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Ausführliche Sitzungsberichte
Dienstag, 12. Januar 1999 - Straßburg Ausgabe im ABl.
1. Programm des deutschen Vorsitzes und Lage im Kosovo
 2. Offenheit in der Europäischen Union
 3. Abstimmungen
 4. Zustimmung des EP zum Präsidenten der Kommission
 5. Kulturhauptstadt Europas 2005‐2019
 6. Europäische Abkommen
 7. Abkommen über Handel und Zusammenarbeit EG/Korea
 8. Fragestunde (Kommission)
 9. Handelssystem und international anerkannte Arbeitsnormen
 10. Seehäfen und Seeverkehrsinfrastruktur
 11. Elektronische Signaturen
 12. Grenzwerte für Luftschadstoffe

  

SITZUNG AM DIENSTAG, DEN 12. JANUAR 1999

VORSITZ: JOSÉ MARÍA GIL‐ROBLES GIL‐DELGADO
Präsident

(Die Sitzung wird um 9.00 Uhr eröffnet.)

(1)

(1) Genehmigung des Protokolls – Vorlage von Dokumenten – Dringlichkeitsdebatte (eingereichte Entschließungsanträge): siehe Protokoll.


1. Programm des deutschen Vorsitzes und Lage im Kosovo

  Der Präsident . – Nach der Tagesordnung folgt die Erklärung des amtierenden Ratspräsidenten zum Programm des deutschen Vorsitzes und zur Lage im Kosovo.

Ich erteile Herrn Fischer im Namen des Rates das Wort und danke ihm für seine Anwesenheit heute vormittag hier in unserer Mitte.

(Beifall)

  Fischer, amtierender Ratspräsident. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Mit dem 1. Januar 1999 und der Einführung des Euro, der gemeinsamen Währung durch 11 Mitgliedstaaten, hat Europa einen historischen, ja vielleicht sogar revolutionären Schritt getan, der dem europäischen Integrationswerk eine neue Qualität verleihen wird. Zum ersten Mal in der Geschichte des europäischen Integrationsprozesses, jener fast wunderbar zu nennenden Antwort der Völker Europas auf Jahrhunderte eines prekären Gleichgewichts der Mächte auf diesem Kontinent und gewaltsamen Hegemoniebestrebungen und furchtbaren Kriegen, wurde aus dem Kernbereich nationalstaatlicher Souveränität jetzt ein wesentlicher Teil – die Währungssouveränität – auf eine europäische Institution übertragen. Dieser Akt schafft in der Tat eine neue politische Qualität. Währung, Sicherheit und Verfassung, das sind die drei wesentlichen Souveränitäten der modernen Nationalstaaten, und mit der Einführung des Euros wurde ein erster Schritt zu ihrer Vergemeinschaftung in der EU getan. Man wird wohl erst mit einigem zeitlichen Abstand die ganze Bedeutung dieses Schrittes für Europa und die internationale Politik begreifen können.

Die Einführung eines gemeinsamen Geldes ist nicht in erster Linie ein ökonomischer, sondern vor allem ein souveräner und demnach eminent politischer Akt. Mit der Vergemeinschaftung des Geldes hat sich Europa auch für einen eigenständigen Weg in die Zukunft und – in enger Verbindung mit unseren transatlantischen Partnern – für eine eigenständige Rolle in der Welt von morgen entschieden. Freilich hat bis heute die EU nur teilweise den Charakter eines politischen Subjekts, und demnach wird aus der Vergemeinschaftung der Währung gegenüber den noch fehlenden politischen und demokratischen Gemeinschaftsstrukturen ein Spannungsfeld entstehen, dessen Dynamik den gegenwärtigen Status Quo bereits in naher Zukunft erschüttern wird.

Meines Erachtens werden jene Beobachter Recht behalten, die anläßlich der Einführung des Euro darauf hinwiesen, daß die gemeinsame Währung sowohl große Chancen als auch mindestens ebenso große Risiken für die EU enthielte, und zwar je nachdem, wie sich die Mitgliedstaaten zu dem weiteren politischen Vergemeinschaftungsprozeß verhalten würden. Chancen sahen sie dann überwiegen, wenn die Einführung des Euro für weitere substantielle Schritte zur Vergemeinschaftung bis hin zur Vollendung der politischen Union genutzt würde. Die Einführung würde sich aber dann als ein großes Risiko erweisen, wenn in der Logik dieses kühnen Schrittes durch die EU nicht weitere ähnlich kühne Schritte zur Vollendung der Integration – und das umfaßt auch zwingend die schnellstmögliche Erweiterung der Europäischen Union nach Ost‐ und Mitteleuropa – folgen würden.

(Beifall)

Die politische Klugheit, aber auch das nationale Eigeninteresse aller Mitgliedstaaten gebieten es, daß wir es zu dieser Alternative erst gar nicht kommen lassen dürfen, sondern wir müssen stattdessen gemeinsam und energisch die Chancen der gelungenen Einführung des Euro nutzen. Wir müssen deshalb die politische Aktionsfähigkeit der EU stärken und ihre innere Verfassung auf die neuen Aufgaben ausrichten. Die um neue Mitgliedstaaten vergrößerte politische Union muß von nun an unser Kompaß sein. Sie ist die logische Konsequenz der Wirtschafts‐ und Währungsunion.

Zentrale Aufgabe des deutschen Ratsvorsitzes ist es, die Union in ihren Strukturen und Verfahren darauf vorzubereiten, aus einer westeuropäischen zu einer gesamteuropäischen und zugleich global handlungsfähigen Union zu werden. Wir setzen im kommenden Halbjahr vier Schwerpunkte. Erstens: Wir wollen die Verhandlungen über die Agenda 2000 bis zum 24./25. März, dem Sondergipfel in Brüssel, erfolgreich abschließen. Das ist kein willkürliches Datum. Gelingt uns bis dahin keine Einigung, würde die Union ihre Reformfähigkeit, die auch Voraussetzung für die Erweiterung ist, ernsthaft in Frage stellen. Keine Frage, die Verhandlungen werden sehr, sehr schwierig. Eine Lösung wird nur im Rahmen eines umfassenden Interessenausgleichs gefunden werden. Der deutsche Vorsitz wird dabei darauf achten, daß keine Lösung auf Kosten der schwächsten EU‐Partner zustande kommt, sondern daß auf dem Europäischen Rat Ende März eine gleichgewichtige Lösung erreicht wird.

(Beifall)

Auch wenn die Positionen in entscheidenden Fragen noch auseinanderliegen, bin ich nach meiner Präsidentschaftsreise optimistisch, daß wir uns einigen können. Auf meiner Sondierungsreise vor Weihnachten habe ich in allen Partnerländern die Bereitschaft gespürt, die Verhandlungen konstruktiv zu führen und eine Einigung bis März zu erzielen. Alle wissen, daß wir nur Erfolg haben werden, wenn wir die Agenda 2000 als Gesamtpaket behandeln und wenn jeder zum Kompromiß beiträgt. Es darf keine Gewinner und keine Verlierer geben. Das alles wird dem deutschen Vorsitz einen schwierigen Balanceakt abverlangen. Dabei vertrauen wir auch auf die Unterstützung und das Verständnis des Europäischen Parlaments, mit dem wir eng zusammenarbeiten wollen.

Jetzt müssen wir so schnell wie möglich die Substanzfragen anpacken. Bei der Strukturpolitik halte ich zunächst eine Konzentration auf die strukturschwächsten und förderungsbedürftigsten Regionen für notwendig. Die Förderung muß einfacher, dezentraler, ökologischer und beschäftigungswirksamer werden. Zukunftsfähigkeit und Legitimität der EU fordern eine faire Lastenverteilung. Klar ist, Deutschland wird als wirtschaftsstärkstes EU‐Mitglied auch künftig seine europäische Verantwortung tragen und größter Nettozahler bleiben. Aber bei der Verteilung der Lasten haben sich Ungerechtigkeiten eingeschlichen, die wir korrigieren müssen. Dieses Anliegen, das Deutschland mit anderen Mitgliedstaaten teilt, wird von der Kommission und inzwischen auch von vielen Partnern als legitim anerkannt.

Die Erweiterung ebenso wie die nächste WTO‐Verhandlungsrunde machen eine grundlegende Reform der gemeinsamen Agrarpolitik und eine Senkung der Agrarausgaben erforderlich. Wenn wir die überwiegend noch agrarisch strukturierten Länder Mittel‐ und Osteuropas aufnehmen wollen, dann können wir die europäische Agrarpolitik nicht unverändert fortschreiben. Die europäische Landwirtschaft muß wettbewerbsfähiger und umweltverträglicher werden. Gleichzeitig müssen die Interessen unserer Landwirte gesichert werden.

Zweitens: Wir wollen deutliche Fortschritte hin zu einer wirksamen Beschäftigungspolitik erzielen. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist die drängendste Sorge der Menschen in Europa. Sie erwarten zu Recht, daß nicht nur die nationalen Regierungen gegen die Arbeitslosigkeit vorgehen, sondern auch die europäische Ebene einen Beitrag leistet. Deshalb wollen wir beim Europäischen Rat in Köln einen europäischen Beschäftigungspakt verabschieden. Der Pakt soll Ausdruck einer aktiven Arbeitsmarktpolitik werden, die mehr als bisher auf Prävention setzt, auf den Abbau der Jugend‐ und Langzeitarbeitslosigkeit sowie der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt.

Drittens: Wir wollen und müssen die Erweiterung der Europäischen Union schnellstmöglich voranbringen.

Die EU darf nach dem Ende des Kalten Krieges nicht auf Westeuropa beschränkt bleiben, sondern es liegt im Wesen der europäischen Integrationsidee, daß sie gesamteuropäisch angelegt ist.

(Beifall)

Darüber hinaus lassen die geopolitischen Realitäten auch gar keine ernsthafte Alternative zu. Wenn dies richtig ist, dann hat die Geschichte 1989/90 bereits über das OB der Osterweiterung entschieden, allein das WIE und das WANN muß noch gestaltet und entschieden werden.

Die Süderweiterung der Europäischen Union war ein großer ökonomischer und auch politisch demokratischer Erfolg. Wirtschaftliche Prosperität und demokratische Stabilität waren das Ergebnis der Süderweiterung für die damaligen Beitrittsländer und Gesamteuropa, und genau diesen Erfolg muß die Osterweiterung der Europäischen Union wiederholen. Nur durch den Beitritt der mittel‐ und osteuropäischen Partner lassen sich Wohlstand, Frieden und Stabilität für ganz Europa dauerhaft sichern. Erst mit der Öffnung nach Osten löst die Europäische Union ihren Anspruch ein, als Kulturraum und Wertegemeinschaft für ganz Europa zu sprechen. Wir vergessen als Deutsche auch nicht, welchen unschätzbaren Beitrag die Völker in Mittel‐ und Osteuropa für die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas geleistet haben.

Eine Instabilitätszone jenseits der Grenzen der heutigen Europäischen Union ist angesichts der Erfahrungen auf dem Balkan politisch nicht zu verantworten. Zudem wäre dies ein Wortbruch gegenüber den neuen Demokratien, der fatale Folgen für Europa hätte. Insofern liefe also jede gewollte Verzögerung oder gar Verhinderung der EU‐Erweiterung lediglich auf einen politisch und ökonomisch gefährlichen und teuren Umweg hinaus, an dessen Ende, durch die Realitäten und Risiken erzwungen, schließlich dann eines Tages doch die Erweiterung stünde. Aus all diesen Gründen, meine Damen und Herren Abgeordneten, gibt es meines Erachtens zur Erweiterung der Europäischen Union um die nächsten Kandidaten keine Alternativen.

(Beifall)

Für den Erweiterungsprozeß brauchen wir sowohl eine strategische Vision als auch viel praktischen Realismus. Wir müssen die Erweiterungsverhandlungen jetzt schnellstmöglich zu einem praktischen Erfolg führen. Deshalb sollten wir uns gegenwärtig – ich betone gegenwärtig – visionäre Termindebatten schenken. Wenn wir uns jetzt auf das Herstellen der Erweiterungsfähigkeit der EU‐Strukturen konzentrieren – und der erfolgreiche Abschluß der Agenda 2000 ist dazu unverzichtbar –, so heißt das nicht, die Erweiterung auf die lange Bank zu schieben. Das genaue Gegenteil ist vielmehr richtig.

Erweiterungs‐ und Beitrittsfähigkeit müssen parallel vorankommen. Je eher die Europäische Union die notwendigen Reformen in Angriff nimmt und je intensiver die Beitrittsländer ihre internen Reformen weiterführen, desto rascher und reibungsloser wird der Erweiterungsprozeß voranschreiten.

Deutschland bleibt aus all diesen hier genannten Gründen Anwalt einer zügigen Osterweiterung der Europäischen Union. Wir wollen die Beitrittsverhandlungen während unserer Präsidentschaft mit großem Nachdruck voranbringen. Die noch nicht verhandelnden Kandidaten müssen eine faire Chance erhalten, zu den anderen aufzuschließen, die Überholspur muß frei bleiben. Heute ist es noch zu früh, um ein Datum für den Beitritt zu setzen. Wenn aber Licht am Ende des Verhandlungstunnels zu sehen ist nach dem absehbaren Verhandlungsfortschritt und unter der Voraussetzung eines erfolgreichen Abschlusses der Agenda 2000 im kommenden März – wohl gegen Ende 1999 oder während des Jahres 2000 –, dann wird die Benennung eines konkreten Abschlußdatums durchaus sinnvoll, wenn nicht gar zwingend werden, um die Verhandlungen zügig zum Abschluß führen zu können.

Viertens: Wir wollen die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union stärken. Nur eine Union, die außenpolitisch handlungsfähig ist, kann den Frieden in Europa sichern und ihr wachsendes Gewicht auf der Weltbühne zur Geltung bringen. Selbst die großen Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden zur Vertretung ihrer Interessen und zur Wahrung des Friedens in einer sich mehr und mehr globalisierenden Welt immer weniger in der Lage sein.

In der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts muß die Europäische Union deshalb zum eigenständigen, politisch handlungsfähigen Subjekt werden. Hierauf müssen wir uns durch die Schaffung einer Gemeinsamen Außen‐ und Sicherheitspolitik, die diesen Namen verdient, rechtzeitig vorbereiten. Wenn der Amsterdamer Vertrag in Kraft tritt – nach derzeitigem Ratifikationsstand spätestens zum 1. Juni –, wollen wir sicherstellen, daß er unmittelbar und in allen Fragen angewandt wird. Im Bereich der Gemeinsamen Außen‐ und Sicherheitspolitik enthält der Vertrag ein Paket neuer Instrumente, die die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Union stärken werden.

Die Ernennung des Hohen Beauftragten für die GASP wird uns hoffentlich einen großen Schritt voranbringen. Dies wird aber nur dann der Fall sein, wenn es ein Mann oder eine Frau von politischem Gewicht und Durchsetzungsfähigkeit ist. ...

(Zwischenruf)

... es gibt auch Beamte, die beides erfüllen – das muß ich hier in aller Entschiedenheit zurückweisen.

Noch während unserer Präsidentschaft soll auch die Strategieplanungs‐ und Frühwarneinheit eingerichtet und das neue Instrument der „Gemeinsamen Strategie” und mit ihm Mehrheitsentscheidungen in der GASP eingeführt werden. Wir wollen dieses neue Instrument zunächst auf Nachbarregionen der Europäischen Union anwenden, um bereits auf dem Europäischen Rat in Köln eine erste gemeinsame Strategie für Rußland – wenn möglich auch für die Ukraine – zu verabschieden. Die langfristige Schaffung einer prosperierenden demokratischen Zivilgesellschaft in Rußland ist von größer Bedeutung für die Stabilität ganz Europas.

In der gegenwärtigen Phase geht es in der GASP um ein Maximum an gemeinsamem Handeln und einer möglichst intensiven Anwendung der neuen Instrumente. Wichtig ist, daß wir Felder gesamteuropäischen Interesses besser als bisher identifizieren. Das brauchen wir auch, um in der Öffentlichkeit das Bewußtsein europäischer Gemeinsamkeit in der Außen‐ und Sicherheitspolitik zu schärfen.

In dem vor uns liegenden Halbjahr geht es darum, aus politischen Visionen einen handfesten Bauabschnitt zu machen. Wir dürfen dabei aber nicht den Blick auf das operative Tagesgeschäft verengen. Europa hat seine Kraft immer aus einer fruchtbaren Mischung zwischen Visionen und ihrer praktischen Umsetzung geschöpft. Gerade im nächsten Halbjahr wird es wichtig sein, den weiteren Horizont angesichts der praktisch zu lösenden Aufgaben im Auge zu behalten.

Der nächste Bauabschnitt nach Abschluß der Agenda 2000 – ein weiterer Grund, warum es so wichtig ist, daß die Agenda 2000 jetzt zu einem positiven Abschluß kommt –, wird die Lösung der institutionellen Reformen der Europäischen Union sein. Mit Blick auf die Erweiterung ist diese Reform zwingend, um einen institutionellen Infarkt der Europäischen Union zu vermeiden. Wenn eine Europäische Union von 21 und mehr Mitgliedern handlungsfähig bleiben soll, müssen die entsprechenden Reformen verwirklicht werden.

Die entscheidende Frage für die Handlungsfähigkeit einer erweiterten Union ist die Bereitschaft, Mehrheitsentscheidungen in möglichst vielen Bereichen zu akzeptieren.

(Beifall)

Die neue Bundesregierung setzt sich dafür ein, längerfristig das Einstimmigkeitserfordernis in der Europäischen Union auf Fragen von grundsätzlicher Bedeutung wie Vertragsänderungen zu beschränken. Auf dem Europäischen Rat in Wien wurde vereinbart, daß der Europäische Rat in Köln über die Behandlung der in Amsterdam nicht geregelten institutionellen Fragen entscheiden soll. Ich stelle mir vor, daß wir in Köln den Startschuß geben für eine neue Regierungskonferenz, die um das Jahr 2001 zusammentreten könnte.

(Beifall)

Langfristig müssen wir uns die Frage nach den Zielen und Methoden der weiteren Integration stellen. Wir sind in der Europäischen Union über vierzig Jahre lang nach der Methode Monnet, einer genialen Methode, verfahren: Schritt für Schritt zu mehr Integration, ohne Blaupause für das Endziel. Diese Methode war äußerst erfolgreich. Die in den fünfziger Jahren gesteckten Ziele „Nie wieder Krieg, wirtschaftlicher Wiederaufbau und Prosperität” haben wir erreicht.

Krieg ist innerhalb der Europäischen Union politisch und militärisch unmöglich geworden. Dies ist auf unserem Kontinent der Kriege die größte Errungenschaft des Europäischen Integrationsprozesses, die wir nie vergessen dürfen.

(Beifall)

Mit der Einführung des Euro ist die wirtschaftliche und monetäre Integration weitgehend abgeschlossen. Nur wenige Bereiche – wie eine engere Koordinierung der Steuerpolitiken, für die sich Deutschland einsetzt – fehlen noch. Warum wollen wir also mit der Integration fortfahren? Ich sehe hierfür zwei zentrale Gründe: Weil sich im Zeitalter der Globalisierung die europäischen Nationalstaaten – selbst die größeren unter ihnen – nicht allein werden behaupten können – nur vereint werden wir Europäer den Herausforderungen der Globalisierung begegnen können –, und weil der Export von Stabilität in unsere Nachbarregionen für Europa nicht nur eine historisch‐moralische Aufgabe ist, sondern auch in unserem ureigenen Interesse liegt. Präventive Krisenverhütung ist immer besser, billiger und vor allem humaner als akute Krisenbewältigung.

(Beifall)

Die größten Defizite innerhalb der Europäischen Union bestehen heute im Bereich der politischen Integration und der europäischen Demokratie. Wie können wir hier vorankommen? Nach Maastricht und Amsterdam wird sich die Frage nach einer europäischen Verfassung viel intensiver stellen als früher. Eine solche öffentliche Diskussion in den Mitgliedstaaten wird neue Impulse für die politische Integration bringen.

Es geht mir dabei zunächst eher um Inhalte und Ziele als um die Aufarbeitung rechtlicher Grundlagen. Die Vorstellung von der gemeinsamen europäischen Zukunft, von der Finalität Europas, ist heute diffus. Hier könnte eine Diskussion über die Verfaßtheit Europas Klarheit und Orientierung schaffen. Wichtige Zukunftsfragen stehen unbeantwortet im Raum. Welche Idee – und für mich ist diese Frage von zentraler Bedeutung, weil sie letztendlich die Seele des zukünftigen Europa ausmachen wird – vermag die Menschen künftig für Europa zu mobilisieren? Welche Kompetenz‐Balance soll im Dreieck Europa, Nation und Region herrschen? Wo brauchen wir mehr, wo vielleicht weniger Europa? Wo liegen die Grenzen Europas? Wie können wir die Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit fördern und die demokratische Legitimation der Europäischen Union und ihrer Institutionen stärken? Auf diese Fragen verlangen die Menschen zu Recht eine Antwort. Wir alle werden uns ihnen stellen müssen.

Wenn wir die Europäische Union zu einem starken und durchsetzungsfähigen Subjekt machen wollen, müssen wir sie in vier zentralen Politikbereichen stärken.

Erstens: Europa braucht mehr Demokratie. Die Entscheidungsprozesse in der Union müssen transparenter und für die Menschen nachvollziehbarer werden. Der Bürger muß endlich erkennen können, wer, was und mit welcher Legitimation in Brüssel beschließt.

Der Amsterdamer Vertrag hat dem Europäischen Parlament neue wichtige Rechte und Befugnisse eingeräumt. Doch dies kann nur ein Zwischenschritt sein. Je handlungsfähiger die Union wird, um so größer muß die demokratische Legitimation ihrer Handlungen sein.

(Beifall)

Die Rechte des Europäischen Parlaments – lassen Sie mich das als überzeugter Europäer sagen und nicht als eine Art fishing for compliments – müssen weiter ausgeweitet werden. Das sollte auch ein Thema auf der nächsten Regierungskonferenz sein. Breitere Legitimation heißt, daß das Europäische Parlament überall, wo der Rat Gesetzgebung mit Mehrheit entscheiden kann, gleichberechtigt und gleichgewichtig mitentscheidet.

(Beifall)

Bei der Wahl der Kommission ist eine weitergehende Rolle des Europäischen Parlaments denkbar, als dies im Amsterdamer Vertrag vorgesehen ist. Auch über eine bessere Einbeziehung der nationalen Parlamente, wie sie der Amsterdamer Vertrag bereits vorsieht, sollte nachgedacht werden. Um die Rechte der Bürger zu stärken, schlägt Deutschland die langfristige Ausarbeitung einer europäischen Grundrechtscharta vor.

(Beifall)

Hierzu wollen wir während unserer Präsidentschaft eine Initiative ergreifen. Es geht uns darum, die Legitimität und die Identität der Europäischen Union zu festigen. An der Erarbeitung einer Grundrechtscharta sollen das Europäische Parlament, das mit seinem Verfassungsentwurf von 1994 wichtige Vorarbeit geleistet hat, aber auch die nationalen Parlamente und möglichst viele gesellschaftliche Gruppen beteiligt werden.

Zweitens: Die gemeinsame Außen‐ und Sicherheitspolitik muß an den europäischen Werten des Friedens und der Menschenrechte ausgerichtet und zu einem effizienten Krisenmanagement in der Lage sein. Menschenrechte haben im Zeitalter der Globalisierung eine über das Humanitäre hinausgehende politische und wirtschaftliche Bedeutung. Das hat spätestens die Asienkrise deutlich gezeigt. Investitionssicherheit in den sogenannten emerging markets gibt es nur gemeinsam mit ökologischer Nachhaltigkeit und Menschenrechten und nicht durch deren Unterdrückung.

(Beifall)

Die Entwicklung freier Märkte ist eben nur dann von Dauer, wenn sie in eine umfassendere Freiheitskultur eingebettet ist, beruhend auf den Menschenrechten, Gewaltenteilung, Verfassungsstaat, demokratischen Parteien, freien Gewerkschaften, einer unabhängigen Presse und einer kritischen Öffentlichkeit. Wir werden uns in unserer Präsidentschaft für eine Stärkung des Menschenrechtsprofils der Europäischen Union einsetzen. Der neue Menschenrechtsbericht der Europäischen Union soll Transparenz schaffen und zugleich Handlungsdruck in der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten erzeugen.

Der Schlüssel zu einer effizienten, präventiven und operativen Konfliktbewältigung liegt in einer verstärkten Anwendung von Mehrheitsentscheidungen und in einem einheitlichen Auftreten nach außen – ich sage dieses gerade in diesen Tagen –, in den G 8, den internationalen Finanzinstitutionen und den Vereinten Nationen.

Amsterdam kann nur eine Etappe sein, wenn eine erweiterte Union außenpolitisch handlungsfähig sein soll.

Drittens: Zur Verwirklichung einer gemeinsamen Außen‐ und Sicherheitspolitik gehört eine europäische Sicherheits‐ und Verteidigungsidentität. In letzter Zeit ist in den internationalen Angelegenheiten verstärkt eine problematische Entwicklung hin zum Unilateralismus und eine Abkehr vom Multilateralismus festzustellen. Diese Tendenz hat auf der Ebene der Vereinten Nationen bereits sehr negative Folgen gezeitigt, die zur Sorge Anlaß geben müssen. Auch die globale Friedenssicherung bedarf der Legitimierung durch die multilateralen Organisationen. Dies setzt allerdings auch politische Subjekte voraus, die willens und dazu in der Lage sind, das internationale politische System durch ihr Gewicht als Friedensordnung auf der Grundlage des Völkerrechts multilateral gemeinsam mit anderen Partnern zu gestalten. Hierin besteht eine weitere wichtige, zentrale Herausforderung des Europas der Zukunft.

Die kollektive Verteidigung wird weiterhin Aufgabe der NATO bleiben. Aber die Europäische Union muß auch die Fähigkeit zu einem eigenen militärischen Krisenmanagement entwickeln, wann immer aus Sicht der EU ein Handlungsbedarf besteht und die nordamerikanischen Partner sich nicht beteiligen wollen. Dieses Thema hat durch die Initiative Tony Blairs in Pörtschach und das französisch‐britische Treffen in St. Malo neue Impulse bekommen. Die Schaffung einer europäischen Sicherheits‐ und Verteidigungsidentität könnte nach dem Binnenmarkt und der Wirtschafts‐ und Währungsunion von großer Wichtigkeit für die weitere Vertiefung der Europäischen Union werden. Wir werden uns in unserer Doppelpräsidentschaft in Europäischer Union und WEU mit Nachdruck darum bemühen, diese neue Dynamik seit Pörtschach zu nutzen. Bis zum Europäischen Rat in Köln wollen wir einen Bericht über die Möglichkeiten der Fortentwicklung der europäischen Sicherheits‐und Verteidigungsidentität erarbeiten.

Viertens: Im Bereich Justiz und Inneres gibt der Amsterdamer Vertrag das Ziel eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vor. Dieses Ziel wollen wir schrittweise verwirklichen. Beim Europäischen Sondergipfel in Tampere im Oktober soll Bilanz gezogen und es sollen weitere Leitlinien festgelegt werden. Während unserer Präsidentschaft wollen wir über die Lastenteilung in der Asylpolitik ebenso sprechen wie über einen humanen Umgang mit Massenfluchtbewegungen. Eine Schlüsselfrage für die Handlungsfähigkeit Europas und für die Akzeptanz bei den Menschen ist eine wirksame Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität. Dafür müssen wir die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei weiter intensivieren und die operativen Fähigkeiten von Europol stärken.

Die hier zuletzt angesprochenen Fragen verweisen aber zwingend auf die Notwendigkeit der Inkraftsetzung einer europäischen Grundrechtscharta.

(Beifall)

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Während meiner Präsidentschaftsreise vor Weihnachten habe ich mich mit meinem spanischen Kollegen im Kongreßzentrum von Madrid getroffen, in dem zur selben Zeit die Peace Implementation Conference für Bosnien tagte. Während wir, die Außenminister Spaniens und Deutschlands und unsere Delegationen, zur Vorbereitung wichtiger Entscheidungen der Europäischen Union über das Europa des 21. Jahrhunderts, das Europa der Integration, verhandelten, mußte sich die Konferenz zugleich um Lösungen für das Europa der Vergangenheit, das Europa des Nationalismus und des Krieges bemühen. Die historische Zerrissenheit Europas wurde an diesem Tag in Madrid sinnfällig demonstriert, zugleich aber auch die vor uns liegende historische Aufgabe klar gemacht. Beide Alternativen sind gegenwärtig die Realität Europas. Aber wir, das Europa der Integration, dürfen dem Europa der Vergangenheit keine Zukunftschance einräumen, denn das wäre ein großes Unglück für unseren Kontinent.

Allein das Europa der Integration ist zukunftsfähig, und allein dieses Europa wird die Widersprüche unseres Kontinents friedlich lösen und die Europäische Union zugleich in einer sich dramatisch verändernden Welt zum politischen gestaltenden Subjekt machen können. Am europäischen Haus der EU haben mittlerweile mehrere Generationen politisch erfolgreich gebaut. Es wird die Aufgabe unserer Generation sein, dieses Europa der Integration zu vollenden.

(Lebhafter und langanhaltender Beifall)

  Santer, Präsident der Kommission. – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, Herr amtierender Ratspräsident! Ich werde mich heute sehr kurz fassen, zum einen, weil ich bei meinen gestrigen Ausführungen bereits die Gelegenheit hatte, die Schwerpunkte der deutschen Ratspräsidentschaft hervorzuheben, und zum andern, weil ich das Programm, das Ihnen der Ratspräsident soeben dargelegt hat, uneingeschränkt unterstützen kann.

Gestern vormittag war ich mit meiner gesamten Mannschaft zu dem traditionellen Antrittsbesuch zum Auftakt einer Ratspräsidentschaft in Bonn, und ich muß sagen, daß die Arbeiten in einem sehr konstruktiven Klima verliefen. Ich war von der Entschlossenheit der deutschen Regierung, ihre ganze Energie in den Dienst Europas zu stellen, beeindruckt.

Entschlossenheit wird sicher vonnöten sein, denn die Wiener Strategie sieht für die deutsche Ratspräsidentschaft ein sehr umfangreiches Programm vor, da das erste Halbjahr 1999 von ausschlaggebender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Union sein wird. Zudem wird die deutsche Ratspräsidentschaft natürlich auch die Geschicke der G7‐ und G8‐Verhandlungen, der Westeuropäischen Union und des Schengener Abkommens lenken. Ich sehe darin zwar eine sehr schwierige Aufgabe, aber ebenso eine einmalige Chance, bestimmte wichtige Themen voranzubringen wie die Etablierung des Euro, die Einbindung des Schengener Besitzstandes in den Vertrag und die Festlegung einer wirklichen Verteidigungspolitik.

Herr Präsident, die Agenda 2000 wird selbstverständlich die größte Herausforderung der nächsten sechs Monate darstellen. Zu diesem Thema wurde bereits alles oder fast alles gesagt. Jetzt geht es darum, Verhandlungen und nochmals Verhandlungen zu führen. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, die Agenda 2000 werde für die Zukunft der Union von entscheidender Bedeutung sein, denn ohne eine ernsthafte Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik wird sich in einigen Jahren erneut das Problem nicht mehr zu beherrschender Überschüsse stellen. Ohne eine Reform der Strukturfonds würden die Anstrengungen zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, die doch so wichtig sind, allmählich nachlassen, und ohne eine Einigung über den künftigen Finanzrahmen würde die Union wieder in das alte Übel ständiger Haushaltsstreitigkeiten und Querelen verfallen, die für die Entwicklung der Union fatal sind. Ein eventuelles Scheitern würde selbstverständlich eine schwere Belastung für die vorgesehene Erweiterung bedeuten, die heute ohne jeglichen Zweifel das ehrgeizigste Ziel zu Beginn des 21. Jahrhunderts darstellt.

Meiner Überzeugung nach wird es uns gemeinsam – Ratspräsidentschaft, Parlament und Kommission – gelingen, den Herausforderungen zu begegnen. Der politische Wille dazu ist in sämtlichen europäischen Hauptstädten vorhanden, worauf Ratspräsident Fischer soeben hingewiesen hat. Alle sind sich der Notwendigkeit von Kompromissen bewußt. Das wurde in Wien eindeutig unter Beweis gestellt, und auch bei meinen bilateralen Kontakten hat sich dies bestätigt.

Das zweite wichtige Thema der Ratspräsidentschaft betrifft meiner Ansicht nach die gesamte Problematik des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung. Der Euro, der zwar inzwischen eingeführt ist, muß nun lebendige Realität werden. Intern bedeutet dies die Notwendigkeit einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung, die sämtliche Aspekte, einschließlich – wie ich hervorheben möchte – des steuerlichen Bereichs, betrifft. Extern geht es um das Erfordernis einer Union, die, sei es im Rahmen der G7‐G8 oder der internationalen Finanzorganisationen, mit einer einzigen Stimme spricht und sich präsent zeigt. Sie wissen, welch große Bedeutung ich seit Beginn meiner Amtszeit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beimesse. In der letzten Zeit wurde ein beachtlicher Weg zurückgelegt, und ich begrüße den in Wien gefaßten Beschluß zur Ausarbeitung eines Europäischen Beschäftigungspakts, wie ich ihn seit 1996 fordere. Der Gipfel in Köln wird in dieser Hinsicht wichtig sein.

Während der deutschen Ratspräsidentschaft wird der Amsterdamer Vertrag in Kraft treten. Ein erfolgreiches Inkrafttreten bedeutet die Notwendigkeit sehr enger Beziehungen zum Europäischen Parlament, um insbesondere bei Themen, bei denen sich aufgrund des neuen Vertrags Verfahrensänderungen ergeben, eine reibungslose Beschlußfassung zu gewährleisten. Dies betrifft im übrigen auch die Agenda 2000.

Eine der wichtigsten Neuerungen, die der Amsterdamer Vertrag beinhaltet, betrifft die Schaffung eines wirklichen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Ich weiß, welch große Bedeutung die deutsche Präsidentschaft diesem Thema beimißt: Bei Fragen im Zusammenhang mit Einwanderung und Asyl beispielsweise stellt ein koordiniertes Vorgehen heute eine dringende Notwendigkeit dar. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist in allen Mitgliedstaaten ein prioritäres Ziel – hier ist ein gemeinsames Vorgehen erforderlich, wie es von unseren Bürgern erwartet wird.

Bereits während der deutschen Ratspräsidentschaft wird der Sondergipfel von Tampere, der unter finnischer Ratspräsidentschaft stattfinden wird, sehr sorgfältig vorzubereiten sein. Und wie Präsident Fischer soeben ausgeführt hat, zeichnet sich, während der Amsterdamer Vertrag gerade erst in Kraft treten wird, bereits die nächste institutionelle Reform ab. Doch so ist nun einmal das Leben in der Europäischen Union.

Den Außenbeziehungen wird während der deutschen Ratspräsidentschaft ein herausragender Stellenwert zukommen. Ich habe oft gesagt, wenn es einen Bereich gibt, in dem Fortschritte erforderlich sind und in dem Europa eine stärkere Rolle spielen muß, so sind es die Außenbeziehungen. In der Vergangenheit hat der politische Wille dazu bisweilen gefehlt; bei dem nunmehr erreichten hohen Integrationsstand, nach der Einführung des Euro sowie nach dem Entstehen einer multipolaren Welt, ist das jedoch nicht mehr hinnehmbar. Ich werde jetzt hier natürlich nicht die lange Liste unserer Beziehungen zu allen Regionen der Welt durchgehen, sondern nur zwei oder drei Beispiele anführen. Unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten haben eine Bedeutung und eine Intensität ohnegleichen erlangt. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß bei solchen Beziehungen Divergenzen auftreten können, und als Beispiel nenne ich das Thema Bananen, bei dem es um weit mehr geht, als lediglich um diese sympathische Frucht. Dieses Problem muß gelöst, und es müssen die Regeln befolgt werden, die für uns gelten – im vorliegenden Fall die der Welthandelsorganisation.

Themen solcher Art dürfen unsere Beziehungen, die doch eigentlich eine ganz andere Dimension besitzen, nicht vergiften. Ich denke dabei unter anderem an den Bereich der Verteidigung, in dem wir seit Jahrzehnten mit unseren amerikanischen Partnern Hand in Hand arbeiten, und in dem die Europäer diese Beziehungen im gegenseitigen Interesse ihrer Identität kräftigen und festigen müssen.

Das zweite Beispiel, das ich anführen möchte, betrifft unsere Beziehungen zu Rußland, diesem großen Land, das trotz seiner gegenwärtigen Schwierigkeiten stets ein großes Land sein wird. In den Beziehungen zwischen der Union und Rußland haben wir in letzter Zeit eine neue Qualität erreicht, und ich vertraue auf die deutsche Ratspräsidentschaft, daß sie diesen Weg fortsetzen wird.

Meine Damen und Herren, ich werde es damit bewenden lassen, denn Präsident Fischer hat bereits eine zusammenfassende Übersicht gegeben, der ich mich nur anschließen kann.

Herr Präsident, meine sehr kurzen Darlegungen reichen meines Erachtens aus, um hervorzuheben, welche Bedeutung die deutsche Ratspräsidentschaft für die Union besitzen wird. An dieser Stelle möchte ich nochmals mit Nachdruck bekräftigen, daß die Kommission der deutschen Ratspräsidentschaft bei der Ausübung der Rolle, die sie gemäß den Verträgen und nach altbewährter Tradition zu erfüllen hat, in den nächsten sechs Monaten zur Seite stehen wird. Ich für meinen Teil bin der Überzeugung, daß, wenn wir im Juni dieses Jahres Bilanz ziehen werden, die Union eine neue, eine entscheidende Etappe auf dem Weg zur Vereinigung unseres Europas zurückgelegt haben wird.

(Beifall)

  Green (PSE).(EN) Herr Präsident, Herr Görlach sollte als erstes Mitglied meiner Fraktion sprechen. Soviel ich weiß, hat er sich bei einem Unfall auf dem Glatteis vor diesem Gebäude eine Kopfverletzung zugezogen und mußte ins Krankenhaus gebracht werden. Ich hoffe, es handelt sich um keine ernsthafte Verletzung und bitte das Haus um Verständnis dafür, daß wir die Rednerliste meiner Fraktion umgestellt haben.

  Medina Ortega (PSE).(ES) Herr Präsident, ich bedaure diesen Unfall, durch den ich der erste Redner der Sozialistischen Fraktion bin, aber andererseits freue ich mich, im Namen meiner Fraktion unmittelbar den neuen amtierenden Ratspräsidenten der Europäischen Union begrüßen zu können.

Bei der deutschen Präsidentschaft handelt es sich zur Zeit nicht nur um eine einzige, sondern um fünf Präsidentschaften: Deutschland wird dem Europäischen Rat vorstehen, Deutschland wird den Rat der Europäischen Union leiten, Deutschland wird den Vorsitz der Gruppe der Acht haben, Deutschland wird der Schengen‐Gruppe vorstehen, und Deutschland wird die Westeuropäische Union führen.

Herr Außenminister! Ich wünsche Ihnen beste Gesundheit, um in den nächsten sechs Monaten allen diesen Verantwortungen gerecht werden zu können. Auf jeden Fall haben Sie die Unterstützung der Sozialistischen Fraktion des Europäischen Parlaments, damit Sie Ihren Aufgaben leichter nachkommen können.

Der amtierende Präsident des Rates der Europäischen Union hat über die Mittel gesprochen. Diese Gemeinschaft – wie er selbst sagte – ist eine Gemeinschaft, die nach der Konzeption von Jean Monnet und Robert Schuman auf konkreten Schritten, wirtschaftlichen Schritten aufbaut. Und wir messen hier in dieser Gemeinschaft den Wirtschaftsthemen große Bedeutung bei. Gerade gestern haben wir beispielsweise einen ganzen Tag lang diese Art Fragen diskutiert. Das einzige Problem besteht darin, Herr Präsident, daß ich nicht weiß, ob wir über den Weg der Mittelanalyse nicht Gefahr laufen, zu einer Buchführungsgemeinschaft zu werden; das heißt, ob die Buchführung nicht schließlich die Prüfung der wirtschaftlichen Realitäten verdrängt. Ich sage das, weil die Analyse des Verhältnisses zwischen Mitteln und Zielen bei mir den Eindruck erweckt, daß diese Gemeinschaft eine gute Investition ist. Wir tragen etwas mehr als 1 % des BIP zum Gemeinschaftshaushalt bei. Und mit diesem Beitrag von etwas über 1 % des BIP haben wir in den letzten 50 Jahren in Europa den Kriegen ein Ende gesetzt, unter denen die Europäer gelitten hatten. Ein einziger Kriegstag zwischen zwei europäischen Ländern würde den gesamten Gemeinschaftshaushalt verschlingen.

Zum zweiten haben wir Europa in eine Insel der Stabilität, des Fortschritts, des Friedens und der Demokratie verwandelt, um die uns heute die übrige Welt beneidet.

Wenn wir also über die Mittel diskutieren – ohne die Bedeutung der rechnerischen Argumente geringzuschätzen –, müssen wir wahrscheinlich das Verhältnis zwischen Mitteln und Zielen prüfen und vor allem schauen, wieviel jeder der Staaten von der Gemeinschaft über das hinaus erhält, was er offensichtlich bekommen könnte. Denn es ist möglich, daß durch die Investition einer kleinen Summe gerade dieser Staat Vergünstigungen erhält, die im Mißverhältnis zur Investition stehen.

Meines Erachtens, Herr Präsident, ist das Hauptthema der Europäischen Union in der Gegenwart die Frage unserer Kohäsion; das heißt, diese Union existiert in einer Welt, die gefährlich und instabil ist, und wir haben wichtige Aufgaben auszuführen. Die erste Aufgabe, wie der amtierende Ratspräsident selbst sagte, besteht in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Tatsache, daß 10 % unserer Bürger im Moment keine normale bezahlte Beschäftigung haben, gibt Anlaß zur Sorge, nicht nur aus wirtschaftlicher sondern auch aus sozialer Sicht.

Ich glaube, das Europa, das wir errichten wollen, muß ein Europa der Kohäsion sein, der sozialen und territorialen Kohäsion, in dem kein unterschiedliches wirtschaftliches Entwicklungstempo zugelassen werden dürfte, wie auch ein unterschiedliches Entwicklungstempo im sozialen Bereich nicht akzeptabel wäre. Ich bin nicht der Meinung, daß das Europa, das wir bauen wollen, ein Europa sein sollte, das den Reichen und nicht den Armen dient, in dem es einige wenige Privilegierte mit hohem Lebensstandard gibt – wie das in einer anderen bedeutenden modernen Industriegesellschaft der Fall ist –, sondern daß es ein sozial und in allen seinen Elementen ausgewogenes Europa sein muß.

Herr Präsident, die übrigen Redner meiner Fraktion werden auf einige der von mir kurz gestreiften Aspekte näher eingehen, aber ich glaube, daß sich das Denken der Sozialisten mit Blick auf die deutsche Präsidentschaft um diese Vorstellungen rankt.

  Poettering (PPE). – Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, Herr Ratspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Ratspräsidentschaft hat an einem historischen Tag begonnen, dem 1. Januar 1999, dem Tag, an dem die Europäische Währungsunion Wirklichkeit wurde. Das Vorhaben wurde zunächst als Vision belächelt, aber es wurde durch entschlossenes Handeln möglich. Die Währungsunion ist das Werk vieler. Aber ich möchte zu Beginn dieser deutschen Präsidentschaft der Persönlichkeit im Namen der EVP‐Fraktion Dank sagen, die Deutschland durch drei Präsidentschaften geführt hat, nämlich 1983, 1988 und 1994. Ich möchte Helmut Kohl, dem ehemaligen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, dem Ehrenbürger Europas Dank sagen.

(Beifall)

Herr Ratspräsident, dieser deutschen Präsidentschaft wünschen wir die gleiche Entschlossenheit, die gleiche Dynamik, den gleichen Mut, wie Helmut Kohl sie für Deutschland und in Europa vertreten hat. Wir wünschen Ihnen, Herr Ratspräsident, daß es Ihnen in Ihren Reden und in Ihrem Handeln gelingen möge, das Vertrauen bei den Partnern in Europa für die deutsche Europapolitik nicht nur zu bewahren, sondern weiter zu fördern.

Wir bedauern es – und das ist keine parteipolitische Frage –, daß mit dem Begriff des Realismus der Eindruck entstanden ist, als solle der Beitrittsprozeß verzögert werden. Sie haben das heute erfreulicherweise so ausgedrückt, daß wir uns dem anschließen können, aber dieser Eindruck ist entstanden. Es ist ein Alarmzeichen, wenn der Präsident Polens Kwasniewski hier im Europäischen Parlament am 18. November von einem falschen Signal gesprochen hat, das die Völker Mitteleuropas in ihrem Reformprozeß entmutigen könnte. Ermutigen wir die Völker Mitteleuropas! Wir fordern Sie auf, den Beitrittsprozeß zu beschleunigen!

Es ist unsere politische und moralische Verpflichtung, alles zu tun, damit die Völker Mitteleuropas so schnell es geht der Wertegemeinschaft der Europäischen Union beitreten können. Es geht dabei auch um Vertrauen. Das, was durch die deutsche Politik in 16 Jahren und natürlich davor geschaffen wurde, darf nicht zerstört werden! Das bedeutet aber auch, daß wir jetzt keine leichtsinnige Debatte führen sollten über die Änderung der Strategie des Nordatlantischen Bündnisses. Auch das ist eine Frage des Vertrauens, das die mitteleuropäischen Völker in uns haben.

Wir wissen natürlich, daß es für unsere eigene Bevölkerung schwierig ist, die Notwendigkeit eines raschen Beitritts zu akzeptieren. Aber in der Politik geht es nicht darum, sich an täglichen Meinungsumfragen zu orientieren, sondern das Richtige zu tun und dafür die Menschen in Europa zu gewinnen.

(Beifall)

Herr Ratspräsident, Sie haben davon gesprochen, daß Sie Vorschläge für eine institutionelle Reform unterbreiten wollen. Wir begrüßen das, und wir fordern Sie auf, das Europäische Parlament gleichberechtigt mit der Kommission an diesen Beratungen zu beteiligen. Sie wollen auf dem Gipfel im März die Agenda 2000 verabschieden. Wir begrüßen das und hoffen, Sie haben Erfolg dabei!

Sie haben den deutschen Beitrag angesprochen. Sicher werden alle ihren Beitrag leisten müssen, um zu einer fairen Lösung zu kommen. Der Nettobeitrag Deutschlands ist sicher hoch. Hier muß es Korrekturen geben. Aber wir wünschen uns für die innerdeutsche Diskussion, daß von der Ratspräsidentschaft und ihren höchsten Vertretern auch einmal darauf hingewiesen wird, daß Deutschland beispielsweise im Jahre 1997 einen Handelsbilanzüberschuß von 81 Mrd. DM mit den anderen Partnern der Europäischen Union hatte. Das gehört zur ganzen Wahrheit auch dazu. Wir müssen es den Menschen sagen!

(Unruhe, Zwischenrufe)

Die hohe Arbeitslosigkeit ist auch für uns ein bedrückendes Problem. Hier müssen die europäischen Partner voneinander lernen, wie wir mehr Beschäftigung schaffen können. Aber wir warnen davor, den Eindruck zu erwecken, als wäre allein dadurch, daß man die Beschäftigungspolitik auf die Ebene der Europäischen Union hebt, eine Möglichkeit geschaffen, dieses Problem zu bewältigen, und dann, wenn man auf nationaler Ebene die Arbeitslosigkeit nicht bewältigen kann, Europa dafür verantwortlich zu machen. Europa darf nicht der Sündenbock werden! Eine Alibipolitik in diesem Bereich werden wir nicht mitmachen.

Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Die Vereinbarung der Koalition in Bonn – das hat eine europäische Bedeutung – sieht vor, daß in der nächsten Europäischen Kommission beide Positionen durch die Regierungsparteien besetzt werden sollen. Wir sagen es ganz klar: Wir hoffen, daß dies noch nicht das letzte Wort der Bundesregierung ist, aber sollte dieses deutsche Beispiel Schule machen und sollte die nächste Europäische Kommission politisch einseitig besetzt sein, dann wird die Europäische Volkspartei einer solchen Kommission ihr Vertrauen nicht aussprechen können. Wir bitten Sie, daß Sie das dabei berücksichtigen!

(Zwischenrufe)

Herr Ratspräsident, wir wünschen Ihnen bei Ihrer Präsidentschaft Erfolg, denn wenn Sie Erfolg haben, ist es der Erfolg Europas. Es ist unser gemeinsamer Erfolg für eine starke, demokratische, handlungsfähige Europäische Union, die es möglich macht, den Frieden und die Freiheit auf unserem alten, sich immer wieder erneuernden europäischen Kontinent im 21. Jahrhundert zu sichern.

(Beifall)

  Frischenschlager (ELDR). – Herr Präsident! Herr Ratspräsident Fischer, mit Ihren programmatischen Grundsatzaussagen kann ich mich durchaus identifizieren, und Sie entsprechen auch weitgehend lange vertretenen Anliegen der Liberalen Fraktion dieses Hauses. Aber auf eine Diskrepanz muß ich Sie aufmerksam machen, nämlich zwischen Ihrer heutigen Rede und dem Eindruck, den Ihr Bundeskanzler – der ja für die Europäische Union auch nicht unwichtig ist – in allen Debatten in Deutschland oder in Europa erweckt, nämlich als ob es nur die Nettozahler‐Debatte gäbe und daß das der entscheidende Punkt wäre, ohne den nichts anderes ginge!

Ich bedaure das, weil ich meine, daß Europa mehr ist als die Summe von nationalstaatlichen Interessen, und mich macht etwas nervös, wenn Ihr Bundeskanzler gestern noch zusätzlich betont hat, er möchte eine möglichst offene Vertretung der deutschen Interessen. Wir alle vertreten auch nationale Interessen. Aber als Motto einer Präsidentschaft halte ich das nicht für sehr geeignet! Deshalb meine ich, daß wir die Nettozahler‐Debatte sehr vorsichtig angehen müssen. Es ist völlig klar, daß diese Debatte wichtig ist. Aber ich bitte Sie, sie nicht an den Beginn unserer Reformdebatten zu stellen, sondern sie als Abschluß zu nehmen. Zunächst müssen wir klären, wie unsere Förderungssysteme aussehen. Dann müssen wir feststellen, welchen Finanzbedarf wir haben, und zum Schluß müssen wir klären, wie wir zu einem gerechten Lastenausgleich kommen. In dieser abschließenden Debatte, Herr Ratspräsident, werden Sie in den Liberalen sehr sachliche und der Gerechtigkeit verpflichtete Mitdiskutanten finden.

Zu Ihren weiteren Punkten möchte ich insbesondere Ihre Aussagen zur gemeinsamen Außen‐ und Sicherheitspolitik hervorheben und vor allem das, was Sie über Menschenrechte und die Verfassung der Europäischen Union gesagt haben. Da wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Aber passen Sie auf, daß Sie mit Ihrer Nettozahler‐Debatte nicht im Boot derer landen, die uns einreden wollen, in einem scheinbaren Europa der Vaterländer läge das Zukunftskonzept! Passen Sie auf, daß Sie sich nicht dort wiederfinden!

(Beifall)

  Collins, Gerard (UPE).(EN) Herr Präsident, die deutsche Regierung tritt den EU‐Ratsvorsitz in einer Zeit großer Herausforderungen an. Viele der grundlegenden europäischen Politiken werden derzeit im Zusammenhang mit der Agenda 2000 neu bewertet, die im Hinblick auf die bevorstehende Erweiterung der Europäischen Union umgesetzt werden muß.

Die erfolgreiche Einführung des Euro in den letzten Tagen sollte dem deutschen Ratsvorsitz klar vor Augen führen, daß die Stabilität der wichtigste Faktor für eine erfolgreiche Politik der Europäischen Union ist. Der Erfolg der einheitlichen europäischen Währung ist einer sorgfältigen und konsequenten Planung zuzuschreiben, und 290 Millionen Menschen in 11 Teilnehmerländern werden nun von den damit einhergehenden wirtschaftlichen Vorteilen profitieren.

Ich möchte betonen, daß sich die deutsche Regierung bei der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Reform der Strukturfonds sowie der zukünftigen Finanzierung der Union um ein ausgewogenes und unparteiisches Konzept bemühen sollte. Das partnerschaftliche Prinzip, nach dem alle europäischen Regierungen und alle EU‐Institutionen in die Gestaltung der zentralen politischen Elemente der Europäischen Union einbezogen werden, muß beibehalten werden.

Ich möchte als erstes auf die gegenwärtige Debatte um die zukünftige Finanzierung des jährlichen Haushalts der EU eingehen. Wir sollten nicht zulassen, daß die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik wieder in die Hände der einzelnen Mitgliedstaaten gelegt wird. Dieser Bereich wird einheitlich und europaweit umgesetzt. Würden die nationalen Regierungen nun gezwungen, bis zu 25 % ihres Agrarhaushalts dazu beizutragen, käme es zweifellos zu einer Fragmentierung und Verzerrung der GAP. Die jüngste BSE‐Krise und der Zusammenbruch des russischen Markts für EU‐Agrarprodukte hatten schwerwiegende Folgen für viele landwirtschaftliche Betriebe, insbesondere im Rindfleischsektor, und die teilweise Renationalisierung der GAP würde in der ohnehin schwierigen Situation zu noch größerer Unsicherheit führen.

Zweitens ist eine Reform der EU‐Strukturfondsprogramme nur möglich, wenn die vier Länder, die derzeit Leistungen aus dem Kohäsionsfonds erhalten, auch in Zukunft finanziell unterstützt werden. Die Europäischen Strukturfonds haben in erheblichem Maße zur Unterstützung der weniger entwickelten Länder und Randregionen bei der Vorbereitung auf die Vollendung des Binnenmarkts und der Einführung einer einheitlichen europäischen Währung beigetragen. Auch wenn wir in Irland mit unseren in den letzten Jahren erreichten wirtschaftlichen Fortschritten zufrieden sind, so muß diese Entwicklung erst noch gefestigt werden. Irland muß auch zukünftig an der Verbesserung der Infrastruktur für das Verkehrswesen und den Umweltschutz arbeiten, um in diesen Bereichen die europäischen Standards zu erfüllen. Auf diese Weise kann die irische Wirtschaft einen positiven Beitrag zum Wachstum in der Euro‐Zone leisten.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, daß die Situation in allen Ländern und Regionen am Rande der Union ähnlich ist und es sowohl für den Erfolg des Euro als auch für den Erfolg des Binnenmarkts von entscheidender Bedeutung ist, die wertvolle Arbeit der letzten Jahre durch die weitere Gewährung von Struktur‐ und Kohäsionsfondsmitteln zu verstärken, so lange, bis in diesen Regionen das durchschnittliche europäische Niveau erreicht ist.

  Moreau (GUE/NGL).(FR) Herr Präsident! Demokratie, grundlegende Menschenrechte, Frieden, multipolare Welt – alle diese von Ihnen angesprochenen Themen sind unserer Fraktion ein wichtiges Anliegen.

Fortschritte auf dem Weg zum Euro sowie die Integration können jedoch nicht per se die einzigen Instrumente zur Verwirklichung dieser Ziele bilden, für die zumindest eine neue, eine andere als die bisherige Ausrichtung erforderlich ist, die zu einem sozialen und demokratischen Defizit geführt hat, das von niemandem geleugnet werden kann. Bei einer sich weiter ausbreitenden Arbeitslosigkeit und Armut wird es kein wohlhabendes und friedliches Europa geben.

Der Gipfel in Pörtschach, auf dem der Beschäftigung und dem Wirtschaftswachstum hohe Priorität beigemessen wurde, bedeutete somit, daß sich der Ton geändert hat, was wir begrüßt haben. Leider hat sich dies auf dem Wiener Gipfel nicht in konkreten Taten niedergeschlagen. Der nächste Gipfel in Köln, den die deutsche Ratspräsidentschaft vorzubereiten hat, darf nicht wieder zu einer Enttäuschung führen. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stellt die Hauptsorge unserer Völker dar, und sie wird durch die vorhersehbare Verlangsamung des Wirtschaftswachstums noch verstärkt, so daß umfassende Maßnahmen notwendig sind.

Wir sind für den europäischen Beschäftigungspakt, doch dürfen wir es nicht mit bloßen Formeln genug sein lassen. Für die Möglichkeit einer Konsolidierung der Binnennachfrage, die die Grundlage einer gesunden Wirtschaft bildet, muß zunächst unbedingt der Schraubstock gelockert werden, den der Stabilitätspakt darstellt. Es ist eine Revision der Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Zentralbank erforderlich, weil die Preisstabilität nicht das Hauptideal der Europäischen Union bilden darf, weil die Bankiers nicht über so große Befugnisse verfügen dürfen, daß den demokratisch gewählten Regierungen nur noch die Aufgabe verbleibt, die in der Gesellschaft verursachten Wunden zu heilen.

Auf dem Wiener Gipfel hat unsere Fraktion in Anlehnung an die Empfehlungen von Gewerkschaften und Verbänden 13 Vorschläge vorgelegt, denen die deutsche Ratspräsidentschaft, wie ich mir wünsche, Rechnung tragen möge.

Hinsichtlich der künftigen Finanzierung der Union müssen wir uns meines Erachtens unbedingt von einer kleinlichen buchhalterischen Betrachtungsweise lösen. Europa kann sich nur auf Solidarität und Großzügigkeit gründen und darf nicht auf Egoismen und Engherzigkeit beruhen. Anstatt eine Verringerung der Agrarausgaben vorzusehen, die Frankreich und die südlichen Mitgliedstaaten treffen würde, was unsere Fraktion ablehnt, sollte doch vielmehr nach neuen Finanzierungsquellen, beispielsweise durch Besteuerung der Kapitalbewegungen, gesucht werden.

