ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Festnahme von Alexei Nawalny
19.1.2021 - (2021/2513(RSP))
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Kati Piri, Tonino Picula, Isabel Santos
im Namen der S&D-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0090/2021
B9-0090/2021
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Festnahme von Alexei Nawalny
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine vorherigen Entschließungen zu Alexei Nawalny, insbesondere jene vom 17. September 2020 zur Lage in Russland und zur Vergiftung von Alexei Nawalny[1],
– unter Hinweis auf die vom Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidenten der Kommission (HR/VP) im Namen der Europäischen Union abgegebenen Erklärungen vom 18. Januar 2021 zur Festnahme von Alexei bei seiner Rückkehr nach Russland und vom 3. September 2020 zu seiner Vergiftung,
– unter Hinweis auf die Erklärung des HR/VP vom 24. August und 2. September 2020 zur Vergiftung von Alexei Nawalny,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Präsidentin der Europäischen Kommission vom 18. Januar 2021 zur Festnahme von Alexei Nawalny in Moskau,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 1. Oktober 2020,
– unter Hinweis auf das Ergebnis der Tagung des Rates (Auswärtige Angelegenheiten) vom 12. Oktober 2020 und auf die politische Einigung, restriktive Maßnahmen gegen Personen zu verhängen, die mit dem Mordversuch an Alexei Nawalny in Verbindung gebracht werden,
– unter Hinweis auf Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und Artikel 7 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, zu dessen Vertragsparteien Russland gehört,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen (Chemiewaffenübereinkommen), zu dessen Vertragsparteien Russland gehört,
– unter Hinweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention, zu deren Vertragsstaaten Russland gehört, insbesondere auf Artikel 6,
– unter Hinweis auf die Verfassung der Russischen Föderation, insbesondere auf Artikel 2, sowie auf die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen, zu deren Einhaltung sich Russland als Mitglied der Vereinten Nationen, des Europarates und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verpflichtet hat,
– unter Hinweis auf die Erklärung der G7-Außenminister vom 8. September 2020 zur Vergiftung von Alexei Nawalny,
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Alexei Nawalny, Russlands bekanntester Bekämpfer der Korruption und Oppositionspolitiker, bei seiner Rückkehr nach Russland nach einer dringenden medizinischen Behandlung und Rehabilitation festgenommen wurde, der er sich nach dem Versuch, ihn mit einem verbotenen chemischen Nervenkampfstoff zu ermorden, unterzogen hatte;
B. in der Erwägung, dass Alexei Nawalny am 20. August 2020 während eines Inlandsflugs in Russland ins Koma fiel, wegen des Verdachts auf Vergiftung als Notfall in ein Krankenhaus in der russischen Stadt Omsk eingeliefert wurde und, als russische Labore die Vergiftung nicht bestätigten, auf Antrag seiner Familie zwecks weiterer ärztlichen Behandlung in das Krankenhaus Charité in Berlin verlegt wurde, in dem er vom 22. August bis zum 22. September 2020 Patient war;
C. in der Erwägung, dass im Krankenhaus Charité eine schwere Vergiftung diagnostiziert wurde und dass toxikologische Analysen, die von mehreren Speziallabors in Deutschland, Frankreich und Schweden sowie von der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) durchgeführt wurden, bestätigten, dass Alexei Nawalny mit dem von der Sowjetunion entwickelten und später von der Russischen Föderation weiterentwickelten chemischen Nervenkampfstoff „Nowitschok“ vergiftet wurde;
D. in der Erwägung, dass die Vergiftung eines Menschen mit einem Nervenkampfstoff gemäß dem Chemiewaffenübereinkommen als Einsatz chemischer Waffen zu betrachten ist, der unabhängig davon, durch wen und unter welchen Umständen er erfolgt, einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Völkerrecht und internationale Menschenrechtsnormen darstellt;
E. in der Erwägung, dass die EU gemeinsam mit internationalen Partnern die russischen staatlichen Stellen aufgefordert hat, den Mordanschlag auf Alexei Nawalny unter Einsatz eines verbotenen chemischen Nervenkampfstoffs gründlich zu untersuchen, uneingeschränkt mit der OVCW zusammenzuarbeiten, damit eine unparteiische internationale Untersuchung sichergestellt wird, und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen; in der Erwägung, dass bislang keine solche gründliche und unparteiische Untersuchung von den russischen staatlichen Stellen durchgeführt wurde und dass Russland Forderungen nach einer Untersuchung ausdrücklich zurückgewiesen hat;
