ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zum Schutz der Viehwirtschaft und der Großraubtiere in Europa
21.11.2022 - (2022/2952(RSP))
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Herbert Dorfmann, Norbert Lins, Daniel Buda, Alexander Bernhuber
im Namen der PPE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0503/2022
B9‑0504/2022
Entschließung des Europäischen Parlaments zum Schutz der Viehwirtschaft und der Großraubtiere in Europa
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass viele komplexe Faktoren (Klimawandel, hoher Schutzstatus, steigende Populationszahlen) nachteilige Auswirkungen auf die Nahrungsketten haben, was die Migration wildlebender Tiere beeinflusst und zu Konflikten zwischen domestizierten und wildlebenden Arten führen kann;
B. in der Erwägung, dass Rechtsakte wie die Habitat-Richtlinie[1] und internationale Koordinierungsbemühungen wie das Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (Übereinkommen von Bern) dazu beigetragen haben, dass sich die Populationen von Großraubtieren, darunter auch die Wolfspopulationen, erholt haben; in der Erwägung, dass die Zahl der Großraubtiere auf dem europäischen Festland zwischen 2012 und 2016 erheblich gestiegen ist, und zwar auf 8 000 bis 9 000 Nordluchse, 15 000 bis 16 000 Braunbären und 17 000 Wölfe; in der Erwägung, dass diese Zahlen bereits mehr als fünf Jahre alt sind; in der Erwägung, dass die Weltnaturschutzunion den Wolf aufgrund der starken Zunahme der Wolfspopulationen bereits im Jahr 2018 auf Unionsebene als nicht gefährdet eingestuft hat;
C. in der Erwägung, dass Großraubtiere weit wandern und sich einzelne Populationen in großen geografischen Gebieten ausbreiten können, die sich über verschiedene Länder innerhalb und außerhalb der EU erstrecken, was dazu führen kann, dass für eine Population mit einem günstigen Erhaltungszustand in einer Region Bewirtschaftungsmaßnahmen gelten, dieselbe Population in der Nachbarregion jedoch weiterhin streng geschützt ist, obwohl der Erhaltungszustand derselbe ist; in der Erwägung, dass ein wissenschaftlich fundierter Ansatz benötigt wird, bei dem die gesamte Population in allen Mitgliedstaaten berücksichtigt wird;
D. in der Erwägung, dass Nutztiere, insbesondere wenn sie auf eingezäunten und offenen Weiden gehalten werden, durch das zunehmende Vorkommen von Großraubtieren gefährdet sind, vor allem in Berggebieten und dünn besiedelten Gebieten, in denen die Beweidung zur Erhaltung dieser prioritären Lebensräume notwendig ist, sowie in dichter besiedelten ländlichen Gebieten, in denen sich das Vorkommen von Wölfen negativ auf die nachhaltige Entwicklung und die Lebensqualität auswirken kann, sowohl was die herkömmliche Landwirtschaft betrifft als auch mit Blick auf den Tourismus; in der Erwägung, dass in dicht besiedelten und verstädterten Gebieten mit wenigen großen Naturschutzgebieten ein höheres Risiko für Nutztiere besteht;
E. in der Erwägung, dass traditionelle Almen und Weiden aufgrund ökologischer, landwirtschaftlicher und sozioökonomischer Herausforderungen, die mit der Bewirtschaftung in unmittelbarer Nähe zu einer Großraubtierart verbunden sind, zunehmend aufgegeben werden, was unausweichlich zu einem Konflikt zwischen Naturschutzzielen führt; in der Erwägung, dass 50 % aller Schafe auf dem europäischen Festland in der Nähe von mindestens einer Großraubtierart leben;
F. in der Erwägung, dass sich gezeigt hat, dass Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von Konflikten, die sich durch diese Koexistenz ergeben, nicht wirksam genug sind, sondern zu einem Anstieg des Arbeitsaufwands und zu unverhältnismäßig hohen Kosten für die Landwirte führen und erhebliche Auswirkungen auf die Landschaft haben; in der Erwägung, dass sich die auf nationaler Ebene geregelten Entschädigungszahlungen innerhalb der EU unterscheiden und dabei häufig nicht der gesamte erlittene Schaden – neben dem nicht wiedergutzumachenden Verlust des genetischen Erbes vieler einheimischer Rassen – berücksichtigt wird;
