Entschließungsantrag - B9-0584/2021Entschließungsantrag
B9-0584/2021

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage in Nicaragua

8.12.2021 - (2021/3000(RSP))

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung des Vizepräsidenten der Kommission/Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung

María Soraya Rodríguez Ramos, Izaskun Bilbao Barandica, Olivier Chastel, Karin Karlsbro, Javier Nart
im Namen der Renew-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0581/2021

Verfahren : 2021/3000(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B9-0584/2021
Eingereichte Texte :
B9-0584/2021
Abstimmungen :
Angenommene Texte :

B9-0584/2021

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in Nicaragua

(2021/3000(RSP))

Das Europäische Parlament,

 unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Nicaragua, insbesondere die Entschließung vom 8. Juli 2021 zur Lage in Nicaragua[1],

 unter Hinweis auf die vom Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (HR/VP) im Namen der EU abgegebenen Erklärungen zu Nicaragua, insbesondere die Erklärung vom 8. November 2021,

 unter Hinweis auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits[2],

 unter Hinweis auf die Verordnungen und Beschlüsse des Rates über restriktive Maßnahmen aufgrund schwerer Menschenrechtsverletzungen und -verstöße in Nicaragua und den Beschluss zur Verlängerung dieser Sanktionen bis zum 15. Oktober 2022,

 unter Hinweis auf die Resolution der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vom 12. November 2021 zu den Wahlen in Nicaragua,

 unter Hinweis auf die präsidiale Verfügung von Präsident Biden der Vereinigten Staaten vom 16. November 2021 mit dem Titel „A Proclamation on Suspension of Entry as Immigrants and Non-Immigrants of Persons responsible for Policies and Actions That Threaten Democracy in Nicaragua“ (Verfügung über die Aussetzung der Einreise als Einwanderer und Nichteinwanderer von Personen, die für eine Politik oder Handlungen verantwortlich sind, die die Demokratie in Nicaragua bedrohen),

 unter Hinweis auf die Erklärung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IAMRK) vom 20. November 2021, in der sie ihre Zuständigkeit für Nicaragua bekräftigt und ihr Bedauern über die Entscheidung Nicaraguas zum Ausdruck bringt, die Charta der OAS vor dem Hintergrund schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen aufzukündigen,

 gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass am 7. November 2021 in Nicaragua Scheinpräsidentschafts- und -parlamentswahlen vor dem Hintergrund von Betrugsvorwürfen stattfanden und der amtierende Präsident Daniel Ortega, der das Land seit 2007 regiert, nach Angaben des Obersten Wahlrats mit rund 75 % der abgegebenen Stimmen und einer Wahlbeteiligung von 65 % für eine fünfte Amtszeit – seine vierte in Folge – wiedergewählt wurde; in der Erwägung. dass die Wahlbeteiligung Beobachtungen nicaraguanischer zivilgesellschaftlicher Organisationen zufolge mit einer Stimmenthaltungsquote von rund 81,5 % weitaus geringer war;

B. in der Erwägung, dass Daniel Ortega jeden glaubwürdigen Wahlwettbewerb ausgehebelt und die Integrität des Wahlprozesses durch systematische willkürliche Inhaftierung, Schikanierung und Einschüchterung von potenziellen Präsidentschaftskandidaten, Führungspersönlichkeiten der Opposition, der Studentenschaft und aus ländlichen Gebieten, Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und Vertretern der Wirtschaft untergraben hat; in der Erwägung, dass die willkürlich verhafteten Personen völlig falschen Anschuldigungen ausgesetzt waren, die ohne jeden Beweis aus politischen Gründen erhoben wurden, für die es keinerlei Beweise gibt, und zwar in einem Verfahren, das durch schwerwiegende Verstöße gegen Verfahrensgarantien gekennzeichnet ist, was die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz zeigt;

C. in der Erwägung, dass die nicaraguanische Regierung die Bevölkerung Nicaraguas ihrer bürgerlichen und politischen Rechte sowie der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit beraubt, zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen verboten und ihre Verpflichtungen in Bezug auf die Menschenrechte und Grundfreiheiten gemäß der nicaraguanischen Verfassung, der Interamerikanischen Demokratischen Charta und den internationalen Übereinkommen, denen das Land beigetreten ist, nicht eingehalten hat;

D. in der Erwägung, dass nach Angaben von Organisationen der Zivilgesellschaft am Wahltag mehr als 200 Fälle von politischer Gewalt und Wahlnötigung registriert wurden, darunter Einschüchterungen, Schikanen, Drohungen und Erpressungen, die sich vor allem gegen Staatsbedienstete, Beschäftigte des öffentlichen Sektors, Studierende und medizinisches Personal richteten, um sie zur Stimmabgabe zu zwingen;

