ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu dem Thema „30 Jahre Kopenhagener Kriterien – zusätzlicher Impuls für die EU-Erweiterungspolitik“
8.12.2023 - (2023/2987(RSP))
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Dacian Cioloş, Petras Auštrevičius, Nicola Beer, Bernard Guetta, Vlad Gheorghe, Nathalie Loiseau, Karen Melchior, Javier Nart, Dragoş Pîslaru, María Soraya Rodríguez Ramos, Ramona Strugariu, Dragoş Tudorache, Hilde Vautmans
im Namen der Renew-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0500/2023
B9‑0500/2023
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Thema „30 Jahre Kopenhagener Kriterien – zusätzlicher Impuls für die EU-Erweiterungspolitik“
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur EU-Erweiterung, zum westlichen Balkan und zu Osteuropa,
– unter Hinweis auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Artikel 2, Artikel 4 Absatz 3, Artikel 7 und Artikel 49, und auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf die Artikel über die Achtung, den Schutz und die Förderung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in der Union,
– unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Ratsvorsitzes des Europäischen Rates von Kopenhagen vom 21. und 22. Juni 1993 („Kopenhagener Kriterien“),
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates (Allgemeine Angelegenheiten) vom 29. und 30. April 1997 zur Anwendung der Konditionalität mit Blick auf die Ausarbeitung einer kohärenten EU-Strategie für die Beziehungen zu den Ländern im westlichen Balkan,
– unter Hinweis auf die am 21. Juni 2003 auf dem Gipfeltreffen EU–Westbalkan von Thessaloniki angenommene Erklärung zu den Aussichten der Länder des westlichen Balkans auf einen Beitritt zur EU,
– unter Hinweis auf seine Empfehlung vom 23. November 2022 an den Rat, die Kommission und den Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zu der neuen Strategie der EU für die Erweiterung[1],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 22. November 2023 zu den Vorschlägen des Europäischen Parlaments zur Änderung der Verträge[2],
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 23. und 24. Juni 2022 sowie vom 29. und 30. Juni 2023,
– unter Hinweis auf die Globale Strategie der EU von 2016, der zufolge eine glaubwürdige Erweiterungspolitik eine strategische Investition in die Sicherheit und den Wohlstand Europas darstellt und bereits in hohem Maße zum Frieden in ehemaligen Kriegsgebieten beigetragen hat,
– unter Hinweis auf die Grundprinzipien der Europäischen Union, einschließlich des Eintretens für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte,
– unter Hinweis auf den Antrag der Ukraine vom 28. Februar 2022 auf Mitgliedschaft in der EU und auf die anschließende Zuerkennung des Status eines Bewerberlandes durch den Europäischen Rat am 23. Juni 2022,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 8. November 2023 mit dem Titel „Mitteilung 2023 über die Erweiterungspolitik der EU“ (COM(2023)0690),
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Erweiterung eine der erfolgreichsten politischen Maßnahmen der Union sowie eine strategische, zukunftsorientierte geopolitische Investition in Frieden, Sicherheit, Stabilität, Zusammenarbeit und Wohlstand auf dem europäischen Kontinent ist;
B. in der Erwägung, dass die damaligen zwölf Staats- und Regierungschefs der EU vor mehr als 30 Jahren, am 21. und 22. Juni 1993, in Kopenhagen zusammengekommen sind und eine Reihe von Kriterien für die Mitgliedschaft in der EU angenommen haben, unter anderem in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Marktwirtschaft und die Fähigkeit, den Besitzstand der EU wirksam umzusetzen;
C. in der Erwägung, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte grundlegende Werte der Union sowie Teil der Kopenhagener Kriterien sind, zu deren uneingeschränkter Wahrung sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet haben; in der Erwägung, dass mit dem EU-Mechanismus zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ein wirksamer und kohärenter Schutz der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden soll;
D. in der Erwägung, dass die Erweiterung ein für alle Seiten vorteilhafter Prozess ist, durch den umfassende Reformen und der demokratische Wandel in Bewerberländern und möglichen Bewerberländern wirksam gefördert werden; in der Erwägung, dass frühere Erweiterungsrunden den Binnenmarkt erfolgreich gestärkt, das Wirtschaftswachstum gefördert und den globalen Einfluss der EU vergrößert haben;
E. in der Erwägung, dass die EU wichtige Lehren aus früheren Erweiterungen ziehen muss, die insbesondere zeigen, dass eine verstärkte Konditionalität, eine vollständige Umsetzung von Reformen, wirksame Überwachungsmechanismen und eine vollständige Angleichung der Bewerberländer und potenziellen Bewerberländer an die außen- und sicherheitspolitischen Ziele und Maßnahmen der EU notwendig sind;
