Entschließungsantrag - B9-0184/2019Entschließungsantrag
B9-0184/2019

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu aktuellen Maßnahmen der Russischen Föderation gegen litauische Richter, Staatsanwälte und Ermittler, die an der Untersuchung der tragischen Ereignisse vom 13. Januar 1991 in Vilnius beteiligt waren

25.11.2019 - (2019/2938(RSP))

eingereicht im Anschluss an Erklärungen des Rates und der Kommission
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Anna Fotyga, Ryszard Czarnecki, Zdzisław Krasnodębski, Jadwiga Wiśniewska, Ruža Tomašić, Assita Kanko, Adam Bielan, Alexandr Vondra, Jan Zahradil, Evžen Tošenovský, Witold Jan Waszczykowski, Veronika Vrecionová
im Namen der ECR-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0182/2019

Verfahren : 2019/2938(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B9-0184/2019
Eingereichte Texte :
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B9-0184/2019

Entschließung des Europäischen Parlaments zu aktuellen Maßnahmen der Russischen Föderation gegen litauische Richter, Staatsanwälte und Ermittler, die an der Untersuchung der tragischen Ereignisse vom 13. Januar 1991 in Vilnius beteiligt waren

(2019/2938(RSP))

Das Europäische Parlament,

 unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zu Russland,

 unter Hinweis auf seine Entschließung vom 19. September 2019 zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas[1],

 unter Hinweis auf die Resolution 1481 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 26. Januar 2006 zur Notwendigkeit der internationalen Verurteilung von Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime,

 unter Hinweis auf die am 3. Juni 2008 angenommene Prager Erklärung zu Europas Gewissen und zum Kommunismus,

 unter Hinweis auf seine Erklärung vom 23. September 2008 zur Ausrufung des 23. August zum Europäischen Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus[2],

 unter Hinweis auf seine Entschließung vom 2. April 2009 zum Gewissen Europas und zum Totalitarismus[3],

 unter Hinweis auf den Bericht der Kommission vom 22. Dezember 2010 mit dem Titel „Maßnahmen zum Gedenken an die Verbrechen totalitärer Regime in Europa“ (COM(2010)0783),

 unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 9. und 10. Juni 2011 zum Gedenken an die Verbrechen totalitärer Regime in Europa,

 unter Hinweis auf die Warschauer Erklärung vom 23. August 2011 zum Gedenktag für die Opfer totalitärer Regime,

 unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung der Regierungsvertreter von acht EU-Mitgliedstaaten vom 23. August 2018 zum Gedenken an die Opfer des Kommunismus,

 unter Hinweis auf seine historische Entschließung vom 13. Januar 1983 zur Lage in Estland, Lettland und Litauen, die eine Reaktion auf den „Baltischen Appell“ von 45 Staatsangehörigen dieser Länder war,

 unter Hinweis auf die Erklärung des litauischen Außenministers vom 2. Oktober 2019,

 unter Hinweis auf die Erklärung des Präsidenten des litauischen Verfassungsgerichts vom 24. Juli 2018,

 unter Hinweis auf die Erklärung des litauischen Justizministers vom 6. September 2019,

 unter Hinweis auf die Erklärung des Untersuchungskomitees der Russischen Föderation vom 10. April 2019,

 unter Hinweis auf die Interpol-Statuten,

 unter Hinweis auf das EU-Recht und die Auslieferungsabkommen der Mitgliedstaaten,

 unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948,

 unter Hinweis auf die Genfer Konventionen von 1949 und ihre Zusatzprotokolle,

 unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) vom 16. Dezember 1966,

 unter Hinweis auf das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH),

 gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass die kommunistische Sowjetunion die unabhängige Republik Litauen in direkter Folge des Hitler-Stalin-Pakts und des sich daran anschließenden deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags vom 28. September 1939 annektierte und dass dieses Vorgehen nie offiziell vom Westen anerkannt wurde;

B. in der Erwägung, dass Litauen im März 1990 die erste der 15 sowjetischen Republiken war, die ihre Unabhängigkeit erklärten;

