Entschließungsantrag - B9-0213/2020Entschließungsantrag
B9-0213/2020

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu der humanitären Lage in Venezuela und der Migrations- und Flüchtlingskrise

6.7.2020 - (2019/2952(RSP))

eingereicht im Anschluss an Erklärungen des Rates und der Kommission
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Kati Piri, Maria-Manuel Leitão-Marques, Javi López
im Namen der S&D-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0211/2020

Verfahren : 2019/2952(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B9-0213/2020
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B9-0213/2020
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B9-0213/2020

Entschließung des Europäischen Parlaments zu der humanitären Lage in Venezuela und der Migrations- und Flüchtlingskrise

(2019/2952(RSP))

Das Europäische Parlament,

 unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Venezuela, insbesondere die Entschließung vom 18. Juli 2019 zur Lage in Venezuela[1] und die Entschließung vom 16. Januar 2020 zur Lage in Venezuela nach der unrechtmäßigen Wahl des neuen Vorsitzes und des neuen Präsidiums der Nationalversammlung („parlamentarischer Staatsstreich“)[2],

 unter Hinweis auf die Erklärungen des Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (VP/HR) vom 3. April 2020, vom 16. Juni 2020 und vom 30. Juni 2020 im Namen der EU zu Venezuela,

 unter Hinweis auf die zwischen dem Gesundheitsministerium („Ministerio del Poder Popular para la salud“) der Bolivarischen Republik Venezuela und dem COVID-19-Beratungsteam der Nationalversammlung abgeschlossene Vereinbarung, gemeinsam mit der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation die Kräfte zur Bekämpfung von COVID-19 zu bündeln,

 unter Hinweis auf die Erklärungen der internationalen Kontaktgruppe vom 16. Juni 2020 zur Untergrabung der Glaubwürdigkeit des venezolanischen Wahlgremiums und vom 24. Juni 2020 zur Verschärfung der politischen Krise in Venezuela,

 unter Hinweis auf die Resolution der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vom 26. Juni 2020 zu den jüngsten widerrechtlichen Entscheidungen des Obersten Gerichts in der Bolivarischen Republik Venezuela,

 unter Hinweis auf die Erklärungen der Lima-Gruppe vom 20. Februar, 2. März, 2. April und 16. Juni 2020,

 unter Hinweis auf die gemeinsame Mitteilung der Kommission und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik vom 8. April 2020 über die globale Reaktion der EU auf COVID-19 (JOIN(2020)0011),

 gestützt auf den Beschluss (GASP) 2020/898 des Rates vom 29. Juni 2020 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2017/2074 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela[3],

 unter Hinweis auf die Erklärung der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom 2. Juli 2020 auf der 44. Tagung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen,

 unter Hinweis auf das nach dem Telefongespräch zwischen dem VP/HR Josep Borrell und dem venezolanischen Minister Jorge Arreaza veröffentlichte gemeinsame Kommuniqué vom 2. Juli 2020,

 unter Hinweis auf die Verfassung Venezuelas,

 gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass 5,1 Millionen Menschen Venezuela infolge von politischer Instabilität, Unsicherheit und wirtschaftlichem Zusammenbruch verlassen haben; in der Erwägung, dass dabei die überwiegende Mehrheit, d. h. 80 % der Menschen, in den Ländern Lateinamerikas und der Karibik aufgenommen wurden; in der Erwägung, dass es sich hierbei um die größte Flüchtlingskrise in der Geschichte Lateinamerikas handelt, die mittlerweile zu einer der größten Vertreibungskrisen weltweit geworden ist;

B. in der Erwägung, dass die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Menschen in Venezuela weiterhin gravierend verletzt werden, da die Löhne niedrig und die Lebensmittelpreise hoch sind, öffentliche Dienste wie die Strom- und Wasserversorgung nach wie vor Mängel aufweisen, Brennstoffknappheit besteht und der Zugang zur Gesundheitsversorgung prekär ist; in der Erwägung, dass die Krise durch die Verschärfung der Wirtschaftssanktionen und die COVID-19-Pandemie noch verschlimmert wurde;

