ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zum Handlungsbedarf auf EU‑Ebene bei Such- und Rettungseinsätzen im Mittelmeer
11.7.2023 - (2023/2787(RSP))
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Lukas Mandl
im Namen der PPE-Fraktion
Domènec Ruiz Devesa, Birgit Sippel, Juan Fernando López Aguilar
im Namen der S&D-Fraktion
Fabienne Keller
im Namen der Renew-Fraktion
Erik Marquardt, Gwendoline Delbos‑Corfield, Grace O’Sullivan, Tineke Strik, Alice Kuhnke, Damien Carême, Monika Vana, Jordi Solé, Damian Boeselager, Saskia Bricmont
im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Cornelia Ernst
im Namen der Fraktion The Left
B9‑0342/2023
Entschließung des Europäischen Parlaments zum Handlungsbedarf auf EU‑Ebene bei Such- und Rettungseinsätzen im Mittelmeer
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948,
– unter Hinweis auf die Genfer Konvention von 1951 und ihr Zusatzprotokoll,
– unter Hinweis auf das Internationale Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS) und das Internationale Übereinkommen von 1979 über den Such- und Rettungsdienst auf See (SAR-Übereinkommen) in der geänderten Fassung und die damit zusammenhängenden Entschließungen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO), insbesondere die Entschließung MSC.167(78) vom 20. Mai 2004 mit dem Titel „Leitlinien für die Behandlung von aus Seenot geretteten Personen“,
– unter Hinweis auf Kapitel 5 des SAR-Übereinkommens über Betriebsverfahren,
– unter Hinweis auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
– unter Hinweis auf Artikel 1, Artikel 2 Absatz 1, Artikel 3, Artikel 6, Artikel 18, Artikel 19 und Artikel 24 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden „Charta“),
– gestützt auf Artikel 67 Absatz 1 sowie Artikel 77 Absatz 1 und Artikel 77 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
– gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 656/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung von Regelungen für die Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit[1],
– unter Hinweis auf den Globalen Pakt der Vereinten Nationen vom 19. Dezember 2018 für eine sichere, geordnete und reguläre Migration,
– gestützt auf die Verordnung (EU) 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2019 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624[2],
– unter Hinweis auf die Vorschläge der Kommission vom 23. September 2020 zum neuen Migrations- und Asylpaket (COM(2020)0609),
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 1. Oktober 2020 zu den Leitlinien zur Anwendung der EU-Vorschriften betreffend die Definition und Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt[3],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 19. Mai 2021 zu dem Schutz der Menschenrechte und der externen Migrationspolitik der EU[4],
– unter Hinweis auf die Empfehlung des Menschenrechtskommissars des Europarates vom Juni 2019 mit dem Titel „Lives saved. Rights protected. Bridging the protection gap for refugees and migrants in the Mediterranean“ (Leben gerettet. Rechte geschützt. Schließung der Lücken im Schutz von Flüchtlingen und Migranten im Mittelmeer) und den Folgebericht aus dem Jahr 2021 mit dem Titel „A distress call for human rights – The widening gap in migrant protection in the Mediterranean“ (Ein Hilferuf für die Menschenrechte – Die wachsende Kluft beim Schutz von Migranten im Mittelmeer) sowie auf seinen Menschenrechtskommentar vom September 2022 mit dem Titel „For the rights of the living, for the dignity of the dead – Time to end the plight of missing migrants in Europe“ (Für die Rechte der Lebenden, für die Würde der Toten – Es ist an der Zeit, der Notlage der vermissten Migranten in Europa ein Ende zu setzen),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 8. März 2022 zum schrumpfenden Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft in der EU[5],
– unter Hinweis auf den Bericht des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom 10. Mai 2016 mit dem Titel „Nowhere but back: Assisted return, reintegration and the human rights protection of migrants in Libya“ (Rückkehr als einzige Lösung: Unterstützung bei der Rückkehr, Wiedereingliederung und beim Schutz der Menschenrechte von Migranten in Libyen),