Abschließend möchte ich zwei außenpolitische Probleme ansprechen, nämlich die Rolle des Rates im Hinblick auf die Förderung des sich so schwierig gestaltenden Nahost‐Friedensprozesses sowie das Engagement des Rates für einen Erfolg des Friedensplans in der Westsahara, indem Druck auf die marokkanische Regierung ausgeübt wird, um sie zur Annahme der UN‐Vorschläge zu veranlassen, bis ein Referendum über gerechte und freie Selbstbestimmung stattfindet.

  Aelvoet (V).(NL) Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, Herr Parlamentspräsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie werden es mir glauben, wenn ich sage, daß für meine Fraktion ein besonderer Tag ist, der zur Geschichte der grünen Bewegung mit einem größeren G zählt und sogar einen Platz in der europäischen Geschichte der Gegenwart und Zukunft einnehmen wird.

Wenngleich nicht from a jack to a king , so regt doch der Aufstieg vom Straßenkämpfer zum Minister schon die Phantasie an. Kommt die Phantasie nun auch noch an die Macht und setzt sich durch, dann dürfen wir glücklich sagen: Herzlich willkommen Joschka Fischer! Ihre Anwesenheit hier als Vertreter des Rates hat eine hohe symbolische Bedeutung und ist ein vorläufiger Höhepunkt in der Geschichte einer Generation, die sich 1968 darangemacht hat, eine radikale Umwälzung der Gesellschaft in Europa und in der Welt herbeizuführen. Daraus sind viele Bewegungen hervorgegangen, die unter anderem zur grünen Strömung in Europa geführt haben. Und nun stehen wir hier in den europäischen Institutionen, natürlich an verschiedenen Orten, um Protest‐, Beschluß‐ und Führungskraft zu entwickeln. Aufgrund Ihrer langjährigen Erfahrungen werden Sie natürlich nicht erwarten, wir würden uns wie brave Chorknaben betragen, die nur das Hochamt der deutschen Präsidentschaft besingen. Feuer und Wasser, Sonne und Wind wird es geben und die Debatte spannend machen.

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird zum zentralen Thema der Präsidentschaft. Gelingt es, die europäischen Regierungen zu gemeinsamen, koordinierten Aktionen zu bewegen, dann kann die Massenarbeitslosigkeit erfolgreich angegangen werden. Der Gipfel von Luxemburg muß unbedingt überzeugend fortgesetzt und nicht von Wien über Köln nach Helsinki verschoben werden.

Wir begrüßen die deutsche Initiative für eine europäische Grundrechtscharta sowie das Eintreten für eine internationale Strategie zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen und deren Ursachen. Über solche Themen wie Asyl und Schengen sind wir schon weniger enthusiastisch, aber das Modell der doppelten Staatsbürgerschaft im deutschen Regierungsvertrag ist innovativ und kann als neues Moment in und für Europa ausstrahlen. Bezeichnenderweise halten es die Kollegen der CDU für opportun, diese innovative Initiative, die Mitbürgern zu politischen Rechten verhilft, mit einer Unterschriftenaktion massiv zu gefährden. Damit wird rechtsextremes Gedankengut faktisch hoffähig.

Natürlich erhoffen wir uns unter Ihrer Präsidentschaft Schritte in Richtung der Einführung einer europäischen Energiesteuer, mit der man von der tödlichen und arbeitsplatzvernichtenden Besteuerung der Arbeit abkommen könnte. Unsere allergrößte Sorge gilt allerdings der Zukunft der Agenda 2000. Natürlich bedürfen die überholte Ausgabenstruktur einer Evaluierung und die Agrarpolitik einer grundlegenden Reformierung. Das steht außer Frage.

Es stimmt, auch dem Europäischen Parlament fällt es schwer, etwas Kohärentes zu dieser Agrarreform auszuarbeiten. Das merken wir in dieser Woche. Aber die Hauptfrage lautet: Wie wird die Nettozahlerdebatte geführt? Es ist vollkommen richtig, wenn Sie sagen, die Lasten müssen anders verteilt werden. Aber es wäre eine regelrechte Katastrophe, wenn der Rat die Nettozahlerdebatte auf Kosten der Finanzplanung für die Erweiterung führen würde. Europa kann nicht alles zugleich wollen: sowohl Stabilität, keine Migrationsströme als auch eine Erweiterung, die auf die lange Bank geschoben wird und möglichst wenig kostet. Trotz dieser kritischen Worte wünschen wir Ihnen eine überaus erfolgreiche Präsidentschaft. Sie dürfen sich unserer kritisch‐konstruktiven Zusammenarbeit sicher sein.

(Beifall)

  Lalumière (ARE).(FR) Herr amtierender Ratspräsident, im Namen meiner Fraktion begrüße ich Sie und Ihre Präsidentschaft. Aus vielerlei Gründen weckt Ihre Präsidentschaft – die letzte während unserer Legislaturperiode – große Hoffnungen, die durch Ihre gehaltvolle und konstruktive Rede noch verstärkt werden. Sie wecken diese Hoffnungen zunächst deswegen, weil Deutschland ein großes, das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land Europas ist. Das ist zwar kein Grund, um Ihnen zu viel an Aufgaben und Verantwortung aufzubürden, aber ist eine Tatsache, die Sie ebenso wie wir zu berücksichtigen haben. Ferner wecken Sie Hoffnung und Interesse, weil Ihre Regierung und Ihre Mehrheit nach der langen Herrschaft von Kanzler Kohl an die Macht gelangen.

Unsere Fraktion begrüßt diese neue Linksmehrheit natürlich und hofft, daß man sich der sozialen Probleme wie Beschäftigung, soziale Gerechtigkeit und Bürgerrechte – ich denke hierbei insbesondere an die Bestimmungen über die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft – besser annehmen wird als in der Vergangenheit. Wir wissen aber auch, daß die europäische Bilanz des ehemaligen Bundeskanzlers recht bemerkenswert war und es nicht leicht sein wird, die Fackel zu übernehmen. Wir vertrauen auf Sie, Herr Ratspräsident. Wir wissen um Ihr persönliches Engagement und um Ihr entschiedenes Eintreten für die Sache Europas. Wir haben gehört, was Sie soeben gesagt haben.

Eine Politik wird jedoch bekanntlich nach Taten und nicht lediglich nach Worten beurteilt; wir sind daher gespannt, ob es Ihnen insbesondere bei den nächsten Tagungen des Europäischen Rates gelingt, bei einer Reihe noch anstehender Themen einen Durchbruch zu erzielen. Dabei denke ich insbesondere an das gesamte Finanz‐ und Haushaltskapitel im Rahmen der Agenda 2000. Ich denke an die Zukunft der großen Unionspolitiken wie beispielsweise der Gemeinsamen Agrarpolitik. Ich denke auch an die institutionelle Reform der Union, die, wie Sie selbst gesagt haben, eine unerläßliche Voraussetzung für ein Gelingen der nächsten Erweiterung bildet, zu der wir uns alle verpflichtet haben und die trotz aller anstehender Schwierigkeiten verwirklicht werden muß.

Lassen Sie mich auf das Finanzkapitel der Agenda 2000 zurückkommen. Die sich in Deutschland dabei ergebenden Probleme sind uns bekannt. Angesichts einer in ihren Augen zu hohen Belastung bringt die deutsche Öffentlichkeit in zunehmendem Maße zum Ausdruck, daß sie „die Nase voll hat”, was vor kurzem sogar die deutsche Presse veranlaßte, den an die Kommission wegen Verschwendung, Mißwirtschaft oder gar Betrug und Unterschlagungen gerichteten Kritiken neue Nahrung zu geben. Nach und nach wird alles – begründete Vorwürfe ebenso wie falsche Anschuldigungen – wahllos miteinander vermengt. Meine Befürchtung ist, daß dies zu einem Nachlassen des Engagements Deutschlands sowie des Geistes der Solidarität führt – der Solidarität mit den benachteiligten Regionen der Union, mit den Entwicklungsländern, mit den mittel‐und osteuropäischen Ländern.

Herr amtierender Ratspräsident, Ihre heutigen Worte sind für uns zwar beruhigend, doch möchte ich Sie dringend darum ersuchen, Deutschland den Ruf zu bewahren, den es seit dem 2. Weltkrieg besitzt, nämlich den Ruf eines erfolgreichen, starken, reichen und solidarischen, vor allem solidarischen Landes.

(Beifall auf einigen Bänken)

  Berthu (I‐EDN).(FR) Herr Präsident, Herr Fischer hat vorhin das Ziel eines vollintegrierten Europas vorgezeichnet, in dem die Nationen zu Großregionen degradiert und sämtliche wichtigen Entscheidungen mehrheitlich getroffen werden. Dieses integrierte Europa würde für uns einen Grundfehler bedeuten, da durch die Unterordnung der Nationen die Seele Europas zerstört würde. Meine Fraktion wird eine demokratischere Alternative vorschlagen. Als oberste Priorität für die unmittelbare Zukunft hat sich die deutsche Ratspräsidentschaft zum Ziel gesetzt, bis zum 25. März die Festlegung eines Finanzrahmens der Union zu erreichen, der eine Grundvoraussetzung für die Erweiterung ist, aber auch widerspiegeln wird, wie wir uns Europa für die nächsten Jahre vorstellen.

Was die Einnahmen betrifft, so stellt unseres Erachtens die Idee BIP‐bezogener EU‐Beiträge der Mitgliedstaaten die einzige einfache, transparente und vernünftige Lösung dar. Vor allem ist dies die einzige Lösung, die eindeutig dem Wesen der Union entspricht, d.h. einem Zusammenschluß von Ländern, der von seinen Mitgliedern Jahresbeiträge erhält, die aber auch die einzige Möglichkeit für die Mitgliedstaaten darstellt, die Ausgaben unter Kontrolle zu halten. Ein Ja zu anderen Beitragsformen, bei denen eine solche Möglichkeit der Kontrolle weniger besteht, wie beispielsweise auf europäischer Ebene erhobene Steuern, hieße, von vornherein die Augen vor künftigen finanziellen Entgleisungen zu verschließen.

Was die Ausgaben anbelangt, so sind wir mit dem Gedanken einer globalen Obergrenze für die tatsächlichen Ausgaben einverstanden, die mit der Zeit zu einer realen Ausgabensenkung führen würde. Ein Teil der europäischen Gelder ist unnötig, ein weiterer Teil wird verschwendet, und wieder andere Gelder gehen durch Betrug verloren. Zur Rettung des verbleibenden Teils ist eine striktere und ehrlichere Bewirtschaftung erforderlich, die jedoch ohne Festlegung einer Ausgabenhöchstgrenze nie zu erreichen sein wird. Unsere Fraktion hat insbesondere Zweifel an der Wirksamkeit der Strukturfonds in ihrem jetzigen Umfang, und hier sollte mit einem drastischen Zurückstutzen begonnen werden.

Des weiteren werden die europäischen Finanzen in den nächsten Jahren durch einen erheblichen Mangel an Kohärenz gekennzeichnet sein. Die einheitliche Währung wird zum Wegfall der über den Markt automatisch erfolgenden Anpassungen zwischen den nationalen Volkswirtschaften führen, die dann auf mittlere Sicht zwangsläufig durch zentral in Brüssel festgelegte finanzielle Umverteilungen ersetzt werden. Damit wird ein in steuerlicher Hinsicht sparsamer Anpassungsmechanismus durch einen steuerlich kostspieligen Mechanismus ersetzt. Es wäre an der Zeit, daß die Regierungen so ehrlich sind und ihren Bürgern sagen, daß diese Entscheidung zwangsläufig zu einer deutlichen Erhöhung des Gemeinschaftshaushalts führen wird.

  Martinez (NI).(FR) Herr Präsident, Herr Präsident Santer, Herr Präsident des Ministerrates! Unter Ihrer Präsidentschaft sind die Verhältnisse heute klar: Wir haben eine von Deutschland gewollte einheitliche Währung, eine Zentralbank in Frankfurt, deren Führungskräfte von der Deutschen Bundesbank kommen, eine Außenpolitik deutscher Prägung gegenüber dem Balkan sowie eine Öffnung nach Osten, bei der Deutschland der geopolitische Nutznießer sein wird. Es war infolgedessen normal, daß die rechtlichen Verhältnisse den Tatsachen angeglichen werden und Deutschland den Vorsitz in der Europäischen Union übernimmt!

Während Ihrer Präsidentschaft wird es also um die Themen Beschäftigung, GAP sowie natürlich um das gehen, was Deutschland interessiert, das heißt die Finanzierung der Europäischen Union. Bei dieser Finanzierung nun gibt es Schwierigkeiten. Der Befund ist bekannt: Es gibt die Gewinner Europas, die Kohäsionsländer, die jährlich 300 oder gar 600 Euro pro Kopf der Bevölkerung erhalten können, und dann gibt es die Verlierer, nämlich die Niederlande sowie Ihr Land, Deutschland; und als Franzose verstehe ich Sie voll und ganz, denn wir haben jährlich bis zu vier Milliarden Euro verloren, das heißt in einem einzigen Jahr soviel, wie eine Hochgeschwindigkeitsstrecke z.B. von Paris nach Bordeaux kostet. Natürlich ist mir bewußt, daß Europa auf der Solidarität beruhen muß. Herr Cohn‐Bendit praktiziert diese Solidarität übrigens sogar mit den Terroristen, zu denen er selbst gehört.

Nichtsdestotrotz werden sich die heutigen Ungleichheiten verschärfen und zu krassen Gegensätzen werden. Wie soll man den 6 Millionen französischen Arbeitslosen erklären, daß sie für die Irländer mit einer verhältnismäßig niedrigeren Arbeitslosenquote Opfer bringen sollen? Wie soll man den Frauen und Männern, die Opfer des Haushaltskürzungspakts sind, und den Armen erklären, daß sie im Namen der Solidarität noch ärmer werden müssen, wobei noch hinzukommt, daß Armut und Solidarität mit den Kosten für die Osterweiterung noch weiter wachsen werden?

Ich weiß, daß ein Kompromiß gefunden werden muß. Sie werden ihn mit der Renationalisierung der GAP, der Ausgabenbegrenzung usw. zu finden versuchen. Vielleicht wird Ihre Präsidentschaft mehr Klarheit schaffen können, denn Goethe starb mit den Worten: „Mehr Licht”. Dieses Mehr an Klarheit hieße, daß die Wahrheit gesagt wird, nämlich daß die Obergrenze von 1, 27 % des BIP nicht einzuhalten sein wird. Und Herr Santer hat diese Wahrheit ganz offen zum Ausdruck gebracht, in dem er sagte, daß Überlegungen zu einer gemeinschaftlichen Gesellschaftsteuer, zu einer gemeinschaftlichen Einkommensteuer angestellt werden. Und weshalb im Rahmen Ihres steuerpolitischen Unsinns nicht auch zu einer Ökosteuer?

Die Wahrheit ist folgende: Europa hat seine Kosten, und diese Kosten werden letztlich zu höheren Steuern führen.

  Anastassopoulos (PPE).(EL) Herr Präsident, an der Schwelle zum 21. Jahrhundert steht eine neue deutsche Präsidentschaft vor der Aufgabe, die aus der Vergangenheit resultierenden Probleme, die heute auftretenden Ängste und die sich für die Zukunft abzeichnenden Herausforderungen zu bewältigen.

In einer Welt, die sich in atemberaubender Geschwindigkeit verändert und in der sich alles wechselseitig beeinflußt, gibt es leider eine Konstante, die wir berücksichtigen sollten. Die Bürger Europas machen sich Sorgen um den Frieden, ihren Arbeitsplatz, um ihre Sicherheit und eine Europäische Union, die ihnen immer noch irgendwie abgehoben erscheint. Der Erfolg des Euro allein kann diese Sorgen nicht zerstreuen. Wir müssen die politische Union daher wirklich zu unserem Kompaß machen, aber vielleicht ist ein föderativer politischer Euro nötig, damit wir dieses Ziel irgendwann einmal erreichen.

Wie nun sollen die genannten Probleme gemäß dem Programm der deutschen Präsidentschaft angegangen werden? Wir haben heute eine wirklich schöne Rede gehört. Wohlformulierte Losungen, viele Erklärungen zu den vier Schwerpunkten und zu den zu ergreifenden Initiativen. Aber wieviel Substanz steckt dahinter? Wir sind nicht voreingenommen, Herr Ratspräsident, fühlen uns jedoch verpflichtet, Sie darauf hinzuweisen, daß große Probleme auch breit angelegte Politiken und die notwendigen Mittel zu deren Umsetzung erfordern. Mit vollmundigen Erklärungen lassen sie sich nicht lösen.

Die Idee eines Beschäftigungspakts hört sich zunächst einmal gut an. Aber wird sie ausreichen, um die Arbeitslosigkeit entscheidend abzubauen, vor allem die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen und Frauen, die trotz eines geringen Rückgangs in der letzten Zeit noch immer auf Europa lastet? Wir hegen da erhebliche Zweifel. Schön wäre es, wenn wir uns irrten. Aber wir möchten nicht, daß die Europäische Union auch für dieses große Problem zum Sündenbock gemacht wird.

Die Europäische Union könnte ihren Bürgern wirklich näherkommen, wenn die deutsche Präsidentschaft einen seriösen und aufrichtigen Dialog mit allen einleiten würde, anstatt Initiativen und Manifeste in Aussicht zu stellen, wobei ich die wirklich begrüßenswerte Idee einer europäischen Grundrechtscharta einmal ausnehmen möchte. Nötig ist ein Dialog ohne Widersprüche und ohne Heuchelei. Es geht nicht an, daß einerseits von einer Öffnung Europas die Rede ist und andererseits die Kürzung der ohnehin dürftigen Mittel, der Ausgaben und der Beiträge zum obersten Ziel gemacht wird.

Ist dies denn das große Problem, um dessen Lösung sich die deutsche und andere Regierungen so sehr sorgen? Aber, so heißt es, Deutschland zahlt doch 60 % der Beiträge. Das bezweifeln wir ja gar nicht. Allerdings haben uns weder Deutschland noch die Kommission jemals erklärt, welcher Nutzen diesen Zahlungen gegenübersteht. Das läßt sich durchaus makroökonomisch berechnen, so daß wir uns alle ein vollständiges Bild machen können. Dann werden wir auch wohlwollend das Problem der gerechten Lastenverteilung prüfen. Die Lösung besteht natürlich nicht in der Renationalisierung der gemeinsamen Agrarpolitik. Das wäre keine Revision, sondern ein Rückschritt.

Das gleiche gilt für die Erweiterung um die Länder Mittel‐ und Osteuropas und Zypern, dem jüngst abverlangt wurde, für das Land selbst schmerzhafte Beweise seiner Bereitschaft zu geben, diesen Prozeß zu erleichtern. Kann es denn sein, daß einerseits das vitale Interesse verkündet wird, möglichst schnell mit der Erweiterung voranzukommen, und daß andererseits die Mittel, die dies ermöglichen sollen, gekürzt werden? Das ist nur einer der zahlreichen Widersprüche, die das heute vorgetragene Programm kennzeichnen. Bereits vorher gab es Dinge, die viel Verwirrung gestiftet haben.

Trotz unserer politischen Differenzen sind wir jedoch bereit, mit der deutschen Präsidentschaft zusammenzuarbeiten, um die gemeinsame Sache Europa voranzubringen, um die institutionellen Reformen, die derzeit nötig sind, vorzubereiten und endlich eine gemeinsame Außen‐ und Verteidigungspolitik auf den Weg zu bringen und auszubauen. Meint die deutsche Präsidentschaft angesichts der im Juni anstehenden Europawahlen nicht, daß sie die Vorschläge des Parlaments für ein einheitliches Wahlsystem annehmen sollte? Dazu haben wir von Herrn Fischer in seiner heutigen Rede nichts gehört.

Wir wünschen Ihnen ganz aufrichtig, Herr Ratspräsident, daß Sie die selbstgesteckten Ziele erreichen mögen. Wir müssen Sie jedoch auch warnen: Nach Ihren ersten unklaren Äußerungen, den Konflikten und Widersprüchen gab es etliche Europäer, die begannen, sich nach Helmut Kohl zurückzusehnen. Achten Sie darauf, welche Politik Sie machen, damit die Zahl derer, die sich Helmut Kohl zurückwünschen, am Ende Ihrer Präsidentschaft nicht noch größer ist.

  Fischer, amtierender Ratspräsident. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich wurde gebeten, nochmal das Wort zu ergreifen, nicht zur Beantwortung, wobei es mich als Parlamentarier wirklich nachgerade juckt, direkt zu antworten auf viele der Beiträge, die ich hier gehört habe. Das will ich zum Ende der Debatte tun. Ich wurde gebeten, aus aktuellen Gründen als Vertreter der Präsidentschaft etwas zum Kosovo zu sagen.

Gestatten Sie mir, daß ich von der aktuellen Situation ausgehe. Wir sehen die Entwicklung mit sehr, sehr großer Sorge. Eigentlich sollte im Kosovo die politische Übergangsregelung nicht nur längst gefunden sein, sondern bereits implementiert werden, wie sie zwischen Holbrooke und der Regierung in Belgrad vereinbart worden war. Dieser Vereinbarung kommt für die zukünftige Entwicklung im Kosovo eine zentrale, eine überragende Bedeutung zu, denn ohne diese Übergangsvereinbarung wird es sehr, sehr schwierig, einen dauerhaften Prozeß des Nichtfriedens und schließlich einen dauerhaften Prozeß der friedlichen Vereinbarung und des Friedens zu erreichen.

Wir haben eine Zuspitzung der militärischen Konfrontation mit Entführungen, Anschlägen und Toten zu beklagen. Ich hoffe, daß die sehr zugespitzte Situation vom gestrigen Tag am heutigen Tag eine Lösung erfährt, eine Lösung, die nur auf dem Verhandlungswege erreicht werden kann. Gemeinsam mit unseren Partnern ist die Bundesrepublik Deutschland voll engagiert. Wir beteiligen uns sowohl an der zivilen Konfliktüberwachung im Rahmen der OSZE als auch an der militärischen unbewaffneten Luftraumüberwachung, die nicht nur Bestandteil der Gesamtüberwachung ist, sondern auch Bestandteil der Vereinbarung zwischen Holbrooke und der Regierung in Belgrad sowie der extraction force . Die extraction force ist nicht dazu da, den Prozeß der Konfliktüberwachung im Rahmen der OSZE durchzusetzen, sondern ist eine echte Notfalltruppe, eine Truppe, die vorgehalten wird, falls es zu einem echten Notfall für die zivilen unbewaffneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der OSZE kommt.

Entscheidend wird es sein, daß wir eine Vereinbarung bekommen, die eine friedliche Entwicklung ermöglicht. Ziel der NATO‐Drohung war es, eine humanitäre Katastrophe der albanischen Zivilbevölkerung im Kosovo abzuwenden. Dies ist zwar gelungen, aber jetzt müssen wir in der Politik vorankommen, und das ist unendlich schwierig. Zum Beispiel ist es auf der albanischen Seite schwer, eine gemeinsame Verhandlungsdelegation zu formieren, einer der wichtigen Punkte. Es ist unendlich schwierig, auch angesichts der gesamten strategischen Widersprüche, in der sich alle Beteiligten befinden. Die albanische Seite will die Unabhängigkeit, die westliche Staatenallianz will aus wohl erwogenen Gründen diese Unabhängigkeit nicht. Auch Belgrad möchte diese Unabhängigkeit nicht, aber die Herangehensweise, die schweren Verletzungen der Menschenrechte und der Minderheitenrechte der Mehrheit im Kosovo sind nicht zu akzeptieren. Es gibt auch Widersprüche in der Herangehensweise der westlichen Staatengemeinschaft, die die Situation noch zusätzlich komplizieren.

Dennoch, zu einer Stabilisierungsstrategie – und diese Stabilisierungsstrategie muß ausgehen von der Erfüllung des Vertrags von Holbrooke mit Belgrad – sehe ich nur schlimme und furchtbare Alternativen. Deswegen werden wir im Rahmen der Kontaktgruppe jetzt verstärkt vorgehen, nachdem Hill leider gescheitert ist mit seiner Pendeldiplomatie, noch vor Weihnachten, wie eigentlich im Vertrag vorgesehen, die dreijährige politische Übergangsregelung herbeizuführen. Lassen Sie mich noch in Parenthese anfügen, was das Wichtige an dieser politischen Übergangsregelung ist: Wir brauchen eine zivile, legitime Autorität im Kosovo. Ohne eine zivile legitime Autorität, das heißt ein Regionalparlament, eine entsprechende Exekutive und Judikative, eine entsprechende Polizei, eine entsprechende Justiz, ohne diese substantielle, politische, demokratisch legitimierte Autorität in der Provinz Kosovo ist auf Dauer ein Friedensprozeß schlicht und einfach nicht herstellbar. Deswegen kommt dem Erreichen und der Implementierung der politischen Vereinbarung eine solch überragende Rolle zu.

Ich möchte die Debatte hier nutzen, an alle Beteiligten zu appellieren, auch an die albanische Seite, sich diesem Prozeß nicht zu verschließen und sich vor allen Dingen strikt an die Regeln der Gewaltfreiheit zu halten. Gewalt wird die Probleme im Kosovo nicht lösen können, aber unendliches Leid verursachen. Wir versuchen, jetzt über die Kontaktgruppe voranzukommen. Es ist alles andere als einfach. Wir müssen nach der Entführung der serbischen Soldaten eine militärische Konfrontation verhindern, und ich hoffe sehr, daß wir sie auf dem Vereinbarungswege verhindern können.

Insgesamt aber, und damit möchte ich schließen, kommt der politischen Vereinbarung eine zentrale, eine überragende Bedeutung zu. Wir dürfen nicht vergessen, und das möchte ich hier im Europäischen Parlament ganz deutlich sagen: Der Kosovo ist ein Teil Europas. Die Probleme dort sind unsere Probleme, und die politische Lösung dieses Konfliktes – und daran hängt wesentlich mehr als nur der Konflikt im Kosovo – wird für die Entwicklung einer europäischen Außenpolitik, einer sicherheits‐ und außenpolitischen Identität an Entscheidung mehr bedeuten als viele Resolutionen, viele programmatische Erklärungen und Reden. Deswegen werden wir als Präsidentschaft, aber auch als Mitglied in der Kontaktgruppe alle unsere Kräfte dafür einsetzen, daß wir in diesem Prozeß vorankommen. Ich möchte aber nochmals betonen: Es wird alles andere als einfach!

(Beifall)

  Hänsch (PSE). – Herr Präsident, Herr Ratspräsident! Zum Kosovo hat es in der Vergangenheit zwar viele Unterschiede und auch Streit gegeben zwischen dem Rat und dem Parlament. Das wird auch in Zukunft so sein! Aber in der Kosovo‐Frage und den Möglichkeiten zur Lösung des Konflikts, die kommen muß, wissen Sie das Europäische Parlament auf Ihrer Seite, darauf können Sie sich verlassen!

(Beifall)

Zurück zur Agenda 2000. Ich freue mich zunächst einmal, daß Sie hier nicht die Buchhaltung der nächsten 6 Monate vorgetragen haben, sondern die Entscheidungen, die unter der deutschen Ratspräsidentschaft anstehen, in eine längere Perspektive der Entwicklung der Europäischen Union gestellt haben. Die Agenda 2000 ist ein Gesamtpaket, und Sie haben die Einhaltung des Zeitplans eingefordert. Meine Fraktion – und ich bin überzeugt, auch die Mehrheit des Europäischen Parlaments – will, daß der Zeitplan für die Verabschiedung der Agenda 2000 eingehalten wird.

Wir haben uns darauf vorbereitet, und wir sind in der Lage, im April/Mai die entsprechenden Entscheidungen zu fällen. Nur setzt das auch voraus, daß der Rat diskussionsfähig ist, denn das, was Sie auf dem März‐Gipfel vorlegen werden, muß zu einem großen Teil auch durch das Europäische Parlament. Es ist also gut, wenn der Rat vorher die Diskussionen mit dem Europäischen Parlament führt und nicht erst nachher, denn das könnte dann zur Konfrontation führen.

Der zweite Punkt: Wir betrachten die Agenda als Gesamtpaket, und ich halte das, was die Kommission vorgelegt hat, für einen guten Kompromiß, der variationsfähig und möglicherweise auch in einzelnen Punkten verbesserungsfähig ist. Dieses Gesamtpaket an sich ist jedoch nicht ersetzbar. Das wird die Grundlage sein müssen, auf die sich das Parlament und auch die Mitgliedstaaten einigen müssen.

Herr Ratspräsident, lassen Sie mich auch einiges mit Blick auf die Diskussionen in unseren Mitgliedstaaten sagen, auch über die innenpolitische Diskussion in unserem eigenen Land. Ich sage das auch den Kolleginnen und Kollegen, die immer die Solidarität der Bundesrepublik Deutschland einfordern. Es geht nicht, eine Reform der Agrarpolitik zu fordern und gleichzeitig innenpolitisch zu erklären, es bleibt alles so, wie es ist in der Agrarpolitik. Das geht nicht!

(Beifall)

Es geht nicht, die Strukturfonds reformieren zu wollen, sich auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu konzentrieren und gleichzeitig zu fordern, daß alle, die bisher von den Strukturfonds profitiert haben, diese 51 % der Bevölkerung, auch weiter davon profitieren. Auch das funktioniert nicht! Es geht nicht, zu sagen, der Finanzrahmen müsse eingehalten werden, und gleichzeitig mehr Ausgaben der Europäischen Union für die Osterweiterung zu fordern.

Es geht nicht, die Partner in der Union für die Osterweiterung gewinnen zu wollen, und gleichzeitig nicht nur Beitragsgerechtigkeit, sondern eine massive Reduzierung der Nettobeiträge zur Europäischen Union zu fordern. Man kann vieles erreichen, und man wird auch noch vieles erreichen müssen in den kommenden Verhandlungen bis zum März. Aber eines kann man nicht in Brüssel, nämlich die Grundrechenarten der Gemeinschaft außer Kraft setzen. Das gelingt nicht mal jemandem, der den Umgang mit Fundamentalisten gewöhnt ist. Wir sind darauf eingerichtet, daß wir das Gesamtpaket im April/Mai verabschieden. Und damit sind wir, Herr Ratspräsident, das einzige Parlament, das es riskiert, die ganzen Grausamkeiten, die mit der Agenda 2000 verbunden sind, vor einer Wahl zu beschließen. Wir möchten auch einmal honoriert wissen, daß wir diesen Mut zeigen! Helfen Sie uns auch ein bißchen mit dabei.

Wir brauchen Reformen der Agenda 2000, auch mit Blick auf die Finanzperspektiven, um die Europäische Union nach Osten erweiterungsfähig zu machen. Das ist nicht der einzige Grund für die Reform, damit wir uns hier nicht mißverstehen! Die Union müßte sowieso reformiert werden, aber wir brauchen die Reform auch, um die Union erweiterungsfähig zu machen, was die ganz große historische Aufgabe nach der Einführung des Euro sein wird.

Die Agenda 2000 ist nur ein Teil der Reform. Ich bin sehr froh darüber, daß Sie auch auf die institutionellen Reformen hingewiesen haben, die zusätzlich zur Agenda 2000 die Union erweiterungsfähig machen müssen, und daß Sie dafür die Umrisse einer Gesamtkonzeption gezeichnet haben. Lassen Sie mich auch ein paar Sätze zu dieser institutionellen Reform sagen.

Es ist ein Irrtum zu glauben, daß weniger Europa ein bürgernäheres Europa ist. Im Gegenteil! Eine Union, die in die Lage versetzt wird, die Dinge zu tun, die die Bürgerinnen und Bürger von ihr erwarten, ist bürgernäher als alle Erklärungen von Außenministerkonferenzen oder alle Subsidiaritätserklärungen in unseren Mitgliedstaaten. Je fester die Union ist, desto flexibler kann sie auch in ihren Entscheidungen und in ihren Institutionen sein.

Je stärker die Organe der Union sind, desto fester müssen sie auch demokratisch verankert werden. Ich sage das auch vor dem Hintergrund der Debatte, die wir in dieser Woche ja noch zu führen haben. Je glaubwürdiger die Organe sind, desto handlungsfähiger sind sie auch auf europäischer Ebene.

Welche Idee für Europa? Ja, es ist richtig, daß wir in den vergangenen vierzig Jahren Europa aufgebaut haben gegen die Wiederkehr der Vergangenheit. Das war richtig, das war gut so und das bleibt auch eine dauerhafte Aufgabe. Fünfzig Jahre Frieden im größeren Teil Europas sind vor dem Hintergrund einer tausendjährigen Geschichte europäischer Kriege eine sehr kurze Zeit und keine Sicherheit, daß das immer so bleibt, wenn wir uns nicht täglich neu um Interessenausgleich, um Verständigung, um gemeinsame Organe und gemeinsame Entscheidungen in der Europäischen Union bemühen. Das ist ein schwieriger Prozeß.

Ich würde mir wünschen, daß nicht immer nur die Parlamentarier und dieses Europäische Parlament, sondern daß auch die Regierungen in den Mitgliedstaaten die europäische Politik, die sie in der Woche in Brüssel beschließen, dann auch verteidigen – nicht nur sonntags, sondern auch wochentags. In unseren Mitgliedstaaten behaupten die gleichen Minister – ich meine jetzt nicht Sie persönlich, Herr Ratspräsident, aber es muß im Rahmen einer solchen Debatte ja auch mal hier gesagt werden –, die von Montag bis Freitag in Brüssel die ganzen Regulierungen, Verordnungen und Richtlinien beschließen, am Sonnabend und Sonntag, daß Brüssel wieder mal einen Unfug beschlossen hat. Das muß aufhören!

(Beifall)

So können Sie nicht weitermachen! So machen Sie die Bevölkerung, die Bürgerinnen und Bürger an Europa irre. Das gilt für die Regierungen aller Mitgliedstaaten und im übrigen auch aller parteipolitische Coleur, damit wir uns hier nicht mißverstehen.

Welche Idee steckt also dahinter, wenn wir wissen, daß wir Europa nicht mehr so sehr gegen die Wiederkehr der Vergangenheit einigen müssen, sondern sehr viel mehr für die Bewältigung der Aufgaben der Zukunft? Es geht nicht bloß darum, den Euro zum Erfolg zu machen, sondern auch die Folgen, die Lasten, die Risiken, die für die gesamte Europäische Union dadurch eintreten, daß wir jetzt eine gemeinsame Währung haben, zu bewältigen. Dazu gehört eine Grundidee, dazu gehört – explizit – eine Charta der Grundrechte. Ich möchte, daß das Europäische Parlament bei der Ausarbeitung dieser Grundrechte künftig eine ganz entscheidende Rolle spielt. Das wäre eine Aufgbe für das neu gewählte Parlament!

Die zweite Idee ist – es gibt sie ja, wir müssen sie nur formulieren und deutlich machen –, daß Europa ein immer wieder gefährdetes und immer wieder neu herzustellendes Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Leistungskraft, die wir brauchen, und sozialer Gerechtigkeit –, die die Grundlage für wirtschaftliche Leistung ist, darstellt und nicht bloß ein soziales Addendum. Europa, dieses immer wieder gefährdete, aber immer wieder auch neu zu findende Gleichgewicht zwischen der Freiheit für den Einzelnen, seiner Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit und seiner Verantwortung für das Ganze, für die Gemeinschaft. Das ist europäisch, das sind die Grundlagen, auf denen wir aufbauen und auf denen wir eine Europäische Union zimmern können, die handlungsfähig nach außen ist, die deutlich macht, daß Europa in der Welt eine Rolle spielt, nicht, um eine Rolle zu spielen, sondern um unsere Grundsätze, unsere große Tradition der Menschenrechte und der sozialen Rechte in die Welt hinauszutragen und an ihrer Verwirklichung mitzuwirken. Ein Europa, das in der Lage ist, nicht bloß den Verstand, sondern auch die Herzen der Menschen zu gewinnen. Herr Ratspräsident, helfen Sie mit, daß wir auf diesem Weg zum Ziel kommen!

(Beifall)

  Galeote Quecedo (PPE).(ES) Herr amtierender Ratspräsident, niemand kann bestreiten, daß die deutsche Präsidentschaft eine besonders anspruchsvolle Etappe verwalten muß. Ich hoffe und wünsche, daß wir in der Lage sein werden, das durch den gestellten Mißtrauensantrag entstandene Problem gut zu lösen. Ich sage das offen, weil niemand an einer weiteren Komplikation der Dinge interessiert ist, und meiner Meinung nach schon gar nicht die derzeitig amtierende Präsidentschaft.

Zu Beginn möchte ich bemerken, daß ich keine Schwierigkeiten habe, mit den von Herrn Fischer heute morgen dargelegten Prioritäten übereinzustimmen, das heißt, mehr Beschäftigung für ein Europa im globalisierten Wettbewerb. Es muß an dem in Luxemburg begonnenen Koordinierungsprozeß der Beschäftigungspolitiken sowie der Ingangsetzung einer aktiven Politik zur Schaffung von Arbeitsplätzen auf europäischer Ebene festgehalten werden – Sie erwähnten einen europäischen Beschäftigungspakt.

Was die außenpolitischen Beziehungen der Union betrifft, so unterstützen wir vorbehaltlos Ihren heute morgen erklärten Einsatz für die politische Union und in diesem Rahmen auch den Einsatz für den Beitritt der Staaten Mittel‐ und Osteuropas sowie Zyperns.

Zum außereuropäischen Raum ist es mein Anliegen, das besondere Interesse an der Entwicklung der Zusammenarbeit im Mittelmeerraum und in Lateinamerika zu unterstreichen, wozu in den nächsten Monaten wichtige Zusammenkünfte stattfinden.

Im Zusammenhang mit der Agenda 2000 darf Ihr Engagement – das wir teilen – für den Abschluß der Verhandlungen in diesem Halbjahr – wir hoffen darauf –, um Erfolg zu haben, folgende Prinzipien nicht aus den Augen verlieren: Erstens, alle Mitgliedstaaten müssen finanziell zur Erweiterung und den sich daraus ergebenden Kosten beitragen. Zweitens, die Union muß weiterhin die erforderlichen Mittel für die Umsetzung ihrer gemeinsamen Politiken erhalten, was die Respektierung der Finanzbeiträge bedeutet, die hinsichtlich der Kohäsion vereinbart werden. Drittens, wir müssen fähig sein, ein Einzahlungssystem zu erarbeiten, das die Beitragszahlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten besser widerspiegelt. Viertens, willkürliche Ausgabenkürzungen sind nicht akzeptabel. Fünftens, die Verhandlungen der Agenda 2000 haben eine Grenze, das ist die Einhaltung der Bestimmungen des Vertrages. Setzen Sie sich ein für die reale Konvergenz, Herr Fischer, das ist eine gute Investition für Europa. Ich schätze den Ton und die Ausgewogenheit Ihrer Worte und wünsche Ihnen viel Erfolg und Geschick.

  Cars (ELDR). – (SV ) Herr Präsident, in Europa ist es Winter geworden, aber die Kälte ist nirgendwo schwerer zu ertragen als unter den Zehntausenden, vielleicht Hunderttausenden von Kosovoalbanern, die vor den Handlangern Milosevics in die Berge fliehen mußten. Zurückkehrende Flüchtlinge müssen oft feststellen, daß ihre Häuser niedergebrannt und ihre Brunnen vergiftet sind. Außerdem kann man vermuten, daß die Kämpfe im Kosovo mit Beginn des Frühlings eher noch härter werden. Deshalb sollten wir uns noch einmal die Ursache für die derzeitige Situation vergegenwärtigen: die seit nunmehr zehn Jahren andauernde Unterdrückung der Kosovoalbaner, also 90 % der Bevölkerung des Kosovo, durch die Serben.

Europa hat geschwiegen, solange die Kosovoalbaner nur mit friedlichen Mitteln protestiert haben. Jetzt verlangen wir von ihnen, einen Frieden unter serbischer Oberhoheit zu akzeptieren. Die Fraktion der Liberalen und Demokratischen Partei Europas ist der Ansicht, daß die notwendigen Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen stattfinden müssen. Wir würden es begrüßen, wenn eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand schnell zustande käme, aber wir möchten keine Vorgaben festlegen, wie die endgültige Lösung des Konflikts für den Kosovo und die Kosovoalbaner auszusehen hat.

VORSITZ: GEORGIOS ANASTASSOPOULOS
Vizepräsident

  Papayannakis (GUE/NGL).(EL) Herr Präsident, Herr amtierender Ratspräsident, meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihrer Wahl und auch zur allgemeinen Ausrichtung Ihres Programms, mit dem ich weitgehend einverstanden bin. Ich hoffe, daß es in Gang kommt und umgesetzt wird.

Herr Minister, das Europa von gestern, das Europa des Nationalismus, der Teilung und des Anachronismus ist nicht geographisch zu orten, beschränkt sich nicht auf einige Staaten, sondern steckt in den Köpfen und in der Art, wie in ganz Europa und der Europäischen Union Politik gemacht wird, und genau da müssen wir es politisch bekämpfen. Das Europa von morgen, das Europa der Integration, wie Sie es ganz richtig nannten, muß allen seinen Bürgern wie auch allen Staaten und allen Nationen Europas Perspektiven eröffnen und anbieten.

Und da es, Herr Präsident, auch um den Kosovo und den Balkan allgemein geht, gestatten Sie mir die Bemerkung, daß dieses Europa von morgen, von dem wir sprechen, den Staaten und den Nationen dieser Region keinerlei Perspektive, keinerlei Vorschlag, keinerlei Platz für die Zukunft anbietet. Die Politik der Erweiterung schließt diese Region Europas nicht einmal als Fernziel ein. Ebendieses Defizit, Herr Präsident, kennzeichnet eigentlich das Europa von gestern, und ich bitte Sie, darüber einmal nachzudenken.

  Corbett (PSE).(EN) Herr Präsident, ich möchte eine Frage zur Geschäftsordnung stellen. Mit Ausnahme Ihrer Person scheinen kaum Mitglieder der Europäischen Volkspartei im Plenum anwesend zu sein. Boykottieren die Christdemokraten diese Aussprache?

  Der Präsident . – Herr Corbett, in dieser Debatte haben sich bereits einige Mitglieder der Europäischen Volkspartei zu Wort gemeldet. Was veranlaßt Sie also zu dieser Vermutung?

  Brok (PPE). – Herr Präsident, die Christdemokratische Fraktion ist zur Zeit in Beratungen, weil sie mit den Verhaltensmustern von zwei sozialistischen Kommissaren noch nicht ins Reine gekommen ist.

(Heiterkeit)

  Hänsch (PSE). – Herr Präsident, kann ich aus der Tatsache, daß Herr Brok hier ist, schließen, daß er mit dem Verhaltensmuster der zwei sozialistischen Kommissare einverstanden ist?

(Heiterkeit)

  Der Präsident . – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe nichts gegen derartige Debatten einzuwenden, aber sie sollten nur nicht zu lange dauern.

  Cohn‐Bendit (V). – Herr Präsident, lieber Herr Ratspräsident! Zuerst einmal zu unserer Institution: Ob jetzt die Fraktion der Europäischen Volkspartei mit zwei oder drei Leuten vertreten ist oder wir zu zehnt hier anwesend sind, wenn die Öffentlichkeit das Bild dieser wichtigen Diskussion sehen wird – egal welche Entschuldigung wir aufführen –, wird es Kritik am Europäischen Parlament geben. Wir sind immer schlau, wenn wir die Kommission und andere kritisieren, aber wir sollen unser eigenes Verhalten in Plenarsitzungen problematisieren. Das nur vorweg. Übrigens könnte Herr Poettering, der so schlaue Sätze sagt, die Namen Schmidhuber und Bangemann als Beispiel anführen, wie die Kommission auch schon mal besetzt wurde. Ich finde es unglaublich, daß gerade in dieser Situation, wo so viel über die Zukunft Europas diskutiert wird, eben die Fraktion der Europäischen Volkspartei und andere Fraktionen kaum anwesend sind. Aber das ist ihr Problem und nicht meines!

Ich möchte jetzt dem lieben Ratspräsidenten einfach drei kleine Anregungen geben, damit die deutsche Präsidentschaft so erfolgreich wird, wie er es sich wünscht. Erstens: Die Finalitätsdebatte ist wichtig und soll auch eine gesellschaftliche Auseinandersetzung nach sich ziehen. Aber die Europäische Union existiert heute und kann nicht nur auf die Finalitätsdebatte warten. Deswegen brauchen wir in Köln eine Entscheidung, eine Resolution, daß 2001, wenn es eine neue Regierungskonferenz gibt, auch eine Grundrechte‐Charta der Europäischen Union verabschiedet wird. Es kann keine neue Regierungskonferenz ohne eine neue Grundrechte‐Charta geben, ansonsten wird die Öffnung Europas nicht möglich und nicht sichtbar.

Zweitens: Es ist gefährlich, wenn die deutsche Ratspräsidentschaft – aus welchen Gründen auch immer – kein Wort über die Mittelmeerpolitik verliert. Es gibt nämlich eine Angst in Europa, die vielleicht unberechtigt ist, daß sich Europa und Deutschland nur noch nach Osten ausrichten und die Probleme der Beziehungen mit dem Süden vergessen. Deswegen halte ich es auch für wichtig, daß wir im Verhältnis zum Süden, zum Mittelmeer, auch die Frage der Menschenrechte mit Partnern wie Algerien wieder ins Zentrum der Diskussionen stellen. Es geht nicht nur um Terrorismusbekämpfung, sondern auch um die Frage der Menschenrechte, darum, wie ein Staat den Terrorismus bekämpft. Das ist die Zukunft der Demokratie, und das sollte man auch mit den Partnern im Mittelmeer und vor allem mit Algerien diskutieren.

Drittens: Zur berühmten Gretchenfrage in der Debatte um die Nettozahler und die Nettobeiträge. Man kann einer politischen Institution, welche das auch immer ist, nicht einfach mehr Aufgaben zuweisen und gleichzeitig ihren Handlungsspielraum durch finanzielle Kürzungen immer mehr einengen. Wir haben doch mit der Kommission in den letzten Tagen gesehen, wohin das führt. Die Kommission hat gesagt, wir haben zu wenig Leute für die Aufgaben. Dann kommt es zu den Problemen, die sich ergeben haben. Deswegen müssen wir klug nachdenken. Welche Reformen sind in der Landwirtschaft notwendig? Welche Altlasten müssen behoben werden? Wieviel muß England mehr zahlen? Mehr Gleichheit, mehr Gleichberechtigung, Ja, aber wir müssen auch fragen, wieviel die Union im Ganzen mehr zahlen muß, damit sie ihre Aufgaben wahrnehmen kann.

(Beifall)

  Dupuis (ARE).(FR) Herr Präsident, ich möchte zunächst dem amtierenden Ratspräsidenten für seine Rede und für seine Darlegung des Programms der deutschen Ratspräsidentschaft sehr herzlich danken. Schon lange haben wir hier im Europäischen Parlament keine Rede mit einer solch ehrgeizigen föderalistischen Zielsetzung mehr gehört. Meine Fraktion wird es nicht versäumen, der Präsidentschaft in den nächsten Wochen konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Aus zeitlichen Gründen kann ich sie jetzt nicht alle darlegen und werde mich daher auf nur einen Vorschlag beschränken.

In der internationalen Gemeinschaft gibt es heute über hundert Länder, die die Todesstrafe de facto abgeschafft haben, was somit der Mehrheit entspricht. Infolgedessen sind die Voraussetzungen gegeben, daß die UN‐Generalversammlung in diesem Jahr ein allgemeines Moratorium für die Vollstreckung von Todesurteilen verabschiedet. Wenn es möglich ist, möchte ich, daß uns die deutsche Präsidentschaft sagt, ob sie in den nächsten Wochen eine entsprechende Initiative zu ergreifen gedenkt, um einen Flopp wie im letzten Jahr zu vermeiden und nicht die Gelegenheit zu verpassen, die Voraussetzungen für die Verabschiedung eines allgemeinen Moratoriums für Hinrichtungen durch die UN‐Generalversammlung im Jahr 2000 zu schaffen.

  Kronberger (NI). – Herr Ratspräsident, Sie sind der erste Ratspräsident, dessen politische Legitimation auf der Öko‐Bewegung beruht. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß alle Formen der Politik und alle politischen Handlungen schon im Ansatz erfolglos und sinnlos sein werden, wenn die Grundsatzfrage, nämlich die Lösung der ökologischen Frage außen vor bleibt. Wir haben das 20. Jahrhundert fast hinter uns und stehen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Denken Sie nach: Wir können uns weder von der Ressourcenverschwendung noch von der Umweltzerstörung her das 20. Jahrhundert noch einmal leisten.

Ich frage mich, wo Ihr Einfluß für eine ökologische Zukunftsvision bleibt. Ich hoffe, Sie haben diese ökologischen Visionen, die Sie dahin gebracht haben, wo Sie heute sind, nicht abgestreift mit Ihren legendären Turnschuhen, und sie verschimmeln womöglich gemeinsam im Keller. Wenn dem so ist, holen Sie zumindest Ihre ökologischen Visionen wieder herauf!

  Van Velzen (PSE).(NL) Herr Präsident, der Gipfel von Luxemburg hat der nahezu unüberschaubaren Flut unverbindlicher Erklärungen zur Beschäftigung ein Ende gesetzt. Zumindest schien es so, als sei ihr ein Ende gemacht worden, denn wenn wir uns die Ergebnisse des Wiener Gipfels anschauen, dann sehen wir Stapel von Papier, die der Beschäftigung gewidmet sind, einem Bereich, der mir und allen sehr am Herzen liegt. Konkrete Beschlüsse aber sind nicht gefaßt worden, die derzeitige Präsidentschaft hat enorm viele Aufträge erhalten. Für deren Erledigung wünsche ich ihr natürlich viel Erfolg. Hoffentlich kann sie den Geist der Beschlüsse von Luxemburg wieder aufleben lassen. Das heißt Festlegung konkreter Ziele mit Hilfe von benchmarking , und zwar nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene. Luxemburg war ein Anfang, ein wichtiger Anfang. Zur Erweiterung und Vertiefung dieses Prozesses bedarf es jedoch noch wesentlich mehr.

Gegenwärtig sehe ich eine Art Verschleiß, wobei man einen bürokratischen Prozeß zur Umsetzung der bereits in Luxemburg verabschiedeten Beschlüsse einleitet, ohne der Erneuerung, auf die sie vornehmlich abzielen, besonders Rechnung zu tragen. Von den vielen Aufgaben dieser Präsidentschaft kann ich natürlich nur einige nennen. Der deutschen Präsidentschaft sollte es unbedingt gelingen, eine ernsthafte Koordinierung der Wirtschafts‐ und der Sozialpolitik zustande zu bringen. Bei ihrem Antritt im eigenen Land haben sie dazu meines Erachtens vielfältige erfrischende Auffassungen geäußert. Obgleich die Erwartungen mit dem Näherrücken der Präsidentschaft etwas gedämpft wurden, hoffe ich, daß diese Überlegungen, diese Politik, nicht ausschließlich für das Inland, sondern auch für Europa gelten. Nach meiner Überzeugung hat eine Koordinierung der Wirtschafts‐ und Sozialpolitik rein auf nationaler Ebene keinerlei Bedeutung, wenn Sie es nicht schaffen, diese auch in Europa festzuschreiben. Ich wünsche mir also, Sie mögen sich mit Ihren Bemühungen um ein Bündnis für Arbeit oder um Beschäftigungspakte auch auf europäischer Ebene sehr energisch und hoffentlich auch erfolgreich durchsetzen.

Obgleich mir die Beschäftigungspolitik am Herzen liegt, beschleicht mich so langsam das Gefühl, man wolle die gesamte Sozialpolitik ausschließlich unter Beschäftigung, unter Arbeitsmarktpolitik subsumieren. Sozialpolitik bedeutet aber mehr. Wir haben nie einen Beschäftigungspakt gefordert, vielmehr einen Pakt für Beschäftigung, Nachhaltigkeit und Solidarität. Das hier erscheint mir ein wenig wie die Suche nach dem dritten Weg, als sei Solidarität ein Tabu. Aber ich würde es überaus begrüßen, wenn es der deutschen Regierung gelänge, das Thema Solidarität zum festen Bestandteil der Tagesordnung zu machen. Zu unseren wichtigsten Aufgaben zählt auch die interne Kohäsion Europas. Bei all dem Geschwätz und Gefasel über die finanziellen Verpflichtungen scheint mir die Kohäsion als Zielstellung der Union viel zu wenig Beachtung zu finden. Daran hat meines Erachtens diese Präsidentschaft einen nicht unwesentlichen Anteil. Erfreulicherweise ergreift nach mir Herr Brok das Wort. Hoffentlich läßt er in seiner Rede durchblicken, daß die schwache Anwesenheit seiner Fraktion weniger ein Problem ist, wie es Cohn‐Bendit sieht, als vielmehr ein Problem für das gesamte Parlament. Es ist eine Schande, eine Präsidentschaft nicht als etwas anzusehen, das für das ganze Parlament und nicht ausschließlich für eine Fraktion steht.

  Brok (PPE). – Lieber Daniel Cohn‐Bendit, ich freue mich, Dich heute im Plenarsaal einmal begrüßen zu können.

(Zwischenrufe)

In diesen Tagen befinden wir uns in einer besonderen Situation. Herr Ratspräsident, ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, daß die Situation leicht verworren anmutet.

Die Opposition in Deutschland, die CDU/CSU, wird sich auch hier im Europäischen Parlament für eine Kontinuität deutscher Europapolitik einsetzen. Ich glaube, daß die Rede, die Sie heute gehalten haben, im Sinne dieser Kontinuität deutscher Europapolitik ist und die Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit in den nächsten Monaten bei einer Reihe von Inhalten bildet.

Wir möchten natürlich auch wissen, ob Sie der Ratspräsident fürs Äußere sind und der Bundeskanzler der wilhelminische Ratspräsident fürs Innere ist. Diese Widersprüche, die manchmal auftreten, müssen natürlich beseitigt werden. Herr Ratspräsident, Sie werden es schwerer haben, notwendige Kompromisse auf europäischer Ebene durchzusetzen, wenn in Deutschland eine andere Stimmung gemacht wird. Ich hoffe, daß Sie diese Dinge in Ordnung bringen können!

Ganz besonders danke ich Ihnen für Ihre Darstellung zur institutionellen Reform. Der Kölner Gipfel muß ein Mandat sein im Sinne von mehr Mehrheitsentscheidungen und für mehr Mitentscheidung und auch für den Grundrechtekatalog. Ich glaube, daß dies unter Einbeziehung des Europäischen Parlaments so präzisiert werden muß, daß wir in den nächsten zwei Jahren in diesem Bereich die notwendigen Schritte für die Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union zuwege bringen.

Sie müssen in Ihrer Ratspräsidentschaft eine Reihe von Dingen umsetzen, beispielsweise die Gemeinsame Außen‐ und Sicherheitspolitik. Ich möchte Sie bitten, bei der Bestellung des hohen Beauftragten und der Zusammensetzung der Planungs‐und Analyseeinheit mehr auf nationale Parlamente und das Europäische Parlament zu hören als vielleicht auf Ihre Diplomaten, damit dies für Europa ein Mehrwert wird und nicht zu einer Veranstaltung politischer Direktoren.

Ich möchte eine letzte Bemerkung machen: Die Beschäftigungspolitik ist eine wichtige Frage, darüber sind wir uns alle einig. Deswegen hat die alte Bundesregierung in Amsterdam und in Luxemburg der Koordinierung europäischer Beschäftigungspolitik zugestimmt und daran mitgewirkt. Aber mehr als Koordinierung, mehr als Zielsetzung und bench‐marking geht nicht, weil dafür die Instrumente fehlen. Man sollte nicht über den Beschäftigungspakt den Eindruck erwecken, als könne man eine gemeinsame Tarifpolitik von Finnland bis Portugal betreiben oder die Finanzierung von Arbeitsmarktpolitik vornehmen. Sie haben in Ihrer Rede von Arbeitsmarktpolitik gesprochen. Manchmal haben wir den Eindruck, daß einige Tage vor der Europawahl in der Beschäftigungspolitik eine große Show abgezogen werden soll, um daraus anschließend ein Alibi für nationale Wahlen vorzubereiten, weil man Europa verantwortlich macht für das eigene Scheitern in der nationalen Beschäftigungspolitik. Europa ist zu schade, um in eine falsche Verantwortung genommen zu werden.

  Roth‐Behrendt (PSE). – Herr Präsident! Die Sozialdemokraten können sehr gut klatschen, wenn die Verdienste von Herrn Kohl gewürdigt werden, aber trotzdem freuen wir uns, heute den Außenminister dieser Regierung hier zu begrüßen.

(Beifall)

Herr Fischer, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört, und bei der Qualität und der Dimension der Debatte, die wir hier führen, verbietet es sich für mich, jetzt damit zu beginnen, daß ich Ihnen auf den Weg gebe, welche Grenzwerte Sie verändern sollen und welche einzelne Umweltgesetzgebung dringend novelliert werden muß, auch wenn ich das gerne täte und im Detail natürlich auch könnte.

Ich möchte trotzdem einige Anmerkungen machen, die sehr gut in die Dimension passen, die Sie angesprochen haben. Wenn Sie über ein größer werdendes Europa, eine größer werdende Europäische Union und ein zusammenwachsendes Europa sprechen und wir dies alle wünschen, dann muß einiges sehr klar sein: Dann muß klar sein, daß es Querschnittspolitikbereiche geben muß und gibt, die auch als solche gesehen werden und anders behandelt werden müssen.