1. betont, dass sich die EU auf eine angemessene Erhaltung der biologischen Vielfalt konzentrieren muss, um eine ausgewogene Entwicklung aller Arten und Ökosysteme zu ermöglichen; weist darauf hin, dass Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt zwar positive Ergebnisse in Bezug auf die Wiederherstellung von Großraubtierarten in der EU erzielt haben, dass jedoch eingeräumt werden muss, dass die steigenden Populationszahlen zahlreiche ökologische, landwirtschaftliche und sozioökonomische Probleme mit sich bringen, und dass mehr Maßnahmen auf der Grundlage eines stärker regionalen Ansatzes im Einklang mit Artikel 2 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie ergriffen werden sollten, um diese Kompromisse wirksam zu bewältigen;
2. betont, dass die Überwachung der Gesundheit wildlebender Tier- und Pflanzenarten verbessert werden muss und dass dies vor allem im besonderen Fall von Wölfen aufgrund der Hybridisierung mit Hunden von großer Bedeutung ist; fordert eine standardisierte Strategie zur Erfassung von Wolfshybriden und einen transparenten Ansatz, auch durch den grenzüberschreitenden Austausch von DNA-Proben von Wölfen zwischen Forschungseinrichtungen; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Auswirkungen von Angriffen von Großraubtieren auf das Wohlergehen der Tiere (Verletzungen, Aborte, verminderte Fruchtbarkeit, Verlust von Tieren oder ganzen Herden, Tod von Schutzhunden usw.) sowie auf das Wohlergehen von Menschen (Einkommensverluste, höhere Arbeits- und Sachkosten, mögliche Verletzungen, Lebensgefahr usw.) zu berücksichtigen;
3. begrüßt, dass ein Änderungsvorschlag zur Herabstufung des Wolfes (Canis lupus) von Anhang II in Anhang III des Übereinkommens in die Tagesordnung der 42. Tagung des Ständigen Ausschusses des Berner Übereinkommens aufgenommen wurde; betont, dass der Erhaltungszustand des Wolfs auf gesamteuropäischer Ebene eine Herabstufung des Schutzstatus und folglich die Annahme der vorgeschlagenen Änderung rechtfertigt;
Maßnahmen
4. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, zur Kenntnis zu nehmen, dass die derzeitigen Maßnahmen, einschließlich Zäune und Schutzhunde, Angriffe nicht angemessen verhindern und keine harmonische Koexistenz ermöglichen; fordert, dass bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen und der Erwägung von Ausnahmeregelungen die Geländebeschaffenheit sowie weitere vorherrschende Faktoren, die für die betreffenden Gebiete von wesentlicher Bedeutung sind (etwa der Tourismus), berücksichtigt werden; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, einzuräumen, dass auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse überwachte Kontrollmaßnahmen im Einklang mit der Habitat-Richtlinie entwickelt und angewandt werden müssen, wenn die Populationen von Großraubtieren zunehmen;
Bewertung des Erhaltungszustands und grenzüberschreitende Bewirtschaftungspläne
5. fordert die Kommission auf, die Fortschritte bei der Erreichung des Erhaltungszustands von Arten regelmäßig auf der Ebene der biogeografischen Regionen und/oder der EU-weiten Populationen zu beurteilen, um die Ausbreitung wildlebender Tiere auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie des Austauschs von einzelnen Tieren und des genetischen Austauschs zwischen Subpopulationen unter Berücksichtigung der hohen grenzüberschreitenden Mobilität von Arten zu bewerten, und den Schutzstatus anzupassen, sobald der gewünschte Erhaltungszustand erreicht ist; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Ausarbeitung grenzüberschreitender Bewirtschaftungspläne zu erleichtern, die