Entschließungsantrag - B9-0325/2021Entschließungsantrag
B9-0325/2021

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage in Afghanistan

7.6.2021 - (2021/2712(RSP))

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung des Vizepräsidenten der Kommission/Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Erik Marquardt, Alviina Alametsä, Bronis Ropė, Hannah Neumann, Ignazio Corrao, Mounir Satouri, Tineke Strik, Francisco Guerreiro
im Namen der Verts/ALE-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0324/2021

Verfahren : 2021/2712(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B9-0325/2021
Eingereichte Texte :
B9-0325/2021
Abstimmungen :
Angenommene Texte :

B9-0325/2021

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in Afghanistan

(2021/2712(RSP))

Das Europäische Parlament,

 unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Afghanistan,

 unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates zu Afghanistan vom 29. Mai 2020,

 unter Hinweis auf die Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit Afghanistans und der EU im Bereich Migration vom 26. April 2021,

 unter Hinweis auf die Erklärung des Sondergesandten der EU für Afghanistan, Tomas Niklasson, vom 4. Juni 2021 mit dem Titel „Violence must stop and peace talks move from procedures to substantial negotiations“ (Der Gewalt muss ein Ende gesetzt werden, und die Friedensgespräche müssen von Verfahren zu substanziellen Verhandlungen übergehen),

 unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung des Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (HR/VP), Josep Borrell, und des indischen Außenministers, Subrahmanyam Jaishankar, vom 4. Mai 2021 zur Lage in Afghanistan,

 unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung der EU und Pakistans vom 4. November 2020 zu Afghanistan,

 unter Hinweis auf die Erklärung des VP/HR Josep Borrell vom 12. September 2020 zum Beginn der innerafghanischen Verhandlungen,

 unter Hinweis auf die Entschließung vom 19. Mai 2021 zu dem Schutz der Menschenrechte und die externe Migrationspolitik der EU[1],

 unter Hinweis auf die Genfer Konferenz zu Afghanistan, die 2020 stattand,

 unter Hinweis auf die Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu Afghanistan,

 unter Hinweis auf die Resolutionen des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen zu Afghanistan,

 unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948,

 unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966,

 gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban derzeit zum Stillstand gekommen sind, jedoch bald wieder in Doha aufgenommen werden sollen;

B. in der Erwägung, dass bei dem Anschlag vor der Schule Sajed al-Schuhada am 8. Mai 2021 in Kabul mindestens 85 Menschen getötet und 147 verletzt wurden, die meisten davon Schülerinnen;

C. in der Erwägung, dass am 2. März 2021 in Dschalalabat drei weibliche Medienschaffende getötet wurden;

D. in der Erwägung, dass bei einem Angriff auf die Entbindungsstation des von Ärzte ohne Grenzen geleiteten Krankenhauses im Kabuler Stadtteil Dascht-e Bartschi mindestens 13 Zivilpersonen, darunter zwei Säuglinge, getötet und mindestens 15 verletzt wurden;

E. in der Erwägung, dass Gewalt und Tötungen in Afghanistan in den letzten Monaten dramatisch zugenommen haben;

F. in der Erwägung, dass in Afghanistan eine äußerst besorgniserregende Zunahme gewalttätiger Angriffe, Drohungen, Schikanen, Einschüchterungen und Tötungen von Menschenrechtsverteidigern zu verzeichnen ist;

G. in der Erwägung, dass in Afghanistan ein Mangel an Rechenschaftspflicht für Angriffe und Tötungen weit verbreitet ist;

H. in der Erwägung, dass die Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen am 12. März 2021 die alarmierende Zahl der gezielten Angriffe auf Zivilpersonen in Afghanistan verurteilt haben;

I. in der Erwägung, dass die USA und die NATO den Rückzug all ihrer in Afghanistan stationierten Truppen bis zum 11. September 2021 angekündigt haben;

1. fordert die afghanische Regierung, die Taliban und alle anderen einschlägigen Akteure auf, den Friedensprozess voranzubringen, um einen Waffenstillstand und ein Friedensabkommen zu erreichen, in deren Rahmen ein politischer Prozess zur Schaffung wirksamer Institutionen dargelegt wird, der den Bedürfnissen der gesamten afghanischen Bevölkerung gerecht wird und die Achtung ihrer Menschenrechte gewährleistet; fordert den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und die Kommission auf, die unter afghanischer Führung und Verantwortung stehenden Verhandlungen aktiv zu unterstützen; fordert den EAD und die Kommission auf, eine stärkere Rolle dabei zu übernehmen, beide Parteien der Friedensverhandlungen an den Verhandlungstisch zu bringen, Unterstützung bei der Vermittlung und Mediation anzubieten, ihre regionale Reichweite zu verstärken und das gesamte Instrumentarium der EU für die Durchsetzung des Friedens zu nutzen;

