ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Vorbereitung der Sondertagung des Europäischen Rates zu der gefährlichen Eskalation und der Rolle der Türkei im östlichen Mittelmeerraum
14.9.2020 - (2020/2774(RSP))
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Nathalie Loiseau, Petras Auštrevičius, Stéphane Bijoux, Vlad-Marius Botoş, Sylvie Brunet, Dita Charanzová, Olivier Chastel, Ilana Cicurel, Bernard Guetta, Klemen Grošelj, Moritz Körner, Frédérique Ries, Ramona Strugariu, Hilde Vautmans
im Namen der Renew-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0260/2020
B9-0266/2020
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Vorbereitung der Sondertagung des Europäischen Rates zu der gefährlichen Eskalation und der Rolle der Türkei im östlichen Mittelmeerraum
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zum östlichen Mittelmeerraum vom 19. August 2020,
– unter Hinweis auf die Erklärungen des Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, insbesondere auf seine Erklärung vom 20. August 2020,
– unter Hinweis auf die Erklärungen nach dem informellen Treffen der Außenminister (Gymnich-Treffen) vom 27. und 28. August,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Generalsekretärs der NATO vom 3. September 2020,
– unter Hinweis auf die Erklärung von Ajaccio nach dem siebten Gipfeltreffen der südlichen Länder der Union (MED7) vom 10. September 2020,
– unter Hinweis auf die Charta der Vereinten Nationen und auf alle Übereinkommen der Vereinten Nationen, denen EU-Mitgliedstaaten, darunter Griechenland und Zypern, sowie die Türkei beigetreten sind;
– unter Hinweis auf das Römische Statut und die Gründungsdokumente des Internationalen Gerichtshofs (IGH) sowie auf die Präzedenzfälle seiner Rechtsprechung,
– unter Hinweis auf den NATO-Vertrag von 1949,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 13. März 2019 zu dem Bericht 2018 der Kommission über die Türkei[1], in der es empfiehlt, dass die Kommission und der Rat im Einklang mit dem Verhandlungsrahmen alle Beitrittsverhandlungen mit der Türkei offiziell aussetzen,
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Türkei nach ihrem Beschluss, von türkischen Marineschiffen eskortierte Erkundungsschiffe völkerrechtswidrig in ein innerhalb der Seegrenzen Griechenlands und Zyperns liegendes Gebiet zu entsenden, die territoriale Integrität Griechenlands und Zyperns und somit auch die territoriale Integrität der Europäischen Union verletzt hat;
B. in der Erwägung, dass die Sondierungsgespräche zwischen Griechenland und der Türkei seit März 2016 stillstehen; in der Erwägung, dass sowohl der griechische als auch der türkische Präsident nach ihrem Treffen vom September 2019 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen und im Dezember einen positiven Impuls zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen gesetzt haben, um den politischen Dialog wieder aufzunehmen, wonach sich hohe Beamte im Januar 2020 in Ankara trafen und im Februar 2020 in Athen vertrauensbildende Maßnahmen erörtert wurden;
C. in der Erwägung, dass die Türkei im November 2019 mit der libyschen Regierung eine Vereinbarung über die Abgrenzung gemeinsamer Seegrenzen unterzeichnet hat, obwohl sie keine angrenzenden oder gegenüberliegenden Küsten besitzen; in der Erwägung, dass diese Vereinbarung von einer Reihe von Staaten in der Region für nichtig erklärt worden ist; in der Erwägung, dass Griechenland am 6. August 2020 nach 15-jährigen Verhandlungen eine Vereinbarung über die Abgrenzung seiner ausschließlichen Wirtschaftszone mit Ägypten unterzeichnet hat;
D. in der Erwägung, dass der Rat am 27. Februar 2020 zwei Manager der Turkish Petroleum Corporation (Türkiye Petrolleri Anonim Ortaklığı, TPAO) auf die Sanktionsliste der EU gesetzt hat und ein Reiseverbot verhängt und Vermögenswerte eingefroren hat, nachdem die Türkei ohne Genehmigung der Republik Zypern in rechtswidrige Bohrtätigkeiten im östlichen Mittelmeer involviert war; in der Erwägung, dass ein Rechtsrahmen für restriktive Maßnahmen als Reaktion auf die rechtswidrigen Bohrtätigkeiten der Türkei am 11. November 2019 vom Rat angenommen wurde, nachdem er wiederholt seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht und die Aktivitäten der Türkei in mehreren Schlussfolgerungen, insbesondere denen vom 22. März 2018 und vom 20. Juni 2019, nachdrücklich verurteilt hatte;
E. in der Erwägung, dass die Türkei im Februar und März 2020 logistische Unterstützung bereitstellte, um Tausende Migranten an die griechische Grenze zu schicken, und Desinformationskampagnen gegen Griechenland und die EU betrieben hat;
F. in der Erwägung, dass die Türkei am 21. Juli beschloss, Erkundungstätigkeiten innerhalb der griechischen Seegrenzen um Kastelorizo und an der Bohrstelle des Schiffs Barbaros in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Republik Zypern vorzunehmen;
G. in der Erwägung, dass die Türkei am 16. August 2020 17 Marineschiffe entsandte, um ihr Forschungsschiff Oruç Reis in griechische Gewässer zu eskortieren, während sie gleichzeitig die türkische Flotte im Ägäischen Meer stationierte, woraufhin die griechischen Streitkräfte in Alarmzustand versetzt wurden; in der Erwägung, dass am nächsten Tag in dem Gebiet ein griechisches und ein türkisches Kriegsschiff versehentlich zusammenstießen;