C. in der Erwägung, dass die Sowjetunion bei dem Versuch, die rechtmäßige Regierung Litauens, die das Land am 11. März 1990 für unabhängig erklärt hatte, zu stürzen, Militärgewalt einsetzte;

D. in der Erwägung, dass 14 Zivilisten getötet und Hunderte weitere verletzt wurden, als sowjetische Truppen den Fernsehturm und das Gebäude des Rundfunk- und Fernsehrats in Vilnius in den frühen Stunden des 13. Januar 1991 stürmten;

E. in der Erwägung, dass Hunderttausende Russen in Moskau, Sankt Petersburg (damals Leningrad) und anderen russischen Städten im Januar 1991 spontan auf die Straßen gingen, um gegen das verbrecherische Vorgehen der sowjetischen Armee und ihrer Kollaborateure in Vilnius zu protestieren;

F. in der Erwägung, dass das Regionalgericht von Vilnius im März 2019 den ehemaligen sowjetischen Verteidigungsminister Dmitri Jasow und über 60 weitere ehemalige sowjetische Amtsträger, KGB-Mitglieder und Offiziere wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilte und in Abwesenheit Haftstrafen verhängte;

G. in der Erwägung, dass die Strafen, die die litauischen Richter in Abwesenheit gegen diese ehemaligen sowjetischen Amtsträger verhängten, zwischen vier und 14 Jahren betrugen;

H. in der Erwägung, dass sich das litauische Justizministerium in diesem Zusammenhang um eine aktive Zusammenarbeit mit den russischen Justizbehörden bemühte und 289 Anträge auf Rechtshilfe stellte, von denen nur fünf teilweise nachgekommen wurde;

I. in der Erwägung, dass das Untersuchungskomitee der Russischen Föderation in Reaktion auf das Urteil des litauischen Gerichts strafrechtliche Ermittlungen gegen die litauischen Richter und Staatsanwälte, die sich in Litauen mit der Rechtssache „13. Januar“ befasst hatten, einleitete und Litauen im März 2019 der rechtswidrigen Verfolgung russischer Staatsbürger beschuldigte und den ehemaligen litauischen Staatsanwalt Simonas Slapsinskas in Abwesenheit wegen der vorgeblich rechtswidrigen Verfolgung russischer Staatsbürger anklagte;

J. in der Erwägung, dass das litauische Außenministerium die Entscheidung Russlands, ein Strafverfahren gegen die litauischen Richter und Staatsanwälte, die die Rechtssache „13. Januar“ untersucht haben, einzuleiten, als nicht akzeptablen Versuch betrachtet, offen Druck auf Litauen, seine Gerichte und Strafverfolgungsbeamte auszuüben;

K. in der Erwägung, dass Russland allem Anschein nach den leitenden Offizieren und den Tätern, die für den bewaffneten Angriff auf unschuldige und unbewaffnete Zivilisten verantwortlich sind, tatkräftig Unterschlupf gewährt und diese schützt und alles Erdenkliche unternimmt, damit sie sich ihrer Verantwortung entziehen können;

L. in der Erwägung, dass der litauische Innenminister Misiunas seine Amtskollegen aus der EU darum ersucht hat, mit den litauischen Behörden im Falle von Interpol-Ausschreibungen oder bilateralen Ersuchen zusammenzuarbeiten, die von Russland lanciert werden, um an der Rechtssache beteiligte litauische Amtsträger ausfindig zu machen oder festzunehmen;

M. in der Erwägung, dass der russische Präsident Wladimir Putin Dmitri Jasow, dem letzten Verteidigungsminister der Sowjetunion, eine bedeutende nationale Auszeichnung für seinen Beitrag zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Nation und zur Förderung der patriotischen Werte unter der jüngeren Generation verliehen hat;

1. ist der Ansicht, dass das überzogene Vorgehen der Russischen Föderation gegen litauische Richter bedauerlicherweise als ein Versuch zu betrachten ist, Druck auf einen Mitgliedstaat der EU sowie seine Gerichte und Strafverfolgungsbeamte auszuüben;

2. bedauert, dass die Russische Föderation internationale Strafverfolgungsbehörden wie Interpol missbräuchlich nutzt, und ist der Auffassung, dass das Vorgehen der Russischen Föderation gegen die Richter und Staatsanwälte eines der Mitgliedstaaten der EU nicht mit der Achtung der Rechtsstaatlichkeit vereinbar ist;

