusammenhang mit Demonstrationen und damit verbundenen politischen Unruhen begangen wurden;
F. in der Erwägung, dass das Recht auf friedlichen Protest ein grundlegendes Menschenrecht ist, während Aufrufe zu Protesten mit Bedacht abgegrenzt werden müssen, um in Anbetracht der derzeitigen Spannungen zu verhindern, dass weitere Gewalt oder Provokationen befeuert werden;
G. in der Erwägung, dass für diesen tiefwurzelnden und vielschichtigen Konflikt eine Lösung im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit und im Einklang mit den internationalen Standards gefunden werden muss, bei der die Demokratie und die Menschenrechte uneingeschränkt geachtet werden;
H. in der Erwägung, dass die internationale Anerkennung einer neuen Regierung, die durch Selbsternennung gebildet wird, ein ernstzunehmendes Risiko darstellt, dass die bereits äußerst kritische Lage zusätzlich befeuert wird und sogar ein Bürgerkrieg ausbrechen könnte, was auch außerhalb Venezuelas Auswirkungen haben könnte, da die Gefahr besteht, dass mehr Migranten in die Nachbarländer fliehen;
I. in der Erwägung, dass Venezuela in den letzten Tagen verschiedene Vermittlungsangebote von Mexiko, Uruguay und dem Lateinamerikanischen Parlament vorgelegt wurden, zusammen mit einem Angebot, eine internationale Kontaktgruppe mit Unterstützung der EU einzurichten;
J. in der Erwägung, dass die Rolle der EU darin bestehen sollte, Vermittlung zwischen allen an dem Konflikt in dem Land Beteiligten anzubieten – eine Rolle, die sie gut übernehmen kann, da mehrere EU-Mitgliedstaaten enge Beziehungen zu Venezuela haben;
K. in der Erwägung, dass den Angaben des UN-Flüchtlingswerks UNHCR und der an die Vereinten Nationen angeschlossenen Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge die Zahl der venezolanischen Flüchtlinge, von denen sich die meisten in nahegelegenen Ländern aufhalten, bereits bei weit über 3 Millionen liegt, wodurch ein unvergleichlicher Druck auf den humanitären und wirtschaftlichen Ressourcen der Aufnahmeländer lastet;
1. verurteilt die Reaktion von Präsident Maduro und den Behörden auf die Demonstrationen im Land; verurteilt die Eskalation der Gewalt und alle Fälle außergerichtlicher Tötungen, Verletzungen und Freiheitsentziehungen; bedauert die derzeit eskalierende Unruhe und schließt in seine Beileidsbekundungen auch die Freunde und Familien derer ein, die getötet, verletzt und verhaftet wurden;
2. verurteilt diese und frühere Menschenrechtsverstöße durch Präsident Maduro und seine Regierung erneut aufs Schärfste und fordert einmal mehr, der Straflosigkeit für Verbrechen, die in der Vergangenheit und im Zuge der derzeitigen Protestwelle begangen wurden, ein Ende zu bereiten; fordert in diesem Zusammenhang eine vollständige, unabhängige und unparteiische Untersuchung dieser Verbrechen und Verstöße und fordert ferner, dass die Straftäter in all diesen Fällen vor Gericht gestellt werden;
3. warnt erneut vor einer Wiederholung der Gewalt, wie sie 2017 gemeldet wurde; betont mit Nachdruck, dass die venezolanischen Behörden die Meinungsfreiheit und das Recht auf friedliche Versammlung achten müssen; äußert erneut Besorgnis angesichts des Umstands, dass die Maduro-Regierung das demokratische Mandat der gewählten Versammlung untergräbt, deren Befugnisse und Vorrechte anerkannt und geachtet werden sollten; fordert alle Beteiligten auf, keine übermäßige, unverhältnismäßige und wahllose Gewalt anzuwenden, da dies gemäß Völkerrecht eindeutig und unmissverständlich verboten ist;
