ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zum Schengen-System und zu den während der COVID-19-Krise ergriffenen Maßnahmen
18.11.2020 - (2020/2801(RSP))
Dolors Montserrat
im Namen des Petitionsausschusses
B9-0362/2020
Entschließung des Europäischen Parlaments zum Schengen-System und zu den während der COVID-19-Krise ergriffenen Maßnahmen
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Petition Nr. 0653/2020,
– gestützt auf Artikel 21 Absatz 1 und Artikel 67 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
– gestützt auf das Protokoll des Vertrags von Amsterdam zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union[1],
– gestützt auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex)[2],
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 30. März 2020 mit dem Titel: „Leitlinien zur Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitskräfte während des COVID-19-Ausbruchs“ (C(2020)2051),
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 16. Juli 2020 mit dem Titel: „Leitlinien für Saisonarbeitnehmer in der EU im Zusammenhang mit dem COVID-19-Ausbruch“ (C(2020)4813),
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 13. Mai 2020 mit dem Titel: „COVID-19 – Hin zu einem abgestuften und koordinierten Vorgehen zur Wiederherstellung der Freizügigkeit und zur Aufhebung der Kontrollen an den Binnengrenzen“ (C(2020)3250),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 17. April 2020 zu abgestimmten Maßnahmen der EU zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und ihrer Folgen[3] und seine Entschließung vom 19. Juni 2020 zur Lage im Schengen-Raum nach dem Ausbruch von COVID-19[4],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 19. Juni 2020 zum europäischen Schutz von Grenzgängern und Saisonarbeitskräften im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise[5];
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 17. September 2020 mit dem Titel: „COVID-19: EU-weite Koordinierung von medizinischen Beurteilungen und Risikoeinstufungen und die Folgen für den Schengen-Raum und den Binnenmarkt“[6],
– unter Hinweis auf die Empfehlung (EU) 2020/1475 des Rates vom 13. Oktober 2020 für eine koordinierte Vorgehensweise bei der Beschränkung der Freizügigkeit aufgrund der COVID-19-Pandemie[7],
– unter Hinweis auf die Beratungen zur Petition Nr. 0653/2020 in der Sitzung des Petitionsausschusses vom 2. Juli 2020,
– gestützt auf Artikel 227 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der Petitionsausschuss die Petition Nr. 0653/2020 von Vertretern der belgischen, deutschen, niederländischen und luxemburgischen Grenzregionen erhalten hat, in der diese ihre Bedenken wegen der plötzlichen Schließung der EU-Binnengrenzen als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie und wegen der Folgen der Maßnahmen einzelner Mitgliedstaaten für die Menschen in der EU, insbesondere diejenigen, die in Grenzregionen leben, äußern;
B. in der Erwägung, dass Grenzregionen 40 % des Hoheitsgebiets der Europäischen Union mit 30 % der EU-Bevölkerung ausmachen;
C. in der Erwägung, dass der Schengen-Besitzstand von entscheidender Bedeutung dafür ist, dass die Grenzregionen zu Orten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Austauschs sowie zu Modellregionen für territoriale Zusammenarbeit und institutionelle Innovationen werden;
D. in der Erwägung, dass die COVID-19-Pandemie eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt und sich auf die Gesundheit und das Leben aller in der EU lebenden Menschen sowie die Gesundheits- und Pflegesysteme der Mitgliedstaaten auswirkt;
E. in der Erwägung, dass die meisten Mitgliedstaaten als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie wieder Kontrollen an den Binnengrenzen eingeführt oder die Grenzen geschlossen haben; in der Erwägung, dass vorübergehende Einreisebeschränkungen in den Schengen-Raum für Drittländer, aber auch für EU-Mitgliedstaaten eingeführt wurden und weiterhin gelten; stellt fest, dass diese Maßnahmen weder zwischen den Mitgliedstaaten noch mit den EU-Organen abgestimmt wurden;