2. verurteilt aufs Schärfste alle Arten von Gewalt, insbesondere die jüngste Zunahme der Tötungen unter anderem von Frauen, Mädchen, Medienschaffenden und Menschenrechtsverteidigern; fordert die Taliban, den Islamischen Staat, die staatlichen Stellen Afghanistans und alle anderen Akteure nachdrücklich auf, alle Gewalttaten unverzüglich einzustellen;

3. äußert sich zutiefst besorgt angesichts der zunehmenden Wahrscheinlichkeit einer vielschichtigen humanitären Krise, die durch die COVID-19-Pandemie, die Schädigung der Umwelt und des Klimas, eine erwartete Dürre und eine mögliche Nahrungsmittelknappheit sowie einen wirtschaftlichen Einbruch verschärft wird; fordert alle Geber nachdrücklich auf, ihre humanitäre Hilfe aufrechtzuerhalten oder aufzustocken, insbesondere ihre Unterstützung für das afghanische Gesundheitssystem und die Förderung des Zugangs afghanischer Frauen und Mädchen zur Gesundheitsversorgung;

4. fordert die staatlichen Stellen Afghanistans, die Taliban und alle anderen einschlägigen Akteure nachdrücklich auf, für die Sicherheit lokaler und internationaler zivilgesellschaftlicher, nichtstaatlicher und humanitärer Organisationen zu sorgen und sicherzustellen, dass sie Zugang zu allen Teilen des Landes haben, um die Bedürftigsten zu erreichen;

5. fordert die afghanische Regierung auf, die Aussöhnung auf allen Ebenen zu fördern; fordert die Regierung darüber hinaus auf, der Straflosigkeit in Afghanistan ein Ende zu setzen und eine tatsächliche Rechenschaftspflicht für Angriffe und Tötungen sowie entsprechende Ermittlungen anzustreben; ist der Ansicht, dass die Einbeziehung ziviler Opfer in die Friedensverhandlungen zu einem dauerhafteren Frieden führen kann;

6. fordert die afghanische Regierung nachdrücklich auf, das afghanische Parlament aktiv in alle einschlägigen Prozesse einzubinden, alle Maßnahmen zu beenden, die eine wirksame Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament verhindern, und die parlamentarischen Kontrollrechte zu verbessern; weist darauf hin, dass das Parlament die afghanische Bevölkerung in ihrer Vielfalt vertreten sollte; betont, dass weiterhin freie und faire Wahlen abgehalten werden müssen und die Transparenz bei den Staatsausgaben verbessert werden muss, damit die afghanische Regierung ihren Bürgern gegenüber uneingeschränkt rechenschaftspflichtig ist;

7. begrüßt die Fortschritte, die die afghanische Regierung in Bezug auf die Rechte von Frauen und Mädchen, die Stärkung der Stellung der Frauen und die Bildung von Mädchen erzielt hat, auch wenn noch viel zu tun ist, um die Gleichstellung der Geschlechter und Chancengleichheit zu verwirklichen; betont, dass die Gleichstellung der Geschlechter ein Grundprinzip jeder politischen Lösung sein sollte; fordert die afghanische Regierung und die Taliban auf, dafür zu sorgen, dass Frauen auf allen Verhandlungsebenen vertreten sind, wodurch ein Weg ermöglicht wird, durch den Frauen weiter gestärkt werden; fordert den EAD, die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Stärkung der Stellung von Frauen, Minderheiten und marginalisierten Gruppen in Afghanistan sowie deren Vertretung in den demokratischen Institutionen weiter zu unterstützen und die Rechte von Frauen und Kindern zu einer Schlüsselvoraussetzung für eine kontinuierliche finanzielle Unterstützung des Landes zu machen;

8. ist besorgt darüber, dass ein geringeres Engagement der EU in Afghanistan nicht nur dazu führen würde, dass es Rückschritte im Bereich der Demokratie gäbe und die Gewalt zunähme, sondern auch dazu, dass sich China, Russland und andere Akteure darum bemühen würden, Einfluss auf die fragile Lage in dem Land zu nehmen, was sich möglicherweise negativ auf die gewünschte auf Rechten beruhende, inklusive und tragfähige politische Lösung für Afghanistan und seine Bevölkerung auswirken würde;

9. fordert den EAD und die Mitgliedstaaten auf, ihren Dialog mit den Nachbarstaaten Afghanistans zu intensivieren, um ihr Engagement bei der Suche nach politischen Lösungen in Afghanistan zu beschleunigen und zu fördern; begrüßt die in der Vergangenheit in dieser Hinsicht ergriffenen Initiativen;