mit den biogeografischen Regionen und/oder der Populationsebene übereinstimmen; fordert die Kommission auf, Mittel für Studien zur biologischen Vielfalt bereitzustellen, anhand derer die Karten zur Verbreitung und Populationsdichte von Großraubtieren aktualisiert werden sollen; ist der Ansicht, dass diese Studien angesichts der hohen Mobilität dieser Arten in ganz Europa durchgeführt werden sollten, damit genaue Schätzungen vorliegen; ist der Überzeugung, dass der Erhaltungszustand von Großraubtieren in mehreren biogeografischen Regionen, in denen sie nach wie vor streng geschützt sind, inzwischen günstig ist; fordert eine genaue Überwachung der EU-Politik in Bezug auf Großraubtiere, damit dieses Problem mit dem günstigen Erhaltungszustand auf der Grundlage realistischer Daten, aus denen die unterschiedliche Populationsdichte von Großraubtieren in verschiedenen Teilen Europas hervorgeht, zufriedenstellend gelöst werden kann; fordert die Kommission auf, umgehend ein Bewertungsverfahren zu entwickeln, damit der Schutzstatus von Populationen in bestimmten Regionen geändert werden kann, sobald der gewünschte Erhaltungszustand gemäß Artikel 19 der Habitat-Richtlinie erreicht ist;
Ausnahmen
6. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Regionen, in denen es immer mehr Konflikte gibt, die sich durch diese Koexistenz ergeben, aktiv zu unterstützen, damit diese Regionen die bereits verfügbare Flexibilität gemäß Artikel 16 Absatz 1 der Habitat-Richtlinie nutzen können, wobei zu berücksichtigen ist, dass sowohl wildlebende Tiere als auch Nutztiere erhebliche Schäden erleiden; fordert, dass bei der Auslegung und Anwendung dieses Artikels die Vielfalt in der Europäischen Union berücksichtigt und eng mit den Mitgliedstaaten, Regionen und Interessenträgern zusammengearbeitet wird, um sicherzustellen, dass bei der Bewirtschaftung ein Ansatz verfolgt wird, der für die gesamte geografische Region und/oder die gesamte Population in allen Mitgliedstaaten geeignet ist; fordert die Kommission auf, die geltenden Leitlinien zum strengen Artenschutz in Bezug auf die Auslegung der Verpflichtungen, die sich aus den Artikeln 12 und 16 der Habitat-Richtlinie ergeben, zu präzisieren, da die Populationen von Großraubtieren zunehmen und es immer mehr Konflikte gibt, die sich durch diese Koexistenz ergeben;
7. betont, dass die Viehhaltung möglich sein muss, ohne dass unverhältnismäßig teure und verstärkte Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, die sich negativ auf die Möglichkeit auswirken, in ländlichen Gebieten Landwirtschaft zu betreiben; fordert die Kommission auf, die Auswirkungen des zunehmenden Vorkommens von Großraubtieren in Europa auf die biologische Vielfalt, die ländlichen Gemeinschaften, den ländlichen Tourismus und den Generationenwechsel in der Landwirtschaft zu bewerten;
Viehhaltungsbetriebe in Berggebieten
8. betont, dass der Klimawandel, Wirtschaftskrisen und die steigende Zahl der Angriffe durch Großraubtiere die Viehhaltungsbetriebe im Alpenraum stärker treffen; weist darauf hin, dass die Betriebe in Berggebieten klein sind und hohe Mehrkosten stemmen müssen, aber einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Berglandschaft und der biologischen Vielfalt in unwirtlichen Gebieten leisten, in denen große wildlebende Pflanzenfresser ausgestorben sind oder noch nicht wiedereingeführt wurden, da diese Betriebe auf natürliche und kostenwirksame Weise zur Verhütung und Eindämmung von klimatischen Auswirkungen wie Waldbränden beitragen; weist darauf hin, dass Ökosysteme wie artenreiches Nardusgrassland auf kieselhaltigen Substraten in Berggebieten sowie alpine und subalpine Kalkrasen gemäß der Habitat-Richtlinie besonders erhaltenswert sind; weist darauf hin, dass ein wesentlicher Faktor für die Erhaltung dieser Ökosysteme