F. in der Erwägung, dass es mehr als 17 Millionen EU-Bürger gibt, die in einem anderen EU-Land als dem ihrer Staatsangehörigkeit leben und arbeiten (3,9 % der gesamten Erwerbsbevölkerung im Jahr 2018);
G. in der Erwägung, dass gemäß dem Schengener Grenzkodex Kontrollen an den Binnengrenzen von den Mitgliedstaaten ausnahmsweise und als letztes Mittel im Falle einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit eingeführt werden können und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren müssen; in der Erwägung, dass dies in dem Fall anderen Mitgliedstaaten und der Kommission gemeldet werden muss;
1. betont, dass ein Raum ohne Binnengrenzen ein wichtiger Bestandteil des europäischen Binnenmarkts ist; weist erneut darauf hin, dass die COVID-19-Pandemie eine Krise ausgelöst hat, wie es sie in Europa seit der Schaffung des Schengen-Raums noch nicht gegeben hat;
2. betont, dass die Freizügigkeit einer der Eckpfeiler einer funktionierenden Europäischen Union und eine ihrer größten Errungenschaften ist; weist auf die zunehmende Mobilität in der EU zu Zwecken des dauerhaften Aufenthalts, der Arbeit, des Studiums oder einer Geschäftstätigkeit hin;
3. betont, dass die Freizügigkeit durch die vollständige oder teilweise Schließung der Grenzen durch die Mitgliedstaaten während der COVID-19-Pandemie gravierend beeinträchtigt wurde; bedauert, dass durch die übereilte und unkoordinierte plötzliche Schließung der Grenzen und die Einführung flankierender Maßnahmen Menschen auf der Durchreise im Ausland festsaßen und alle in Grenzregionen lebenden Menschen davon schwer getroffen wurden, da ihre Möglichkeit, die Grenze zu Arbeitszwecken zu überqueren, Dienstleistungen jenseits der Grenze zu erbringen bzw. in Anspruch zu nehmen oder Freunde bzw. Familienangehörige dort zu besuchen, eingeschränkt wurde; betont, dass sich die Schließung der Binnen- und Außengrenzen nachteilig auf den internationalen Handel, wissenschaftlichen Austausch und Tourismus auswirkt; betont, dass die Mitgliedstaaten anstelle der Einführung von Grenzkontrollen bestrebt sein sollten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen den Grenzverkehr zu ermöglichen und gleichzeitig für ein Höchstmaß an Sicherheit und Gesundheitsschutz zu sorgen;
4. betont, dass die Vorschriften des Schengen-Besitzstands eingehalten werden müssen, um Maßnahmen im Schengen-Raum und insbesondere in den Grenzregionen besser aufeinander abstimmen und einen Flickenteppich an Regelungen der Mitgliedstaaten verhindern zu können; betont, dass Maßnahmen zur Beschränkung der Freizügigkeit eine Ausnahme bleiben sollten; betont, dass Beschränkungen der Freizügigkeit durch gezielte Maßnahmen im Einklang mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Nichtdiskriminierung ersetzt werden sollten; fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Beschränkungen abzumildern; weist erneut darauf hin, wie wichtig die Widerherstellung eines voll funktionsfähigen Schengen-Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen ist;
5. stellt fest, dass die von der Pandemie am stärksten betroffenen Gebiete nicht immer mit den nationalen Grenzen zusammenfallen, weshalb die Beschränkungen der Freizügigkeit gemäß der Gesundheitslage in den jeweiligen Regionen verhängt werden sowie flexibel und örtlich begrenzt sein sollten;
6. begrüßt die Bemühungen der Kommission und der Mitgliedstaaten, die laufenden koordinierten EU-Maßnahmen zur Gewährleistung des Schutzes der öffentlichen Gesundheit bei gleichzeitiger Wahrung der Freizügigkeit zu unterstützen; ruft die Kommission, den Rat und die Mitgliedstaaten dazu auf, die Maßnahmen der übergreifenden Koordinierung auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse weiter zu verbessern und vollständig umzusetzen, und zwar insbesondere in Bezug auf Quarantänevorschriften, die grenzüberschreitende Ermittlung von Kontakten mit Infizierten, Teststrategien, die gemeinsame Bewertung von Testverfahren, die gegenseitige Anerkennung von Tests und die vorübergehende Beschränkung nicht unbedingt notwendiger Reisen in die EU; ist der Ansicht, dass umfassende, angemessene und eindeutige Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit für Personen, die Binnengrenzen überschreiten, ergriffen werden sollten, damit es nicht zu einer Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen kommt;
