Entschließungsantrag - B9-0069/2023Entschließungsantrag
B9-0069/2023

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Einrichtung eines Gerichthofs für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine

16.1.2023 - (2022/3017(RSP))

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Kommission
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Pedro Marques, Tonino Picula, Juozas Olekas, Raphaël Glucksmann
im Namen der S&D-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0063/2023

Verfahren : 2022/3017(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B9-0069/2023
Eingereichte Texte :
B9-0069/2023
Aussprachen :
Angenommene Texte :

B9‑0069/2023

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Einrichtung eines Gerichthofs für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine

(2022/3017(RSP))

Das Europäische Parlament,

 unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu der Ukraine und zu Russland, insbesondere seine Entschließung vom 19. Mai 2022 zur Bekämpfung der Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen in der Ukraine[1],

 unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 15. Dezember 2022,

 unter Hinweis auf die Charta der Vereinten Nationen,

 unter Hinweis auf das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH),

 unter Hinweis auf die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 14. November 2022 mit dem Titel „Förderung von Rechtsschutz und Wiedergutmachung für die Aggression gegen die Ukraine“,

 unter Hinweis auf die Resolution 377 (V) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 3. November 1950 mit dem Titel „Vereint für den Frieden“,

 gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass gemäß der Charta der Vereinten Nationen und den Grundsätzen des Völkerrechts alle Staaten souveräne Gleichheit genießen und in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen müssen;

B. in der Erwägung, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Krieg Russlands gegen die Ukraine in ihrer Resolution vom 2. März 2022 als Aggression eingestuft hat, die einen Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen darstellt, und die Russische Föderation in ihrer Resolution vom 24. März 2022 aufgefordert hat, ihre Feindseligkeiten gegen die Ukraine unverzüglich einzustellen;

C. in der Erwägung, dass der Internationale Gerichtshof am 16. März 2022 angeordnet hat, dass die Russische Föderation ihre militärischen Operationen im Hoheitsgebiet der Ukraine unverzüglich aussetzen muss;

D. in der Erwägung, dass an den Gräueltaten der russischen Streitkräfte in Butscha, Irpin und vielen anderen ukrainischen Städten während der russischen Besetzung, über die berichtet wurde, die Brutalität des Angriffskriegs der Russischen Föderation gegen die Ukraine deutlich wird und dass dadurch die Bedeutung koordinierter internationaler Maßnahmen hervorgehoben wird, damit die Verantwortlichen für das Verbrechen der Aggression und für alle Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zur Rechenschaft gezogen werden;

E. in der Erwägung, dass nach zwei Ad-hoc-Erklärungen der Ukraine zwar Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen des Völkermords, soweit diese seit November 2013 im Hoheitsgebiet der Ukraine begangen wurden, unter die Gerichtsbarkeit des IStGH fallen, in dieser Situation aber nicht das Verbrechen der Aggression im Sinne von Artikel 8bis des Römischen Statuts, weil weder die Ukraine noch die Russische Föderation das Römische Statut und die Änderungen in Bezug auf das Verbrechen der Aggression ratifiziert haben; in der Erwägung, dass der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs seit dem 2. März 2022 eine Untersuchung der Lage in der Ukraine durchführt; in der Erwägung, dass die Einrichtung eines Sondergerichtshofs für das Verbrechen der Aggression die Gerichtsbarkeit des IStGH in Bezug auf andere Straftaten nicht berührt, sondern vielmehr ergänzt;

F. in der Erwägung, dass die Kommission am 30. November 2022 alternative Optionen vorgelegt hat, wie die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können, und zwar durch einen unabhängigen internationalen Sondergerichtshof auf der Grundlage eines multilateralen Vertrags oder durch ein Fachgericht, das in ein nationales Justizsystem mit internationalen Richtern integriert ist, wobei beide Optionen eine starke Unterstützung seitens der Vereinten Nationen erfordern würden;

G. in der Erwägung, dass der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen vom 15. Dezember 2022 weitere Anstrengungen befürwortet hat, um sicherzustellen, dass die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen in vollem Umfang zur Rechenschaft gezogen werden, und um zu gewährleisten, dass die für das Verbrechen der Aggression Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, und dass er die Kommission, den Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und den Rat ersucht hat, diese Arbeiten im Einklang mit dem EU-Recht und dem Völkerrecht voranzubringen, wobei er betont hat, dass die strafrechtliche Verfolgung des Verbrechens der Aggression die internationale Gemeinschaft als Ganzes berührt;