Mein Kollege Wim van Velzen hat die Sozialpolitik angesprochen. Das ist sicher ein Beispiel dafür. Ich bin in diesem Parlament für meine Fraktion verantwortlich für die Bereiche Umweltpolitik, Verbraucherschutz und Gesundheitspolitik. Wenn wir es ernst meinen mit dem Zusammenwachsen Europas, dann müssen wir es auch ernst meinen mit der Integration solcher Querschnittspolitikbereiche in andere Politikbereiche. Das bedeutet, daß Umweltpolitik etwa integraler Bestandteil von Verkehrspolitik, von Energiepolitik und von Wirtschaftspolitik sein muß – übrigens ist die Umweltpolitik auch ein Motor für die Beschäftigungspolitik. Dies wird zwar immer wieder als Lippenbekenntnis gesagt – auch von dieser Bundesregierung. Ich hoffe allerdings, daß nach diesen sechs Monaten auch erkennbar ist, daß aus dem früheren Gipfel von Cardiff und aus dem Gipfel von Köln mehr herausgekommen ist, daß wir dann tatsächlich sehen, daß eine integrale Gesetzgebung die Kommission verpflichtet, Umweltpolitik auch in andere Bereiche einzubeziehen, übrigens auch in Strukturpolitik.

Sie haben von Transparenz gesprochen, Herr Ratspräsident, und ich habe einen frechen Zwischenruf gemacht, für den ich mich entschuldige. Ich weiß, daß die Bürgerinnen und Bürger oft nicht wissen, wie die Gesetzgebung in der Europäischen Union zustande kommt. Sie wissen es übrigens aber auch in ihren Mitgliedsländer nicht ganz genau. Das heiße ich nicht gut, und deshalb begrüße ich, daß Sie für Transparenz eintreten. Doch Transparenz bedeutet auch, daß klar ist, was die Mitgliedsländer mit der Gesetzgebung der Europäischen Union machen, der sie einmal zugestimmt haben.

Wenn es so ist, wie es in Deutschland gang und gäbe war – was ja leicht nachweisbar ist –, daß Deutschland der Gesetzgebung – gerade im Umweltbereich – zwar zustimmt, sie dann aber nicht in nationales Recht umsetzt oder die Einhaltung der Vorschriften nicht kontrolliert, dann ist dies ebenfalls ein Verstoß gegen Transparenz, und ich bitte Sie, Herr Ratspräsident, dagegen ebenfalls etwas zu tun. Wenn wir für die Menschen in ganz Europa etwas tun wollen – das bedeutet, auch für all die Menschen in den Beitrittsländern –, dann müssen wir darauf achten, daß sie in einer lebenswerten Umwelt leben.

Wir haben heute viel über Außenpolitik gesprochen und über ganz große Zusammenhänge. Das macht mich immer ganz bescheiden, und ich werde immer ganz klein und versuche, gar nicht viel zu sagen, aber am Ende des Tages geht es immer um die Menschen, die in dieser Welt, in diesem Europa leben. Diese Menschen atmen, diese Menschen leben mit Essen, Trinken und müssen in der Umwelt existieren. Wenn wir es nicht schaffen, diese Umwelt lebenswert zu erhalten, dann können wir auch nicht mehr über Außenpolitik sprechen. Deshalb bitte ich Sie, Herr Ratspräsident, mit nach Hause und mit nach Bonn zu nehmen, daß Umweltpolitik ein Schwerpunkt der deutschen Politik und auch ein Schwerpunkt des Zusammenwachsens in Europa sein muß.

(Beifall)

  Fontaine (PPE).(FR) Herr Präsident, Herr amtierender Ratspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Präsidentschaft hat unter den besten Vorzeichen begonnen. Nach sozusagen einmütiger Ansicht – sei es in Europa oder selbst weltweit – war die Einführung des Euro ein Erfolg, der eine wirklich historische Etappe auf dem langen Weg des europäischen Aufbauwerks darstellen wird. Deutschland hat keine Mühen und auch keine Opfer gescheut, um zu diesem Ziel zu gelangen, und Sie werden, Herr Präsident, verstehen, daß ich bei meiner Anerkennung Bundeskanzler Kohl mit einbeziehe, der an diesem Kurs ebenso mutig wie entschlossen festgehalten hat.

Heute richte ich meine herzlichsten Erfolgswünsche an die deutsche Präsidentschaft, die eine schwere Verantwortung übernommen hat, denn in den kommenden sechs Monaten werden zahlreiche strategisch wichtige Entscheidungen zu treffen sein, die für die Gestaltung des künftigen Europas bestimmend sind, eines Europas, das wir selbstverständlich um die mittel‐und osteuropäischen Länder, die sich uns anschließen wollen, erweitern möchten, das aber nunmehr seine politische Dimension bekräftigen und mithin seine Institutionen erneuern muß, um den Erwartungen unserer Mitbürger besser gerecht werden zu können.

Ich habe, Herr Präsident, nach Ihren Worten den Eindruck, daß die prioritären Ziele Ihrer Präsidentschaft diesen Zielsetzungen weitgehend entsprechen. Zu zwei Projekten möchte ich Ihnen jedoch einige Überlegungen unterbreiten.

Erstens zur Vollendung der Agenda 2000. Wir befürworten Ihr Bestreben, zu versuchen, möglichst auf dem Gipfel am 24. und 25. März zu einem Abschluß zu gelangen. Es handelt sich um einen sehr straffen Zeitplan, wenn das Europäische Parlament die Möglichkeit erhalten soll, innerhalb eines Timing , das aufgrund unserer Wahlen im Juni dieses Jahres voraussichtlich sehr knapp und eng ausfallen wird, die ihm gebührende Rolle voll und ganz wahrzunehmen.

Ich bin ferner damit einverstanden, daß der künftige Finanzrahmen der Europäischen Union, die Reform der Strukturpolitik und die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik als untrennbares Ganzes behandelt werden müssen. Um zu den von Ihnen gewünschten nachhaltigen Lösungen zu gelangen, müssen die Sensibilitäten aller berücksichtigt werden. Wie Sie und wie wir wissen, sind einige Mitgliedstaaten – übrigens zu Recht – besonders sensibel gegenüber dem Problem des Finanzbeitrags, andere gegenüber den Fonds, welche in den letzten Jahren den Zusammenhalt unserer Gemeinschaft sichergestellt haben, und wiederum andere gegenüber den gemeinsamen Politiken, welche die Ausgangsbasis unserer Union bildeten. Sie werden sicher wissen, Herr Ratspräsident, was ich damit meine, nämlich die Agrarpolitik, und ich möchte Ihnen ganz einfach sagen, was ich darüber denke.

Die Einführung von Maßnahmen, die faktisch auf eine – selbst teilweise – Renationalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik hinauslaufen, wäre ein politischer Fehler, der das Ansehen unserer Union in den Augen einer erheblichen Zahl unserer Mitbürger stark beschädigen würde. Lieber Klaus Hänsch, selbstverständlich hat niemand je behauptet, es seien keine Reformen erforderlich, doch scheint mir das, was hier auf dem Spiel steht, wichtiger zu sein, als die nationalen Interessen irgendeines Landes, denn die Entwicklung des ländlichen Raums stellt für das Gleichgewicht unseres europäischen Raums eine unabdingbare Voraussetzung dar. Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Präsident, wenn Sie darüber nachdenken würden.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Institutionen. Wenn wir uns für ein zwar offenes, aber auch starkes und vereintes Europa entscheiden, sind entsprechende Institutionen erforderlich, damit dieses Europa handlungsfähig bleibt, da andernfalls, wie Sie gesagt haben, die Gefahr eines institutionellen Infarkts besteht. Die wichtigsten Punkte, auf die wir den Nachdruck legen müssen, haben Sie unmißverständlich dargelegt. Sie haben darauf hingewiesen, daß auf dem Kölner Gipfel eine neue Regierungskonferenz in die Wege geleitet werden soll. Ich möchte Sie allerdings fragen: Haben Sie nicht den Eindruck, daß das Verfahren der Regierungskonferenzen an seine Grenzen gestoßen zu sein scheint? Ich würde Sie bitten, Herr Präsident, uns zu sagen, ob es nicht kreativere Instrumente und Möglichkeiten für die Erzielung eines solchen Ergebnisses gibt.

Ich möchte Ihnen nochmals viel Erfolg für Ihre Präsidentschaft wünschen.

  Rehder (PSE). – Herr Präsident, Herr Ratspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Kollegen Brok, der schon auf der Flucht in den Fraktionssaal ist, möchte ich noch kurz nachrufen: Die SPD unterscheidet sich von der EVP und ihren deutschen Mitgliedern auch dadurch, daß wir nicht die Partei des schnellen Vergessens sind. Deswegen wundert es mich, daß sie nach 16 Jahren Regierung in Deutschland jetzt schon mal prophetisch davon sprechen, daß die amtierende Bundesregierung das Versagen in der Beschäftigungspolitik wird verantworten müssen. Das ist nun tatsächlich absurd, und das versteht im Grunde auch in Europa jeder.

Was manch einer in Europa nicht versteht, ist die Förderpolitik im ländlichen Raum, die Agrarpolitik. Wer im Zusammenhang mit der notwendigen Runderneuerung der Europäischen Union von einer Reform der Agrarpolitik spricht, muß zwei Dinge wissen: Erstens, diese Reform ist für sich allein überfällig und notwendig. Sie ist nicht deshalb auf die Agenda gesetzt worden, weil die gewünschte Osterweiterung vor der Tür steht. Zweitens muß gewußt werden, daß es dabei nicht nur, obgleich sie sehr wichtig sind, um Fragen der Agrarpreise, der Exporterstattung und der Ausgleichzahlungen geht. Es geht grundsätzlich um die Zukunft des ländlichen Raumes, der 80 % der Europäischen Union ausmacht, und dabei vor allem um die Frage, wie wir es schaffen, im Bereich der Landwirtschaft, aber auch unabhängig von ihr im ländlichen Raum Arbeitsplätze zu sichern, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Umwelt in Europa zu erhalten.

Diese Ziele sind in der europäischen Öffentlichkeit nicht umstritten. Zunehmend und mit Recht seit langem umstritten ist allerdings die Art und Weise, wie die Finanzmittel der Europäischen Union für diesen ländlichen Raum eingesetzt werden. Der Präsident des Europäischen Rechnungshofes hat vor kurzem darauf hingewiesen, daß immer noch ein unhaltbarer Zustand besteht, nämlich die Tatsache, daß 80 % der Mittel des europäischen Steuerzahlers für den ländlichen Raum, für die Agrarpolitik an nur 20 %, d.h. an die Wohlhabendsten verteilt werden. Dies versteht in Europa mit Recht keine Frau und kein Mann.

Einer der vorrangigsten Ziele der Agenda 2000 muß es deshalb sein, klarzumachen, daß auch im Agrarbereich Förderpolitik weitgehend Sozialpolitik sein muß. Es geht nicht an, daß ein Einkommensmillionär im ländlichen Raum, der seinen Betrieb in günstigster Lage durch massive Rationalisierung fast nur zu einem Ein‐Mann‐Betrieb gemacht hat, beste Kontakte zum Weltmarkt hat und beste Erlöse dort erzielt, immer noch den gleichen Förderanspruch hat wie ein Landwirt im benachteiligten Gebiet, der oft nur noch durch Selbstausbeutung in der Lage ist zu überleben.

Wir Sozialdemokraten neiden dem europäischen global player seinen ökonomischen Erfolg nicht. Wir fordern aber, daß derjenige landwirtschaftliche Unternehmer, der in benachteiligten Gebieten niemals dieser global player werden kann, den ländlichen Raum aber durch seine unschätzbaren ökologischen Dienstleistungen erhält, daß dieser Unternehmer für diese Leistung auch anständig – und anständiger als bisher nachprüfbar – unterhalten wird. Hier schließt sich der Kreis.

Herr Ratspräsident, Sie haben eingangs mit Recht gesagt, es muß nicht nur eine Solidarität mit den schwächsten Mitgliedstaaten geben, es muß auch immer eine Solidarität mit den Schwächsten in der sozialen Skala geben, und dazu gehören selbstverständlich auch die ländlichen Bereiche.

(Beifall)

  Bianco (PPE). – (IT ) Herr Ratspräsident, Sie haben wichtige Dinge gesagt, und ohne jeden Zweifel haben Sie ehrgeizige Perspektiven aufgezeigt: neue Regierungskonferenz, neue europäische Verfassung, selbständige und unabhängige gemeinsame Außen‐ und Verteidigungspolitik, Stärkung der WEU, Mehrheitsentscheidungen im Rat, Ausweitung der Rechte des Parlaments. Das sind sicher bedeutende Erklärungen, Herr Präsident, aber eben nur gute Vorsätze, und ein altes Sprichwort sagt, der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.

Die eigentliche Frage ist doch, wie die Konsequenz der von Ihnen gesetzten Ziele und die konkreten Entscheidungen, die zu treffen sich die deutsche Regierung anzuschicken scheint, miteinander in Einklang gebracht werden sollen. Diese Frage hat übrigens auch der ehemalige EP‐Präsident Hänsch in einem Interview für Die Zeit aufgeworfen. Einige Erklärungen von Bundeskanzler Schröder, die frostige Haltung einer Ihrer Minister zum Euro, die Forderung nach Kürzung der Nettobeiträge, die Drohung einer Reduzierung der Beiträge zugunsten der Länder des südlichen Mittelmeerraums, dies alles sind Symptome, die nichts Gutes verheißen.

Sie haben sicherlich einige dieser Zweifel ausgeräumt, was wir Ihnen meines Erachtens bestätigen müssen – doch die Zweifel sind immer noch berechtigt! Ich möchte Sie daran erinnern, Herr Ratspräsident, daß dieses Europa zu einem Großteil von einigen Führungspersönlichkeiten errichtet wurde, die aus einer bestimmten Kultur, der christdemokratischen Kultur kommen. Werden die sozialistischen Mehrheitsregierungen imstande sein, das Einigungswerk zu vollenden? Wir wünschen es uns. Ihre Vorausschau weist in diese Richtung, aber wir wünschen uns auch, daß Sie sich in dieser Richtung durchzusetzen vermögen.

Auch die Probleme der Arbeitslosigkeit können nur im europäischen Rahmen angepackt werden. Aber wie soll man die Arbeitslosigkeit angehen? Vor kurzem hörte ich die Ausführungen einer sozialistischen Kollegin, die abermals die Fragen der Druckausübung auf die Zentralbank aufgeworfen hat, wobei die Politik der gesunden Finanzen weniger streng gehandhabt und Verfahren bestimmt werden sollen, die sich an einem neuen Dirigismus zu orientieren scheinen. Sind dies etwa die Wege, die eingeschlagen werden können? Nein! Ich muß es noch einmal sagen, Herr Präsident, daß mich das Schweigen zur Mittelmeerpolitik, worauf schon Herr Cohn‐Bendit hingewiesen hat, befremdet. Im übrigen danke ich Ihnen für Ihre Erklärungen zum Kosovo.

Gestatten Sie mir nun noch eine letzte Empfehlung. Da der Sitzungspräsident griechisch spricht, möchte ich diese Empfehlung in lateinischer Sprache formulieren und sie dann mit einem Sprichwort übersetzen, das es auch im Deutschen gibt: „laus nova nisi oritur etiam virtus amittitur ”, zu deutsch: „Wer nicht vorwärts geht, der geht zurück ”. Ich denke, daß dies auch Europa passieren kann, wenn wir nicht vorwärts gehen.

  Der Präsident . – Ich möchte lediglich bemerken, daß der Präsident sowie zahlreiche weitere Kolleginnen und Kollegen übrigens Latein lernen mußten, um Jura zu studieren.

Es hat also niemand Probleme, Ihnen zu folgen.

  Colom i Naval (PSE).(ES) Herr amtierender Ratspräsident! In Ihrer Rede – einer eindeutig politischen Rede – haben Sie den Haushaltsaspekten große Bedeutung beigemessen. Gestatten Sie mir also, mit einem Hinweis zu beginnen: In der Europäischen Union wurden die großen finanziellen Übereinkommen durch die kleinen Staaten erreicht. Die geltende Finanzielle Vorausschau ist nicht in Edinburgh beschlossen worden, obwohl einige das glauben, sondern ein Jahr später in Brüssel unter der belgischen Präsidentschaft.

Die deutsche Regierung – die neue deutsche Regierung – steht vor der Herausforderung, diese Serie, diese Tradition zu durchbrechen. Und als Berichterstatter für die Agenda 2000 wünsche ich Ihnen alles erdenkliche Glück und viel Erfolg. Ich hoffe, wir werden es schaffen.

Ich habe mit großer Aufmerksamkeit zugehört, Herr Präsident, denn in Ihrem Prioritätenpapier werden zwölf Zeilen der Finanz‐ und Haushaltspolitik der Union gewidmet und im Rest wird eine Vielzahl von Politiken, von Hunderten von Politiken angesprochen, aber ohne Geld.

Der Europäische Rat von Wien hat beschlossen, daß die Agenda 2000 – ich zitiere – ”im Geiste der Solidarität und unter Gewährleistung einer strengen Haushaltsdisziplin” in Angriff genommen werden soll. Sie haben – ich habe es wohlwollend zur Kenntnis genommen – von einer gerechten Lösung gesprochen, die die schwächeren Mitglieder nicht benachteiligen soll, und Sie haben um die Unterstützung des Parlaments gebeten. Ich glaube, Herr Präsident, die Frage ist falsch formuliert. Die Unterstützung des Parlaments haben Sie. Die Frage ist: Haben wir die Unterstützung des Rates? Denn am 8. Dezember, Herr Präsident, mußte der Rat eine Mitteilung veröffentlichen, in der er bestätigte, daß er die an jenem Morgen mit der Kommission und dem Europäischen Parlament eingegangenen Vereinbarungen zu erfüllen und nicht inhaltlich zu entleeren gedenkt. Sie sind es, der Rat, der die Schwierigkeiten schafft, Herr Präsident. Strenge Haushaltsdisziplin ist kein Synonym für Sparen. Sie ist ein Synonym für maßvolle und effektive Verwaltung. Man darf die Begriffe nicht verwechseln. Außerdem kann es ohne das Parlament keine Finanzielle Vorausschau geben. Deshalb möchte ich Ihnen kurz einige Punkte in Erinnerung bringen, denen das Parlament besondere Bedeutung beimißt und die der Rat nicht immer richtig zu verstehen scheint.

In seiner Entschließung vom 4. Dezember 1997 sprach sich das Parlament gegen die nationalen Beiträge und gegen das Prinzip des gerechten Rückflusses aus. Sie sagten gerade, daß der Euro einen Fortschritt beim Aufbau einer neuen europäischen Souveränität bedeute. Haben Sie den Mut, auch einen Schritt weiter in diese Richtung europäischer Souveränität zu tun und einen wirklich europäischen Eigenmittelvorschlag vorzulegen. Erkennen Sie an, daß die Frage der nationalen Beiträge kein sehr europäischer Gedanke ist, sondern eher ein Rückschritt im politischen Aufbau Europas.

Das Europäische Parlament hat sich bereits für den Kohäsionsfonds ausgesprochen, wie dies auch die Europäische Kommission seinerzeit tat, und gegen die Kofinanzierung der GAP. Es wird ein höherer Grad an Flexibilität benötigt, Herr Präsident. Das Parlament hat seine Zweifel hinsichtlich der finanziellen Konsequenzen der in der Agenda 2000 vorgeschlagenen Reformen zum Ausdruck gebracht. Jetzt existiert die Stellungnahme des Rechnungshofs vom Dezember, Nr. 10/98, zur Agenda 2000, die noch skeptischer ausfällt. Es sind Flexibilitätsklauseln und ‐instrumente erforderlich. Hier spielt die Finanzielle Vorausschau mit hinein.

Schließlich, Herr Präsident, die Erweiterung. Sie ist ein großes Kapitel. Die jetzigen, die wir seinerzeit vom europäischen Aufbau ausgeschlossen waren, weil unser Land von einer Diktatur beherrscht wurde, sind eifrige Verfechter der Osterweiterung. Sie haben die entstehenden Kosten genannt, wenn die Erweiterung nicht stattfindet, und ich stimme dem zu. Aber glauben Sie, Herr Präsident, daß wir diese Erweiterung mit den kargen Mitteln vorbereiten können, über die wir im Finanzrahmen verfügen, indem wir Europa und die aktuellen Haushalte beschneiden? Ein territorial größeres Europa wird nicht mit einem etatmäßig kleineren Europa erreicht.

  Pack (PPE). Herr Präsident! Herr Ratspräsident! Ich möchte zu Anfang gerne noch einmal darauf hinweisen, daß zur Zeit, als der Herr Ratspräsident gesprochen hat, die EVP‐Fraktion fast vollständig hier war und daß Sie unseren vollen Applaus bekommen haben, auch den Applaus der deutschen Christdemokraten, weil Sie für das, was Sie gesagt haben – wenn Sie es auch tun – auch von uns Unterstützung bekommen werden. Deswegen ist diese Anmerkung von da oben nicht gerechtfertigt, und wenn ich mir ansehe, was bei den Sozialisten los ist, kann ich nur sagen, da sitzen vier mehr als bei uns, so toll ist das auch nicht.

Zurück zu unserer Debatte. Ich gehe nur auf einen Punkt ein, Herr Ratspräsident, auf das Thema Kosovo. Ich habe hier nach dem unrühmlichen Ergebnis der Verhandlungen zwischen Holbrooke und Milosevic gesagt, daß der Tag nicht allzu fern ist, an dem der Westen den Kosovo‐Albanern vorwerfen wird, daß sie nicht endlich nachgeben. Wie sehen denn die Fakten jetzt im Kosovo aus? Die vielleicht anfänglich abgezogenen serbischen Soldaten sind längst wieder zurück. Die serbische Polizei im Kosovo ist hoch gerüstet. Gezielte Angriffe auf albanische Dörfer und Zivilisten sind an der Tagesordnung. Reaktionen auf diese serbischen Terrorakte sind die verzweifelten und nicht immer akzeptablen Handlungen der UCK, welche aber vor allem ein Zeichen der wachsenden Ohnmacht und des Hilfeschreis der Albaner sind.

Wo ist ein Schritt in die politische Richtung, die Sie vorhin angemahnt haben? Wir mußten schon im Oktober 1998 feststellen, daß Milosevic diese politische Lösung nicht will. Er will den Kosovo ethnisch säubern, das Kräfteverhältnis zwischen Albanern und Serben zugunsten der Serben ändern. Er ist auf diesem Weg, Herr Ratspräsident und lieber Daniel Cohn‐Bendit, sehr erfolgreich. Flüchtlinge, wo wir hinschauen, nicht nur in den Wäldern, nicht nur in Albanien, nicht nur in Mazedonien. Auch in Bosnien sind Flüchtlinge aus dem Kosovo, und nach Deutschland und Italien kommen sie sowieso! Die OSZE‐Beobachtermission ist ein Witz und kann keinen Erfolg haben. Wir sollten diese Beobachter abziehen, sonst beherrschen nämlich die Nachrichten darüber, daß diese Herrschaften in Lebensgefahr schweben, die Medien, und nicht das Elend und die Not der Albaner, deren Leben schon seit neun Jahren in Gefahr ist.

Als Sie, Herr Ratspräsident, davon gesprochen haben, daß die extraction force in Mazedonien zum Schutz dieser OSZE‐Beobachter da ist, habe ich gemerkt, daß Sie dem Ganzen nicht ganz gleichgültig gegenüberstehen. Denn es ist doch ein Hohn in den Ohren derjenigen, die dort unten seit neun Jahren unter serbischer Apartheid leiden. Diese Truppen sind nicht zum Schutz der albanischen Zivilisten da, sondern zum Schutz der wenigen OSZE‐Beobachter, die im Grunde genommen besser da wären, wo sie herkommen, nämlich zu Hause. Sie können nämlich nichts tun dort.

Jetzt sind bekannterweise einige serbische Soldaten in albanischer Gefangenschaft. Was aber hat die Weltöffentlichkeit in den letzten neun Jahren getan? Hat sie aufgeschrien, wenn täglich Albaner gefangengenommen wurden, wenn täglich Albaner gefoltert wurden? Die Verhältnismäßigkeit, in der jetzt diskutiert wird, stelle ich in Frage. Die Kontaktgruppe hat in den letzten Monaten überhaupt nicht mehr kontaktiert. Ziehen Sie doch bitte die OSZE‐Beobachter ab und lassen Sie eine internationale Truppe inklusive russischer Soldaten für Frieden im Kosovo sorgen, damit eine politische Übergangslösung, die zu einer wirklichen Lösung in dieser Region führen kann, endlich eine Chance hat! Ansonsten werden wir auf Dauer das erleben, was wir tagtäglich durch die Medien erfahren.

  Swoboda (PSE). – Herr Präsident, Herr Ratspräsident! Auch ich möchte zum Thema Kosovo sprechen. Ich möchte zunächst sagen, daß auch ich und meine Fraktion Ihnen, Herr Ratspräsident, zu Ihrer Rede durchaus gratulieren können. Ich glaube, daß die von Ihnen angesprochenen Themen, gerade auch die außenpolitischen Punkte, jene Punkte und Akzente waren, die wir von einer deutschen Präsidentschaft mit Fug und Recht erwarten und auch erhoffen können.

Zur Frage Kosovo haben Sie sehr wenig Konkretes gesagt. Ich möchte Sie, Herr Ratspräsident, vielleicht zu noch ein paar zusätzlichen Bemerkungen ermuntern, um Ihre Position klarzustellen, insbesondere nach dem, was die von mir sehr geschätzte Frau Pack jetzt gesagt hat, weil ich hier inhaltlich nicht ihrer Meinung bin. Ich glaube, daß es dabei bleiben muß, daß wir nur eine Regelung im Kosovo haben können, die eine friedliche Regelung ist und die letztendlich – so schwierig das ist – im Konsens hergestellt wird. Wir werden uns darauf einstellen müssen, daß es Jahre dauern wird – es war ein großer Fehler, in Bosnien zu glauben, dies sei in wenigen Monaten zu bewerkstelligen –, hier einerseits den Serben zu sagen, daß ihre Agressionen nicht tolerierbar sind, aber auch der UCK zu sagen, daß ihre Aktionen, die sich ja auch gegen die Albaner und auch gegen Herrn Rugova richten, nicht hingenommen werden können. Wir haben hier in diesem Saal Rugova gefeiert, doch auf der anderen Seite – und das ist ein Widerspruch – unterstützen wir verbal die UCK in ihren Aktionen. Das ist nicht tolerierbar und nicht akzeptierbar, und dazu soll die Präsidentschaft sich klar äußern.

Zweitens: Herr Ratspräsident, Sie haben in vielen Interviews klar und deutlich erklärt, daß Organisationen wie die OSZE auch für Sie nicht irgendetwas Beiläufiges sind, etwas, was man zur Seite schieben kann. Jeder von uns kennt die Schwächen der OSZE, aber es geht doch darum, diese Organisation zu stärken und nicht darum, sie aufzugeben. Ich bin daher nicht der Meinung, daß sie abgezogen werden soll. Ich bin allerdings der Meinung, daß sie des Schutzes bedarf und daß man alles daran setzen muß, daß die Truppen, die in der Region sind, insbesondere in Mazedonien bzw. Fyrom, gestärkt werden und so auch die Möglichkeit haben, die OSZE zu schützen. Es wäre eine Katastrophe, würde die OSZE dort unter anderem deswegen scheitern, weil sie eben nicht genug militärischen Schutz erhält. Kosovo kann ein Beispiel sein, wie EU, NATO und OSZE zusammenarbeiten können und eine friedliche Lösung erreicht werden kann.

In einem dritten Punkt, Herr Ratspräsident, möchte ich Sie ebenfalls ganz klar unterstützen. Sie haben von den Gefahren gesprochen, denen der Multilateralismus durch eine Tendenz in Richtung Unilateralismus ausgesetzt ist. Ich gebe zu – und ich habe das auch einmal gegenüber dem Kosovo gesagt –, daß es Ausnahmesituationen geben mag, in denen man auch eine andere Entscheidung treffen muß. Doch die Tendenz mancher in Amerika, die Ausnahme zur Regel zu machen und die Regel zur Ausnahme, halte ich für ganz gefährlich.

Ein letztes Wort noch zu dem, was Sie zu Rußland gesagt haben. Es wäre eine große Aufgabe der deutschen Präsidentschaft, Rußland wieder als kooperationsfähigen und ‐willigen Partner in die Partnerschaft mit der EU einzubinden und auch wieder stärker in die NATO einzubeziehen, auch nach der jetzigen Krisensituation. Wir brauchen Rußland als Partner, da gebe ich Ihnen recht. Wir können uns jedoch nicht darauf verlassen und uns dem Wohl und Wehe der Entscheidungen Rußlands in einzelnen Fällen ausliefern, aber daß es unser Ziel ist, Rußland als tragfähigen Partner für eine neue Friedensordnung in Europa und darüber hinaus zu haben, muß ein wichtiges Anliegen der Ratpräsidentschaft sein.

  von Wogau (PPE). ‐ Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das bestimmende Ereignis beim Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft war sicherlich die Einführung der Europäischen Währung. Für Europa wurde damit eine neue Epoche eröffnet. Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen sagen, Herr Ratspräsident, ich persönlich hätte mich gefreut, wenn bei diesem wichtigen Ereignis am 31.12. des vergangenen Jahres auch der deutsche Finanzminister so wie die anderen Finanzminister anwesend gewesen wäre.

Welches ist jetzt die wichtigste Aufgabe, die vor uns liegt? Die Formulierung einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik für Europa, die gemeinsame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Zu der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gehören viele Dinge, die auf der nationalen Ebene gemacht werden müssen. Ebenfalls zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gehört die Sicherung des zukünftigen Wachstums. Hier müssen wir feststellen, daß es einige Besorgnisse gibt. Das deutsche Institut für Wirtschaft hat eine Prognose herausgegeben, wonach das Wachstum in diesem Jahr möglicherweise auf 1, 4 % zurückgehen könnte. Ich halte das für gar nicht ausgeschlossen. Aber über die Begründung, weshalb das so geschieht, muß man wohl diskutieren.

Zum einem wird die Weltwirtschaftskrise dafür verantwortlich gemacht, die Ereignisse in Asien, in Amerika und an anderen Orten. Nach meiner Überzeugung ist aber ein Teil dieser Wachstumsverzögerungen auch hausgemacht, denn hier liegt eine der großen Aufgaben der neuen Regierung der Bundesrepublik Deutschland, für die Unternehmen Klarheit zu schaffen, worum es denn eigentlich geht. Denn in Gesprächen, Herr Ratspräsident, mit vielen Unternehmern stelle ich eines fest. Wenn man die fragt: „Warum investiert du denn eigentlich nicht, obwohl die Zinsen so niedrig sind und die Rahmenbedingungen so günstig?”, hört man zunehmend die Antwort, „Solange die Rahmenbedingungen nicht klar sind, solange wir aus der Zeitung jede Woche etwas anderes hören, so lange investiere ich nicht.” Hier liegt eine der großen Aufgaben Ihrer Regierung.

Abschließend möchte ich noch einen weiteren wichtigen Punkt ansprechen, bei dem legislativ in diesem halben Jahr noch etwas geschehen muß. Die Einführung des Euro ist mehr oder weniger geklärt. Es bleibt eine Frage, die noch weitgehend offen ist, nämlich in bezug auf das Jahr 2002: Werden wir da eine Stichtagslösung bekommen oder eine Parallelphase zwischen zwei Währungen? Ich komme nach vielen Gesprächen mit Einzelhändlern, mit Handwerkern, mit Kommunen zunehmend zu der Auffassung, daß eine Parallelphase zwischen der nationalen Währung und der europäischen Währung zu unnötigen Kosten führen würde, die den Betroffenen nicht zugemutet werden können. Deswegen sollten wir gemeinsam – die Kommission, die Ratspräsidentschaft und das Europäische Parlament – noch in diesem Halbjahr eine Initiative ergreifen, um sicherzustellen, daß die Einführung der Scheine und Münzen am 1. Januar des Jahres 2002 in Form einer Stichtagslösung erfolgt.

  Rack (PPE). – Herr Ratspräsident, Ihre Rede zu den Zielen der deutschen Präsidentschaft hat wohl nicht nur bei mir gemischte Gefühle hinterlassen. Ihre Rede war gut und stark im visionären Teil – Europa der Integration versus Europa der Vergangenheit, Menschenrechte, institutionelle Reformen, Mehrheitsentscheidungen im Rat müssen die Regel werden, ein starkes Parlament. Warum – und in dieser aktuellen Situation ein doppeltes Warum – warum nichts zur Reform der Kommission, warum die ganz wichtige Komitologiediskussion völlig außen vor lassen? Ihre Rede hatte im übrigen auch im operationellen Teil sonst eher nur Dürftiges zu bieten.

Ein package deal im März für die Agenda, weniger zahlen, vor allem für die Nettozahler, Senkung der Agrarausgaben. Ich meine, daß der zwiespältige Eindruck, der aufgrund Ihrer Reden und den Aussagen anderer Mitglieder Ihrer Regierung in den letzten Monaten immer stärker geworden ist, auch bei dieser heutigen Rede durchkam. Ich kann nur hoffen, daß dieser Eindruck bei einem anderen Thema keine Rolle spielt, das auch Sie heute wieder angesprochen haben, nämlich die Erweiterung. Sie, Herr Ratspräsident, haben gesagt, zur Erweiterung darf es keine Alternative geben. Schröder hat in den letzten Monaten hier ganz andere Signale gesetzt. Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß das, was Sie im Namen der Präsidentschaft insgesamt verkündet haben, das offizielle Programm sein wird und stimmig bleiben wird.

Ihr Vorgänger im Vorsitz, die österreichische Ratspräsidentschaft, hat gerade in der Erweiterungsfrage ganz bewußt Signale gesetzt und durchgesetzt. Hoffentlich wird auch Ihre Politik sich als eine der konkreten Schritte in diesen Aspekten herausstellen, denn nur so können wir unser aller Leitlinie gerecht werden, die Sie auch angesprochen haben, nämlich daß das 21. Jahrhundert in Europa im Zeichen der Integration steht und nicht im Zeichen der Vergangenheit!

  Menrad (PPE). – Herr Präsident, Herr Ratspräsident, zu Recht haben Sie und hat die Bundesregierung die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zum zentralen Ziel der deutschen Präsidentschaft erklärt. Dabei kann es freilich nicht um milliardenschwere Subventionsprogramme gehen. Sie sind ungeeignet bei strukureller Arbeitslosigkeit. Der Bundeskanzler wählte kürzlich im Handelsblatt den richtigen Titel: Es kommt darauf an, die Beschäftigungspolitiken in der Europäischen Union aufeinander abzustimmen. Ich sage, besser aufeinander abzustimmen, denn die Welt muß nicht zum zweiten Mal geschaffen werden.

Bereits unter der letzten deutschen Präsidentschaft 1994 einigte man sich auf eine Koordinierung der nationalen Maßnahmen. Auf dem Luxemburger Sondergipfel unter Leitung von Jean‐Claude Juncker wurde dieses Essener Verfahren durch Leitlinien und nationale Aktionspläne verbessert, deren Nachprüfbarkeit in der Tat ausgebaut werden muß, lieber Wim van Velzen!

Ein weiterer Erfolg wurde 1994 mit der Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat erzielt. Hier geht es um Information und Konsultation der Arbeitnehmer, bei der von der Präsidentschaft zur Priorität erklärten Europäischen Aktiengesellschaft auch um die lange Zeit umstrittene Frage wirtschaftlicher Mitbestimmung. Als Verfahrensgrundsatz für die Europäische Aktiengesellschaft hat das Parlament das Erfolgsrezept des Europäischen Betriebsrats empfohlen: Flexibilität, Verhandlungen der Sozialpartner über die Mitbestimmungsrechte und bei ihrem Scheitern europäische Mindeststandards. Nach diesem Verfahren führte uns der österreichische Kompromißvorschlag bis 100 m vor das Ziel. Jetzt brauchen wir endlich eine politische Einigung im Ministerrat. Ich wünsche dem Verhandlungsgeschick von Arbeitsminister Riester einen ähnlichen Erfolg, wie ihn sein Vorgänger Blüm 1994 beim Europäischen Betriebsrat hatte.

  Fischer (PSE), amtierender Ratspräsident. – Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich mit den beiden Beiträgen zum Kosovo beginnen. Ich teile die Position der Abgeordneten Pack – so sehr ich ihr emotionales Engagement verstehe – überhaupt nicht, weil man einmal zu Ende denken muß, was die Konsequenzen ihrer Position sind. Die Konsequenz ihrer Position – also der Abzug der OSZE‐Mission – wäre meines Erachtens nichts anderes als Krieg. Das ist der entscheidende Punkt; es gäbe Krieg, wiederum mit einer Vielzahl von Opfern.

Ich will die Situation einmal historisch erläutern. Wir erleben doch seit 1989/1990, daß nicht gelöste Konflikte, die teilweise aus früheren Zeiten stammen, ‐ wir haben es hier mit den Ergebnissen des Balkankriegs vor dem 1. Weltkrieg zu tun – und Grenzziehungen aus der damaligen Zeit jetzt in Verbindung mit autoritären oder gar diktatorischen Regimen, die sich schwerste Menschenrechtsverletzungen zuschulden kommen lassen, zu einer Situation führen, in der, wenn das alte Europa noch Realität wäre, faktisch alles auf eine Kriegssituation hinausliefe, in der die neuen Grenzen unter Vertreibung, unter unsäglichen Opfern von unschuldigen Menschen, unter der Zerstörung von Sachwerten gezogen würden. Wir mußten das ja alles leider in Bosnien wieder erleben. Aber es würde ausgekämpft werden. Das war die europäische Logik der Vergangenheit, mit fatalen Konsequenzen. Denn diese Kriege werden in der Regel von der Seite internationalisiert, die zu unterliegen droht. Ein Bürgerkrieg wird in der Regel in seiner Logik immer zu einer Ausweitung führen, mit der Konsequenz, daß sehr schnell die Regionalmächte beteiligt sind, mit der Konsequenz, daß am Ende ganz andere Konflikte in dieser Region eine Rolle spielen, wo große, mächtige Staaten ebenfalls mit einer sehr eigenen Geschichte und noch nicht abgeschlossenen Interessenkonflikten, Grenzkonflikten unmittelbar hineingezogen würden. Das heißt, es würde ein großer Balkankrieg drohen.

Europa kann das nicht zulassen! Es wäre ein Rückfall in die Vergangenheit, und es geht nicht nur um die Zerstörung von Sachwerten, nicht nur um unsägliches Leid, sondern es wäre auch eine Zerstörung der europäischen Sicherheitsordnung und der Integration. Das dürfen wir nicht vergessen. Deswegen führt an einem Prozeß der Stabilisierung kein Weg vorbei. Allerdings: Ich frage mich, ist Europa denn stark genug, auch nur seine inneren Angelegenheiten zu regeln? Heute ganz offensichtlich noch nicht. Dazu gehört Konfliktprävention, ein sehr wichtiger Punkt. Was wird denn die Konsequenz – wenn ich das einmal untechnisch sagen darf – dieser Balkankriege tatsächlich sein? Sie werden faktisch eine Form von Verantwortungsübernahme durch die Europäische Union für die gesamte Region bedeuten.

Wir sehen das doch jetzt in Bosnien. Ohne die Arbeit des hohen Repräsentanten bis in die Details hinein, ohne die Anwesenheit der verbündeten Truppen, ohne die zivile Arbeit, ohne die Verantwortungsübernahme durch den hohen Repräsentanten der Europäischen Union wären wir dort wieder in einer Situation der Konfrontation oder gar der blutigen Auseinandersetzung. Das heißt aber für uns als Europäer – und das muß man nicht heute, aber irgendwann einmal zu Ende denken –, daß wir Antworten finden müssen. Auf dem Europäischen Rat in Wien fand eine erste sehr ausführliche, sehr offene und, wie ich finde, wichtige Diskussion beim Abendessen der Außenminister genau über diese Fragen statt. Wie wird denn die langfristige politische Strategie zur Lösung dieser Konflikte aussehen, die nicht zu Krieg, nicht zu Vertreibung, nicht zu Massenvergewaltigungen und Unterdrückung von Menschenrechten führt? Darauf müssen wir schnell eine Antwort finden.

Ich unterstütze nachdrücklich, daß wir uns in dem Zusammenhang auch verstärkt um Rußland bemühen. Ich finde die Haltung Rußlands im UN‐Sicherheitsrat gegenwärtig nicht sehr konstruktiv, weil sie im Grunde genommen noch orientiert ist an der alten Fixierung der Supermacht auf die andere Supermacht Amerika. Rußland hätte heute eine große Chance, wenn es eine konstruktive Rolle einnähme, die es bedauerlicherweise nicht nutzt. Wir versuchen in einem konstruktiven Dialog mit Rußland, in offener Diskussion aller Probleme hier voranzukommen. Wir halten es aber für äußerst wichtig, und da waren die Außenminister sich einig, eine zentrale Strategie zu entwickeln, wobei man das nicht in der traditionellen Kategorie der Hilfe betrachten kann – Rußland ist zu groß, als das man es unter dem Gesichtspunkt der Hilfe diskutieren kann, es ist ein viel zu wichtiger, zentraler Partner für die europäische Sicherheit, für europäische Stabilität. Aber wir halten es für absolut prioritär, hier eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.

Das steht nicht im Widerspruch – ich möchte mich bei all jenen bedanken, die darauf hingewiesen haben – zu den Problemen, die im Mittelmeerraum entstehen. Ich hatte jüngst Besuch von Außenminister Scharon, Präsident Arafat wird folgen. Die Kommissionsreise in den Nahen Osten wird im Februar stattfinden. Es ist die zweite Reise, und sie betrifft nicht nur Nordafrika, sondern eben auch den nahöstlichen Friedensprozeß. Immerhin ist dies die zweite Nachbarregion, auch wenn die Europäische Union dort die Rolle der Vereinigten Staaten nicht wird übernehmen können und auch nicht übernehmen will. Aber je weiter der Friedensprozeß – ich sehe tatsächlich nur schlechtere Alternativen zu diesem Friedensprozeß – vorankommt, desto mehr werden alle Beteiligten im Nahen Osten erkennen, daß wir Nachbarregionen sind. Welche Bedeutung die Europäische Union dann tatsächlich haben wird, bzw. diesen Prozeß zu verstärken, ist auch unser Augenmerk bei der Fortsetzung des Barcelona‐Prozesses in Stuttgart. Auch hier wäre jede Entgegensetzung zwischen Osterweiterung und den Problemen des Südens verderblich. Wir wollen Europa! Und Europa wird von den Interessen her anders zugeschnitten sein, als etwa Deutschland oder Spanien, um geographisch unterschiedliche Positionen zu benennen. Wir haben diese gemeinsamen Interessen. Das europäische Interesse ist ein gemeinsames Interesse und muß als solches auch zum Tragen gebracht werden.

Gestatten Sie mir nun, daß ich ganz kurz auf einiges, was ich hochinteressant finde, zusammengefaßt antworte. An der europäischen Orientierung der deutschen Politik besteht kein Zweifel. Das gilt auch für die Politik der neuen Bundesregierung. Wir stehen hier in der Kontinuität unserer Vorgänger‐Bundesregierungen, und Deutschland wäre von seiner nationalen Interessenlage her der große Verlierer, wenn wir hier etwas ändern würden. Wenn man den Begriff des nationalen Interesses noch als zeitgemäß betrachtet, so kann ich für die Bundesregierung nur sagen, der europäische Integrationsprozeß steht in unserem nationalen Interesse an erster Stelle. Das war vorher so, das ist auch heute so, weil sich unser Interesse nicht durch eine Änderung der Zusammensetzung der Mehrheiten im deutschen Bundestag geändert hat. Deutschland wird seiner europäischen Verpflichtung auch unter der neuen Bundesregierung nachkommen.

(Beifall)

Ich möchte Ihnen klipp und klar sagen: Was ich hier vorgetragen habe, ist die Haltung der Bundesregierung und des Bundeskanzlers. Wer gestern den Bundeskanzler in der Diskussion mit der Kommission miterlebt hat, der kann dieses nur mit allem Nachdruck bestätigen. Hier gibt es keinerlei Unterschiede. Wir vertreten als Bundesregierung einheitlich dieselbe Position. Es geht bei dem ganzen Reformprojekt, vor dem wir jetzt stehen, nicht um eine buchhalterische Betrachtung. Lassen Sie mich hier nochmals eindeutig die deutsche Haltung erläutern.

Wir müssen die Union erweiterungsfähig machen. Der nächste historische Schritt nach der Einführung des Euro wird die Erweiterung der Europäischen Union sein. Bedenken Sie, was es hieße, wenn die Europäische Union nach dem Ende des Kalten Krieges eine westeuropäische Union bliebe. Das wäre ein historisches Versagen sondergleichen und würde die Seele Europas, nämlich die Integrationsidee, verkümmern lassen. Abgesehen davon wäre es eine historische Ungerechtigkeit sondergleichen gegenüber den Beitrittskandidaten aus Mittel‐ und Osteuropa. Insofern werden wir jetzt alles tun müssen, um diesen Schritt voranzubringen.

Die zweite große historische Herausforderung, vor der wir stehen, ist die Herausbildung des politischen Subjekts der Europäischen Union. Ich persönlich glaube nicht, daß wir global player , wie das in Neudeutsch oder in Neueuropäisch heißt, währungs‐ und finanzpolitisch in der Weltliga spielen können, während sich gleichzeitig unsere politischen Strukturen in einer Dimension bewegen – ich möchte das jetzt zugespitzt formulieren –, die im Verhältnis zu dem, was wir währungspolitisch mittlerweile geschaffen haben, eher an die Kreisliga erinnert.

(Beifall)

Das wird Europa nicht guttun, und das wird übrigens auch der Stabilität der Währung nicht guttun. Deswegen bin ich der festen Überzeugung, daß wir hier jetzt als zweite wichtige historische Herausforderung die Stärkung der Europäischen Institutionen brauchen. Demokratie heißt für mich immer auch Stärkung der Demokratie. Das ist ein wesentlicher Punkt. Sie müssen mal bedenken: Vieles von dem, was jetzt sozusagen als deutsche Strategie dargestellt wird – ich komme gleich noch einmal darauf zu sprechen –, hängt mit einem Legitimationsdefizit in unserer nationalen Öffentlichkeit – ich spreche jetzt nur für unsere nationale Öffentlichkeit – zusammen, das man sich sehr sorgfältig anschauen sollte, wenn man Interesse an einer Fortentwicklung der Europäischen Institutionen, das heißt auch als demokratische Institutionen, hat.

Diesen zwei zentralen Herausforderungen müssen wir jetzt gerecht werden. Wie können wir denen gerecht werden? In der Vision der Herausbildung eines politischen Subjekts Europas: Erweiterung und Stärkung dieses politischen Subjekts, indem wir die Hausaufgaben, die jetzt auf dem Tisch liegen, anpacken. Der Rat in Cardiff hat ja das Datum des Sondergipfels März auch und vor allem deswegen gesetzt, weil drei Dinge hinzukamen: Der Vertrag von Amsterdam soll in Kraft treten und wird den Reformdruck, nicht nur die Handlungsfähigkeit, noch erhöhen. Die Europawahlen finden im Juni statt. Das Europäische Parlament muß aber ebenfalls seine Arbeit in der Umsetzung der Reform der Agenda 2000 noch machen können. Wir brauchen hier auch Haushaltsentscheidungen bis zum Jahresende, bei dem Neuzuschnitt von Fördergebieten und ähnliche Dinge mehr.

Insofern war dieses Datum also bewußt gesetzt worden. Aber es geht in der Perspektive der historischen Herausforderung, also Erweiterung und gleichzeitig Bildung des politischen Subjekts, auch noch um die Frage, daß die institutionellen Reformen dann von den folgenden Präsidentschaften angegangen werden, um das Zeitfenster, das wir haben, zu nutzen.

Die neue Bundesregierung hat sich unter für uns sehr schwierigen Bedingungen – wir sind erst vor kurzem ins Amt gekommen, dies heißt auch einiges für das europäische Geschäft – bereiterklärt, die Agenda 2000 zu unserem Schwerpunkt in der Präsidentschaft zu machen und auf dem Sondergipfel im März eine Vereinbarung zu erreichen. Ich versuche mir mal vorzustellen, es würde scheitern. Am 26./27. März früh morgens träten dann also die Staats‐ und Regierungschefs vor die Öffentlichkeit und würden ein Scheitern erklären. Das wäre diesmal direkt an den Börsenkursen abzulesen. Das wäre nicht einfach nur eine Entscheidung wie in der Vergangenheit, wo ein Gipfel mal scheitert. Der 1.1.99 hat hier eine neue Qualität geschaffen und damit auch eine neue Verantwortung. Ich denke, alle wissen um diese Verantwortung.

Es wird nur funktionieren können – da komme ich auf das liebe Geld zu sprechen –, wenn alle bereit sind, von ihrem nationalen Interesse, das völlig legitim ist – übrigens auch für Deutschland völlig legitim ist, denn Europa funktioniert im Spannungsverhältnis der Formulierung der nationalen Interessen, die im Kompromiß der Integration gebrochen werden. Es wird also nur funktionieren können, wenn dieses nationale Interesse in einem substantiellen Schritt aufgegeben wird, von allen, gleichgewichtig. Wir wollen eine gleichgewichtige Lösung, und es kann nicht sein, ich habe es vorhin in meiner Rede gesagt, daß etwa der Süden die Osterweiterung bezahlen soll. Das wäre absurd. Die Süderweiterung – übrigens auch der Beitritt Irlands – war ökonomisch und ist ökonomisch, ist sozial, aber auch demokratisch und sicherheitspolitisch, eine Erfolgsgeschichte, die wir jetzt mit der Osterweiterung wiederholen wollen und wiederholen müssen.

Ich bin alt genug, ich kann mich an den Militärputsch in Griechenland erinnern. Ich kann mich an die Militärdiktaturen in Spanien und Portugal erinnern. Ich kann mich an die Diskussionen, ob es in Italien in den 70er Jahren einen Militärputsch gegeben hat – ja oder nein – noch sehr gut erinnern. Das alles ist Geschichte. Die europäische Integration ist hier eine Erfolgsgeschichte, und diese müssen wir wiederholen, dem müssen wir uns verpflichten!

(Beifall)

Die Rolle, die Deutschland spielt, ist auch Ausdruck unserer Wirtschaftsstärke, und über seine Wirtschaftsstärke soll man sich nicht beklagen, sondern freuen. Wir wissen, was wir unter vielen Gesichtspunkten, nicht nur materiell, sondern auch politisch‐kulturell vor dem Hintergrund unserer Geschichte, was wir Europa zu verdanken haben. Das weiß auch die neue Bundesregierung und wird deswegen an ihrer europäischen Verpflichtung festhalten. Ich vergebe mir überhaupt nichts, wenn ich sage, ich habe die Politik in diesen Teilen, vor allem die Europapolitik von Bundeskanzler Kohl, aus der Opposition heraus, auch wenn ich an dem einen oder anderen Punkt Kritik hatte, in den wesentlichen Teilen unterstützt. Daran finde ich nichts Ungewöhnliches, sondern wenn man von einer Sache überzeugt ist, gehört das für mich zum Parlament dazu, vor allem, wenn es um historische Fragen geht.

Meine Fraktion im Deutschen Bundestag war die erste in der letzten Legislaturperiode, die sich für das Europa der Elf ausgesprochen hat, die für eine Teilnahme Italiens war, als andere, wie Bundeskanzler Kohl, noch lange nicht bereit waren, dieses zu tun. Die 3, 0‐Debatte und was sich dahinter verborgen hat, auch all diese Dinge wurden von uns kritisiert, also ich habe hier, ich sage es ganz offen, weder Nachholbedarf noch scheue ich mich, Helmut Kohl dafür zu danken – er ist zu Recht zum Ehrenbürger Europas auf dem Europäischen Rat in Wien ernannt worden. Nur seit Amsterdam hat diese Rolle nicht mehr gestimmt.

In Amsterdam war die Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal Bremser.

(Zwischenrufe)

Das dürfen wir nicht vergessen. Und die Koalition – mir geht es jetzt nicht um Innenpolitik, sondern um Europapolitik – ging mit einer Position in den Wahlkampf – das wissen Sie besser als ich –, die in sich nicht mehr widerspruchsfrei war. Diese Position war: schnellstmögliche Osterweiterung, Deutschland will weniger bezahlen, und die deutschen Bauern sollen mehr bekommen. Das geht in dieser Welt mit den Gesetzen der Logik nicht zusammen. Deswegen müssen wir hier die deutsche Position klar und widerspruchsfrei bestimmen, und das habe ich heute getan im Namen der Bundesregierung.

Für uns ist es keine Frage, daß wir uns aus der Nettozahlerposition verabschieden wollen. Es ist keine Debatte für uns zwischen den Ländern, die an der Spitze stehen, und den ärmeren Ländern. Aber es ist offensichtlich, daß im System Ungleichgewichte eingetreten sind, die korrigiert werden müssen. Es ist für einen deutschen Politiker in der Innenpolitik schwer darzustellen, warum Länder, die vom Bruttosozialprodukt pro Kopf ein höheres Einkommen haben als wir, weniger bezahlen oder gar keine Nettoleistung haben. Das sind alles Dinge, die natürlich in der Innenpolitik eine Rolle spielen. Ich muß das den deutschen Kolleginnen und Kollegen nicht sagen, aber für die anderen Damen und Herren Abgeordneten ein Hinweis: Die Europapolitik in Deutschland war, bedingt durch die Sondersituation in Westdeutschland nach dem zweiten Weltkrieg, eigentlich unstrittig und stand allein im Ermessen der politischen Klasse – bis Maastricht. Mit Maastricht ist das anders geworden. In Zukunft wird wie in allen ihren Heimatländern, in allen ihren eigenen Demokratien, jede deutsche Regierung das Volk mitnehmen müssen. Das war vorher eine Selbstverständlichkeit, bedurfte keiner besonderen Beachtung, das wissen die deutschen Kolleginnen und Kollegen nur zu gut. Das ist seit Maastricht anders geworden.

Deswegen gewinnt die Nettozahlerdebatte natürlich auch eine innenpolitische Dimension, die man nicht vergessen darf und die ich für völlig legitim halte. Aber das entscheidende Problem für uns ist: Wir wollen die Strukturen erweiterungsfähig machen. Meine Sorge ist weniger der heutige Ist‐Zustand, der einen Korrekturbedarf klar signalisiert, als daß, wenn wir die heutige Struktur so belassen wie sie ist, wir bei der Lastenverteilung im Zusammenhang der Erweiterung natürlich Ungleichgewichte bekommen, die dann schlicht und einfach nicht mehr hinnehmbar und dann auch nicht mehr darstellbar sind. Da ich die Erweiterung will, brauche ich auch an diesem Punkt die Korrektur. Ich finde dieses politisch wohlbegründet und keineswegs gegen Europa gerichtet oder nationalegoistisch, sondern gerade das Gegenteil. Es ist ein zentraler Punkt der notwendigen Strukturreform.

Wir werden, um die Agenda 2000 hinzubekommen, alle Aspekte auf den Tisch legen müssen – es sind fünf Teilpakete. Die Frage der realen Konstanz, der Haushaltskonstanz wird einen Kompromiß erfordern. Es gibt fünf Interpretationen, ich denke aber, man wird dort einen Kompromiß finden. Der deutsche Finanzminister hat gestern gesagt, es kann nicht sein, daß der EU‐Haushalt schneller wächst als die nationalen Haushalte. Es ist ein Hinweis, der in der Diskussion sicher von Bedeutung sein wird. Wir legen natürlich auch großen Wert auf die Frage der Struktur des Haushaltes. Es wurde ja vorhin darauf hingewiesen, daß 80 % der Fläche der Europäischen Union ländlicher Raum sind, aber es leben nicht 80 % unserer Bevölkerung in diesem ländlichen Raum, das dürfen wir nicht vergessen.

Der zweite Punkt, um den es in diesem Zusammenhang gehen wird, ist die Gemeinsame Agrarpolitik. Bei der Gemeinsamen Agrarpolitik liegen die Vorschläge der Kommission auf dem Tisch. Lassen Sie mich hier nochmals zu der Frage der Renationalisierung der Agrarpolitik ein Wort sagen: Es geht nicht um die Renationalisierung der Agrarpolitik bei der Kofinanzierung. Wenn das gemeint wäre, hielte die Deutsche Bundesregierung dies für falsch. Wir wollen keine Renationalisierung oder Teilrenationalisierung der Agrarpolitik. Deswegen: Bei der Kofinanzierung geht es um einen nationalen Beitrag. Die politische Entscheidung bleibt auf der Ebene Brüssels. Das ist wichtig festzuhalten. Insofern ist jede Renationalisierung ausgeschlossen. Wir wollen dieses auch nur bezogen auf die direkten Einkommensbeihilfen. Das ist der zweite wichtige Punkt. Und hier einen nationalen Finanzierungsbeitrag zu haben, halten wir auch unter dem Gesichtspunkt der zukünftigen Europäischen Union, der erweiterten Europäischen Union und der Zukunft des Agrarmarktes für dringend geboten.

Darüber hinaus machen wir uns bitte keine Illusionen: Von den WTO‐Verhandlungen 2002 wird ein enormer Anpassungsdruck ausgehen – das wissen alle Agrarpolitiker. Wenn diese Reform nicht kommt, wird das, was wir jetzt gegenwärtig im Bananenkonflikt oder beim Hormonfleisch erleben, noch wenig sein im Verhältnis zu dem, was da auf uns zukommt, denn vieles von dem, was wir heute an Agrarsubventionen haben, gehört einfach nicht in den Bereich der WTO. Insofern wird auch da ein enormer Reformdruck auf uns zukommen.

