Die Präsidentin. ‐ Nach der Tagesordnung folgt der Bericht (A4‐0205/98) von Herrn De Clercq im Namen des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte über den zweiten Bericht der Kommission (KOM(97)0230 – C4‐0291/97) über die Unionsbürgerschaft.
De Clercq (ELDR), Berichterstatter. – (NL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie weit sind wir mit der Unionsbürgerschaft? Das ist die Frage, die uns in diesem Bericht beschäftigt. Im Vertrag von Maastricht wurde in Artikel 8 eine Reihe von Rechten verankert, auf die man als Bürger Europas Anspruch geltend machen kann. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Im Vertrag von Amsterdam wird zum Glück spezifiziert, daß die Unionsbürgerschaft die nationale Staatsbürgerschaft ergänzt.
Bei der Umsetzung der mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte ist sicher bereits einiges realisiert worden, wenn auch noch Verbesserungen möglich sind. Ich möchte Ihnen einige Kernpunkte vorlegen.
Was das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt in der ganzen Europäischen Union betrifft, so ist dies sicher das Recht, das für die Bürger am greifbarsten ist. Es ist daher schade, daß die Bürger noch immer auf so viele Schwierigkeiten stoßen. Die Hauptursache für diese Schwierigkeiten liegt darin, daß dieses Recht je nach Personengruppe durch verschiedene Bestimmungen geregelt wird. Die Kommission wird daher aufgefordert, alle bestehenden Legislativinstrumente zu einem schnell und allgemein einsetzbaren Instrument umzuarbeiten.
Freizügigkeit und freien Aufenthalt in der Union wird es erst geben, wenn auch die letzten Hindernisse beseitigt werden. Dazu gehört unter anderem die Abschaffung aller Grenzkontrollen und die völlige Integration des Schengen‐Besitzstands, die gegenseitige Abstimmung der Bildungssysteme im Hinblick auf die Mobilität der Arbeitnehmer mit schulpflichtigen Kindern, eine vereinfachte Anerkennung aller Diplome und beruflichen Befähigungsnachweise, besonders für Jugendliche, das Ermitteln unzulässiger Verwaltungsverfahren, die von den nationalen Behörden angewendet werden, um das Recht auf politische Betätigung zu erschweren, sowie der Schutz der ergänzenden Rentenansprüche. Es gibt also noch allerhand zu tun. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die direkte Anwendbarkeit von Artikel 8. Dies würde beinhalten, daß jeder Bürger das Recht auf Freizügigkeit und auf freien Aufenthalt an jedem nationalen Gericht in der Union einklagen kann.
Bezüglich des aktiven und passiven Wahlrechts bei Kommunalwahlen kann ich mich kurz fassen. Das bedeutet, daß das kommunale Wahlrecht für alle EU‐Bürger von jedem Mitgliedstaat eingeführt werden muß, also auch von Belgien. Frankreich hat es inzwischen getan. Was das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament angeht, so muß die Umsetzung der Richtlinie durch alle Mitgliedstaaten einfacher und einheitlicher sein. EU‐Bürger sind auch oft nicht darüber informiert, wie sie dieses Recht in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, konkret ausüben sollen. Es sind daher bessere Informationen erforderlich.
Der konsularische und diplomatische Schutz steckt noch in den Kinderschuhen. Es muß daher dringend eine gemeinsame Mindestdefinition dieses Schutzes ausgearbeitet werden, damit die europäischen Bürger begreifen, daß ihnen dies auch außerhalb der Union einen Vorteil bringt.
Was das Petitionsrecht und das Recht auf Anrufung des Europäischen Bürgerbeauftragten betrifft, geht aus dem ersten Jahresbericht unseres Europäischen Bürgerbeauftragten hervor, wie nützlich und notwendig diese Rechte sind, auch wenn ihre genaue Tragweite noch zu wenig bekannt ist. Auch hier ist umfassendere Information geboten.
Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, daß im Vertrag von Amsterdam noch etwas hinzugefügt wurde, nämlich das Recht, sich in einer der offiziellen Sprachen der Union an jede europäische Institution zu wenden, und das Recht, in dieser Sprache eine Antwort zu erhalten. Dieses Recht wurde jedoch noch nicht umgesetzt und kann daher heute auch nicht beurteilt werden.
Mit der Einführung der Unionsbürgerschaft wird betont, daß die europäische Integration auch ein politisches Projekt ist. Die damit verbundenen Rechte müssen einen unentbehrlichen Beitrag zu einer größeren europäischen Bewußtwerdung liefern, so wie auch die Pläne zur Beschäftigung und jüngst der Euro Europa zweifellos dem Bürger nähergebracht haben.
