ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zum Korruptionsverdacht gegen Katar und zu der umfassenderen Notwendigkeit von Transparenz und Rechenschaftspflicht in den Organen der EU
13.12.2022 - (2022/3012(RSP))
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Manon Aubry
im Namen der Fraktion The Left
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0581/2022
B9‑0585/2022
Entschließung des Europäischen Parlaments zum Korruptionsverdacht gegen Katar und zu der umfassenderen Notwendigkeit von Transparenz und Rechenschaftspflicht in den Organen der EU
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf den Vorschlag der Konferenz der Präsidenten,
– gestützt auf Artikel 298 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, in dem Bestimmungen für eine offene, effiziente und unabhängige europäische Verwaltung festgelegt sind,
– gestützt auf Artikel 11 des Vertrags über die Europäische Union, der einen Rahmen für transparente und ethische Beziehungen zwischen den institutionellen Akteuren der EU einerseits und der Zivilgesellschaft und repräsentativen Verbänden andererseits bietet,
– unter Hinweis auf das Strafrechtsübereinkommen des Europarates über Korruption (SEV Nr. 173), das Zivilrechtsübereinkommen des Europarates über Korruption (SEV Nr. 174) und das Zusatzprotokoll des Europarates zum Strafrechtsübereinkommen über Korruption (SEV Nr. 191),
– unter Hinweis auf die Resolution (97) 24 des Europarates vom 6. November 1997 zu den 20 Grundsätzen für die Korruptionsbekämpfung,
– unter Hinweis auf die Empfehlung Nr. R(2000) 10 des Europarates vom 11. Mai 2000 über Verhaltenskodizes für öffentliche Bedienstete,
– unter Hinweis auf die Empfehlung Rec(2003) 4 des Europarates vom 8. April 2003 über gemeinsame Regeln gegen Korruption bei der Finanzierung von politischen Parteien und Wahlkampagnen,
– unter Hinweis auf die Verbundenheit der EU mit den Werten und Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit, wie sie in der Präambel des Vertrags über die Europäische Union und in dessen Artikeln 2, 6 und 21 niedergelegt sind,
– gestützt auf die Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012[1] (Haushaltsordnung), insbesondere auf Artikel 36 und Artikel 61 über die interne Kontrolle des Haushaltsvollzugs und Interessenkonflikte,
– unter Hinweis auf das Statut der Beamten und die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft, insbesondere auf die Artikel 11 bis 22c des Statuts,
– unter Hinweis auf alle Verwaltungsbeschlüsse, die das Parlament zur Umsetzung des Kodex für gute Verwaltungspraxis und des Statuts gefasst hat,
– gestützt auf den Beschluss(2002/772/EG, Euratom) des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 zur Änderung des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments, der dem Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom[2] beigefügt ist,
– gestützt auf Artikel 11 seiner Geschäftsordnung (GO) über die finanziellen Interessen der Mitglieder und das Transparenz-Register sowie deren Anlage I über den Verhaltenskodex in Bezug auf finanzielle Interessen und Interessenkonflikte,
– gestützt auf Artikel 10 seiner Geschäftsordnung über Verhaltensregeln und dessen Anlage II zum Kodex für angemessenes Verhalten für Mitglieder des Europäischen Parlaments im Rahmen ihres Mandats,
– gestützt auf die Artikel 175, 176 und 177 seiner Geschäftsordnung über die Maßnahmen bei Nichteinhaltung der Verhaltensregeln,
– unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 160/2009 des Rates vom 23. Februar 2009 zur Änderung der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften[3] sowie auf den Beschluss des Präsidiums vom 14. April 2014 über die Durchführungsbestimmungen zu Titel VII der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf die Interinstitutionelle Vereinbarung vom 20. Mai 2021 zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über ein verbindliches Transparenz-Register[4], den Verhaltenskodex in dessen Anlage I und die politische Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates der Europäischen Union und der Europäischen Kommission anlässlich der Annahme der Interinstitutionellen Vereinbarung über ein verbindliches Transparenz-Register,
