ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zum Standpunkt des Europäischen Parlaments zur Konferenz über die Zukunft Europas
10.1.2020 - (2019/2990(RSP))
Gunnar Beck, Marco Zanni, Nicolas Bay, Gerolf Annemans, Peter Kofod, Gilles Lebreton
im Namen der ID-Fraktion
B9-0037/2020
Entschließung des Europäischen Parlaments zum Standpunkt des Europäischen Parlaments zur Konferenz über die Zukunft Europas
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die nationalen Verfassungen der Mitgliedstaaten der EU,
– unter Hinweis auf die Artikel 4, 5, 10, 12, 48 und 50 des Vertrags über die Europäische Union (EUV),
– unter Hinweis auf die politischen Leitlinien für die nächste Europäische Kommission 2019–2024, die am 10. September 2019 vorgelegt wurden,
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Europa eine einzigartige Zivilisation mit griechisch-römischen Wurzeln, einer christlichen Kultur und einem Bekenntnis zu den Werten der Freiheit und Verantwortung ist; in der Erwägung, dass diese Zivilisation die Wiege der Demokratie bildet;
B. in der Erwägung, dass es kein europäisches Volk oder Demos gibt, sondern europäische Nationen, die ihren spezifischen Kulturen und Identitäten verbunden sind und die gemeinsame Herausforderungen bewältigen müssen;
C. in der Erwägung, dass die nationale Souveränität dem Volk zukommt, das sie mittels seiner Vertreter wahrnimmt; in der Erwägung, dass diese Vertreter folglich nicht das Recht haben, solche souveränen Rechte ohne wirksame Kontrolle aufzugeben oder zu übertragen;
D. in der Erwägung, dass die Europäische Union als eine Gemeinschaft souveräner Staaten mit gemeinsamen Interessen und im Hinblick auf die Verwirklichung gemeinsamer handelspolitischer Ziele gegründet wurde;
E. in der Erwägung, dass diese realistische und begrenzte Zielsetzung seit der Annahme der Einheitlichen Europäischen Akte durch die wertebasierte Idee eines föderalen Europas untergraben wurde, die nicht von allen Mitgliedstaaten geteilt wird und die die Grundlage für die anhaltende Aushöhlung der nationalen Identitäten und Kulturen sowie der demokratischen Selbstregierung in den Mitgliedstaaten bildet;
F. in der Erwägung, dass die Bürger der Mitgliedstaaten seit vielen Jahren eine Europäische Union fordern, die ihren Wohlstand und ihre gemeinsamen Interessen fördert, ohne ihre nationale Identität zu gefährden oder ihre nationalen souveränen Rechte einzuschränken;
G. in der Erwägung, dass die EU die wachsende Besorgnis der Öffentlichkeit über eine „immer engere Union“ in Wirklichkeit ignoriert und integrationistische Projekte vorangetrieben hat, bei denen die Bedenken der EU-Bürger und ihr gemeinsames Interesse an wirtschaftlichem Wohlstand, innerer Sicherheit und demokratischer Selbstbestimmung ignoriert wurden;
H. in der Erwägung, dass die derzeitigen Verträge viele Elemente des gescheiterten Entwurfs eines Verfassungsvertrags für die EU enthalten, der auf breiten Widerstand in der Bevölkerung stieß und in Frankreich und den Niederlanden durch Referenden abgelehnt wurde;
I. in der Erwägung, dass Skepsis und sogar Misstrauen gegenüber der Europäischen Union in ihrer derzeitigen Form sowie gegenüber ihrer institutionellen Funktionsweise und vielen ihrer politischen Zielsetzungen stetig zunehmen, und in der Erwägung, dass die Ergebnisse der jüngsten Europawahlen diesen Widerstand gegenüber einer „immer engeren Union“ in vielen Ländern und insbesondere in mehreren Gründungsländern in politische Realität umsetzen;
J. in der Erwägung, dass die Europäische Union mehrere schwerwiegende Fehler begangen hat, beispielsweise im Zusammenhang mit der Schaffung des Euro-Währungsgebiets und der Verfolgung einer Migrationspolitik der offenen Tür, durch die das Vertrauen der Bürger der Mitgliedstaaten in die europäische Zusammenarbeit untergraben wurde;