10. betont, dass es wichtig ist, die regionale Integration Afghanistans im Hinblick auf die Verbesserung der regionalen Konnektivität zu fördern; betont, dass der Schwerpunkt der Unterstützung der EU für die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans auf einer nachhaltigen Entwicklung und der Schaffung von Arbeitsplätzen liegen sollte;

11. betont, dass das Engagement und die Stärkung der Zivilgesellschaft sowie ihr Schutz von grundlegender Bedeutung für langfristigen Frieden und auf Rechten beruhende politische Lösungen in Afghanistan sind; fordert den EAD und die Kommission auf, die Bemühungen um eine Verbesserung des Zugangs zur Justiz in Afghanistan und zur Förderung der Sicherheit schutzbedürftiger Gemeinschaften zu unterstützen;

12. fordert die EU auf, ihren auf der Afghanistan-Konferenz 2020 eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen; betont, dass die EU-Hilfe für Afghanistan so flexibel wie möglich sein muss; fordert die Kommission und den EAD auf, die Unterstützung durch die EU regelmäßig zu überprüfen, wobei die Möglichkeit bestehen sollte, die Maßnahmen gegebenenfalls neu auszurichten oder auszusetzen; fordert die Kommission und den EAD auf, dafür zu sorgen, dass die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit den derzeitigen Herausforderungen in Afghanistan gerecht werden und die Bedürftigen erreichen;

13. betont nachdrücklich, dass es Afghanistan nicht als sicheres Land erachtet, in das Migranten zurückkehren können, solange bei der Rückkehr keine entsprechenden Mindeststandards garantiert werden können; fordert die Kommission auf, die Mitgliedstaaten nachdrücklich aufzufordern, die Rückkehr auszusetzen und afghanischen Asylbewerbern Schutz zu gewähren; fordert, dass afghanische Staatsangehörige, insbesondere Minderjährige, die bereits zurückgeführt wurden, genau überwacht werden; fordert das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen auf, seinen Länderbericht über Afghanistan zu aktualisieren;

14. ist der Ansicht, dass in der kürzlich unterzeichneten Gemeinsamen Erklärung über die Zusammenarbeit Afghanistans und der EU im Bereich Migration sowie bei dem allgemeinen Eintreten der EU für die Rückkehr von Flüchtlingen nach Afghanistan und ihren Bemühungen um die Finanzierung von Wiedereingliederungsprogrammen die anhaltende Instabilität des Landes nicht berücksichtigt wird; fordert die Kommission auf, für die Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit im Bereich Migration eine Folgenabschätzung in Bezug auf die Menschenrechte durchzuführen und sicherzustellen, dass die Finanzierung der Rückkehr- und Wiedereingliederungsprogramme im Rahmen der Erklärung keine Auswirkungen auf die für Entwicklungshilfe oder Menschenrechte vorgesehenen Mittel hat;

15. fordert den EAD, die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und andere Einrichtungen der Vereinten Nationen nachdrücklich aufzufordern, einen Untersuchungsausschuss, eine Erkundungsmission und weitere Mechanismen für Afghanistan einzurichten; fordert den EAD, die Kommission und die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang auf, eng mit der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission und der Menschenrechtsgemeinschaft in Afghanistan zusammenzuarbeiten;

16. fordert die EU-Delegation in Afghanistan und die Vertretungen der Mitgliedstaaten auf, ihre Unterstützung für die Zivilgesellschaft, insbesondere für Menschenrechtsverteidiger und Medienschaffende, zu verstärken, die Ausstellung von Notfallvisa zu erleichtern und in den Mitgliedstaaten vorübergehende Unterkünfte bereitzustellen, auch für afghanische Staatsangehörige, die bei den Vertretungen der Mitgliedstaaten oder der EU-Delegation beschäftigt waren;

17. fordert den EAD, die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, für die Sicherheit der europäischen Streitkräfte und des Personals in Afghanistan sowie der örtlichen Bediensteten, die für die Vertretungen der Mitgliedstaaten oder die EU-Delegation im Land tätig sind oder gearbeitet haben, zu sorgen; fordert den EAD und die Kommission auf, Mittel für eine verstärkte Sicherheitszone bereitzustellen, um eine diplomatische Präsenz nach dem Abzug der Truppen zu gewährleisten;

18. fordert den EAD und die Kommission auf, dem Parlament bis September 2021 eine EU-Strategie für Afghanistan vorzulegen, die den in dieser Entschließung angesprochenen Aspekten und möglichen Veränderungen innerhalb des Landes angesichts des Rückzugs der Truppen und der laufenden Friedensgespräche Rechnung trägt;

19. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Europäischen Auswärtigen Dienst, dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen sowie der Regierung und dem Parlament Afghanistans zu übermitteln.

Letzte Aktualisierung: 9. Juni 2021
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