– unter Hinweis auf die praktischen Empfehlungen der Europäischen Bürgerbeauftragten für EU-Beamte beim Umgang mit Interessenvertretern vom 24. Mai 2017, in denen Verhaltensregeln für öffentliche Bedienstete im Umgang mit Lobbyisten dargelegt werden,
– unter Hinweis auf den Integritätsrahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und ihre Empfehlung zu Integrität im öffentlichen Leben,
– unter Hinweis auf die Stellungnahmen, Berichte und Empfehlungen der GRECO (Gruppe der Staaten gegen Korruption), bei der die EU Beobachterstatus hat, aber kein ordentliches Mitglied ist,
– unter Hinweis auf die Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden[5],
– unter Hinweis auf das Gutachten seines Juristischen Dienstes vom 15. Dezember 2020 zu der Möglichkeit der Europäischen Union, der GRECO als Vollmitglied beizutreten,
– unter Hinweis auf den Sonderbericht 13/2019 des Europäischen Rechnungshofs vom 19. Juli 2019 mit dem Titel „Die Ethikrahmen der geprüften EU-Organe: Es besteht Verbesserungsbedarf“,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 16. September 2021 zu der Verbesserung von Transparenz und Integrität in den Organen der EU durch die Einsetzung eines unabhängigen Ethikgremiums der EU[6],
– unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zu Katar,
– unter Hinweis auf seinen Beschluss vom 27. April 2021 über den Abschluss einer interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über ein verbindliches Transparenz-Register[7],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 19. Mai 2022 zu dem Bericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit 2021[8],
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die belgische Bundesstaatsanwaltschaft eine laufende Ermittlung der Maßnahmen eines Golfstaates zur Beeinflussung der wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen des Europäischen Parlaments eingeleitet hat; in der Erwägung, dass seit dem 9. Dezember 2022 in Brüssel mehrere Festnahmen und Durchsuchungen stattgefunden haben, von denen sowohl derzeitige und ehemalige Mitglieder des Europäischen Parlaments als auch akkreditierte parlamentarische Assistenten betroffen sind; in der Erwägung, dass im Rahmen dieser Ermittlung Beweise für das mutmaßliche Funktionieren eines kriminellen Netzes gesammelt wurden, das versucht hat, die politischen Entscheidungen des Parlaments im Austausch gegen Geld zu beeinflussen;
B. in der Erwägung, dass bislang sechs Personen festgenommen wurden, von denen vier angeklagt und inhaftiert wurden, darunter die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Eva Kaili; in der Erwägung, dass die belgische Polizei im Rahmen dieser Ermittlungen am vergangenen Wochenende in Anwesenheit der Präsidentin des Parlaments das Haus des Mitglieds des Europäischen Parlaments Marc Tarabella durchsucht hat; in der Erwägung, dass einer der sechs Personen das ehemalige italienische Mitglied des Europäischen Parlaments Pier Antonio Panzeri ist, der Vorsitzender der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu den Maghreb-Ländern und der Union des Arabischen Maghreb, Mitglied der interfraktionellen Arbeitsgruppe des Parlaments „Integrität, Transparenz, Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität“ sowie Gründer und Vorsitzender der nichtstaatlichen Organisation (NRO) „Fight Impunity“ war; in der Erwägung, dass diese Entwicklungen darauf hindeuten, dass Katar seine Korruptionsziele sorgfältig ausgewählt hat;