F. in der Erwägung, dass die EU am 15. Oktober 2020 in Ermangelung einer russischen Untersuchung bzw. einer Zusammenarbeit mit der OVCW Sanktionen gegen sechs russische Personen und eine an dem Verbrechen beteiligte Organisation verhängt hat;
G. in der Erwägung, dass eine unter der Leitung der unabhängigen Forschungsplattform Bellingcat und unter Beteiligung von Alexei Nawalny durchgeführte Untersuchung darauf hindeutet, dass der Mordanschlag vom Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation FSB koordiniert wurde, welcher ein völkerrechtswidriges Chemiewaffenprogramm betreibt;
H. in der Erwägung, dass der Mordanschlag auf Alexei Nawalny im Vorfeld der russischen Kommunal- und Regionalwahlen im September 2020 verübt wurde, was ein äußerst besorgniserregendes Licht auf den Zustand der Demokratie, der Grundfreiheiten und der Menschenrechte in dem Land wirft, in dem dieses Jahr eine Parlamentswahl anberaumt ist;
I. in der Erwägung, dass Alexei Nawalny am 17. Januar 2021 bei seiner Rückkehr nach Russland unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen Moskau Scheremetjewo wegen der Anschuldigung festgenommen wurde, sein Aufenthalt im Ausland zwecks einer dringenden medizinische Behandlung nach einem Giftanschlag habe gegen die Bewährungsauflagen einer 2014 gegen ihn verhängten Strafe verstoßen; in der Erwägung, dass seine sofortige Festnahme einen weiteren Anlass zu der Annahme bietet, dass die Mordanschläge und die Beschneidung seiner Freiheit mit seinem politischen Engagement und seinem Kampf gegen Korruption zusammenhängen;
J. in der Erwägung, dass am Tag nach seiner Festnahme in einer ad hoc angesetzten Anhörung angeordnet wurde, dass Alexei Nawalny 30 Tage in Gewahrsam verbleiben soll; in der Erwägung, dass seine Verteidiger vorab über die Gerichtsverhandlung nicht unterrichtet wurden und keinen Zugang zum Gerichtssaal erhielten; in der Erwägung, dass Alexei Nawalny dreieinhalb Jahre Haft drohen, sollte dem Antrag der Föderalen Strafvollzugsbehörden auf Umwandlung seiner Bewährungsstrafe stattgegeben werden;
1. fordert die unverzügliche und bedingungslose Freilassung von Alexei Nawalny und verurteilt nachdrücklich seine sofortige willkürliche Festnahme und den in einem Gerichtsverfahren gegen ihn verhängten Freiheitsentzug, bei dem die grundlegenden Standards der Rechtsstaatlichkeit, einschließlich der Unabhängigkeit der Justiz, des Rechts auf ein faires Verfahren und des Rechts auf Rechtsbeistand, nicht eingehalten wurden;
2. fordert die Freilassung aller weiteren Personen, die am Sonntag, den 17. Januar 2021, im Zusammenhang mit der Rückkehr von Alexei Nawalny nach Russland am selben Tag festgenommen wurden, ganz gleich, ob es sich bei ihnen um Journalisten, Personen, mit denen er zusammenarbeitet, oder Bürger, die ihn unterstützen, handelt;
3. verurteilt die Festnahme von Alexei Nawalny aufs Schärfste und betrachtet sie als zusätzlichen zynischen Versuch, einen der einflussreichsten russischen Bekämpfer der Korruption und lautstarken Oppositionspolitiker zum Schweigen zu bringen, dem wegen seines Muts große öffentliche Aufmerksamkeit zuteilwurde, und zwar sowohl bei der Aufdeckung schwerwiegender Korruption als auch bei der Rückkehr in sein Heimatland nach einem Mordversuch, bei dem die Täter einen verbotenen chemischen Nervenkampfstoff einsetzten, zu dem nur das russische Militär und die Nachrichtendienste des Landes Zugang haben;
4. weist auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hin, denen zufolge bei mehreren russischen Gerichtsverfahren gegen Alexei Nawalny, darunter das erwähnte Verfahren von 2014, seine Rechte verletzt wurden, wobei diese Gerichtsverfahren politisch motiviert waren und auf die Unterdrückung des politischen Pluralismus abzielten; lehnt daher die Heranziehung früherer Gerichtsurteile als Vorwand für die erneute Festnahme von Alexei Nawalny nach seiner Rückkehr nach Moskau im Anschluss an eine dringende medizinischen Behandlung im Ausland infolge eines auf ihn verübten Giftanschlags entschieden ab;
