ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Solidarität mit der Ukraine im Kulturbereich und zum gemeinsamen Soforthilfemechanismus für die Erholung der Kultur in Europa
14.10.2022 - (2022/2759(RSP))
gemäß Artikel 136 Absatz 5 der Geschäftsordnung
Sabine Verheyen
im Namen des Ausschusses für Kultur und Bildung
B9‑0473/2022
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Solidarität mit der Ukraine im Kulturbereich und zum gemeinsamen Soforthilfemechanismus für die Erholung der Kultur in Europa
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 167 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
– gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf die Präambel, Artikel 3 und das beigefügte Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit,
– unter Hinweis auf die Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 1. März 2022 zu Russlands Aggression gegen die Ukraine[1],
– unter Hinweis auf seine Empfehlung vom 8. Juni 2022 an den Rat und den Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine[2],
– unter Hinweis auf die Erklärungen der Führung des Parlaments zur Ukraine vom 16. und 24. Februar 2022,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 17. September 2020 zur Erholung der Kultur in Europa[3],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 20. Oktober 2021 zu der Situation von Künstlern und der kulturellen Erholung in der EU[4],
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 18. Mai 2021 zur Erholung, Resilienz und Nachhaltigkeit der Kultur- und Kreativbranche,
– unter Hinweis auf die Anfrage zur mündlichen Beantwortung an die Kommission zu dem Thema „Solidarität mit der Ukraine im Kulturbereich und gemeinsamer Soforthilfemechanismus für die Erholung der Kultur in Europa“ (O‑000030/2022 – B9‑0026/2022),
– gestützt auf Artikel 136 Absatz 5 und Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
– unter Hinweis auf den Entwurf einer Entschließung des Ausschusses für Kultur und Bildung,
A. in der Erwägung, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine ein Versuch ist, die Identität und Kultur einer souveränen Nation zu vernichten, auch durch strategische und gezielte Handlungen zur Zerstörung von Kulturerbestätten[5], mithin Handlungen, die ein Kriegsverbrechen im Sinne des Haager Übereinkommens von 1954[6] darstellen, das beide Länder unterzeichnet haben;
B. in der Erwägung, dass der Überfall auf die Ukraine auch ein Angriff auf unsere gemeinsame europäische Identität, unsere Werte und unsere Lebensweise ist, die durch offene Gesellschaften gekennzeichnet ist bzw. sind, die auf Demokratie, Achtung der Menschenrechte, Würde, Rechtsstaatlichkeit und kultureller Vielfalt beruhen; in der Erwägung, dass Millionen von Menschen auf der ganzen Welt dessen verheerende Folgen spüren, zu denen unter anderem Todesfälle, Nahrungsmittelknappheit, der Rückgang der weltweiten Energieversorgung, der Anstieg der Inflation und das Anschwellen von Migrationsströmen zählen; in der Erwägung, dass Russland diese beabsichtigten Folgen als politische Drohung und strategische Bedrohung einsetzt;
C. in der Erwägung, dass durch Russlands Einmarsch in die Ukraine auch Kunst- und Kulturschaffende, Journalisten und Wissenschaftler gefährdet sind, da Russland ein Klima der Angst und des Zweifels verbreitet, was der Kunstfreiheit, hochwertigen Nachrichten, der Unabhängigkeit der Medien und dem Zugang zu Informationen, der akademischen Freiheit und der Meinungsfreiheit im weiteren Sinne zum Nachteil gereicht;
D. in der Erwägung, dass die rechtswidrige Zerstörung des Kulturerbes sowie die Plünderung und der Schmuggel von Kulturgütern und Artefakten eine erhebliche Bedrohung für die Identität aller Ukrainerinnen und Ukrainer und aller Minderheiten des Landes darstellt und die nationale Aussöhnung nach dem Ende des Konflikts behindern dürfte;