C. in der Erwägung, dass diese Bestechungs- und Korruptionshandlungen mutmaßlich auf Geheiß von Katar im Zusammenhang mit der internationalen Kritik an den schwerwiegenden und weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen in dem Land, auch im Zusammenhang mit der Ausrichtung der FIFA-Weltmeisterschaft 2022, begangen wurden;
D. in der Erwägung, dass die von den Ausschüssen und dem Plenum des Parlaments angenommenen Beschlüsse zu Katar, einschließlich der Entschließung vom 24. November 2022 zur Menschenrechtslage im Zusammenhang mit der FIFA-Weltmeisterschaft in Katar[9], wahrscheinlich durch Korruption und unzulässige Beeinflussung geändert wurden;
E. in der Erwägung, dass der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Parlaments kürzlich für eine Befreiung von der Visumpflicht für Katar gestimmt hat; in der Erwägung, dass das Privileg der Befreiung von der Visumpflicht auf mehr als 100 weitere Länder der Welt, von denen die meisten eine weitaus bessere Menschenrechtsbilanz aufweisen als Katar, nicht ausgeweitet wurde; in der Erwägung, dass dieser Vorschlag aufgekommen ist, da die EU um einen bevorzugten Zugang zu den fossilen Brennstoffen Katars bemüht ist; in der Erwägung, dass in Artikel 1 der Verordnung (EU) 2018/1806[10] klargestellt wird, dass die Achtung der Menschenrechte als Kriterium berücksichtigt werden muss, bevor einem Drittland der visumfreie Reiseverkehr angeboten wird; in der Erwägung, dass Katar dieses Kriterium nicht erfüllt; in der Erwägung, dass der Zeitpunkt dieser Abstimmung, der mit der Weltmeisterschaft und dem weltweit auf die entsetzliche Menschenrechtslage in Katar gerichteten Fokus zusammenfällt, schwerwiegende globale Auswirkungen auf das haben wird, was von dem Ansehen der EU als Union der Rechte und Werte übrig geblieben ist; in der Erwägung, dass es aufgrund dieser jüngsten Enthüllungen unmöglich ist, dass diese Befreiung von der Visumpflicht mit der Zustimmung des Parlaments fortgesetzt wird; in der Erwägung, dass Präsidentin Roberta Metsola angekündigt hat, dass dieses Dossier an den Ausschuss zurückgesandt wird;
F. in der Erwägung, dass verstärkte Mechanismen für ethische Regeln, Überwachung und Durchsetzung dazu beitragen könnten, ähnliche Korruptionsskandale in Zukunft zu verhindern, und darüber hinaus eine entscheidende Kultur ethischen Verhaltens in den Organen der EU stärken könnten;
G. in der Erwägung, dass häufige Fälle von unkontrollierten oder nicht adressierten Drehtür-Effekten, Interessenkonflikten, mangelnder Transparenz, Missständen in der Verwaltungstätigkeit und unzulässiger Einflussnahme von außen auf die Beschlussfassung der EU dokumentiert wurden; in der Erwägung, dass viele Organe und Agenturen der EU von diesen Skandalen betroffen sind; in der Erwägung, dass diese Skandale mit Einflussnahme aus dem Ausland zu tun haben, aber sehr häufig mit der Einflussnahme von Unternehmen in Zusammenhang stehen; in der Erwägung, dass ausländische Länder häufig dieselben aggressiven Lobbypraktiken anwenden wie Unternehmen; in der Erwägung, dass in Brüssel etwa 60 000 Lobbyisten tätig sind; in der Erwägung, dass die Entscheidungsfindung in den Organen der EU erheblich von der Lobbyarbeit beeinflusst wird;
H. in der Erwägung, dass diese Skandale die demokratische Entscheidungsfindung, den Schutz des öffentlichen Interesses und der Interessen der Bürgerinnen und Bürger sowie die Integrität und Glaubwürdigkeit der Organe untergraben;
I. in der Erwägung, dass die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in ihrer Empfehlung zu Integrität im öffentlichen Leben hervorhebt, dass jeder ethische Rahmen im Zuge einer klar definierten Strategie geleitet werden sollte, in der Ziele und Prioritäten festgelegt werden, die anhand von Leistungsindikatoren zu überwachen sind;