C. in der Erwägung, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten die venezolanische Bevölkerung und die Gemeinschaften, die Flüchtlinge aufnehmen, seit Jahren unterstützen; in der Erwägung, dass die EU im Oktober 2019 gemeinsam mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) die erste Solidaritätskonferenz in Brüssel organisiert hat, um auf die gravierende Lage aufmerksam zu machen und für die Notwendigkeit zu sensibilisieren, im Rahmen einer Geberkonferenz im ersten Halbjahr 2020 Gelder zu mobilisieren; in der Erwägung, dass es aufgrund der durch COVID-19 ausgelösten Krise sogar noch drängender wird, diese Zusage zu erfüllen;

D. in der Erwägung, dass die EU und die spanische Regierung die Internationale Geberkonferenz zur Solidarisierung mit den venezolanischen Migranten und Flüchtlingen in den Ländern der Region mitten in der COVID-19-Krise einberufen hat, die dann am 26. Mai 2020 stattfand; in der Erwägung, dass neben den Agenturen der Vereinten Nationen, internationalen Finanzinstitutionen und Vertretern der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft über vierzig Länder an der Konferenz teilnahmen und zusagten, 2,544 Mrd. EUR zu mobilisieren, darunter 595 Mio. EUR in Form von Direktzuschüssen für die Vertriebenen und die wichtigsten Aufnahmegemeinschaften, und die Koordinierung zwischen den maßgeblichen Akteuren zu stärken;

E. in der Erwägung, dass sich die EU-Hilfe (sowohl innerhalb als auch außerhalb Venezuelas) auf über 319 Mio. EUR beläuft; in der Erwägung, dass 156 Mio. EUR für humanitäre Unterstützung, 136 Mio. EUR für Entwicklung und 27 Mio. EUR für die Schaffung von Frieden und Stabilität vorgesehen sind; in der Erwägung, dass die EU für venezolanische Flüchtlinge und Migranten ärztliche Notfalldienste, Hilfe im Ernährungsbereich, Unterkünfte, rechtliche Informationen und Unterstützung, Initiativen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt und Menschenhandel sowie Bildung in Notsituationen bereitstellt;

F. in der Erwägung, dass die EU angesichts der globalen COVID-19-Pandemie ihr Konzept „Team Europa“ verabschiedet hat, um die Auswirkungen der Krise abzumildern und zur regionalen Stabilität beizutragen; in der Erwägung, dass 918 Mio. EUR zugunsten der am stärksten gefährdeten Länder und Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika und der Karibik umgeschichtet wurden; in der Erwägung, dass die EU 9 Mio. EUR zur Unterstützung der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation und der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften bereitgestellt hat, um dazu beizutragen, die Ausbreitung von COVID-19 in Venezuela und den Ländern der Region einzudämmen und eine Antwort auf die Krise auszuarbeiten; in der Erwägung, dass diese Unterstützung über die Region hinweg verteilt wurde, wobei den Ländern, die die höchste Zahl an schutzbedürftigen Flüchtlingen und Migranten aus Venezuela aufgenommen haben, insbesondere Kolumbien, Peru und Ecuador, Priorität eingeräumt wurde;

G. in der Erwägung, dass beim UNHCR bis zum 15. Mai 2020 lediglich 22 % der von der internationalen Gemeinschaft zur Bewältigung der venezolanischen Flüchtlings- und Migrationskrise zugesicherten Mittel eingegangen sind; in der Erwägung, dass die internationale Gemeinschaft innovative Lösungen finden muss, um weitere mögliche Finanzmittel freizusetzen, damit die venezolanische Bevölkerung dabei unterstützt wird, ihren Soforthilfebedarf über die humanitäre Hilfe und die längerfristige Hilfe in Form von Zusammenarbeit hinaus zu decken;

