Entschließungsantrag - B9-0270/2020Entschließungsantrag
B9-0270/2020

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Vorbereitung der Sondertagung des Europäischen Rates zu der gefährlichen Eskalation und der Rolle der Türkei im östlichen Mittelmeerraum

14.9.2020 - (2020/2774(RSP))

eingereicht im Anschluss an Erklärungen des Rates und der Kommission
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Michael Gahler, Kris Peeters, David McAllister, Antonio López-Istúriz White, Manolis Kefalogiannis, Vangelis Meimarakis, David Lega, Loucas Fourlas, Lefteris Christoforou, Anna-Michelle Asimakopoulou
im Namen der PPE-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0260/2020

Verfahren : 2020/2774(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B9-0270/2020
Eingereichte Texte :
B9-0270/2020
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Angenommene Texte :

B9-0270/2020

Entschließung des Europäischen Parlaments zu der gefährlichen Eskalation und der Rolle der Türkei im östlichen Mittelmeerraum

(2020/2774(RSP))

Das Europäische Parlament,

 unter Hinweis auf die Aussprache des Europäischen Parlaments vom 9. Juli 2020 über Stabilität und Sicherheit im östlichen Mittelmeerraum und die negative Rolle der Türkei;

 Unter Hinweis auf das Ergebnis des informellen Treffens der Außenminister der EU (Gymnich-Treffen) vom 28. August 2020,

 unter Hinweis auf die Erklärung des Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (VP/HR) Josep Borrell vom 16. August 2020 zu erneuten Bohrtätigkeiten der Türkei im östlichen Mittelmeer,

 unter Hinweis auf die Äußerungen des VP/HR Borrell vom 6. Juli 2020 auf der Pressekonferenz im Anschluss an sein Treffen mit dem türkischen Außenminister Mevlut Çavuşoğlu;

 unter Hinweis auf die Äußerungen des VP/HR vom 25. Juni 2020 im Anschluss an sein Treffen mit dem griechischen Verteidigungsminister Nikolaos Panagiotopoulos;

 unter Hinweis auf die Äußerungen des VP/HR vom 26. Juni 2020 im Anschluss an sein Treffen mit dem zyprischen Außenminister Nikos Christodoulides;

 unter Hinweis auf das einschlägige Völkergewohnheitsrecht und das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ), insbesondere auf Teil V über die Abgrenzung der ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ),

 unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 22. März 2018, 28. Juni 2018, 22. März 2019, 20. Juni 2019 und 12. Dezember 2019 sowie auf die früheren einschlägigen Schlussfolgerungen des Rates und des Europäischen Rates,

 unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 17./18. Oktober zu den rechtswidrigen Bohrungen der Türkei in der AWZ Zyperns.

 unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Türkei, insbesondere jene vom 24. November 2016 zu den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei[1] sowie vom 13. März 2019 zu dem Bericht 2018 der Kommission über die Türkei[2],

 unter Hinweis auf die Erklärungen der Außenminister der EU vom 15. Mai 2020 und vom 14. August 2020 zur Lage im östlichen Mittelmeerraum,

 unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Präsidenten des Europäischen Rates vom 19. August 2020 im Anschluss an die Videokonferenz mit den Mitgliedern des Europäischen Rates,

 gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass die Türkei ein Bewerberland und ein wichtiger Partner der EU ist, von dem erwartet wird, dass er die höchsten demokratischen Standards, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit achtet und internationale Übereinkommen einhält;

B. in der Erwägung, dass die Türkei ein NATO-Verbündeter ist und ermutigt werden sollte, ihr Potenzial zur Erhaltung der Stabilität in der Region auszuschöpfen;

C. in der Erwägung, dass die Türkei seit der Entdeckung der Offshore-Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer Anfang der 2000er Jahre ihre Nachbarn im Hinblick auf das Völkerrecht und die Abgrenzung ihrer AWZ herausgefordert hat;