Alle drei Modelle, die die Kommission im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik vorgeschlagen hat, müssen auf dem Tisch bleiben. Darüber muß diskutiert werden. Es gibt unterschiedliche nationale Präferenzen. Hinzu kommen dann die Struktur‐und die Kohäsionsfonds. Ich weiß um die Bedeutung, ich weiß auch um die Produktivität dieser Mittel, aber ich denke, auch hier muß ein Beitrag geleistet werden, wobei Sonderprobleme, die Portugal etwa bei den Sturkturfonds hat, der Beachtung bedürfen. Auch die spanische Situation wird meines Erachtens hier sehr sorgfältig abzuwägen und zu betrachten sein. Wir streben eine gleichgewichtige Lösung an.

Aber es gehört zu einer gleichgewichtigen Lösung ohne jeden Zweifel natürlich dann auch der rebate , der Großbritannien‐Rabatt, und letztendlich – der fünfte Punkt, der dabei eine Rolle spielen wird, und darauf legt nicht nur Deutschland, sondern, wie die Präsidentschaftsreise gezeigt hat, auch die Niederlande und andere Nettozahler einen sehr, sehr großen Wert – wird auch diese Position mit eine Rolle spielen. Daraus wollen wir ein Gesamtpaket schnüren, und es wird alles andere als einfach. Der portugiesische Ministerpräsident hat beim Europäischen Rat in Wien, an dem historischen Ort des Wiener Kongresses in der Hofburg, darauf hingewiesen, daß Talleyrand einmal auf die Frage, wie lange der Wiener Kongreß gedauert habe, gesagt hat: die letzte Viertelstunde. Dieses wird für den Europäischen Rat, den Sondergipfel, ebenfalls gelten.

Der Herr Abgeordnete, der Goethe zitierte, ist leider nicht mehr im Saal. Er hat die letzten Worte Goethes zitiert, die dieser auf dem Sterbebett sagte. Ich weiß nicht, ob das das passende Goethe‐Wort ist und ob er das wußte: Mehr Licht, mehr Licht! Es gibt da zwei Interpretationen, nämlich daß es dunkel wurde um diesen größten deutschen Dichter, oder aber, daß er am Ende seiner Tage in seine Frankfurter Mundart zurückfiel. Ernsthafte Interpretationen meinten, er wollte sagen „mer licht so schlecht”. Von Goethe kann man nun wirklich etwas anderes zitieren, nämlich Goethe war durch und durch Europäer, und er war Europa zugewandt. Er hatte mit dem Nationalismus überhaupt nichts zu tun. Ich denke, daß ist der Goethe, den man nun wirklich zitieren sollte.

Herr Hänsch, ich möchte Ihnen für die Unterstützung bei der Lösung des Kosovo‐Konflikts nachdrücklich danken und dem Europäischen Parlament sagen: Wir haben ein Interesse an einer sehr engen Kooperation. Schon morgen wird die Debatte mit Staatsminister Verheugen im Trilog weitergehen. Dort werden auch eine Reihe von Fragen, die Sie angesprochen haben, vertieft werden. Wir haben hier an einem sehr engen Dialog ein großes Interesse, nicht nur an der Stärkung des Europäischen Parlaments, sondern auch an seiner aktiven Rolle bei der Bewältigung der hier vor uns liegenden großen Aufgaben. Das Europäische Parlament muß dabei eine zentrale Rolle spielen.

Herr Brok, gestatten Sie mir, daß ich doch auf eines hinweise, und das möchte ich auch all jenen Kollegen sagen: Ich weiß, wie schwer das Oppositionsgeschäft ist, ich habe es selbst lange genug gemacht. Allerdings: Opposition heißt auch, daß man wirklich intelligent angreift und der Regierung das Replizieren nicht so einfach macht. Wenn uns jetzt vorgeworfen wird, daß wir nach zwölf Tagen Präsidentschaft nur ankündigen können, dann sage ich: Ja. Wenn ich mehr nach zwölf Tagen könnte, dann wäre ich nicht in der Politik, denn dann könnte ich Wunder vollbringen, dann wäre ich fehl am Platz, dann müßte man eine Kirche gründen oder sonst etwas.

(Heiterkeit)

Aber wer kann schon Wunder vollbringen? Also in zwölf Tagen in einer Rede anzukündigen, was man zu tun bereit ist, und daran später gemessen zu werden, mehr ist beim besten Willen nicht drin. Aber ich sehe, die Opposition hat eine wirklich große Meinung von uns und legt eine hohe Meßlatte an.

Wenn Herr Brok, der ja Herrn Kohl nachdrücklich gedankt hat, was ich ebenfalls mehrfach schon getan habe, uns allerdings vorwirft, auf dem Kölner Gipfel soll vom eigenen nationalen Versagen in der Arbeitsmarktpolitik abgelenkt werden, wenige Tage vor der Europawahl, da plaudert er offensichtlich unfreiwillig eine Strategie unserer Vorgängerregierung aus, denn wir haben all diese Termine nicht gesetzt. Das war nicht die neue Bundesregierung, dazu waren wir nicht in der Lage, es gab auch keinen Hypnose‐Effekt aus der Opposition heraus auf die Vorgängerregierung. Beim besten Willen, das konnten wir nicht. Der Luxemburger Gipfel, der dieses entschieden hat, Wien, in der Folge davon, daß es bisher nicht weitergegangen ist – alles nicht Vorwürfe, die man allen Ernstes an die neue Bundesregierung richten kann, denn dazu sind wir viel zu kurz im Amt. Wir sollten uns im Interesse einer guten Zusammenarbeit solche durchschaubaren Polemiken schenken, die übrigens zur Lösung der Probleme, vor denen wir stehen, nichts beitragen. Die gemeinsamen Übereinstimmungen sind viel größer.

Ich möchte zum Abschluß noch einmal unterstreichen, was eine Abgeordnete zur Rolle Deutschlands gesagt hat. Ich betone nochmals, wir wissen, daß wir Nettozahler bleiben werden. Ein deutsches Desengagement wird es nicht geben. Es wäre bei unserer Interessenlage absurd und falsch. Wir haben ein Interesse daran, daß dieses Europa als politisches Subjekt vorankommt. Daß die D‐Mark eingebracht wurde in den Euro, ist keine Selbstverständlichkeit angesichts der Bedeutung der D‐Mark als nationale Währung, die weit über das hinausgeht, was eine Währung normalerweise bedeutet, und zwar nicht nur für die Westdeutschen, sondern nach der Einheit 1989/90 auch und gerade für die Landsleute in Ostdeutschland. Dieser Schritt wurde getan, er wurde mit einer breiten Zustimmung im Deutschen Bundestag getan, und er verpflichtet auch die neue Bundesregierung. Wir sehen uns verpflichtet, die Europäische Union während der deutschen Präsidentschaft auf den Weg der Erweiterungsfähigkeit zu bringen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, die institutionellen Reformen in einem ersten Schritt ebenfalls voranzubringen, zu einer Stärkung der Demokratie in Europa beizutragen und insgesamt das politische Subjekt Europäische Union voranzubringen bis zur Vollendung der Integration.

(Beifall)

  Der Präsident . ‐ Ich bedanke mich bei Ihnen als Präsident und wünsche Ihnen viel Erfolg!

(EL) Herr Ratspräsident, Sie haben zwar dreißig Minuten gesprochen, aber ich denke, die Kollegen, die Ihnen zwei Stunden lang zugehört haben, sind Ihren Ausführungen sehr aufmerksam gefolgt.

  Pack (PPE). – Herr Ratspräsident! Ich nehme an, daß Sie vorhin einiges nicht hören konnten, weil Herr Cohn‐Bendit mit Ihnen gesprochen hat. Es sei Ihnen vergeben! Ich möchte jedoch sagen, wenn Sie das, was ich gesagt habe, einfach unter Emotionalität abhaken, ist das männliche Arroganz, und die gebe ich Ihnen gerne zurück. Ich kümmere mich seit 10 Jahren um den Kosovo – wahrscheinlich etwas länger als Sie –, und das werfe ich Ihnen nicht vor, genauso wenig wie Sie mir Emotionalität vorwerfen dürfen. Ich bin nur der Auffassung, daß man, wenn ich seit Jahren im Kosovo um Prävention bitte und sie nicht erreicht wird, nicht nach 10 Jahren sagen kann, wir müssen präventiv sein.

Zweitens: Ich bin auch der Auffassung, daß ich nicht gesagt habe, die OSZE muß raus und es soll nichts rein – vielleicht haben Sie es nicht gehört. Ich habe gesagt, so wie sie jetzt ist, ist sie nicht von Nutzen, weil sie nichts tun kann. Sie kann ja noch weniger tun, als die UNO‐Soldaten in Bosnien getan haben. Ich bin der Auffassung, daß wir dort eine internationale Truppen mit den Russen zusammen brauchen, um den Boden für friedliche Lösungen zu bereiten.

Darf ich mir erlauben, Sie noch in einem Halbsatz zu korrigieren? Herr Westendorp ist nicht der Vertreter der Europäischen Union, er ist der Vertreter der Internationalen Gemeinschaft inklusive der Europäischen Union. Bitte verstehen Sie mich nächstens richtig!

(Beifall)

  Cohn‐Bendit (V). – Herr Präsident! Ich finde auch, Frau Pack oder liebe Doris, emotional sind wir beide, und das ist keine frauenspezifische, sondern in dieser Frage eine legitime Position. Es geht nur darum, daß während der neun Jahre, in denen es keine Präventionspolitik gab, es nicht diese Bundesregierung, sondern eine andere Bundesregierung war, die immer verneint hat, daß Prävention eine notwendige Politik ist. Das mußt du auch sagen!

  Fischer, amtierender Ratspräsident. – Frau Abgeordnete, wir müssen uns, glaube ich, gar nicht so heftig streiten. Ich möchte nochmals betonen, daß für mich im Zusammenhang mit dem Kosovo wie auch mit Bosnien die Frage der Emotionalität keine geschlechtsspezifische oder gar eine diskriminierende Aussage war, weil ich mich da jeweils sehr emotional betroffen fühle. Ich denke, wer sich damit beschäftigt, kann gar nicht anders. Insofern verstehe ich auch, wenn man zwar aus Emotionalität handelt – im Zusammenhang mit Bosnien war Emotionalität gar nicht der schlechteste Ratgeber, wenn ich dies nochmals betonen darf –, aber man muß dann dennoch die Dinge zu Ende denken. Es nützt doch nichts, Frau Abgeordnete, zu sagen, es müsse dort eine internationale Truppe gegen den Willen der souveränen Regierung dieses Staates eingesetzt werden – in Bosnien gab es ja eine souveräne Regierung, die eine klare internationale Rechtsgrundlage für diese internationale Truppe geschaffen hat. Dies ist ein Riesenproblem. Eine internationale Truppe, die also zum ersten Mal auf dem Territorium eines von allen EU‐Mitgliedstaaten und auch der internationalen Gemeinschaft anerkannten Staates gegen den Willen der dortigen Regierung interveniert, schafft ein großes Problem.

Zweiter Punkt: Beteiligung Rußlands. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt vertreten die Russen ja die gegenteilige Position. Eine solche Beteiligung werden Sie jetzt nicht bekommen.

Dritter Punkt: Mit welchem Ziel? Sezession? Nur, was heißt Sezession? Was heißt dies, wenn ein Drittel der makedonischen Bevölkerung albanischer Herkunft ist? Das sind doch alles nur Fragen, um Ihnen klarzumachen, daß es uns in unserem gemeinsamen Interesse überhaupt nichts bringt, wenn wir hier jetzt einen Scheinschlagabtausch führen. Das sind ja Fragen, die sich alle Verantwortlichen täglich hundertmal stellen. Gerade meine Fraktion und auch der neue Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, der frühere Abgeordnete Popper, haben sich nun wirklich seit Jahren dafür eingesetzt, daß wir uns im Kosovo stärker engagieren und dort mit Lösungen vorankommen. Wir haben uns in einer Zeit, in der die UCK noch nicht existierte, dafür eingesetzt, daß Rugova gestärkt wird, und vieles mehr.

Es kam leider nicht so, wie wir es uns gewünscht hätten. Heute haben wir eine andere Situation. Aber wir haben uns bemüht. Wir hatten die albanischen Gesprächspartner in Bonn, wir halten engen Kontakt. Doch es ist auch offensichtlich, daß es auf albanischer Seite natürlich die Überlegung gibt, daß man den Westen für die eigenen strategischen Ziele einsetzen kann, Ziele, die der Westen nicht teilt. Das müssen Sie auch wissen. Doch die westliche Staatengemeinschaft setzt sich für ein Autonomiestatut ein, welches wir für dringend notwendig halten. Ob und inwieweit das eine historische Perspektive hat, ist eine legitime Frage, die freigewählte ParlamentarierInnen aufwerfen. Daß darüber diskutiert wird, daß man diese Probleme auch in der Öffentlichkeit anspricht, halte ich angesichts der Erfahrungen, die wir gemacht haben, für selbstverständlich.

Nur wenn ich es praktisch zu Ende denke, Frau Abgeordnete – und ich bitte Sie, meine Haltung nicht als unziemliche Kritik an Ihrer Position mißzuverstehen, für die ich viel Verständnis habe – dann führt an einer Stabilisierungsstrategie, so unvollkommen sie gegenwärtig auch sein mag, kein Weg vorbei. Und dabei gewinnen das Erreichen und dann die Implementierung einer gemeinsamen, von Kosovaren und der jugoslawischen Seite getragenen politischen Übergangslösung für den Kosovo eine zentrale Bedeutung.

Aus meiner Sicht gibt es zu dieser Stabilisierungsstrategie nur schlechtere Alternativen. Deswegen habe ich Ihnen hier dargelegt, daß wir mit aller Kraft an einer friedlichen Lösung arbeiten müssen, gemeinsam mit unseren Partnern in der Kontaktgruppe, aber auch in der Europäischen Union und in anderen Institutionen. Norwegen, das den OSZE‐Vorsitz innehat, ist dabei selbstverständlich genauso gemeint wie alle anderen, die sich darum bemühen.

  Der Präsident . – Vielen Dank, Herr Ratspräsident.

Die Aussprache ist geschlossen.

Ich möchte unserem lieben Kollegen Willy Görlach, der – wie ich gesehen habe – nach seinem Unfall gerade noch zum Ende der Aussprache eingetroffen ist, an dieser Stelle gute Besserung wünschen.

VORSITZ: DAVID MARTIN
Vizepräsident


2. Offenheit in der Europäischen Union

  Der Präsident . – Nach der Tagesordnung folgt der Bericht (A4‐0476/98) von Frau Lööw im Namen des Institutionellen Ausschusses über die Offenheit in der Europäischen Union.

  Lööw (PSE), Berichterstatterin. – (SV ) Herr Präsident, der Anlaß für diesen Bericht ist der bedeutende Fortschritt, der mit dem Vertrag von Amsterdam in bezug auf Offenheit und Transparenz verbunden ist. Diese Änderungen wurden im übrigen auch vom Europäischen Parlament vor und während der Ausarbeitung des neuen Vertrags gefordert. Da diese Frage sehr im Interesse der Bürger liegt und für die demokratische Legitimität der EU äußerst wichtig ist, waren wir im Institutionellen Ausschuß der Meinung, daß das Parlament in einem Initiativbericht Prinzipien für die Gestaltung dieser Offenheit entwerfen sollte, bevor die Kommission ihren ersten Entwurf von Vorschriften usw. vorlegt. Das wird nämlich von der Kommission erwartet, wenn der Vertrag ratifiziert ist. Dann wird das Parlament Gelegenheit erhalten, diese Frage noch einmal zu behandeln.

Wir haben im Ausschuß eine Anhörung und ein sogenanntes Round‐Table‐Gespräch durchgeführt. Außerdem hat die Untersuchungsabteilung des Parlaments eine vergleichende Studie durchgeführt, in der die in den Mitgliedstaaten in bezug auf Offenheit geltenden Rechtsvorschriften geprüft wurden. Wie sich zeigte, sind die Rechtsnormen in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Ich möchte darauf hinweisen, daß weder in meinem Bericht noch im Vertrag von Amsterdam die Absicht bekundet wird, die rechtliche Situation in den Mitgliedstaaten zu verändern. Es geht vielmehr darum, neue Regelungen und eine neue Kultur für Offenheit und Transparenz in den Institutionen und Organen der EU zu schaffen. Im Vertrag ist übrigens nur von der Offenheit in Kommission, Rat und Parlament die Rede, während wir in diesem Bericht hervorheben, daß das Parlament Offenheit für alle Einrichtungen der EU wünscht, auch wenn man sich darüber im klaren sein muß, daß dies nicht immer in vollem Umfang durchführbar ist. Es ist einsichtig, daß Europol z. B. im Vergleich zu anderen Einrichtungen geringere Möglichkeiten hat, Dokumente zu veröffentlichen.

Der Vertrag von Amsterdam befaßt sich ausdrücklich mit dem Recht der Bürger, Unterlagen einzusehen. Darauf bezieht sich auch der Hauptteil meines Berichts. Ich bin auch der Meinung, daß der Zugang zu Dokumenten durch die Bürger die Grundlage des Öffentlichkeitsprinzips ist. Der Bürger muß feststellen können, welche Unterlagen einem Beschluß zugrunde lagen, um beurteilen zu können, ob der Beschluß richtig ist. Außerdem ist Offenheit ein Mittel gegen Korruption, Machtmißbrauch und Betrug.

Dieser Vorschlag beinhaltet in der Hauptsache, daß alle wichtigen eingegangenen und angenommenen Dokumente sowie die zu versendenden Dokumente innerhalb der EU‐Einrichtungen öffentlich sein müssen. Natürlich kann es Gründe dafür geben, ein Dokument vertraulich zu behandeln. Hier muß es aber genaue rechtliche Bestimmungen geben. Es darf keine vagen und allgemein formulierten Begründungen geben, sondern besser wäre eine lange und detaillierte Liste mit Gründen.

Damit die Bürger wissen, welche Dokumente überhaupt vorhanden sind, sind öffentliche Register anzulegen. Natürlich müssen auch Verfahren bereitgestellt werden, damit bei einer Recherche die Dokumente bei der entsprechenden Einrichtung aufgefunden werden. Die neue Technik des Internet muß es den Bürgern der gesamten EU ermöglichen, die Register zu benutzen. Die Entfernung nach Brüssel stellt also kein Hindernis mehr dar, wenn man sein Bürgerrecht auf Einsichtnahme uneingeschränkt ausüben will.

Trotz der im Verlauf unserer Arbeit immer wieder geäußerten Zweifel, ob für solch radikale Veränderungen eine breite Mehrheit gewonnen werden kann, und trotz des Umstands, daß die Vorschläge über das hinausgehen, was in den Heimatländern vieler Mitglieder zur Zeit praktiziert wird, bestand im Ausschuß eine hohes Maß an Übereinstimmung. Ich hoffe, daß wir in der Abstimmung eine breite Mehrheit finden werden, was für die Kommission natürlich bedeuten würde, daß sie sich wirklich um die Erfüllung der Forderungen des Parlaments bemühen müßte. Mir sind auch Zweifel daran zu Ohren gekommen, ob die Kommission das Öffentlichkeitsprinzip der Dokumente tatsächlich durchführen wird, da dafür eine völlig neue Kultur erforderlich ist. Ich sehe auch, daß hierfür noch viele Anstrengungen unternommen werden müssen, und daß es kein leichtes Spiel sein wird. Hier geht es nicht einfach darum, neue Vorschriften zu entwerfen, sondern es sind neue Verwaltungsabläufe erforderlich, wahrscheinlich auch eine neue technische Ausstattung, vor allem aber Mittel zur Schulung des Personals. Mir drängt sich dazu noch die Überlegung auf, daß dies ganz gut in die notwendige Reformarbeit passen würde, die gestern vom Kommissionspräsidenten zugesagt wurde.

Ich rede hier zwar oft von der Kommission, aber natürlich gilt das für alle EU‐Einrichtungen. Nicht zuletzt der Rat selbst muß ja jetzt genau überlegen, wie er seinen Vorschlag im Vertrag verwirklichen kann, und auch für das Parlament gibt es noch viel zu tun.

Im Bericht werden weitere Aspekte von Offenheit und Transparenz behandelt, wie z. B. die Möglichkeit, Sitzungen öffentlich abzuhalten, der Einsatz des Internet zur Verbreitung von Informationen und Kenntnissen über die aktuellen Themen. Ich möchte darauf nicht näher eingehen, da das im Bericht nachzulesen ist. Den Rest meiner Redezeit verwende ich daher darauf, die Änderungsanträge zu kommentieren.

Alle Anträge wurden im Ausschuß diskutiert und mit großer Mehrheit abgelehnt. Da sich ein Berichterstatter an der Mehrheit des Ausschusses orientieren soll, darf ich diese Anträge nicht unterstützen, auch wenn ich einige sympathisch finde. Das gilt vor allem für die beiden Änderungsanträge, in denen es um die sogenannte Redefreiheit für Beamte geht, ein für das Öffentlichkeitsprinzip in Schweden sehr zentraler und spezieller Bestandteil. Dabei handelt es sich um den Schutz einzelner Angestellter, die Informationen an die Medien weitergeben. Diese Rechtsvorschrift hat nicht einmal im übrigen Skandinavien eine Entsprechung, und es ist auf jeden Fall zum jetzigen Zeitpunkt aussichtslos zu versuchen, sie in der EU einzuführen.

In einem Änderungsantrag wird auch formuliert, daß die Gemeinschaftsrechtsetzung die einzelstaatlichen Rechtsnormen nicht verdrängen darf. In diesem Zusammenhang möchte ich auf folgendes hinweisen: Mit diesem Bericht soll ein Beitrag dazu geleistet werden, daß die EU‐Vorschriften so gestaltet werden, daß alle Länder damit leben können und sich kein Widerspruch zu den nationalen Rechtsvorschriften ergibt, auch wenn diese in hohem Maße auf den jeweiligen Staat zugeschnitten sein sollten.

  Gebhardt (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Recht und Bürgerrechte. ‐ Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer wieder wird uns daheim vorgehalten, wir seien bürgerfern und abgehoben. Gegen diesen Vorwurf können wir uns wehren, indem wir für mehr Transparenz und demokratische Kontrolle sorgen. Die Bürgerinnen und Bürger Europas haben einen Anspruch darauf. Transparenz und demokratische Kontrolle führen zur Bürgernähe, an die wir nicht nur alle fünf Jahre kurz vor dem Wahltag denken dürfen. Es bleibt noch viel zu tun. Das zeigt nicht nur der Bericht der Kollegin Lööw. Das zeigen auch die 20 Schlußfolgerungen meiner Stellungnahme, die der Ausschuß für Recht und Bürgerrechte einstimmig gebilligt hat.

Am wichtigsten erscheint mir die Verbesserung der Informationsmöglichkeiten für die Bürger als Mittelpunkt jeder Transparenz. Eine beneidenswerte Kultur haben in dieser Hinsicht Finnland und Schweden entwickelt. Von diesem guten skandinavischen Vorbild sollten wir uns in der ganzen Europäischen Union eine Scheibe abschneiden. Warum sollen wir eigentlich den Bürgerinnen und Bürgern eine möglichst umfassende Einsicht in Akten und Dokumente verweigern? Was hindert uns eigentlich, dieses Recht zum Beispiel für Berichterstatter des Parlaments und andere zu erweitern? Warum kann der Rat eigentlich nicht genauso öffentlich arbeiten, wie es das Europäische Parlament weitgehend tut?

Warum haben Vertreter des Rates und der Kommission ihren festen Platz in unseren Ausschüssen, das Parlament aber nicht umgekehrt, wenigstens durch seine Berichterstatter? Mehr Transparenz genügt aber nicht allein, wenn wir mehr Bürgernähe wollen. Zur Durchschaubarkeit der politischen Abläufe und Entscheidungsprozesse muß für die Bürger die Möglichkeit der Mitwirkung kommen. Die Institutionen der Europäischen Union sind aufgefordert, Mechanismen zu entwickeln, die es den Bürgerinnen und Bürgern möglich machen, ihre eigenen Vorstellungen und Überlegungen einzubringen. Das ist ein demokratisches Grunderfordernis. Wenn wir am Europa der Zukunft bauen, brauchen wir die Mitwirkung aller, nicht zuletzt um unserer Glaubwürdigkeit willen.

  Voggenhuber (V), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit großer Genugtuung habe ich in der letzten Debatte die Äußerungen des neuen Ratspräsidenten gehört über die Notwendigkeit eines europäischen Verfassungsprozesses und die Ankündigung, einen Grundrechtskatalog zu entwickeln. Wie groß meine Genugtuung darüber ist, können vielleicht die Mitglieder und Kollegen im Institutionellen Ausschuß ermessen, denen ich seit vier Jahren mit dieser Forderung in den Ohren liege und dafür nicht selten die Antwort bekommen habe, die Zeit sei nicht reif dafür. So schnell, Herr Herman, Herr Bourlanges, wird die Zeit reif, vielleicht bedarf es dazu aber auch eines grünen Ratspräsidenten!

In diesen notwendigen tiefen Demokratisierungsprozeß gehört auch die Frage dieses heutigen Berichts. Es ist ein besonders verschleppter Teil der Demokratisierung, den wir heute behandeln, aber vielleicht liegt es auch an einem Mißverständnis. Wir reden hier im Hause und auch in den entsprechenden Ausschüssen meistens von Transparenz, von Öffentlichkeitsarbeit, von Public Relations, von Informationsdiensten. Wir offenbaren damit eher den Notstand der Demokratie in der EU, als daß wir ihn beseitigen.

Transparenz heißt durchscheinen. Der demokratische Begriff dazu hieße Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit ist es, auf die die Bürger und Bürgerinnen in Europa einen Anspruch haben: die Öffentlichkeit der Gesetzgebung, nicht die Transparenz, die Offenlegung der Gesetzgebung, die öffentliche Rechtfertigung der Verwaltung für alle ihre Akte, die Kontroll‐ und Informationsrechte des Parlaments, auch in der zweiten und dritten Säule, die Offenlegung der Entscheidungen und Entscheidungsgrundlagen auch im Bereich der inneren Sicherheit und der Außenpolitik und die Auskunftsrechte der Bürger, nicht die Informationsdienste, Pressearbeit, Öffentlichkeitsdarstellung der europäischen Institutionen.

Es geht nicht um Transparenz und um Begriffe, die in der Demokratietradition keine Rolle spielen, die eher Public Relations darstellen. Es geht um das Recht der Menschen auf Öffentlichkeit als Grundlage von Demokratie!

  Lenz (PPE). – Herr Präsident, es ist zwar Zufall, daß wir diese Woche über einen Bericht über die Offenheit in der Union diskutieren, aber damit gewinnt der Text von Frau Lööw wirklich an Aktualität. Hätte es mehr Transparenz oder auch mehr Offenlegung gegeben, dann wären Kommission und Europäisches Parlament heute vielleicht nicht in die Lage gekommen, die Debatten zu führen, die wir diese Woche führen. Aber auch das braucht Spielregeln, denn dann dient die Offenheit um so mehr der zuverlässigen Information des Bürgers, die wir weiß Gott notwendig haben. Wahlkämpfe zeigen ja die Defizite auf diesem Gebiet immer sehr deutlich auf. Allerdings brauchen wir keine Marktschreier, sondern wir brauchen präzise Auskünfte.

Der Bericht Lööw über die Offenheit in der Union unternimmt den ernsthaften Versuch, die dazu im Vertrag von Amsterdam vorgesehenen Bestimmungen in eben diese präzise Form zu gießen. Dazu soll ein interinstitutionell abgestimmter Kodex dienen. Ein schwieriges, aber wirklich notwendiges Geschäft. Jedenfalls dürften die vorgesehenen Bestimmungen deutlich mehr Öffentlichkeit herstellen. Über manchen Vorschlag muß sicher noch diskutiert werden, wenn auch Institutionen wie der Gerichtshof, die Europäische Zentralbank, der Europäische Rechnungshof und die Europäische Investitionsbank einbezogen werden sollen.

Es ist sicherlich wünschenswert – und in diesem Zusammenhang begrüßen wir auch den Bericht Lööw –, daß Entscheidungen des Rates und des COREPER transparenter werden, indem mehr Zugang zu den Dokumenten geschaffen wird, daß die EU‐Verwaltung dem Bürger schneller und höflicher Auskunft geben soll – eigentlich eine Selbstverständlichkeit –, und daß die Erhaltung der Vielsprachigkeit genau dem Ziel der Transparenz dient. Es ist heute klar, daß moderne elektronische Techniken eingesetzt werden müssen. Allerdings sollten wir auch nicht so weit gehen, wie es die meisten der Änderungsanträge tun, insbesondere Antrag 4. Der Gesamtlinie wird meine Fraktion aber zustimmen. Der Bericht fordert viel, und das Europäische Parlament muß sich natürlich auch darüber klar sein, daß dann die notwendigen finanziellen und personellen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um zu vermeiden, daß uns nicht wieder hinterher die Kommission und alle anderen Institutionen sagen, die mangelnde Effizienz beruhe eben darauf, daß man nicht die notwendigen Mittel gehabt habe. Darin liegt ja auch das heutige Dilemma begründet. Das möchte ich eigentlich vermeiden, und ich hoffe, daß dieser Bericht über die Offenheit in der Union die notwendigen Grundlagen dafür schafft.

  Thors (ELDR). – (SV ) Herr Präsident, wie gesagt, es ist schon interessant, daß wir gestern über die Verwaltung diskutiert haben und heute über Offenheit sprechen und darüber, wie wir der Union zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen können. Gestern ist eine grundlegende Wahrheit zutage getreten. Wir brauchen eine einheitliche Verwaltungspraxis, denn wir können nicht mit fünfzehn unterschiedlichen Kulturen und fünfzehn verschiedenen Konzepten weiterarbeiten. Das führt nur dazu, daß wir in dem Ruf stehen, keine klaren Konzepte zu haben. Was mich gestern aber beunruhigt hat, war die Tatsache, daß der Kommissionspräsident mit keinem Wort einen Zeitplan für die Ausarbeitung der von der Berichterstatterin angemahnten Vorschriften zur Offenheit erwähnt hat. Wann werden sie vorliegen? Welche Prinzipien werden sie enthalten?

Dies bedeutet, daß die Verantwortung beim Parlament liegen wird. Ich fürchte, daß die Kommission auf der Position verharrt, il faut faire une profonde réflexion . Das heißt, daß wir alle die Prinzipien unterstützen sollten, die von Frau Lööw in ihrem ausgezeichneten Bericht vorgelegt worden sind. Hier stehen wichtige Dinge, die auch in der Stellungnahme von Frau Gebhardt enthalten sind. Wir brauchen Vorschriften, in denen die Rechte der Bürger und die Pflichten der Institutionen eindeutig festgelegt sind. Das ist am wichtigsten, um das vorhandene Mißtrauen zu beseitigen und die Glaubwürdigkeit der Organe und Einrichtungen der EU wiederherzustellen.

  Lataillade (UPE).(FR) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Lööw hat uns einen hervorragenden Bericht vorgelegt, der auf einem Gebiet, das – wie die gestrige Aussprache deutlich gezeigt hat – Ausgewogenheit und Zurückhaltung erfordert, Umsicht und Kühnheit miteinander verbindet.

Wie die Berichterstatterin darlegt, ist größere Transparenz für die Zukunft der Europäischen Union von grundlegender Bedeutung. Die Bürger der Union sehen diese oft als ferne und bürokratische Einrichtung. Wie Frau Lööw ferner feststellt, kann Offenheit auch zur Verhinderung von Korruption und Machtmißbrauch beitragen.

In dem vorliegenden Bericht geht es also um zwei entscheidende Aspekte, nämlich Inhalt und Form. Die Form ist nicht nur eine Frage der Ausdrucks‐, sondern auch der Verhaltensweisen. Unsere Berichterstatterin hat dies meines Erachtens sehr gut dargelegt. Was den zweiten, den inhaltlichen Aspekt betrifft, so wird es keine Fortschritte für Europa geben, solange die europäischen Institutionen, das heißt wir selbst, aber auch die Kommission – darüber haben wir gestern eine ausführliche Debatte geführt –, bei allen ihren Aktivitäten sowie bei sämtlichen Informationen für die Unionsbürger nicht die für ein richtiges Verständnis erforderlichen Faktoren berücksichtigen.

Unsere Aufgabe als Europaabgeordnete besteht in einer Verbesserung der Information für die Bürger, wenn die Tätigkeit und die Entwicklung Europas so beurteilt werden sollen, wie wir das erwarten. Da der vorliegende Bericht unseres Erachtens durch besondere Ausgewogenheit gekennzeichnet ist, wird unsere UPE‐Fraktion das große Vergnügen haben, dafür zu stimmen.

  Sjöstedt (GUE/NGL). – (SV ) Herr Präsident, mehr Offenheit im legislativen Verfahren und in der Verwaltung ist für die Demokratisierung der EU von entscheidender Bedeutung. Offenheit ist das beste Mittel gegen Korruption und Verwaltungsmängel. Ohne Offenheit kann die breite Öffentlichkeit ihre Gesetzgeber nicht überprüfen und zur Verantwortung ziehen. Deshalb begrüße ich den Bericht von Frau Lööw. Ich bin in den meisten Punkten ihrer Meinung, auch wenn ich mir in einigen wichtigen Punkten weitergehende Schritte und mehr Klarheit gewünscht hätte.

Es ist offensichtlich, daß die Kommission noch immer nicht verstanden hat, was echte Offenheit heißt. Das wird nicht zuletzt an zwei aktuellen Beispielen deutlich. Erstens am Fall des entlassenen Beamten van Buitenen, der dem Parlament die Wahrheit über einige Betrugsfälle gesagt hat. Hier wird die autoritäre Haltung der Kommission deutlich. Deshalb brauchen wir einen Schutz für Informanten, der ihnen die Freiheit garantiert, das Umfeld ohne Furcht vor Bestrafung zu informieren, was ich auch in einem Änderungsantrag vorgeschlagen habe. Zweitens ist auch das Schreiben von Herrn Santer an den schwedischen Ministerpräsidenten Göran Persson eine sehr merkwürdige Angelegenheit. Es ist völlig inakzeptabel, daß die Kommission sich als Meinungspolizei aufspielt, wenn ein Regierungschef der Union eine berechtigte Kritik an ihrem Tun geübt hat.

Der schwächste Teil des Berichts Lööw sind die Formulierungen über öffentliche Ratssitzungen. Es müßte eine demokratische Selbstverständlichkeit sein, daß das gesamte Rechtsetzungsverfahren öffentlich abläuft. Das wird von Frau Lööw aber nicht gefordert. Warum sollte sich die Bevölkerung der EU mit weniger begnügen als mit vollem Einblick in die Entscheidungsverfahren bei der Rechtsetzung, wie es in einer Demokratie üblich ist?

Auch in zwei anderen Punkten läßt sich der Bericht durch Änderungsanträge der Fraktion GUE/NGL verbessern. Es ist wichtig, daß die EU die nationalen Vorschriften über die Offenheit nicht einschränkt. Daß dies durch die übertriebene Geheimhaltung der EU geschehen kann, zeigt sich nicht zuletzt an der Eingabe des Rates an den Europäischen Gerichtshof im sogenannten Journalisten‐Fall. In dieser Eingabe werden einzelstaatliche Vorschriften zur Offenheit und die Verfassungen direkt in Frage gestellt. Dieser und andere Fälle zeigen, daß schnellere und mit mehr Gerechtigkeit verbundene Verfahren eingeführt werden müssen, um Berufung gegen Entscheidungen von Institutionen der EU einlegen zu können, welche die Herausgabe von Dokumenten abgelehnt haben.

Mehr Offenheit ist für die Demokratisierung der EU von entscheidender Bedeutung. Deshalb ist es bedauerlich, daß im Ausschuß und auch in bezug auf die Änderungsanträge fast nur von den Vertretern der nordischen Länder ein Interesse an diesen Fragen zu spüren war. Ein wichtiger und positiver Bericht wie der Bericht Lööw verdient mehr Aufmerksamkeit.

  Amadeo (NI).(IT) Herr Präsident, mit dem Vertrag von Amsterdam wurde ausdrücklich der Grundsatz der Transparenz der EU‐Verwaltungen eingeführt, denn er verweist explizit auf das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Dokumenten der drei Institutionen. Unseres Erachtens sollte diese Offenheit auf alle Organe und Einrichtungen der EU ausgedehnt und durch andere Mittel fortentwickelt werden: hierzu zählen beispielsweise öffentliche Sitzungen, eine offenere Verwaltungskultur, eine größere Klarheit und einfachere Formulierung von Texten, die Lösung des Problems der Vielsprachigkeit usw. Diese Offenheit muß man unserer Überzeugung nach tatsächlich und nicht nur verbal wollen; man muß sie fordern als Ausdruck eines politischen Willens und einer politischen Denkweise und nicht als rein bürokratischen Akt, der letztendlich nur Verwirrung stiftet, um nicht reinen Tisch machen zu müssen und uns von der Wahrheit zu entfernen.

Wir fragen uns: bis zu welchem Punkt kann sich der Bürger heute als fester Bestandteil einer Realität der EU‐Institutionen fühlen, die immer verworrener und komplizierter wird? Bis zu welchem Punkt können wir ihn in dem Augenblick, da ihn die institutionellen Mechanismen mehr betreffen und die in den Gemeinschaftsorganen getroffenen Beschlüsse bis in den Alltag vordringen und die täglichen Entscheidungen beeinflussen, zum Verständnis dieser Mechanismen anregen, wenn doch dann die Mittel nicht vorhanden sind, um den Bürger selbst in die Verfahren einzubeziehen und ihm die Gründe der bereits gefällten Entscheidungen verständlich zu machen? Bis zu welchem Punkt kann man hervorheben, wie bürgerfern die Institutionen doch sind, ohne dabei zu riskieren, jenen Überdruß, jene Ablehnung gegenüber der Union zu erzeugen, die heute leider so offenkundig sind? Wieweit kann man den Bogen der Abneigung spannen, ohne Gefahr zu laufen, den Bürger endgültig von den Entscheidungszentren fernzuhalten?

Die inzwischen traurigerweise aktuell gewordene Betrugs‐ und Veruntreuungsaffaire zum Nachteil der europäischen Steuerzahler, die durch die Verweigerung der Entlastung für das Haushaltsjahr 1996 durch unser Parlament hervorgehoben wurde, wirft zwar dunkle Schatten auf die gesamte Europäische Kommission, doch muß sie gleichwohl der Öffentlichkeit bekanntgemacht werden. Dies ist eine Amtspflicht, und zwar kraft des Mandats, das uns vom Bürger erteilt wurde, als er uns als seine Vertreter in dieses Parlament wählte. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, daß wir dazu beitragen, die Verdrossenheit der Bürger weiter zu schüren.

Die Angaben über die mangelnde Wahlbeteiligung, die anläßlich der letzten Wahlen fast überall in Europa zu verzeichnen war, sind ein ernstzunehmendes Alarmsignal und machen deutlich, daß der Bürger kein Vertrauen mehr hat, daß er sich, anstatt zur Wahl zu gehen, für den Sonntagsausflug entscheidet. Diese von ihm eingenommene Haltung wird jedoch gefährlich, weil er zum einen zum Spielball der Entscheidungen wird, die andere, die in der Regel aktiver sind als er und fest in den traditionellen Parteien organisiert sind, an seiner Stelle treffen, und zum anderen auf lange Sicht in die Fänge marktschreierischer Demagogen und Populisten der letzten Stunde gerät.

Das besondere Merkmal unserer auf der Rechtsstaatlichkeit beruhenden modernen Gesellschaft ist die Beteiligung des Bürgers an den politischen Entscheidungen, die gestern noch von den nationalen Regierungsverantwortlichen bestimmt wurden und heute das Vorrecht unserer Gemeinschaftsinstanzen sind. Die Bürger haben demnach das Recht, nicht nur die Auswirkungen der politischen Entscheidungen wahrnehmen zu können, sondern auch an diesen Entscheidungen mitzuwirken. Zwar muß die Transparenz all jene Erleichterungen umfassen, die dem Bürger den Zugang zu Informationen und das Nachvollziehen der Entscheidungsprozesse ermöglichen, doch schließt die demokratische Kontrolle neben der Mitwirkung der Bürger auch die Anwendung jener Kontrollmechanismen mit ein, die letztendlich den Bürger der Exekutive näherbringen.

  Maij‐Weggen (PPE).(NL) Herr Präsident, die Berichte von Frau Lööw und Herrn Brok über die Offenheit der europäischen Institutionen sowie über die Art und Weise der Wahl des Kommissionspräsidenten hätten zu keinem günstigeren Zeitpunkt vorgelegt werden können. Was die Offenheit betrifft, so wurde am Montag einmal mehr deutlich, daß das Bollwerk der europäischen Bürokratie aufgesprengt werden muß. Über den Vertrag von Amsterdam hat es das Parlament auch versucht, indem es Offenheit bei allen europäischen Gesetzesvorlagen sowie bei den Ratssitzungen zur Gesetzgebung forderte. Diesen Wünschen ist jedoch nur teilweise entsprochen worden. Die heftige Debatte von gestern zeigt einmal mehr, wie notwendig ein weiterer Schritt ist.

Ich gehe noch weiter. Meines Erachtens brauchen wir ein Gesetz, eine europäische Richtlinie, Offenheit in der Verwaltung auf europäischer Ebene, so daß die Bürgerinnen und Bürger sowie das Parlament weniger auf zufällige Zusagen angewiesen sind, als vielmehr auf durchschaubares europäisches Recht bauen können.

Erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung zum Präsidenten der Kommission. Auch ich unterstütze den Bericht Brok. In dem von der Kommission vorgeschlagenen Kodex sollte aber nochmals klipp und klar gesagt werden, daß die europäischen Kommissare im Namen der europäischen Verwaltung, im Namen Europas und nicht im Namen ihrer jeweiligen nationalen Mitgliedstaaten dort sitzen. Darin liegt eine der Ursachen für die aufgetretenen Mißstände, und dieser Umstand muß auch so bald als möglich in einem internen Kommissionskodex geregelt werden. Darauf wollte ich im Anschluß an den Bericht Brok noch hinweisen. Soweit meine Ausführungen.

  Lindqvist (ELDR). – (SV ) Herr Präsident, zunächst möchte ich Frau Lööw für ihren guten Bericht danken. Er ist ein Anfang, geht aber nicht weit genug. Die Vorschläge zum Schutz der Informanten, zu öffentlichen Ratssitzungen im Rechtssetzungsverfahren und zur kostenlosen Berufungsmöglichkeit beim Europäischen Gerichtshof gegen die Verweigerung der Herausgabe von Dokumenten sind wichtige Verbesserungen des Berichts.

Wir erleben gerade, wohin der Mangel an Offenheit und Transparenz führt. Vielleicht hätten wir gar nicht über einen Mißtrauensantrag diskutieren müssen, wenn es Vorschriften über vollständige Offenheit, Informantenschutz usw. gegeben hätte, was Gegenstand der Debatte war. Die beste, vielleicht die einzige, Methode zur Vermeidung weiterer solcher Diskussionen ist die Öffnung der Verwaltung mit Hilfe von gemeinsamen Registern über eingehende Dokumente, mit eindeutigen Regeln für die Vertraulichkeit sowie mit Informantenschutz und öffentlichen Ratssitzungen. Ich unterstütze den Bericht und die fünf Änderungsanträge.

  Kaklamanis (UPE).(EL) Herr Präsident, ich möchte die Berichterstatterin aus zwei Gründen beglückwünschen: erstens weil sie ein Thema berührt, das eine Schande für die Europäische Union darstellt, und zweitens weil sie zu dieser Frage ganz konkrete Vorschläge vorlegt.

Lassen Sie mich den Kollegen zwei Beispiele nennen. Erstens gibt es auf der ganzen Welt, auf der ganzen Erde nur zwei Organe, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagen: Das eine ist der Ministerrat der Europäischen Union, und das andere ist der Nationale Volkskongreß in China. Da frage ich mich doch, meine Herren Kollegen, warum wir Entschließungen gegen China verabschieden und das Land wegen fehlender Demokratie und Transparenz verurteilen, wenn der Ministerrat der Europäischen Union es ganz genauso macht. Das zweite Beispiel ist das Vorgehen gegen einen bestimmten Beamten der Kommission. Wissen Sie, welche Botschaft mit dieser Maßregelung einhergeht? Wir bezahlen Sie, meine Herren Beamten, wir bezahlen Sie sogar recht gut, damit Sie arbeiten, schauen, sich umhören – aber nichts sagen. Nicht einmal mit dem Europäischen Parlament dürfen Sie reden, denn wir haben nichts davon, wenn Dinge bekannt werden, die innerhalb der Kommission passieren. Ich spreche den Berichterstattern meinen Glückwunsch aus. Meine Fraktion wird für ihren Bericht stimmen.

  Sierra González (GUE/NGL).(ES) Herr Präsident, der demokratische Charakter einer Gesellschaft wird dadurch definiert, daß der Bürger die Möglichkeit hat, die Identität seiner Regierenden und ihre Aktionen zu kennen, und daß er aufgrund dieser Kenntnis Verantwortungen zuweisen und die mit den politischen Aktionen verfolgten Ziele kontrollieren kann. Es gibt kein anderes Verfahren zur Vermeidung von Machtmißbrauch.

Aber in der Europäischen Union wird den Bürgern bis heute die Kenntnis grundlegender Fragen auf dem Gebiet von Justiz und Innerem vorenthalten, indem Texte von Vorschriften im geheimen ausgearbeitet werden, Entscheidungen gefällt werden, ohne daß die Gründe dafür bekannt sind, und man sich hierfür auf Begriffe wie öffentliche Ordnung und innere Sicherheit beruft, die es den Institutionen gestattet haben und gestatten, das Vertraulichkeitsprinzip beliebig zu dehnen.

Es wird gesagt, daß eine größere Transparenz und Offenheit angestrebt werden müssen, um dem Bürger die Institutionen der Europäischen Union näherzubringen, aber es geht doch darum, dem Aufbau Europas und seinen Institutionen demokratische Legitimität zu verleihen. Das ist die Frage. Im Vertrag von Amsterdam wurden Schritte in dieser Richtung unternommen, aber sie sind nicht ausreichend. Der Ermessensspielraum der Verwaltung zur Begrenzung der Informationen bleibt bestehen, und diese Ermessensfreiheit muß verschwinden.

In diesem Bericht – und deshalb unterstützen wir ihn – wird versucht, die Ermessensfreiheit der europäischen Administration einzuschränken, und wir glauben, daß dies die Richtung ist, die weiterverfolgt werden muß.

(Beifall)

  Oreja, Mitglied der Kommission. – (ES) Herr Präsident, vor allem möchte ich Frau Lööw und dem Institutionellen Ausschuß für die Ausarbeitung dieses Berichts danken, der in der Arbeit der Europäischen Kommission starke Beachtung finden wird.

Der Vertrag hat uns die Aufgabe übertragen, dem Parlament und dem Rat einen legislativen Vorschlag zur Stärkung der Transparenz unseres institutionellen Systems zu unterbreiten, insbesondere was den Zugang zu den Dokumenten betrifft.
Gegenwärtig wird diese Frage durch verschiedene Dienste der einzelnen Institutionen diskutiert. Wir werden unseren Vorschlag vorlegen, sobald der Vertrag in Kraft tritt. Es handelt sich um eine Schlüsselfrage für die Zukunft der Beziehungen zwischen den europäischen Institutionen und den Bürgern, die die eigentlichen Hauptpersonen des Integrationssystems sein müssen.

Der Prozeß von Amsterdam hat mit einem Vertrag seinen Abschluß gefunden, der in dieser Hinsicht sehr explizit ist, da er eine Reihe von Fragen behandelt, die die Bürger direkt und generell alle Menschen, ihre Rechte, ihre Interessen und legitimsten Bestrebungen betreffen.

Es ist offenkundig, daß die Geheimhaltung, die Undurchsichtigkeit der Verfahren und Beschlüsse der Institutionen, der Verdacht – der reine Verdacht –, daß es Probleme geben könne, die zugedeckt werden, der Schaffung positiver Beziehungen zwischen den Bürgern der Union und der Union selbst nicht dienlich sind. Aus diesem Grund wird im Vertrag von Amsterdam das Thema der Transparenz angesprochen, und die Kommission wird diesen Bericht sehr aufmerksam studieren, der uns bei der Ausarbeitung unseres eigenen Vorschlags helfen wird; und auch den Bericht des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte werden wir in die Überlegungen einbeziehen.

Ich möchte auf einige Aspekte eingehen, die in der Entschließung hervorgehoben werden.

Zum ersten glaube ich, daß der Wortlaut und vor allem der Kontext der Aussprachen gezeigt haben, in welchem Maße die Bestimmungen des Vertrags von Amsterdam die bestehende Realität verändern. Was den Zugang zu den Dokumenten betrifft, so existieren gegenwärtig interinstitutionelle Vorschriften sowie eigene Regelungen für jede Institution. Aber diese Regelungen basieren auf dem guten Willen jeder Institution, der kaum von den Entscheidungen des Gerichtshofs gestützt wird. Jetzt schafft der Vertrag ein wirkliches Recht auf Transparenz, das in jedem Gesetzgebungsakt und in den internen Verwaltungsvorschriften der Institutionen konkretisiert werden muß.

Zum zweiten müssen wir beachten, daß die bessere Zugangsmöglichkeit zu den Dokumenten nicht nur ein Ziel an sich ist, sondern daß sie zu einer größeren Transparenz der Verfahren und einer klareren Beurteilung der politischen und institutionellen Verantwortungen führen muß. Die Transparenz kann uns helfen, dem Bürger die Aktivitäten jeder Institution deutlicher vor Augen zu führen, um zu verhindern, daß weiterhin die irrige Idee umgeht, es handele sich um bürokratische und realitätsferne Entscheidungen von Brüssel. In diesem Zusammenhang müssen wir uns zu der interinstitutionellen Vereinbarung zur Qualität von Rechtsvorschriften beglückwünschen, die einen wichtigen Schritt zu einer für den Bürger besser verständlichen Gesetzgebung darstellt.

Zum dritten – und damit komme ich zum Schluß – möchte ich auf die Informationsfrage eingehen, die von mehreren Rednern angeschnitten wurde. Ohne Zweifel ist eine gute Information der wichtigste Teil der Transparenz. Ohne Information kann schwerlich ein transparentes System durchgesetzt werden; ohne Information ist ein Fortschritt auf der von diesem Parlament vorgezeichneten Linie nicht möglich. Wir haben begonnen, in dieser Richtung tätig zu werden. Die Veröffentlichung einer großen Zahl von Dokumenten im Internet gestattet es uns, die ganze Spektrum von Dokumenten in konkreter Form zugänglich zu machen, die als öffentlich erklärt wurden und zu denen bis jetzt der Zugang schwierig und kompliziert war. In dieser Richtung muß weitergearbeitet werden, ohne zu vergessen, daß die schriftlichen Informationen, die mündlichen Informationen und der direkte Kontakt mit dem Bürger weiterhin von grundlegender Wichtigkeit sind.

Aus diesen Gründen beglückwünsche ich die Berichterstatterin nochmals zu dieser bedeutsamen Arbeit, die wir bei der Vorlage unseres eigenen Legislativvorschlags stark berücksichtigen werden.

  Der Präsident . – Die Aussprache ist geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung.


3. Abstimmungen

Bericht (A4‐0491/98) von Herrn Barton im Namen des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Geschwindigkeitsmesser von zweirädrigen und dreirädrigen Kraftfahrzeugen und zur Änderung der Richtlinie 92/61/EWG des Rates über die Bauartgenehmigung von zweirädrigen und dreirädrigen Kraftfahrzeugen (KOM(98)0285 – C4‐0317/98‐98/0163(COD)) Verfahren ohne Aussprache (gemäß Artikel 99 der Geschäftsordnung)

(Das Parlament nimmt den Entschließungsantrag an.)

***

Bericht (A4‐0484/98) von Herrn Herman im Namen des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik über eine Entscheidung des Rates über Wechselkursfragen im Zusammenhang mit dem CFA‐Franc und dem Komoren‐Franc (KOM(98)0412 – C4‐0558/98) Verfahren ohne Aussprache (gemäß Artikel 99 der Geschäftsordnung)

(Das Parlament nimmt den Entschließungsantrag an.)

***

Bericht (A4‐0476/98) von Frau Lööw im Namen des Institutionellen Ausschusses über die Offenheit in der Europäischen Union

(Das Parlament nimmt den Entschließungsantrag an.)

Erklärungen zur Abstimmung

 

 Herman‐Bericht (A4‐0484/98)

  Berthu (I‐EDN), schriftlich. – (FR) Die Empfehlung der Kommission für eine Entscheidung des Rates über die zwischen Frankreich und einigen afrikanischen Ländern geschlossenen Vereinbarungen über die Verwaltung des CFA‐Franc und des Komoren‐Franc stellt einen dem Anschein nach technischen Text dar, der jedoch für die in Brüssel angewandten Methoden sehr aufschlußreich ist. Er zeigt nämlich, wie trotz des Vertrags der CFA‐Franc in den Zuständigkeitsbereich der Union übernommen, wie gegen die nationalen Rechte verstoßen wird und wie die französischen Interessen immer mehr beeinträchtigt werden.

Zunächst haben diese Wechselkursvereinbarungen keine Auswirkung auf die Situation der Banque de France, da es um eine Garantie der Konvertierbarkeit des CFA‐Franc zu einem festen Wechselkurs durch die französische Staatskasse, das heißt durch den Staatshaushalt unseres Landes geht. Unter diesen Umständen hätte man trotz der Ersetzung des französischen Franc durch den Euro auf der Grundlage des Vertragstextes annehmen können, daß diese Vereinbarungen weiterhin voll in die Zuständigkeit Frankreichs fallen, da es um unsere finanzielle Garantie geht und die Europäische Zentralbank a priori nichts damit zu tun hat. Genau in diesem Sinn hatten die Franzosen seinerzeit den Artikel 109 Absatz 5 des Maastrichter Vertrags verstanden, in dem es heißt: „Die Mitgliedstaaten haben das Recht, unbeschadet der Gemeinschaftszuständigkeit und der Gemeinschaftsvereinbarungen über die Wirtschafts‐ und Währungsunion in internationalen Gremien Verhandlungen zu führen und internationale Vereinbarungen zu treffen .”

Dabei rechneten sie allerdings nicht mit der Machtbesessenheit der europäischen Institutionen und insbesondere der Kommission. Obschon die Verwaltung des CFA‐Franc niemals die Gefahr einer Beeinträchtigung der Stabilität des Euro bedeutet, da es dabei um sehr geringfügige Beträge geht, hat die Kommission entgegen jeglicher Wahrscheinlichkeit und jeglicher Rechtslogik entschieden, nicht Artikel 109 Absatz 5, sondern Artikel 109 Absatz 3 anzuwenden, der die Modalitäten für den Abschluß von Vereinbarungen regelt, die von der Gemeinschaft im Zusammenhang mit Währungsfragen ausgehandelt werden. So gewährt uns Artikel 1 der Empfehlung großzügig das Recht auf Beibehaltung der Vereinbarungen über den CFA‐Franc, während wir dieses Recht bereits besitzen. Darüber hinaus sollen wir die Kommission und den Wirtschafts‐ und Finanzausschuß über jedes auf eine Änderung dieser Vereinbarungen abzielende Vorhaben unterrichten und diese in einigen Fällen sogar dem Rat zur Billigung vorlegen. All das bedeutet eine flagrante Verletzung der nationalen Befugnisse Frankreichs.

Diese rechtliche Verletzung kommt zur Verletzung der französischen Interessen hinzu, die sich dadurch ergibt, daß bei den Beziehungen zum CFA‐Franc der Euro an die Stelle des Franc treten wird. Die finanzielle Garantie, die Frankreich für den CFA‐Franc gewährte, bedeutete für unser Land einen wichtigen Handelsvorteil, da die Wirtschaftsakteure ihre Transaktionen auf der Grundlage fester Wechselkurse leichter organisieren konnten. Frankreich wird zwar weiterhin seine finanzielle Garantie gewähren, doch werden künftig sämtliche Länder der Euro‐Zone kommerziell davon profitieren.

Zudem wiesen die Wechselkursvereinbarungen zum CFA‐Franc ehedem eine gewisse Logik auf, da die von der französischen Staatskasse gewährte Garantie aufgrund von Schwankungen des französischen Franc, der selbst von der Banque de France verwaltet wurde, wirksam werden konnte. Künftig kann die französische Garantie jedoch aufgrund von Schwankungen des Euro zum Tragen kommen, auf welche die französischen Behörden keinen oder bestenfalls einen marginalen Einfluß haben werden. Die interne Logik des Systems ist somit gestört.

Dieser Kompetenzverzicht Frankreichs zusammen mit dem Verlust unseres Handelsvorteils wird zweifellos nach und nach dazu führen, daß der Einfluß Frankreichs in den betroffenen afrikanischen Ländern zurückgeht.

  Porto (PPE), schriftlich.(PT) Die Bindung der afrikanischen Währungen an den Euro ist ein zusätzlicher Wirkungsfaktor des Euro, und das rechtfertigt zusätzliche Bemühungen um seine Förderung. Das geht mich persönlich an, und das wird eine Möglichkeit sein, eine Annäherung der portugiesischsprachigen afrikanischen Länder zu erreichen.

 Lööw‐Bericht (A4‐0476/98)

  Schörling (V). – (SV ) Herr Präsident, wir haben jetzt den Bericht Lööw angenommen, wozu ich Frau Lööw gratulieren möchte. Es ist ein wichtiger Bericht, der in letzter Minute vorgelegt worden ist, wenn man die Diskussionen bedenkt, die in den letzten Monaten, Wochen und vor allem in den letzten Tagen hier und in den Institutionen der EU stattgefunden haben.