H. in der Erwägung, dass am 1. Juni 2020 eine Vereinbarung zwischen dem Gesundheitsministerium der Bolivarischen Republik Venezuela und dem COVID-19-Beratungsteam der Nationalversammlung abgeschlossen wurde, damit für Venezuela in unpolitischer Weise Millionen von Dollar an humanitärer Hilfe durch die Panamerikanische Gesundheitsorganisation bereitgestellt und die Anstrengungen mit Blick auf den Eingang internationaler Gelder koordiniert werden können, um die Fähigkeit des Landes zu stärken, auf die Pandemie zu reagieren;

I. in der Erwägung, dass das Oberste Gericht Venezuelas am 26. Mai 2020 die Wahl von Luis Parra als Präsident der Nationalversammlung gebilligt hat; in der Erwägung, dass in der Sitzung, die im Januar 2020 stattfand, weder rechtliche Verfahren noch demokratische Verfassungsgrundsätze eingehalten wurden und eine große Mehrheit der Vertreter der demokratischen Kräfte daran gehindert wurde, der Sitzung beizuwohnen und folglich ihre Stimmen abzugeben;

J. in der Erwägung, dass die Ernennung der Mitglieder des Nationalen Wahlrats gemäß der Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela in der Verantwortung der Nationalversammlung liegt; in der Erwägung, dass das Oberste Gericht am 10. Juni 2020 entschieden hat, dem Wahlnominierungsausschuss eine Frist von 72 Stunden einzuräumen, um die Namen der Kandidaten für die Rektorenstellen des Nationalen Wahlrats vorzulegen; in der Erwägung, dass das Oberste Gericht die Rektoren des Nationalen Wahlrats am 12. Juni 2020 ernannt hat; in der Erwägung, dass die Möglichkeit, dass ein einvernehmlicher Wahlprozess stattfindet und demokratische Wahlen abgehalten werden, durch die Ersetzung des Vorstands von einigen wichtigen Oppositionsparteien enorm an Wahrscheinlichkeit eingebüßt hat;

K. in der Erwägung, dass der Rat am 29. Juni 2020 elf führende venezolanische Amtsträger aufgrund ihrer Rolle bei Handlungen und Beschlüssen, die die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in Venezuela untergraben, in die Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen aufgenommen hat, die restriktiven Maßnahmen unterliegen; in der Erwägung, dass mit dem Beschluss die Gesamtzahl der Personen, gegen die Sanktionen verhängt wurden, auf 36 erhöht wird, wobei die Sanktionen auch ein Reiseverbot und das Einfrieren von Vermögenswerten umfassen; in der Erwägung, dass diese Maßnahmen gegen Einzelpersonen gerichtet sind und nicht die Bevölkerung allgemein betreffen;

L. in der Erwägung, dass das Maduro-Regime daraufhin ankündigte, dass die EU-Botschafterin Isabel Brilhante Pedrosa, Leiterin der EU-Delegation in Caracas, 72 Stunden Zeit habe, um das Land zu verlassen; in der Erwägung, dass die EU eine Rücknahme dieser Entscheidung gefordert und sie entschieden verurteilt hat; in der Erwägung, dass die venezolanische Regierung nach einem Telefongespräch zwischen dem VP/HR Josep Borrell und dem venezolanischen Außenminister Jorge Arreaza entschieden hat, den Beschluss vom 29. Juni 2020, demzufolge die Botschafterin Isabel Brilhante Pedrosa zur Persona non grata erklärt wurde, aufzuheben; in der Erwägung, dass sich beide Seiten darauf geeinigt haben, dass der Rahmen für die diplomatischen Beziehungen aufrechterhalten werden und der Weg des politischen Dialogs offenstehen muss;

M. in der Erwägung, dass sieben EU-Mitgliedstaaten und das Vereinigte Königreich zusammen mit regionalen Partnern im Januar 2019 die internationale Kontaktgruppe ins Leben gerufen haben, damit die Voraussetzungen für einen politischen Prozess, der zur friedlichen Wiedereinsetzung der Demokratie führen könnte, geschaffen werden und dieser Prozess unterstützt wird; in der Erwägung, dass sich die EU weiterhin dafür einsetzen wird, dass eine breite internationale Unterstützung für einen friedlichen Übergang auf Verhandlungsbasis zustande kommt, der den Weg für eine demokratische Zukunft in Venezuela ebnet;