D. in der Erwägung, dass die Regierungen Zyperns, Ägyptens, Griechenlands, Israels, Italiens und Jordaniens sowie die Palästinensische Behörde im Januar 2019 das Gasforum Östliches Mittelmeer gegründet haben, ein multinationales Gremium, dessen Aufgabe es ist, einen regionalen Erdgasmarkt und einen Mechanismus für die Ressourcenentwicklung zu entwickeln;

E. in der Erwägung, dass die Türkei im Mai 2019 die Spannungen eskalieren ließ, als sie mehrere Bohrschiffe begleitet von Militärschiffen in die Hoheitsgewässer Zyperns entsendete; in der Erwägung, dass Zypern und Griechenland infolgedessen Haftbefehle für die Besatzungen aller türkischen Bohrschiffe erließen, die ihren Erdgasaktivitäten behinderten;

F. in der Erwägung, dass die Spannungen Anfang Oktober 2019 einen weiteren Höhepunkt erreichten, als die Türkei eines ihrer Bohrschiffe in ein Gebiet verlagerte, für das Zypern bereits internationalen Ölkonzernen Explorationsrechte eingeräumt hatte;

G. in der Erwägung, dass die Türkei im November 2019 eine Vereinbarung mit der von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung der Nationalen Einheit Libyens unterzeichnete, in der eine neue Seegrenze zwischen den beiden Ländern festgelegt wurde; in der Erwägung, dass die fragliche Vereinbarung nicht mit den Grundsätzen des Völkerrechts vereinbar ist und bei ihrer Umsetzung eine tatsächliche Trennlinie zwischen dem östlichen und dem westlichen Teil des Mittelmeers zur Folge haben würde, wodurch die maritime Sicherheit, die Erdgasexploration und neue Infrastrukturen wie die EastMed-Pipeline in Gefahr gebracht würden;

H. in der Erwägung, dass der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen vom 12. Dezember 2019 erklärte, dass die Vereinbarung die Hoheitsrechte dritter Staaten verletze, nicht mit dem Seerecht vereinbar sei und keine Rechtswirkung für dritte Staaten entfalten könne;

I. in der Erwägung, dass Zypern, Griechenland und Israel im Januar 2020 eine Vereinbarung über den Bau der EastMed-Pipeline unterzeichnet haben, die auch zur Diversifizierung der Energieversorgung in der EU beitragen würde;

J. in der Erwägung, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und der Regierungschef der Nationalen Einheit Libyens Fajis al-Sarradsch am 2. Juni 2020 die Möglichkeit von Bohrungen in der gesamten Region, auf die sich die Vereinbarung zwischen der Türkei und Libyen bezieht, erörterten;

K. in der Erwägung, dass Griechenland und Italien am 9. Juni 2020 in Athen ein bilaterales Abkommen zur Abgrenzung ihrer AWZ im Ionischen Meer unterzeichneten, bei dem es sich um eine Erweiterung des bestehenden Abkommens von 1977 im Einklang mit dem SRÜ handelt;

L. in der Erwägung, dass die Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfeltreffen der EU-Mittelmeeranrainerstaaten (Med7) am 10. September 2020 ihre uneingeschränkte Unterstützung und Solidarität mit Griechenland und ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht haben, dass die Türkei nicht auf die wiederholten Forderungen der EU nach Beendigung ihrer einseitigen und rechtswidrigen Handlungen im östlichen Mittelmeer und in der Ägäis reagiert hat;

M. in der Erwägung, dass die Türkei im Juli 2020 unmittelbar nach dem Gipfeltreffen des Europäischen Rates eine NAVTEX-Mitteilung über Explorationsaktivitäten rund um Kastellorizo für den Zeitraum vom 21. Juli bis zum 2. August 2020 herausgab und dass Präsident Erdoğan die Mission des Schiffes Oruç Reis abbrechen ließ, nachdem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeschaltet hatte, gleichzeitig aber eine NAVTEX-Mitteilung über Bohrungen durch das Schiff Barbaros in der AWZ Zyperns herausgab;