H. in der Erwägung, dass sich die Türkei nach Deutschlands Vermittlungsbemühungen bereitfand, ihr Forschungsschiff Oruç Reis bis zum 23. August abzuziehen und die gemeinsamen Sondierungsgespräche mit Griechenland wieder aufzunehmen; in der Erwägung, dass die Türkei ihr Schiff und ihre Flotte dennoch bis zum 12. September nicht abzog, womit sie das Mandat ihrer illegalen Mission verlängerte;
I. in der Erwägung, dass die Türkei schließlich am 12. September die Rückkehr ihres Forschungsschiffs Oruç Reis anordnete;
J. in der Erwägung, dass Griechenland seit Januar 2020 über 600 Verletzungen seines Luftraums durch die türkische Luftwaffe über den demilitarisierten griechischen Inseln in der Ägäis aufgezeichnet hat; in der Erwägung, dass die Türkei versucht hat, die NATO-Pläne zur Verteidigung Polens und der baltischen Staaten zu blockieren;
K. in der Erwägung, dass am 10. Juni türkische Kriegsschiffe einem französischen Marineschiff mit äußerst feindseligem Verhalten begegneten, als es im Rahmen der NATO-Mission „Sea Guardian“ darum ersuchte, ein türkisches Schiff zu inspizieren, das im Verdacht stand, gegen das Waffenembargo der Vereinten Nationen gegen Libyen zu verstoßen;
L. in der Erwägung, dass Frankreich, um Griechenland und Zypern zu unterstützen, am 12. August zwei Marineschiffe und Kampfflugzeuge in dem Gebiet stationierte und am 26. August zusammen mit Griechenland, Zypern und Italien an Militärübungen teilnahm;
M. in der Erwägung, dass es der Verantwortung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten obliegt, das Völkerrecht zu wahren, auch das Seerechtsübereinkommen von Montego Bay und die damit zusammenhängende Rechtsprechung über Seegrenzen, auch wenn die Türkei das Übereinkommen nicht ratifiziert hat;
N. in der Erwägung, dass Griechenland und Zypern ihre Bereitschaft bekräftigt haben, sich an die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs zu wenden;
O. in der Erwägung, dass die EU der bei Weitem wichtigste Handelspartner der Türkei und ihre primäre Quelle ausländischer Direktinvestitionen ist; in der Erwägung, dass die Initiative zur Modernisierung der Zollunion 2018 ausgesetzt wurde; in der Erwägung, dass die Gespräche über sektorale Partnerschaften zwischen der EU und der Türkei erst wieder aufgenommen werden können, nachdem die Spannungen im östlichen Mittelmeerraum deeskaliert sind;
P. in der Erwägung, dass die Türkei nach wie vor ein wichtiger Partner für die EU und ein NATO-Mitglied ist; in der Erwägung, dass die Vertragsparteien gemäß Artikel 1 des NATO-Vertrags verpflichtet sind, alle internationalen Streitigkeiten, an denen sie beteiligt sind, mit friedlichen Mitteln beizulegen, ohne den Weltfrieden, die internationale Sicherheit und die internationale Gerechtigkeit zu gefährden, und in ihren internationalen Beziehungen von jeglicher Androhung oder Anwendung von Gewalt, die mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist, abzusehen;
1. bekundet Griechenland und Zypern seine uneingeschränkte Solidarität;
2. verurteilt entschieden die militärische und zivile Intervention der Türkei innerhalb der EU-Seegrenzen der EU-Mitgliedstaaten Griechenland und Zypern im östlichen Mittelmeer, die die Sicherheit und Stabilität der Region gravierend untergräbt und gegen das Völkerrecht verstößt;
3. begrüßt den Beschluss der Türkei vom 12. September, seine Forschungs- und Marineschiffe unverzüglich aus den Seegrenzen der EU abzuziehen; fordert die Türkei auf, die Gespräche mit Griechenland und Zypern und die vertrauensbildenden Maßnahmen wieder aufzunehmen; fordert, dass sich die Türkei ansonsten, wie von Griechenland und Zypern gefordert, an den Internationalen Gerichtshof wendet, um ungelöste territoriale Fragen zu klären;
4. lehnt die einseitige Erklärung des türkischen Außenministers, dass die Seegebiete Griechenlands und Zyperns, weil sie auf demselben Festlandsockel wie die Türkei liegen, als Teil des türkischen Gebiets gelten sollten, entschieden ab;
5. begrüßt die anhaltenden Vermittlungsbemühungen Deutschlands, die die Lage deeskalieren sollen;
6. verurteilt die ständigen Drohungen der türkischen Regierung gegen Griechenland, Zypern und Mitgliedstaaten der EU und ihre Desinformationskampagnen gegen die EU;
7. weist darauf hin, dass das Parlament angesichts der erheblichen Verschlechterung der Lage in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in dem Land bereits Schritte unternommen hat, um die Finanzierung aus dem Instrument für Heranführungshilfe (IPA II) für die Türkei zu verringern;
8. ersucht den Rat, auf seiner Tagung am 24. September alle geeigneten Mittel zu nutzen, die der Europäischen Union zur Verfügung stehen, um auf die aggressiven Maßnahmen der Türkei zu reagieren; fordert ihn auf, seine Vorbereitung zusätzlicher Einträge in die EU-Sanktionsliste nach den bereits auf dem Tisch liegenden Vorschlägen zu beschleunigen, damit sie möglichst rasch angenommen werden können, und fordert den Rat auf, eine Liste zusätzlicher restriktiver Maßnahmen aufzustellen, etwa mit einem umfassenden Waffenembargo für den Fall, dass die türkische Regierung auf dem Weg zum Dialog nicht genug Fortschritte erzielt und ihre einseitigen Aktivitäten nicht einstellt;
9. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, den Vereinten Nationen und der Türkei zu übermitteln und die Übersetzung dieses Texts ins Türkische zu veranlassen.
- [1] Angenommene Texte, P8_TA(2019)0200.