K. in der Erwägung, dass die Tatsache, dass das föderale Ziel um jeden Preis verfolgt wurde, ein entscheidender Faktor für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union war;
L. in der Erwägung, dass sich die EU angeblich auf den Grundsatz der Demokratie gründet, sich jedoch in der Praxis einer direkten und indirekten demokratischen Bestätigung durch Referenden und einer wirksamen Rechenschaftspflicht gegenüber den nationalen Parlamenten widersetzt;
M. in der Erwägung, dass die Mitglieder des Rates, der Kommission und des Europäischen Parlaments mit dem Anstoßen der Konferenz über die Zukunft Europas implizit anerkannt haben, dass die EU in ihrer derzeitigen Form nicht zufriedenstellend ist;
Die Konferenz
1. nimmt die Organisation der Konferenz über die Zukunft Europas und den weit verbreiteten Wunsch nach einer eingehenden Debatte über den Umfang und die Funktionsweise der Zusammenarbeit zwischen den Staaten des europäischen Kontinents zur Kenntnis;
2. fordert nachdrücklich, dass die politischen Schlussfolgerungen dieser Konferenz ergebnisoffen sind und dabei alle Optionen geprüft werden, darunter eine Rückübertragung von Befugnissen von der zentralen Ebene an die Mitgliedstaaten und Vorschläge, mit denen das Dogma einer „immer engeren Union“ infrage gestellt wird; ist in diesem Zusammenhang der Auffassung, dass die Konzentration auf eine für alle Seiten vorteilhafte internationale Zusammenarbeit statt auf eine europäische Föderation sowie die Konzentration auf die tatsächliche Achtung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, zwischenstaatliche Zusammenarbeit und die Rückkehr zu einem System der einstimmigen oder konsensbasierten Beschlussfassung im Rat Denkanstöße sind, die verfolgt werden sollten;
3. betont, dass die Konferenz nur dann sinnvoll ist, wenn alle politischen Kräfte auf allen Ebenen vertreten sind; ist besorgt über die eklatanten und wiederholten Versuche innerhalb des Europäischen Parlaments, parlamentarische Kräfte und Fraktionen auszuschließen, die einen alternativen, weniger integrationsorientierten europäischen Weg bevorzugen;
Allgemeiner Rahmen der Konferenz
4. nimmt die Arbeit seiner Arbeitsgruppe zu den praktischen Aspekten der Organisation der Konferenz zur Kenntnis; bedauert, dass zwar alle Fraktionen zu den Sitzungen der Arbeitsgruppe eingeladen wurden, jedoch nicht alle an der Ausarbeitung ihrer Schlussfolgerungen teilnehmen konnten;
5. nimmt zur Kenntnis, dass der Wunsch geäußert wurde, dass die Organisation, die Diskussionen, die Veröffentlichungen und die Schlussfolgerungen der Konferenz transparent erfolgen; betont, dass die Achtung der Mehrsprachigkeit das bevorzugte Instrument zur Verwirklichung dieses Ziels ist, indem alle Meinungsaustausche und Dokumente in allen Sprachen der EU zugänglich gemacht werden;
6. begrüßt das Bestreben, während der gesamten Konferenz für eine breite Beteiligung der Bürger der Mitgliedstaaten zu sorgen; weist jedoch darauf hin, dass die Beteiligung der Bürger keinesfalls mit der Beteiligung von Akteuren der Zivilgesellschaft und insbesondere von nichtstaatlichen Organisationen verwechselt werden darf, die manchmal ihre eigenen Ziele verfolgen und nicht immer den Willen der Bevölkerung oder das allgemeine Interesse repräsentieren;
7. betont, dass das eigentliche Thema dieser Konferenz die institutionelle Organisation der EU ist; ist der Auffassung, dass eine Debatte über thematische Fragen zwar möglich ist, die Schlussfolgerungen der Konferenz jedoch weder für die Mitgliedstaaten noch für die EU als verbindlich angesehen werden können, da jeder Mitgliedstaat eigene institutionelle Verfahren für den Umgang mit diesen Themen hat; weist darauf hin, dass Wahlen (einschließlich der Wahlen zum Europäischen Parlament) der geeignete Weg sind, um die Souveränität der Bevölkerung und politische Entscheidungen in konkrete Maßnahmen umzusetzen;