1. bekräftigt, dass es den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf das Allerschärfste verurteilt; bekräftigt seine unerschütterliche Unterstützung für die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen und seine Forderung, dass die Verantwortlichen für alle Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression zur Rechenschaft gezogen werden;

2. fordert Russland auf, alle militärischen Aktivitäten in der Ukraine umgehend einzustellen und sämtliche Streitkräfte und das gesamte militärische Gerät bedingungslos aus dem gesamten international anerkannten Hoheitsgebiet der Ukraine abzuziehen;

3. betont, dass Russlands Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine einen klaren und unbestrittenen Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen darstellt, der im Interesse der globalen Sicherheit und der regelbasierten internationalen Ordnung von der internationalen Gemeinschaft nicht unbeantwortet bleiben darf;

4. bringt seine uneingeschränkte Unterstützung für die laufenden Ermittlungen des Anklägers des IStGH zur Lage in der Ukraine – auch im Hinblick auf mutmaßliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – zum Ausdruck;

5. fordert die Ukraine und die Russische Föderation nachdrücklich auf, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs und seine Änderungen zu ratifizieren und förmlich Mitglieder des Internationalen Strafgerichtshofs zu werden, um die internationalen Bestrebungen zu unterstützen, die Verantwortlichen für schwere Verbrechen gegen das Völkerrecht zur Rechenschaft zu ziehen; fordert die Union auf, weitere diplomatische Anstrengungen zu unternehmen, um die Ratifizierung des Römischen Statuts und aller seiner Änderungen weltweit zu fördern;

6. bekräftigt seine Forderung nach der Einrichtung eines internationalen Sondergerichtshofs, um das Verbrechen der Aggression, das die politische und militärische Führung der Russischen Föderation gegen die Ukraine begangen hat, zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen; fordert die Kommission, den Rat und den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) auf, eine führende Rolle bei der Einrichtung des Sondergerichtshofs zu übernehmen und jede erforderliche politische, finanzielle und praktische Unterstützung für seine Einrichtung zu leisten, auch durch Einrichtung einer Interimstaatsanwaltschaft in Den Haag als ersten praktischen Schritt auf dem Weg zu internationalen Ermittlungen in Bezug auf das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine und zu künftigen Strafverfolgungsmaßnahmen;

7. fordert die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union – insbesondere die Kommission, den Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik sowie den EAD – auf, darauf hinzuwirken, dass die internationalen Partner und Organisationen – insbesondere innerhalb der Vereinten Nationen – die Schaffung eines wirksamen Rechtsmechanismus zur Bekämpfung des Verbrechens der Aggression stärker unterstützen und dass der Rechtsmechanismus von der Generalversammlung der Vereinten Nationen gebilligt wird;

8. stellt fest, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen in ihrer Resolution vom 14. November 2022 anerkannt hat, dass die Russische Föderation für alle in der Ukraine begangenen oder gegen die Ukraine gerichteten Völkerrechtsverletzungen und insbesondere auch für ihre Aggression unter Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen zur Rechenschaft gezogen werden muss;

9. fordert die Kommission, den Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und den EAD auf, gemeinsam mit den ukrainischen Staatsorganen auf die bestehende Unterstützung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen aufzubauen und weitere Möglichkeiten für eine den Sondergerichtshof betreffende Initiative der Vereinten Nationen zu eruieren;

10. betont, dass die genaue Zusammensetzung und die Arbeitsweise des Sondergerichtshofs zwar noch festzulegen sind, aber den höchsten Anforderungen in Bezug auf Transparenz und Unparteilichkeit genügen müssen; ist zudem der Ansicht, dass dem internationalen Sondergerichtshof die Zuständigkeit übertragen werden muss, nicht nur gegen die politische und militärische Führung der Russischen Föderation, sondern auch des dem Verbrechen der Aggression Vorschub leistenden Staates Belarus – von dessen Hoheitsgebiet aus und mit dessen logistischer Unterstützung die Russische Föderation ihren Angriffskrieg gegen die Ukraine führt –,  zu ermitteln.

11. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Europarat, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament der Ukraine und dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation zu übermitteln.

 

Letzte Aktualisierung: 18. Januar 2023
Rechtlicher Hinweis - Datenschutzbestimmungen