ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu dem Ergebnis der Modernisierung des Vertrags über die Energiecharta
21.11.2022 - (2022/2934(RSP))
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Anna Cavazzini, Francisco Guerreiro, Saskia Bricmont, Ignazio Corrao, Piernicola Pedicini, Rasmus Andresen, Sara Matthieu, Mounir Satouri, Rosa D’Amato, Bas Eickhout, Pär Holmgren, Jakop G. Dalunde, Alice Kuhnke, Yannick Jadot, Ernest Urtasun
im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0498/2022
B9‑0513/2022
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Ergebnis der Modernisierung des Vertrags über die Energiecharta
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf den Vertrag über die Energiecharta (ECV) von 1994,
– unter Hinweis auf den Vorschlag der Kommission für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt, der im Namen der Europäischen Union auf der 33. Tagung der Energiechartakonferenz zu vertreten ist (COM(2022)0521),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 23. Juni 2022 zur Zukunft der Auslandsinvestitionspolitik der EU[1],
– unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, insbesondere sein Gutachten 2/15 vom 16. Mai 2017 zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Singapur[2], sein Urteil vom 6. März 2018 in der Rechtssache C‑284/16 (Vorabentscheidungsverfahren Slowakische Republik/Achmea BV)[3], sein Gutachten 1/17 vom 30. April 2019 zum Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten[4], sein Urteil vom 2. September 2021 in der Rechtssache C‑741/19 (Vorabentscheidungsverfahren Republik Moldau/Komstroy LLC)[5] und sein Urteil vom 26. Oktober 2021 in der Rechtssache C‑109/20 (Vorabentscheidungsverfahren Republik Polen/PL Holdings Sàrl)[6],
– unter Hinweis auf die am 24. Juni 2022 erzielte „grundsätzliche Einigung“ auf den Entwurf des modernisierten ECV,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen, das am 12. Dezember 2015 auf der 21. Tagung der Konferenz der Vertragsparteien des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen in Paris geschlossen wurde (im Folgenden „Übereinkommen von Paris“),
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Vertragsparteien am 24. Juni 2022 eine grundsätzliche Einigung über die Modernisierung des Vertrags über die Energiecharta (ECV) erzielt haben; in der Erwägung, dass der Rechtstext der endgültigen Einigung noch nicht förmlich veröffentlicht, aber im September 2022 durchgestochen wurde;
B. in der Erwägung, dass Deutschland, Frankreich, Spanien, die Niederlande, Polen, Slowenien und Luxemburg ihren Beschluss bekannt gegeben haben, von dem ECV zurückzutreten; in der Erwägung, dass Italien 2015 von dem ECV zurückgetreten ist; in der Erwägung, dass andere Mitgliedstaaten noch die Möglichkeit prüfen, von dem ECV zurückzutreten;
C. in der Erwägung, dass der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen in seinem Bericht 2022 über den Klimaschutz, der im April 2022 veröffentlicht wurde, den ECV als erhebliches Hindernis für den Klimaschutz bezeichnet hat;
D. in der Erwägung, dass sich die Union in Bezug auf den Schutz von Investitionen in fossile Brennstoffe einseitig zu einer Ausnahmeregelung verpflichtet hat; in der Erwägung, dass eine solche Ausnahmeregelung ab dem 15. August 2023 und nur für nach diesem Zeitpunkt getätigte Investitionen gelten würde, während für vor diesem Zeitpunkt getätigte Investitionen eine zehnjährige Auslaufphase gelten würde;
E. in der Erwägung, dass viele Vertragsparteien, auch industrialisierte Länder mit hohem Einkommen, offenbar nicht mit dem von der Union angestrebten Umfang der Modernisierung des ECV einverstanden sind, obwohl sie alle auch Unterzeichner des Übereinkommens von Paris sind;
F. in der Erwägung, dass die Zahl der Fälle zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten (ISDS) jedes Jahr steigt; in der Erwägung, dass der ECV das Investitionsschutzabkommen ist, zu dem es die meisten Schiedsstreitigkeiten gibt; in der Erwägung, dass derzeit über 40 EU-interne Investitionsschiedsverfahren anhängig sind; in der Erwägung, dass in vielen Fällen in jüngster Zeit regulatorische Maßnahmen im Zusammenhang mit Energie aus erneuerbaren Quellen Gegenstand von Streitigkeiten waren, wodurch sich das Risiko eines lähmenden Effekts auf die Rechtsetzung erhöht, der sich negativ auf die Energiewende auswirkt;