– unter Hinweis auf den EU-Aktionsplan vom 21. November 2022 für das zentrale Mittelmeer,
– unter Hinweis auf den Aktionsplan der EU vom 6. Juni 2023 für die westlichen Mittelmeer- und Atlantikrouten,
– unter Hinweis auf den Bericht der unabhängigen Erkundungsmission der Vereinten Nationen in Libyen vom 20. März 2023,
– unter Hinweis auf den Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte vom 6. Juli 2023 mit dem Titel „Sechs Schritte zur Vermeidung künftiger Tragödien auf See“,
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass den Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge seit 2014 27 633 Personen im Mittelmeer vermisst werden (vermutlich tot sind); in der Erwägung, dass die Zahl der Todesopfer im zentralen Mittelmeer am höchsten ist und dass die IOM mehr als 17 000 Tote und Vermisste gemeldet hat; in der Erwägung, dass im Jahr 2022 2 406 Personen als tot oder vermisst gemeldet wurden und dass im Jahr 2023 bereits 1 875 Tote oder Vermisste zu verzeichnen sind; in der Erwägung, dass diese Route nur eine von vielen tödlichen Routen ist, die von Menschen genutzt werden, die nach Europa gelangen wollen;
B. in der Erwägung, dass sich unter den Menschen, die versuchen, Europa über das Mittelmeer zu erreichen, viele schutzbedürftige Personen befinden, etwa Frauen und unbegleitete Minderjährige; in der Erwägung, dass viele von ihnen Gefahr laufen, Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung zu werden und daher sofortigen Schutz benötigen;
C. in der Erwägung, dass die Rettung von Leben vor allem ein Akt der Solidarität mit gefährdeten Personen, jedoch auch eine rechtliche Verpflichtung sowohl nach Unionsrecht als auch nach dem Völkerrecht ist, da nach Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ), das von allen Mitgliedstaaten und der Union selbst ratifiziert wurde, die Staaten sicherstellen müssen‚ dass jedem Menschen in Seenot Hilfe gewährt wird;
D. in der Erwägung, dass gemäß Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe g des SRÜ in Verbindung mit Artikel 17 des SRÜ fremde Schiffe das Recht der friedlichen Durchfahrt durch das Küstenmeer von Vertragsstaaten des Übereinkommens genießen und dass die Durchfahrt eines fremden Schiffes als Beeinträchtigung des Friedens, der Ordnung oder der Sicherheit des Küstenstaats gilt, wenn das Schiff im Küstenmeer das Laden oder Entladen von Waren, Zahlungsmitteln oder Personen entgegen den Zoll- und sonstigen Finanzgesetzen, Einreise- oder Gesundheitsgesetzen und diesbezüglichen sonstigen Vorschriften des Küstenstaats vornimmt;
E. in der Erwägung, dass die Staaten gemäß dem internationalen und sonstigen Seerecht dazu verpflichtet sind, Präventiv-, Frühwarn- und Reaktionsmaßnahmen zu ergreifen, um die Gefahr von Todesfällen auf See zu verringern, wozu auch die Durchführung eines angemessenen und wirksamen Such- und Rettungsdienstes (SAR) gehört; in der Erwägung, dass die Staaten gemäß den europäischen Menschenrechtsbestimmungen verpflichtet sind, im Hinblick auf den Schutz des Lebens von Menschen, die der Zuständigkeit dieser Staaten unterliegen, positive Pflichten zu erfüllen und Präventivmaßnahmen zu ergreifen, um realen, unmittelbaren Gefahren für das Leben dieser Menschen zuvorzukommen;
F. in der Erwägung, dass gemäß den Leitlinien der IMO aus dem Jahr 2004 für die Behandlung von aus Seenot geretteten Personen die als erste alarmierte Seenotleitstelle zuständig ist, falls die für das SAR-Gebiet zuständige Seenotleitstelle (MRCC) nicht die Verantwortung für eine Operation übernimmt, auch in Fällen, in denen ein derartiges Nichteingreifen systemisch ist;
G. in der Erwägung, dass gerettete Personen gemäß internationalem Seerecht, internationalen Menschenrechtsbestimmungen und Unionsrecht an einem sicheren Ort von Bord zu lassen sind; in der Erwägung, dass im Unionsrecht „sicherer Ort“ als ein Ort definiert ist, an dem Rettungseinsätze als beendet angesehen werden und an dem die Sicherheit des Lebens der Geretteten nicht bedroht ist, an dem ihre menschlichen Grundbedürfnisse erfüllt und von dem aus Vorkehrungen für die Beförderung der Geretteten an den nächsten oder den endgültigen Bestimmungsort unter Berücksichtigung des Schutzes ihrer Grundrechte im Einklang mit dem Grundsatz der Nichtzurückweisung getroffen werden können;