Organisation‚ Zusammensetzung und Zeitplan
8. bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Teilnehmer die Beratungen der Konferenz ernsthaft und sorgfältig angehen werden, und ist der Auffassung, dass ein Zeitraum von zwei Jahren für hochwertige Beratungen förderlich sein wird, sofern die in dieser Entschließung festgelegten Voraussetzungen beachtet werden;
9. vertritt die Auffassung, dass die Struktur der Konferenz möglichst einfach sein sollte und dass alle politischen Kräfte auf allen Ebenen der Beschlussfassung vertreten sein sollten;
10. schlägt vor, dass die Konferenz von drei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens geleitet wird, die über die nötige Weisheit, Erfahrung und Neutralität verfügen, um die Debatten zu leiten und zu organisieren, ohne den Schlussfolgerungen vorzugreifen; vertritt die Auffassung, dass die operative Kontrolle und Überprüfung der Verfahren von einem Gremium durchgeführt werden sollte, das sich aus Vertretern des Rates, der Kommission und der Fraktionen des Europäischen Parlaments zusammensetzt;
11. ist der Ansicht, dass die Plenarversammlung zu einem Drittel aus Vertretern des Europäischen Parlaments und zu zwei Dritteln aus Mitgliedern der nationalen Parlamente bestehen könnte, wobei auf einen angemessenen politischen Pluralismus zu achten ist; räumt jedoch ein, dass selbst diese Zusammensetzung Probleme hinsichtlich der politischen Legitimität aufwirft;
12. spricht sich gegen die Einrichtung von Bürgerforen aus, die unter keinen Umständen als repräsentativ für die Bürger der Mitgliedstaaten angesehen werden können; weist darauf hin, dass eine solche Idee erhebliche Probleme mit sich bringt, was die Auswahl der Bürger, die Organisation solcher Foren in mehreren Mitgliedstaaten der EU, die Kosten, die mit den Beiträgen verbunden sind, und die Bezahlung dieser Bürger sowie die tatsächliche und kontinuierliche Beteiligung dieser Bürger während des gesamten Verfahrens betrifft;
13. schlägt vor, dass die Bewerber, falls die effektive und direkte Beteiligung der Bürger als Organisationsprinzip tatsächlich umgesetzt wird, im Losverfahren ausgewählt werden, wobei insbesondere dafür gesorgt werden muss, dass sie für die Demografie der Mitgliedstaaten repräsentativ sind und dass die Vielfalt der Generationen sowie die geografische, soziologische und sozio-professionelle Vielfalt repräsentiert wird;
14. ist der Ansicht, dass die wirksamste, gerechteste und unumstrittenste Möglichkeit der Einbeziehung der Bürger der Mitgliedstaaten die direkte Demokratie und insbesondere die Nutzung von Referenden ist;
15. verurteilt die Organisation von Foren, die speziell der Beteiligung junger Menschen gewidmet sind, was unmittelbar gegen den Grundsatz verstößt, dass Bürger unabhängig von ihrem Alter gleich zu behandeln sind, sobald sie das Alter der Volljährigkeit erreicht haben, das es ihnen ermöglicht, ihre Rechte und Pflichten als Bürger wahrzunehmen; ist darüber hinaus der Auffassung, dass diese Art von Initiative wahrscheinlich Konflikte zwischen den Generationen schüren wird, während die gegenseitige Hilfe zwischen den Generationen eine wichtige Grundlage unserer Gesellschaften ist;
Abschluss der Arbeit der Konferenz
16. fordert, dass am Ende der Arbeit der Konferenz ein einziges begründetes Dokument vorgelegt wird, aus dem hervorgeht, ob die institutionelle Funktionsweise der EU geändert werden muss;
17. fordert nachdrücklich, dass die Mitgliedstaaten, falls als Ergebnis der Konferenz tatsächlich Änderungen der Verträge gefordert werden, diese Änderungen zum Gegenstand eines Referendums machen, sofern ihre Verfassungen dies erlauben;
°
° °
18. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.