E. in der Erwägung, dass die Pressefreiheit ebenfalls im Fadenkreuz der Regierung stand und die Medien Einschränkungen und Hindernisse anprangerten, die es ihnen unmöglich machten, ihre Arbeit zu verrichten; in der Erwägung, dass die Regierung den Journalismus, die Pressefreiheit und das Recht auf Information zunehmend ins Visier genommen und angegriffen hat;

F. in der Erwägung, dass diese Menschenrechtsverletzungen, die angeblich hauptsächlich von Polizeibeamten, Kommunalbeamten, parastaatlichen Akteuren und zivilen Gruppen, die als Anhänger der Milizen organisiert sind, begangen wurden, in den Tagen vor den manipulierten Wahlen zunahmen;

G. in der Erwägung, dass die IAMRK in ihrem Bericht von Oktober 2021 feststellte, dass in Nicaragua durch Repression, Korruption, Wahlbetrug und strukturelle Straflosigkeit ein Polizeistaat errichtet wurde, der von der Regierung geschaffen wurde, um ihren „unbefristeten Machterhalt und die Aufrechterhaltung von Privilegien und Immunitäten“ zu erreichen;

H. in der Erwägung, dass die nicaraguanische Regierung in den letzten Jahren immer restriktivere Gesetze erlassen hat, die die Repression zum Bestandteil des Systems machen, und dass die Verabschiedung dieser Gesetze die im Land begangenen Verbrechen legalisiert hat; in der Erwägung, dass Nicaragua zu einer Republik der Angst geworden ist und viele Bürger gezwungen sind, Zuflucht im Exil zu suchen;

I. in der Erwägung, dass die nicaraguanische Regierung durch die Vergabe von Konzessionen an internationale Bergbauunternehmen und die Unterstützung von Siedlern die Gebiete indigener und afronicaraguanischer Völker abgeholzt und zerstört hat;

J. in der Erwägung, dass das nicaraguanische Präsidentschaftspaar Ortega-Murillo und ihre Familien unmittelbar von Korruption profitieren;

1. verurteilt den undemokratischen, unwürdigen Wahlprozess in Nicaragua, der gegen alle internationalen demokratischen Standards für glaubwürdige, inklusive, faire und transparente Wahlen verstößt; lehnt die Legitimität der Ergebnisse der rechtswidrigen Wahlen ab und erkennt keine institutionellen Behörden an, die aus der manipulierten Wahl hervorgegangen sind; schließt sich den Erklärungen an, in denen bekräftigt wird, dass mit dieser Wahl die Umwandlung Nicaraguas in ein autokratisches Regime vollendet wurde;

2. fordert die Durchführung von Wahlen im Einklang mit den internationalen Standards und den Standards der Interamerikanischen Demokratischen Charta, um sicherzustellen, dass die demokratischen Bestrebungen des nicaraguanischen Volkes verwirklicht werden, und fordert, dass internationalen Organisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft die Einreise gewährt wird;

3. bekräftigt die Solidarität der EU mit der Bevölkerung Nicaraguas; betont, dass die Korruption und der Patrimonialismus des nicaraguanischen Regimes, zu dem auch die Zerstörung der natürlichen Ressourcen gehört, das Land in den wirtschaftlichen und humanitären Kollaps führen;

4. unterstützt die Erklärung des VP/HR, dass alle Instrumente, die der EU zur Verfügung stehen, um zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich Maßnahmen, die über die gegen Einzelpersonen gerichteten Beschränkungen hinausgehen könnten, in Betracht gezogen werden, wobei gleichzeitig Maßnahmen vermieden werden, die die Not der nicaraguanischen Bevölkerung verschärfen könnten; weist darauf hin, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre humanitäre Zusammenarbeit zur Unterstützung der Schwächsten fortsetzen und gleichzeitig alternative Maßnahmen zur Bekämpfung der weit verbreiteten Korruption erkunden sollten; fordert in diesem Zusammenhang die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Nicaragua zugewiesenen EU-Mittel, einschließlich derjenigen, die über multilaterale und Finanzinstitutionen wie die Zentralamerikanische Bank für wirtschaftliche Integration fließen, zu überwachen, um sicherzustellen, dass sie nicht dazu verwendet werden, die Korruption des Regimes zu fördern;

5. bedauert, dass der Außenminister Nicaraguas die Charta der OAS am 19. November 2021 aufgekündigt hat, und betont, dass sich Nicaragua mit dieser Entscheidung auch aus den regionalen Mechanismen der OAS zum Schutz der Menschenrechte zurückzieht;

6. weist erneut darauf hin, dass Nicaragua vor dem Hintergrund des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Zentralamerika die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Menschenrechte einhalten und stärken muss; bekräftigt seine Forderung, dass angesichts der gegebenen Umstände die Demokratieklausel des Assoziierungsabkommens ausgelöst wird;