Im Institutionellen Ausschuß haben wir uns schon lange vor dem Vertrag von Amsterdam mit Fragen der Offenheit und Transparenz befaßt. Damals zeichnete Herr Bonde für die vorgelegten Dokumente verantwortlich. Im Bericht werden die notwendigen Maßnahmen diskutiert, die für mehr Offenheit und Transparenz erforderlich sind – was ja auch für die demokratische Kontrolle von entscheidender Bedeutung ist, die nicht zuletzt von diesem Parlament ausgeübt werden soll. Es geht darum, daß die Allgemeinheit Zugang zu den Unterlagen erhält, daß diese Unterlagen natürlich registriert werden müssen, es geht um öffentliche Sitzungen und nicht zuletzt um den Zugang über das Internet und um eine neue, verantwortungsvolle Verwaltungsstruktur.

Unter Offenheit und Transparenz ist aber nicht nur der Zugang zu Dokumenten durch die Allgemeinheit zu verstehen, sondern es geht auch um Offenheit des gesamten Entscheidungsverfahrens, der Verwaltungstätigkeit und der Verwendung öffentlicher Mittel. In all diesen Bereichen sind Offenheit und Transparenz vonnöten, da wir ansonsten niemals eine gut funktionierende demokratische Institution haben werden.

Im Bericht ist die Rede davon, daß die Bestimmungen des Vertrags von Amsterdam als erster Schritt in Richtung auf Schaffung eines wirklichen Öffentlichkeitsprinzips in der EU betrachtet werden können. Hier gibt es allerdings noch sehr viel zu tun. Ich möchte nur darauf hinweisen, damit wir nicht glauben, dieser Bericht wäre ausreichend und würde alles abdecken. Was wirklich noch kommen muß, ist meines Erachtens nach der Informantenschutz. Ich glaube, daß auch Frau Lööw dieser Ansicht ist. Leider hat das Plenum die von mir und Herrn Sjöstedt vorgelegten Änderungsanträge nicht angenommen. Der Informantenschutz, den es in Skandinavien ja schon gibt, d. h. das Recht, Informationen an die Öffentlichkeit und zur Veröffentlichung weiterzugeben, ohne negative Folgen für sich selbst befürchten zu müssen sowie das Recht, dabei anonym zu bleiben, muß auch hier eingeführt werden. Ich halte das für einen unabdingbaren Bestandteil eines wirklichen Öffentlichkeitsprinzips. Dafür muß sich dieses Parlament einsetzen. Es muß auch dafür sorgen, daß dies auch in den Amsterdamer Vertrag oder einen künftigen Vertrag aufgenommen wird.

  Berthu (I‐EDN), schriftlich. – (FR) Der Bericht von Frau Lööw über die Offenheit in der Europäischen Union weist zwar in die richtige Richtung, bleibt jedoch viel zu sehr im Detail verhaftet und leidet an einer fehlenden Gesamtperspektive.

Zwar wird im Amsterdamer Vertrag den Bürgern das Recht auf Zugang zu den Dokumenten der europäischen Institutionen zuerkannt – dieses Recht müßte im übrigen seit langem eine Selbstverständlichkeit sein; die ungleiche Behandlung zwischen Rat und Kommission indessen kann Anlaß zu Besorgnis geben. In einem spezifischen Artikel (207 neu) sind die wichtigsten Pflichten des Rates im Hinblick auf Transparenz festgelegt, während eigenartigerweise für die Kommission keine entsprechenden Bestimmungen bestehen. Es darf nicht dazu kommen, daß die Kommission diese Lücke dazu zu nutzen versucht, den bei der Erledigung ihrer Aufgaben bestehenden Mangel an Transparenz, dessen bedauernswerten Folgen wir heute mit den zahlreichen Betrugsfällen und Skandalen erleben, zu verewigen.

Schlimmer ist jedoch, daß der Bericht Lööw nicht ausgehend von einer breiteren Sichtweise die grundlegende Frage stellt, ob nämlich die gesamte europäische Integrationspolitik der letzten Jahre nicht gleichfalls an einem erheblichen Mangel an Offenheit leidet. Die Methode Monnet nämlich, über welche die deutsche Ratspräsidentschaft heute vormittag soviel Positives gesagt hat, weist nämlich zwei Seiten auf: Zum einen handelt es sich um eine Politik der Integration durch kleine aufeinanderfolgende Schritte technischer Art, aber auch, was allzu häufig unerwähnt bleibt, um eine Politik, deren Endziel den Bürgern nie klar aufgezeigt wird, selbst wenn die strategischen Akteure ihrerseits sich voll darüber im klaren sind.

Diese Vorgehensweise ist von Natur aus antidemokratisch. In den Anfängen der Gemeinschaft mag sie ohne wesentliche Auswirkungen geblieben sein, während sie heute dramatische Konsequenzen zur Folge hat: zum einen wesentliche Souveränitätsübertragungen, die gleichsam geheim erfolgen, und zum andern eine völlige Loslösung von der Öffentlichkeit.

In der Europäischen Union muß die Demokratie wiederhergestellt, das heißt genau der entgegengesetzte Weg zur Monnet‐Methode eingeschlagen werden. Natürlich könnte der europäische Föderalismus dadurch gebremst werden. Heute gilt es jedoch, hinsichtlich unserer prioritären Ziele eine Entscheidung zu treffen, nämlich Integration oder Demokratie.

  Blak, Iversen, Kirsten Jensen und Sindal (PSE), schriftlich. – (DA ) Die dänischen Sozialdemokraten haben heute für den Bericht über die Offenheit in der Europäischen Union gestimmt. Wir treten für den öffentlichen Zugang zu den Dokumenten der EU ein. Wir unterstützen außerdem die Änderungsanträge, in denen betont wird, daß die einzelstaatlichen Vorschriften in bezug auf die Offenheit respektiert werden müssen und man beim Europäischen Gerichtshof ein Rechtsmittel einlegen kann, wenn die Akteneinsicht verweigert wird. Andererseits müssen unserer Ansicht nach nicht alle Ratssitzungen öffentlich sein. Das soll allerdings nicht heißen, der Rat dürfe danach seine Entscheidungen und Protokolle unter Verschluß halten. Außerdem müssen sich Beamte an bestimmte Regeln halten, wenn sie sich zu internen Angelegenheiten, z. B. zu sensiblen personenbezogenen Daten, äußern, so wie das auch in der dänischen Verwaltung der Fall ist.

  Darras (PSE), schriftlich. – (FR) Zu einem Augenblick, da Euroskepsis und sogar die Verurteilung der Europäischen Union in einer bestimmten Presse und einem Teil der Öffentlichkeit zum guten Ton zu gehören scheinen, kommt der vorliegende Bericht gerade recht.

Der Amsterdamer Vertrag wird von den Europagegnern verschrien, während durch die Gewährleistung des Rechts der Öffentlichkeit auf Zugang zu EU‐Dokumenten und durch die Forderung, daß EU‐Entscheidungen „möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden”, der Grundsatz der Offenheit ausdrücklich im EU‐Vertrag verankert wurde.

Ich danke daher der Berichterstatterin für ihre Arbeit, womit der Weg für die Zeit nach Ratifizierung des Amsterdamer Vertrags vorbereitet und versucht wird, die für eine Verbesserung der Transparenz erforderlichen Instrumente zu schaffen.

Im Bericht Lööw wird gefordert, daß der neue Verhaltenskodex nicht nur für Dokumente der Kommission, des Rates und des Parlaments, sondern auch für die Dokumente aller anderen Organe und Einrichtungen der Union gelten soll, daß die Praxis offener Sitzungen des Rates beträchtlich ausgeweitet und die vertraulicher Erklärungen beendet werden sollte.

Des weiteren wird in dem vorliegenden Bericht gefordert, daß alle EU‐Gesetzesvorschläge, Komitologietexte und andere wichtige EU‐Dokumente über das Internet verfügbar gemacht werden, um die EU‐Bürger zu informieren.

Es handelt sich also um ein ganzes Spektrum von Maßnahmen, die mir für ein besseres Funktionieren der Europäischen Union und für ein besseres Verständnis ihrer Handlungen durch die europäischen Bürger unerläßlich erscheinen. Ich werde daher für den vorliegenden Bericht stimmen und fordere unser Parlament auf, dies ebenfalls zu tun.

  Delcroix (PSE), schriftlich. – (FR) Als ich vor einigen Wochen die Rue Wiertz überquerte, wurde ich von einer jungen Frau angesprochen, die mich ohne Umschweife fragte: „Was muß man tun, um in die Bibliothek des Europäischen Parlaments zu kommen?” Als deutsche Studentin, die eine Diplomarbeit schrieb, konnte sie zwar ohne Schwierigkeiten Einsicht in die Kommissions‐Dokumente nehmen, während sie in unserem Parlament vor verschlossener Tür stand. Ich habe natürlich eine Zugangserlaubnis unterzeichnet, und sie konnte mit unseren Bibliothekaren Kontakt aufnehmen, die ihr bei ihren Recherchen über den europäischen Raum jegliche Unterstützung zuteil werden ließen.

Bei dieser Gelegenheit habe ich mich gefragt, wie es mit der Offenheit der europäischen Institutionen im allgemeinen und unserer Institution im besonderen steht. Der Zugang der Öffentlichkeit zu den Dokumenten ist dazu von entscheidender Wichtigkeit und wurde in Artikel 191a Absatz 2 des Amsterdamer Vertrags vorgesehen. Die Berichterstatterin stellt also zu Recht die Frage nach unserem eigenen System. Wer legt die Spielregeln fest? Die Entscheidung in diesem Bereich trifft die Konferenz der Präsidenten ohne jegliche Mitsprache eines Ausschusses. Ich erkenne an, daß die Entscheidung vom 10. Juli 1997 „über den Zugang der Öffentlichkeit zu den Dokumenten des Europäischen Parlaments” zweifelsohne in die richtige Richtung geht.

Am 17. April 1998 hat das Präsidium einen Beschluß zu den Kosten im Zusammenhang mit der Übermittlung von Dokumenten gefaßt. Gut und schön, aber die Frage des Zugangs ist so wichtig, daß sie eigentlich alle Abgeordneten betrifft, denn sie steht in einem engen Zusammenhang mit dem Vertrauen der Bürger in die Europäische Union und dem Bild, das sie sich von ihr machen. Tun wir genug, um unsere Arbeiten bekanntzumachen? Ich bin erstaunt über das Mißverhältnis zwischen der Masse an Dokumenten, die von unseren Ausschüssen als Ergebnis ihrer häufig ausgezeichneten Arbeiten vorgelegt werden, und deren Wirkung in den Medien und in der Öffentlichkeit. Wie ist hier eine Verbesserung möglich?

In dem Bericht Dury/Maij‐Weggen zur Vorbereitung der Regierungskonferenz wurde die vertragliche Verankerung des Rechts auf Zugang zu EU‐Dokumenten gewünscht, und diesem Wunsch der beiden Kolleginnen ist entsprochen worden. Sie forderten ferner, daß die Dokumente verständlich abgefaßt, die Verträge neu gegliedert und vereinfacht werden und daß die im Zusammenhang mit der Gesetzgebung der Union geäußerten Sonderbemerkungen und Vorbehalte der Mitgliedstaaten ebenfalls veröffentlicht werden sollten. In all diesen Punkten sind noch Fortschritte notwendig.

Schließlich sei auf die Notwendigkeit einer weiteren Vervollständigung der Offenheit hingewiesen, die sich nicht auf den Zugang zu Dokumenten beschränkt, so wichtig dieser Aspekt auch sein mag. Im Zuge der Ratifizierung des Maastrichter Vertrags haben einige Mitgliedstaaten diesen Vertrag an jeden Haushalt verschickt. Dabei wurde außer acht gelassen, daß der Europajargon vereinfacht und übersetzt werden muß, damit die Bürger verstehen, worum es geht. Eine solche Vereinfachung ist auch bei den Entscheidungsprozessen erforderlich. Je mehr sich Europa dem demokratischen Modell seiner Mitgliedstaaten annähert, desto stärker wird sich der Bürger damit identifizieren. Der Amsterdamer Vertrag stellt zwar einen Fortschritt in dieser Richtung dar, doch ist der Weg zu Transparenz und Demokratie noch lang.

Es geht hier um das Problem des Aufbaus Europas im Spannungsfeld zwischen Nationalstaaten und Bundesstaat. Gleichwohl kann der Grundsatz transnationaler Listen zu einem stärkeren europäischen Bewußtsein beitragen.

  Deprez (PPE), schriftlich. – (FR) Das europäische Aufbauwerk leidet an einem – durch das vergiftete Klima, wie es seit einigen Wochen in der Europäischen Union herrscht, nunmehr noch verschärften – Mangel an Vertrauen in der Öffentlichkeit.

Der Bericht, mit dem wir uns heute befassen, kommt also zur rechten Zeit, denn für den weiteren Aufbau Europas ist mehr denn je Transparenz erforderlich.

Ich begrüße es, daß unsere Berichterstatterin die Förderung der Offenheit nicht nur auf den Zugang der Öffentlichkeit zu EU‐Dokumenten beschränkt, sondern die Anwendung des Grundsatzes der Transparenz auf eine größere Öffnung der Sitzungen des Rates, wenn er als Gesetzgeber tätig wird, auf eine verstärkte Nutzung moderner Mittel für schnelle bzw. Online‐Kommunikation, auf eine einfachere Formulierung von EU‐Texten, auf die Beibehaltung der Vielsprachigkeit in den Organen der EU sowie auf eine Verbesserung der Qualität der EU‐Informationskampagnen erweitert.

Ich für meinen Teil möchte besonderen Nachdruck darauf legen, daß die derzeitigen Gründe für Ausnahmeregelungen im Bereich der Offenheit konkreter und restriktiver festgelegt werden müssen, selbst wenn es für jedermann offenkundig ist, daß eine gewisse – und auch verläßliche – Vertraulichkeit bisweilen nicht nur wünschenswert, sondern bei der Behandlung heikler oder besonders wichtiger Angelegenheiten in hohem Maße unabdingbar ist.

Ich gehöre zu denen, nach deren Ansicht ganz allgemein die Schaffung eines neuen Verhaltenskodex und dessen erweiterte Anwendung auf alle europäischen Institutionen zweifellos zu einem höheren Maß an Klarheit und zu einer dringend notwendigen Wiederherstellung ihrer Glaubwürdigkeit beitragen werden.

Ich erachte es schließlich auch als wünschenswert, was unsere Berichterstatterin „eine Verbesserung der redaktionellen Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, die zu klareren und einfacheren EU‐Texten führen soll” bezeichnet. Eine unverständliche Sprache bei Rechts‐ und Verwaltungsvorschriften ist leider nicht nur den europäischen Institutionen eigen, denn auch für einen Großteil der Mitgliedstaaten wäre eine Konsolidierung und Kodifizierung ihrer Rechtsvorschriften ein Gewinn. Ein Grund mehr also für ein beispielhaftes Vorgehen der Union!

  Lindholm (V), schriftlich. (SV) Vor dem Hintergrund der jüngsten Vorwürfe zu Betrugsfällen in der Kommission hoffe ich, daß das Parlament den Bericht Lööw über die Offenheit in der EU mit großer Mehrheit annimmt.

Ich bin davon überzeugt, daß ein echtes Öffentlichkeitsprinzip ein wirksames Instrument im Kampf gegen Betrug innerhalb der EU‐Institutionen wäre und dazu beitragen würde, das zur Zeit berechtigte Mißtrauen der Bürger abzubauen.

Was noch fehlt, ist der sogenannte Informantenschutz, der eigentlich eine Voraussetzung dafür ist, daß Offenheit und Öffentlichkeitsprinzip ungehindert funktionieren können.

Die Ereignisse der letzten Zeit, so etwa die Dienstenthebung eines Beamten, der das Parlament über merkwürdige Vorkommnisse in der Kommission informiert hatte, zeigen mit aller Deutlichkeit die Notwendigkeit eines solchen Schutzes. Ich hoffe daher, daß der Informantenschutz in der EU so bald wie möglich eingeführt wird.

  Der Präsident . – Damit ist die Abstimmung beendet.(1)

(Die Sitzung wird um 13.10 Uhr unterbrochen und um 15.00 Uhr wiederaufgenommen.)

VORSITZ: GUIDO PODESTÀ
Vizepräsident

(1) Dringlichkeitsdebatte (aufzunehmende Themen): siehe Protokoll.


4. Zustimmung des EP zum Präsidenten der Kommission

  Der Präsident . – Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht von Herrn Brok (A4‐0488/98) im Namen des Institutionellen Ausschusses über die institutionellen Auswirkungen der Zustimmung des Europäischen Parlaments zur Benennung des Präsidenten der Kommission und über die Unabhängigkeit der Mitglieder des Kollegiums.

  Brok (PPE), Berichterstatter. – Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das Europäische Parlament hat mit der Verwirklichung des Vertrags von Amsterdam neue Möglichkeiten, die Beziehungen der Institutionen zueinander zu bestimmen. Wenn man nämlich den Amsterdamer Vertrag mit den üblichen Worten zusammenfaßt, so muß gesagt werden, daß der Europäische Rat nur ein Vorschlagsrecht für den Kommissionspräsidenten hat und daß das eigentliche Wahlrecht dem Europäischen Parlament zusteht. Dies führt zu einer neuen Qualität von Beziehungen, und wir müssen uns auch in den Verfahren, die im Laufe dieses Sommers und Herbstes deswegen eingeführt werden müssen, aufeinander abstimmen.

Dabei ist es notwendig, daß auch die politischen Familien von vorneherein von dieser neuen Chance Gebrauch machen, und deswegen hält es der Institutionelle Ausschuß und halte es auch ich persönlich für richtig, daß sich auf Dauer der Vorschlag von Jacques Delors durchsetzt, daß die großen politischen Familien im Wahlkampf einen Vorschlag für ihren Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten machen. Ich glaube, daß dies außerordentlich wichtig ist, weil es zur Personalisierung europäischer Politik führt und so auch ein stärkeres Interesse der Bevölkerung für die europäischen Gedanken gewonnen werden kann.

Wichtig scheint es aber zu sein, daß der Europäische Rat und die Regierungen das Ergebnis der Europawahl selbst als entscheidendes Merkmal für die Benennung akzeptieren. Aus diesem Grunde halten wir es für falsch, daß die Präsidentschaft beabsichtigt, den Kandidaten des Rates 9 Tage vor der Europawahl zu benennen, denn der Europäische Rat kann den Ausgang der Europawahl noch nicht kennen. So könnte ein Vorschlag gemacht werden, der nicht mit dem Ergebnis dieser Wahl in Übereinstimmung zu bringen ist.

Die Konsequenz daraus ist, daß nach der Europawahl ein Sondergipfel stattfinden muß, damit entsprechend den sich aus dieser Wahl ergebenden Mehrheitsverhältnissen ein Kandidat vorgeschlagen werden kann, der wahrscheinlich das Vertrauen dieses Hauses gewinnen kann. Hier müssen wir uns wohl an einem neuen Weg orientieren, um entsprechend voranzukommen. Darum werden wir großen Wert darauf legen, daß mit diesem vom Europäischen Rat nominierten Kandidaten Verhandlungen geführt werden, um eine Grundlage zu finden, entsprechend der politischen Zielsetzungen des designierten Präsidenten, entsprechend der Qualität der interinstitutionellen Beziehungen, aber auch der Kriterien, an die er sich gemeinsam mit den Regierungen bei der Benennung der übrigen Kommissionsmitglieder halten will. Auch hier bieten sich dem nominierten und vom Europäischen Parlament gewählten Kommissionspräsidenten ja neue Möglichkeiten, denn die Regierungen der Mitgliedstaaten können nur im Benehmen mit diesem Kommissionspräsidenten einen Vorschlag unterbreiten.

Damit trägt dieser Kommissionspräsident auch die Verantwortung dafür, eine andere Forderung des Europäischen Parlaments zu verwirklichen, nämlich daß in dieser Kommission ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern und den wesentlichen politischen Richtungen in der Europäischen Union sichergestellt ist, damit sie übergreifend ihrer Tätigkeit gerecht werden kann. Dies ist unserer Ansicht nach auch eine wesentliche Grundlage dafür, wie die entsprechenden Anhörungen mit den Kandidaten durchgeführt werden. In dieser Hinsicht muß es nach den Erfahrungen von 1995 noch eine Reihe von Verbesserungen geben.

Es ist auch außerordentlich wichtig, deutlich zu machen, daß die Unabhängigkeit der Kommission gestärkt wird, indem die Vermeidung von Interessenkonflikten durch Offenlegung von externen Interessen, durch die Verpflichtung zum Verzicht auf Beteiligung an Beratungen oder ähnlichen in dem Bericht angesprochenen Dingen gewährleistet ist. Ich glaube, daß wir dann auch manches vermeiden können, was wir heutzutage kritisch diskutieren. Außerdem gibt es hier auch neue Möglichkeiten, verstärkt die politische Verantwortung von Kommissaren – wie wir das bei Ministern im nationalen Bereich gewohnt sind – einzufordern, um so auch Rücktritte zu ermöglichen und dem Kommissionspräsidenten die Möglichkeit zu geben – wie im Vertrag von Amsterdam geregelt ist –, Kommissaren, die politisch versagt haben, ihre Ressorts zu entziehen. Manches, was wir in diesen Stunden diskutieren, wäre mit einem solchen Instrumentarium nicht notwendig, weil es ein größeres Maß an Regelungsmöglichkeiten gäbe.

Möglichst noch vor der Sommerpause, nach der Europawahl, sollte der Kommissionspräsident seine Vorschläge unterbreiten, über die dann baldmöglichst abgestimmt werden sollte, um dann das Verfahren zur Bestimmung der einzelnen Kommissare einzuleiten. Ich glaube, daß wir mit dem von uns vorgelegten Zeitplan einen Weg finden könnten, mit dem sich auch der Rat und die zukünftige Kommission anfreunden könnten, um auf diese Art und Weise die Grundlage für eine neue Beziehung zwischen den Institutionen zu erreichen, die eine neue Qualität für Europa bedeutet.

  Anastassopoulos (PPE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Recht und Bürgerrechte. – (EL) Herr Präsident, der Bericht, den unser geschätzter deutscher Kollege Elmar Brok heute endlich in diesem Hause präsentiert, ist im wesentlichen die Fortsetzung und Vollendung einer Vorlage für einen Bericht, den ein anderer lieber Kollege, Herr Giampaolo d'Andrea, vorgestellt hatte, der inzwischen zum Staatssekretär im italienischen Kabinett ernannt worden ist und uns vorzeitig verlassen hat.

Meines Erachtens kann das Parlament diesen Bericht problemlos und ohne größere Bedenken im Hinblick auf seine Grundsätze annehmen, denn Herr Elmar Brok hat ihn, natürlich mit Zustimmung des Institutionellen Ausschusses, so formuliert, daß er den meisten Empfindlichkeiten, die es in diesem Saal möglicherweise gibt, Rechnung trägt. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, daß das Parlament, zumindest in bestimmten, glücklicherweise recht zahlreichen Fällen, rechtzeitig tätig wird, sogar noch schneller ist als die Verträge und auch eventuell für die Zukunft sich abzeichnenden Entwicklungen zuvorkommt.

Wir debattieren über die Zustimmung des Europäischen Parlaments zur Amtseinsetzung des Präsidenten der Europäischen Kommission, eine höchst wichtige Änderung infolge des Vertrages von Amsterdam, die eine Legitimierung zumindest durch eine Seite der beiden Gewalten, die die Europäische Union konstituieren, mit sich bringt, wenn wir denn die Definition akzeptieren, daß die Europäische Union eine Union von Völkern und Staaten ist.

In diesem Fall wird der Vorschlag der Staaten, also der Staats‐ und Regierungschefs, zur Benennung des Kommissionspräsidenten durch die Völker legitimiert, und zwar mit Hilfe der Europaabgeordneten, der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Dies ist ein außerordentlich wichtiger institutioneller Schritt, und wenn die Ratifizierung des Vertrages von Amsterdam bis Ende März – wie wir hoffen – durch die französische Präsidentschaft abgeschlossen wird, dann gilt die Regelung bereits ab Mai, und unmittelbar nach der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments können wir diese enorm wichtigen neuen Bestimmungen dann zum ersten Mal anwenden.

Ich stimme vollkommen mit Elmar Brok überein, daß der Zeitpunkt der Benennung des Kandidaten auf dem Europäischen Rat in Köln nur eine Woche vor den Wahlen zum Europäischen Parlament unglücklich gewählt ist. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, daß das Ergebnis der Europawahlen die Vorschläge der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den Kommissionspräsidenten nicht beeinflussen sollte. Wir müssen beharrlich bleiben und dafür kämpfen, daß dies geändert wird. Schließlich haben wir erst Januar, und es ist unsere Pflicht, das zu tun.

Ich möchte gar nicht viel hinzufügen, meines Erachtens und auch nach Einschätzung des Rechtsausschusses, den ich vertrete, sollte das Parlament die Verträge stets mit politischer Phantasie interpretieren, sich aber nicht zu sehr von ihrem Buchstaben entfernen, denn damit könnten wir am Ende mehr Probleme verursachen, als wir lösen. Die Verträge weisen Lücken auf, die beseitigt werden müssen, aber gegenwärtig geht es darum, den Vertrag von Amsterdam im Juli richtig anzuwenden.

  Delcroix (PSE). ‐ (FR) Herr Präsident! Der vorliegende Bericht, zu dem ich den Berichterstatter übrigens beglückwünsche, betrifft – im Gegensatz zu dem, worüber wir zuvor diskutiert haben – die Zukunft und insbesondere die Beziehungen zwischen Rat, Kommission und Europäischem Parlament im Hinblick auf eine stärkere Demokratisierung unserer Institutionen. An wen richtet sich dieser Bericht? Meines Erachtens ist er zunächst an uns, an das Europäische Parlament gerichtet – es handelt sich um ein Dokument für intern anzustellende Überlegungen, und ich beglückwünsche im übrigen den Institutionellen Ausschuß für die dazu ergriffene Initiative – und sodann an die übrigen Institutionen, mit denen ein Gleichgewicht gefunden werden muß.

In dem vorliegenden Bericht wurden Betrachtungen zu drei Aspekten angestellt. Erstens, zu den Neuerungen des Vertrags von Amsterdam; zweitens, zu den Elementen einer dynamischeren Wahlkampagne, also praktisch die Delors‐Vorschläge; drittens, zu einem transparenteren, klareren und durch größere Gleichheit gekennzeichneten Demokratiemodell.

Was den Amsterdamer Vertrag betrifft, so gibt es drei Neuerungen, die die von den allgemeinen Direktwahlen gebotenen Vorteile bestmöglich nutzen, ohne sie zu verfälschen; dazu gehören – Herr Brok hat bereits darauf hingewiesen – die Zustimmungsvoten, das heißt die obligatorische Zustimmung, die für alle Seiten verbindlich ist. Die erste Zustimmung betrifft die Persönlichkeit, die für die Ernennung zum Präsidenten der Kommission vorgeschlagen wird und die somit an der Benennung der einzelnen Kommissionsmitglieder mitbeteiligt ist, die im Einvernehmen mit den Regierungen erfolgt; ein zweites Zustimmungsvotum betrifft das Gesamtkollegium, das aus dem Präsidenten und den einzelnen Kommissionsmitgliedern besteht, sowie die Tatsache, daß diese Kommission nach den vom Präsidenten festgelegten politischen Leitlinien arbeiten wird.

Daraus ist zu ersehen, welch wichtige Rolle das Europäische Parlament zu spielen haben wird und daß innerhalb des Parlaments eine Mehrheit gefunden werden muß; ferner zeichnet sich eine Europäische Union ab, in der eine Exekutive – die Kommission – durch zwei Gesetzgebungsorgane eingesetzt wird, von denen das eine die Bürger vertritt – das Europäische Parlament – und das andere die Mitgliedstaaten, also der Rat. Wir haben hier eine prekäre dreigliedrige Struktur, und es werden viele Zugeständnisse notwendig sein, um zu dem erforderlichen Gleichgewicht zu gelangen.

Das im Amsterdamer Vertrag vorgesehene Einsetzungsverfahren macht jedoch deutlich, daß weder der Rat noch das Europäische Parlament die Exekutive alleine, ohne Berücksichtigung des Standpunkts des anderen Organs, einsetzen kann. Beide Organe sind also gezwungen oder jedenfalls aufgefordert, sich über die Zusammensetzung, die politische Ausrichtung und die Arbeitsweise der Kommission zu verständigen und Verhandlungen darüber zu führen. Das Europäische Parlament ist mithin heute in der Lage, bei der Einsetzung des Kollegiums der Kommissionsmitglieder eine eindeutig stärkere Rolle zu spielen. Das ist ein Novum, woran man sich erst gewöhnen muß, was wahrscheinlich nicht einfach sein wird.

Die zweite Betrachtung betrifft die dynamischere Gestaltung der Wahlkampagne. Wie praktisch jeder weiß, muß eine Wahlkampagne, wenn sie erfolgreich sein soll, personalisiert werden, und infolgedessen ist der Delors‐Vorschlag aufgegriffen worden. Das Problem besteht nun darin, daß unsere Strukturen, insbesondere die politischen Parteien, für eine Umsetzung dieser Vorschläge noch nicht ganz vorbereitet sind, so daß diese Neuregelung bei den jetzigen Wahlen wahrscheinlich noch nicht greifend wird, sondern vermutlich erst zu den nächsten Wahlen, weil man sich erst darauf einstellen muß. Jedenfalls darf der Prozeß der Benennung des Kandidaten für das Amt des Präsidenten meines Erachtens nicht vor dem Votum der Wähler beginnen, sei es auch nur aus Respekt gegenüber dem Bürger als Wähler und gegenüber dem Europäischen Parlament. Letzteres schließlich stellt ein Reservoir dar, aus dessen Reihen die Regierungen der Mitgliedstaaten für Regierungsbildungen Minister oder Staatssekretäre auswählen, und man mag darüber erstaunt sein, daß die europäischen Gremien insbesondere für die Zusammensetzung der Kommission über keine größeren Möglichkeiten verfügen.

Abschließend möchte ich sagen, daß ich angenehm über die Erklärung überrascht war, die der Vertreter des Rates heute vormittag abgegeben hat. Er sagte: „Der Amsterdamer Vertrag hat dem Europäischen Parlament neue wichtige Rechte und Befugnisse eingeräumt”, und fügte im Zusammenhang mit der Regierungskonferenz hinzu, daß „bei der Wahl der Kommission eine weitergehendere Rolle des Europäischen Parlaments denkbar (sei), als dies im Amsterdamer Vertrag vorgesehen ist.” Wir waren also bislang wahrscheinlich zu bescheiden.

  Frischenschlager (ELDR). – Herr Präsident, dieser Bericht betrifft einen ganz wesentlichen Aspekt der politischen Verfassung der Europäischen Union, denn wenn das Wirklichkeit wird, dann findet eine ganz wesentliche Parlamentarisierung und damit Demokratisierung der Europäischen Union statt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß EU‐Politik sehr lang eine reine Regierungsdomäne war. Jetzt kommen wir nach und nach dazu, daß die Europäische Union sich bestimmten Standards einer parlamentarischen Demokratie nähert, und das ist ganz wichtig und sehr positiv.

Ich halte es für sehr wichtig, daß auch die Wahl zum Europäischen Parlament dadurch erheblich mehr politisches Gewicht bekommt. Wenn nun die Volksvertretung innerhalb der Europäischen Union das Recht bekommt, bei der Besetzung der höchsten Ämter in der Exekutive der Europäischen Union ganz maßgeblich mitzureden, dann kann sie damit auch die Politik der Kommission wesentlich stärker beeinflussen. Ich halte es für sehr wichtig, nun auch den nächsten Schritt zu tun und die Verantwortlichkeit der Kommission und der einzelnen Kommissare gegenüber dem Parlament in der politischen Ordnung der Europäischen Union zu verankern. Die Notwendigkeit dazu haben wir ja gerade in der Debatte dieser Tage sehr klar erkennen müssen.

Der Grundgedanke ist doch folgender: Wir wollen eine starke Europäische Union, eine Union, die sich auch gegenüber den nationalen Interessen durchsetzt. Aber eine derart kompetenz‐ und einflußreiche Europäische Union braucht einen Zwillingsbruder oder eine Zwillingsschwester. Das ist die Demokratie. Dieser Bericht zeigt uns in einem maßgeblichen Bereich, daß wir auf diesem Weg zu einer demokratischen Europäischen Union weiterkommen können, wenn das Wirklichkeit wird, was in diesem Bericht vorgeschlagen wird.

  Cardona (UPE).(PT) Herr Präsident, liebe Kollegen! Und die Kommissionnimmt hier und heute in diesem Hause auch weiterhin an unserer Debatte teil ... Das halte ich für gut. Damit wird nun die Politik in ihrer erhabensten Bedeutung verwirklicht. Und ich trage nun in bescheidenem Umfang zu dieser Debatte bei. In diesem Sinne möchte ich Ihnen sagen, daß ich hier nicht die Argumente wiederholen will, die ich im zuständigen Ausschuß angeführt und mit denen ich meine Auffassung begründet habe, die einigen im Bericht unseres Kollegen Brok sanktionierten Lösungen widerspricht.

Die Betonung der Regierungsfunktion der Kommission ist einer von diesen Aspekten, ebenso die Nominierung des Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten aus Anlaß der Europawahl und die Verpflichtung, eine bedeutende Zahl von Kollegen des Europäischen Parlaments für die Kommission zu benennen.

Jedoch möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß ich den Grundsatz der größeren politischen Verantwortlichkeit des Kommissionspräsidenten begrüße und als positiv ansehe. Aus diesem Grundsatz, der auf dem Amsterdamer Vertrag beruht, ergibt sich, daß die Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen einen Namen für das Amt des Kommissionspräsidenten angeben müssen, was demzufolge bedeutet, daß man von den Staaten sorgfältigere Überlegungen in bezug auf den Namen der anzugebenden Persönlichkeit verlangen kann. Dem Europäischen Parlament steht eine äußerst wichtige Rolle bei der Prüfung und Wahl sowohl des Präsidenten als auch des Kollegiums der Kommissare zu. Diese größere Verantwortlichkeit und politische Autorität des Kommissionspräsidenten ist eine zu begrüßende Tatsache, und heute ist sie mehr denn je ein Element, das wir alle bedenken und begrüßen müssen. Schön wäre es, wenn man im zuständigen Ausschuß für einen von meinen Vorschlägen gestimmt hätte, der lautete, daß ab dem Zeitpunkt, zu dem der Präsident und sein Programm bekannt gemacht werden und die entsprechende Abstimmung erfolgt ist, einige Zeit vergangen sein muß, um zu verhandeln, Interessen abzustimmen und die starke, politisch glaubwürdige und Autorität über die Kommission besitzende Persönlichkeit zu finden. Europa braucht diesen Grundsatz.

  Voggenhuber (V). – Herr Präsident! Ich bin mit diesem Bericht weitgehend einverstanden, möchte jedoch einen zentralen Punkt herausgreifen, mit dem ich nicht einverstanden bin, nämlich den Versuch in diesem Bericht, die Nominierung des Präsidenten mit der Wahl des Europäischen Parlaments zu verschmelzen, was bereits von Herrn Delors vorgeschlagen wurde. Ich bin deshalb nicht einverstanden, weil die Folgen dieses Vorschlags konstitutionell in keiner Weise durchdacht sind und weil sie das Dilemma unserer Integrationsmethode geradezu dramatisch aufdecken.

Der Herr Ratspräsident hat heute die Methode Jean Monnet, den Pragmatismus der Integrationspolitik, begrüßt. Es war dies die Methode, die mit diskreten Projekten Schneisen geschlagen und Dynamiken ausgelöst hat. Ich glaube, daß die heutige Situation völlig anders ist, und ich bin daher außerordentlich zufrieden darüber, daß der Ratspräsident hier zum ersten Mal die Notwendigkeit eines Verfassungsprozesses bekundet hat. Das ist nämlich genau die Methode, die nicht mehr in die Zukunft führt. Was soll diese Wahl eines Kommissionspräsidenten, die dann doch keine ist?

Wie kann ein Parlament seine eigene Wahl abwerten zu einer Quasi‐Wahl einer Exekutive? Wohin geht diese Quasi‐Wahl eines Kommissionspräsidenten? In Richtung einer Präsidialdemokratie? In Richtung eines föderalen Modells? Oder muß der Kommissionspräsident Mitglied des Parlaments sein, und wenn ja, warum? Aufgrund welcher konstitutionellen Vision? Ich denke, daß die Zeit vorbei ist, diese Machtakkumulation der EU mit derartigen pragmatischen Einzelvorstößen in eine Demokratie verwandeln zu wollen. In eine Demokratie zu verwandeln ist diese Union nur mehr mit einem Verfassungsprozeß.

  Dell"Alba (ARE).(IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, heute vormittag hat der amtierende Ratspräsident eine sehr brillante, eine sehr bedeutsame Rede gehalten, die gewiß auch breite Zustimmung gefunden hat. Trotzdem glänzt der Rat durch Abwesenheit an diesem Nachmittag des heutigen Tages, an dem es um die Beziehungen zum Rat geht, und während doch ein Text zur Debatte steht, der die Beziehungen des Europäischen Rates zum Parlament in einem so heiklen Bereich zum Gegenstand hat, in welchem das Parlament nach dem Vertrag von Amsterdam über Befugnisse verfügt, die ausschlaggebend für diese hervorragende Arbeit von Herrn Brok waren. Ich sehe keinen Vertreter des Rates, und offen gesagt ist eine solche Haltung – auch gegenüber dem Berichterstatter, Herrn Brok, dem ehemaligen Sprecher des Europäischen Parlaments in der Arbeitsgruppe, die den Vertrag von Amsterdam aushandelte – einer Ratspräsidentschaft, die gerade beginnt und vielleicht einem so wichtigen Bericht etwas mehr Aufmerksamkeit hätte widmen können, nicht eben würdig. Verfahren wir also so, wie wir in Italien zu sagen pflegen, Herr Kommissar Oreja: sprechen wir mit der Schwiegermutter, um uns der Schwiegertochter verständlich zu machen, und schicken wir also der deutschen Ratspräsidentschaft das Protokoll.

Ich bekunde nachhaltig meine Unterstützung für den Bericht unseres Kollegen Brok, der, wenn wir ihn ohne die Änderungen annehmen, die eine Light ‐Version daraus zu machen versuchen, meines Erachtens ein ausgezeichnetes Konzept für die Bewältigung der kommenden Wahlperiode bietet, mit einer Kommission, die den Herausforderungen, denen sich die Europäische Union wird stellen müssen, gewachsen ist. Ich hoffe, daß mein an den Europäischen Rat gerichteter Änderungsantrag vom Plenum angenommen wird, um dem Rat damit bewußt zu machen, daß er mit der Anberaumung der Tagung des Europäischen Rates für den 3. und 4. Juni den gesamten durch Amsterdam vorgegebenen Plan durcheinanderbringt, und ich bitte den deutschen Ratsvorsitz, die Notwendigkeit einzusehen, entweder den Termin für die Tagung des Europäischen Rates oder aber den für die Wahl des designierten Präsidenten zu verschieben.

Ich hoffe, daß dies auch im Wege des Sitzungsprotokolls erreicht werden kann.

  Berthu (I‐EDN).(FR) Herr Präsident, im parlamentarischen Leben gibt es fatale Zufälle, von denen einer den heutigen Bericht Brok betrifft. Just in dem Augenblick, da allgemein anerkannt wird, daß die Kommission durch Unterschlagungen intern korrumpiert ist, schlägt uns der Institutionelle Ausschuß unseres Parlaments vor, in vorauseilender Anwendung der neuen Bestimmungen des Vertrags von Amsterdam die Kommission in eine Art Unionsregierung umzuwandeln.

Bei dieser Gelegenheit wird uns wieder einmal die alte Theorie von der Unabhängigkeit der Kommission aufgetischt, welche die Föderalisten anscheinend als einen zentralen Pfeiler ihrer Lehre betrachten und worin ich für meinen Teil vielmehr die wesentliche Wurzel des Übels sehe, von dem die europäischen Institutionen betroffen sind.

In dem Ihnen zur Abstimmung vorliegenden Entschließungsantrag wird in der Tat vorgeschlagen, das Konzept der Unabhängigkeit der Kommission zu verstärken, das heißt, ich zitiere „die Rolle der Kommission als Vertreterin der Gemeinschaftsinteressen, Hüterin der Verträge und Inhaberin des ausschließlichen Initiativrechts bei der Rechtsetzung zu wahren”. Hier zeigt sich gleichsam eine Vergöttlichung der Kommission, die in ihrer Reinheit und Tugendhaftigkeit das Allgemeininteresse vertritt und auf die eine Übertragung wesentlicher Befugnisse somit zulässig wäre.

Zweifelsohne ging es nach Ansicht des werten Mitglieds, das diese Zeilen verfaßt hat, um eine Stärkung der Unabhängigkeit der Kommission gegenüber dem Rat und den Mitgliedstaaten, nicht aber gegenüber dem Europäischen Parlament. In der Praxis verhält es sich jedoch leider ganz anders, und es ist aufschlußreich, daß die schwerste von der Kommission vor kurzem gegen einen ihrer Beamten beschlossene Disziplinarmaßnahme gegen Herrn van Buitenen gerichtet war, dessen Unrecht gerade in der Übermittlung kompromittierender Dokumente an unser Parlament bestand. Die Doktrin der Unabhängigkeit hat in der Kommission ein Gefühl der Überlegenheit und Straffreiheit entstehen lassen, das lasche Verhaltensweisen in einem Ausmaß gefördert hat, das wahrscheinlich schlimmer ist, als man sich heute überhaupt vorstellen kann.

Um also das Übel an der Wurzel anzupacken, bekämpfen wir diese Doktrin und möchten die Kommission der eingehenden Kontrolle des Parlaments und der im Rat versammelten Mitgliedstaaten unterwerfen, und in diesem Sinne weise ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf die Dringlichkeit hin, am Donnerstag dieser Woche für den zwar auf Initiative meiner Fraktion eingereichten Mißtrauensantrag, der inzwischen jedoch von Mitgliedern sämtlicher Fraktionen des Parlaments unterzeichnet wurde, zu stimmen.

  Hager (NI). ‐ Herr Präsident! Der Berichterstatter hat mit diesem Bericht ein schweres Erbe übernommen. Er hat ihn aber mit geschickten Kompromißänderungsanträgen im Ausschuß gut über die Runden gebracht. Dazu muß man ihm gratulieren, auch wenn er nicht im Saal ist. Ich möchte im Zusammenhang mit dem Bericht neben der einschränkenden Kritik, die der Kollege Voggenhuber bereits geübt hat, vielleicht noch ein Thema anschneiden, das im Bericht selbst nicht behandelt wird und aufgrund der vertraglichen Situation auch nicht behandelt werden kann.

Ich habe bereits wiederholt darauf hingewiesen, daß ich die Ernennung der Kommissare durch die Mitgliedstaaten für einen systemimmanenten Fehler im institutionellen Getriebe der EU halte. Dies führt nämlich zwangsläufig zu einer Spannung zwischen der Erwartung der Bürger des entsendenden Mitgliedstaates in ihren Kommissar und dessen Pflicht, die Interessen der Union in den Vordergrund zu stellen. Ich halte dies zumindest mitursächlich für die aktuellen Probleme und bin der Meinung, daß dieses Problem auch im Zuge der Diskussion über die Reform der Institutionen berücksichtigt werden sollte.

  Schäfer (PSE). – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser außergewöhnlichen Woche bezieht das Europäische Parlament in doppelter Weise Position zu seiner Exekutive. Wir entscheiden einmal – so der Terminus – über das destruktive Mißtrauensvotum gegen die Kommission, und wir legen zum anderen fest, wie unsere Zustimmungsrechte konstruktiv bei der künftigen Kommission zu nutzen sind. Es geht um die weitere Parlamentarisierung. Das ist die Hauptbotschaft des Amsterdamer Vertrags. Parlamentarisierung bedeutet gleichberechtigte Gesetzgebung, volles Haushaltsrecht und Wahl sowie Kontrolle der Exekutive. Damit verbinden wir konkrete Anforderungen.

Der neue Kommissionspräsident muß sich dem Votum des Europäischen Parlaments stellen. Deshalb darf der Kandidat nicht vor der Wahl benannt werden. Mehr noch: Ich wünsche mir für die Zukunft, daß die großen Parteifamilien den Wahlkampf für die Wahl des Europäischen Parlaments mit einem supranationalen Spitzenkandidaten, der das Amt des Kommissionspräsidenten anstrebt, bestreiten. Dem Kollegium der Kommissarinnen und Kommissare sollte eine bedeutende Zahl von MdEP angehören. Heute sind es bekanntlich schon sieben. Der jetzige Frauenanteil von 25 % muß weiter erhöht werden.

Weiterhin sollten sich die politischen Strömungen, die die Bandbreite des europäischen Verfassungskonsenses tragen, in der Kommission wiederfinden. Last but not least sollten die einzelnen Mitglieder für ihren Zuständigkeitsbereich auch persönlich politisch zur Verantwortung gezogen werden können. Das Europäische Parlament hat bei der Investitur 1994 gezeigt, daß es seine Rechte sowohl bei der individuellen Anhörung als auch beim kollegialen Zustimmungsvotum nutzt. Seitdem hat sich eine Mange getan. Das neue Verhältnis zwischen Europäischem Parlament und Kommission muß auch auf einen Verhaltenskodex und auf interinstitutionelle Vereinbarungen gestützt werden. Der Bericht Brok dokumentiert unser gewachsenes Selbstbewußtsein und unsere gemeinsame Verantwortung für die Europäische Union.

  Corbett (PSE).(EN) Herr Präsident, zu den Neuerungen im Vertrag von Amsterdam zählt unter anderem die Bestimmung, daß das Parlament zukünftig der Benennung eines Präsidenten der Kommission, der von den nationalen Regierungen vorgeschlagen wird, seine Zustimmung erteilen muß, so wie im Vertrag von Maastricht bereits festgelegt ist, daß für das gesamte Kommissionskollegium das Vertrauensvotum des Europäischen Parlaments erforderlich ist.

Dies ist ein entscheidender Faktor für die Demokratisierung der Europäischen Union. Damit wird bekräftigt, daß die Kommissare keine Beamten sind, sondern die politische Exekutive bilden, die dem direkt gewählten Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Insbesondere in meinem Heimatland, in dem die Presse diese Sachlage häufig falsch darstellt, ist dieser Schritt für die Stärkung der demokratischen Rechtschaftspflicht wichtig.

Die Frage, die sich nun aus dieser Diskussion ergibt, lautet, ob wir nicht noch einen Schritt weitergehen sollten. Sollte das Parlament nicht besser die Person in das Amt des Kommissionspräsidenten wählen, die ihm dafür am geeignetsten erscheint, statt letztlich doch nur den Kandidaten zu wählen, den die nationalen Regierungen vorschlagen? Dies würde unweigerlich dazu führen, daß die verschiedenen Fraktionen und generell die verschiedenen politischen Parteien in Europa vor den Europawahlen ihre Kandidaten nominieren müßten. Die unterschiedlichen Parteiförderationen würden sagen: „Frau X. oder Herr Y. sind unsere Kandidaten” oder „Wir schlagen einen anderen Kandidaten vor”. Damit bekämen die Europawahlen mehr Gewicht.

Genau genommen liegt der große Unterschied zwischen den Europawahlen und den Wahlen in den Mitgliedstaaten darin, daß man sich bei nationalen Wahlen für oder gegen eine Regierung ausspricht und nicht lediglich ein Parlament wählt. Alle fünf Jahre sollen die europäischen Bürger dann plötzlich zur Wahl gehen, nicht um eine Regierung zu wählen oder abzuwählen, sondern um ihre Stimme lediglich für ein Parlament abzugeben. Eine solche Wahl hat für die Exekutive keine erkennbaren Konsequenzen. Durch den zusätzlichen Schritt erhielten die Europawahlen eine neue Dimension, das Verständnis in der Öffentlichkeit würde wachsen, und die Wahlen hätten sichtbare Auswirkungen, zumindest, soweit es den Kommissionspräsidenten betrifft.

Aus diesem Vorschlag würden sich jedoch auch Nachteile ergeben, auf die ich aus zeitlichen Gründen leider nicht eingehen kann. Er muß sorgfältig geprüft werden. Die Gefahr liegt darin, daß eine Mehrheit im Parlament sich verpflichtet fühlen würde, alles, was die von ihr gewählte Kommission beabsichtigt, zu unterstützen – ebenso wie viele unserer nationalen Parlamente sich verpflichtet fühlen, sich hinter ihre Exekutive zu stellen, komme was wolle. Wir müssen einen Mittelweg finden. Der Bericht von Herrn Brok ist jedoch ein Schritt in die richtige Richtung.

  Barros Moura (PSE).(PT) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus den hier bereits angegebenen Gründen bin ich der Ansicht, daß der Vertrag von Amsterdam die Notwendigkeit einer Stärkung der demokratischen Legitimität und der politischen Verantwortlichkeit der Kommission sowie selbstverständlich ihres Präsidenten einschließt. Und ich muß sagen, daß ich dem Vorschlag von Jacques Delors zustimme, den auch sehr namhafte Persönlichkeiten unseres politischen Lebens unterstützen, nämlich, den Wahlkampf für die Europawahl nicht nur auf der Grundlage eines politischen Programms, sondern auch mit der Auswahl des Kommissionspräsidenten zu organisieren, wobei den europäischen politischen Parteien die Aufgabe zukommt, den Wählern ihren Kandidaten für dieses Amt öffentlich vorzustellen.

Die erste wünschenswerte Folge wären die Personalisierung der Wahlkampagne und aus diesem Grund eine größere öffentliche Präsenz der Institutionen, ein größeres rationales Verständnis und eine größere emotionale Identifikation der Bürger mit der Europäischen Union selbst und mit ihren Zielen und Politiken. Ich glaube, daß die Europäische Union sicher an Ansehen, Bürgernähe und demokratischer Verantwortlichkeit gewinnen würde.

Ich meine ebenfalls, daß der Bericht Brok in die richtige Richtung geht und diese Ziele anstrebt, obwohl die Erfordernisse der Realpolitik, die uneingeschränkt die Verhandlungs‐ und Auswahlbefugnis der Ministerpräsidenten für die dem Europäischen Parlament vorzuschlagende Persönlichkeit erhalten will, die Klarheit des im Bericht enthaltenen Vorschlags zugunsten von Kompromißformeln eingeschränkt haben, die stets alles und das ganze Gegenteil sagen können. Jedenfalls blieb, und ich freue mich, dazu beigetragen zu haben, die Idee des Vorschlags erhalten, daß der Europäische Rat die Persönlichkeit auswählt, die unter Berücksichtigung der Wahlergebnisse für das Amt des Kommissionspräsidenten zu nominieren ist. Und deshalb ist es nicht zulässig, daß die deutsche Regierung den Anspruch erhebt, das Auswahlverfahren des Kommissionspräsidenten bei dem für den 3. Juni, vor der Europawahl, vorgesehenen Europäischen Rat in Köln einzuleiten. Ich glaube, daß dies die Debatte, die wir gegenwärtig führen, gegenstandslos machen würde, und es würde auch die vom Amsterdamer Vertrag eingeführte Neuerung gegenstandslos machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was gegenwärtig mit der Kommission Santer – durch die Art, wie sie ernannt wurde – und mit dem Mißtrauensantrag – durch die Art, wie er ausgeführt wurde – geschieht, zeigt, daß man eindeutig in dem vom Delors‐Vorschlag befürworteten Sinn vorankommen muß, der trotz alledem – und darüber freue ich mich – in den Bericht des Kollegen Brok aufgenommen wurde.

  Izquierdo Rojo (PSE).(ES) Herr Präsident, eines der Hauptziele dieses Berichts besteht darin, den in den Europawahlen zum Ausdruck gebrachten Volkswillen und die Person des Präsidenten der Europäischen Kommission miteinander in Verbindung zu bringen. Wenn wir dies tun, haben wir meiner Meinung nach eine wesentliche Verbesserung erreicht, nicht nur für die Institution und den Präsidenten der Kommission selbst – der somit ein Mandat der europäischen Bürger hat, ‐ sondern wir festigen damit auch die Demokratie Europas und kommen in Richtung auf die politische Union weiter voran. Dies wird nach meiner Auffassung eine eindeutige Verbesserung sein, und je eher wir sie deshalb durchsetzen, um so besser. Wir müssen erreichen, daß dies schnellstmöglich Realität wird.

Aber dieser gute Bericht hat weitere wichtige Gedanken. Beispielsweise den, daß größeres Gewicht auf die politisch‐ideologischen Optionen gelegt wird, zum Nachteil jenes europäischen Modells, das wir in die Vergangenheit verbannen wollen, das rein bürokratisch ist. Der Bericht ist daher wichtig aus dieser Sicht und auch in seiner Sicht der Europawahlen, indem enger Nationalismus überwunden und ein gemeinsamer europäischer Gedanke unterstützt wird.

Sehr gut, Herr Brok, ist auch das gemeinsame, stets ausgewogene Handeln der drei europäischen Institutionen, des Rates, der Kommission und des Europäischen Parlaments. Ganz wichtig ist meiner Meinung nach auch die Förderung eines Gleichgewichts zwischen Männern und Frauen in der Zusammensetzung der Kommission, da die Fotos der Europäischen Ratstagungen, auf denen zu 99, 99 % Männer abgebildet sind, in der Tat eine Beleidigung für die demokratische Vertretung Europas darstellen.

  Oreja, Mitglied der Kommission. – (ES) Herr Präsident, der Bericht von Herrn Brok behandelt ein Thema von höchster Wichtigkeit, das letztendlich das Vertrauensverhältnis zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission betrifft, und dieser Gedanke, obwohl völlig logisch, wurde erst 1992 – durch den Maastricht‐Vertrag – in die Verträge eingeführt, wenngleich das Europäische Parlament schon lange vorher die Gewohnheit angenommen hatte, die Amtseinsetzung der Kommission zu bestätigen, welche ihrerseits großen Wert auf den Standpunkt des Parlaments in dieser Frage legte.

Die Erfahrung von 1995, das heißt, die Bestätigung des Kommissionskollegiums durch das Parlament, ermöglichte es, eine umfassende Debatte zwischen der Kommission – ihrem Präsidenten und jedem einzelnen ihrer Mitglieder – und dem Parlament zu führen. Ich habe schon der vorhergehenden Kommission angehört, folglich bin ich nach den alten Verfahren benannt worden, und ich glaube in der Tat, daß die Änderung der Geschäftsordnung, die das Parlament für die Bestätigung der Kommission vorgenommen hat, ein Schritt in die richtige Richtung ist.

Ich erinnere mich sehr gut an jene Auftritte im Januar 1995, die einen Meinungsaustausch ermöglichten und bei denen die Mitglieder der Parlamentarischen Ausschüsse genau die Standpunkte und das Programm der einzelnen Mitglieder der kurz vor der Amtseinführung stehenden Kommission kennenlernen konnten.

Später verbesserte der Vertrag von Amsterdam das Verfahren. Das steht außer Frage. Ich glaube, einer der wichtigen Schritte, wenn das auch nicht genügend hervorgehoben wurde, aber der Bericht Brok tut das sehr gut, bezieht sich gerade auf den Aspekt, den wir Legitimität der Kommission nennen könnten. Im Vertrag von Amsterdam ist vorgesehen, daß das Parlament dem Präsidenten der Kommission eine persönliche und spezifische Zustimmung erteilen muß, was über eine einfache Beurteilung in einer Anhörung vor der Benennung hinausgeht.

In diesem Sinne bin ich persönlich der Auffassung – denn die Kommission hat sich dazu nicht geäußert –, daß die genannten Verfahrensweisen – und die konkret von Herrn Brok und anderen Rednern angeführte Vorgehensweise – in die richtige Richtung gehen. Ich meine das Verfahren, daß die Fraktionen Kandidaten benennen, was den Europäischen Rat nicht hindert, seine eigene Entscheidung zu treffen. Wir stehen meiner Meinung nach jetzt nicht vor einer Vertragsänderung, sondern vor einer Vertragsanwendung, die verschiedenen Verfahren Platz läßt. Eine davon wäre die Präsentation von Kandidaten durch die Fraktionen, die an den Europäischen Rat weitergeleitet würde, und dieser würde dann völlig unabhängig die entsprechende Entscheidung treffen.

Ich glaube, wenn wir uns strikt an den Wortlaut des Vertrags halten, ist es positiv, daß dem Europäischen Rat ein Vorschlag durch das Parlament unterbreitet wird – und in der Tat hat einer der Redner hier die Worte von Herrn Fischer von heute morgen angeführt, daß dem Parlament weitere Kompetenzen übertragen werden könnten –, denn alle Kompetenzübertragungen an das Parlament zur Legitimierung der Kommission sind ein positiver Schritt. Und dieses Vorgehen würde dann dem Kommissionspräsidenten die Möglichkeit einräumen, die Bildung des Kollegiums der Kommissare mit den einzelnen Regierungen zu diskutieren. Nach meinem Dafürhalten ist dies ein sehr wichtiger Schritt im Rahmen des Vertrags von Amsterdam.

Eine Konsequenz daraus steht klar im Vertrag von Amsterdam, und zwar die Aufgabe der politischen Führung, die dem Kommissionspräsidenten übertragen wird und die ebenfalls einen positiven Schritt im Vergleich zu den gegenwärtigen Bedingungen bedeutet.

In einem institutionellen System, in dem das Konzept der Regierungsstruktur immer weniger klar ist und in dem die entsprechenden Kompetenzen eher stark verteilt sind, ist es wichtig, zumindest die politische Kohärenz des Kollegiums der Kommissare zu gewährleisten.

