Entschließungsantrag - B9-0453/2021Entschließungsantrag
B9-0453/2021

ENTSCHLIESSUNGSANTRAGeingereicht im Anschluss an eine Erklärung des Vizepräsidenten der Kommission/Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zur Lage in Afghanistan

13.9.2021 - (2021/2877(RSP))


gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Jaak Madison, Anna Bonfrisco, Marco Campomenosi, Susanna Ceccardi, Maximilian Krah, Jörg Meuthen, Tom Vandendriessche, Harald Vilimsky, Marco Zanni, Bernhard Zimniok
im Namen der ID-Fraktion

Verfahren : 2021/2877(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B9-0453/2021
Eingereichte Texte :
B9-0453/2021
Abstimmungen :
Angenommene Texte :

B9-0453/2021

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in Afghanistan

(2021/2877(RSP))

Das Europäische Parlament,

 unter Hinweis auf den Nordatlantikvertrag von 1945,

 unter Hinweis auf die Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu Afghanistan, insbesondere auf die Resolution 2593 (2021) vom 30. August 2021,

 unter Hinweis auf die Erklärung EU–Türkei vom 7. März 2016,

 unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Afghanistan,

 unter Hinweis auf die Erklärung des Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (VP/HR) vom 14. September 2021 zu der Lage in Afghanistan,

 unter Hinweis auf die Erklärung des VP/HR vom 12. August 2021 zur gegenwärtigen Lage in Afghanistan,

 unter Hinweis auf die Presseerklärung des VP/HR Josep Borrell zu Afghanistan auf der informellen Tagung der Außenminister vom 3. September 2021, in der die Bedingungen für die Zusammenarbeit mit den Taliban dargelegt werden,

 unter Hinweis auf die Erklärung von Ministerpräsident Janez Janša, amtierender Präsident des Europäischen Rates, vom 22. August 2021,

 unter Hinweis auf das im Februar 2020 in Doha ausgehandelte „Abkommen für die Befriedung Afghanistans zwischen dem Islamischen Emirat Afghanistan, das von den Vereinigten Staaten nicht als Staat anerkannt wird und als „die Taliban“ bekannt ist, und den Vereinigten Staaten von Amerika“, in dem die Bedingungen für den Rückzug der USA aus Afghanistan bis Mai 2021 festgelegt sind,

 unter Hinweis auf die Erklärung des Rates „Justiz und Inneres“ vom 31. August 2021 zur Lage in Afghanistan,

 gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass der Einsatz eines NATO-Bündnisses von 38 Staaten im Afghanistan-Konflikt im Jahr 2001 auf der Grundlage von Artikel 5 des NATO-Vertrags begann;

B. in der Erwägung, dass der seit zwei Jahrzehnten andauernde Konflikt in Afghanistan 3 609 Soldaten der verbündeten und amerikanischen Streitkräfte das Leben gekostet hat; in der Erwägung, dass der Konflikt auch 66 000 afghanischen Soldaten und Polizeibeamten, 47 245 afghanischen Zivilisten, 444 Mitarbeitern von Hilfsorganisationen und 72 Journalisten das Leben gekostet hat;

C. in der Erwägung, dass der übereilte, schlecht vorbereitete und planlose Rückzug der USA aus Afghanistan unter Führung von Präsident Biden im August 2021 zu chaotischen Evakuierungsanstrengungen geführt und Europa unter erheblichen Druck gesetzt hat, Bürger und Personal zu evakuieren, bevor die Taliban die vollständige Kontrolle über den Flughafen Kabul übernommen haben;

D. in der Erwägung, dass ein Mitglied des Islamischen Staates in der Provinz Chorasan (ISKP) am 26. August 2021 am Flughafen Kabul ein Selbstmordattentat verübte, bei dem dreizehn US-Soldaten getötet wurden und es insgesamt 175 Opfer gab; in der Erwägung, dass die Vereinigten Staaten am 27. August 2021 einen Luftanschlag mit Vergeltungsmaßnahmen durchgeführt haben, bei dem angeblich zwei „hochrangige“ ISKP-Mitglieder getötet wurden und Berichten zufolge dabei 10 Zivilisten, darunter sieben Kinder, getötet wurden;

E. in der Erwägung, dass Tausende Afghanen nach der Übernahme der Taliban versuchen, aus Afghanistan zu fliehen; in der Erwägung, dass die USA eine Vereinbarung mit Albanien und dem Kosovo ausgehandelt haben, um etwa 6 000 Afghanen vorübergehend Zuflucht zu gewähren, bevor sie nach der Bearbeitung ihrer Dokumente in die USA reisen; in der Erwägung, dass die erste Gruppe seitdem in Albanien angekommen ist;

F. in der Erwägung, dass während der Evakuierungen der deutschen Streitkräfte aus Afghanistan 20 Afghanen, die in Deutschland verurteilt wurden und deren Namen dem Europäischen Zentrum zur Terrorismusbekämpfung bekannt sind, in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind; in der Erwägung, dass dazu auch ein verurteilter Vergewaltiger gehörte, der aus Deutschland nach Afghanistan zurückgeschickt wurde;