7. verurteilt die Gewalt, das systematische Vorgehen gegen führende Politiker der Opposition, die Unterdrückung von Akteuren der Zivilgesellschaft, Menschenrechtsverteidigern und Medien und die weit verbreitete Straffreiheit für gegen sie begangene Verbrechen sowie die anhaltende Korruption von Beamten der nicaraguanischen Regierung; weist darauf hin, dass diese Handlungen eine eindeutige Verletzung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit darstellen und das anhaltende Versagen von Präsident Daniel Ortega, Vizepräsidentin Rosario Murillo und nicaraguanischer Regierungsbeamter zeigen, diese Grundsätze und Werte zu verteidigen;

8. fordert die Staatsorgane Nicaraguas nachdrücklich auf, der Unterdrückung ein Ende zu setzen und die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte, einschließlich der bürgerlichen und politischen Rechte, wiederherzustellen, insbesondere durch die Aufhebung aller restriktiven und unrechtmäßigen Gesetze und die Wiederherstellung der Rechtspersönlichkeit der Organisationen von Menschenrechtsverteidigern;

9. fordert erneut die sofortige und bedingungslose Freilassung aller willkürlich inhaftierten politischen Gefangenen, Oppositionsaktivisten, Menschenrechts- und Umweltaktivisten und Journalisten sowie die Aufhebung der gegen sie eingeleiteten Gerichtsverfahren; verurteilt den anhaltenden psychischen und körperlichen Missbrauch durch Polizei- und Strafvollzugsbehörden, die sich besonders gegen Frauen richtet, und die Isolationshaft, in der einige festgehalten werden, ohne Zugang zu ihren Anwälten, Familien oder zu medizinischer Versorgung zu haben; weist darauf hin, dass der Staat Nicaragua die VN-Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) einhalten muss, was nach wie vor eine völkerrechtliche Verpflichtung darstellt; fordert, dass die Regierung umgehend Beweise dafür vorlegt, dass die Inhaftierten noch am Leben sind, sowie Angaben zu deren Aufenthaltsort; lehnt die Entscheidung des Ortega-Regimes ab, die Gerichtsverfahren gegen sie auszusetzen, was dazu führt, dass sie auf unbestimmte Zeit in Untersuchungshaft genommen werden;

10. fordert Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht für alle Opfer im Einklang mit den nicaraguanischen Gesetzen und internationalen Verpflichtungen und Zusagen durch unparteiische, gründliche und unabhängige Untersuchungen; fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Einrichtung eines Untersuchungs- und Rechenschaftsmechanismus im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu unterstützen;

11. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Lage vor Ort durch ihre Vertreter und Botschaften in Nicaragua genau zu überwachen, insbesondere durch die Beobachtung von Gerichtsverfahren und den Besuch von inhaftierten oder unter Hausarrest stehenden Kritikern und Oppositionsführern, die Ausstellung von Notvisa zu erleichtern und ihnen die Möglichkeit zu geben, aus politischen Gründen vorübergehend in den Mitgliedstaaten Zuflucht zu suchen; fordert den Europäischen Auswärtigen Dienst auf, seinen regelmäßigen Dialog mit Organisationen der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidigern zu intensivieren und die Mechanismen zur Unterstützung ihrer unverzichtbaren Arbeit zu stärken;

12. bekräftigt, dass die einzige Lösung für die tiefe politische Krise in Nicaragua ein inklusiver und sinnvoller nationaler Dialog ist, und bedauert die wiederholte Abwendung des nicaraguanischen Regimes und seine mangelnde Bereitschaft, einen solchen Prozess einzuleiten; stellt fest, dass die Abhaltung freier, fairer und transparenter Wahlen, die Wiederherstellung der Freiheiten und die Beendigung der Unterdrückung, die Freilassung der politischen Gefangenen und die Rückkehr der ins Exil Gegangenen ohne Ausnahmen und mit vollen Garantien unabdingbare Voraussetzungen für jeden Dialog mit dem nicaraguanischen Regime sind; fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die derzeitigen und künftigen Bemühungen der Zivilgesellschaft um die Schaffung der Voraussetzungen für einen Dialog, der zu einem demokratischen Übergang führt, im Einklang mit den Vereinbarungen von März 2019 zu begleiten;

13. bekräftigt seine Forderung nach einer sofortigen Auslieferung von Alessio Casimirri nach Italien;

14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, der Parlamentarischen Versammlung Europa-Lateinamerika, dem Zentralamerikanischen Parlament, der Lima-Gruppe sowie der Regierung und dem Parlament der Republik Nicaragua zu übermitteln.

 

Letzte Aktualisierung: 13. Dezember 2021
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