ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu dem Thema „90 Jahre nach dem Holodomor: Anerkennung der Massentötung durch Hunger als Völkermord“
12.12.2022 - (2022/3001(RSP))
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Pedro Marques, Tonino Picula, Włodzimierz Cimoszewicz
im Namen der S&D-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0559/2022
B9‑0560/2022
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Thema „90 Jahre nach dem Holodomor: Anerkennung der Massentötung durch Hunger als Völkermord“
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu der Ukraine, insbesondere seine Entschließung vom 23. Oktober 2008 zu dem Gedenken an den Holodomor, die wissentlich herbeigeführte Hungersnot von 1932/1933 in der Ukraine[1],
– unter Hinweis auf die Konvention der Vereinten Nationen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords,
– unter Hinweis auf das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs,
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der Holodomor, die vom sowjetischen Regime Anfang der 30er Jahre wissentlich herbeigeführte Hungersnot, den Tod von Millionen von Menschen in der Ukraine verursacht hat, insbesondere im Winter 1932/1933, während in anderen Teilen der Sowjetunion, etwa in Kasachstan oder in den Regionen entlang der Wolga und des Dons, weitere Millionen von Menschen ums Leben kamen;
B. in der Erwägung, dass der Massenmord durch Hunger in der Ukraine sowohl als Mittel zur Bestrafung derjenigen eingesetzt wurde, die gegen die Zwangskollektivierung der Bauernhöfe und landwirtschaftlichen Flächen protestierten oder im Verdacht standen, sich dem zu widersetzen, als auch als Mittel zur Unterdrückung der ukrainischen nationalen Identität;
1. gedenkt aller Opfer des Holodomor, der zu den dunkelsten Kapiteln der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert gehört, als totalitäre Regime die schlimmsten Verbrechen begingen, die Millionen von Europäern das Leben kosteten, sie ihrer Familienangehörigen, ihrer persönlichen Sicherheit und ihres Wohlstands beraubten und ihnen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nahmen;
2. erkennt den Holodomor als Verbrechen gegen die Menschlichkeit an, das auch als Völkermord bezeichnet werden kann, da er in der Absicht begangen wurde, eine Gruppe von Menschen zu zerstören, indem sie absichtlich in Lebensbedingungen gedrängt wurden, die auf ihre physische Vernichtung abzielten;
3. bringt seinen Wunsch zum Ausdruck, dass das Gedenken an den Holodomor und ein verstärktes Bewusstsein für die totalitären Verbrechen der Vergangenheit dazu beitragen mögen, die Wiederholung ähnlicher Verbrechen in der Gegenwart oder Zukunft zu verhindern und sie entschlossen zu bekämpfen;
4. begrüßt die Bemühungen der ukrainischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die Erinnerung an den Holodomor aufrechtzuerhalten und so zur Aufarbeitung der Vergangenheit in Bevölkerung und Gesellschaft beizutragen;
5. verurteilt, dass das derzeitige russische Regime das historische Gedächtnis zu Zwecken der politischen Ideologie missbräuchlich nutzt und manipuliert, um vor allem das Überleben des Regimes zu sichern; verurteilt erneut die erzwungene Auflösung der Internationalen Gesellschaft Memorial und des Menschenrechtszentrums Memorial, die internationale Standards für die Dokumentation, Erforschung und Aufklärung von politischer Unterdrückung und totalitären Verbrechen in der Sowjetunion gesetzt haben und zu einem Vorbild für die Menschenrechtsarbeit in vielen Ländern der Welt geworden waren;
6. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten, öffentliche und private Einrichtungen, die Zivilgesellschaft und Einzelpersonen auf, alle Versuche, historische Tatsachen zu verzerren oder die öffentliche Meinung in Europa durch falsche Geschichtsdarstellungen zu manipulieren, die zur Unterstützung der Ideologie und des Überlebens krimineller Regime fabriziert und verbreitet werden, aktiv anzuprangern und zurückzuweisen;
7. weist auf die auffälligen Parallelen zwischen dem sowjetischen Regime, das den Holodomor systematisch leugnete, die ukrainische Nationalität und die Erinnerung an den Holodomor herabsetzte und die bloße Erwähnung des Holodomor untersagte, und dem derzeitigen russischen Regime hin, das bestreitet, einen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu führen, erneut versucht, die ukrainische Nationalität zu verunglimpfen, die ukrainische nationale Identität negiert und eine unabhängige Berichterstattung über den Krieg unter Strafe gestellt hat;
8. betont, dass durch den derzeitigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine deutlich wird, dass es einer gründlichen historischen Bewertung und einer transparenten öffentlichen Debatte über die Verbrechen des sowjetischen Regimes bedarf, um das öffentliche Bewusstsein zu schärfen, Widerstandskraft gegen Desinformation und verzerrte Geschichtsdarstellungen aufzubauen und die Wiederholung ähnlicher Verbrechen zu verhindern;
9. lehnt die Instrumentalisierung des historischen Gedenkens für politische Zwecke ab, da damit die Würde der Opfer von Ereignissen und Verbrechen der Vergangenheit verletzt wird;
10. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie dem Europarat und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament Ukraine zu übermitteln.
- [1] ABl. C 15E vom 21.1.2010, S. 78.