G. in der Erwägung, dass zwischen der Steuerung der illegalen Migration und der Unterbindung der illegalen Migration unterschieden werden sollte; in der Erwägung, dass Letzteres die einzige Möglichkeit ist, die Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten zu schützen;

H. in der Erwägung, dass Afghanistan wegen seines Reichtums an Bodenschätzen und wichtigen Rohstoffen (z. B. für die Herstellung von Halbleitern) von strategischer Bedeutung ist; in der Erwägung, dass dies auf geopolitischer Ebene Interesse wecken wird und in dem Konflikt eine Rolle spielen könnte;

I. in der Erwägung, dass die afghanische Krise dauerhafte Folgen für Europa in Bezug auf Frieden und Sicherheit haben wird, insbesondere was die illegale Migration und die Bedrohung durch den Terrorismus betrifft;

1. spricht den Familien und Freunden aller Angehörigen der Streitkräfte und Zivilpersonen, die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan ihr Leben verloren haben, sein aufrichtiges Beileid aus;

2. ist zutiefst besorgt über die Übernahme Afghanistans durch die Taliban und über die Folgen für Frieden und Sicherheit, die dies für Europa heute und in Zukunft haben wird;

3. stellt fest, dass die Übernahme von Kabul durch die Taliban vorhersehbar war und dass Maßnahmen hätten ergriffen werden können, um sicherzustellen, dass die Evakuierungen logischer und geordneter ablaufen; ist zutiefst besorgt über Berichte, wonach in Afghanistan erhebliche Mengen militärischer Waffen und Fahrzeuge zurückgelassen wurden, da diese Technologie nun in die Hände der Taliban gefallen ist;

4. bedauert, dass die USA die europäischen Verbündeten nur in begrenztem Umfang über ihren Rückzug aus Afghanistan konsultiert haben, was zu einem Durcheinander bei der sicheren Evakuierung der Europäer aus dem Land geführt hat;

5. hält es für fragwürdig, dass eine Reihe von Afghanen, denen in europäischen Ländern der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden war, zum Urlaub nach Afghanistan zurückreisten und anschließend von den Mitgliedstaaten evakuiert werden mussten; betont, dass nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Urlaubstage im Herkunftsland nicht möglich sein sollten, ohne dass die Gefahr besteht, dass dieser Status verloren geht;

6. stellt mit Besorgnis fest, dass Afghanen mit Vorstrafen und Personen, deren Asylanträge zuvor abgelehnt worden waren, den planlosen Evakuierungsprozess am Flughafen Kabul ausgenutzt und es geschafft haben, sich in die Mitgliedstaaten zu begeben; fordert, dass Afghanen mit Vorstrafen und solche mit negativem Asylbescheid unverzüglich in die Region zurückgeschickt werden; stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Taliban die Rückkehr von Afghanen in das Land begrüßt haben; weist auf die Möglichkeit hin, Hilfen unter der Voraussetzung zu gewähren, dass die Rückkehr in das Land und die Region erleichtert wird;

7. stellt fest, dass der übereilte Rückzug nach der Übernahme der Taliban in Afghanistan neue Impulse für die illegalen Migrationsströme nach Europa gegeben hat, die unweigerlich zu einer weiteren Migrationskrise in Europa führen werden;

8. ist der Ansicht, dass sich die EU durch ihre „Willkommenspolitik“ während der vorangegangenen Migrationskrise von 2015 anfällig für den Einsatz der Migration als Waffe gemacht hat; verurteilt aufs Schärfste, dass frühere Abkommen mit Drittstaaten über die Unterbringung von Flüchtlingen, wie das Abkommen der EU mit der Türkei, nach hinten los gegangen sind und dazu geführt haben, dass Migration als Waffe eingesetzt wird; verurteilt aufs Schärfste, dass ausländische Akteure und Regierungen Migration als Waffe einsetzen;

9. nimmt die Schlussfolgerungen der letzten Tagung des Rates „Justiz und Inneres“ unter der Leitung des slowenischen Vorsitzes zur Lage in Afghanistan zur Kenntnis; begrüßt die Verwendung einer präzisen Terminologie wie „illegale Migration“ anstelle vager Begriffe wie „irregulär“;

10. besteht auf einer Politik der regionalen Unterbringung von Flüchtlingen, die es ihnen ermöglichen würde, nach einer Verbesserung der Lage in ihrem Herkunftsland nach Hause zurückzukehren und ihr Land wieder aufzubauen; verurteilt die Schaffung von Sogfaktoren aller Art, die neue Migrationsströme in die EU herbeiführen könnten; schlägt vor, dass die Gewährung von Entwicklungshilfe an Länder der Region von der Zusammenarbeit mit der EU in den Bereichen Migration und Sicherheit abhängig gemacht wird;