Es ist unser Auftrag, dies aufrechtzuerhalten und den Bürgern zu zeigen, daß Europa einen Mehrwert bietet, für sie da ist. Das geschieht nicht nur durch die vertragsrechtliche Festlegung einiger Bürgerrechte. Genauso wichtig ist es, daß diese Rechte anerkannt werden, daß sie genügend Inhalt haben, und mehr noch, daß ihre praktische Umsetzung von grundlegender Bedeutung ist.
Freizügigkeit, Aufenthaltsrecht, Wahlrecht, Petitionsrecht, Recht auf Anrufung des Europäischen Bürgerbeauftragten, all diese Rechte sind natürlich nicht nur der Europäischen Union eigen. Sie sind jedem demokratischen Rechtsstaat eigen, der etwas auf sich hält. So wichtig diese Rechte auch sind, sie werden daher nicht ausreichen, den Bürger mehr an Europa zu beteiligen. Mehr Aufmerksamkeit für europäische Symbole oder für unsere gemeinsame Geschichte können uns sicher helfen, aber wir müssen dringend den Glauben der Bürger an Europa wiederherstellen. Dafür muß sich die Mentalität bei den Bürgern selbst ändern, aber vor allem bei den europäischen Entscheidungsträgern, der Verwaltung, den Medien.
Das Europa der Bürger beginnt bereits bei denen, die mit der europäischen Sache Tag für Tag zu tun haben. Sie müssen beweisen, daß sie solidarisch mit Europa sind. Hier muß das Europäische Parlament eine wichtige Rolle spielen. Das Parlament ist einer der großen Spielmacher, und wir bestimmen die Strategie mit. Als europäische Volksvertretung müssen wir dafür sorgen, daß der Bürger so viel wie möglich in dieses Spiel mit einbezogen wird, daß das Spiel attraktiv ist und vor allem, daß wir selbst auch strikt die Spielregeln einhalten. Kurz gesagt: Wir müssen in Europa mit gutem Beispiel vorangehen. Gute Beispiele müssen immer von oben kommen.
Ullmann (V), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Petitionsausschusses. – Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Jeder, der einmal im Petitionsausschuß des Europäischen Parlaments gearbeitet hat, weiß, welches Ausmaß an Vertrauen in die Organe der Union die Petitionen der Unionsbürger ausdrücken. Darum ist es die Unionsbürgerschaft, die gestärkt, entwickelt und verselbständigt werden muß, wenn wir bestehende Demokratiedefizite in der Union abbauen wollen. Der Bericht der Kommission war eine gute Grundlage für die Stellungnahme des Parlaments, weil er offenkundige Mängel und Schwächen der bestehenden Rechtslage und Praxis offen angesprochen hat. Einzelheiten brauche ich nicht zu wiederholen. Darum will ich die Stellen bezeichnen, wo über die Feststellungen der Kommission hinausgegangen werden muß.
Wir müssen die begrenzte und sektoriell eingeschränkte Anwendbarkeit des Freizügigkeitsartikels 8a überwinden. Wenigstens die vom Berichterstatter geforderte Einklagbarkeit der Freizügigkeit schon vor nationalen Gerichten sollte ermöglicht werden. Am wirksamsten könnte das natürlich geschehen, wenn in den EU‐Vertrag eine Grundrechtscharta aufgenommen würde, die den Unionsbürger als Träger der in ihr enthaltenen Rechte definierte. Auch der Zugang zur Unionsbürgerschaft sollte nicht nur an der nationalen Staatsbürgerschaft hängen, sondern auch Drittstaatlern nach fünfjähriger Residenz in der Union eröffnet werden. Äußerst dringlich aber ist es im Blick auf das Wahljahr 1999, die in einzelnen Mitgliedsländern bestehenden und meist nur administrativen Hindernisse für die Ausübung des Unionswahlrechts zu beseitigen.
Wir freuen uns, daß die französische Nationalversammlung gerade ein wichtiges Hindernis aus dem Wege geräumt hat. Gerade hier sollten die Unionsbürger spüren, daß über ihre Rechte nicht nur gesprochen, sondern auch etwas für sie getan wird. Dank allen, die daran beteiligt waren, der Kommission, und vor allem dem Herrn Berichterstatter, der als ein wirklicher Vorreiter tätig gewesen ist.