N. in der Erwägung, dass einige Mitgliedstaaten bereits beschlossen haben, keine Genehmigungen für Rüstungsexporte in die Türkei mehr zu erteilen; in der Erwägung, dass sich die Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Bestimmungen des Gemeinsamen Standpunkts 2008/944/GASP zu entschiedenen nationalen Standpunkten in Bezug auf ihre Politik der Rüstungsausfuhren in die Türkei, einschließlich der strikten Anwendung des Kriteriums 4 hinsichtlich der Stabilität in einer Region, verpflichtet haben;

O. in der Erwägung, dass das Verhalten der Türkei über ihre geoökonomischen Interessen hinaus eine ehrgeizigere geopolitische Agenda widerspiegelt, in deren Rahmen der Einfluss des Landes vom Nordirak über Syrien bis nach Libyen ausgeweitet werden soll;

P. in der Erwägung, dass die Türkei ihre derzeitigen illegalen unilateralen Militäraktionen im östlichen Mittelmeer, die der Souveränität der EU-Mitgliedstaaten (insbesondere Griechenland und Zypern) und dem Völkerrecht zuwiderlaufen, fortführt;

Q. in der Erwägung, dass Präsident Erdoğan die Hagia Sophia am 10. Juli 2020 infolge einer gerichtlichen Entscheidung, mit der das Dekret von Kemal Ataturk von 1934, die Stätte in ein Museum umzuwandeln, aufgehoben wurde, in eine Moschee umgewandelt hat; in der Erwägung, dass diese Entscheidung von der UNESCO scharf kritisiert worden ist;

R. in der Erwägung, dass die schlechte Erfolgsbilanz der Türkei bei der Wahrung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit die EU dazu veranlasst hat, die Beitrittsverhandlungen und alle Heranführungshilfen im Rahmen des neuen mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 auszusetzen;

S. in der Erwägung, dass die Oruç Reis nach einer einmonatigen Erkundungsfahrt im östlichen Mittelmeer ihre Kabel einholte und nach dem Ablauf der Gültigkeit ihrer NAVTEX-Mitteilung für die Gewässer zwischen der Türkei, Zypern und Kreta, in denen sie sich ab dem 10. August 2020 aufhielt, nach Antalya zurückkehrte; in der Erwägung, dass das Schiff zusammen mit einer Marine-Eskorte die Erkundungen vor den Küsten der griechischen Inseln Kastellorizo und Rhodos bis zum 25. September fortsetzen sollte und dass die Operation Berichten zufolge aufgrund der von der NATO eingeleiteten Verhandlungsbemühungen ausgesetzt wurde;

1. bekräftigt die Bedeutung guter Beziehungen zur Türkei auf der Grundlage einer langen Geschichte gemeinsamer Werte; fordert die türkische Regierung in diesem Zusammenhang auf, die wiederholten Verletzungen des Luftraums und der Hoheitsgewässer Griechenlands und Zyperns zu beenden und die territoriale Integrität und Souveränität all ihrer Nachbarländer zu achten; bekräftigt ferner, dass die EU Griechenland und Zypern diesbezüglich zur Seite steht;

2. verurteilt aufs Schärfste die illegalen Aktivitäten der Türkei auf dem Festlandsockel und in den AWZ Griechenlands und Zyperns, die den Interessen der EU zuwiderlaufen, und fordert die türkischen Staatsorgane auf, diese Aktivitäten einzustellen, im Geiste gutnachbarschaftlicher Beziehungen zu handeln und die Souveränität Zyperns und Griechenlands im Einklang mit dem Völkerrecht zu achten;

3. betont, dass die Rechtsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten zum Abschluss internationaler Abkommen mit anderen souveränen Staaten sowie deren Hoheitsrechte – zu denen unter anderem das Recht gehört, natürliche Ressourcen im Einklang mit dem Besitzstand der EU und dem Völkerrecht, einschließlich des SRÜ, zu erforschen und zu nutzen – geachtet werden müssen;

4. fordert angesichts der wiederholten Eskalation der Aggressionen durch die Türkei und in Ermangelung von Fortschritten die unverzügliche Verabschiedung zusätzlicher Listen zu der bestehenden Regelung für illegale Bohrungen im östlichen Mittelmeer; verlangt, dass auf der Tagung des Europäischen Rates am 24. und 25. September 2020 eine Liste weiterer restriktiver Maßnahmen gegenüber der Türkei ausgearbeitet und erörtert wird;