In einem für das Aufbauwerk der Gemeinschaft so bedeutsamen Moment wie dem jetzigen muß meiner Meinung nach unbedingt angestrebt werden, daß die Grundpfeiler des Integrationssystems, das heißt, jene, die die Interessen der Union repräsentieren – die gemeinsamen Interessen mehr als die nationalen Interessen –, diejenigen sind, die gerade durch diese Entwicklung der Gemeinschaftsmethode einen besseren Schutz der europäischen Interessen ermöglichen. Und so wird sich auch eine effektive Beziehung durchsetzen können.

Es ist natürlich, daß mit den anstehenden Reformen die Gemeinschaftsmethode verstärkt werden muß. Die Geschichte zeigt die ungleich große Überlegenheit dieser Methode, was ihre Effektivität betrifft, im Vergleich zu den sehr spärlichen Ergebnissen der zwischenstaatlichen Methode. Eine Kommission, die ein gutes Klima der Verständigung mit dem Europäischen Parlament erreicht, ist meines Erachtens eine Garantie für eine gute institutionelle Arbeitsweise.

Aus diesen Gründen halte ich den Bericht von Herrn Brok für bedeutsam. Meiner Meinung nach sollte er starke Beachtung finden. Ich glaube, daß mit diesen Ideen und Initiativen bereits die künftige Änderung des Vertrags eingeleitet wird, aber daß wir auch ohne Modifizierung des Vertrags schon ab sofort eine Reihe von Maßnahmen umsetzen können, um genau dieses Vertrauensverhältnis zwischen der Kommission und dem Parlament zu festigen.

Ich möchte hier zum Schluß kommen, aber eine Sache muß ich einfach noch anbringen. Ich möchte Herrn Berthu sagen, daß ich das Urteil in bezug auf die Kommission ganz kategorisch zurückweise.

  Der Präsident . – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.


5. Kulturhauptstadt Europas 2005‐2019

  Der Präsident . – Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Vorschlag von Herrn Monfils (A4‐0509/98) im Namen des Ausschusses für Kultur, Jugend, Bildung und Medien zur Ablehnung des Gemeinsamen Standpunkts des Rates im Hinblick auf den Erlaß eines Beschlusses des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas” für die Jahre 2005 bis 2019 (9268/98 – C4‐0493/98‐97/0290(COD)).

  Monfils (ELDR), Berichterstatter. – (FR) Weshalb dieser Vorschlag für eine Absichtserklärung im Hinblick auf die Ablehnung? Weil es hier um die Wahrung unserer Vorrechte als Parlament und des im Vertrag vorgesehenen institutionellen Gleichgewichts geht. Ich weise darauf hin, daß der ursprüngliche Vorschlag der Kommission für die Anerkennung der Kulturhauptstädte ein auf der Qualität der vorgelegten Projekte beruhendes Verfahren vorsah. Das Parlament hatte diesen Vorschlag abgeändert und das qualitative Erfordernis noch verstärkt, insbesondere durch eine größere Unabhängigkeit der Jury sowie durch präzisere Auswahlkriterien. Damit brachte es zum Ausdruck, welche Bedeutung es der Benennung der Kulturhauptstädte Europas beimißt.

Anstatt in zweiter Lesung auf dieser Grundlage zu arbeiten, hat der Rat den ursprünglichen Text grundlegend geändert und für den Zeitraum von 2005 bis 2019 die Bestimmung der Kulturhauptstadt Europas jeweils durch das Land, das turnusmäßig die Unionspräsidentschaft innehat, festgelegt. Das gesamte, in dem ersten Text vorgesehene Verfahren wird durch ein starres System ersetzt, bei dem die Auswahl der Städte nicht mehr nach dem Kriterium der Qualität der Projekte erfolgt, sondern durch eine einfache politische Entscheidung, die abwechselnd von jedem Land getroffen wird. Dieses Verfahren ist schon deshalb völlig grotesk, weil keiner zu sagen vermag, wie Europa 2015 aussehen wird, d.h. in dem Jahr, in dem Belgien die Kulturhauptstadt auswählen kann, oder 2019, wenn Italien an der Reihe sein wird.

Der Ministerrat hat sogar vergessen, daß die EU‐Erweiterung – wie man sich vorstellen kann – vor dem Jahr 2019 erfolgen wird, so daß bei dem von ihm beschlossenen Verfahren die neuen Mitglieder keine Möglichkeit zur Bestimmung ihrer Kulturhauptstadt hätten, es sei denn, daß der Rat in Fortsetzung dieser brillanten Logik erneut zusammenkommt, um für den Zeitraum von 2020 bis 2031 die abwechselnde Auswahl durch die elf künftigen EU‐Mitgliedstaaten festzulegen, was eine höchst surrealistischen Vorstellung wäre.

Indem der Ministerrat einen von dem ursprünglichen Entwurf grundverschiedenen Text zum Gemeinsamen Standpunkt erklärt, umgeht er das parlamentarische Verfahren, da er einerseits das Parlament daran hindert, zwei Lesungen des Textes vorzunehmen, und es darüber hinaus, wenn es Änderungsanträge einreichen möchte, dazu zwingt, für deren Annahme eine Mehrheit nicht etwa der anwesenden Mitglieder, sondern der Mitglieder des Parlaments überhaupt, das heißt mindestens 314 Stimmen zu vereinen. Der Ministerrat begründet seine Haltung damit, daß dies für ihn die einzige Möglichkeit sei, intern Einstimmigkeit zu erzielen. Wenn dem so ist, hätte er sich dessen viel früher bewußt werden und gegebenenfalls mit der Kommission über dieses Problem beraten können. Ferner und vor allem jedoch dürfen die Schwierigkeiten des Rates, sich auf einen Text zu einigen, nicht als Rechtfertigung zur Umgehung eines institutionellen Verfahrens dienen. Andernfalls könnte der Rat künftig bei anderen Problemen in der gleichen Weise handeln und in erster Lesung einen Text, der nicht seinen Vorstellungen entspricht, vorlegen und anschließend einen völlig anderen Gemeinsamen Standpunkt festlegen. Damit könnte er die zweite Lesung im Parlament umgehen und es diesem unmöglich machen, seinen Aufgaben als Mitgesetzgeber gerecht zu werden. Diese Versuchung ist klar erkennbar und muß natürlich als nicht hinnehmbar betrachtet werden.

Wir legen infolgedessen diesen Vorschlag für eine Absichtserklärung im Hinblick auf die Ablehnung vor, um den Rat zu Verhandlungen im Vermittlungsausschuß zu veranlassen, wozu er nach Artikel 180b Absatz 2 Punkt c des Vertrags verpflichtet ist.

Abschließend möchte ich zwei wichtige Anmerkungen machen. Erstens, die Absichtserklärung betrifft nicht die Benennung der Europäischen Kulturhauptstädte für den Zeitraum 2001 bis 2004, da die Auswahl dieser Städte nach einem einfachen zwischenstaatlichen Verfahren erfolgt ist. Diejenigen, die vorgeben, die Erklärung würde diese Städte in Frage stellen, haben den Ratstext überhaupt nicht gelesen. Bei dem vorgeschlagenen Verfahren haben wir als Parlament keine Befugnis zu einer Diskussion über eine zwischenstaatlich getroffene Entscheidung. Die Erklärung betrifft ausschließlich den Gemeinsamen Standpunkt, der das Verfahren für die Auswahl für den Zeitraum 2005 bis 2019 festlegt, was übrigens der einzige Text ist, mit dem wir befaßt sind.

Zweitens, die Europäischen Kulturhauptstädte sind unseres Erachtens ein wesentliches Element der Kulturpolitik der Union. Aus diesem Grunde sollte den ausgewählten Städten unserer Meinung eine erhebliche europäische Beihilfe gewährt werden. Wir denken hierbei an einen Betrag in Höhe von zwei Millionen Euro pro Stadt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte abschließend die Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß das Parlament für diese Absichtserklärung stimmen möge, um somit zu zeigen, daß es die kulturelle Qualität der Projekte in den Vordergrund stellt und die ihm durch den Vertrag zuerkannten institutionellen Befugnisse wahren möchte.

  De Coene (PSE).(NL) Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ende 1997 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag unterbreitet, dem zufolge die Kulturhauptstädte ab 2002 unter Einbeziehung einer unabhängigen Jury bestimmt werden sollten. Nach Konsultation des Parlaments sollte der Rat letztlich mit qualifizierter Mehrheit eine definitive Benennung vornehmen. Innerhalb von sechs Monaten hatte das Parlament eine Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag ausgearbeitet, die wie folgt beschrieben werden kann: höhere Qualität des Kulturprogramms, mehr Transparenz bei der Auswahl der Bewerberstädte und schließlich mehr Geld für die letztlich benannten Städte. Bei allem sollte dem Parlament ein größeres Mitbestimmungsrecht zugestanden werden. Kurz darauf einigten sich die Minister dann über einen sogenannten Vorschlag für einen Gemeinsamen Standpunkt, einen Vorschlag, Herr Kommissar, der sich deutlich sowohl von Ihrem ursprünglichen Vorschlag als auch von den Änderungsanträgen des Europäischen Parlaments unterschied. Darin waren Städte für die Jahre 2001 bis 2004 benannt und – jetzt wird es, wie vom Berichterstatter, Herrn Monfils, richtig dargelegt, wirklich grotesk – Städte für die Jahre 2005 bis 2019 in vorgegebener Reihenfolge aufgelistet.

Natürlich werden wir uns heute davon distanzieren, schon allein deshalb, weil mit diesem Gemeinsamen Standpunkt sowohl die Kommission als auch das Parlament völlig von einem Mitentscheidungsverfahren ausgeschlossen wurden. Zum anderen haben wir aber auch grundsätzliche Probleme, weil dieser Vorschlag keinerlei Qualitätsgarantie enthält und davon ausgeht, die Länder Europas glichen sich auf kultureller Ebene. Wir können doch ganz froh sein, daß ein Land möglicherweise mehr potentielle Kulturstädte aufbietet als ein anderes. Wie gesagt, der Erweiterung der Union oder einer eventuellen Vertragsänderung in den kommenden 20 Jahren, wonach der Rat auf kulturellem Gebiet nicht länger einstimmig beschließen soll, wird in keiner Weise Rechnung getragen.

Wir beabsichtigen eine Ablehnung, befürworten dabei aber die getroffene Auswahl der Städte für die Jahre 2001 bis 2004, nämlich Brügge, Salamanca, Porto, Rotterdam, Graz, Genua und Lille, denn diese Städte dürfen nicht Opfer einer langanhaltenden Debatte zwischen den Institutionen werden, weil die Kulturminister derart einseitig aufgetreten sind. Zudem wollen wir den Bezugsbetrag auf 2 Millionen Euro pro benannte Stadt aufstocken, plädieren allerdings ab 2005 für ein anderes System. Darüber, wie dann das beste System aussieht, könnte im Rahmen einer Vermittlung entschieden werden. Wir fordern – und das ist das Ziel – eine höhere Qualitätsgarantie. Wir wollen eine wahrhaft europäische Dimension, wir wollen die Beteiligung breiter Schichten der Bevölkerung an den Programmen, und wir wollen mehr Geld für das attraktivste Kulturprogramm. Lassen Sie uns nun gemeinsam an einem ehrbaren Kompromiß arbeiten, mit dem alle besser leben können.

  Pex (PPE).(NL) Herr Präsident, das Thema „Kulturhauptstadt” ist, wie wir bereits hörten, für die Kulturpolitik wichtig und scheint auch bei unserer Bevölkerung großen Anklang zu finden. Deshalb müssen wir bei diesem Thema mit Umsicht vorgehen. Berichterstatter Monfils hat uns für die Aussprache zum Kommissionsvorschlag einen ausgezeichneten Bericht vorgelegt, der erfreulicherweise auch vom Parlament gebilligt wird. Ich bedauere zutiefst, wie der Rat mit diesem Thema umgesprungen ist.

Beim vorigen Bericht von Herrn Brok hat der Kommissar eine Vorlesung über das Ergebnis des gemeinschaftlichen und des schlechteren zwischenstaatlichen Verfahrens gehalten. Wir können ergänzen: über das Ergebnis der Beschlußfassung mit qualifizierter Mehrheit, wie von der Kommission zu diesem Thema vorgeschlagen, und des einstimmigen Verfahrens, wie es hier vom Rat praktiziert wird.

Nachdrücklich möchte ich feststellen, daß es hier zunächst um eine rechtliche und prinzipielle, wenn auch – wie von Herrn Monfils gerade dargelegt – um eine enorm wichtige Angelegenheit geht. Deshalb stimme ich dem Vorschlag, den er soeben erläutert hat, vorbehaltlos zu. Ganz entschieden beschränke ich mich aber auf den Gemeinsamen Standpunkt für die Jahre 2005 bis 2019. Den Vorrednern möchte ich beipflichten und der getroffenen Wahl der Bewerber für 2001 bis 2004 zustimmen, obgleich das zwischenstaatliche Verfahren natürlich zu bedauern ist.

Zudem begrüße ich den einstimmigen Beschluß des Kulturausschusses, sich für die Verdopplung des Budgets einsetzen zu wollen, was auch insofern logisch ist, als in den genannten Jahren zwei Städte bestimmt werden. Recht bald sollten wir auch zu einer Vermittlung mit dem Rat kommen, so daß wir in dieser Zeit den Schaden noch einigermaßen begrenzen könnten.

In Anbetracht der Ausführungen von Herrn De Coene muß es doch möglich sein, den Rat dazu zu bringen, daß er die Kernpunkte des Vorschlags von Herrn Monfils akzeptiert und dann nachträglich einen annehmbaren Gemeinsamen Standpunkt zu formulieren. Hoffentlich gelingt uns das bald, damit bei den Betroffenen, und das sind beim Thema „Kulturhauptstadt” recht viele, keine Verwirrung entsteht.

  Ryynänen (ELDR).(FI) Herr Präsident! Berichterstatter Monfils hat die Ablehnung des Gemeinsamen Standpunktes hier bereits klar und deutlich begründet, und ich möchte nicht noch einmal darauf eingehen. Vielmehr will ich einige Punkte in dem Programm selbst ansprechen, dessen erfolgreiche Umsetzung ich mir für die Zukunft wünschte und das eine vernünftige Finanzierung verdient hätte.

Die Entwicklung eines Programms für Kulturhauptstädte als Teil des neuen kulturellen Rahmenprogramms der Europäischen Union ist ein sehr wichtiger und auch sichtbarer Bereich der kulturellen Aktivitäten der Gemeinschaft, weil hierdurch die europäische Kultur in ihrer Vielfalt inspiriert und gestärkt wird. Aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre können wir nur lernen und von erfolgreich umgesetzten Projekten profitieren. Dabei sollten wir uns meines Erachtens um ein kontinuierliches und positives gesellschaftliches Wirken auch nach dem Jahr als Kulturhauptstadt bemühen. Unter diesem Aspekt muß eine möglichst breite Öffentlichkeit aktiv in die Veranstaltungen einbezogen werden und auf diese Weise Impulse erhalten.

Der Erfolg eines Jahres als Kulturhauptstadt ist zu einem großen Teil davon abhängig, wie die Stadt ihre eigenen Kräfte mobilisiert, ihre Besonderheiten, ihre Geschichte herausstellen kann und sich den Herausforderungen der Entwicklung stellt. Ich glaube, daß auf dieser kulturellen Basis eine Bereicherung durch internationale Zusammenarbeit aufbauen kann. Daraus ergibt sich die zentrale Zielstellung, Projekte für eine kontinuierliche Zusammenarbeit zu schaffen. Auch wenn Kooperationsvorhaben zwischen mehreren Städten das Angebot einer Kulturhauptstadt bereichern, sollte die klar definierte Verantwortung für das Projekt bei jeweils einer Stadt liegen.

Die Wahl der Kulturhauptstädte hat sich in den vergangenen Jahren für den Rat als eine schwierige Aufgabe erwiesen. Am kompliziertesten war die Entscheidung für das Jahr 2000, bei der keine andere Lösung gefunden werden konnte, als alle neuen Bewerberstädte zu nominieren, so daß keine dieser Städte wirklich die Stellung einer Kulturhauptstadt innehat. So verfügt auch Finnland nicht über ein eigenes Kulturhautpstadtjahr.
Entsprechend dem neuen Vorschlag gibt es künftig eine Reihenfolge der Länder. Finnland ist im Jahr 2011 an der Reihe. Somit ist der Rat dieser schwierigen Aufgabe enthoben. Natürlich müssen die Städte sich selbst um die Bewerbung kümmern und sind für die Vorstellung ihrer Programme zuständig, damit ein hohes kulturelles Niveau gewahrt wird.

  Daskalaki (UPE).(EL) Herr Präsident, meine Fraktion unterstützt natürlich den Bericht von Herrn Monfils und folglich auch den Vorschlag für eine Absichtserklärung im Hinblick auf die Ablehnung des Gemeinsamen Standpunkts zur Kulturhauptstadt Europas. Es wurde bereits gesagt, daß der Rat seinen Gemeinsamen Standpunkt unter demonstrativer Mißachtung des Verfahrens, das noch im Gange war, um einen diesbezüglichen Beschluß fassen zu können, angenommen hat, wobei er nicht nur die Position des Parlaments nicht berücksichtigte, sondern zudem einen Text vorlegte, der nur wenig mit dem geänderten Vorschlag der Kommission gemein hat. Außerdem, und das ist der Gipfel der Willkür und Heuchelei – das mag hart klingen, aber so ist es –, wurde auch die Reihenfolge der Länder festgelegt, aus denen die europäische Kulturhauptstadt bis zum Jahre 2019 kommen soll. Dies ist ein eklatanter Verstoß gegen die Interinstitutionelle Vereinbarung und gleichzeitig eine grobe Mißachtung des Europäischen Parlaments. Warum, muß nicht erst erklärt werden, es liegt auf der Hand, und alle, die bis jetzt das Wort ergriffen haben, haben das meiner Meinung nach auf die eine oder andere Weise zum Ausdruck gebracht.

Mit dem heutigen Vorschlag möchte das Europäische Parlament erreichen, daß der Rat gezwungen wird, den Vermittlungsausschuß einzuberufen und das interinstitutionelle Gleichgewicht wiederherzustellen. Auch wir wollen die bis zum Jahre 2004 beschlossene Reihenfolge nicht in Frage stellen, obwohl auch hier die Verfahren recht problematisch waren. Aber gleich eine Festlegung bis zum Jahr 2019 zu treffen – dieser Zeitraum ist ebensogroß wie die Willkür, die hinter einem solchen Schritt steckt!

Das Europäische Parlament besteht darauf, die ihm zukommende Rolle spielen zu können. Unsere Fraktion begrüßt es, daß durch diese Verfahren der Dialog wieder in Gang kommt, der am 28. Mai vom Rat einseitig abgelehnt wurde, so daß wir Stellung beziehen können, indem wir entweder den derzeit existierenden Gemeinsamen Standpunkt abändern, um die gewünschten Kriterien im Hinblick auf Qualität und Transparenz wiederherzustellen, oder den Gemeinsamen Standpunkt ablehnen.

  Leperre‐Verrier (ARE).(FR) Herr Präsident! Vieles ist schon gesagt worden, und ich werde nicht nochmals darauf zurückkommen. Ich frage mich lediglich, wie heute, da die europäische Kultur dringend der Unterstützung bedarf, die Ernennung der „Kulturhauptstadt Europas” vom Rat gewissermaßen verschenkt werden kann, übrigens aus Kurzsichtigkeit ebenso wie aus Hegemoniestreben.

Ich schließe mich also ganz und gar dem Standpunkt unseres Berichterstatters an, den ich sowohl zu seiner vorzüglichen Arbeit als auch zu seiner hartnäckigen Verteidigung des Verfahrens zur Benennung dieser Kulturhauptstadt Europas als Symbol unserer kulturellen Vitalität beglückwünschen möchte.

Zwar weiß ich, daß dieser Standpunkt nicht von allen bereits benannten Städten, die befürchten, ihr Projekt werde in Vergessenheit geraten, wirklich verstanden wird; ich möchte jedoch, daß sie – und ich denke dabei insbesondere an die Städte Brügge und Avignon – begreifen, daß sie nicht betroffen sind und vor allem, daß wir mit unserer Verteidigung eines wirklichen interinstitutionellen Gleichgewichts beim Mitentscheidungsverfahren auch für sie kämpfen mit dem Ziel, eine reiche schöpferische Kultur bekanntzumachen. Dieses Ziel verfolgen wir übrigens auch im Ausschuß für Kultur, Jugend, Bildung und Medien und möchten es keineswegs aufgeben.

VORSITZ: PARASKEVAS AVGERINOS
Vizepräsident

  Sichrovsky (NI). – Sehr geehrter Herr Präsident, bei der Diskussion um die Kulturhauptstadt Europas haben scheinbar alle Beteiligten vergessen, daß es letztendlich um Kultur geht. Es geht doch darum, daß jene Stadt den ehrenvollen Titel der Kulturhauptstadt Europas bekommt, die diese Aufgabe auch erfüllen kann. Der Rat versteckt sich hinter formellen Argumenten und Bestimmungen, die scheinbar keine anderen Lösungen zulassen. Der Bericht, der hier vorgelegt wird, stützt sich auf inhaltliche Argumente, die man bei den Aussagen des Rates vermißt.

Verfahrensrechtlich hat der Rat vielleicht recht, aber es führt zu keinen optimalen Lösungen. Da es letztendlich um die Kultur und damit um das Aushängeschild von Europa geht, sollten sich alle Beteiligten auf ein Verfahren einigen, das die richtige Auswahl der Kulturhauptstadt garantiert.

  Hawlicek (PSE). – Herr Präsident! Die Ablehnung des Parlaments richtet sich nicht gegen die Städte, die bereits von 2001 bis 2004 benannt wurden, sondern gegen die Vorgehensweise des Rates, der weder die Änderungsvorschläge des Parlaments berücksichtigt hat noch den vernünftigen Vorschlag der Kommission, nämlich die Einführung einer Gemeinschaftsinitiative zur Benennung der europäischen Kulturhauptstadt ab 2002, unter Einbeziehung einer hochrangigen unabhängigen Jury und nach Konsultation des Parlaments.

Wir können nicht akzeptieren, daß auf der einen Seite die Beitrittskandidaten oft vergessen werden und auf der anderen Seite das Mitbestimmungsrecht des Parlaments mißachtet wird. Damit würde ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen. Über die Finanzierung der neuen Kulturprogramme konnte sich der Rat der Kulturminister leider nicht einigen, aber ruck‐zuck auf die Benennung der Kulturhauptstädte, unter Mißachtung der Rechte des Europäischen Parlaments.

  Oreja, Mitglied der Kommission. – (ES) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich darf in aller Kürze den Standpunkt der Kommission zur Absicht dieses Parlaments, den Gemeinsamen Standpunkt des Rates zur Kulturhauptstadt Europas abzulehnen, darlegen.

Sie wissen sehr gut, daß die Kommission deutlich ihre Auffassung zu diesem Gemeinsamen Standpunkt zum Ausdruck brachte, der unseren ursprünglichen Vorschlag nicht aufgegriffen und der ein Rotationssystem nach Ländern geschaffen hat. Dennoch möchten wir, daß in Anbetracht der Bedeutung dieser Initiative ein Mitentscheidungsprozeß in Gang gebracht und eine Verständigung zwischen den Institutionen erreicht wird, damit diese Aktion in kürzester Frist und auf einer gemeinschaftlichen Basis Wirklichkeit werden kann.

Die Kommission hat es nicht für zweckmäßig gehalten, ihren ursprünglichen Vorschlag zurückzuziehen, obgleich die Grundlagen des Gemeinsamen Standpunkts sicherlich nicht zur Stärkung des europäischen Charakters der Erklärung beitragen, aber vom rechtlichen Standpunkt sahen unsere zuständigen Dienste keine Voraussetzungen gegeben, um den Gemeinsamen Standpunkt des Rates abzulehnen.

Das Anliegen unserer Initiative besteht darin, im Kulturbereich eine europäische Aktion von großer Tragweite und Popularität durchzuführen, die auf diese Art zum gegenseitigen Kennenlernen der europäischen Völker, ihres Reichtums und ihrer kulturellen Vielfalt beiträgt. Die Anwendung eines Rotationsprinzips nach Präsidentschaften hat den Kommissionsvorschlag signifikant geändert, beginnend damit, daß die Jury aus hochrangigen unabhängigen Persönlichkeiten zur Beurteilung des kulturellen Inhalts der Projekte der Anwärterstädte gestrichen wurde und auch die Rolle, die dem Parlament im Vorschlag der Kommission zugedacht war, nicht anerkannt wird.

Folglich ist die Kommission zu diesem Zeitpunkt, bei allem Respekt für die dargelegten Standpunkte, der Auffassung, daß in Anbetracht der durch die Einstimmigkeitsvorschrift auferlegten Beschränkungen – denn wir sind an die Einstimmigkeitsvorschrift gebunden – der Gemeinsame Standpunkt des Rates die einzige Möglichkeit zu sein scheint, um zu einer Verständigung zu kommen und auf einer gemeinschaftlichen Grundlage eine Aktion durchführen zu können, deren kultureller Wert und kulturelle Bedeutung für alle Bürger Europas klar auf der Hand liegen.

Meiner Meinung nach ist es jetzt am wichtigsten, daß das Parlament und der Rat einen offenen und konstruktiven Dialog führen, um in einer letzten Anstrengung eine Annäherung der Positionen und eine Verständigung anzustreben, die die Zukunft dieser Aktion gewährleisten. Genau so habe ich dies gestern dem Ratspräsidenten dargelegt. Während der gestrigen Beratung der gesamten Kommission mit der deutschen Regierung hatte ich eine Zusammenkunft mit dem Kulturminister, Herrn Naumann, dem ich das so mitgeteilt habe.

Ich halte es für außerordentlich dringend, unverzüglich in einem dreiseitigen Gespräch zwischen dem Rat, dem Parlament und, wenn man will, der Kommission eine Formel zu finden, die einen Ausweg aus der gegenwärtigen Situation bietet.

Das wollte ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt sagen. Ich verstehe vollkommen die Ankündigung, den Gemeinsamen Standpunkt des Rates zur Kulturhauptstadt Europas abzulehnen, aber ich wollte Sie vor allem anregen, eine Formel für das Zustandekommen dieses Treffens und für eine alle zufriedenstellende Lösung zu finden.

  Der Präsident . – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.


6. Europäische Abkommen

  Der Präsident . – Nach der Tagesordnung folgt die gemeinsame Aussprache über folgende Berichte:

‐ A4‐0437/98 von Herrn Elchlepp im Namen des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen über den Vorschlag für einen Beschluß des Rates und der Kommission über den Standpunkt der Gemeinschaft im Assoziationsrat des am [...] in [...] unterzeichneten Europa‐Abkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Litauen andererseits zur Annahme der Durchführungsbestimmungen zu Artikel 64 Absatz 1 Ziffern i und ii und Absatz 2 des Europa‐Abkommens (4216/98 – KOM(98)0119 – C4‐0592/98‐98/0075(CNS)),

‐ A4‐0443/98 von Herrn Seppänen im Namen des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen über den Vorschlag für einen Beschluß des Rates und der Kommission über den Standpunkt der Gemeinschaft im Assoziationsrat des am [...] unterzeichneten Europa‐Abkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Lettland andererseits zur Annahme der Durchführungsbestimmungen zu Artikel 64 Absatz 1 Ziffern i und ii und Absatz 2 des Europa‐Abkommens (4215/98 – KOM(98)0068 – C4‐0593/98‐98/0076(CNS)),

‐ A4‐0472/98 von Herrn van Dam im Namen des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen über den Vorschlag für einen Beschluß des Rates und der Kommission über den Standpunkt der Gemeinschaft im Assoziationsrat des am [...] in [...] unterzeichneten Europa‐Abkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Estland andererseits zur Annahme der Durchführungsbestimmungen zu Artikel 63 Absatz 1 Ziffern i und ii und Absatz 2 des Europa‐Abkommens (4214/98 – KOM(98)0118 – C4‐0594/98‐98/0077(CNS)),

‐ A4‐0419/98 von Herrn Schwaiger im Namen des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen über den Vorschlag für einen Beschluß des Rates und der Kommission über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch das am 1. Februar 1993 in Brüssel unterzeichnete Europa‐Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Rumänien andererseits eingesetzten Assoziationsrat zum Erlaß der erforderlichen Durchführungsvorschriften zu Artikel 64 Absatz 1 Ziffern (i) und (ii) sowie Absatz 2 des Europa‐Abkommens und zu Artikel 9 Absatz 1 Ziffern (i) und (ii) und Absatz 2 des Protokolls Nr. 2 über EGKS‐Erzeugnisse zu dem Europa‐Abkommen (KOM(98)0236 – C4‐0275/98‐98/0139(CNS)).

  Elchlepp (PSE), Berichterstatter. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Thema meines Berichts ist die Umsetzung des EU‐Wettbewerbsrechts durch die Republik Litauen im Rahmen des Artikels 64 des Europaabkommens zwischen der EU und diesem Land aus dem Jahr 1995. Ich möchte dem Europäischen Parlament empfehlen, den vorgelegten Standpunkt der Gemeinschaft dazu im Assoziationsrat EU‐Litauen zu billigen. Nun, die Materie, um die es hier geht, scheint eher technischer Natur zu sein, ist aber im Rahmen der Vorbeitrittsbeziehung mit Litauen politisch äußerst wichtig. Schließlich ist die Wettbewerbspolitik ein wesentliches Instrument zur Gewährleistung des freien Handels und zur Transformation der litauischen Wirtschaft in eine funktionsfähige soziale Marktwirtschaft, die im Binnenmarkt bestehen kann.

Natürlich ist die Einführung des komplexen EU‐Wettbewerbsrechts eine enorme Herausforderung für alle Beitrittskandidaten. Diese sind ja beim Übergang zur Marktwirtschaft erst im Aufbau eines eigenen nationalen Wettbewerbsrechts begriffen. Das möge die Kommission bitte bei der Beurteilung der Anpassungsleistung dieser Länder stärker berücksichtigen. In der Durchsetzung des EU‐Wettbewerbsrechts wird deshalb auch in den nächsten Jahren noch einige Flexibilität nötig sein. Zu starre Auflagen können eher kontraproduktiv sein. Vor allem die sozialen Auswirkungen der Anpassung müssen stets beachtet werden, wenn eine breite Unterstützung von Demokratie und sozialer Marktwirtschaft in der Bevölkerung dieser Kandidatenländer gesichert sein soll. Dies ist für die Stabilität Europas insgesamt sehr wichtig.

Auf dem Weg, zum EU‐Besitzstand im Wettbewerbsrecht zu gelangen, werden noch viele Wirtschaftsbranchen Litauens auf staatliche Beihilfen wenigstens einige Zeit lang nicht verzichten können. In Anbetracht agressiver Marktstrategien westlicher Konkurrenten sollten Abwehrmechanismen und Stützungen von gewissen Branchen im Einzelfall moderat beurteilt werden. Aber insgesamt hat Litauen erhebliche Fortschritte bei der Rechtsangleichung an die EU erzielt und bemüht sich um qualifizierte Durchführungsstrukturen. Der Entwurf eines neuen litauischen Wettbewerbsgesetzes wurde 1998 von der Regierung vorgelegt. Er ist in weiten Teilen im vergangenen Dezember im litauischen Parlament schon gebilligt worden.

Die Wettbewerbsvorschriften für Unternehmen entsprechen im allgemeinen dem Gemeinschaftsrecht, und 1997 wurde auch ein Beschluß zur Überwachung staatlicher Beihilfen von der litauischen Regierung vorgelegt. Litauen hat inzwischen auch Anstrengungen unternommen, den freien Warenverkehr mit der EU zu erleichtern, etwa durch ehrgeizige Zollsenkungen. Das ist zu begrüßen.

Ich gelange zu folgenden Schußfolgerungen: Es sollte in bezug auf Litauen keine allzu rigorose Politik der Angleichung an westliche Wettbewerbsregeln betrieben werden, um den langfristigen Transformationsprozeß nicht durch Überforderung zu gefährden. Zweitens muß Litauen offenbar noch stärker bei der Aus‐ und Fortbildung seiner Fachbeamten des Wettbewerbsaufsichtsamtes durch die EU unterstützt werden. Weiterhin ist es notwendig, im Privatwirtschaftssektor des Landes eine gezielte Informationspolitik zur Akzeptanz des neuen Wettbewerbsrechts und der wirtschaftlichen Liberalisierungs‐ und Umstrukturierungsmaßnahmen zu fördern. Die sozialen und die Umweltaspekte müssen bei der Anpassung beachtet werden.

Ich möchte zum Schluß noch auf zwei Punkte eingehen: Da die litauische Wirtschaft wie übrigens die aller mittel‐ und osteuropäischen Staaten unterkapitalisiert ist, sollte die EU darüber nachdenken, wie über bisherige Strukturhilfemaßnahmen hinaus direkte Kapitalhilfen zur Gründung und Modernisierung von Betrieben möglich wären, gegebenenfalls auch durch die Europäische Investitionsbank oder die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

Zweitens: Es ist sicherlich bedauerlich, daß Litauen zur Zeit nicht in der ersten Gruppe der Beitrittskandidaten ist. Ich bin bei aller Würdigung aller noch bestehenden Hindernisse der Auffassung, daß die erst für Ende 1999 vorgesehenen Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und Litauen früher beginnen sollten, möglichst noch unter deutscher EU‐Ratspräsidentschaft, denn nur so kann der im Land entwickelte Optimismus und Gestaltungswille aufrechterhalten werden.

  Seppänen (GUE/NGL), Berichterstatter.(FI) Herr Präsident, die Kommission hat im Juli 1997 empfohlen, die Beitrittsverhandlungen mit Lettland unverzüglich einzuleiten, weil das Land mit der Erfüllung der vom Europäischen Rat in Kopenhagen festgelegten Kriterien ausreichend vorangekommen ist. Nach Ansicht der Kommission erfüllte kein einziges antragstellendes Land zu dem Zeitpunkt alle in Kopenhagen bestätigten Voraussetzungen. Ungeachtet dessen wurde für die Beitrittskandidaten entsprechend ihren Anträgen eine Reihenfolge festgelegt, nach der beispielsweise Lettland eine längere Wartezeit hatte als Estland. Für diese Vorgehensweise gibt es zumindest hinsichtlich der Erfüllung der Wettbewerbsvorschriften keine Grundlagen.

Die EU ist bestrebt, einen anspruchsvollen Binnenmarkt zu gewährleisten, auf dem Wettbewerbsbeschränkungen nicht zugelassen sind. Es ist nicht selbstverständlich, daß die Bewerberländer auf diesem Markt erfolgreich sind. Nach Einschätzung der Kommission hätte Lettland Schwierigkeiten, dem Wettbewerbsdruck des Binnenmarktes standzuhalten. Weiterhin sieht die Kommission durch die Integration in die EU große wirtschaftliche Strukturveränderungen auf Lettland zukommen. Lettland verfügt über ein neues Wettbewerbsgesetz, das im wesentlichen den Regeln der EU folgt. Hierbei sind einige Änderungen erforderlich, da bestimmte Beihilfen an den Export gebunden und in dem Gesetz Sonder‐ und Einzelrechte verankert sind, die nicht den Regeln der Gemeinschaft entsprechen. Die EU formt mit ihren Forderungen nach Harmonisierung der Rechtsvorschriften die lettische Gesellschaft nach ihrem Bild, und das Land hat keine anderen Alternativen.

Auf Grund von Qualitätsproblemen haben es Industrieerzeugnisse schwer, auf die westlichen Märkte der EU zu gelangen. Die Wettbewerbsfähigkeit der lettischen Volkswirtschaft beruht ausschließlich auf einem niedrigen Lohnniveau. Hier liegt das Problem. Lettland muß seine Löhne gerade deshalb niedrig halten, um wettbewerbsfähig zu sein. Mit diesen Niedriglöhnen wäre es als Mitgliedstaat der EU ein Billiglohnland, ein Billigflaggenland. Verschwinden die Zollgrenzen zwischen den EU‐Mitgliedstaaten und Lettland, so entsteht gleichzeitig auch ein freier Arbeitsmarkt. Wegen der Unterschiede im Lohnniveau und im Lebensstandard bestünde ein Anreiz, in den alten EU‐Ländern zu arbeiten, wo höhere Löhne und Gehälter gezahlt werden. Auf diese Weise würde Lettland seine qualifizierten Arbeitnehmer verlieren und die EU‐Staaten hätten ein Problem mit billigen Arbeitskräften. Hier handelt es sich um ein Problem, das unter den Bedingungen einer raschen Erweiterung allgemeiner Natur wäre und keineswegs speziell Lettland, sondern vielmehr alle Beitrittskandidaten betrifft. Die auf der Warteliste vor Lettland stehenden Länder würden die EU vor das gleiche Problem stellen. In allen Bewerberländern unterscheidet sich der Aufbau der Wirtschaft von den Strukturen auf dem Binnenmarkt der EU.

An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal an die Einschätzung der Kommission erinnern, nach der Lettland die Merkmale einer Demokratie mit stabilen Institutionen, die die rechtsstaatliche Ordnung, Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten erfüllt, jedoch Maßnahmen ergreifen muß, um die Einbürgerung von Angehörigen mit einer anderen als der lettischen Staatsangehörigkeit zu beschleunigen. Das sind ernste Probleme, die sich auch in Estland nicht minder schwerwiegend präsentieren. Ich halte die Behauptung für unbegründet, daß Lettland gegenüber den anderen Bewerberländern in einer schlechteren Ausgangsposition für die Mitgliedschaft in der EU ist. Das Land ist bereit, für seinen Beitritt in die EU einen hohen Preis zu zahlen, indem es seine Volkswirtschaft den Regeln der Marktkräfte und des Wettbewerbs unterwirft.

  Van Dam (I‐EDN), Berichterstatter. – (NL) Herr Präsident, Estland spielt unter den drei baltischen Staaten eine besondere Rolle. Dort nämlich wurde bereits eine unmittelbare Freihandelszone zwischen der Europäischen Union und Estland errichtet. Für Lettland und Litauen hingegen ist eine asymmetrische und zeitlich gestaffelte Schaffung einer Freihandelszone vorgesehen. Auch in anderer Hinsicht nimmt Estland eine Sonderstellung ein. Als einziger Ostseeanrainerstaat ist es in die erste Runde der Beitrittsverhandlungen aufgenommen worden. Das soll nun nicht heißen, Litauen und Lettland würden auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet weniger leisten. Gerade in der letzten Zeit haben diese Länder offensichtlich eine Aufholjagd gestartet. Die Ausgangsposition Lettlands und Litauens im Hinblick auf die Europäische Union weicht ebenfalls von der Estlands ab.

Die Freihandelszone wird nur dann von wirtschaftlichem Nutzen sein, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen auf einheitlichen Grundsätzen beruhen. Das gilt auch für die Wettbewerbspolitik. Das Europa‐Abkommen mit Estland sieht die Einführung der Wettbewerbsgesetzgebung bis Ende 1997 vor. Diese Frist ist inzwischen bei weitem überschritten. Der Ausschuß für Außenwirtschaftsbeziehungen beschleunigt deshalb die Verabschiedung des Kommissionsvorschlags. In bezug auf den künftigen Beitritt von Estland, die Verhandlungen haben bereits im vergangenen Jahr begonnen, ist es nämlich wichtig, daß die Bewerberländer für die in der Union geltende Marktwirkung gewappnet sind. Die estnischen Unternehmen müssen deshalb wettbewerbsfähiger werden. Der vorliegende Vorschlag betrifft die Festlegung der Durchführungsbestimmungen für die in der Gemeinschaft geltende Wettbewerbspolitik in bezug auf Estland. Dabei handelt es sich um die Artikel 85, 86 und 96 des EG‐Vertrages, also um das Kartellverbot, das Verbot der mißbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung und die Disziplin bei staatlichen Beihilfen.

Mit dem Erlaß der Durchführungsbestimmungen der genannten Artikel soll vornehmlich der Handel zwischen der Europäischen Union und Estland verbessert werden. Beiden Parteien bleiben jedoch Anti‐Dumping‐ und Schutzmaßnahmen vorbehalten, die nach dem Assoziierungsabkommen erlaubt sind. Diese Maßnahmen sind noch immer zulässig, weil die Vorschriften für staatliche Beihilfen auf beiden Seiten nach wie vor erheblich voneinander abweichen. Ende 1999 müssen auch diese Vorschriften angepaßt sein. Inzwischen beabsichtigt die Kommission natürlich nicht, unter dem Deckmantel von Anti‐Dumping‐Maßnahmen estnische Erzeugnisse vom europäischen Markt fernzuhalten. Das würde die Wettbewerbsfähigkeit estnischer Betriebe beeinträchtigen und könnte somit einer baldigen Erweiterung der Europäischen Union im Wege stehen.

Einem kürzlich erschienenen Bericht über staatliche Beihilfen in Estland können wir entnehmen, daß das im Oktober 1998 in Kraft getretene estnische Wettbewerbsgesetz bessere Voraussetzungen für die Überwachung staatlicher Beihilfen sowie für die Erfassung sachbezogener Informationen schafft. Beim Übergang zu einer modernen Marktwirtschaft sind staatliche Beihilfen unverzichtbar, diese müssen jedoch durchschaubar sein, um nachvollziehen zu können, ob die estnischen Betriebe ausreichend wettbewerbsfähig sind.

Herr Präsident, als Berichterstatter danke ich dem Ausschuß für Außenwirtschaftsbeziehungen für die reibungslose Zusammenarbeit und kann folgende Schlußfolgerungen ziehen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß eine entsprechende Umsetzung des Wettbewerbsrechts in Estland um so notwendiger ist, als Estland zu den Teilnehmern der ersten Verhandlungsrunde zählt. Damit will ich kein neues Beitrittskriterium schaffen. Die unmittelbaren Kriterien für den Beitritt sind in den Europa‐Abkommen eindeutig festgelegt. In den vergangenen Jahren hat Estland in Vorbereitung des Beitritts zur Europäischen Union Enormes geleistet. Damit meine ich nicht nur das Wirtschaftswachstum sowie die Verpflichtung, die Estland mit Unterzeichnung der Wirtschaftsvereinbarung mit dem IWF übernommen hat, Wachstum ohne Überhitzung der Konjunktur zu erreichen. Auch auf politischem Gebiet hat sich Estland um die Erfüllung der Beitrittskriterien bemüht. Obgleich noch zahlreiche Hürden zu nehmen sind, wie beispielsweise die Umgestaltung des Justizapparates, bis man von einer wahrhaft demokratischen politischen Kultur sprechen kann, haben sich in der Politik bedeutsame positive Entwicklungen vollzogen. Als Beispiele nenne ich nur die Konzertierung zwischen Regierung und Opposition sowie die Bemühungen zur rascheren Integration der russischen Minderheit in Estland.

Diese Anstrengungen der estnischen Regierung sollten uns Anlaß sein, den tatsächlichen Beitritt dieses Landes zur Europäischen Union zu beschleunigen. Wenn wir Reformen fordern, dann müssen wir auf diese Reformen auch die richtigen Antworten zu geben wissen.

  Schwaiger (PPE), Berichterstatter. – Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch für Rumänien stellt der Außenwirtschaftsausschuß mit Befriedigung fest, daß die notwendige Angleichung der rumänischen Wettbewerbsvorschriften an die der EU und die Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden sich zufriedenstellend entwickeln kann. Sie bezieht sich – Sie wissen es bereits aus den anderen Berichten – auf die anzuwendenden Grundprinzipien der Wettbewerbspolitik, die zuständigen Behörden, das Konsultationsverfahren in grenzüberschreitenden Fällen und die Verwaltungszusammenarbeit.

Die Stellungnahme der Kommission zu dem Beitrittsantrag Rumäniens zeigt im übrigen, daß die Wettbewerbsregeln in Rumänien im allgemeinen mit den EU‐Standards vereinbar sind. Ich kann Ihnen daher aus der Sicht des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen auch für Rumänien vorschlagen, die Zustimmung zum gemeinsamen Standpunkt des Rates zu geben. Positiv ist dabei insbesondere zu bewerten, daß die rumänische Verwaltung wie auch in anderen Bereichen für die Wettbewerbsvorschriften ganz auf die Zusammenarbeit mit den Behörden der EU setzt und die entsprechenden gesetzgeberischen Anstrengungen unternommen hat. Allerdings gehört dazu auch die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, die noch zu wünschen übrig läßt.

Erleichtert werden diese Arbeiten der rumänischen Verwaltung durch eine vorausgegangene intensive Ausbildung rumänischer Führungskräfte im Rahmen des Programms PHARE. Lassen Sie mich aber heute auch einen Blick auf die Bemühungen Rumäniens werfen, sowie auf die Notwendigkeit, sich wirtschaftlich weiter an die Europäische Union anzunähern und den gemeinschaftlichen Besitzstand Schritt für Schritt zu übernehmen. Der größere Teil der Wirtschaftsreformen liegt noch vor der rumänischen Regierung. Schwerpunkt muß die weitere, lange Zeit verzögerte Privatisierung der staatlichen Großbetriebe und die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Gründung von Klein‐ und Mittelbetrieben sein. Zur Zeit sind nur etwa 20 % der Betriebe ins Privateigentum übergegangen.

Nur so haben die Wettbewerbsregeln, die dann gemeinsame Regeln von Rumänien und der Europäischen Union werden, eine Chance, auch tatsächlich zu greifen und zu funktionieren. Die Entwicklung der letzten Tage zeigt, daß die rumänische Regierung sich ernsthaft bemüht, das Defizit innerhalb der staatlichen Unternehmen zu verringern und die unrentabelsten Betriebe im Banken‐ und Telekommunikationsbereich zu schließen. Gleichzeitig muß die Gründung von Klein‐ und Mittelbetrieben in größerem Maße als bisher durch staatliche finanzielle Anreize unter Einbeziehung der Programme der Europäischen Union gefördert werden.

Ein besonderer Lichtblick ist auch, daß Rumänien und die Europäische Union zunehmend bei der gemeinsam geplanten Nutzung der Bodenschätze Transkaukasiens, insbesondere Aserbaidschans und der mittelasiatischen Republiken, für den europäischen Markt enger zusammenarbeiten. Rumänien kann sowohl beim Transport als auch bei der Weiterverarbeitung des Erdöls aus dem Kaspischen Meer eine Schlüsselrolle übernehmen, worauf ich in meinem Bericht über die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der EU und Aserbaidschan Anfang 1997 bereits nachdrücklich hingewiesen habe. Die Anlagen von Constanza als größtem Schwarzmeerhafen und die Raffinerien von Ploesti an der unteren Donau könnten – entsprechend modernisiert – Rumänien in die Lage versetzen, einen neuen Transportweg einzurichten, eine breite Palette von Erdölprodukten zu verarbeiten und damit bei der Belieferung des europäischen Marktes zu einer erstklassigen Adresse zu werden.

Je mehr Rumänien bei den gemeinsamen Projekten der EU mit den transkaukasischen Republiken, vor allem mit Georgien und Aserbaidschan, beispielsweise bei den Verkehrsnetzen, aber auch bei den Energietransportnetzen eine aktive Rolle spielt, desto eher kann es dabei sein Potential für den sich in einigen Jahren um Ungarn, Polen und die Slowakei vergrößernden europäischen Markt ausspielen und seine Handels‐ und Zahlungsbilanz verbessern. Über die Donau und den Rhein‐Main‐Donau‐Kanal können die entsprechenden Produkte bis ins Zentrum Europas und dann weiter in die Benelux‐Staaten und nach Frankreich transportiert werden. Rumänien muß also sein geographisches, industrielles und auch technologisches Potential einschließlich der Transportinfrastruktur der Donau viel stärker auf den europäischen Markt ausrichten und seine Dienstleistungskapazitäten auf dem Wasserweg der Donau und dem Schienenweg voll ausschöpfen.

Die geplante Schnellbahnverbindung TGV‐ICE von Paris über Straßburg‐Karlsruhe‐München‐Wien bis Budapest sollte in einigen Jahren über Timisoara‐Arat nach Bukarest weitergeführt werden. Ich möchte daher im Namen des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen – und insofern stimme ich mit den Schlußfolgerungen des Kollegen Bernard‐Reymond über die Beitrittsperspektiven Rumäniens überein – Rumänien ermutigen, nach dem Vorbild anderer osteuropäischer Länder den Weg nach Europa resolut weiterzugehen, seine vorübergehende Schwächeperiode zu überwinden und sein gesamtes Entwicklungspotential als großes osteuropäisches Land dafür einzusetzen.

Wir jedenfalls ermuntern das rumänische Volk, sein Parlament und seine Regierung, trotz der gegenwärtigen Schwierigkeiten nicht zu resignieren und all seine Kraft für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU einzusetzen. Unsere Unterstützung haben sie dafür.

  Wolf (V), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik. ‐ Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, hier besteht kurz die Gelegenheit, grundsätzlicher zu besprechen, was hier geschieht. Man kann sagen – das wäre die eine Hälfte der Geschichte, und das ist völlig wahr –, die Wettbewerbspolitik der Europäischen Union ist intern eine Erfolgsgeschichte. Sie ist der Motor, der die europäische Integration vorangetrieben hat und den Binnenmarkt vollendet. Das ist unbestreitbar, und das ist auch gut so.

In den Beziehungen zu den Kandidatenländern haben wir aber dazu das Problem der ungleichen Wirtschaftsstruktur. Unter den Bedingungen muß man darüber nachdenken, ob man einfach dasselbe tun kann. Es gibt jetzt die zusätzliche Gefahr – und ich denke, dafür haben wir in allen drei Ländern einige Indizien gefunden –, daß gerade, weil diese Länder gewissermaßen nach eigenem politischen Willen die Marktwirtschaft in reiner Form verwirklichen wollen, wir hier ein synthetisches Modell der Wettbewerbsregeln praktiziert sehen, wie sie in der Union in der Reinheit kaum durchsetzbar sind. Das wäre eine Ungleichheit, die, glaube ich, nicht vertretbar ist.

Ich will auch darauf hinweisen, daß wir ja schon das Problem haben, daß die Wettbewerbsregel hinsichtlich der Marktbeherrschung und die Wettbewerbsregel hinsichtlich der staatlichen Beihilfen in unterschiedlichen zeitlichen Abläufen vorangetrieben wurden. Aber nicht nur das ist das Problem, sondern auch, daß andere Dimensionen, die eigentlich zur Stärkung oder Einrichtung von Märkten gehören, hier nicht entsprechend mitgekommen sind. Das ist die Frage der öffentlichen Infrastrukturen, das ist die Frage – dies wurde hier schon angesprochen – der Stärkung der Kapitaldecke der Unternehmen und das ist – ich glaube, das ist uns allen sehr wichtig – die Stärkung der Artikulation und Durchsetzung von anderen Interessen als den unmittelbaren Profitinteressen der Unternehmen im ökonomischen Prozeß. Denn Wirtschaften ist nicht nur Profit machen, Wirtschaften ist auch Reproduzieren der natürlichen Grundlagen der Gesellschaft.

Unter den Bedingungen müssen wir uns immer wieder sehr ernsthaft fragen, ob wir den Prozeß wirklich so vorantreiben, daß hier gleiche Rechte nicht nur abstrakt aufgeschrieben, sondern tatsächlich gewährt werden, daß diese Länder am Rande der Ostsee – und ich sage das als Kieler mit gewissem historischen Hintergrund – zum ersten Mal in ihrer Geschichte in eine nichtkoloniale Position gegenüber Westeuropa kommen. Ich glaube, das ist die Aufgabe, die wir uns vornehmen müssen. Ich weiß, daß dies alles andere als einfach ist.

Hierzu gehört, glaube ich, erstens daß wir in unserer Beitrittsvorbereitungsstrategie breiter und politischer werden, d. h. auch die anderen Dimensionen als die der Wettbewerbspolitik entsprechend vorantreiben. Insofern begrüße ich, daß einige Kollegen hier die politischen Fortschritte, aber auch die Probleme angesprochen haben, die in einzelnen baltischen Ländern unterschiedlich bestehen. Die gehören hier mit in die Diskussion.

Wir müssen uns aber auch fragen, ob wir nicht spezifische Leistungen der Solidarität gegenüber diesen Ländern erbringen müssen und ob die nicht darüber hinausgehen müssen, was hier angesprochen wurde, was richtig ist als flexible Handhabung der Wettbewerbsregeln. Das ist das Minimum. Also hier die Regeln rigider zu handhaben, als wir sie in Bayern oder in Sachsen durchsetzen können, um mal im eigenen Haus zu reden, das wäre wirklich absurd.

Wir müssen aber auch fragen: Was können wir zusätzlich tun? Ich denke, hier müssen wir überdenken – das wurde auch schon angesprochen –, welche Instrumente für Strukturförderung haben wir, und wie können wir erreichen, daß diese dort so wirksam wie möglich eingesetzt werden? Hier gehört auch hin, daß wir zwischen den Ländern keine neuen Hierarchien schaffen. Ich finde, es war völlig gerechtfertigt, nachdem man einmal diese Entscheidung getroffen hatte, die ich kritisiere, daß man vom Startlinienmodell abgeht und anfängt, mit allen gleichzeitig zu verhandeln, daß man so, wie die Dinge dann gehandhabt wurden, Estland zuerst drangenommen hat. Hier gibt es in der Tat einiges an Vorlauf, was in anderen Ländern noch nicht so weit ist. Aber das droht sich zu verfestigen, allein durch die Tatsache, daß es bisher so war. Das darf nicht sein! Es muß für die anderen Länder eine faire Chance zu einem Aufholprozeß geben. Es muß auch Hilfen dabei geben. Es darf auch nicht so sein, daß die Länder, die am wenigsten Hilfe brauchen, am meisten Hilfe kriegen, weil dort vielleicht die unmittelbare Wirkung am größten ist.

In diesem Sinne plädiere ich für eine sehr sorgfältige Durchsicht unserer Politik. Ich habe bewußt jetzt nicht über die einzelnen Länder gesprochen, zu denen man auch dieses oder jenes anmerken könnte. Aber es ist nicht meine Aufgabe als europäischer Parlamentarier, den Esten, den Letten oder den Litauern zu sagen, was sie vorrangig tun sollen, sondern ich habe mich darauf konzentriert, davon zu reden, was wir tun sollten. Ich denke, es ist dringend, daß wir das auch in dieser Breite und in dieser Nachdenklichkeit und dieser Problematik ansprechen.

  Sindal (PSE). – (DA ) Herr Präsident, nachdem ich gerade meinem Kollegen Wolf zugehört habe, möchte ich zunächst über ein Erlebnis in einer Holzwarenfabrik in Tartu in Estland berichten. Ich war damals Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zu Estland, als wir diese Fabrik besuchten. Der Fabrikdirektor sagte mir: „Warum muß ich alle meine Möbel für Ikea in Deutschland mit diesem seltsamen E kennzeichnen? Weshalb muß mein Anstrich kontrolliert, muß mein Standard überprüft werden? Ihr könnt einfach alle Waren nach Estland verkaufen, aber ich werde kontrolliert, weil ich an Euch verkaufen will.” So sieht also die Praxis aus. Solche Fragen werden uns bei Besuchen in den neuen Mitgliedstaaten gestellt. Die Vereinbarungen, die wir beschließen werden, signalisieren den Bevölkerungen dieser Länder, daß wir sie nicht vergessen haben und wir uns mit Problemen befassen, wie ich sie in Tartu erlebt habe. Aber bisweilen besteht zwischen Politik und Praxis eine erhebliche Diskrepanz. Der Handelsverkehr, den auch Herr Wolf vermißt, entsteht schließlich nicht von selbst. Vielleicht brauchen wir ja gerade gemeinsame Regeln für den Wettbewerb, um bestimmten Ländern künftig die Zusammenarbeit zu ermöglichen. Ich denke dabei insbesondere an das Land, für das ich jetzt zuständig bin, an Litauen, das eine zentrale Rolle als Transitland für den Handelsverkehr mit Rußland und Weißrußland spielt. Wenn das Land eine funktionierende Wettbewerbspolitik hat und seine Standards und Vorschriften in diesem Bereich harmonisiert, dann ist es auch in der Lage, den Handelsverkehr zu steigern und sich gegen Wettbewerber durchzusetzen.

Wir dürfen die Wettbewerbspolitik allerdings nicht isoliert betrachten. Wir müssen uns auch mit der Umwelt‐ und Sozialpolitik befassen. Wenn wir von Fortschritten in diesen Ländern reden, dann darf man nicht nur die Fortschritte bei Investitionen von Fremdkapital und im Wirtschaftssektor bewerten, wie die Kommission das oft tut, sondern muß auch untersuchen, inwieweit diese Länder in der Lage sind, Aspekte der Arbeitsumwelt und der Sozialpolitik in die Wettbewerbspolitik zu integrieren.

  Ilaskivi (PPE).(FI) Herr Präsident, in vier Berichten wird dem Parlament die Annahme der mit den betreffenden Ländern geschlossenen Europa‐Abkommen vorgeschlagen. Diese Zustimmung wird sicher erfolgen und damit eine gute Basis für die künftige Erweiterung der Union geschaffen. Bis dahin ist es jedoch noch ein langer Weg. Die wirtschaftliche und politische Hamonisierung erfordert von diesen Ländern viel Arbeit und Zeit.