E. in der Erwägung, dass sämtliche Bereiche des Lebens und der belebten Umwelt, insbesondere das Gesamtumfeld der Kultur, das bereits durch schwache Organisations- und Finanzstrukturen, durch häufig prekäre Arbeitsbedingungen und durch Bedrohungen der Freiheit des künstlerischen Ausdrucks gekennzeichnet ist, von den weitreichenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurden; in der Erwägung, dass sich die Kultur- und Kreativbranchen und die Kultur- und Kreativwirtschaft (CCSI) noch immer nicht vollständig von der COVID-19-Krise erholt haben;
F. in der Erwägung, dass durch diese schweren Krisen nicht nur die strategische Autonomie der Union infrage gestellt, sondern auch das große Potenzial der Union aufgezeigt wurde, ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu Europa zu schaffen, gemeinsame Antworten auf dringende Bedürfnisse zu finden und die Unterstützung des europäischen Aufbauwerks zu festigen;
G. in der Erwägung, dass Kultur nach wie vor ein wichtiger Faktor für das gegenseitige Verständnis und die Wahrung des Friedens in der Bevölkerung ist;
Stärkung der Unterstützung und Solidarität für die Welt der Kultur in der Ukraine
1. begrüßt die allgemeine starke Unterstützung der CCSI der Ukraine durch die EU und ihre Mitgliedstaaten und die rasche Mobilisierung von Finanzinstrumenten durch die Kommission, staatliche Akteure, nichtstaatliche Organisationen und die Zivilgesellschaft zur Unterstützung der vor dem Krieg fliehenden Kunst- und Kulturschaffenden, der Kulturorganisationen der Länder, die Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen, sowie zum Schutz des Kulturerbes; begrüßt insbesondere rasch ins Leben gerufene Initiativen wie den „Culture of Solidarity Fund for Ukraine“ (Fonds für eine Kultur der Solidarität mit der Ukraine);
2. bekundet den Darstellern, Künstlern, Urhebern, Autoren, Verlegern, ihren Unternehmen und allen anderen Kunst- und Kulturschaffenden, auch den nicht hauptberuflichen Kreativen, seine aufrichtige Solidarität, da Kunst und Kultur eine grundlegende Funktion beim geistigen und moralischen Wiederaufbau der Ukraine zukommen wird; begrüßt insbesondere das Handeln der ukrainischen Kunst- und Kulturschaffenden, die sich der russischen Invasion widersetzen, indem sie ihr Schaffen fortsetzen;
3. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, den dringenden Bedarf, der in den Bereichen Kultur und Kulturerbe entstanden ist, in die humanitäre Hilfe der Union für die Ukraine einzubeziehen; ist der festen Überzeugung, dass im Einklang mit dem historischen Beschluss des Europäischen Rates vom 23. Juni 2022, der Ukraine den Status eines Bewerberlandes zu gewähren, dem Land auch im Rahmen des künftigen Treuhandfonds für die Ukraine, den die Staats- und Regierungsoberhäupter in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2022 gebilligt haben, gezielte Unterstützung bereitgestellt werden muss;
4. fordert die Union nachdrücklich auf, ukrainischen Kulturschaffenden, kleinen und mittleren Unternehmen, nichtstaatlichen Organisationen, lokalen kulturellen Aktivitäten, Universitäten und der Zivilgesellschaft gezielte Unterstützung bei der Ausarbeitung und Weiterentwicklung des Fahrplans des Landes für den Wiederaufbau und die Erholung anzubieten;
5. ist der Ansicht, dass die Union die staatlichen Stellen der Ukraine, insbesondere auf lokaler und regionaler Ebene, und die Zivilgesellschaft als konstruktiven Partner beim Wiederaufbau des Landes und vor allem bei der Restaurierung von Kulturstätten unterstützen sollte; betont in diesem Zusammenhang, dass die Union den am Wiederaufbau Beteiligten nahelegen sollte, die Anwendung höchster Qualitätsvorgaben in Erwägung zu ziehen; stellt fest, dass das Neue Europäische Bauhaus die Möglichkeit bietet, unter Einbeziehung der CCSI der Ukraine einen Beitrag zu Restaurierungsarbeiten nach dem Krieg zu leisten;
6. vertritt die Auffassung, dass den kulturellen und historischen Werken in der Ukraine und dem Schutz des Kulturerbes des Landes besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss; bekräftigt die Bereitschaft der Europäischen Union, sich an der Erhaltung von Kunstwerken und des Kulturerbes zu beteiligen, indem sie alle rechtlichen Instrumente zum Schutz und zur Verhinderung des illegalen Handels mit oder der illegalen Ausfuhr von Kulturerbe in Kriegszeiten einsetzt;