J. in der Erwägung, dass jeder ethische Rahmen sowohl für die Bediensteten als auch für gewählte oder ernannte Amtsträger gelten und ein breites Spektrum von Anforderungen abdecken sollte, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Maßnahmen in Bezug auf Interessenkonflikte – unter anderem solcher, die die Einstellung, Beschäftigung und Beschäftigung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Drehtür-Effekte) betreffen –, Geschenke, Lobbyarbeit und Interessenvertretung, Transparenz, Meldung von Missständen und Belästigung;
K. in der Erwägung, dass die Europäische Bürgerbeauftragte im Mai 2022 eine umfassende Untersuchung zu den Drehtür-Effekten in der Kommission abgeschlossen hat, in der sie feststellte, dass von 100 untersuchten Entscheidungen nur zwei Tätigkeiten ehemaliger Beamter verboten worden waren, und zu dem Schluss kam, dass die Kommission einen robusteren Ansatz in Bezug auf die Drehtür-Effekte anwenden sollte;
L. in der Erwägung, dass im Jahresbericht 2021 des Rechnungshofs festgestellt wurde, dass nur 20 von 40 untersuchten EU-Agenturen in den vorangegangenen drei Jahren potenzielle Fälle von Drehtür-Effekten im Zusammenhang mit ihren leitenden Bediensteten geprüft hatten, dass lediglich neun EU-Agenturen spezifische Vorschriften für den Umgang mit dem Risiko von Drehtür-Effekten in Bezug auf ihre Mitglieder des Verwaltungsrats eingeführt hatten und dass nur 4 % der Abgänge von Mitgliedern des Verwaltungsrats bewertet worden waren;
M. in der Erwägung, dass die Beschlussfassungsverfahren des Rates nach wie vor äußerst undurchsichtig sind, da er nahezu keine Informationen offenlegt und nur wenige öffentliche Sitzungen abhält; in der Erwägung, dass der Rat Vertretern der Industrie, insbesondere im Hinblick auf die Fischerei- und Agrarpolitik, einen privilegierten Zugang zu seinen Sitzungen gewährt; in der Erwägung, dass der Rat es versäumt hat, strengere ethische Regeln zu einer Reihe von Themen anzunehmen, einschließlich des umstrittenen Sponsorings der turnusmäßig wechselnden Ratsvorsitze durch Unternehmen;
N. in der Erwägung, dass das Europäische Parlament von bedauerlichen ethischen Skandalen betroffen war, darunter Interessenkonflikte, Drehtür-Effekte und Korruption; in der Erwägung, dass die ethischen Regeln und die Durchsetzungsmechanismen im Parlament anhaltende Schwächen aufweisen; in der Erwägung, dass viele Mitglieder des Europäischen Parlaments es versäumen, ihre Treffen mit Vertretern von Interessengruppen gemäß dem Verhaltenskodex offenzulegen;
O. in der Erwägung, dass in Artikel 6 des Verhaltenskodex für die Mitglieder lediglich vorgeschrieben ist, dass ehemalige Mitglieder des Europäischen Parlaments, die einer Lobbytätigkeit nachgehen und repräsentative Tätigkeiten ausüben, die in Zusammenhang mit der EU stehen, das Parlament über diese Tätigkeiten informieren müssen, dass aber keine weiteren Einschränkungen bestehen und kein wirkliches Überwachungssystem vorhanden ist; in der Erwägung, dass es keine anderen spezifischen Beschränkungen gibt, wie etwa Mindest-Karenzzeiten oder eine Bewertung der Vereinbarkeit der geplanten Tätigkeit mit dem Mandat des ehemaligen Mitglieds des Europäischen Parlaments durch einen unabhängigen Ausschuss;
P. in der Erwägung, dass im Rahmen der Richtlinie (EU) 2019/1937 Hinweisgeber geschützt werden, wenn sie unter bestimmten Umständen unmittelbar und öffentlich Fehlverhalten offenlegen; in der Erwägung, dass die Offenlegung gemäß dem Statut der Beamten der Europäischen Union jedoch unter keinen Umständen zulässig ist;
Q. in der Erwägung, dass die Kanäle für die Meldung von Fehlverhalten und Korruption allesamt schwach sind, insbesondere in Anbetracht der besonderen Art der Arbeit der akkreditierten parlamentarischen Assistenten, für die keine spezifischen Schutzmaßnahmen vorgesehen sind;