Nach Einschätzung der Kommission haben Lettland und Litauen in letzter Zeit den Vorsprung Estlands aufgeholt. Das starke Wirtschaftswachstum Lettlands wie auch das Engagement Lettlands und Litauens bei der Modernisierung ihrer Gesetze über die Staatsbürgerschaft, zu der es allerdings im Bericht Seppänen widersprüchliche Aussagen gibt, sind bemerkenswerte Fortschritte bei der Erfüllung der Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der EU. Es ist wahrscheinlich, daß alle baltischen Länder mittelfristig gesehen zur gleichen Zeit der Europäischen Union beitreten können. Obwohl natürlich alle Beitrittskandidaten danach beurteilt werden müssen, was sie selbst erreicht haben, möchte ich unterstreichen, daß ein gleichzeitiger Beitritt der baltischen Länder beispielsweise im Interesse der Sicherheitspolitik positive Auswirkungen hätte.

Bei der Vorbereitung der Bewerberländer auf die Mitgliedschaft muß auch die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen den Polizei‐ und Zollbehörden für die internationale Verbrechensbekämpfung hervorgehoben werden. Hier reichen gesetzliche Regelungen und die Annahme von Verträgen über Zusammenarbeit nicht aus. Die wichtigste und vielleicht schwierigste Aufgabe für die Beitrittskandidaten ist die Erfüllung dieser Abkommen. Hier müssen wir in Finnland auf ein bedauerliches Beispiel im letzten Jahr verweisen, als eine über Estland eingereiste Verbrecherbande in Helsinki Bankautomaten aufbrach und die estnische Polizei die Zusammenarbeit mit den finnischen Behörden verweigerte. Derartige an sich geringfügige, aber dennoch wichtige Fragen müssen noch geklärt werden.

  Plooij‐van Gorsel (ELDR).(NL) Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Kommissar! Zuallererst möchte ich den einzelnen Berichterstattern zu ihren Berichten gratulieren. Herr Präsident, zu Beginn des Mandats im Jahre 1995 bezeichnete Herr Santer die Erweiterung der Union als eines der beiden Hauptziele der neu angetretenen Europäischen Kommission. Er nannte diese Erweiterung eine historische Chance. Dem schließe ich mich gern an. Auch meine Fraktion hält die Erweiterung für eine historische Chance. Lassen Sie mich jedoch einen Punkt hervorheben. Es ist zwar eine historische Chance, sie kann sich aber auch als ein historischer Fehler erweisen, wenn der Beitritt nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorbereitet wird. Von entscheidender Bedeutung ist, daß die heutige Union ihre Angelegenheiten intern ordnet, denn die Erweiterung, vor der die Union jetzt steht, und die heutigen Berichte sind doch ein kleiner Schritt in diese Richtung, unterscheidet sich grundlegend von der bisherigen Erweiterung. Sind die Beitrittskandidaten nun Länder mit einer noch immer begrenzten Marktwirtschaft? Überdies ist ihr Wettbewerbs‐ und Rechtssystem noch nicht auf die vollständige Übernahme des acquis communautaire eingerichtet.

Herr Präsident, nicht nur die beitretenden Länder brauchen einen gut funktionierenden Staatsapparat. Vor allem die Union selbst bedarf eines ausgewogenen und schlagkräftigen Apparats, um die mit dem Beitritt verbundenen Probleme bewältigen zu können. Deshalb ist es schmerzlich feststellen zu müssen, daß wir angesichts dieser anstehenden bedeutsamen Beschlüsse von diesem Ziel noch immer jämmerlich weit entfernt sind. Hoffentlich gibt der Rat, wie von Herrn Fischer heute morgen hier angekündigt, den Startschuß für eine neue Regierungskonferenz, die um das Jahr 2000 zusammentreten könnte, um die Dinge im eigenen Haus zu ordnen.

  Ojala (GUE/NGL).(FI) Herr Präsident! Alle drei baltischen Staaten waren und sind sehr bemüht, die Kriterien für die Mitgliedschaft in der EU zu erfüllen. Das erfordert große Opfer und enorme Veränderungen innerhalb dieser Gesellschaft.

Mit Besorgnis habe ich in den letzten Tagen die Nachrichten verfolgt, in denen davon berichtet wird, daß zwischen den drei baltischen Staaten – ich zitiere die Presseüberschriften – “ein Schweinefleischkrieg” ausgebrochen ist. Das hat bereits zum Austausch diplomatischer Noten geführt. Lettland beabsichtigt nämlich in diesem Jahr, die jährlichen Fleischimporte aus Estland und Litauen zu beschränken. Derartige gegenseitige Beschuldigungen und der Austausch von Noten bewirkt sicher nichts Gutes für die baltischen Länder. Es bleibt zu hoffen, daß für dieses Problem rasch eine Lösung gefunden und die Entwicklung der Staaten im Hinblick auf eine Mitgliedschaft in der EU nicht zurückgeworfen wird.

  Schroedter (V). – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicher, die Wettbewerbsregeln sind ein wichtiger Bestandteil des acquis communautaire, aber bisher haben die Wettbewerbsbestimmungen der Europaabkommen die EU nicht daran gehindert, Antidumping‐ und Handelsschutzmaßnahmen gegenüber den Beitrittskandidaten anzuwenden, mit dem Ergebnis eines steigenden Handelsdefizits für die mittel‐ und osteuropäischen Länder, also genau das Gegenteil dessen, was die eigentliche Aufgabe einer Europäischen Union wäre, nämlich zu einem erfolgreichen Beitritt und der Stabilisierung dieser Wirtschaften beizutragen.

Dazu gibt es außerdem noch hohe Exportsubventionen auf die EU‐Agrarproduktion mit der Folge massiver Störungen der heimischen Märkte in den beitrittswilligen Ländern. Die Frage ist hier wirklich: Wer muß hier welche Hausaufgaben machen? Es sind nicht nur die Beitrittskandidaten, denn es bedarf einer qualitativen Neuausrichtung der EU‐Wettbewerbs‐ und Handelspolitik gegenüber den Beitrittskandidaten.

  Antony (NI).(FR) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der kurzen Redezeit, die mir zur Verfügung steht, werde ich nicht auf die – übrigens interessanten – technischen Aspekte der vorliegenden Berichte eingehen.

Vielleicht beeinflußt von dem Schnee, der heute fiel, möchte ich einfach nur an die Lage erinnern, in der ich mich vor einigen Jahren befand. Es war in der Tat die furchtbarste Situation, die ich je erlebte, als ich mich neben Präsident Landsbergis im Regierungssitz von Wilna befand, der von der – wenn ich so sagen darf – litauischen Nationalgarde bewacht wurde, und die russische Armee gerade die litauischen Widerstandskämpfer mit ihren Panzern überrollt hatte. Damit will ich zum Ausdruck bringen, daß die baltischen Länder meines Erachtens integrierender Bestandteil unserer europäischen Zivilisation sind und für ihre Freiheit einen sehr hohen Preis gezahlt haben. Allein von der litauischen Bevölkerung ist ein Viertel in den Gulags umgekommen.

Damit will ich auch sagen, daß wir für eine Erweiterung unserer Europäischen Gemeinschaft um die baltischen Länder wären, würde diese nicht leider in zunehmendem Maße zu einer Art Mischung aus Sowjetunion und USA und würde sie nicht als einzige Perspektive eine immer erdrückendere Bürokratie bieten. Daher sagen wir unseren Freunden in den baltischen Ländern, wie übrigens auch unseren polnischen Freunden, daß ihre Mitgliedschaft in einem konföderalen Europa zwar begrüßenswert wäre, daß sie jedoch gut daran täten, mit ihrem Beitritt zu diesem zunehmend bürokratischeren Europa zu zögern, dessen Rechtsvorschriften und Verordnungen zu einer immer unerträglicheren Last werden. Für sie wäre das wohl keine erfreuliche Situation.

Wir wollen ihnen die Tür dieser Gemeinschaft nicht etwa verschließen. Wir wollen jedoch ein anderes Europa, nämlich das Europa, für das wir kämpfen. Das ist die Botschaft, die ich unseren Freunden in den baltischen Ländern heute auf diesem Wege übermitteln möchte.

  Evans (PSE).(EN) Herr Präsident, einige Vorredner haben bereits über die baltischen Staaten gesprochen, und so werde ich meine Ausführungen auf Rumänien und den Bericht von Herrn Schwaiger beschränken.

Das Abkommen zwischen der EU und Rumänien, über das wir hier sprechen, besteht seit nunmehr vier Jahren. In dieser Zeit hat Rumänien erhebliche Fortschritte erzielt, und das Land vollzieht die Annäherung an den Westen in riesigen Schritten. Es kann jedoch kein Zufall sein, daß die EU‐Anrainerstaaten bei ihrem Bemühen um eine Mitgliedschaft schneller vorankommen, als weiter entfernt liegende Länder. Verglichen mit seinem ungarischen Nachbarland liegt Rumänien, das nicht an eines der derzeit 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union angrenzt, zum Beispiel weit zurück.

Unter dem früheren Ceausescu‐Regime war Rumänien ein Land mit geringem Selbstbewußtsein, eine Nation, verformt durch unrealistische Ideale und Gesetze. Jedem Besucher, der heute nach Rumänien kommt, wird auffallen, welche Fortschritte das Land beim Übergang zur Marktwirtschaft bereits erreicht hat. Weitere Fortschritte sind notwendig, doch sie sollen in einem realistischen Zeitraum stattfinden, in dem sich die Menschen anpassen und Korrekturen vornehmen können.

Herr Schwaiger erwähnte die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit, die Reform von staatlichen Unternehmen, Banken und so weiter. Außerdem muß die rumänische Regierung ihren Reformbedarf selbst erkennen, so eine Reform des Polizeiwesens, der Verfassung, zum Beispiel in bezug auf Artikel 200. Die Regierung muß sich mit den Politikern auseinandersetzen, die nicht wahrhaben wollen, wie grundlegend sich die Politik der Zukunft von der Politik unterscheiden wird, die in Rumänien vor der Revolution betrieben wurde.

In Rumänien hat sich vieles geändert, und heute ist das Land nicht mehr mit dem zu vergleichen, was es noch vor zehn Jahren war. Einige Dinge sind jedoch konstant geblieben: Die geographische Lage des Landes ist ein wichtiger Faktor und einer der wertvollsten Pluspunkte für seine zukünftige Entwicklung, wie Herr Schwaiger bereits sagte. Rumänien gehört aufgrund seiner Kultur, seiner Sprache, seiner Geschichte und seines Volkes zu Europa, und daran wird sich auch zukünftig nichts ändern.

Ich begrüße diesen Bericht sehr und freue mich schon darauf, eines Tages unsere rumänischen Kollegen hier im Europäischen Parlament willkommen zu heißen.

  Alavanos (GUE/NGL). (EL) Herr Präsident, auch ich möchte unterstreichen, daß diese vier Berichte Positives bewirken können. Es ist wichtig, auch im Unternehmensbereich allseits akzeptierte Regeln für die Zusammenarbeit und die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den vier Ländern zu haben, und auch die Unternehmen brauchen Sicherheit, wenn sie in diese Länder gehen und mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Andererseits gilt es jedoch zu berücksichtigen, daß sich die genannten Länder in einer schwierigen Übergangsphase befinden, in der außer der Durchsetzung bestimmter Grundsätze und juristischer Regelungen auf jeden Fall auch Solidarität, Unterstützung und Verständnis für ihre Besonderheiten von seiten der Europäischen Union nötig sind. Lassen Sie mich unterstreichen, wie wichtig die Entwicklung der Beziehungen und die Zusammenarbeit mit Rumänien ist, denn es ist eines der großen Länder auf dem Balkan und liegt an geographisch wichtiger Stelle, hat aber vielleicht weitaus ungünstigere Ausgangsbedingungen als andere Länder Osteuropas, andererseits jedoch auch enorme Möglichkeiten für eine Beteiligung an den großen Netzen der Europäischen Union und Europas allgemein. Herr Schwaiger hat diese Möglichkeiten in der Begründung im übrigen sehr treffend dargelegt.

  Lindholm (V).(SV) Herr Präsident, die baltischen Länder haben innerhalb kurzer Zeit fast eine Großtat vollbracht. In nur zehn Jahren haben sie den Übergang von Diktatur und sowjetischer Planwirtschaft zu Demokratie und Marktwirtschaft vollzogen. Dazu kommt jetzt die Angleichung an die EU. Diese schwierige Entwicklung hat Bürger und Politiker vor hohe Anforderungen gestellt. Deshalb muß die EU flexibel reagieren und im Interesse der weiteren Entwicklung wirtschaftliche Unterstützung gewähren. Beide Seiten müssen sich anpassen, also auch die EU.

Auf diesen Ländern lastet ein enormer politischer und wirtschaftlicher Druck. So ist es als ein beunruhigendes Zeichen zu werten, daß eines der baltischen Länder letzte Woche Schutzzölle für Schweinefleisch eingeführt hat, also den beginnenden Freihandel zwischen den Ländern wieder erschwert. Leider kam dies nicht ganz unerwartet.

Die Grünen haben von Anfang an gefordert, daß die Beitrittsverhandlungen mit allen drei baltischen Staaten gleichzeitig stattfinden sollten, um eine harmonische politische und wirtschaftliche Entwicklung in diesem Gebiet zu erleichtern und die störanfällige Zusammenarbeit nicht zu gefährden. Wir bedauern es sehr, daß dies nicht gelungen ist.

  Van Miert, Mitglied der Kommission. – (NL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich den Berichterstattern herzlich für ihre Arbeit danken und ihnen auch mein Kompliment für die Qualität der hier vorgelegten Berichte aussprechen. Mein besonderer Dank gilt Herrn Wolf für seine grundsätzlichen Bemerkungen.

Ich halte das in einer Aussprache wie der unsrigen auch für notwendig. Verständlicherweise, meine Damen und Herren, werde ich nicht näher auf die allgemeinere Beitrittsproblematik eingehen, da sie in den Zuständigkeitsbereich anderer Kommissionskollegen fällt. Aber das hier ist durchaus ein wichtiger Bestandteil der Beitrittsproblematik. Denn eigentlich erhebt sich die Frage, ob sich die betreffenden Länder ausreichend vorbereiten können und das dann auch effektiv tun, damit sie ab ihrem Beitritt auch gehörig mitmischen können.

Andernfalls droht ein Unglück.

Sie und ganz besonders die deutschen Parlamentsabgeordneten werden sich erinnern, wie seinerzeit wegen des Eiltempos ganze Sektoren und Betriebe im ehemaligen Ostdeutschland nahezu weggespült wurden, weil nicht genügend Zeit für Anpassungen blieb. Nach einem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft zählt nun einmal die Logik des Binnenmarkts.

Deshalb ist es überaus wichtig, daß diese Länder Schritt für Schritt vorankommen. Wir müssen realistisch sein. Übrigens war es auch in der Europäischen Union so. Unsere Länder, die heutigen Mitgliedstaaten, haben auch lange gebraucht, bis sie sich an die Politik der Wettbewerbsregeln, die Achtung der öffentlichen Beihilfen gewöhnt hatten. Wie Sie alle wissen, haben wir selbst heute in der Europäischen Union noch enorme Probleme. Einerseits müssen wir diese Probleme realistisch sehen, andererseits müssen wir den betreffenden Ländern klipp und klar sagen: Schaut, das und das muß geschehen, andernfalls geht Ihr am Tag Eures Beitritts große Risiken ein. Seien wir doch offen und ehrlich zu diesen Ländern. Dafür sind diese Durchführungsbestimmungen gedacht, über die wir jetzt diskutieren. Die Grundsätze sind in den Europa‐Abkommen bereits festgelegt, jetzt geht es um ihre Umsetzung.

Auf die öffentlichen Beihilfen, die einige Redner erwähnt haben, komme ich noch zurück. Hier dreht es sich eigentlich um die Kartellvorschriften, speziell um die Artikel 85 und 86, sagen wir um die Beziehungen zwischen den Unternehmen. Öffentliche Beihilfen sind nicht unser Thema, obgleich ich dazu noch etwas sagen möchte.

In fünf Ländern Mittel‐ und Osteuropas gelten diese Vorschriften bereits. Nun kommen noch einige hinzu. Insgesamt, meine Damen und Herren, kann die Entwicklung meines Erachtens durchaus positiv bewertet werden. All diese Länder haben jetzt Wettbewerbsvorschriften eingeführt, die nicht unbedingt denen in der Europäischen Union entsprechen. Übrigens ist das bei uns in der heutigen Union auch nicht der Fall.

Einige Länder passen sich an. Die Niederlande beispielsweise haben in den letzten Jahren erhebliche Bemühungen unternommen und die Wettbewerbspolitik jetzt mit der auf europäischer Ebene weitgehend harmonisiert. In Großbritannien wird darüber diskutiert. Das jedoch nennt man the soft harmonization , sie vollzieht sich also allmählich.

Wir schreiben keine identischen Regelungen vor. Wir erwarten von den betreffenden Staaten eine mit der in der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere der Europäischen Kommission, vergleichbaren Politik sowie die Einsetzung der erforderlichen Behörden – was im übrigen zumeist geschehen ist –, die auch über die Möglichkeiten und Instrumente für die Umsetzung dieser Politik verfügen. Dort hapert es zuweilen. Bis man diese Kultur entwickelt, bis entsprechende unabhängige Behörden diese Vorschriften dann auch anwenden, gegen Widerstände angehen können – und ich muß Ihnen doch nicht erzählen, wie schwierig die Umsetzung dieser Politik oftmals in der Europäischen Union, auch heute noch, ist –, braucht es seine Zeit. Nun, wir müssen dafür Verständnis aufbringen. Diese Länder brauchen für die Umsetzung Zeit. Aber natürlich müssen wir immer wieder auf die Notwendigkeit hinweisen. Wenn es sein muß, fällt schon mal ein kritisches Wort. Und das machen wir auch. Ein Wort der Warnung, geschieht das nicht rechtzeitig, dann hat man später enorme Schwierigkeiten, vornehmlich in diesen Ländern selbst. Das war die Botschaft.

Nochmals, insgesamt laufen die Dinge recht gut. Aber bleiben wir doch realistisch. Es dauert noch einige Jahre, bis die Lage in den betreffenden Ländern mit der in unseren heutigen Mitgliedstaaten einigermaßen vergleichbar ist.

Zum Schluß noch ein Wort zu den staatlichen Beihilfen. Sie werfen eigentlich die größten Probleme auf, übrigens auch in der Europäischen Union. Hier haben wir es mit staatlichen Stellen zu tun, die staatliche Hilfen vergeben. Tun sie das, dann glauben sie immer, dafür bestehe ein guter Anlaß. Wie Sie wissen, müssen wir in der Union darauf achten, daß etwas unternommen wird, wenn etwas nicht akzeptabel ist. Diese Länder jedoch befinden sich in einer ganz besonderen Situation. Die Vergabestelle muß selbst darauf achten, daß sie diese staatlichen Beihilfen entsprechend den in der EU geltenden Vorschriften gewährt. Eine recht sonderbare Situation. Deshalb kommt es dort zu enormen Problemen. Zum einen existieren in den meisten Ländern noch keine Vorschriften, gibt es sie, so gestaltet sich deren Anwendung doch höchst kompliziert. Von einer unabhängigen Art und Weise kann sicherlich keine Rede sein.

Auch künftig, das sage ich hier ganz unumwunden, wird das der größte Knackpunkt sein. Hier werden wir auf immer größere Schwierigkeiten stoßen. Ich selbst weilte vor kurzem in Polen, Tschechien und Ungarn. Ich will auch die anderen Länder besuchen. Nehmen Sie beispielsweise Polen, dort hat man in den grenznahen Gebieten zu Deutschland, den neuen Bundesländern , eine ganze Reihe von Zollfreizonen geschaffen. Natürlich regt sich dagegen Widerstand.

Nehmen wir die Stahlindustrie. Natürlich muß ein Land wie Polen, aber auch einige andere, seinen Stahlsektor umstrukturieren. Wir mußten das auch. Das kostet Zeit und Geld. Seien wir realistisch und sagen diesen Ländern: Macht das, aber auf eine sozialverträgliche Weise, wie es seinerzeit in der Europäischen Union geschehen ist. Wie Sie sehen, muß dort noch weitaus mehr passieren. Dennoch kann ich mich den Auffassungen der meisten Redner anschließen: Es muß etwas geschehen, das dauert seine Zeit, und wir müssen das mit Augenmaß tun, wie man im Deutschen sagt. Genau diese Politik sollten wir verfolgen. Den betreffenden Ländern jedoch muß bewußt sein, daß sie diese Arbeit leisten müssen. Auch zu ihrem eigenen Nutzen am Tag ihres Beitritts zur Europäischen Union.

Noch eine Bemerkung, und dann komme ich zum Schluß. Ein Redner hat auf Anti‐Dumping‐Maßnahmen hingewiesen. Natürlich, solange in den betreffenden Ländern keine Regelungen zur Überwachung von Beihilfen existieren und sie ihre Disziplin nicht glaubhaft machen können, werden wir das Instrument des Anti‐Dumpings weiterhin anwenden. Das wissen diese Länder auch. In dem Maße, wie diese Länder eine glaubwürdige Politik bei der Überwachung staatlicher Beihilfen betreiben, kann es zeitlich gestaffelt auslaufen.

Gestatten Sie mir dazu noch eine allerletzte Bemerkung, meine Damen und Herren: Zur Zeit besteht noch ein wesentlicher Handlungsbedarf bei der Transparenz. Damit meine ich, daß man selbst einmal kritisch prüfen muß, welche staatlichen Beihilfen man gewährt. Ich erinnere mich an eine Unterredung mit einem Finanzminister, ich sage Ihnen aber nicht, welchen Landes. Offensichtlich war er der Meinung, Steuererleichterungen seien zulässig. Mit anderen Worten, er dachte, wenn er einem Betrieb eine Steuerbefreiung gewährt, so sei das durchaus in Ordnung. Ich sagte ihm, nein, denn auch das sei eine Form staatlicher Beihilfen. Dort müsse er achtgeben. Dieses Beispiel soll Ihnen verdeutlichen, daß erstens ein Verzeichnis aller bestehenden staatlichen Regelungen erstellt und zweitens ein größeres Bewußtsein dafür geweckt werden muß, was erlaubt ist und was nicht. Bekanntermaßen, meine Damen und Herren, handelt es sich bei all diesen Ländern um A‐Regionen. Dort sind staatliche Beihilfen zulässig. Das steht außer Frage. Das Problem besteht in der Anwendung und Einhaltung bestimmter Vorschriften sowie in der Transparenz. Mein Dank gilt nochmals den Berichterstattern sowie allen, die sich an unserer heutigen äußerst konstruktiven Aussprache beteiligt haben.

  Schwaiger (PPE), Berichterstatter. – Herr Präsident! Darf ich eine kleine Zusatzfrage an Herrn van Miert richten? Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß die Modernisierung der rumänischen Raffinerien in Ploesti ansteht und welche Rolle Rumänien als Zwischenglied zwischen den transkaukasischen Ölförderländern wie Kasachstan, aber auch vor allen Dingen Aserbaidschan spielt. Ist die Kommission bereit, erstens diese Zusammenarbeit zu forcieren, und zweitens Rumänien darauf hinzuweisen, daß die Modernisierung umweltgerecht erfolgen müßte? Wenn nämlich Ausnahmevorschriften gewährt werden im Rahmen der öffentlichen Beihilfen, dann müßte bei den öffentlichen Beihilfen und bei den privaten Investitionen der Umweltgesichtspunkt aber sehr viel stärker ins Bewußtsein rücken, wie es im übrigen auch für die tschechische Republik sehr notwendig wäre. Wenn Sie darauf vielleicht kurz eine Antwort geben könnten.

  Van Miert, Mitglied der Kommission. – Herr Präsident! Es geht hier um eine sehr wichtige Angelegenheit, und wie Sie wissen, werden Probleme in einem solchen Kontext natürlich bilateral gelöst. Auch bei Umweltfragen muß man über die normale diplomatische Schiene vorgehen. Wir haben da keine direkte Verantwortung. Man muß miteinander reden, auch wenn es um Beihilfe geht. Wenn Grund zu Klagen besteht, dann wird das meistens diskret geregelt, aber es wird gemacht. Wenn Sie noch nähere Einzelheiten haben möchten, dann können wir entweder bilateral oder noch mit anderen Kollegen darüber sprechen.

  Der Präsident . – Die gemeinsame Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.


7. Abkommen über Handel und Zusammenarbeit EG/Korea

  Der Präsident . – Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht (A4‐0445/98) von Herrn Porto im Namen des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen über den Vorschlag für einen Beschluß des Rates über den Abschluß des Rahmenabkommens über den Handel und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits (KOM(96)0141 – C4‐0073/97‐96/0098(CNS)).

  Porto (PPE), Berichterstatter.(PT) Ich meine, daß die Annahme des Rahmenabkommens über Handel und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits durch dieses Parlament ein Grund zur Freude sein muß.

Nachdem dieses Land vor wenig mehr als vierzig Jahren von einem Bruderkrieg verwüstet worden war, erlebte es ein beeindruckendes Wachstum und gehört heute zu den größten Wirtschaftsmächten der Welt, so daß es als erstes asiatisches Land das Recht erworben hat, Mitglied der OECD zu werden.

Für die Europäische Union ist es ein wichtiger Partner, mit dem wir annähernd 2 % unseres Gesamthandels abwickeln, und es ist nach den Vereinigten Staaten, Japan und China unser viertwichtigster Partner außerhalb des europäischen Kontinents (während wir nach den Vereinigten Staaten und Japan und vor China der drittwichtigste Handelspartner Koreas sind). Hierbei geht es um einen Handel, der sich innerhalb von fünfzehn Jahren verdoppelt hat und 1997 den Betrag von 27, 5 Milliarden ECU erreichte, wobei wir bis 1997 einen Überschuß zu unseren Gunsten hatten, während das seitdem zu verzeichnende Defizit eine Folge der Asienkrise ist (seine Importe sanken von 11, 7 Milliarden ECU im November 1997 auf 7, 7 Milliarden im April 1998). Diese Situation unterscheidet sich also von dem Verhältnis zu Japan und China, denen gegenüber es Defizite gibt, die sich in nächster Zeit nicht verhindern lassen, denn eine solche Vorstellung ist unrealistisch. Bei den ausländischen Direktinvestitionen nimmt die Europäische Union sogar den ersten Platz ein, nachdem sie 1998 die Vereinigten Staaten und Japan überholt hatte, wobei die Gesamtinvestitionen Südkoreas in der Union höher als unsere Investitionen dort sind – das Verhältnis ist 2, 3 zu 1, 5 Milliarden ECU.

Trotz der Bedeutung des Landes und der Wirtschaftsbeziehungen, die wir mit ihm unterhalten, machte dieses Parlament durch die zuständigen Ausschüsse zunächst Vorbehalte in bezug auf die Annahme des Abkommens, das bereits am 29. Oktober 1996 unterzeichnet wurde. Es waren dies Vorbehalte in den Bereichen des Protektionismus (insbesondere mit nationalen Präferenzen im Schutz des „Maßhalteplans” oder mit Erschwernissen im Handelsverkehr), des geistigen Eigentums, der Achtung der Menschenrechte und vor allem der Nichteinhaltung von Mindestregeln auf sozialem Gebiet. Dem Vorschlag des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Sicherheit und Verteidigungspolitik entsprechend akzeptierten damals Ihr gegenwärtiger Berichterstatter und der für diese Angelegenheit hauptsächlich zuständige Ausschuß, der REX‐Ausschuß, die Erörterung des Abkommens zu vertagen.

In den letzten zwei Jahren hat sich jedoch eine sehr spürbare Entwicklung vollzogen. So ist es bei der inneren und äußeren Liberalisierung und der Umstrukturierung der Wirtschaft geschehen, was alle Sektoren zu Rationalität gezwungen hat, und diese wird beispielsweise Überinvestitionen im Schiffbau verhindern, die uns jetzt die Möglichkeiten nehmen, mit Korea in einem Prozeß zu konkurrieren, der bereits früher begonnen hat, durch die Asienkrise jedoch noch akuter geworden ist. Darüber hinaus ist die Öffnung im politischen und sozialen Bereich zu begrüßen, die sich in größerem Maße nach der Wahl des gegenwärtigen Präsidenten der Republik, Kim Dae Jung, vollzogen hat.

Die Unterstützung, die dieses Abkommen ermöglichen kann, erhielt besondere Bedeutung mit der Krise, die die Republik Korea durchgemacht hat und die sich unter anderem durch solche Tatsachen wie spürbare Produktionseinschränkungen und einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit, von 2, 6 % im November 1997 auf 6, 7 % im April 1998, äußert. Doch zu diesen Konsequenzen tragen in einer Übergangsphase auch die Liberalisierungs‐ und Umstrukturierungsmaßnahmen bei, die seit einiger Zeit durchgeführt und von uns begrüßt worden sind. Selbst im Gewerkschaftsbereich, dem unsere größten Sorgen gelten, sind zweifellos die Vereinbarung des Dreiseitigen Ausschusses, zu der man am 6. Februar 1998 gelangte, und die konkreten Liberalisierungsmaßnahmen zu begrüßen, die inzwischen ergriffen wurden, wie etwa die Anerkennung der KCTU (Korean Confederation of Trade Unions, Koreanischer Gewerkschaftsbund), der gewerkschaftliche Pluralismus auf Betriebsebene oder auch das Recht der entlassenen Arbeiter, einer Gewerkschaft anzugehören. Von besonderer symbolischer Bedeutung ist, daß schon am 6. Januar 1999 – also vor wenigen Tagen – die Freiheit des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses für Lehrer genehmigt wurde. Man muß jedoch zugeben, daß einige von diesen – zweifellos erwünschten – Maßnahmen vorübergehend Schwierigkeiten für die betrieblichen und politischen Entscheidungsträger mit sich bringen können.

Aus allen diesen Gründen haben wir, Herr Präsident, eine besondere Verantwortung bei der Unterstützung eines Abkommens, das unter sehr schwierigen äußeren und inneren Bedingungen zur Stärkung und Wiederbelebung der südkoreanischen Wirtschaft und zur Erleichterung der Probleme der südkoreanischen Bürger beitragen kann.

Ganz gewiß – und das möchte ich betonen – bleiben kritische Punkte in allen erwähnten Bereichen bestehen: Nennen wir als Beispiel den Nichtbeitritt Koreas zu den internationalen Abkommen über den Schutz des geistigen Eigentums, wie dies in der Stellungnahme des Kollegen Pompidou hervorgehoben wird. Doch gerade der Abschluß eines Abkommens, das eine intensivere kommerzielle und wirtschaftliche Zusammenarbeit fördert, wird uns am Ende eine größere moralische und politische Legitimation bei Forderungen geben, die wir gegenüber einem Land zu stellen haben, das in einer Krisenzeit unausweichlich große Schwierigkeiten bei der sozialen und politischen Öffnung und bei der Umstrukturierung seiner Wirtschaft haben muß.

Uns allen wird später das Eintreten eines starken Koreas für die bereits angekündigte Unterstützung der Millennium Round der Welthandelsorganisation von Nutzen sein.

  Viceconte (PPE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr – (IT) Herr Präsident, das Rahmenabkommen über Handel und Zusammenarbeit mit der Republik Korea wurde am 29. Oktober 1996 unterzeichnet, also noch vor der schweren Finanzkrise in einigen ostasiatischen Staaten, durch welche die außerordentliche wirtschaftliche Entwicklung Koreas gehemmt wurde. Vor der Krise war das Land im Begriff, eine zunehmende Rolle im Rahmen der Weltwirtschaft und des Welthandels zu übernehmen: man bedenke beispielsweise, daß der Anteil der südkoreanischen Werften am weltweiten Schiffbau bei 25 % und der Anteil seiner Automobilindustrie bei 5 % der Weltproduktion lagen.

Artikel 7 des Abkommens bezieht sich auf den Seeverkehr und schreibt die Verpflichtung fest, den ungehinderten Zugang zum internationalen Seeverkehrsmarkt und zum internationalen Seeverkehr auf kaufmännischer Basis und auf der Grundlage des fairen Wettbewerbs anzustreben. In Artikel 8 wird eine Zusammenarbeit im Schiffbau vereinbart, um faire und wettbewerbsorientierte Marktbedingungen zu fördern; gleichzeitig wird das starke strukturelle Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage in der Schiffbauindustrie zur Kenntnis genommen, und die Vertragsparteien verpflichten sich zur Einhaltung der Grundsätze des OECD‐Übereinkommens über den Schiffbau.

Ungeachtet der positiven Stellungnahme zum Abschluß des vorliegenden Abkommens darf jedoch nicht über die Probleme hinweggesehen werden, die mit den Handelspraktiken und ‐hemmnissen im Automobil‐ und im Schiffbausektor – den sensiblen Sektoren des Abkommens – verbunden sind und typisch für die bisherigen Beziehungen zu Korea waren. Obwohl die europäische Schiffbauindustrie gegenwärtig eine Phase der Erholung erlebt, ist der Sektor durch ein aus Produktionsüberkapazitäten resultierendes Überangebot gekennzeichnet, das hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, daß die Koreaner die Leistungsfähigkeit ihrer Anlagen in den letzten vier/fünf Jahren auf verantwortungslose Art und Weise verdoppelt haben, so daß Korea heute in der Lage ist, allein mehr Schiffe zu produzieren als alle europäischen Werften zusammengenommen. Ein eindeutiger Beweis dafür, daß das Angebot die Nachfrage übersteigt, ist die Tatsache, daß die Preise für neue Schiffe in allen Bereichen gesunken sind oder bestenfalls stagnieren.

Zu diesem besorgniserregenden strukturellen Ungleichgewicht kam noch die Abwertung des koreanischen Won hinzu, was zu einer Situation führte, die besonders schwerwiegenden Konsequenzen für die Werften der Gemeinschaft und für die Beschäftigung in Europa haben könnte. Es wurde nämlich errechnet, daß die Koreaner die Preise für ihre Schiffe um bis zu 30 % senken und dabei ihre Handelsspanne beibehalten könnten. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, daß die internationalen Finanzbeihilfen von den koreanischen Behörden nicht zur Unterstützung der eigenen Schiffbauindustrie verwendet werden und daß die Europäische Union strengstens darüber wacht, daß die von den koreanischen Behörden in diesem Sinne übernommenen Verpflichtungen auch eingehalten werden.

  Malone (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Sicherheit und Verteidigungspolitik.(EN) Herr Präsident, ich möchte den Gewerkschaftsorganisationen und auch dem Botschafter für ihre Unterstützung bei meinen Recherchen danken.

Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß Südkorea seine Zusage zur Angleichung seiner Arbeitsgesetzgebung an die international vorgeschriebenen Standards nicht eingehalten hat, die es 1996 anläßlich seiner Aufnahme in die OECD gegeben hatte. Außerdem hat sich gezeigt, daß in bestimmten Bereichen Menschenrechtsprobleme bestehen. Die Umsetzung des Gesetzes zur Staatssicherheit war schwierig, und bei der Behandlung von langfristig inhaftierten politischen Gefangenen gab es schwerwiegende Probleme. Es gibt gewisse Fortschritte, und ein Vorredner verwies bereits auf die, wenn auch erst letzte Woche eingeleiteten ersten Schritte zur Zulassung der Lehrergewerkschaft. Außerdem wurden andere, sehr begrüßenswerte Maßnahmen im Hinblick auf die früher eingeschränkte Gewerkschaftsfreiheit, das Verbot der Vereinigungsfreiheit und der Führung von Tarifverhandlungen für Beamte und Lehrer und das Verbot der KCTU, einer der beiden größten koreanischen Gewerkschaftsorganisationen, ergriffen. Darüber hinaus war die Führung der KCTU für rechtswidrig erklärt worden, indem entlassenen Arbeitnehmern der Status der Gewerkschaftsmitgliedschaft aberkannt wurde. Es gab also alle möglichen Probleme. An der Lösung dieser Probleme wird derzeit gearbeitet, aber ich hoffe, daß die Schlußfolgerungen meiner Stellungnahme, die Herrn Porto in seinen ausgezeichneten Bericht übernommen hat, sehr genau geprüft und von der koreanischen Regierung aufgegriffen werden.

Ich möchte Sie auf einige dieser Schlußfolgerungen aufmerksam machen. Zum einen muß die koreanische Regierung die im Zusammenhang mit der OECD‐Aufnahme abgegebene Verpflichtung zur Änderung seiner Arbeitsgesetzgebung unverzüglich umsetzen und international verbindliche Standards aufnehmen.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit außerdem auf eine Klausel im Zusammenhang mit der Abschaffung der Todesstrafe hinweisen. Ich hoffe, Kommissar Brittan wird in seiner Zusammenfassung erläutern, ob er diese drei Punkte im Namen des Parlaments und der Kommission weiterverfolgen wird, auf welche die Kommission in meiner Stellungnahme und im Bericht von Herrn Porto verwiesen wurde.

  Valdivielso de Cué (PPE).(ES) Herr Präsident, innerhalb des Rahmenabkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Korea ist der Impuls von Bedeutung, den dieses Abkommen den Freiheiten gibt, indem es die Rechtmäßigkeit des politischen Pluralismus sowie die Anerkennung des Rechts auf gewerkschaftliche Mitgliedschaft und auf gewerkschaftliche Betätigung verteidigt, deren Ausübung in dieser Republik bis jetzt mit Gefängnis bestraft wurde – ohne weitere Aspekte des Abkommens, wie geistiges Eigentum, Patente, Marken usw., außer acht zu lassen.

Wir müssen auch an das letzte Ministertreffen zwischen der Europäischen Union und Korea unter dem Vorsitz des hier anwesenden Sir Leon Brittan erinnern, auf der die ersten von der koreanischen Regierung beschlossenen Maßnahmen zur Wirtschaftsreform begrüßt wurden, Maßnahmen, die noch unzureichend sind, die aber den Weg für die nächsten Jahre aufzeigen können.

Erwähnt werden muß auch die Verpflichtung der koreanischen Behörden gegenüber der Europäischen Union zum Verzicht auf Wettbewerbsverzerrung in sensiblen Sektoren – darunter dem Schiffbau und Automobilbau –, die das Ergebnis der Konsultationen auf hoher Ebene zwischen der Europäischen Union und Korea ist. Die Einhaltung dieser Verpflichtung muß streng überwacht werden.

Auf jeden Fall hat Korea im Augenblick noch ein großes soziales Defizit, was einen Anachronismus an der Schwelle zum 21. Jahrhundert darstellt und darüber hinaus ein globales Dumping im Vergleich zu den Ländern mit sich bringt, die wie wir die Arbeits‐ und Sozialnormen einhalten. Es ist sehr wichtig, dies im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten immer wieder zu betonen.

Zum Abschluß konstatieren wir die schon angesprochenen Fortschritte und ermutigen die Regierung Koreas, ihre Anstrengungen zu verstärken, um das soziale Niveau zu erreichen, dessen die Bürger heute bedürfen. Wir alle hoffen und wünschen, daß die Menschenrechte in Korea anerkannt werden.

  Smith (PSE).(EN) Herr Präsident, der Berichterstatter und Frau Malone haben zu Recht auf die Bereiche Arbeitsgesetzgebung und Menschenrechte hingewiesen. Ich bin zwar der Auffassung, wir sollten Fortschritte auf diesen Gebieten mit aller Kraft unterstützen, möchte aber dennoch betonen, daß wir wachsam sein müssen und ein wirksames und zuverlässiges Überwachungssystem benötigen. Vielleicht kann uns der Kommissar berichten, wie die Kommission die Verbesserungen in diesen Bereichen beurteilt. Wird die Kommission zum Beispiel Berichte von Organisationen wie Amnesty International und, wie ich insbesondere empfehlen möchte, der IAO heranziehen?

Die Kommission sollte sich darüber im klaren sein, daß die Unterstützung des Parlaments für dieses Rahmenabkommen von kontinuierlichen Fortschritten in den Bereichen Arbeits‐ und Menschenrechte abhängt und nicht aufrechterhalten werden kann, wenn sich die Situation verschlechtern sollte. Wir werden nicht tatenlos zusehen, wenn unsere Brüder und Schwestern in Korea weiterhin mißhandelt werden. Ich hoffe, die Kommission wird den koreanischen Behörden diese Botschaft unmißverständlich überbringen.

  Jarzembowski (PPE). – Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kommissar, liebe Kollegen! Ich möchte noch einmal auf den Schiffbau zurückkommen. Es ist doch sehr skurril, daß Werftbetriebe, die nach normalen betriebswirtschaftlichen Maßstäben fünfmal bankrott sind, immer noch weiterarbeiten und immer noch zu tiefsten Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt Aufträge für Schiffbauten akquirieren, und das nicht nur im normalen Containerbereich, sondern südkoreanische Werften gehen auch in den Bereich der Fähren, in den Bereich der Passagierschiffe, den letzten Bereich, den wir Europäer noch haben, um Arbeitsplätze bei uns zu erhalten.

Deshalb, Herr Kommissar, wie werden Sie uns zusichern, daß sich auch Korea verpflichtet, das einzuhalten, was in Artikel 8 steht, in Vorwegübernahme des noch nicht in Kraft getretenen OECD‐Übereinkommens auf wettbewerbsverzerrende Schiffsbauhilfen zu verzichten? Wie können wir sicherstellen, daß das, was unsere Mitgliedstaaten an Steuergeldern unserer Bürger über die europäischen Fonds, über den Internationalen Währungsfonds als Hilfe nach Korea schicken, nicht letztlich zurückschlägt zu Lasten unserer Arbeitsplätze auf den europäischen Werften? Das würde kein Mensch verstehen! Ich hoffe, Sie können uns sagen, wie Sie sicherstellen wollen, daß es keine unfaire Subventionierung gegen uns im Schiffbau gibt.

  Brittan, Sir Leon, Vizepräsident der Kommission. – (EN) Herr Präsident, ich freue, daß ich Gelegenheit habe, dem Europäischen Parlament dieses wichtige Abkommen zu empfehlen. Ich schließe mich den Ausführungen von Herrn Porto voll und ganz an und gratuliere ihm zu seinem ausgewogenen und durchdachten Bericht. Er verweist zu Recht auf die Bedeutung unserer Beziehungen zur Republik Korea und hat dem Haus die wichtigsten Wirtschaftsdaten vorgelegt. Ich möchte auch Herrn Valdivielso de Cué für seine freundliche Würdigung meiner Bemühungen danken.

Wenn sich die Europäische Union auf der internationalen Bühne profilieren will, ist es wichtig, nicht nur die Beziehungen zu den mächtigen Ländern, sondern auch zu den wichtigsten Schwellenländern zu stärken. Deshalb billigte die Kommission am 9. Dezember eine Mitteilung, in der die Beziehungen zwischen der Republik Korea und der Europäischen Union überprüft und umfassende Empfehlungen für die Zukunft gegeben werden. Korea ist bereits heute ein Schlüsselpartner für uns, und das Land wird zukünftig eine noch wichtigere politische Rolle spielen, und zwar sowohl für sich selbst genommen als auch im Hinblick auf die schwierige Sicherheitslage auf der Halbinsel, die potentiell globale Auswirkungen hat.

Aus all diesen Gründen ist es entscheidend, daß wir unsere bilateralen Beziehungen zu Korea aufwerten. Dies geschieht durch das Rahmenabkommen, in das sowohl wirtschaftliche Aspekte als auch der politische Dialog umfassend einbezogen wurden. Das Abkommen enthält detaillierte Bestimmungen zur direkten Regelung der Bereiche, die für die Europäische Union von besonderer Bedeutung sind; dazu gehören wirtschaftliche Aspekte wie geistige Eigentumsrechte, Schiffbau, Seeverkehr und so weiter, aber auch andere Themen wie Menschenrechte einschließlich Arbeitnehmerrechte sowie Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Drogenhandels und der Geldwäsche.

Mit dem Rahmenabkommen wird der institutionelle Rahmen geschaffen, mit dessen Hilfe die Europäische Union ihre Interessen gegenüber Korea vertreten kann, und die Kommission ist entschlossen, dieses Abkommen zur Förderung der europäischen Interessen zu nutzen. Ich möchte betonen, daß es sich bei diesem Rahmenabkommen nicht um ein Almosen handelt, durch das Korea Zugang zu unseren Märkten erhält. Das Abkommen beinhaltet keinerlei Handelskonzessionen. Es ist ein weitreichendes Abkommen ohne Präferenzregelungen, durch das neue bilaterale Wege für den Dialog und die Zusammenarbeit und, wie ich besonders erwähnen möchte, für die Lösung von Streitfällen mit diesem wichtigen Handelspartner eröffnet werden. Mit dem Abkommen eröffnet sich uns die bislang nicht vorhandene Möglichkeit, gezielter vorzugehen, wenn es Probleme gibt, oder wir die Fortschritte in der Republik Korea für nicht ausreichend halten.

Die heutige Abstimmung erfolgt zur rechten Zeit, nicht nur, weil das Europäische Parlament in Kürze eine Delegation in die Republik Korea entsenden wird, sondern auch, weil der Beginn der Finanzkrise und der Amtsantritt der neuen koreanischen Regierung nun etwa ein Jahr zurückliegen. Unter Präsident Kim Dea‐Jung wurden Wirtschaftsreformen eingeleitet, in deren Rahmen auch einigen unserer seit langem bestehenden Anliegen Rechnung getragen werden sollen. Das reicht noch nicht aus, und auch wenn die Kommission die Entwicklungen mit äußerster Wachsamkeit beobachten wird, verdient Korea doch unsere Hilfe und Unterstützung auf dem eingeschlagenen Weg. Wie Herr Porto zu Recht betonte, ist gerade die Arbeitsgesetzgebung ein Bereich, in dem Verbesserungen notwendig sind.

Herr Smith fragte, wie die Kommission die Einhaltung des Abkommens überwachen und weitere Verbesserungen in der Arbeitsgesetzgebung sicherstellen wolle. Wir werden alle von ihm genannten Unterlagen ebenso wie das uns vorliegende Material prüfen, und die Mitarbeiter unserer Delegation in Seoul werden vor Ort aktiv Informationen für uns zusammentragen. Ich halte es für angebracht, auf eine Reihe positiver Entwicklungen seit dem Amtsantritt von Präsident Kim hinzuweisen, der die Gewerkschaften in einen drittelparitätisch besetzten Dialog über die Umstrukturierung einbezogen hat. Wie Frau Malone bereits ausführte, hat die Nationalversammlung letzte Woche eine richtungsweisende Entscheidung getroffen, nach der die gewerkschaftliche Organisation von Lehrern zukünftig erlaubt ist. Die gegenwärtige Entwicklung ist angesichts der Wirtschaftskrise in Korea mit einem Wirtschaftswachstum von minus 6, 8 % und einer Verdreifachung der Arbeitslosenzahlen in etwas mehr als einem Jahr umso erstaunlicher und umso mehr als positives Zeichen zu werten. Der Inhalt des Abkommens und die Notwendigkeit, die politische und wirtschaftliche Position Europas in Asien zu verbessern, liefern an sich bereits ausreichende Gründe, um dem Parlament die Unterstützung des Abkommens zu empfehlen.

Ich möchte jedoch hinzufügen, daß wir damit Präsident Kim und seinen Mitstreitern ein politisches Zeichen unserer Unterstützung geben können, die sich trotz des starken Widerstands verschiedener Gruppierungen sehr für Wirtschaftsreformen, die Bekämpfung der Korruption und die Stärkung der Demokratie in Korea einsetzen. Herr Valdivielso de Cué verweist zu Recht auf die nach wie vor bestehenden Probleme, insbesondere beim Schiffbau, und auch Herr Jarzembowski hat dieses Thema angesprochen. Wir können keine Garantie für die zukünftige Entwicklung geben. Ich bin der Auffassung, daß uns die Umsetzung des OECD‐Abkommens den bestmöglichen Schutz gewähren könnte. Gegenwärtig ist die Situation durch die Weigerung der USA, das Abkommen zu ratifizieren, blockiert.

Vieles spricht dafür, das Abkommen ohne amerikanische Zustimmung umzusetzen, denn die Vereinigten Staaten spielen im weltweiten Schiffbau nur eine untergeordnete Rolle. Leider ist man in der europäischen Branche nicht dieser Meinung. Ich denke, in Europa hoffen die Schiffbauer vergebens darauf, höhere staatliche Beihilfe zu erhalten, so lange dieses Abkommen nicht ratifiziert ist. Je früher man diesen Irrtum erkennt und begreift, daß es keine höheren staatlichen Subventionen geben wird, desto schneller wird die Branche die Umsetzung zwischen den vier Parteien unterstützen, und zwar auch ohne die USA, damit die im OECD‐Abkommen vorgesehenen Schutzmaßnahmen gegen Korea greifen können.

Aus all diesen Gründen hoffe ich, daß das Parlament das Rahmenabkommen über den Handel und die Zusammenarbeit mit Korea unterstützen wird.

  Malone (PSE).(EN) Herr Präsident, darf ich den Ausführungen des Kommissars entnehmen, daß er dem Parlament einen Jahresbericht vorlegen und die anderen beiden Punkte meiner Schlußfolgerungen berücksichtigen wird?

  Brittan, Sir Leon, Vizepräsident der Kommission. – (EN) Herr Präsident, wir werden selbstverständlich alle Punkte der Schlußfolgerungen berücksichtigen, und was den Bericht betrifft, so möchte ich sagen, daß ich – wie Sie wissen – nicht viel von offiziellen Berichten, aber sehr viel von der persönlichen Berichterstattung gegenüber dem Parlament halte. Viele von Ihnen wissen, daß ich gerne ins Plenum komme, und ich werde Sie jederzeit ausführlich über die Lage in Korea sowie über alle anderen Aspekte in diesem Zusammenhang informieren, an denen das Parlament interessiert ist.

Ich bin allerdings nicht so sehr dafür, diese Berichterstattung zu institutionalisieren ...

(Zwischenruf von Frau Malone)

Ich kann dazu nur sagen, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wenn sie nicht verrückt sind, niemanden bestimmen werden, der hierzu eine andere Auffassung vertritt.

  Der Präsident . – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.

VORSITZ: ANTONI GUTIÉRREZ DÍAZ
Vizepräsident


8. Fragestunde (Kommission)

  Der Präsident . – Nach der Tagesordnung folgt die Fragestunde (B4‐0004/99). Wir behandeln die Anfragen an die Kommission.

Erster Teil

 

  Der Präsident . – Meine Damen und Herren! Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich vorschlagen, die Anfragen 29 und 32 vor Nr. 30 und 31 zu behandeln, so daß Herr Monti diese beiden Anfragen beantworten und sich dann zurückziehen kann. Ich denke, es gibt keine Einwände, da dies lediglich eine winzige Verzögerung für die beiden anderen bedeutet. Daher bitte ich zuerst Herrn Kommissar Monti, den ich hiermit begrüße und dem ich alles Gute für das neue Jahr wünsche, die Anfrage Nr. 29 zu beantworten.

Anfrage Nr. 29 von Jaime Valdivielso de Cué (H−1188/98):  Betrifft: Elektronischer Geschäftsverkehr

Die Kommission prüft derzeit den Entwurf einer Richtlinie zur Förderung der Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs. Diese Art des Geschäftsverkehrs beinhaltet den Austausch von vertraulichen Daten, wie etwa persönlichen Daten der Geschäftspartner, einschließlich der Kennnummern von Kreditkarten als dem bei geschäftlichen Transaktionen über das Internet üblichen Zahlungsmittel.

Kann die Kommission Auskunft darüber geben, welche Maßnahmen geplant sind, um die Vertraulichkeit dieser Daten zu gewährleisten und ihre mißbräuchliche Verwendung zu verhindern?

Sie haben das Wort, Herr Monti.

  Monti, Mitglied der Kommission. – (IT) Ich möchte diese Wünsche herzlichst erwidern, Herr Präsident, und ich danke Ihnen für die Freundlichkeit, daß ich die beiden Anfragen zusammen beantworten darf. Beginnen wir mit der ersten Anfrage, mit der der Herr Abgeordnete das heikle Problem des Schutzes persönlicher Daten im elektronischen Geschäftsverkehr aufwirft und sich dabei insbesondere auf die Kennnummern von Kreditkarten als einem der wichtigsten Zahlungsmittel im Internet bezieht. Hauptinstrument zur Erfüllung der Erfordernisse des Schutzes der Privatsphäre und zur Verhinderung der mit den verschiedenen Formen des Datendiebstahls verbundenen Gefahren ist die Kryptographie, worauf die Kommission in ihrer Mitteilung zum Thema digitale Signatur und Kryptographie hingewiesen hat.

Die Kommission unterstützt nicht nur die Forschung und Entwicklung von Instrumenten, die eine sichere Übermittlung von die Kreditkarten betreffenden Daten gewährleisten, sondern sie fördert gleichermaßen die Vervollkommnung von Technologien zur Minimierung der Verwendung personenbezogener Daten im elektronischen Geschäftsverkehr. Was die technischen Fragen anbelangt, so sei daran erinnert, daß unter dem gemeinschaftlichen Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung diverse Instrumente finanziert wurden, die auf die Gewährleistung der sicheren Übertragung von die Kreditkarten betreffenden Daten abzielen, wie zum Beispiel die SET‐Norm, eine offene Norm für die Sicherheit der elektronischen Datenübertragung, die von VISA und MASTERCARD entwickelt und nun zu C‐SET weiterentwickelt wurde, um den Gebrauch intelligenter Kreditkarten zu ermöglichen.

Die Kommission hat zudem Forschungsprojekte zu allgemeineren Sicherheitsproblemen von Telematikanwendungen auf den Weg gebracht, zum Beispiel im Rahmen des INFOSEC‐Programms. Was speziell den elektronischen Geschäftsverkehr betrifft, so wurden unter dem ESPRIT‐Programm mehrere spezifische Vorhaben auf diesem Gebiet finanziert. Darüber hinaus fördert die Kommission die Weiterentwicklung technischer Mittel für den elektronischen Handel und die Sicherheit, und zwar im Zusammenhang mit dem Fünften FTE‐Rahmenprogramm, in dem die Entwicklung von Technologien zur Erweiterung des Schutzes der Privatsphäre einen besonderen Schwerpunkt bilden wird.

Schließlich möchte ich hervorheben, daß der Schutz personenbezogener Daten bei der Kommunikation über das Internet in den Rechtsrahmen zur Regelung der Verarbeitung personenbezogener Daten gehört, wie er durch die am 25. Oktober 1998 in Kraft getretenen Richtlinien 95/46/EWG und 97/66/EWG eigens zu diesem Zweck geschaffen wurde.

  Valdivielso de Cué (PPE).(ES) Im Rahmen der letzten Anfrage möchte ich zwei weitere stellen, die mir interessant erscheinen:

Gedenkt die Kommission, die vorhandenen Rechtsinstrumente zu erweitern, um einen wirksamen Schutz des Verbrauchers vor den Gerichten zu gewährleisten, indem diese Instrumente schneller und flexibler gemacht werden?

Hat die Kommission für den Fall, daß dem Verbraucher trotz dieser Maßnahmen ein Schaden entsteht, einen Mechanismus für einen wirksamen rechtlichen Schutz vorgesehen?

  Monti . (IT) Ich kann Ihnen versichern, daß diese von Ihnen hervorgehobenen Aspekte in den beiden genannten Richtlinien 95/46/EWG und 97/66/EWG betreffend die Vorschriften zur Verarbeitung personenbezogener Daten vorgesehen sind.

  Der Präsident . –

Anfrage Nr. 32 von Karin Riis‐Jørgensen, die durch Herrn Kofoed vertreten wird (H−1182/98):  Betrifft: Waffenrichtlinie

In Artikel 17 der Waffenrichtlinie 91/477/EWG(1) heißt es, daß die Kommission dem Parlament und dem Rat über die sich aus der Anwendung der Richtlinie ergebende Lage Bericht erstattet. Liegt dieser Bericht bereits vor, und wenn nein, für wann rechnet die Kommission mit der Fertigstellung des Berichts?

Ist sich die Kommission bei der Ausarbeitung des Berichts bewußt, welche zusätzliche Arbeit und Kosten den rd. 10 Millionen Jägern und Sportschützen in Europa im Zusammenhang mit dem Transport von Schußwaffen innerhalb der Europäischen Union durch diese Richtlinie entstehen wird?

Herr Monti, ich bitte Sie jetzt, die Anfrage von Herrn Kofoed zu beantworten.

  Monti, Mitglied der Kommission. – (IT) Die Kommission beabsichtigt, dem Rat und dem Europäischen Parlament im zweiten Halbjahr 1999 einen Bericht über die Anwendung der Richtlinie 91/477 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen vorzulegen. Im Rahmen dieses Berichts will die Kommission auch die Funktionsweise und die Auswirkungen der Richtlinie unter verschiedenen Gesichtspunkten prüfen. Zu diesem Zweck wird die Kommission einen Fragebogen erstellen, der den betreffenden Kreisen zugeschickt wird und in dem auch die von der Frau Abgeordneten in ihrer Anfrage angesprochenen Aspekte des Kosten‐Nutzen‐Verhältnisses der Anwendung dieser Richtlinie behandelt werden. Ferner wird auch die Problematik der Verwendung des Europäischen Waffenpasses für Jagd‐ und Sportfeuerwaffen besprochen werden.

  Kofoed (ELDR). – (DA ) Herr Kommissar, ich danke Ihnen für die freundliche Antwort und für Ihre Worte zu diesem Bericht. Ich möchte Sie aber gern fragen, ob Sie wissen, wie viele Länder die Richtlinie umsetzen. Nach meinen Informationen muß ein Däne, der in Großbritannien auf die Jagd gehen will, einen Monat im voraus einen Antrag stellen. Demnach hat Großbritannien die Richtlinie also nicht umgesetzt. Meine Frage lautet: Wie viele Länder haben die Richtlinie noch nicht umgesetzt?

  Monti .(IT) Ich kann Ihnen mitteilen, daß alle Mitgliedstaaten diese Richtlinie in einzelstaatliches Recht umgesetzt haben.