Gebhardt (PSE). – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Berichterstatter ist zum Ergebnis seiner engagierten und gründlichen Arbeit zu gratulieren. Ich gratuliere ohne jeden Vorbehalt, aber ich muß gestehen, daß ich den Kollegen De Clercq zugleich etwas beneide. Ich beneide ihn um den günstigen Zeitpunkt, an dem er seinen wichtigen Bericht zur Unionsbürgerschaft vorlegen kann. Günstiger geht es nicht mehr! Mit dem Euro haben wir den letzten Grundstein für die Wirtschafts‐ und Währungsunion gelegt. Jetzt haben wir den Blick auf die Bürgerinnen und Bürger frei, den Blick frei für ihre Wünsche und Träume. Nichts hindert uns mehr, die politische Union Europas endlich mit aller Kraft voranzutreiben. Der Bericht De Clercq weist in die richtige Richtung. Deshalb wird ihm meine Fraktion zustimmen.
Wir haben ein paar Änderungsanträge eingebracht. Diese Anträge widersprechen dem Bericht nicht. Sie wollen ihn lediglich an der einen oder anderen Stelle ergänzen und noch genauer auf den Punkt bringen. Ich hoffe, der Berichterstatter sieht das auch so, hält es für hilfreich und empfiehlt unsere Anträge zur Annahme. In den Erwägungen ist viel vom Europabewußtsein der Bürger die Rede, das gefördert werden soll. Was liegt da näher, als dieses Bewußtsein unter anderem auch in einem so schönen Symbol wie einem gemeinsamen Europafeiertag festzumachen?
Wir dürfen uns aber nichts vormachen. Allein mit Symbolen und schönen Erklärungen lassen sich die Bürger nicht abspeisen. Sie erwarten von der Unionsbürgerschaft nicht Rechte, die irgendwo auf dem Papier stehen, sondern konkreten Nutzen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von der politischen Union Europas, daß ihnen der Alltag leichter gemacht wird. Lassen Sie mich auf das Beispiel des Bürgerrechts der Freizügigkeit hinweisen, von dem wir gerne reden, das wir aber bis heute nur auf einer Superminizwergenbasis ansatzweise verwirklicht haben. Mehr ist es aus der Sicht des Bürgers nicht. Freizügigkeit entsteht nicht durch das Niederreißen von Schlagbäumen, sondern in erster Linie durch den Abbau von bürokratischen Hemmnissen. Deshalb muß die Kommission unverzüglich einen Legislativvorschlag unterbreiten, der Ungleichheiten des Aufenthaltsrechts in den Mitgliedstaaten beseitigt und so die tatsächliche Freizügigkeit der Unionsbürger fördert. Insbesondere jungen Menschen müssen Mobilitätshindernisse aus dem Weg geräumt und die Niederlassung am Ort ihrer Wahl erleichtert werden. Deshalb brauchen wir einfache, durchschaubare und entbürokratisierte Verfahren zur Anerkennung von Diplomen und Berufsabschlüssen. Wir redeten gerade darüber.
Das bedeutet auch, daß Schulabschlüsse, Berufsabschlüsse und Diplome in jedem Mitgliedstaat gleich viel wert sein müssen. Mit solchen Ansätzen in allen Bereichen machen wir aus Bürgerrechten auf dem Papier gelebte europäische Wirklichkeit. Vor uns liegt ein langer Weg, auf dem wir eines nie vergessen dürfen: Im Mittelpunkt steht der Mensch und nicht der Kapitalertrag!
Palacio Vallelersundi (PPE). – (ES) Frau Präsidentin! Es ist wirklich ermutigend, an dieser Stelle heute diesen Bericht zu hören. Es ist deshalb so ermutigend, weil immer noch die jüngsten Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Cardiff in unseren Ohren nachhallen, weil immer noch die jüngsten Erklärungen in unseren Ohren nachhallen, die weniger Europa, weniger Integration fordern, die sogar die Rückübertragung bestimmter Politikbereiche an die Einzelstaaten fordern. Daher glaube ich, daß es wichtig ist, daß das Europäische Parlament heute bei der großartigen Vorstellung des Berichts durch den Berichterstatter und Vorsitzenden des Ausschusses für Recht das Banner der Unionsbürgerschaft ins Feld führt.
Dies ist ein ausgewogener Bericht, den einGleichgewicht zwischen dem Konkreten und den symbolischen Werten auszeichnet, zwischen praktischen Maßnahmen und der Poesie, die von Frau Gebhardt schon angesprochen wurde. Auch wir brauchen etwas Phantasie und Poesie.