H. in der Erwägung, dass alle Schiffe, die im Mittelmeer tätig sind, auch dann, wenn sie Rettungseinsätze durchführen, dazu verpflichtet sind, die einschlägigen internationalen Übereinkommen und andere geltende Vorschriften einzuhalten;
I. in der Erwägung, dass gemäß den Leitlinien der Kommission zur Umsetzung der EU-Vorschriften über die Definition und Verhütung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt „[j]eder, der an Such- und Rettungseinsätzen beteiligt ist, [...] bei einem konkreten Such- und Rettungseinsatz den Anweisungen der koordinierenden Behörde nach Maßgabe der im Bereich der Menschenrechte und des internationalen Seerechts geltenden allgemeinen Grundsätze und Regeln folgen [muss]“; in der Erwägung, dass ferner „[d]ie Kriminalisierung von NRO oder anderen nichtstaatlichen Akteuren, die Such- und Rettungseinsätze auf See durchführen und dabei die einschlägigen Vorschriften einhalten, [...] einen Verstoß gegen das Völkerrecht dar[stellt] und [...] daher nach EU-Recht nicht zulässig [ist];
J. in der Erwägung, dass es seit der Einstellung der Operation Mare Nostrum am 31. Oktober 2014 keine proaktiven, von staatlicher Seite aus betriebenen Such- und Rettungsoperationen im zentralen Mittelmeer mehr gibt;
K. in der Erwägung, dass der Rat am 20. März 2023 beschlossen hat, das Mandat der EU-Operation im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik EUNAVFOR MED IRINI, deren Aufgabe unter anderem darin besteht, den Kapazitätsaufbau und die Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine zu unterstützen, bis zum 31. März 2025 zu verlängern;
L. in der Erwägung, dass die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) im Mittelmeer gegenwärtig die Operationen Themis (zur Unterstützung Italiens im zentralen Mittelmeer), Poseidon (zur Unterstützung Griechenlands an der griechischen Seegrenze mit der Türkei) und Indalo (zur Unterstützung Spaniens im westlichen Mittelmeer) betreibt;
M. in der Erwägung, dass die libysche Küstenwache weiterhin eine große Zahl von Personen auf See abfängt oder rettet; in der Erwägung, dass die Seenotleitstelle in Libyen wiederholt ihren Verpflichtungen gemäß dem internationalen Seerecht, Rettungseinsätze zu koordinieren, nicht vollständig nachgekommen ist, dass sie oft nicht auf Notrufe reagiert, dass sie Schiffe von nichtstaatlichen Organisationen daran hindert, Menschenleben zu retten, und dass sie bei der Rettung oder der Aufnahme von Menschen auf See Menschenleben gefährdet; in der Erwägung, dass über Ressourcen von Frontex Informationen über Menschen in Seenot an die libysche Seenotleitstelle weitergeleitet werden;
N. in der Erwägung, dass Personen, die von der libyschen Küstenwache aufgegriffen werden, in Gewahrsamseinrichtungen überstellt werden, wo sie systematisch unter unmenschlichen Bedingungen willkürlich festgehalten werden und wo Folter und andere Misshandlungen, einschließlich Vergewaltigung, sowie willkürliche Tötungen und Ausbeutung weit verbreitet sind; in der Erwägung, dass der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge die Auffassung vertritt, dass Libyen nicht die Kriterien erfüllt, um im Hinblick auf die Ausschiffung nach einer Seenotrettung als sicherer Ort bezeichnet zu werden;
O. in der Erwägung, dass Schleusungskriminalität und Menschenhandel spezifische Phänomene sind, die unter spezifische Rechtsrahmen auf Ebene der Union und auf internationaler Ebene fallen; in der Erwägung, dass Menschenhandel in der Anwerbung, dem Transport oder dem Empfang einer Person durch den Einsatz von Gewalt, Betrug oder Missbrauch zum Zwecke der Ausbeutung besteht, während der Ausdruck „Schleusung von Migranten“ gemäß dem Protokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, Luft- und Seeweg (Protokoll gegen die Schleusung von Migranten) die Herbeiführung der illegalen Einreise einer Person in einen Vertragsstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzt oder in dem sie keine Berechtigung zum ständigen Aufenthalt hat, mit dem Ziel, sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen, bezeichnet;