5. erklärt, dass eine Lösung auf diplomatischem Wege, durch Vermittlung und im Rahmen des Völkerrechts gefunden werden muss; ist jedoch bereit, gezielte und wirksame Sanktionen und/oder branchenspezifische Maßnahmen gegen die Türkei, einschließlich solcher, die auf den Energiesektor abzielen, weiter voranzubringen;

6. fordert die entsprechenden Foren innerhalb der NATO und insbesondere die Hochrangige Task Force für die Kontrolle konventioneller Waffen auf, die Rüstungskontrolle im östlichen Mittelmeerraum dringend zu erörtern;

7. Begrüßt die Einladung der Regierungen der Republik Zypern und Griechenlands an die Türkei, nach Treu und Glauben über die Festlegung der Seegrenzen zwischen ihren jeweiligen Küsten zu verhandeln; stellt fest, dass beide Regierungen unter Beweis gestellt haben, dass sie sich weiterhin uneingeschränkt für einen Dialog nach Treu und Glauben im Einklang mit dem Völkerrecht und dem SRÜ einsetzen; ersucht die Türkei, der Aufforderung der Regierungen der Republik Zypern und Griechenlands zu folgen, einen besonderen Kompromiss zu schließen, in dessen Rahmen der Internationale Gerichtshof mit der Frage der Abgrenzung ihrer jeweiligen Festlandsockel und AWZ befasst wird;

8. begrüßt, dass Deutschland zwischen Griechenland und der Türkei vermittelt, und bringt seine Hoffnung und das Vertrauen zum Ausdruck, dass diese Vermittlungen zu einem konstruktiven und von allen Seiten akzeptierten Ergebnis führen werden;

9. bekräftigt die Bedeutung Zyperns und Griechenlands als europäische Säulen der Stabilität in der Region und für die Stärkung der Energieversorgungssicherheit in der EU;

10. verweist auf den politischen Konsens, den die Außenminister der EU am 27. und 28. August 2020 erzielt haben, wonach die zuständigen Arbeitsgruppen des Rates ihre Arbeit beschleunigen sollten, um von Zypern vorgeschlagene Personen in die Liste der bestehenden Regelung für Personen, die an illegalen Bohrungen im östlichen Mittelmeer beteiligt sind, aufzunehmen, damit sie rasch verabschiedet werden kann;

11. fordert die türkische Regierung erneut auf, das SRÜ zu unterzeichnen und zu ratifizieren, und erinnert daran, dass – auch wenn die Türkei keine Vertragspartei ist – das Gewohnheitsrecht ausschließliche Wirtschaftszonen auch für unbewohnte Inseln vorsieht;

12. weist darauf hin, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten den engen Dialog und die Zusammenarbeit mit der Türkei in außen- und sicherheitspolitischen Fragen aufrechterhalten müssen; erinnert daran, dass die Türkei seit langem Mitglied des NATO-Bündnisses ist, und stellt fest, dass die EU und die Türkei weiterhin in Fragen von strategischer (militärischer) Bedeutung im Rahmen der NATO zusammenarbeiten;

13. erinnert an seine Entschließung vom Oktober 2019 zum türkischen Militäreinsatz in Syrien[3], in der es den Rat aufforderte, die Aussetzung der Handelspräferenzen im Rahmen des Abkommens über landwirtschaftliche Erzeugnisse und als letztes Mittel die Aussetzung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei, die seit Dezember 1995 in Kraft ist, zu erwägen;

14. beharrt darauf, dass die Vereinbarung zwischen der Türkei und der von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung der Nationalen Einheit Libyens vom 27. November 2019, in der eine neue Seegrenze zwischen den beiden Ländern festgelegt wird, gegen das Völkerrecht verstößt und daher für Drittstaaten nicht rechtsverbindlich ist;

15. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik zu übermitteln.

 

Letzte Aktualisierung: 16. September 2020
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