1. bekundet seine Solidarität mit und seine uneingeschränkte Unterstützung für die Menschen in Venezuela, die unter den Auswirkungen einer schweren humanitären und politischen Krise zu leiden haben, welche durch die COVID-19-Pandemie derzeit noch verschlimmert wird;

2. bekräftigt seinen Standpunkt, wonach eine tragfähige Lösung der tiefgreifenden Krise in Venezuela freie, transparente, glaubwürdige und faire Parlaments- und Präsidentschaftswahlen umfassen muss, bei denen eine internationale Wahlbeobachtung vorgesehen ist und der Nationale Wahlrat und das Oberste Gericht vollkommen unabhängig sind, sowie vollständige Pressefreiheit und die politische Teilhabe aller Venezolaner;

3. ist weiterhin der Überzeugung, dass eine friedliche, politische und demokratische Lösung der einzige nachhaltige Ausweg aus der Krise in Venezuela darstellt, und weist darauf hin, dass Gewalt, darunter eine militärische oder gewaltsame Invasion in dem Land, keine Option ist;

4. lehnt die rechtswidrige Ernennung der Mitglieder des Nationalen Wahlrats Venezuelas durch ein Urteil des Obersten Gerichts ab, die offen gegen die venezolanische Verfassung verstößt und die Mindestgarantien untergräbt, die für sämtliche Wahlprozesse und für die Rückkehr zur Demokratie in Venezuela erforderlich sind;

5. begrüßt die am 2. Juli 2020 erzielte Einigung, den Beschluss vom 29. Juni 2020 aufzuheben, mit dem die Botschafterin Isabel Brilhante Pedrosa zur Persona non grata erklärt wurde; vertritt die Auffassung, dass diplomatische Kanäle des Dialogs im Interesse der Bevölkerung offengehalten werden müssen;

6. fordert die internationale Kontaktgruppe auf, einen Konsens mit anderen internationalen Akteuren anzustreben, um eine Antwort der internationalen Gemeinschaft zu bewirken, die einen Beitrag dazu leistet, dass die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in Venezuela umgehend wiederhergestellt werden;

7. fordert die internationale Gemeinschaft auf, die bei der Geberkonferenz zugesagten Mittel im Umfang von 2,544 Mrd. EUR konkret auszuzahlen, und unterstützt innovative Regelungen, in deren Rahmen Venezolaner aus humanitären Gründen Zugang zu ihrem eingefrorenen Vermögen erhalten können;

8. begrüßt die bei der Bekämpfung von COVID-19 gemeinsam mit der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation erzielte Vereinbarung und fordert beide Seiten auf, umgehend konstruktive und alle Seiten einbeziehende Verhandlungen über die Konstituierung des Nationalen Wahlrats und die Aufhebung der Verbote für Oppositionsparteien aufzunehmen;

9. bekräftigt seine früheren Standpunkte, wonach einzig eine friedliche, demokratische und alle Seiten einbeziehende Lösung auf Dauer einen Ausweg aus der derzeitigen politischen Sackgasse und der daraus erwachsenen schweren sozialen und humanitären Krise bietet;

10. fordert, dass der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) im Rahmen der internationalen Kontaktgruppe weiterhin darauf hinarbeitet, dass im Wege einer freien und fairen Präsidentschaftswahl eine friedliche und demokratische Lösung gefunden wird;

11. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem rechtmäßigen Interimspräsidenten der Republik und der Nationalversammlung der Bolivarischen Republik Venezuela, den Regierungen und Parlamenten der Länder der Lima-Gruppe, der Parlamentarischen Versammlung Europa-Lateinamerika und dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten zu übermitteln.

Letzte Aktualisierung: 8. Juli 2020
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