P. in der Erwägung, dass das Parlament in seiner Entschließung vom 12. April 2016 zur Lage im Mittelmeerraum und zur Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes der EU für Migration die Ansicht vertrat, dass eine dauerhafte, robuste und wirksame Reaktion der EU bei Such- und Rettungsoperationen auf See von entscheidender Bedeutung ist, um zu verhindern, dass die Zahl der Todesopfer unter Migranten, die versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, weiter in die Höhe schnellt; in der Erwägung, dass legale und sichere Wege geschaffen werden sollten, um die irreguläre Migration zu bremsen und die Zahl der Toten im Mittelmeer zu senken;
Q. in der Erwägung, dass das Parlament in seiner Entschließung vom 18. April 2018 zum Fortschritt bei den globalen Pakten der Vereinten Nationen für eine sichere, geordnete und reguläre Migration und für Flüchtlinge größere Kapazitäten für die Suche und Rettung von Menschen in Not gefordert hat und ferner gefordert hat, dass alle Staaten größere Kapazitäten zur Verfügung stellen und dass die Unterstützung, die von privaten Akteuren und nichtstaatlichen Organisationen geleistet wird, die Rettungsaktionen auf See und an Land durchführen, anerkannt wird;
R. in der Erwägung, dass ein starker und ständiger Solidaritätsmechanismus zwischen den Mitgliedstaaten eine zentrale Priorität darstellt, um eine gerechte Aufteilung der Verantwortung auf Unionsebene nach der Ausschiffung von Migranten nach einer Such- und Rettungsaktion sicherzustellen;
1. bringt tiefe Trauer und tiefes Bedauern über den wiederholten tragischen Verlust von Menschenleben im Mittelmeer zum Ausdruck, insbesondere über den jüngsten Schiffbruch vom 14. Juni 2023, als ein Fischereifahrzeug mit schätzungsweise 750 Personen an Bord im Ionischen Meer vor der Küste von Pylos (Messenien, Griechenland) sank, woraufhin 104 Personen gerettet und 82 tot geborgen wurden und die übrigen vermisst werden und wahrscheinlich tot sind; ersucht die EU und die Mitgliedstaaten, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit die Leichen und die Vermissten identifiziert und ihre Familienangehörigen unterrichtet werden; weist erneut darauf hin, dass eine humane und würdevolle Behandlung der Überlebenden sichergestellt werden muss, und fordert die Mitgliedstaaten auf, den Mechanismus der vorübergehenden freiwilligen Umsiedlung zu nutzen, um diese Personen unter Berücksichtigung familiärer Bindungen umzusiedeln und dafür zu sorgen, dass sie angemessen betreut werden;
2. weist auf die Verpflichtung gemäß dem internationalen Seerecht hin, Menschen in Seenot zu helfen, und fordert alle Mitgliedstaaten auf individueller Ebene wie auch in ihrer Funktion als Mitgliedstaaten der EU oder im Rahmen einschlägiger internationaler Foren auf, den Normen des Völker- und des Unionsrechts in vollem Umfang nachzukommen; fordert alle Schiffe, die Such- und Rettungseinsätze durchführen, auf, die Anweisungen der zuständigen Rettungsleitstelle, die mit den einschlägigen Vorschriften des Völker- und des Unionsrechts im Einklang stehen, zu befolgen und mit den Behörden der Mitgliedstaaten und mit Frontex zusammenzuarbeiten, um für die Sicherheit der Migranten zu sorgen;
3. bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die IOM trotz der hohen Zahl an Menschen, die in den letzten Jahren gerettet wurden, seit 2014 im Mittelmeer 27 633 vermisste Personen registriert hat; fordert die Kommission auf, die derzeitigen Praktiken der Mitgliedstaaten in Bezug auf Such- und Rettungseinsätze zu bewerten und unverzüglich mit der Arbeit an einem neuen, nachhaltigeren, zuverlässigeren und dauerhaften Konzept zu beginnen, das die bestehenden Ad-hoc-Lösungen ersetzt, und materielle, finanzielle und operative Unterstützung für die Mitgliedstaaten bereitzustellen, um die Gesamtkapazität zur Rettung von Menschenleben auf See und zur Koordinierung von Such- und Rettungseinsätzen zu verbessern;