die extensive Beweidung ist; stellt fest, dass die Weidehaltung nach und nach aufgegeben wird, da die Wolfspopulationen zunehmen und Schutzmaßnahmen an extrem unwegsamen Orten, etwa in Berggebieten und dünn besiedelten Gebieten, nur schwer umzusetzen sind; fordert die Kommission auf, traditionelle landwirtschaftliche Verfahren wie die Weidewirtschaft, die landwirtschaftliche Weidehaltung, die von der UNESCO anerkannte Wandertierhaltung und die Lebensweise der Weidelandwirte durch entschlossene Maßnahmen und konkrete Lösungen zu schützen und zu erhalten; stellt fest, dass einige dieser Verfahren von der vorgeschlagenen Liste potenzieller landwirtschaftlicher Verfahren erfasst werden können, die im Rahmen von Öko-Regelungen finanziert werden, was zu Eingriffen in die Lebensräume wildlebender Arten führen könnte; fordert die Kommission auf, die notwendigen Bedingungen für den Weideschutz zu schaffen, wenn keine Herdenschutzmaßnahmen ergriffen werden können;
Überwachung
9. betont, dass eine gute Überwachung die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Bestandsbewirtschaftung für Großraubtiere ist, die EU-Mitgliedsstaaten jedoch unterschiedliche Erhebungs- und Überwachungsmethoden anwenden; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die wissenschaftlich bewährten Überwachungsmethoden in allen Mitgliedstaaten einheitlich anzuwenden und die Populationen von Großraubtieren unter Berücksichtigung der grenzüberschreitenden Dimension zu überwachen, wobei der Schwerpunkt auf den biogeografischen Regionen und den Eigenschaften jedes Ökosystems liegen sollte; fordert, dass die Ergebnisse der Überwachung zeitnah und transparent veröffentlicht werden; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten ferner auf, wissenschaftlich zu ermitteln, welche Maßnahmen am besten geeignet sind, um die Angriffe und Schäden durch Raubtiere zu verringern, und eine Folgenabschätzung der Anwendung aktiver Bewirtschaftungsmethoden durchzuführen;
Finanzierung
10. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, im Rahmen der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 und der Habitat-Richtlinie angemessene und langfristige Finanzierungsmöglichkeiten sowohl innerhalb als auch insbesondere außerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik für angemessene Präventionsmaßnahmen und die Entschädigung der Landwirte zu ermitteln, um die Koexistenz von Großraubtieren und nachhaltigen Tierhaltungsmethoden sicherzustellen, ohne die übergeordneten Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU einzuschränken; fordert die Kommission auf, einzuräumen, dass die zunehmende Zahl der Angriffe von Großraubtieren dazu führt, dass auch die erforderlichen Mittel für den Schutz von Nutztieren und für Entschädigungszahlungen zunehmen, wobei die Gefahr besteht, dass Mittel aus den Programmen zur Entwicklung des ländlichen Raums, die eigentlich zur Verwirklichung wichtiger Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik vorgesehen sind, für die Erhaltung der Arten ausgegeben werden; weist darauf hin, dass sich die Höhe der Entschädigungen, die Tierhaltern nach einem Angriff gezahlt werden, von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden; ist der Ansicht, dass diese Entschädigung in die Ausnahmeregelungen für staatliche Beihilfen aufgenommen werden sollte; fordert die Kommission auf, die Abschaffung ihrer Agrarleitlinien in Erwägung zu ziehen, in denen die Entschädigung für Schäden durch Großraubtiere als staatliche Beihilfe eingestuft wird, da die Verluste der Erzeuger in keinem Zusammenhang mit ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit stehen;
°
° °
11. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung der Kommission zu übermitteln.
- [1] Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7).