11. ist der Ansicht, dass die einzige Lösung für die mögliche Migrationskrise darin besteht, dass die EU jegliche illegale Migration stoppt, anstatt zu versuchen, sie zu steuern; betont, dass die Schaffung zusätzlicher Wege für legale Migration keine logische Lösung ist, durch die die Migration nach Europa begrenzt wird, und dass dies den Menschen lediglich mehr Anreize für gefährliche Reisen nach Europa geben wird; bekräftigt, dass Europa nicht in der Lage ist, alle Menschen aus der ganzen Welt aufzunehmen, die auf der Suche nach einer besseren Zukunft sind;

12. fordert die Kommission auf, ihren Standpunkt zu überarbeiten, dass EU-Mittel nicht dazu verwendet werden sollten, physische Barrieren an den Außengrenzen der EU zu errichten, um die Einreise illegaler Migranten zu verhindern;

13. bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass das Abkommen zwischen dem Kosovo und Albanien mit den USA, afghanische Flüchtlinge vorübergehend aufzunehmen, eine zusätzliche Migrationsroute für Afghanen für die Einreise nach Europa schaffen wird;

14. warnt davor, dass ein Exodus von Afghanen ein ideales Umfeld für terroristische Zellen und andere Opportunisten schafft, als vermeintliche „Flüchtlinge“ nach Europa zu reisen; betont das zusätzliche Risiko des Opportunismus durch nichtafghanische Paschtunen aus dem pakistanischen Stammesgebiet, das als Heimat verschiedener dschihadistischer Gruppen, einschließlich Al-Qaida, gilt und an der Ostgrenze Afghanistans liegt;

15. weist darauf hin, dass während der Migrationskrise 2015 mehrere Mitglieder des Islamischen Staats, die später Angriffe in Paris planten, den Zustrom von Migranten nutzten, um unentdeckt nach Europa zu reisen; stellt mit Besorgnis fest, dass fünf Afghanen, die im August 2021 nach Frankreich eingereist sind, wegen mutmaßlicher Verbindungen zu den Taliban überwacht wurden; ist ferner besorgt über Berichte der USA, wonach junge afghanische Evakuierte gezwungen wurden, ältere Männer zu heiraten, um aus dem Land zu fliehen;

16. bedauert die hohe Zahl von Gewaltverbrechen, die von afghanischen Migranten begangen wurden, die während der Migrationskrise 2015 nach Europa kamen, wie die brutale Vergewaltigung und Ermordung eines dreizehnjährigen Mädchens in Wien im Juli 2021, die von straffälligen Afghanen begangen wurden, die alle negative Asylbescheide erhalten hatten;

17. weist darauf hin, dass das Taliban-Regime die Scharia in ihrer extremsten Auslegung anwendet, indem es Gewalt gegen die Bevölkerung und die Zivilgesellschaft ausübt; erinnert daran, wie wichtig der Schutz der Rechte von Frauen und Kindern ist, wie die Demonstrationen vom 4. September 2021 in Kabul und Herat gezeigt haben;

18. ist besorgt über das von den Taliban angekündigte Interimskabinett, das sich ausschließlich aus Taliban-Führern oder ihnen nahestehenden Personen zusammensetzt, darunter auch umstrittene Persönlichkeiten mit Verbindungen zum Terrorismus;

19. weist darauf hin, dass es gefährlich sein könnte, sich blind auf die Taliban zu verlassen und voreilige Erklärungen abzugeben, in denen die Taliban anerkannt werden, ohne dass sie zur Rechenschaft gezogen werden und ohne dass die erforderlichen Bedingungen und Durchsetzungsmechanismen klar definiert werden; warnt davor, dass die Taliban von noch radikaleren Terrorgruppen wie dem IS, Al-Qaida, den pakistanischen Taliban und der Islamischen Bewegung Ostturkestans gestürzt werden könnten; fordert die EU und alle ihre westlichen Partner auf, dieser ernsthaften Bedrohung Rechnung zu tragen;

20. ist der Ansicht, dass regionale Akteure – wie Pakistan und Katar – unumgängliche Gesprächspartner bei der Suche nach Lösungen für die Krise sein werden; stellt fest, dass die Taliban die Türkei und Katar um technische Unterstützung für den Betrieb des Flughafens Kabul ersucht haben;

21. stellt fest, dass in der jüngsten Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu Afghanistan der Vorschlag zur Schaffung einer sicheren Zone am Flughafen Kabul nicht erwähnt wird, wobei das Thema Berichten zufolge während der Verhandlungen über die Resolution nicht einmal erörtert wurde;

22. fordert, dass jegliche Entwicklungshilfe für Afghanistan eingestellt wird, da es keine anerkannte Regierung gibt, diese Mittel auf transparente Weise entgegennehmen und verteilen kann;

23. warnt davor, die Afghanistan-Krise dazu zu nutzen, die weitere Integration in die EU, eine Reihe außenpolitischer Reformen oder den umstrittenen Migrationspakt voranzutreiben; besteht insbesondere darauf, dass die Einstimmigkeit in außenpolitischen Fragen im Rat weiterhin die Regel sein muss; spricht sich in diesem Zusammenhang gegen jede Hinwendung zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit in außenpolitischen Fragen im Rat aus;

24. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Europäischen Auswärtigen Dienst und den Regierungen und den Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.

Letzte Aktualisierung: 15. September 2021
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