R. in der Erwägung, dass die ethischen Regeln und Durchsetzungsmechanismen in den Organen der EU fragmentiert, uneinheitlich und häufig unzureichend sind, u. a. in Bezug auf Karenzzeiten, Interessenerklärungen, die Offenlegung von Sitzungen und Dokumenten und den Umgang mit Geschenken; in der Erwägung, dass es auf der Ebene der EU keine allgemeingültige Definition des Begriffs „Interessenkonflikt“ gibt und keine eindeutigen Leitlinien für seine Anwendbarkeit festgelegt wurden;
S. in der Erwägung, dass nichtstaatliche Organisationen und einige Fraktionen Maßnahmen zur Stärkung des ethischen Rahmens für die Organe der EU, insbesondere die Einrichtung eines interinstitutionellen Ethikgremiums mit starken Ermittlungs- und Durchsetzungsbefugnissen aus eigener Initiative, vorgeschlagen haben;
T. in der Erwägung, dass das Europäische Parlament seinen Standpunkt zu einem ambitionierten Ethikgremium in seiner Entschließung vom 16. September 2021 dargelegt hat; in der Erwägung, dass in dieser Entschließung festgestellt wird, „dass das Gremium im Sinne einer umfassenden Wirksamkeit die Funktionen der bestehenden für Ethik zuständigen Organe“ bei den verschiedenen Institutionen „zusammenführen sollte“, da diese derzeit durch Selbstregulierungsansätze beeinträchtigt werden; in der Erwägung, dass sich die Europäische Volkspartei bei der Abstimmung im Plenum großenteils enthalten hat;
U. in der Erwägung, dass Vizepräsidentin Věra Jourová mit ihrem Mandatsschreiben vom 1. Dezember 2019 von Kommissionspräsidentin von der Leyen den Auftrag und Anweisungen zur Arbeit an einem unabhängigen, allen EU-Organen gemeinsamen Ethikgremium erhalten hat; in der Erwägung, dass Vizepräsidentin Věra Jourová endlich den lange erwarteten Vorschlag für ein neues Ethikgremium der EU im nächsten Jahr angekündigt hat; in der Erwägung, dass der von der Vizepräsidentin für Werte und Transparenz angekündigte Beirat ohne Untersuchungs- und Sanktionsbefugnis zu schwach wäre, um den erforderlichen Normen und Anforderungen gerecht zu werden;
V. in der Erwägung, dass das Transparenz-Register ein zentraler Bestandteil des Ethikrahmens und der Transparenz der EU-Organe ist; in der Erwägung, dass es dem Transparenz-Register bis heute erheblich an Ressourcen mangelt, da nur etwa ein Dutzend Bedienstete in Vollzeitäquivalenten eine Datenbank mit 12447 erfassten Einrichtungen betreibt und überwacht;
W. in der Erwägung, dass die nichtstaatliche Organisation „Fight Impunity“, die im Mittelpunkt des anhaltenden Korruptionsskandals steht, seit Jahren in den EU-Organen aktiv, aber nicht im Transparenz-Register erfasst ist;
X. in der Erwägung, dass die Zivilgesellschaft und Sachverständige im Bereich Transparenz bedauert haben, dass das Transparenz-Register, das im vergangenen Jahr reformiert wurde, noch immer nicht verpflichtend ist;
Y. in der Erwägung, dass in einer juristischen Studie des Europäischen Parlaments betont wird, dass das verbindliche Transparenz-Register anscheinend die am wenigsten restriktive Maßnahme zur Erreichung der erklärten Ziele ist und als solche nicht zu übermäßigen neuen Anforderungen führt;
1. äußert sich zutiefst besorgt über die jüngsten Enthüllungen zum Verdacht der Bestechung von Mitgliedern, Beamten und sonstigen Bediensteten des Europäischen Parlaments sowie der Korruption vonseiten Katars im Austausch gegen Einflussnahme auf die Entscheidungen des Europäischen Parlaments, wobei es sich um den schlimmsten Skandal in der Geschichte des Organs handeln könnte; bringt seine uneingeschränkte Unterstützung für die Arbeit der Behörden, die diesen Fall untersuchen, zum Ausdruck und bietet der Staatsanwaltschaft, der Polizei und allen anderen Ermittlungsbehörden ein Höchstmaß an Zusammenarbeit an; stellt mit Besorgnis fest, dass die internen Überwachungs- und Warnmechanismen der EU-Organe bei der Aufdeckung der anhaltenden Korruption kläglich versagt haben;