5. verurteilt dem Mordanschlag auf Alexei Nawalny mithilfe eines chemischen Nervenkampfstoffs der „Nowitschok“-Gruppe erneut aufs Schärfste und äußert seine tiefe Besorgnis über diesen wiederholten Einsatz eines chemischen Nervenkampfstoffs gegen russische Bürger, wie es bereits bei Sergei Skripal im Jahr 2018 der Fall war; weist darauf hin, dass der Einsatz chemischer Waffen unter allen Umständen ein verwerfliches Verbrechen nach dem Völkerrecht und insbesondere im Rahmen des Chemiewaffenübereinkommens darstellt, das daher Gegenstand einer internationalen Untersuchung werden muss;
6. ist davon überzeugt, dass der Mordanschlag auf Alexei Nawalny und seine sofortige Festnahme bei seiner Rückkehr nach Russland zur Abschreckung dienen und darauf abzielen sollen, die Enthüllung weiterer schwerer Korruptionsfälle aus den Reihen des Regimes sowie generelle jegliche oppositionelle Betätigung im Land insbesondere im Hinblick auf die bevorstehende Parlamentswahl im Herbst dieses Jahres zu verhindern;
7. fordert die russischen Staatsorgane auf, der gegen ihre politischen Gegner gerichteten Drangsalierung, Einschüchterung, Gewalt und Unterdrückung Einhalt zu gebieten, indem sie der vorherrschenden Straflosigkeit, die bereits zum Tod vieler Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Oppositionspolitiker geführt hat, ein Ende setzen und dafür sorgen, dass deren Kollegen bzw. Mitstreiter ihre legitime und nutzbringende Tätigkeit ausüben können, ohne Angst um ihr Leben oder das ihrer Familienangehörigen oder Freunde haben zu müssen;
8. fordert die Russische Föderation nachdrücklich auf, die Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, und betont, dass sich die Russische Föderation als Mitglied des Europarats und der OSZE dazu verpflichtet hat, die Grundfreiheiten, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit zu achten, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und anderen internationalen Verträgen und Übereinkommen verankert sind
9. fordert die russische Regierung weiterhin nachdrücklich auf, dieses an einem russischen Bürger verübte Verbrechen, der mit einem chemischen Nervenkampfstoff vergiftet wurde, zu dem nur das russische Militär und die Nachrichtendienste des Landes Zugang haben, umgehend zum Gegenstand einer gründlichen und transparenten Untersuchung zu machen;
10. bekräftigt seine Forderung an die russischen Behörden, sowohl die Verantwortlichen für diese rücksichtslose Tat als auch die Mittäter, die den Tätern den chemischen Nervenkampfstoff zur Verfügung gestellt haben, zur Rechenschaft zu ziehen;
11. hebt die Pflicht der Russischen Föderation als Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen hervor, das Völkerrecht sowie die einschlägigen Vereinbarungen und Übereinkommen zu achten und ihren internationalen Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen, einschließlich der Zusammenarbeit mit der OVCW bei der Untersuchung von Verstößen gegen das Chemiewaffenübereinkommen;
12. begrüßt die restriktiven Maßnahmen gegen sechs Personen und eine Organisation, die am Mordanschlag auf Alexei Nawalny beteiligt waren; fordert den Rat auf, weiterhin Druck auf die Russische Föderation auszuüben, damit der Mordanschlag untersucht wird und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden; fordert den Rat nachdrücklich auf, für den Fall, dass Alexei Nawalny nicht freigelassen wird, alle zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um seine rasche Freilassung zu erwirken, einschließlich der Option weiterer gezielter restriktiver Maßnahmen im Rahmen der globalen Sanktionsregelung der EU im Bereich der Menschenrechte, die sich gegen alle Personen richten, die an den Anschlägen auf ihn unmittelbar beteiligt waren oder die Verantwortung dafür tragen;
13. fordert den Europäischen Auswärtigen Dienst unter Führung des HR/VP auf, für einen beständigen Zusammenhalt in Bezug auf die fünf Leitprinzipien der EU-Politik gegenüber Russland zu sorgen und eine neue umfassende Strategie gegenüber Russland mit einer festen und grundsätzlichen Position zu entwerfen, die auf der Notwendigkeit beruht, das Völkerrecht und die Menschenrechtsnormen zu achten und auf die Stärkung von Frieden und Sicherheit sowie auf die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hinzuarbeiten;
14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Europarat und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P9_TA(2020)0232.