F. in der Erwägung, dass die Erweiterung und Vertiefung der EU parallele Prozesse sind und dass diese Hand in Hand gehen müssen; in der Erwägung, dass eine Reform der Governance-Strukturen der EU, einschließlich der Straffung der Beschlussfassungsverfahren, bereits bei der derzeitigen Zusammensetzung der EU erforderlich und eine notwendige Voraussetzung für das ordnungsgemäße und effiziente Funktionieren einer erweiterten Europäischen Union ist; in der Erwägung, dass eine reformierte und besser funktionierende EU sowohl im Interesse der derzeitigen als auch der künftigen Mitgliedstaaten liegt;
G. in der Erwägung, dass der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine die geopolitische Landschaft erheblich verändert und der Erweiterung der Europäischen Union eine neue geostrategische Bedeutung verliehen hat, wodurch die Bedeutung und Dringlichkeit der Erweiterungspolitik der EU als strategisches Instrument zum Schutz und zur Förderung von Frieden, Sicherheit, Stabilität, Zusammenarbeit und demokratischen Werten auf dem europäischen Kontinent weiter verstärkt wurde;
H. in der Erwägung, dass die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der Erweiterungspolitik einerseits vom wirksamen politischen Willen und von den eingegangenen Verpflichtungen der Bewerberländer abhängen, andererseits aber auch von der Fähigkeit der EU, einen gerechten, strengen und transparenten Beitrittsprozess sicherzustellen und gleichzeitig den einzigartigen Umständen und individuellen Fortschritten jedes Bewerberlandes Rechnung zu tragen; in der Erwägung, dass dabei ein Schwerpunkt auf die grundlegenden Fragen – Rechtsstaatlichkeit, demokratische Standards, Grundrechte und -freiheiten und Wirtschaftsreformen – sowie auf die Angleichung der außen- und sicherheitspolitischen Ausrichtung durch die schrittweise Einbeziehung der Bewerberländer in verschiedene Bereiche der EU-Politik gelegt werden sollte, um die Reformdynamik aufrechtzuerhalten und es den Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, die Vorteile der Erweiterung frühzeitig zu erkennen; in der Erwägung, dass bei fehlenden Fortschritten die schrittweise Einbeziehung in verschiedene Bereiche rückgängig gemacht werden sollte, um die Glaubwürdigkeit des Prozesses zu stärken;
I. in der Erwägung, dass bei den Beitrittsverhandlungen die laufenden Überlegungen über die Zukunft der EU-Politik berücksichtigt werden sollten, damit die von den Bewerberländern durchgeführten Reformen kohärent sind und ihnen dabei helfen, sich entsprechend der langfristigen Perspektive der EU-Politik vorzubereiten;
J. in der Erwägung, dass eine wirksame und dauerhafte Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern sowohl in den EU-Mitgliedstaaten als auch in den Bewerberländern entscheidend ist, um die öffentliche Unterstützung für den Erweiterungsprozess aufrechtzuerhalten;
K. in der Erwägung, dass die Fähigkeit der EU, Herausforderungen wie Klimawandel, Cybersicherheitsrisiken und Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit zu bewältigen, durch die Einbeziehung der Bewerberländer in den europäischen politischen Rahmen gestärkt würde;
1. bekennt sich entschieden zur Erweiterungspolitik als Schlüsselinstrument zur Förderung von Frieden, Sicherheit, Stabilität, Zusammenarbeit und gemeinsamen Werten in Europa sowie zu den Kopenhagener Kriterien, die die wichtigsten Kriterien für die Mitgliedschaft in der EU darstellen;
2. bekräftigt sein uneingeschränktes Eintreten für die künftige Mitgliedschaft der Bewerberländer in der EU; ist der Ansicht, dass eine Erweiterung der Union eine geostrategische Investition in ein geeintes und starkes Europa darstellen würde;
3. begrüßt das Erweiterungspaket 2023 und die positive Empfehlung der Kommission, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und der Republik Moldau aufzunehmen; fordert den Europäischen Rat auf, in diesem Sinne zu handeln und auf seinem Treffen im Dezember 2023 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit den beiden Ländern zu beschließen; begrüßt die Bemühungen der Behörden der Bewerberländer, ihre Reformagenda voranzubringen, und legt ihnen nahe, ihre Anstrengungen zu verstärken, um im Einklang mit den Empfehlungen der Kommission Fortschritte auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft zu erzielen;
4. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken, einerseits durch eine Reform der Beschlussfassung, unter anderem durch die Einführung einer Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit, andererseits durch die Sicherstellung des wirksamen Funktionierens einer erweiterten Union als Ganzes parallel zu den Beitrittsverhandlungen mit den Bewerberländern, damit die EU darauf vorbereitet ist, innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens neue Mitglieder aufzunehmen; fordert einen umfassenden und inklusiven Dialog zwischen den EU-Mitgliedstaaten, um die Meinungsverschiedenheiten zwischen jenen Staaten beizulegen, die sich entweder für eine Erweiterung ausgesprochen haben oder diesbezüglich noch zögern, und so einen Konsens zu fördern, bei dem anerkannt wird, dass die Erweiterung mit einer Vertragsreform einhergehen muss;