Unter den praktischen Maßnahmen hat Herr De Clercq die Notwendigkeit hervorgehoben, daß die Freizügigkeit und die freie Wahl des Aufenthaltsortes für europäische Bürger Wirklichkeit wird, daß Artikel 8a zu einer Realität wird, auf die man sich unmittelbar vor unseren Gerichten berufen kann, daß die bereits durch diese entstehende Unionsbürgerschaft begründeten Rechte – Wahlrecht auf kommunaler Ebene, Wahlrecht bei den Europawahlen – bekanntgemacht werden, daß allmählich, und hier überschreiten wir die Grenze von der Realität zur Poesie, von der Wirklichkeit zu den Mythen, eine integrationsfördernde Symbolik geschaffen wird. Es ist für uns erforderlich, ein kulturelles Bewußtsein über die Wirklichkeit Europas zu schaffen.
Die Europäische Volkspartei wird den Bericht von Herrn De Clercq nicht nur unterstützen, sondern auch die Änderungsanträge der Sozialistischen Fraktion und einige der Europäischen Volkspartei befürworten, wobei Änderungsantrag 5 zurückgezogen wurde.
Frau Präsidentin, es sind schlechte Zeiten für Europa. Man kann sagen – und hier stimme ich mit Frau Gebhardt überein –, daß unser Verbündeter gegen solch besorgniserregende Aussichten paradoxerweise der Markt ist. Es ist wirklich paradox: Das Europa der Kaufleute trägt zur Verwirklichung des Europas der Bürger bei, denn um den Euro durchzusetzen, damit dieser Binnenmarkt tatsächlich Wirklichkeit wird, müssen wir die Freizügigkeit, und zwar im weitesten Sinne des Wortes, gestalten, und wir müssen bei der Integration Fortschritte erzielen.
Daher denke ich, Frau Präsidentin, daß wir uns heute hier bei der Übernahme der Ratspräsidentschaft durch Österreich zu diesem Bericht des Europäischen Parlaments beglückwünschen sollten, welches einmal mehr gegenüber bestimmten Entwicklungen, durch die gegenwärtig ein stumpfes Europa, ein Europa mit geschrumpften Vorstellungen verfochten wird, seine Rolle als Gewissen bekräftigt und machtvoll Einhalt gebietet. Das Europäische Parlament erhebt jedenfalls die Stimme gegen dieses stumpfe Europa, gegen dieses Europa der eingeschränkten Ideen, es erhebt die Stimme für die Bürger und sagt, daß Europa einzig auf dem Weg der Integration verwirklicht werden wird und daß wir gegenüber dem Begriff des Europa der Kaufleute erreichen müssen, daß der Vertrag von Amsterdam wirklich ein Europa der Bürger schafft.
Voggenhuber (V). – Frau Präsidentin, ich gratuliere dem Berichterstatter und bin froh, daß das Parlament sich einmal mehr für die Umsetzung der im Vertrag versprochenen Rechte im Rahmen der Unionsbürgerschaft einsetzt. Ich möchte vielleicht einmal den Blick auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Unionsbürgerschaft lenken. Was ist sie? Nach meiner Überzeugung erkennt die Union damit nicht weniger an, als daß der Träger und der Souverän des europäischen Einigungsprozesses die Bürgerinnen und Bürger sind. Diese Unionsbürgerschaft bildet daher einen wesentlichen Bestandteil der Legitimation der Union. Eine Legitimation, die eben nicht nur mittelbar über nationale Regierungen und Verträge zustande kommt, sondern auch unmittelbar und persönlich und gleich durch einen Rechtsstatus aller Bürger.
Im EU‐Vertrag wurde daher logischerweise die Unionsbürgerschaft zur Stärkung des Schutzes der Rechte und Interessen der Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten eingeführt. Wir haben es also mit einem Statut zu tun, das die Grund‐ und Bürgerrechte aller Angehörigen ausdrücken soll. So weit, so gut, soweit die Theorie. In der Praxis sind wir jedoch von einer umfassenden Garantie von Grund‐ und Bürgerrechten, von einer Anerkennung der Rolle der Bürger als Souverän der Integration noch sehr weit entfernt. Von allen vier Freiheiten ist sicher die persönlichste, existentiellste, menschlichste die Freiheit des Personenverkehrs, die am zögerlichsten verwirklicht wurde, die am meisten verschleppt und behindert wurde. Personenkontrollen im Bereich der Union sind nicht beseitigt. Sie werden im Rahmen des Schengen Vertrages auch nicht aufgehoben, sondern ersetzt durch Barrieren, die oft noch höher sind als die alten, die zu beseitigen man versprochen hat.