7. begrüßt, dass die Kommission im Rahmen der laufenden Koordinierung der gemeinsamen Reaktion der EU auf den Ausbruch der COVID-19-Pandemie fortlaufend Orientierungshilfe bietet, insbesondere in Bezug auf die Umsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung und die Ausübung der uneingeschränkten und von Fairness gekennzeichneten Mobilität von Arbeitnehmern und Dienstleistungen;
8. fordert die Kommission auf, ihre Bemühungen zur Verbesserung und Unterstützung der EU-weiten Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen und mit den Mitgliedstaaten fortzusetzen, solange die Pandemie andauert;
9. ist der Auffassung, dass Instrumente wie mobile Anwendungen zur Rückverfolgung von Kontakten mit COVID-19-Infizierten grenzübergreifend kompatibel sein sollten, damit sie wirksam sind und Infektionen, zu denen es im Reiseverkehr kommt, damit aufgespürt werden können; betont, dass die in der EU lebenden Menschen leichten Zugang zu verlässlichen und umfassenden Informationen in Echtzeit über Reisebeschränkungen sowie Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie in der gesamten EU haben sollten; weist erneut darauf hin, wie wichtig eine mehrsprachige Kommunikation über die Pandemie mit einem besondere Augenmerk auf den in den Grenzregionen verwendeten Sprachen ist; fordert die Kommission auf, die Website „Re-open EU“ entsprechend zu aktualisieren, um eine echte zentrale Anlaufstelle zu schaffen, mit der die Freizügigkeit während der Pandemie erleichtert und den in der EU lebenden Menschen wirksam geholfen wird, ihre gewohnte Lebensweise wiederaufnehmen zu können;
10. bringt seine Besorgnis über die zahlreichen Hindernisse zum Ausdruck, mit denen viele Grenzgänger, Studenten und zusammenlebende Ehepartner unterschiedlicher Staatsangehörigkeit aufgrund der Schließung von Grenzen oder Reisebeschränkungen konfrontiert sind; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, den Besonderheiten grenzübergreifender Regionen spezielle Aufmerksamkeit zu widmen, in denen grenzüberschreitender Pendelverkehr üblich ist; schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass die Bewohner von Grenzregionen und Grenzgänger von pandemiebezogenen Maßnahmen und Einschränkungen ausgenommen und gleichzeitig verpflichtet werden sollten, die Empfehlungen und Maßnahmen der Gesundheitsbehörden der jeweiligen Mitgliedstaaten zu beachten, die dazu dienen, die Ausbreitung des Virus zu verhindern;
11. ist der Ansicht, dass eine rasche Rückkehr zu einem voll funktionsfähigen Schengen-Raum von größter Bedeutung ist und sowohl vom politischen Willen der Mitgliedstaaten als auch von ihrer Verpflichtung zur Koordinierung der Maßnahmen im Rahmen des Schengen-Besitzstands abhängt; weist erneut darauf hin, dass man von nicht abgestimmten und bilateralen Maßnahmen absehen sollte, die zu unnötigen Einschränkungen der Mobilität und der Freizügigkeit führen könnten; stellt fest, dass eine Strategie für die Zukunft des Schengen-Systems eine der wichtigsten Initiativen der Kommission für das Jahr 2021 ist; erinnert daran, dass die Vollendung der Schengen-Integration mehr als wünschenswert ist, da dann alle EU-Bürger gleichermaßen vom Besitzstand der EU profitieren können; fordert die Mitgliedstaaten erneut auf, so rasch wie möglich Notfallpläne für den Fall einer erneuten rasanten Verbreitung des COVID-19-Virus auszuarbeiten, damit die vorübergehenden Grenzkontrollen über kurz oder lang nicht quasi zu einem dauerhaften Zustand werden;
12. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.
- [1] ABl. C 340 vom 10.11.2020, S. 93.
- [2] ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1.
- [3] Angenommene Texte, P9_TA(2020)0054.
- [4] Angenommene Texte, P9_TA(2020)0175.
- [5] Angenommene Texte, P9_TA(2020)0176.
- [6] Angenommene Texte, P9_TA(2020)0240.
- [7] ABl. L 337 vom 14.10.2016, S. 3.