4. fordert die Mitgliedstaaten und Frontex darüber hinaus auf, vorausschauende Such- und Rettungseinsätze zu verbessern, indem genügend Schiffe und speziell für Such- und Rettungseinsätze vorgesehene Ausrüstung sowie Personal entlang der Routen bereitgestellt werden, wo sie einen wirksamen Beitrag zur Rettung von Menschenleben leisten können; fordert die Kommission auf, derartige Initiativen politisch und finanziell zu unterstützen; fordert die Mitgliedstaaten auf, von allen Schiffen, die sich zur Unterstützung von Such- und Rettungseinsätzen eignen, uneingeschränkt Gebrauch zu machen, auch von Schiffen, die von nichtstaatlichen Organisationen betrieben werden; ist der Ansicht, dass Schiffe von nichtstaatlichen Organisationen sowie Handelsschiffe kein Ersatz für die ordnungsgemäße Erfüllung der SAR-Verpflichtungen durch die Mitgliedstaaten und die Union sein dürfen; fordert die Einrichtung einer umfassenden SAR-Mission der EU, die von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und Frontex umgesetzt wird;
5. ist der Auffassung, dass alle Akteure im Mittelmeerraum proaktiv Informationen über Personen in Seenot an die für Such- und Rettungseinsätze zuständigen Behörden und gegebenenfalls an Schiffe in der Nähe weiterleiten sollten, die sich unmittelbar an Such- und Rettungseinsätzen beteiligen und die betreffenden Personen in einen sicheren Ausschiffungshafen bringen können; fordert die Mitgliedstaaten auf, den Leitlinien der Kommission für die Umsetzung der EU-Vorschriften über die Definition und Verhütung der Beihilfe zur unerlaubten Einreise gebührend Rechnung zu tragen, um allen Akteuren der Such- und Rettungsdienste zu ermöglichen, ihre Arbeit zu tun; fordert die Mitgliedstaaten ferner auf, ihre nächstgelegenen sicheren Häfen für Schiffe nichtstaatlicher Organisationen offenzuhalten und diejenigen, die Migranten in Not Hilfe leisten, nicht zu bestrafen;
6. fordert die Kommission auf, ihre Koordinierungsfunktion in der SAR-Kontaktgruppe zu stärken, indem sie regelmäßigere Sitzungen einberuft und alle an Such- und Rettungsaktionen beteiligten Akteure, einschließlich nichtstaatlicher Organisationen und Schiffseigner, einbezieht, um größere Synergien und gemeinsame Verfahren zur Gewährleistung einer schnellen Reaktion bei Zwischenfällen auf See zu entwickeln; fordert die Kommission auf, dem Parlament regelmäßig über die Tätigkeiten der SAR-Kontaktgruppe Bericht zu erstatten;
7. fordert Frontex auf, deutlich mehr Informationen über die operative Tätigkeit der Agentur im Zusammenhang mit Such- und Rettungseinsätzen bereitzustellen und genaue, umfassende Informationen über die Tätigkeit der Agentur offenzulegen; erkennt dabei jedoch die rechtliche Verpflichtung der Agentur an, keine operativen Informationen preiszugeben, „deren Veröffentlichung die Erreichung von Operationszielen gefährden würde“; fordert Frontex auf, seinen spezifischen Aufgaben im Rahmen der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache nachzukommen, einschließlich der Verpflichtung, die Mitglieder des Parlaments, denen gegenüber sie rechenschaftspflichtig ist, regelmäßig mit ausführlichen Informationen zu versorgen; hebt insbesondere hervor, dass es im Anschluss an Einsätze ausführlicherer Informationen bedarf;
8. fordert die Kommission auf, zu prüfen, ob die Maßnahmen, die einige Mitgliedstaaten im Einklang mit ihrem nationalen Recht ergreifen, um Rettungsschiffe daran zu hindern, ohne vorherige Genehmigung in ihre Hoheitsgewässer einzufahren, mit dem Unionsrecht und dem Völkerrecht sowie mit Artikel 18 der Charta der Grundrechte, ausgelegt im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Konvention, im Einklang stehen, und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, wenn die Maßnahmen der Mitgliedstaaten nach ihrer Einschätzung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind;
9. bekräftigt, dass die EU-Mitgliedstaaten für eine rasche und unabhängige Untersuchung aller Schiffsunfälle sorgen und bei diesen Untersuchungen das Fachwissen spezialisierter Menschenrechtsgremien in Anspruch nehmen sollten; unterstreicht, dass die EU Wege finden sollte, um die in den EU-Vorschriften verankerten Grundsätze der Transparenz und Rechenschaftspflicht bei der Untersuchung von Schiffsunglücken anzuwenden;