Das aktive und passive Wahlrecht zum EP wird unterlaufen, vor allem aber auch die Teilnahme an Kommunalwahlen. Sie wird zum Teil offen sabotiert. Sie wird in einigen Hauptstädten auf die Teilnahme an Stadtteilwahlen reduziert, so zum Beispiel in Wien. Auch der konsularische Schutz ist in der Praxis praktisch nicht existent. Ich glaube, daß wir aber über den Vertragstext hinaus, über die dort versprochenen Rechte hinaus den Blick auf einen umfassenden Grund‐ und Bürgerrechtsschutz lenken müssen. Ich hoffe, daß der Sondergipfel in Österreich einen Weg von der nur technokratischen Institutionenreform zu einer echten Demokratiereform öffnen wird.
Oddy (PSE). – (EN) Herr Präsident, ich danke dem Berichterstatter für seinen fundierten und wohlüberlegten Bericht und empfehle dem Parlament seine Vision Europas.
Wenn wir sicherstellen wollen, daß die Europäische Union gedeiht, müssen wir den Bürgern in Europa das Gefühl vermitteln, daß wir dieses Ziel ernsthaft verfolgen, und nicht nur Wirtschaftsorganisationen und Regierungen, sondern auch wir alle davon profitieren. Der zweite Bericht der Kommission über die Unionsbürgerschaft ist daher eine wichtige Stütze beim Aufbau eines corps d"esprit und eines Gefühls der Zugehörigkeit zur Europäischen Union.
Ich begrüße insbesondere das aktive und passive Wahlrecht bei den Kommunal‐ und Europawahlen, auch wenn ich gleichzeitig auf das großzügige Wahlrecht für Commonwealth‐Bürger im Vereinigten Königreich verweise und fordere, daß hier keine Änderungen vorgenommen werden und nicht versucht wird, die bestehenden Rechte zu verwässern.
Als Verfasserin der Stellungnahme zum Aktionsplan der Kommission über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer begrüße ich die Anmerkungen von Herrn DeClercq über Hindernisse, die der Freizügigkeit der Unionsbürger entgegenstehen, z. B. was die Mobilität im Hinblick auf Renten, familiäre Verpflichtungen und Ausbildungsbedürfnisse der Kinder angeht. Ich fürchte, für meine britische Fraktion ist das zum jetzigen Zeitpunkt noch etwas gewagt, aber ich bin der Meinung, daß die Kommission das internationale Abitur fördern sollte.
Die Berufung eines Bürgerbeauftragten kann man nur begrüßen, aber ich habe den Eindruck, diese Dienststelle sollte stärker unterstützt und gefördert werden. Ich teile die Auffassung, daß ein Zugehörigkeitsgefühl zur Europäischen Union sehr stark von der Information abhängt. Daher bitte ich die Kommission, sich noch stärker um die Information der Bürger in Europa zu bemühen.
Zimmermann (PSE). – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte heute abend befaßt sich mit der Unionsbürgerschaft. Wir alle wissen, was das bedeutet und welche Schlüsselfunktion diese Unionsbürgerschaft für die Bürger Europas hat, aber vor allen Dingen auch für die europäische Integration. Aber ich frage mich, wissen die Menschen in Europa das eigentlich auch? Wissen die Menschen, welche Rechte mit der Unionsbürgerschaft verbunden sind? Wissen sie, an wen sie sich wenden können und wen sie fragen können, wo sie die Informationen herholen können? Ich habe in vielen Diskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern immer wieder das Gefühl, daß die Menschen nur spärlich darüber aufgeklärt sind und nur wenige Kenntnisse darüber haben.