2. betont, dass diese Skandale die demokratische Entscheidungsfindung, den Schutz des öffentlichen Interesses und der Interessen der Bürgerinnen und Bürger sowie die Integrität und Glaubwürdigkeit des Organs ernsthaft untergraben;
3. fordert, dass Parlamentsmitglied Eva Kaili ihr Amt als Vizepräsidentin im Einklang mit Artikel 21 der Geschäftsordnung umgehend niederlegt; fordert darüber hinaus das unverzügliche Ausscheiden des Mitglieds aus dem Europäischen Parlament; fordert, dass sie als Vizepräsidentin durch eine Person ersetzt wird, die mit der wirksamen Umsetzung der Vorschriften über Transparenz, Integrität und Korruptionsbekämpfung im Europäischen Parlament beauftragt wird; fordert ferner, dass alle Mitglieder des Europäischen Parlaments und alle Bediensteten, gegen die Ermittlungen laufen, suspendiert werden;
4. fordert die Einsetzung eines speziellen Untersuchungsausschusses zur Untersuchung der Schwachstellen in den Ethikvorschriften und Durchsetzungsmechanismen der EU-Organe, die zu diesem schockierenden Korruptionsskandal geführt haben;
5. fordert das Präsidium nachdrücklich auf, den Vertretern der Interessen Katars im Einklang mit Artikel 123 der Geschäftsordnung ihre Zugangsausweise zu entziehen;
6. bedauert zutiefst, dass es der Entschließung vom 24. November 2022 zur Menschenrechtslage im Zusammenhang mit der FIFA-Weltmeisterschaft in Katar an Entschlossenheit mangelt; ist der Ansicht, dass in diesem Fall die Korruption einiger seiner Mitglieder dazu geführt hat, dass das Europäische Parlament die Menschenrechte von Tausenden Arbeitsmigranten, die auf den Baustellen ums Leben kamen, und von Hunderttausenden Menschen, deren Grundrechte in Katar mit Füßen getreten werden, nicht verteidigt hat; ist der Ansicht, dass die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit es Fraktionen ermöglicht haben, die Interessen Katars zu verteidigen, ohne gegenüber der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen zu müssen; verurteilt die intensiven und mutmaßlich rechtswidrigen Lobbytätigkeiten Katars zur Abschwächung der Entschließung; erklärt, dass erneut eine Entschließung zu dem Thema auf die Tagesordnung für die Plenartagung des Europäischen Parlaments gesetzt werden sollte, um die Menschenrechte zu wahren, ohne der Einmischung aus dem Ausland nachzugeben;
7. fordert, dass eine umfassende Bewertung der Entscheidungsprozesse des Europäischen Parlaments in Bezug auf unethisches Verhalten von Mitgliedern, Bediensteten und Beamten eingeleitet wird, damit rasch ambitionierte Änderungen umgesetzt werden können, insbesondere in Bezug auf die Verhinderung derartiger Verhaltensweisen und in Bezug auf Sanktionen, um seine Unabhängigkeit und Redlichkeit sicherzustellen;
8. weist darauf hin, dass dieser Skandal wieder einmal das Problem der „Geldkultur“ im Europäischen Parlament veranschaulicht; betont nachdrücklich, dass die hohen Einkommen und Ausgaben der Mitglieder des Europäischen Parlaments keine Garantie gegen Korruption darstellen; ist stattdessen der Auffassung, dass sie zur einer Art Bezugsverlust führen, bei dem die Mitglieder des Europäischen Parlaments leicht jegliches Gefühl für die Realität verlieren; fordert eine umfassendere Diskussion, in die nicht nur rechtswidrige Finanzströme, sondern auch rechtmäßige Formen der Einflussnahme und mögliche Interessenkonflikte einbezogen werden;
Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments
9. ist der Auffassung, dass der Beratende Ausschuss des Parlaments zum Verhalten von Mitgliedern, der sich als unwirksam erwiesen hat, aufgelöst und durch ein neues Gremium ersetzt werden sollte, das eine unabhängige, externe Komponente umfasst;
10. fordert, dass die Arbeitsgruppe des Ausschusses für konstitutionelle Fragen an einer Reihe von Überarbeitungen der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments arbeitet, um Folgendes zu ändern:
a) Artikel 11: Finanzielle Interessen der Mitglieder und Transparenz-Register, um festzulegen, dass Mitglieder, Beamte und sonstige Bedienstete sich nur mit Interessenvertretern treffen dürfen, die ordnungsgemäß im Transparenz-Register eingetragen sind, dass alle geplanten Treffen mit Vertretern von Interessengruppen verpflichtend und nicht nur für Berichterstatter, Schattenberichterstatter und Ausschussvorsitzende online zu veröffentlichen sind und dass auch Treffen mit Vertretern von Staaten, seien es Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, veröffentlicht werden sollten;
b) Artikel 10: Verhaltensregeln und Anlage II, um strengere Bestimmungen über externe berufliche Tätigkeiten oder Aufträge während der Amtszeit eines Mitglieds aufzunehmen;
c) Artikel 123: Zugang zum Parlament, um ehemaligen Mitgliedern dieselben Vorschriften aufzuerlegen wie den in Absatz 3 aufgeführten Einrichtungen;
d) den Verhaltenskodex (Anlage I), insbesondere Artikel 5 betreffend Geschenke oder ähnliche Zuwendungen, um bezahlte Reisen von Lobbyisten und nicht nur deren Erstattung durch das Parlament eindeutig zu verbieten, sowie Artikel 6 betreffend die Tätigkeiten ehemaliger Mitglieder zur Verstärkung der Kontrollen und Sanktionen;
e) die internen Vorschriften des Europäischen Parlaments über die Meldung von Missständen, um sie mit der Richtlinie über den Schutz von Hinweisgebern in Einklang zu bringen;
11. fordert, dass die Anforderungen an Interessenerklärungen verschärft werden, um größere Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Zuverlässigkeit und Rechenschaftspflicht in Bezug auf die Interessen von Familienangehörigen und Partnern zu ermöglichen, und sich nicht auf eine Eigenerklärung beschränken;
12. fordert eine gründliche Bewertung und Verbesserung der Nachvollziehbarkeit der legislativen Tätigkeiten der Mitglieder des Europäischen Parlaments, insbesondere durch die Offenlegung des legislativen Fußabdrucks bei vorgeschlagenen Texten und Änderungsanträgen; fordert, dass die Online-Instrumente verbessert werden, damit die breite Öffentlichkeit die Änderungs- und Abstimmungsunterlagen aller Fraktionen, Delegationen und einzelnen Mitglieder einfach einsehen kann, insbesondere wenn es sich um Änderungsanträge für das Plenum und namentliche Abstimmungen handelt;
Statut der Beamten des Europäischen Parlaments
13. stellt fest, dass der Ethikrahmen im Zusammenhang mit Interessenkonflikten für EU-Bedienstete auf Eigenerklärungen beruht, die sich auf die Bewertung der Bediensteten selbst stützen, wobei nur sehr wenige Leitlinien zu den Kriterien für die Beurteilung der Erklärungen bereitgestellt werden; empfiehlt, dass diese Interessenerklärung mit den höchsten Standards für öffentliche Bedienstete in Einklang gebracht wird;
14. empfiehlt eine Überarbeitung des Statuts, insbesondere von Artikel 22 Buchstabe c, um es mit den Standards der Richtlinie über den Schutz von Hinweisgebern in Einklang zu bringen, und empfiehlt, klare Verfahren einzuführen, um interne Hinweisgeber anzuhören und zu schützen, etwa die Möglichkeit, auf eine andere Stelle versetzt zu werden;
Ethikgremium
15. fordert die Kommission nachdrücklich auf, rasch einen ambitionierten Vorschlag für ein unabhängiges Ethikgremium vorzulegen;
16. bekräftigt seinen Standpunkt, wonach das Ethikgremium im Sinne einer umfassenden Wirksamkeit die Funktionen der bestehenden für Ethik zuständigen Organe zusammenführen, mit echten Untersuchungsbefugnissen ausgestattet werden und die Möglichkeit haben sollte, Sanktionen zu empfehlen; fordert, dass das Ethikgremium mit ausreichenden personellen, finanziellen und sonstigen Ressourcen ausgestattet wird, damit es seine Aufgaben wahrnehmen kann;