10. fordert die Kommission auf, umfassende Informationen und Daten zum Umfang der Unterstützung auszutauschen, die über Finanzmittel der EU und der Mitgliedstaaten den Grenz- und Küstenwachen in Drittländern, darunter auch Libyen, die Türkei, Ägypten, Tunesien und Marokko, nicht nur über Direktzahlungen, sondern auch in Form von materieller und technischer Hilfe sowie als Hilfe bei der Ausbildung, auch als Teil der Tätigkeiten der Agenturen der EU, bereitgestellt wird; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Vorwürfe zu prüfen, wonach die libysche Küstenwache schwerwiegende Grundrechtsverletzungen begangen haben soll, und die Zusammenarbeit im Falle schwerwiegender Grundrechtsverletzungen gegenüber auf See aufgegriffenen Personen einzustellen;
11. fordert die Kommission, die Mitgliedstaaten und Frontex auf, dafür zu sorgen, dass die Ausschiffung nur an einem sicheren Ort im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen des Völkerrechts und des Unionsrechts erfolgt, und sicherzustellen, dass ein solcher Hafen der nächstgelegene sichere Hafen ist, der für die Ausschiffung zur Verfügung steht; erinnert alle Akteure daran, dass sie es unterlassen müssen, den Schiffskapitänen Anweisungen zu erteilen, die direkt oder indirekt zu einer unnötigen Verzögerung der sicheren Ausschiffung geretteter Personen oder zur Ausschiffung der geretteten Personen an einem unsicheren Ort führen können;
12. bekräftigt, dass sichere und legale Wege der beste Weg sind, um den Verlust von Menschenleben zu verhindern, und fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, die Neuansiedlungsmaßnahmen zu intensivieren und erforderlichenfalls humanitäre Korridore in die Europäische Union einzurichten;
13 weist darauf hin, dass die integrierte europäische Grenzverwaltung in gemeinsamer Verantwortung von Frontex und der für die Grenzverwaltung zuständigen nationalen Behörden, einschließlich der nationalen Küstenwache, soweit letztere mit Operationen zur Überwachung der Seegrenzen und anderen Aufgaben der Grenzkontrolle betraut ist, umgesetzt werden sollte;
14. verurteilt aufs Schärfste Schleuser und Menschenhändler, die schutzbedürftige Personen ausbeuten und auf See Menschenleben gefährden, und fordert verstärkte Anstrengungen zur Zerschlagung ihrer kriminellen Netze, zur strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen und zur Unterbindung ihrer illegalen Aktivitäten;
15. weist darauf hin, dass die Menschen in Drittländern über die Medien und von Bildungseinrichtungen frühzeitig darüber informiert werden müssen, dass die Route über das Mittelmeer tödlich und gefährlich ist; fordert zu diesem Zweck eine Zusammenarbeit mit diesen Drittländern;
16. weist darauf hin, dass das Parlament zuvor die Auffassung vertreten, dass eine dauerhafte, robuste und wirksame Reaktion der EU bei Such- und Rettungsoperationen auf See von entscheidender Bedeutung ist, um zu verhindern, dass die Zahl der Todesopfer unter Migranten, die versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, weiter in die Höhe schnellt; ist der Ansicht, dass die ordnungsgemäße Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf Such- und Rettungseinsätze einen vorausschauenderen und besser koordinierten Ansatz der Union und ihrer Mitgliedstaaten bei Such- und Rettungseinsätzen erfordert; ist nach wie vor davon überzeugt, dass Frontex – in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten – eine zentrale Rolle bei einer proaktiveren Reaktion der Union im Hinblick auf Such- und Rettungseinsätze spielen sollte;
17. ist der Ansicht, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten im Einklang mit den Empfehlungen der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte in einem ersten Schritt vereinbaren sollten, SAR-Protokolle auszutauschen und bewährte Verfahren zu entwickeln, damit die Mitgliedstaaten ihre SAR-Protokolle anpassen können; ist ferner der Ansicht, dass die Kommission auch in Erwägung ziehen sollte, die EU-Mittel für das Management der Seegrenzen an die Verwendung von Protokollen zu knüpfen, mit denen sichergestellt wird, dass Menschen, die auf See in Gefahr sind, rechtzeitig Hilfe erhalten;
18. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Kommission, dem Rat, den Mitgliedstaaten und ihren nationalen Parlamenten, Frontex, der Asylagentur der Europäischen Union, Europol, Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, der Internationalen Organisation für Migration und den nichtstaatlichen Organisationen, die Such- und Rettungsoperationen durchführen, zu übermitteln.