Aber nicht nur die Bürgerinnen und Bürger haben wenig Kenntnisse darüber. Nehmen wir zum Beispiel die Informationen, die von der Europäischen Kommission kommen, die sich teilweise mit bestimmten Bereichen überhaupt nicht befassen. Wenn ich sehe, daß in der Broschüre, die wir vor kurzem bekommen haben, die Single Market Review , die sich mit über 38 Berichten darüber beschäftigt, wie der Binnenmarkt eigentlich umgesetzt wird, daß also in dieser Broschüre über die Freizügigkeit fast nichts steht, dann frage ich mich, wie die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich informiert werden sollen! Anderes Beispiel: Wenn ich mit Beamtinnen und Beamten in der Kommission und im Parlament oder auch draußen darüber rede, daß ich als Unionsbürgerin mit niederländischem Paß für Deutschland im Europäischen Parlament sitze, werde ich immer wieder gefragt: Wie geht das, wo steht das, wie ist das möglich? Daran sieht man, daß auch das Wahlrecht in dem Sinne, in dem es wohl im Vertrag drinsteht, in unseren Köpfen nicht drin ist, weder in den Köpfen derjenigen, die das festgeschrieben haben, noch in denen der Bürgerinnen und Bürger oder auch meiner Kolleginnen und Kollegen. Viele Kolleginnen und Kollegen von mir haben dies eigentlich auch noch nicht begriffen.
Ich halte es für wichtig, daß wir selber auch die Unionsbürgerschaft mit allem, was das beinhaltet, für uns annehmen und uns damit auseinandersetzen. Dann haben wir auch die Möglichkeit, die Menschen besser darüber zu informieren, damit die Menschen das dann auch verstehen.
Pinheiro, Mitglied der Kommission. – (PT) Frau Präsidentin, im Namen der Kommission begrüße ich die ausführliche Behandlung unseres zweiten Berichts über die Unionsbürgerschaft und möchte insbesondere auf die herausragende Arbeit verweisen, die von einem berühmten Europäer, Willy De Clercq, erstellt wurde.
Ich betrachte diesen Meinungsaustausch über die Unionsbürgerschaft als eine Art Einladung an alle politischen Beteiligten, sich auf das Wesentliche beim europäischen Aufbauwerk zu konzentrieren, als eine Warnung im Hinblick auf alle Fort‐ und Rückschritte bei der Verwirklichung der europäischen Architektur, die die Bürger in ihrem Gefühl – ich zitiere – ”der Zugehörigkeit zu einer Politik‐ und Rechtsgemeinschaft”enttäuschen könnten, wie es in Ihrer Entschließung heißt. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, kam dieses Anliegen auch auf der letzten Tagung des Rates in Cardiff zur Sprache, wo man erklärte, daß alle Bürger Nutzen aus allen Vorteilen der Wirtschafts‐ und Währungsunion sowie des Binnenmarktes ziehen und die Union dem Bürger sogar noch näher stehen sollte.
Dieser zweite Bericht über die Unionsbürgerschaft umfaßt die Jahre 1994, 1995 und 1996, ein Zeitraum vor dem Abschluß der Regierungskonferenz, die zur Annahme des Vertrags von Amsterdam führte. Die Kommission ist in diesem Bericht bestrebt, die neuen, aus dem Vertrag von Maastricht folgenden Rechte zu beschreiben und zu analysieren sowie die nach der Veröffentlichung des ersten Berichts im Jahr 1993 erzielten Fortschritte zu überprüfen und einige der angestrebten Ziele zu nennen.
Ihr Entschließungsantrag richtet sich korrekterweise an alle beteiligten Institutionen und an alle Mitgliedstaaten. Denn es wird in der Tat nur durch eine konzertierte Aktion auf allen Ebenen möglich sein, in Zukunft Fortschritte zu erzielen, insbesondere bei der Verbesserung der Rechtsvorschriften, deren Verständlichkeit sowie im Hinblick auf eine wirksamere Anwendung der Rechtsvorschriften. Ich kann Ihnen, Herr De Clercq, und diesem Haus versichern, daß auf der Tagesordnung der Kommission sowohl alle Angelegenheiten stehen, die Schengen und die Anwendung von Artikel 8a betreffen, als auch die Angelegenheiten, die sich auf die Vertragsverletzungsverfahren und Praktiken in der Verwaltung beziehen, aber auch auf das Wahlrecht, den konsularischen und diplomatischen Schutz, die Mechanismen für einen ständigen Dialog, die Ausbildung und die Anerkennung von Diplomen, den Schutz gegen die Bedrohung der Sicherheit und der persönlichen Freiheit oder das Recht der Anrufung des Bürgerbeauftragten.
Gerade heute widmet die Kommission einen Großteil ihrer Zusammenkünfte eben diesem Thema der Unionsbürgerschaft. Und wir hoffen, daß wir alle mit den Impulsen dieses Parlaments und solchen Beiträgen, die wir beispielsweise in Form dieser Entschließung bekommen, eine wirkliche Unionsbürgerschaft schneller erreichen können.
Die Präsidentin. ‐ Vielen Dank, Herr Kommissar Pinheiro.