17. fordert, dass das Ethikgremium die rechtliche Befugnis erhält, Bankinformationen, Steuerinformationen und sonstige Informationen anzufordern, die die Behörden der Mitgliedstaaten benötigen könnten, um mögliche Interessenkonflikte von Mitgliedern, Bediensteten und ihren Familienangehörigen wirksam zu bewerten;
Drehtüreffekte
18. fordert, dass die Kommission und das Europäische Parlament unter Berücksichtigung der Empfehlungen der Europäischen Bürgerbeauftragten jeweils wirksame Vorschriften, Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen gegen Drehtüreffekte annehmen;
Transparenz-Register
19. empfiehlt, die Interinstitutionelle Vereinbarung über das Transparenz-Register dahingehend zu ändern, dass eine obligatorische Eintragung aller auf EU-Ebene tätigen Vertreter, einschließlich Vertretern von Drittstaaten und ehemaliger Mitglieder, vorgeschrieben wird;
20. schlägt daher vor, die finanziellen und personellen Ressourcen des Registers anlässlich der Halbzeitüberprüfung des mehrjährigen Finanzrahmens zu überprüfen, damit die Datenbank der eingetragenen Einrichtungen ordnungsgemäß verwaltet und überwacht werden kann, Verstöße gegen die Vorschriften rasch untersucht werden und deren Einhaltung sichergestellt wird;
21. ist der Ansicht, dass auch der Verhaltenskodex des Registers überarbeitet werden sollte, um Geschenke oder ähnliche Zuwendungen, einschließlich bezahlter Reisen, für Mitglieder, Beamte oder Bedienstete der Organe strikt zu verbieten; weist darauf hin, dass in den verschiedenen Personalvorschriften und internen Vorschriften der Organe auch die Sanktionen verstärkt werden sollten;
Kommission
22. stellt fest, dass die Mitglieder des Rechtsausschusses im Zuge der Prüfung von potenziellen Interessenkonflikten bei den designierten Kommissionsmitgliedern im Jahr 2019 nachdrücklich auf die erheblichen Schwachstellen des derzeitigen Verfahrens hingewiesen haben; stellt außerdem fest, dass diese Mängel etwa den eingeschränkten Zugang zu Informationen, die mangelnde Zeit für die Prüfung, die fehlenden Untersuchungsbefugnisse, die mangelnde Unterstützung durch Sachverständige und die mangelnde Unparteilichkeit der Mitglieder des Rechtsausschusses umfassen, da die designierten Kommissionsmitglieder häufig ihrer eigenen politischen Bewegung angehören und oft von ihrer jeweiligen nationalen Regierung ausgewählt werden; weist nachdrücklich darauf hin, dass auch die Erklärung des designierten Präsidenten der Kommission geprüft werden sollte;
23. fordert die Kommission auf, die Mechanismen für den Zugang zu Unterlagen zu verbessern, um Verzögerungen und ungerechtfertigte Ablehnungen zu verringern; fordert die Kommission auf, die mit dem Beschluss (EU) 2021/2121 der Kommission[11] eingeführten unangemessenen Beschränkungen des Zugangs zu Dokumenten, insbesondere in Bezug auf nicht dauerhafte Dokumente und Mitteilungen, aufzuheben;
Internationale Ebene
24. bekräftigt seinen Standpunkt, dass die EU ein vollwertiges Mitglied der Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) werden sollte, wobei es sich um das umfassendste System zur Überwachung von Korruption in Europa handelt;
°
° °
25. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Parlamenten und Regierungen der Mitgliedstaaten, dem Emir und der Regierung Katars, dem Generalsekretär der FIFA sowie dem Generalsekretär und den einschlägigen Gremien der Vereinten Nationen zu übermitteln.
- [1] ABl. L 193 vom 30.7.2018, S. 1.
- [2] ABl. L 283 vom 21.10.2002, S. 1.
- [3] ABl. L 55 vom 27.2.2009, S. 1.
- [4] ABl. L 207 vom 11.6.2021, S. 1.
- [5] ABl. L 305 vom 26.11.2019, S. 17.
- [6] ABl. C 117 vom 11.3.2022, S. 159.
- [7] ABl. C 506 vom 15.12.2021, S. 127.
- [8] Angenommene Texte, P9_TA(2022)0212.
- [9] Angenommene Texte, P9_TA(2022)0427.
- [10] Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39).
- [11] Beschluss (EU) 2021/2121 der Kommission vom 6. Juli 2020 über die Schriftgutverwaltung und Archive, ABl. L 430 vom 2.12.2021, S. 30.