5. in der Erwägung, dass der Beitritt zur EU stets auf einem leistungsabhängigen Verfahren beruhen muss, in dessen Rahmen jedes Bewerberland anhand seiner eigenen Verdienste bei der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, insbesondere der Kriterien der Sicherstellung der uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, bewertet wird; betont die absolute Priorität der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in allen Bewerberländern und möglichen Bewerberländern, die nach wie vor eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der EU ist und durch die sichergestellt werden soll, dass eine Erweiterung der EU die Europäische Union und ihren Binnenmarkt stärkt und nicht schwächt;
6. fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass der Beitrittsprozess wirksam, gerecht und transparent bleibt, auch im Rahmen der Bewertung der Fortschritte der Bewerberländer bei der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien;
7. fordert die Kommission erneut auf, die Beitrittsländer im Rahmen des EU-Rechtsstaatsmechanismus förmlich zu bewerten, um ein objektives und klares Bild vom aktuellen Stand zu erhalten und ein anhaltendes Ausbleiben von Fortschritten, schwerwiegende Mängel und Rückschritte zu verhindern; fordert die Kommission zudem erneut auf, eine unmittelbare Verknüpfung zwischen, unter anderem, den jährlichen Berichten über die Rechtsstaatlichkeit und dem Rechtsstaatsmechanismus herzustellen;
8. ist der festen Überzeugung, dass es für die Bewerberländer und möglichen Bewerberländer von grundlegender Bedeutung ist, sich an die Ziele und Maßnahmen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU anzugleichen; fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Integration derjenigen Länder zu beschleunigen, die sich strategisch ausrichten und sich entschlossen für EU-bezogene Reformen, demokratische Konsolidierung, Grundwerte und eine Abstimmung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik einsetzen;
9. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, sich aktiv für die Konfliktlösung und die Förderung gutnachbarschaftlicher Beziehungen im Westbalkan und in der Region der Östlichen Partnerschaft einzusetzen und weiterhin eine proaktive Rolle bei der Lösung offener bilateraler Probleme und der Förderung der regionalen Zusammenarbeit zwischen den Bewerberländern zu spielen;
10. bekräftigt seine Forderung nach einer innovativen, komplementären und flexiblen Interaktion im Zuge der Umsetzung laufender Abkommen wie der Assoziierungsabkommen und des Prozesses der Beitrittsverhandlungen, die es den Bewerberländern ermöglicht, sich auf der Grundlage eines Aktionsplans mit prioritären Maßnahmen und einschlägiger bereichsspezifischer Programme schrittweise in den EU-Binnenmarkt zu integrieren, und durch die die Länder Zugang zu einschlägigen EU-Mitteln erhalten, damit die Bürgerinnen und Bürger der Bewerberländer die Vorteile des Beitritts schon während des Prozesses und nicht erst nach dessen Abschluss nutzen können; ist der Ansicht, dass dieser schrittweise Zugang zu EU-Mitteln und -Programmen rückgängig machbar sein muss, wenn ein Bewerberland seinen Verpflichtungen nicht nachkommt;
11. fordert die Kommission auf, die Beitrittsverhandlungen anzupassen, um den laufenden Überlegungen und den langfristigen Perspektiven einer reformierten EU-Politik Rechnung zu tragen;
12. fordert die Kommission auf, innovative Mechanismen für die Zusammenarbeit mit Bewerberländern zu prüfen, einschließlich gemeinsamer Investitionsinitiativen, Forschungszusammenarbeit und Austausch im Bildungsbereich, um gemeinsame Herausforderungen anzugehen;
13. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, das Engagement in der Öffentlichkeit erheblich zu verstärken und die strategischen Kommunikationsmaßnahmen zu verbessern, um die Bürgerinnen und Bürger sowohl in den EU-Mitgliedstaaten als auch in den Bewerberländern über die Vorteile und Herausforderungen der Erweiterungspolitik zu informieren und sie einzubeziehen; fordert die Behörden der Beitrittsländer auf, in vollem Umfang zu diesen Bemühungen beizutragen;
14. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Medienkompetenz und die Unabhängigkeit der Medien sowie die Zivilgesellschaft in Bewerberländern und möglichen Bewerberländern weiterhin zu unterstützen und ihnen bei der Bekämpfung von Informationsmanipulation und böswilliger Einflussnahme aus dem Ausland zu helfen, um die demokratischen Institutionen und Werte zu stärken;
15. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie den Regierungen und Parlamenten der Beitrittsländer zu übermitteln.
- [1] ABl. C 167 vom 11.5.2023, S. 105.
- [2] Angenommene Texte, P9_TA(2023)0427.