G. in der Erwägung, dass die weltweiten Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels einen raschen Übergang zu Energie aus erneuerbaren Quellen und rasche staatliche Maßnahmen zur Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen erfordern, weshalb Investitionen in fossile Brennstoffe vom Schutz im Rahmen des ECV ausgenommen werden müssen; in der Erwägung, dass in den Mitgliedstaaten immer noch Tausende bilateraler Investitionsabkommen gelten, die nach wie vor Investitionen in fossile Brennstoffe schützen und veraltete Bestimmungen und Mechanismen enthalten, die mit den Werten und Rechtsgrundsätzen der Union unvereinbar sind;
H. in der Erwägung, dass sich mit den verfügbaren empirischen Daten kein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen internationalen Investitionsabkommen und der Einwerbung ausländischer Direktinvestitionen belegen lässt;
I. in der Erwägung, dass es bereits seinen Standpunkt zum Ausdruck gebracht hat, dass die Union und ihre Mitgliedstaaten keine neuen Investitionsschutzabkommen unterzeichnen sollten, die einen ISDS-Mechanismus umfassen;
1. begrüßt die Bemühungen der Kommission um eine Reform des ECV;
2. begrüßt die Absicht der Union und des Vereinigten Königreichs, Investitionen in fossile Brennstoffe vom Schutz im Rahmen des ECV auszunehmen; bedauert jedoch, dass keine andere Vertragspartei eine solche Zusage gegeben hat; bedauert die weitreichenden Ausnahmen für Investitionen im Zusammenhang mit Gas, die nach Unionsrecht als erheblich schädigend gelten; bedauert, dass solchen Investitionen durch diese Ausnahmen künftig umfassender Schutz gewährt würde;
3. hält den flexiblen Ansatz des modernisierten Textes für unzureichend, um den ECV mit dem Übereinkommen von Paris in Einklang zu bringen; bedauert, dass alle Investitionen in fossile Brennstoffe auch künftig unter den ECV fallen; bedauert, dass der Geltungsbereich erweitert wurde und nun auch neue Energieträger wie Wasserstoff, wasserfreies Ammoniak, Biomasse, Biogas und synthetische Kraftstoffe sowie neue Tätigkeiten wie Technologien zur CO2-Abscheidung, -Nutzung und -Speicherung umfasst, wodurch die Gefahr besteht, dass neue Fälle von Investor-Staat-Streitigkeiten nach dem alten Stil der ISDS-Schiedsverfahren verhandelt werden;
4. betont, dass für die Union das Datum, an dem die zehnjährige Laufzeit des verbleibenden Schutzes bestehender Investitionen in fossile Brennstoffe beginnt, von der vorläufigen Anwendung des modernisierten Vertrags abhängt; betont, dass der modernisierte ECV nur dann als Grundlage für neue Ansprüche herangezogen werden kann, wenn sowohl der Heimatstaat des Investors als auch der beklagte Staat den modernisierten ECV vorläufig anwenden; bedauert zutiefst, dass durch diese Situation ein Mangel an Klarheit entsteht, da sie zu einer fragmentarischen Umsetzung und Verzögerungen führt und die Gefahr birgt, dass sich der Anwendungszeitraum des nicht reformierten ECV verlängert;
5. bedauert, dass die Bestimmungen über die nachhaltige Entwicklung und über das Übereinkommen von Paris im modernisierten ECV lediglich als Bestrebungen formuliert sind;
6. bedauert zutiefst, dass der modernisierte ECV nach wie vor Privatpersonen als Schiedsrichter vorsieht; betont, dass bedeutende Belege dafür vorliegen, dass Investitionsschiedsrichter die Absicht der Staaten, ihre politischen Ziele zu schützen, missachten, insbesondere wenn es um die allmählichen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen oder um den Umweltschutz geht; betont, dass der modernisierte ECV keinen Berufungsmechanismus vorsieht;
7. ist besorgt darüber, dass im modernisierten Text die 20-jährige Verfallsklausel im Fall eines Rücktritts von dem Vertrag unverändert bleibt, wodurch den Ländern, die Vertragspartei des ECV bleiben, auch künftig die Möglichkeit genommen wird, den Vertrag ohne Weiteres zu verlassen, falls die Schiedsrichter die Fähigkeit der Staaten zu regulatorischem Handeln weiterhin schwächen;