3. ist der Ansicht, dass sich die Russische Föderation der Justizbehinderung schuldig gemacht hat, indem sie alle erdenklichen Maßnahmen ergriffen hat, um Kriegsverbrechern des sowjetischen Regimes dabei zu helfen, sich der Justiz zu entziehen,

4. vertritt die Auffassung, dass die Russische Föderation die allgemein anerkannten Garantien der Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten in eklatanter Weise verletzt hat, da aufgrund dieser allgemein akzeptierten Grundsätze jegliche russische Einmischung in die Rechtsprechung eines Gerichts und jegliche Einflussnahme, die sich gegen die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der gerichtlichen Entscheidung richtet, untersagt sind;

5. ist der Ansicht, dass ein derartiges Vorgehen dazu führen könnte, dass das Interpol-System und sonstige bilaterale und multilaterale Kooperationsvereinbarungen missbräuchlich genutzt werden, um politisch Verfolgte festzusetzen und zu verhaften und um deren Auslieferung zu ersuchen; fordert die zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten auf, mit ihren litauischen Amtskollegen zusammenzuarbeiten und etwaige Interpol-Ausschreibungen oder bilaterale Ersuchen Russlands abzulehnen, bei denen es darum geht, litauische Amtsträger, die an der Rechtssache beteiligt sind, ausfindig zu machen oder festzunehmen;

6. hebt hervor, dass Russland in den letzten Jahren bereits schon einmal seine Gerichte eingesetzt hat, um das Verfassungsgericht und die Strafverfolgung eines Landes zu bedrohen und deren Integrität anzugreifen, als es eine vergleichbare Rechtssache gegen die Richter des ukrainischen Verfassungsgerichts angestrengt hat, weil diese die Annexion der Krim verurteilt hatten;

7. vertritt die Auffassung, dass dieses Vorgehen ein Verhaltensmuster bildet, das dazu führt, dass sich Russland – sofern ihm kein Einhalt geboten wird – auch künftig in die rechtlichen Angelegenheiten der Mitgliedstaaten einmischen wird, um die verfassungsmäßige Autorität der Gerichte und der Strafverfolgung des jeweiligen Mitgliedstaats zu beeinträchtigen und auszuhöhlen;

8. bekräftigt seine Unterstützung für die Unabhängigkeit, Legitimität und Integrität des litauischen Verfassungsgerichts, seiner Richter und Staatsanwälte und unterstützt ihre Entscheidung, die Kriegsverbrecher des sowjetischen Regimes für das von ihnen am 13. Januar 1991 begangene Massaker an unbewaffneten litauischen Zivilisten vor Gericht zu bringen;

9. stellt mit Bedauern fest, dass sich die Russische Föderation‚ einschließlich der russischen Strafverfolgungsorgane, nach wie vor an ihre sowjetische Vergangenheit und damit an ein Land klammert, das weder das Leben und die Freiheit der Menschen noch die Souveränität seiner Nachbarländer achtete;

10. verurteilt diese Maßnahmen der Russischen Föderation als rechtswidrigen Versuch, unmittelbaren Druck auf die litauischen Gerichte auszuüben, und als erneutes Bestreben, die Geschichte umzuschreiben und die sowjetische Besetzung zu leugnen;

11. spricht den Familien der Opfer dieser verabscheuungswürdigen Verbrechen sein Beileid aus und bekundet sein Mitgefühl für ihr Leid;

12. fordert die Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik auf, die Entwicklung der Lage mit Blick auf Russlands missbräuchliche Nutzung seiner Strafgerichte zur politischen Verfolgung von Richtern, Rechtsanwälten und Amtsträgern der Mitgliedstaaten genauer zu verfolgen, indem auf Überwachung gesetzt wird, alle relevanten Informationen ausgetauscht und mögliche Abhilfemaßnahmen ermittelt werden;

13. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Präsidenten von Interpol, dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament Litauens und dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation und den Mitgliedstaaten zu übermitteln.

 

Letzte Aktualisierung: 27. November 2019
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