7. betont, dass die Ukraine dringend dabei unterstützt werden muss, alle Angriffe auf das Kulturerbe sorgfältig zu dokumentieren, insbesondere solche, die als Kriegsverbrechen gelten können und gegen das durch internationale Übereinkommen geschützte Kulturerbe gerichtet sind; weist darauf hin, dass die Union neben dem physischen Schutz von Denkmälern und Artefakten auch die Unterstützung für die Digitalisierung und digitale Dokumentation des Kulturerbes weiter verstärken sollte;
8. ist der Ansicht, dass durch die finanzielle Unterstützung für die Ukraine im Kulturbereich die im Rahmen des Programms Kreatives Europa für die CCSI in der Europäischen Union bereitgestellten Finanzmittel nicht infrage gestellt werden sollten;
Unterstützung der Resilienz und der Erholung des Gesamtumfelds der Kultur in der Union in der Zeit nach der Krise
9. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, in allen wichtigen Politikbereichen und Prioritäten der Union wie Klimaschutz, digitaler Wandel, Konjunkturerholung und internationale Beziehungen einen Schwerpunkt auf die Kultur zu legen; fordert die Kommission auf, das multidimensionale Potenzial der CCSI für das Wohlergehen der Gesellschaften und der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger weiter zu nutzen und den öffentlichen Kulturdiskurs vorausschauend zu fördern, um möglichst viele Menschen in die öffentliche Meinungsbildung einzubeziehen und die internationale kulturelle Zusammenarbeit voranzubringen;
10. betont, dass Maßnahmen auf allen Ebenen von Regierung und Verwaltung und im Benehmen mit öffentlichen und privaten Interessenträgern, auch der Zivilgesellschaft und Wohltätigkeitsakteuren, unterstützt und koordiniert werden müssen, wozu auch eine gezielte Unterstützung des Gesamtumfelds der Kultur- und Kreativwirtschaft und des Kulturerbes und die gezielte Förderung angemessener Arbeitsbedingungen für die dort Beschäftigten gehört;
11. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, ihre Innovationskapazität im Hinblick auf die Zusammenarbeit und öffentlich-private Partnerschaften auszubauen, um in den Kultur- und Kreativbranchen und der Kultur- und Kreativwirtschaft die Widerstandsfähigkeit gegenüber künftigen Krisen zu erhöhen; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang nachdrücklich auf, die Digitalisierung der CCSI weiter zu fördern und für einen breiten digitalen Zugang zu künstlerischen und kulturellen Werken zu sorgen;
12. fordert die Kommission auf, die Möglichkeit zu prüfen, auf der Grundlage eines Ansatzes unter Einbindung vielfältiger Interessenträger einen Mechanismus der Union für Soforthilfe und Erholung speziell für das Gesamtumfeld der Kultur- und Kreativwirtschaft und des Kulturerbes einzurichten; fordert die Kommission auf, einen rechtlichen und steuerlichen Rahmen für einen solchen Mechanismus vorzuschlagen und eine Liste der assoziierten strategischen Partner aus allen betroffenen Bereichen des Staates oder der Privatwirtschaft unter Einbeziehung von Wohltätigkeitspartnerschaftsmodellen und bei uneingeschränkter Einhaltung des Grundsatzes der Zusätzlichkeit zu erstellen, um die strategische Bündelung von Ressourcen zu ermöglichen und so die öffentliche Finanzierung zu stärken und die Unterstützung für die CCSI zu optimieren;
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13. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Rat und der Kommission und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.
- [1] ABl. C 125 vom 18.3.2022, S. 2.
- [2] Angenommene Texte, P9_TA(2022)0235.
- [3] ABl. C 385 vom 22.9.2021, S. 152.
- [4] ABl. C 184 vom 5.5.2022, S. 88.
- [5] Mit Stand vom 21. September 2022 hat die UNESCO Schäden an 192 Stätten seit dem 24. Februar 2022 bestätigt, und zwar an 81 religiösen Stätten, 13 Museen, 37 historischen Gebäude, 35 Gebäuden für kulturelle Aktivitäten, 17 Denkmälern und 10 Bibliotheken, https://www.unesco.org/en/articles/damaged-cultural-sites-ukraine-verified-unesco.
- [6] Siehe das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer ix.