8. bedauert, dass im modernisierten ECV die kritische Frage der Bewertungsverfahren nicht angegangen wird, mit denen die Gewährung von Entschädigungen ermöglicht wird, die die investierten Beträge weithin übersteigen;
9. stellt fest, dass der modernisierte ECV nicht von einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedstaaten der Union im Rat unterstützt wird, und nimmt zur Kenntnis, dass die Modernisierungsbemühungen fehlgeschlagen sind; lehnt es ab, sowohl die Abstimmung über den Beschluss des Rates als auch die Energiechartakonferenz zu verschieben, da die Gefahr besteht, dass ein gefährlicher Schwebezustand entsteht; ist der Ansicht, dass weder die Union noch ihre Mitgliedstaaten Vertragspartei des derzeitigen ECV bleiben können, da er mit dem Unionsrecht unvereinbar ist;
10. begrüßt den Beschluss von acht Mitgliedstaaten, die mehr als 70 % der Unionsbevölkerung repräsentieren, von dem ECV zurückzutreten, und stellt fest, dass dieser Beschluss in den meisten Fällen auf der Grundlage des Ergebnisses des Modernisierungsprozesses gefasst wurde; fordert die Kommission nachdrücklich auf, den Rücktritt der Union von dem ECV vorzuschlagen, und fordert den Rat auf, diesen Vorschlag zu unterstützen; vertritt den Standpunkt, dass es den koordinierten Rücktritt von dem ECV unterstützt, wenn es diesbezüglich um Zustimmung ersucht wird; fordert die anderen Vertragsparteien auf, den Rücktritt von dem ECV in Erwägung zu ziehen;
11. begrüßt den Entwurf der Kommission für ein Inter-se-Abkommen, in dem klargestellt wird, dass der ECV und seine Verfallsklausel EU-intern nicht anwendbar sind und nie anwendbar waren; fordert die Mitgliedstaaten der Union auf, derlei Abkommen so bald wie möglich parallel zum Ratifizierungsprozess für den koordinierten Rücktritt der Union von dem ECV zu ratifizieren; calls on the Commission to reach out to partner countries and propose a second agreement allowing non-EU ECT contracting parties willing to withdraw to neutralise the sunset clause on a reciprocal basis;
12. fordert die Union und ihre Mitgliedstaaten auf, ein zusätzliches Inter-se-Abkommen zur Änderung des Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche und des Übereinkommens zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten zu schließen, um klarzustellen, dass die Gerichte der Union keine auf dem ECV beruhenden Schiedssprüche, die EU-interne Fälle betreffen, durchsetzen werden;
13. fordert die von dem ECV zurücktretenden Mitgliedstaaten auf, all ihre bilateralen Investitionsschutzabkommen mit anderen ECV-Parteien aufzukündigen und alle bilateralen Investitionsschutzabkommen, die ISDS enthalten, Investitionen in fossile Brennstoffe schützen oder veraltete Schutzvorgaben enthalten, zu ändern oder aufzukündigen;
14. fordert die Kommission auf, auch im Rahmen des Prozesses und der Ergebnisse der Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht ausdrücklich einen Mechanismus zu unterstützen, mit dem Staaten ihre Zustimmung zu in ihren Verträgen vorgesehenen ISDS wirksam widerrufen oder ihre Verträge aufkündigen können;
15. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Rat, der Kommission und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie dem Sekretariat des Vertrags über die Energiecharta und den Regierungen der Mitgliedsländer des Vertrags über die Energiecharta zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P9_TA(2022)0268.
- [2] Gutachten des Gerichtshofs (Plenum) vom 16. Mai 2017, ECLI:EU:C:2017:376.
- [3] Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 6. März 2018, Slowakische Republik/Achmea BV, C‑284/16, ECLI:EU:C:2018:158.
- [4] Gutachten des Gerichtshofs (Plenum) vom 30. April 2019, ECLI:EU:C:2019:341.
- [5] Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 2. September 2021, Republik Moldau/Komstroy LLC, C‑741/19, ECLI:EU:C:2021:655.
- [6] Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 26. Oktober 2021, Republik Polen/PL Holdings Sàrl, C‑109/20, ECLI:EU:C:2021:875.