4. äußert erneut seine tiefe Besorgnis darüber, dass die Präsidentschaftswahl im Mai 2018 weder frei noch gerecht oder glaubwürdig war und somit jeglicher Rechtmäßigkeit entbehrt; betont, dass die venezolanische Bevölkerung selbstbestimmt ist und es von großer Bedeutung ist, dass sie tatsächlich ihren demokratischen Willen äußern kann; fordert daher, dass möglichst umgehend freie und gerechte Wahlen abgehalten werden; fordert die politische Führung auf, keinen neuen Präsidenten anzuerkennen, der kein auf Wahlen beruhendes Mandat hat, da dies weitere Unruhen und die politische Instabilität zusätzlich befeuern könnte; stellt fest, dass eine derartige Anerkennung gegen den Grundsatz der Selbstbestimmung verstößt und die demokratischen Normen aushöhlt;
5. fordert alle Seiten nachdrücklich auf, umgehend in einen inklusiven und glaubwürdigen nationalen Dialog zu treten, um eine langfristige und anhaltende Lösung für die Krise in Venezuela zu finden; empfiehlt, dass dieser Dialog durch eine internationale Vermittlung unterstützt werden könnte, wie sie von Mexiko und Uruguay angeboten wurde; fordert die Akteure der EU auf, sich uneingeschränkt für die Vermittlungsbemühungen einzusetzen; hebt hervor, dass die Vereinten Nationen und ein internationaler Rahmen in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung sein müssen;
6. lobt den Vorschlag des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), mit den Ländern der Region und anderen maßgeblichen Akteuren eine internationale Kontaktgruppe einzurichten, wie in den Schlussfolgerungen des Rates vom 15. Oktober 2018 vorgesehen ist, wobei das Ziel darin besteht, einen nationalen Dialog zwischen allen Seiten – einschließlich der Nationalversammlung und der venezolanischen Regierung – zu fördern; betont mit Nachdruck, dass im Rahmen eines Stabilisierungs- und Übergangsprozesses möglichst umgehend Neuwahlen abgehalten werden müssen, die den internationalen Standards entsprechen;
7. ist tief besorgt, dass jüngste Maßnahmen der venezolanischen und ausländischen Akteure die Polarisierung auch auf internationaler Ebene zusätzlich befeuern könnten, weshalb die Gefahr besteht, dass der venezolanische Konflikt zu einem Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen internationalen Mächten wie den USA, Russland und China werden könnte, die versuchen, die Kontrolle über die venezolanischen Ölvorkommen zu erlangen; warnt vor dem möglichen Risiko, dass die Gewalt und Unruhen in Venezuela auf die Nachbarländer übergreifen, und der Gefahr, dass dies letztlich zu einem Krieg in der Region führt;
8. betont, dass gegenüber Drittstaaten keine doppelten Standards gelten dürfen und dass die EU und ihre Mitgliedstaaten in ihrer Position gegenüber Drittstaaten konsequent sein sollten; weist erneut darauf hin, dass eine einheitliche Reaktion der EU als Grundlage für einen starken, glaubwürdigeren Standpunkt der EU von großer Wichtigkeit ist;
9. fordert die Militär- und Sicherheitskräfte auf, sich streng an ihr Mandat zu halten, damit das Militär eine konstruktive Rolle im Einklang mit seinen verfassungsgemäßen Pflichten einnehmen kann; verurteilt die Bildung und die Handlungen der paramilitärischen Kräfte, unabhängig davon, unter wessen Leitung sie stehen, und fordert, dass sie umgehend aufgedeckt werden, all ihre Verbrechen rasch untersucht werden und die Straftäter gemäß internationalen Standards vor Gericht gestellt werden;
10. weist erneut darauf hin, dass die Lage der venezolanischen Flüchtlinge langfristige Lösungen erfordert; nimmt die zahlreichen Bemühungen der Nachbarländer zur Kenntnis, nicht nur Nahrungsmittel und Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, sondern auch reguläre rechtliche Dokumentation, Schulplätze und medizinische Versorgung, und fordert die Akteure der EU auf, bei allen Flüchtlingen ebenso zu handeln;
11. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Parlamenten und Regierungen der Mitgliedstaaten, der Regierung und den staatlichen Stellen Venezuelas sowie der Parlamentarischen Versammlung Europa-Lateinamerika zu übermitteln.