  Der Präsident . –

Anfrage Nr. 30 von Gary Titley (H−1177/98):  Betrifft: EWR und Erweiterung

Artikel 128 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum bestimmt, daß jeder europäische Staat, der Mitglied der Gemeinschaft wird, beantragt, Vertragspartei des EWR‐Abkommens zu werden. Welche institutionellen Auswirkungen hat dies?

Wie sind insbesondere EFTA‐Länder im EWR an Entscheidungen in Zusammenhang mit der Erweiterung der EU beteiligt, wenn die EU‐Mitgliedschaft automatisch die EWR‐Mitgliedschaft der neuen Mitglieder voraussetzt?

Sind zwei Ratifizierungsrunden erforderlich, eine für die Erweiterung der EU und eine für die Erweiterung des EWR?

Wir begrüßen Herrn van den Broek und bitten ihn, die Anfrage von Herrn Titley zu beantworten.

  Van den Broek, Mitglied der Kommission. – (NL) Die Frage des Herrn Abgeordneten bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen der Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum einerseits und den bald beitretenden neuen Mitgliedern der Union, die bei ihrem Beitritt natürlich den acquis communautaire gemäß den Bedingungen der dann ausgehandelten Beitrittsverträge übernehmen. Ein Bestandteil dieses zu verhandelnden acquis wird das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum sein, und insofern bedeutet die Mitgliedschaft in der Union automatisch auch die Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum. Artikel 128 des EWR‐Abkommens sieht einen Verfahrensmechanismus für den Beitritt neuer Mitglieder zum EWR vor. Artikel 128 besteht aus drei Teilen. Zunächst muß ein neues Mitglied seinen Antrag beim EWR‐Rat einreichen. Zweitens müssen die Teilnahmebedingungen Gegenstand einer Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien dieses EWR‐Abkommens einerseits und dem Beitrittskandidaten andererseits werden. Drittens ist die Übereinkunft von allen Vertragsparteien zu ratifizieren. Nun obliegt es den Beitrittskandidaten, darüber zu entscheiden, wann sie die EWR‐Mitgliedschaft beantragen. Das muß, wie auch immer, vor dem Beitritt zur Union geschehen.

Die Kommission unterrichtet die EFTA‐EWR‐Länder regelmäßig über die erzielten Fortschritte bei den Erweiterungsaktivitäten, und zwar über einen gemischten Ausschuß, dem sie Briefings übergibt. Der Rat muß prüfen, inwieweit der Stellungnahme der EFTA‐EWR‐Länder Rechnung getragen werden kann. Die Erweiterungsverhandlungen finden ja im Rahmen einer zwischenstaatlichen Konferenz statt. Da das EWR‐Abkommen auch Bestandteil des acquis communautaire ist, bedeutet die Ratifizierung des Beitrittsvertrags durch die Mitgliedstaaten zugleich auch Ratifizierung der EWR‐Erweiterung. Die EFTA‐EWR‐Partner müssen die Teilnahme der Beitrittskandidaten am EWR ebenfalls ratifizieren. Die Beschlußfassung muß parallel erfolgen, so daß die Beitrittskandidaten am Tag ihres Beitritts zur Union auch vollwertige Partner des EWR sind. Verzeihen Sie meine etwas komplizierten Erläuterungen. Ich hoffe dennoch, der Herr Abgeordnete hat verstanden, was ich damit sagen wollte.

  Titley (PSE).(EN) Ich möchte dem Kommissar für seine ausführliche Antwort danken, auch wenn er den letzten Teil meiner Frage, nämlich ob zwei Ratifizierungen, eine für die EU‐Mitgliedschaft und eine für die EWR‐Mitgliedschaft notwendig sind, eigentlich nicht beantwortet hat. Jedes Land, das Teil des EWR ist, mußte das EWR‐Abkommen ratifizieren und daher die Frage, ob zum Beispiel auch das Vereinigte Königreich sowohl die Aufnahme Polens in die EU als auch dessen Mitgliedschaft im EWR ratifizieren muß?

Zweitens, kann der Kommissar bestätigen, daß die beitrittswilligen Länder die Aufnahme in den EWR beantragen müssen, bzw. ob ein Antrag obligatorisch ist und verlangt wird? Was geschieht außerdem, wenn im Zuge der Beitrittsverhandlungen eine Ausnahmeregelung getroffen wird, mit der die EFTA‐Länder im EWR nicht einverstanden sind? Haben sie ein Mitspracherecht, wenn Polen zum Beispiel mit speziellen Ausnahmeregelungen aufgenommen würde, die aus der Sicht der EFTA‐Länder das EWR‐Abkommen unterlaufen würden? Wären diese Länder dann gezwungen, die getroffene Entscheidung zu akzeptieren?

  Van den Broek . – (EN) Ich möchte mit der letzten Frage beginnen. Verstehe ich Sie richtig, wenn ich Ihre Frage wie folgt zusammenfasse: Können für die Aufnahme in die EU und die Teilnahme am EWR unterschiedliche Bedingungen gelten? Da der Besitzstand des EWR für die beitrittswilligen Länder mit dem Besitzstand der EU identisch ist, können den beitrittswilligen Ländern bei ihrer Aufnahme in den EWR lediglich die Übergangsfristen gewährt werden, auf die man sich in den eigentlichen Beitrittsverhandlungen geeinigt hat. Hier darf es keine Abweichungen geben.

Was die Ratifizierung betrifft, habe ich bereits in meiner ersten Antwort klarzustellen versucht, daß die Ratifizierung des Beitrittsvertrags durch die Mitgliedstaaten gleichermaßen die Ratifizierung der EWR‐Erweiterung bedeutet, da das EWR‐Abkommen Teil des Besitzstands der Gemeinschaft ist. Damit dürfte meine Position klar sein.

In bezug auf Artikel 128 möchte ich sagen, daß, wenn man den Text wörtlich nimmt, ein Antrag Pflicht ist. Der Rat wird die betreffenden Länder jedoch daran erinnern, daß dieser offizielle Akt zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem Beitritt stattfinden muß, der ja auch die Teilnahme am EWR einschließt. Diese Formalität muß erfüllt sein.

  Der Präsident . –

Anfrage Nr. 31 von Brian Crowley (H−1216/98):  Betrifft: Das Schulmilchprogramm der Gemeinschaft

1993 unterzog die Kommission das Schulmilchprogramm der Gemeinschaft einer eingehenden Überprüfung und bekanntlich verpflichtet der Vertrag von Amsterdam die Gemeinschaft nun dazu, durch entsprechende Maßnahmen im Bereich des Gesundheitswesens die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern, Krankheiten vorzubeugen und die Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit zu beseitigen.

Beabsichtigt die Kommission, im Rahmen des erweiterten Aufgabenbereichs von Artikel 152 des Vertrags von Amsterdam das Schulmilchprogramm auf neue Weise zu fördern und wenn ja, auf welche Weise?

Ich begrüße Herrn Fischler und bitte ihn, die Anfrage von Herrn Crowley zu beantworten.

  Fischler, Mitglied der Kommission. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die derzeitige Regelung für Schulmilch verfolgt im Prinzip zwei Ziele: Auf der einen Seite wollen wir die Ziele der Milchmarktordnung erreichen und einen Beitrag zum Mehrabsatz leisten, auf der anderen Seite wollen wir natürlich mit dieser Schulmilchaktion insbesondere die junge Generation in der Europäischen Union dazu animieren, Milch zu konsumieren, und wir wollen den Kindern ein gesundes Nahrungsmittel zur Verfügung stellen.

Wir sehen keinen Grund, warum wir derzeit an diesen Zielsetzungen etwas ändern sollten. Daher ist auch derzeit nicht geplant, irgendeine Veränderung vorzunehmen. Aber selbstverständlich müssen wir auch sehen, was das Ergebnis der Verhandlungen über die Agenda 2000 bringen wird. Es kann natürlich im Lichte dessen notwendig sein, gewisse Änderungen und Anpassungen vorzunehmen.

Darüber hinaus ist eine externe Untersuchung in Auftrag gegeben worden, die unmittelbar vor dem Abschluß steht, und wir werden sehen, was diese unabhängigen externen Experten uns für Empfehlungen geben, und unsere weitere Politik auch danach ausrichten.

  Crowley (UPE).(EN) Ich danke dem Kommissar für seine Antwort. Sie wissen bereits in etwa, wie das Ergebnis der externen Untersuchung zur zukünftigen Durchführung des Programms aussehen wird. Können Sie uns heute erläutern, was Sie für die beste Vorgehensweise halten, um die Weiterführung des Schulmilchprogramms sicherzustellen und wie eine zukünftige Änderung aussehen könnte?

  Fischler . – Herr Präsident! Ich möchte gerne auf diese Zusatzfrage von Herrn Crowley eingehen. Aus meiner Sicht ist folgendes dazu zu sagen: Ich habe keine Informationen darüber, was bei dieser externen Untersuchung herauskommen wird, aber ich bin selbstverständlich bereit, die Ergebnisse entsprechend zu veröffentlichen, sobald sie mir vorliegen.

Was meine persönlichen – ich betone: persönlichen – Überlegungen zur Schulmilch angeht, so könnte man meiner Ansicht nach im Lichte der Reform schon überlegen, ob es nicht doch möglich wäre, dieses derzeit mit nicht gerade wenig Bürokratie befrachtete System etwas weniger bürokratisch zu gestalten. Ganz abgesehen davon muß es doch prinzipiell auch im Interesse der Molkereiwirtschaft liegen, selbst alles zu versuchen, um die künftigen Konsumenten ihrer Produkte auf ihre Produkte entsprechend aufmerksam zu machen, und es nicht einfach der öffentlichen Verwaltung zu überlassen, über Subventionen die Kinder zum Verbrauch von mehr Milchprodukten zu animieren. Hier kann ich mir durchaus auch ein Zusammenwirken vorstellen zwischen privatwirtschaftlichen Initiativen und der Gemeinschaft, so daß ein Optimum dabei herauskommen kann.

  Der Präsident . – Vielen Dank, Herr Fischler.

Meine Damen und Herren, nach dem Dank an Herrn Fischler für seine Antwort sollte die Anfrage Nr. 33 von Frau Heidi Hautala behandelt werden. Aber Frau Hautala beehrt uns nicht mit ihrer Anwesenheit, daher ist ihre Anfrage hinfällig.

Zweiter Teil
Anfragen an Herrn Oreja

 

  Der Präsident . –

Anfrage Nr. 34 von Joan M. Vallvé (H−1191/98):  Betrifft: Katalanische Sportmannschaften

Nach Artikel 129 des Vertrags über die Europäische Union leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer Vielfalt.

Sportliche Wettkämpfe gehören heute zu den am meisten verbreiteten kulturellen Veranstaltungen. Ist die Kommission der Ansicht, daß der vom katalanischen Parlament geprüfte Gesetzentwurf, mit dem unter anderem der Rahmen für die Bildung katalanischer Sportmannschaften nach dem Vorbild der schottischen und walisischen Mannschaften geschaffen werden soll, den für kulturelle Veranstaltungen geltenden Kriterien genügt und mit dazu beitragen würde, die Vielfalt der Völker in der Europäischen Union zu verdeutlichen?

Ich begrüße den Kommissar, Herrn Marcelino Oreja. Persönlich wünsche ich ihm alles Gute für das neue Jahr und bitte ihn, die Anfrage von Herrn Joan Vallvé zu beantworten.

  Oreja, Mitglied der Kommission. – (ES) Die Kommission ist der Auffassung, daß die in Artikel 128 des Vertrags vorgesehenen Ziele im Bereich der Kultur nicht auf die sportlichen Wettkämpfe zwischen Nationalmannschaften anwendbar sind. Folglich liegt es nicht in der Zuständigkeit der Kommission, sich zu dieser Frage zu äußern.

Die Bildung und Funktionsweise der Nationalmannschaften hängt in erster Linie von der Rechtsvorschriften jedes Staates und den jeweiligen Sportorganisationen ab. Im Fall Spaniens sind die spanischen Gesetze auf diesem Gebiet und insbesondere das Sportgesetz vom 15. Oktober 1990 sowie das Königliche Dekret 2075 vom 20. Juli 1982 über internationale Sportaktivitäten und ‐vertretungen zu beachten.

  Vallvé (ELDR).(ES) Vielen Dank für Ihre Antwort, Kommissar, die besagt, daß kein Widerspruch zum Standpunkt der Europäischen Union besteht, die natürlich die Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten durch die Achtung der nationalen und regionalen Vielfalt fördert, wie dies auch in den Verträgen zum Ausdruck kommt.

Ich wollte nur den Willen eines beträchtlichen Teils der katalanischen Bevölkerung wiedergeben, die Auswahlmannschaften ähnlich den heute in Schottland und Wales existierenden wünschen, die es künftig auch in anderen Ländern geben könnte, beispielsweise in Flandern, so daß die Bürger ihre Identität in diesen Wettkämpfen anerkannt sehen können.

  Ewing (ARE).(EN) Ich melde mich zu Wort, weil ich die Frage meines Kollegen so gut verstehen kann und als Schottin sehr wohl weiß, wieviel die schottische Fußballmannschaft den Menschen bedeutet. Auch hege ich große Bewunderung für Katalonien, und ich kann mich noch daran erinnern, daß ich als kleines Mädchen in Glasgow dabei war, als die Internationale Brigade für Katalonien, der auch mein Cousin angehörte, verabschiedet wurde. Es war ein Schotte, der das Buch Mein Katalonien schrieb, und so fühlen wir uns diesem Land sehr verbunden.

Der Sport wurde erst relativ spät in den Anwendungsbereich der EU‐Verträge einbezogen. Ist der Kommissar ebenfalls der Ansicht, daß die Kommission sich möglicherweise um die Erweiterung dieses Anwendungsbereichs bemühen sollte, da der Fußball unter allen Sportarten die stärksten Emotionen hervorzurufen scheint?

  Oreja . – Dies ist in der Tat ein Thema, das wir uns gestellt haben, ganz besonders, weil wir einige neue Elemente haben: zum einen eine Erklärung im Vertrag. Einer der Staaten war der Meinung, daß das Thema Sport in den Vertrag aufgenommen werden müsse. Dennoch wurde es weder in das Paragraphenwerk noch in das Protokoll eingearbeitet, aber doch in eine Erklärung. Das bedeutet folglich, wie die Frau Abgeordnete sehr gut weiß, daß häufig das, was zunächst eine Erklärung ist, später Bestandteil des Vertragstextes wird. Es kann durchaus sein, daß dies eine Vorahnung ist und die Aufnahme in den Vertrag daher in einer künftigen Reform erfolgen könnte.

Ich möchte Ihnen auch mitteilen, daß der Europäische Rat von Wien im vergangenen Dezember das Thema Sport behandelt hat, und zwar aus zweierlei Sicht. Einerseits hinsichtlich der Anerkennung der sozialen Funktion des Sports und andererseits in bezug auf das Erfordernis, Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Doping zu ergreifen. Zum Thema Doping kann sicher keine individuelle Reaktion der einzelnen Mitgliedstaaten erfolgen, sondern es muß eine Art Koordinierung zwischen den einzelnen Staaten geben. Dazu kann ich Ihnen sagen, daß ich der österreichischen Präsidentschaft ein Treffen dreier Minister nahegelegt habe, des deutschen, britischen und des österreichischen Sportministers, der den Vorsitz haben würde, unter Teilnahme der Kommission. Ich war persönlich in Salzburg, wo wir einen Meinungsaustausch darüber führten, wie die Marschroute des Sports im Rahmen der Gemeinschaft aussehen könnte.

Für den 3. und 4. Februar hat der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees eine Sitzung nach Lausanne zum Thema Doping einberufen, und meiner Meinung nach sollte die Europäische Union nach vorheriger Vorbereitung an dieser Beratung teilnehmen. Aus diesem Grund habe ich mich an alle Sportminister gewandt und sie um eine Zusammenkunft vor der des Olympischen Komitees gebeten, um die Position der Europäischen Union zu erfahren. Denn sicher würde eine Teilnahme nicht viel Sinn haben, wenn jeder auf eigene Rechnung ohne eine gewisse vorherige Abstimmung sprechen würde. Daher werden wir am 19. Januar eine Vorbesprechung durchführen, um dieses Treffen am 3. und 4. Februar in Lausanne vorzubereiten.

Folglich beginnt der Sport, wie die Frau Abgeordnete sieht, sich seinen Weg zu bahnen. Es gibt Vorschläge, das Sportthema in den Artikel 128 des Vertrags aufzunehmen. Das würde bedeuten, daß der im Vertrag behandelte Kulturbereich auch den Sport umfaßt.

Ich muß Ihnen sagen, daß sich das Kollegium der Kommissare zu diesem Thema zwar noch nicht geäußert hat, ich persönlich aber für diese Herangehensweise eintrete. Ich glaube, es wäre die richtige Richtung, wenn versucht würde, dem Sport zum geeigneten Zeitpunkt den Weg, natürlich unter Achtung der Subsidiarität, zur Aufnahme in den Vertrag zu öffnen.

  Der Präsident . – Vielen Dank, Herr Kommissar. Bitte, lassen Sie uns noch bei dieser Frage verweilen; zwei Abgeordnete haben ordnungsgemäß um das Wort gebeten, aber ich kann es nur einem erteilen. Daher hat Herr Titley maximal eine Minute Zeit für eine Zusatzfrage.

  Titley (PSE).(EN) Ich begrüße die Ausführungen des Kommissars und stimme ihm zu. Insbesondere der britische Sportminister ist sehr darum bemüht, dem Sport innerhalb der Europäischen Union mehr Bedeutung zu verschaffen.

Kann der Kommissar bestätigen, daß die Teilnahme katalanischer Nationalmannschaften an Wettkämpfen auf der selben Basis wie die schottischen und walisischen Nationalmannschaften zur Folge hätte, daß jeder, der einem katalanischen Nationalteam angehört, grundsätzlich nicht mehr für die spanische Nationalmannschaft spielen könnte?

  Oreja .(ES) Ich möchte dazu sagen, wie schon bei der Beantwortung der Anfrage von Herrn Vallvé, daß die Bildung und Funktionsweise der Nationalmannschaften von den Rechtsvorschriften der einzelnen Staaten abhängen. Sie können mir zwar erzählen, wie das im Fall von Wales oder Schottland ist, aber diese Mannschaften existierten bereits vor dem Vertrag. Demzufolge sind heute, da es den Vertrag gibt, einzig und allein die Rechtsvorschriften jedes Staates für die entsprechenden Entscheidungen ausschlaggebend. Deshalb kann ich nicht über den Vertrag hinausgehen, denn die Aufgabe der Kommission besteht unter anderem darin, Garant des Vertrags zu sein. Was ich Ihnen sagen könnte, ist, was man mit Blick auf die Zukunft für die Einbeziehung des Sports vorsehen könnte, aber das ist eine andere Sache. Zum heutigen Zeitpunkt kann ich Ihnen keine andere Antwort geben. Der Gesetzgebung der einzelnen Staaten sowie den entsprechenden Sportorganisationen obliegt es, über die gesamte Frage der Bildung und Funktionsweise der Nationalmannschaften zu befinden.

  Der Präsident . –

Anfrage Nr. 35 von Esko Seppänen (H−1204/98):  Betrifft: Euronews

Die Institutionen der Europäischen Union und speziell das Europäische Parlament haben zu Euronews ein besonderes Verhältnis: Die Arbeit dieses Satellitenkanals wird aus Steuergeldern der EU‐Mitgliedstaaten finanziert. Wie wichtig ist Euronews für die Informationspolitik der Europäischen Kommission? Welche finanzielle Unterstützung soll dieser europäische Informationssender erhalten?

Herr Kommissar, ich schlage Ihnen vor, die Anfrage von Herrn Seppänen zu beantworten.

  Oreja, Mitglied der Kommission. – (ES) Euronews ist bekanntlich ein unabhängiger Fernsehsender. Ursprünglich wurde er durch eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Programmanstalten entwickelt – einige von ihnen haben noch eine Kapitalbeteiligung –, obwohl er heute von der privaten Kette ITN kontrolliert wird.

Aufgrund des europäischen Charakters seiner Programme und der Möglichkeit, in fünf Gemeinschaftssprachen zu senden, sowie seines transnationalen Übertragungsnetzes arbeitet die Europäische Kommission mit Unterstützung des Europäischen Parlaments seit mehreren Jahren mit diesem Sender zusammen, insbesondere durch jährliche finanzielle Beiträge.

Im vergangenen Jahr wurde allerdings auf Initiative des Europäischen Parlaments nach einer neuen Formel gesucht. Das angestrebte Ziel bestand darin, eine größere Transparenz in die Beziehung der Europäischen Union mit dem Sender zu bringen und die Finanzierung durch die Gemeinschaft direkt an die Produktion und Ausstrahlung konkreter Programme zu binden.

Aus diesem Grund verhandelte die Kommission in Abstimmung mit der Haushaltsbehörde 1998 eine Absichtserklärung mit diesem Sender für die Dauer von drei Jahren. Diese Vereinbarung sieht die Koproduktion, die gemeinsame Realisierung und die Ausstrahlung von Programmen über verschiedene Aspekte des europäischen Lebens für ein breites Publikum vor. Ein Jahresvertrag legt die Liste der geplanten Aktionen und ihre Finanzierungsbedingungen fest. Eine monatliche Beratung zwischen dem Sender und der Kommission – an der auch ein Vertreter der Dienste des Parlaments teilnimmt – ermöglicht die Begleitung dieses Vorhabens. Als Koproduzent der Programme genießt die Union die Produktions‐ und Übertragungsrechte der audiovisuellen Produkte. Das gestattet ihr die kostenlose Nutzung ihrer eigenen Netze, insbesondere durch das Satellitenübertragungssystem EBS, was das Interesse an dieser Art der Zusammenarbeit verstärkt.

Abgesehen von diesen Koproduktionen übernimmt die Europäische Kommission keine spezielle Verantwortung in bezug auf diesen Sender, weder hinsichtlich seiner Redaktionspolitik noch seines Managements. Dieses Verfahren bietet daher eine transparentere Basis, die eine begrenzte Zusammenarbeit hinnsichtlich vom Publikum klar identifizierbarer Produkte festschreibt und die Unabhängigkeit der Programmanstalt respektiert.

In der 1998 unterzeichneten Vereinbarung ging es um ein Tätigkeitsvolumen von 3, 25 Millionen ECU. Sie sah die Produktion und Übertragung von 42 fünfminütigen Informationsprogrammen mit Vor‐Ort‐Reportagen, 168 zweiminütigen didaktischen Zeichentrickfilmen und 222 Informationsthemen mit einer Dauer von dreieinhalb Minuten vor.

Zur Zeit verhandeln wir über die Vereinbarung für 1999. Über die Weiterführung dieser Zusammenarbeit wird in Abhängigkeit von den Ergebnissen der Evaluierung entschieden, die vor Ablauf der in der Absichtserklärung vorgesehenen dreijährigen Frist erfolgt. Im Moment ist die Kommission mit der Zusammenarbeit zufrieden. Sie hat die Produktion von zahlreichen Programmen ermöglicht und eine gute Berichterstattung über die Ereignisse gewährleistet.

Ich möchte besonders bemerken, daß die Dienste des Parlaments unlängst meinen Diensten mitteilten, daß die Verarbeitung von Informationen in den mit Euronews koproduzierten Programmen zu einer ausgewogeneren Berichterstattung über die Tätigkeit der Institutionen geführt hat. Das ist es, was ich dem Herrn Abgeordneten zu diesem Zeitpunkt zu Euronews sagen kann.

  Seppänen (GUENGL).(FI) Herr Präsident! Herr Oreja, ich danke Ihnen für die ausführliche Antwort, möchte aber dennoch noch eine Zusatzfrage stellen. Ich entnehme Ihrer Antwort, daß sich Euronews nicht im Besitz nationaler Rundfunk‐ und Fernsehanstalten befindet und daß – obwohl Sie das nicht ausdrücklich gesagt haben – Euronews ein privater Sender ist. Deshalb möchte ich wissen, ob die Kommission die Produktion eines derartigen Fernsehprogramms unter anderen Satellitenstationen ausgeschrieben hat, und wenn das nicht der Fall ist, warum nicht. Ferner bitte ich Herrn Oreja, mir – sofern das möglich ist – das Arbeitspapier zukommen zu lassen, in dem diese Spielregeln mit Euronews festgelegt sind.

  Oreja .(ES) Ich möchte Herrn Seppänen mitteilen, daß ich persönlich ein großer Anhänger von Euronews bin und alles Mögliche zu seiner Konsolidierung getan habe.

Anfangs stand ich vor der Gegebenheit, daß die Gemeinschaft direkt an der Arbeit von Euronews beteiligt war. Sie war teilweise am Management von Euronews beteiligt und sah sich somit in die Konsequenzen all dessen einbezogen, was von Euronews ausgestrahlt wurde. Ich besuchte Euronews 1997, und wir hielten das nicht für gut. Uns erschien es besser, Vereinbarungen zwischen der Gemeinschaft und Euronews abzuschließen, uns aber nicht in sein Management einzumischen, sondern konkrete Verträge zu vereinbaren, das heißt, Festlegungen zu treffen, welches die Programme sind, die uns interessieren könnten, und keine Fernsehspots zu produzieren, sondern sehr kurze Programme, wenn auch über einen langen Zeitraum, so daß die breitestmögliche Abdeckung in dem größtmöglichen Zeitraum mit der größtmöglichen Häufigkeit zu den die Institutionen betreffenden und interessierenden Themen erreicht würde.

Dies war also die vereinbarte Formel, und ich war für den Bereich der Koordinierung zuständig, die, wie der Herr Abgeordnete zweifellos weiß, zwischen der Kommission und dem Parlament existiert. Wir treffen uns alle eineinhalb oder zwei Monate. An dieser Beratung, die seitens des Parlaments von Herrn Anastassopoulos und seitens der Kommission durch mich geleitet wird, nehmen fünf oder sechs Parlamentsmitglieder und vier oder fünf Kommissare teil. Wir prüfen alle Themen auf dem Gebiet der Information, aber ganz konkret die Themen in bezug auf Euronews. Folglich haben wir eine Kontrolle über die Gestaltung dieser Beziehung.

Was nun das konkret angesprochene Thema betrifft, kann ich Ihnen sagen, daß einer der Gründe, aus denen ich einen Rückzug aus der früher bestehenden vollständigen Beteiligung bei Euronews vorschlug, der war, daß sich Euronews grundsätzlich vom öffentlichen Fernsehen zum Privatfernsehen gewandelt hatte. Das heißt nicht, daß es keine Beteiligung von öffentlichen Fernsehanstalten gibt – es ist weiterhin öffentliches Kapital dabei –, aber dennoch hat im Moment die private Kette ITN den größten Anteil.

Sie wissen, daß Euronews im Laufe seiner Geschichte durch viele Hände gegangen ist, aber ich bedaure, daß das öffentliche Fernsehen nicht stärker bei Euronews einbezogen ist. Ich habe mich an einige öffentliche Fernsehanstalten gewandt. Ich habe mich an das öffentliche Fernsehen in Spanien, in Italien und an einige andere, die früher schon beteiligt waren, gewandt und sie gebeten, ihren Anteil zu erhöhen und wirklichen Einfluß auf Euronews zu nehmen. Aber ich stieß auf große Zurückhaltung.

Sie wissen, daß die Mitgliedstaaten sich meist um das eigene Fernsehen kümmern: Euronews ist ein wenig weitab. Uns liegt es näher, aber die Staaten sehen es oft in größerer Ferne.

Folglich haben wir die von mir beschriebene Formel vereinbart, und meiner Meinung nach ist es im Moment eine zufriedenstellende Formel.

  Evans (PSE).(EN) Der Kommissar sagte in seinen abschließenden Bemerkungen, den Menschen gehe es lediglich um ihre nationalen Fernsehprogramme. Für mich trifft das nicht zu, ich bin vor allem an Euronews interessiert. Ich habe große persönliche Unannehmlichkeiten in Kauf genommen und beträchtlichen finanziellen Aufwand betrieben, um mir von der Kabelfernsehgesellschaft, die in meiner Region das Monopol für diese Dienstleistung besitzt, einen Kabelanschluß installieren zu lassen, damit ich abends Euronews empfangen kann. Da Sie selbst an Euronews interessiert sind und dieses Programm unterstützen wird es Sie, Herr Kommissar, vielleicht interessieren, daß mich die Kabelfernsehgesellschaft nach einem halben Jahr schriftlich darüber informierte, daß Euronews nicht mehr übertragen würde und mir außerdem mitteilte, ich hätte zukünftig keinerlei Möglichkeit mehr, diesen Sender zu empfangen. Das ist eine traurige Geschichte, aber ich weiß, diese Information wird Sie interessieren.

  Oreja .(ES) Herr Präsident, ich nehme einfach diese Bestätigung zur Kenntnis und muß sagen, daß ich mit Ihnen, meine Herrschaften, das Interesse für Euronews teile.

Ich kann Ihnen sagen, daß ich, wenn ich spät nach Hause komme, immer Euronews einschalte, um die neuesten Nachrichten zu sehen. Daher verstehe ich, daß Sie interessiert sind, die letzten Neuigkeiten über Euronews zu erfahren.

  Der Präsident . –

Anfrage Nr. 36 von María Izquierdo Rojo (H−1225/98):  Betrifft: Zukunft der Initiative „Kulturstadt Europas”

Am 30. Oktober 1997 legte die Kommission auf Wunsch des Europäischen Parlaments und des Rates einen Vorschlag für einen Beschluß über die Kulturstadt Europas vor(2) . Das Europäische Parlament billigte diesen Vorschlag in erster Lesung am 30.4.1998(3) , und der Rat nahm seinen Gemeinsamen Standpunkt am 24.7.1998 an(4) . Wie der Kommission bekannt ist, weicht der Rat in seinem Gemeinsamen Standpunkt jedoch entschieden vom Inhalt des Kommissionsvorschlags ab, wobei er außerdem durch die Festlegung einer Aufschlüsselung nach Ländern vom Jahr 2005 bis zum Jahr 2019 nicht nur vom Geiste dieses Vorschlags, sondern auch vom eigentlichen Ziel der Initiative, das die „Vergemeinschaftung” der Initiative der Kulturstadt Europas ist, abrückt. Kann die Kommission in Anbetracht dessen mitteilen, welche Gründe sie dazu veranlaßt haben, ihren Vorschlag nach der Annahme des Gemeinsamen Standpunktes durch den Rat nicht zurückzuziehen? Welche Haltung wird die Kommission zu diesem Gemeinsamen Standpunkt einnehmen? Ist die Kommission im übrigen nicht der Auffassung, daß es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch etwas verfrüht ist, ein Verfahren zur Annahme einer Gemeinschaftsinitiative durchzuführen, mit deren Verwirklichung erst im Jahr 2005 begonnen werden soll?

Herr Kommissar, Sie haben das Wort zur Beantwortung der Anfrage von Frau Izquierdo.

  Oreja, Mitglied der Kommission. – (ES) Herr Präsident, ich danke Frau Izquierdo Rojo für die Fragestellung, die heute nachmittag Gegenstand der Debatte in diesem Parlament war. Frau Izquierdo Rojo weiß genau, daß dies ein Thema ist, welches mich beschäftigt und von dem ich hoffe, daß eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden kann.

Die Kommission hat ihre Meinung zum Gemeinsamen Standpunkt klar zum Ausdruck gebracht. Sie reichte seinerzeit einen Vorschlag ein. Wir betrachteten ihn als einen vernünftigen Vorschlag. Warum? Weil er die „Vergemeinschaftung” einer so wichtigen Veranstaltung wie der Kulturhauptstadt Europas ermöglichte.

Ich weiß nicht genau, ob unter den kulturellen Ereignissen, die realisiert werden und die eine wirklich europäische Tragweite haben, das wichtigste die Kulturhauptstadt Europas ist, aber ich glaube schon, daß es ein Ereignis ist, das sehr deutlich wahrgenommen wird. Es kann meiner Meinung nach besser gemacht werden, als es bis jetzt der Fall war. Es war eine sehr glückliche Idee von Frau Mercouri im Jahr 1985. Sie nahm 1985 ihren Anfang und wurde bis 1999 fortgesetzt, bis zu diesem Jahr, in dem Weimar bekanntlich die Kulturhauptstadt Europas ist, aber wir, und speziell ich, waren der Meinung, daß das Verfahren verbessert werden könnte.

Wie könnte das Verfahren verbessert werden? Zum ersten dadurch, daß dies nicht nur ein Ereignis für die Stadt, die Region oder das Land ist, sondern ein Ereignis mit wirklich europäischem Charakter. Aus diesem Grund war auch im Vorschlag der Kommission zuerst daran gedacht worden, daß die Staaten die Stadt bzw. die Städte vorschlagen, die Kulturhauptstadt Europas werden wollten, daß diese Vorschläge zum Ausdruck bringen sollten, welches die eigentlich europäische Aktion in diesem Jahr sein sollte, und daß die Kommission sich mit dem Parlament und einer Kontaktgruppe – die Kriterien vorgeben könnte –, beraten und unter Berücksichtigung dessen die Kommission, mit dem Bericht des Parlaments und dieser Kontaktgruppe, eine Entscheidung treffen und dem Rat ihren Vorschlag unterbreiten könnte, woraufhin der Rat mehrheitlich seinen Beschluß fassen würde.

Welches war bis jetzt das Problem, vor allem in den Jahren 1997 und 1998? Daß der Rat sich nicht einigen konnte, wenn er Einstimmigkeit erzielen mußte, weil ein einziges Land auf Druck einer Stadt eine Beschlußfassung unmöglich machte.

Daher hielten wir diese Methode der Konsultation mit der einen und der anderen Seite und daß die Kommission schließlich einen Vorschlag an den Rat leitet und der Rat mehrheitlich entscheidet für gut. Diese Methode hat dem Rat jedoch nicht gefallen. Also hat der Rat einstimmig einen Gemeinsamen Standpunkt angenommen, bei dem ich Zweifel hegte, ob der Kommissionsvorschlag nicht verfälscht wurde. Und aufgrund meiner Zweifel wandte ich mich an den Juristischen Dienst. Dieser sagte mir, daß keine Verfälschung im strengen Sinne vorläge und dieses Verfahren folglich angewendet werden könne. So ist die Lage im Moment.

Was hat es jetzt gegeben? Eine heute mit dem Vorschlag von Herrn Monfils diskutierte Ankündigung zur Ablehnung des Gemeinsamen Standpunkts seitens des Parlaments. Gestern war ich in Bonn zu einer Zusammenkunft der Kommission mit der deutschen Regierung und hatte ein Treffen mit dem amtierenden Ratspräsidenten für Kultur, mit dem deutschen Kulturminister, was ein sehr bedeutsames Ereignis darstellt, wie die Frau Abgeordnete weiß, denn in Deutschland hat es nie einen Kulturminister gegeben. Es gab Minister der Bundesländer, aber es gab keinen Bundesminister. Und mit Herrn Naumann habe ich nun dieses Thema fast monographisch behandelt und ihn angeregt, daß wir ein dreiseitiges Gespräch zwischen Parlament, Rat und Kommission führen, um einen Ausweg aus der gegenwärtigen Situation zu finden.

Ich verstehe sehr gut die Verärgerung des Parlaments und teile sie. Ich teile sie ganz besonders, weil der Vorschlag zu einer völlig anderen Methode von mir ausging. Aber ich würde es bedauern, wenn wir zu keiner Einigung fänden, da es nicht mehr um eine Reduzierung der „Vergemeinschaftung”, sondern um ihr völliges Verschwinden geht, weil die Regierungen immer versucht sein könnten zu sagen: Warum machen wir nicht weiter wie bisher mit einer rein zwischenstaatlichen Methode? Hier stehen wir also im Moment.

Ich habe dem Rat nahegelegt, und ich lege auch dem Parlament nahe, eine Formel zu finden, durch die in einer zweiten Lesung Änderungsvorschläge vom Parlament eingebracht werden können – ich werde versuchen, die größtmögliche Zahl dieser Änderungsvorschläge aufzugreifen –, und wir werden sehen, wie eine Formel gefunden werden kann, die uns ein Vorankommen ermöglicht.

Sie können sicher sein, Frau Izquierdo López, wenn es keine Einstimmigkeit gegeben hätte, hätte ich diesen Vorschlag nicht akzeptiert. Da aber Einstimmigkeit vorlag, war sie zwingend, wie Sie wissen. Bei Einstimmigkeit hat der Standpunkt des Rates Vorrang gegenüber der Position der Kommission.

  Izquierdo Rojo (PSE).(ES) In Wirklichkeit wußten wir schon, was uns der Kommissar so didaktisch in viereinhalb, fast fünf Minuten erläutert hat. Ich habe nur eine Minute, um ihn etwas zu fragen, was wir nicht wissen, nämlich ob der Kommissar sich auch in naher Zukunft die Hände waschen und weiterhin mit Bedauern zur Kenntnis nehmen wird oder ob er zufällig endlich eine verantwortungsbewußtere Haltung einnehmen wird. Bis jetzt wissen wir, daß die Ministerin es mit Granada nicht schlechter machen konnte als die Kulturminister. Mit einer schwachsinnigen Rotationsmethode, damit „jeder an die Reihe kommt”, haben sie eine bedeutende Sache in eine groteske Situation verwandelt. Das alles war uns schon bekannt, Herr Kommissar, aber wir fordern Sie auf, eine konsequentere Position zu Ihrem Amt zu beziehen, mit der Verantwortung, die der Kommission bei einer so wichtigen Angelegenheit auf dem Gebiet der europäischen Kultur, die zu Ihrem Ressort gehört, zukommt.

  Oreja .(ES) Ich bedaure sehr, Frau Izquierdo, daß Sie nicht einverstanden sind, aber ich habe diese viereinhalb Minuten aufgewendet, weil ich glaubte, Ihnen etwas erklären zu müssen, das Sie vielleicht schon wußten, aber andere Mitglieder des Parlaments vielleicht nicht. Aber auf jeden Fall habe ich Ihnen den Hergang erläutert.

Ich kann den Vertrag nicht erdichten. Ich habe einen Vertrag und muß ihn anwenden. Ich kann nicht mehr tun, als getan wurde. Wenn der Rat einen einstimmigen Beschluß faßt, kann ich nicht mehr tun, als ich tue. Was ich machen kann – und das ist eine Neuheit, denn es ist gestern geschehen –, ist, mit dem amtierenden Ratspräsidenten zu sprechen und ihm zu sagen: „Sehen Sie, wir haben hier ein sehr wichtiges Thema. Forcieren Sie jetzt eine Zusammenkunft und berufen Sie eine kleine Konzertierung ein, und wir werden sehen, ob das Ergebnis dieser kleinen Konzertierung in einem Schritt vorwärts in eine bestimmte Richtung besteht, und stimmen Sie Standpunkte ab.”

Sagen Sie mir, Frau Abgeordnete, was ich anderes tun kann. Ich stoße an Grenzen, denn ich habe nicht mehr Kompetenzen, als ich habe. Sehen Sie, hier liegt außerdem ein sehr großes Risiko, das ich natürlich nicht eingehen werde, da können Sie ganz sicher sein. Ich werde erstens nicht das Verschwinden der Kulturhauptstädte Europas fördern, und werde zweitens alles Mögliche tun, um die Kulturhauptstädte Europas zu „vergemeinschaften”. Das einzige Risiko hierbei besteht aber darin, daß, sollte der Rat nicht einverstanden sein, er zu einem bestimmten Zeitpunkt den Rückwärtsgang einlegt und einfach mit Hilfe eines zwischenstaatlichen Abkommens handelt. Er hat es von 1985 bis 1999 getan und kann es auch weiterhin zwischen den Jahren 2000 und 2019 oder bis zum Ende der Welt tun.

Daher besteht die einzige Möglichkeit, die ich im Moment habe, darin, das Parlament und den Rat zu überzeugen, sich zu verständigen.

  Der Präsident . –

Anfrage Nr. 37 von Bernd Posselt (H−1230/98):  Betrifft: Feierlichkeiten zum Jahr 2000

Wie ist der Stand zur Vorbereitung der Feierlichkeiten für das Jahr 2000, und erwägt die Kommission, im Rahmen dieser Programme dem christlich‐islamisch‐jüdischen Dialog einen besonderen Stellenwert beizumessen?

Herr Kommissar, ich bitte Sie, die Anfrage von Herrn Posselt zu beantworten.

  Oreja, Mitglied der Kommission. – (ES) Die Kommission arbeitet bereits seit Jahren an der Organisation einiger Veranstaltungen in Verbindung mit dem „Millennium”. Ich denke da an die Weltausstellung von Hannover, an die Kulturhauptstädte Europas des Jahres 2000, an den 50. Jahrestag der Robert‐Schuman‐Deklaration.

Was die uns von den Veranstaltern der Mitgliedstaaten übermittelten „Millennium”‐Initiativen betrifft, so habe ich meinen Diensten Anweisung gegeben, eine spezifische europäische Schirmherrschaft einzurichten, die solchen Ereignissen zuteil wird, die den Geist des europäischen Aufbauwerks widerspiegeln.

Darüber hinaus beabsichtige ich, der Kommission, dem Parlament und dem Rat vorzuschlagen, daß die europäischen Institutionen in ihrer Gesamtheit eine gemeinsame politische Botschaft zum Thema Frieden an die Bürger richten.

Andererseits hat die unerläßliche Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten am 30. Juni letzten Jahres begonnen, als die GD X die nationalen Verantwortlichen für die Feiern zum Jahrtausendwechsel in Brüssel versammelte. Ich konnte mit Befriedigung feststellen, daß die fünfzehn Mitgliedstaaten an der Beratung teilnahmen und ihren Wunsch zur Zusammenarbeit untereinander und mit den europäischen Institutionen bekundeten.

Ich muß jedoch betonen, daß alle Aktionen der Kommission unter striktester Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durchgeführt werden. Demzufolge wird die Kommission keine Politik der Subventionsverteilung praktizieren, sondern sich im Gegenteil auf die schon erwähnten Veranstaltungen konzentrieren, das heißt auf solche, die eine nachhaltige Wirkung haben und den Erwartungen der Bürger entsprechen.

Was den islamisch‐jüdisch‐christlichen Dialog betrifft, so hat die Kommission keine spezifische Veranstaltung zu diesem Thema vorgesehen.

  Posselt (PPE). – Herr Präsident, ich möchte zwei kurze Zusatzfragen stellen. Welche Rolle wird bei diesen Feierlichkeiten die Musik spielen? Es gibt Organisationen, wie Europa musicale, die das sehr intensiv auch mit den Kandidatenländern vorbereiten. Ich wollte Sie fragen, ob nur irgendwelche Feierlichkeiten geplant sind oder auch wirkliche kulturelle Ereignisse?

Zweitens habe ich dezidiert nach dem christlich‐islamisch‐jüdischen Dialog gefragt. Das Jahr 2000 erinnert ja spezifisch an Christi Geburt, mit der wir unsere Zeitrechnung beginnen, und ich finde, wir sollten schon in einem Dialog mit den Nachbarn, also Muslimen und Juden, einbringen, was bei uns ja auch zunehmend eine innenpolitische Frage ist. Deshalb die Frage, ob es dementsprechende Planungen gibt?

  Oreja .(ES) Was sowohl das eine als auch das andere Thema betrifft, so gehören sie nicht zum von der Kommission vorgesehenen Programm für das Millennium, und zwar aus einem Grund: weil beim Thema Millennium die Beteiligung bezüglich der Gemeinschaftspolitik geringer sein wird. Das heißt, wir haben unsere Programme und werden versuchen, sie zu realisieren. Wir haben ein Rahmenprogramm für Kultur für die Jahre 2000 bis 2005, wo wir zur Zeit vor einem sehr ernsten Problem stehen, da ein Mitgliedstaat die Finanzierung derart gekürzt hat, daß es wirklich unmöglich ist, von einem eigentlichen Kulturprogramm zu sprechen. Vierzehn Mitgliedstaaten haben den Vorschlag der Kommission akzeptiert, aber ein Mitgliedstaat hat sich widersetzt, und angesichts dieser Weigerung und wegen des Einstimmigkeitskriteriums ist es bis jetzt nicht möglich, dieses Rahmenprogramm durchzuführen.

Aber das ist eine Sache, eine andere sind die Programme im Rahmen des Millenniums, wo in allen Mitgliedstaaten große Aktivitäten stattfinden werden. Aber wir werden uns aus Gemeinschaftssicht nur auf diese drei großen Ereignisse konzentrieren.

Die anderen von Ihnen vorgeschlagenen Themen halte ich für sehr interessant, aber es ist nicht vorgesehen, daß die Kommission Aktivitäten aufnimmt, die über die drei erwähnten hinausgehen, unbeschadet der Tatsache, daß es Vorschläge im Zusammenhang mit diesen Themen geben kann und diese sicherlich durch die Kommission geprüft würden.

  Rübig (PPE). – Herr Präsident! Herr Kommissar! Es findet ja auch die Weltausstellung Expo 2000 statt. Bei dieser Weltausstellung wird man erstmals einen Versuch starten, das electronic payment flächendeckend für einen größeren Raum einzuführen. Es werden Besucher aus der ganzen Welt kommen – ca. 40 Millionen. Haben Sie Vorstellungen, ob wir im Rahmen der Feierlichkeiten auch dieses einmalige Ereignis, einen derartigen Großversuch durchzuführen, berücksichtigen könnten?

  Oreja .(ES) Die Kommission prüft im Moment, welche Art von Aktionen sie auf der Weltausstellung von Hannover durchführen wird, und einstweilen kalkulieren wir – ich habe noch Bedenken, daß Sie diese Zahl schon mit Tinte schreiben, anstatt mit Bleistift – eine Summe um die 7 Millionen Euro – 6, 7 bzw. 7, 5 Millionen Euro – für die Weltausstellung.

Auf jeden Fall werde ich im ersten Quartal dieses Jahres, das heißt bis Ende März, eine Mitteilung mit allen für Hannover geplanten Aktionen fertiggestellt haben. Ich habe eine Arbeitsgruppe gebildet, und ich möchte, daß dieses Thema vor dem 30. März abgeschlossen wird. Dann werde ich dem Parlament gern die Daten übermitteln, und Ihnen, mein Herr, werde ich gern konkret mitteilen, welche Aktionen zu jenem Zeitpunkt vorgesehen sind.

  Der Präsident . – Vielen Dank, Herr Kommissar. Ich möchte Sie daran erinnern, daß der ausführliche Sitzungsbericht mit Tinte geschrieben wird, nicht mit Bleistift. Deshalb wird es etwas schwierig sein, diese Zahl mit Bleistift zu schreiben, wie Sie es gewünscht haben. Vielleicht helfen Ihnen die Dienste, die den ausführlichen Sitzungsbericht zusammenstellen. Auf jeden Fall vielen Dank für Ihre Antworten und Ihre Anwesenheit.

Anfragen an Herrn Kinnock

 

  Der Präsident . –

Anfrage Nr. 38 von Robert J. E. Evans (H−1178/98):  Betrifft: Verhalten von Passagieren in Flugzeugen

Kann die Kommission mitteilen, ob sie vor dem Hintergrund des kürzlichen Angriffs auf Flugpersonal strengere Vorschriften im Hinblick auf das Anbieten alkoholischer Getränke und das Verhalten von Passagieren auf Flügen in der Gemeinschaft einzuführen beabsichtigt?

Ich begrüße den Kommissar, Herrn Kinnock, und bitte ihn, die Anfrage von Herrn Evans zu beantworten.

  Kinnock, Neil, Mitglied der Kommission. – (EN) Die Kommission kennt die Probleme, die das ungebührliche Verhalten von Flugpassagieren verursacht, und verurteilt Handgreiflichkeiten und Beschimpfungen gegen Besatzungsmitglieder und andere Passagiere auf das schärfste. Da sich solche Vorfälle in jüngster Zeit sowohl innerhalb als auch außerhalb der Europäischen Union häufen und an Intensität zunehmen, hat man diesem Thema nun bei der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) und der Europäischen Zivilluftfahrtkonferenz (ECAC) oberste Priorität eingeräumt.

In beiden Organisationen behandelt man die Probleme mit aufsässigen Passagieren als generelles Flugsicherheitsrisiko. Derzeit werden die bestehenden Rechtsvorschriften geprüft und darüber hinaus sachdienliche Informationen über Art und Anzahl derartiger Vorfälle auf Flügen zusammengetragen. Unter anderem erwägt man die Korrektur bestehender Vorschriften, so daß bereits am Ankunftsflughafen unmittelbare, wirksame und konsequente Maßnahmen gegen Passagiere ergriffen werden können, die während des Fluges beleidigend oder handgreiflich geworden sind.

Die Arbeitsgruppe der ECAC für den Bereich Sicherheit wird sich bei ihrer nächsten Sitzung im Februar mit dieser Problematik befassen, und die Organisation plant außerdem im März einen Workshop dazu.

Nach diesen Veranstaltungen und unter Berücksichtigung der Arbeit der ECAC und der ICAO wird die Kommission prüfen, welche Schritte innerhalb der Gemeinschaft unternommen werden können oder welcher Beitrag alternativ dazu zu weiterreichenden, internationalen Maßnahmen geleistet werden könnte.

  Evans (PSE).(EN) Ich danke dem Kommissar für seine sehr ausführliche und ermutigende Antwort. Er weiß sehr gut, daß mir dieses Thema unter anderem auch deshalb Sorgen bereitet, weil der Flughafen Heathrow in meinem Wahlkreis liegt. Seine Ausführungen und die Information über die von der Kommission geplanten Maßnahmen sind ermutigend.

Ich habe jedoch Bedenken, wie man diese Maßnahmen mit dem Druck zum Alkoholkonsum in Einklang bringen kann, der von den Flugbegleitern, die dann häufig selbst Opfer werden, auf die Passagiere ausgeübt wird. Die Flugbegleiter selbst werden von ihren Arbeitgebern – den Firmen – unter Druck gesetzt und müssen Alkohol verkaufen, um Geld zu verdienen. Wir wissen, daß in 99 % aller Fälle, in denen Passagiere ausfallend werden, Alkohol im Spiel ist. Wenn die vorgeschlagenen Änderungen der Vorschriften zum zollfreien Verkauf die Passagiere noch dazu anhalten, die von ihnen erworbenen alkoholischen Getränke während des Flugs zu konsumieren, könnte dies das Problem weiter verschärfen. Wie will die Kommission die Rechtsvorschriften, die ich sehr begrüße, in der Praxis durchsetzen?

  Der Präsident . – Vielen Dank. Bitte vergessen Sie nicht, daß wir hier nicht im britischen Unterhaus sind. Ich möchte Sie bitten, auf die Zusatzfrage von Herrn Evans zu antworten; mir liegen noch zwei weitere Zusatzfragen zu diesem Thema vor.

  Kinnock, Neil, – (EN) Der Herr Abgeordnete hat Recht, wenn er sagt, daß bei vielen dieser Vorfälle Alkohol im Spiel ist, aber der Zweck der von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation durchgeführten Untersuchung besteht unter anderem darin, zuverlässige statistische Angaben über Ursache und Art und damit natürlich auch über die Entstehung und die Auswirkungen derartiger Vorfälle zu erhalten, über die ich ebenso besorgt bin wie er. Eine, wenn auch noch sehr vorläufige Schlußfolgerung aus den bereits durchgeführten Studien deutet überraschenderweise darauf hin, daß das Rauchverbot in Flugzeugen die Passagiere teilweise dazu veranlaßt, mehr Alkohol zu sich zu nehmen. Wie zuverlässig diese Angaben sind, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Ich glaube, niemand würde die Aufhebung des Rauchverbots in Flugzeugen als mögliche Reaktion betrachten.

Ich werde dem Herrn Abgeordneten weitere Informationen zu diesem Thema geben, sobald uns grundlegende Erkenntnisse vorliegen, und wir werden dann möglicherweise auf der Basis dieser Informationen Legislativvorschläge einbringen.

  McIntosh (PPE).(EN) Ich begrüße die Ausführungen des Kommissars und möchte wissen, welche Rechtsgrundlage aus dem Vertrag für derartige Maßnahmen herangezogen werden könnte. Es ist notwendig, entsprechende Schritte einzuleiten. Das Verkehrsaufkommen und die Zahl der Passagiere auf dem Flughafen Stansted nimmt ständig zu, was die meisten Bürger in meinen Wahlkreisen North Essex und South Suffolk begrüßen, doch möchten die Passagiere die Gewißheit haben, daß ihre Sicherheit an erster Stelle steht. Würde der Kommissar eine gemeinsame Initiative der Mitgliedstaaten für die Verhängung eines Flugverbots gegen Passagiere unterstützen, die sich in einem von Herrn Evans beschriebenen, schwertrunkenen Zustand befinden? Diese Passagiere gefährden das Leben anderer Fluggäste und auch das der Besatzungsmitglieder.

  Kinnock, Neil. – (EN) Ich möchte der Frau Abgeordneten versichern, daß wir weiterhin mit den Mitgliedstaaten über dieses Problem sprechen und diese naheliegende Möglichkeit gerne nutzen werden. Wir können erst dann genaue Angaben über zukünftige Legislativvorschläge machen, wenn uns eine umfassende Untersuchung vorliegt. Ich bin sicher, die Frau Abgeordnete hat dafür Verständnis.

Sollte das Ergebnis dieser Untersuchung für eine gemeinschaftliche Rechtsvorschrift sprechen, wäre die Basis dafür die im Vertrag enthaltene Bestimmung, nach der unsere Befugnisse in den Bereichen Verkehrssicherheit und Sicherheit der Passagiere geregelt sind.

Die Schwachstelle der nach dem ICAO‐Abkommen geltenden Rechtsvorschrift, durch die weltweit das Verhalten von Passagieren und die Befugnisse von Flugkapitänen geregelt ist besteht darin, daß der Flugkapitän entscheiden muß, ob ein an Bord eines Flugzeugs begangenes Vergehen schwerwiegend oder unerheblich ist.

Dies ist eine unangenehme Entscheidung für einen Flugkapitän. Entscheidet der Kapitän, daß es sich um ein schwerwiegendes Vergehen handelt, so sind alle Staaten, die der ICAO angehören, dazu befugt, Passagiere zu verhaften und in Gewahrsam zu nehmen, denen aufsässiges oder beleidigendes Verhalten zur Last gelegt wird. Komplizierter wird es, wenn der Kapitän das Fehlverhalten dieser Passagiere nicht als sehr schlimm oder sehr schwerwiegend einstuft. In diesem Fall steht es dem jeweiligen Land frei, die Passagiere in Gewahrsam zu nehmen oder darauf zu verzichten.

Um diese Definitionen zu verbessern und diese Lücke zu schließen, die für alle Beteiligten mit Ausnahme des Täters problematisch sein kann, werden derzeit die Häufigkeit von Vorfällen, in denen Passagiere während des Fluges ausfallend werden, und die sich daraus für Besatzungsmitglieder und Mitreisende ergebenden Konsequenzen untersucht.

  von Habsburg (PPE).(EN) Darf ich Ihnen einen guten Rat geben? Die Fluggesellschaft, mit der ich regelmäßig nach Brüssel fliege, hat bereits eine Lösung für Ihr Problem gefunden. Die angebotenen Weine, die nicht aus der Europäischen Union stammen, sind so schlecht, daß niemand sie trinken will.

Ich möchte eine praktische Frage stellen, die für mich sehr wichtig ist. Kann die Kommission oder eine andere Institution sich nicht für eine Regelung einsetzen, nach der es verboten ist, zwei Gepäckstücke mit ins Flugzeug zu nehmen? Diese Praxis gefährdet alle Passagiere, falls es einmal zu einer Gefahrensituation kommt. Die Fluggesellschaften sollten das nicht zulassen.

  Kinnock, Neil. (EN) Ich bezweifle nicht, daß der Herr Abgeordnete ein ausgezeichneter Weinkenner ist. Ich habe allerdings Bekannte, die große Mengen schlechten Weins trinken, ganz einfach, weil sie nach dem fünften oder sechsten Glas den Unterschied ohnehin nicht mehr bemerken. Daher bietet der Ausschank von schlechten Weinen keinen ausreichenden Schutz vor ungebührlichem Verhalten.

Mit der Frage zu den Gepäckstücken an Bord verhält es sich etwas anders, und ich bin sicher, daß wir alle von Zeit zu Zeit aus Bequemlichkeit gegen die allgemeinen Regeln verstoßen. Ich würde sagen, daß es den Flugbegleitern möglich sein sollte, ein zweites Gepäckstück zu verstauen, vorausgesetzt, es enthält nicht gerade mehrere Flaschen alkoholischer Getränke. Im allgemeinen ist es weder im Hinblick auf die persönliche Sicherheit noch auf die Flugsicherheit empfehlenswert, zuviel Gepäck mit an Bord zu nehmen. Viele Fluggesellschaft achten streng auf die Einhaltung dieser Vorschrift.

  Der Präsident . –

Anfrage Nr. 39 von Richard Stuart Howitt (H−1203/98):  Betrifft: Transeuropäische Verkehrsnetze und Zugang für Behinderte

Kann die Kommission mitteilen, welche Maßnahmen sie im Zuge der gegenwärtigen Revision der Leitlinien für die transeuropäischen Verkehrsnetze vorzuschlagen gedenkt, um sicherzustellen, daß der Zugang für Behinderte in den Leitlinien angemessen zur Geltung kommt und von den Mitgliedstaaten dann auch in die Praxis umgesetzt wird?

Herr Kommissar, ich bitte Sie, die Anfrage von Herrn Howitt zu beantworten.

  Kinnock, Neil, Mitglied der Kommission. – (EN) Wie der Herr Abgeordnete sicher weiß, besteht der Zweck der vorliegenden Leitlinien für die transeuropäischen Verkehrsnetze darin, die nachhaltige Mobilität von Personen und Gütern innerhalb des Gebiets ohne interne Grenzen unter den bestmöglichen sozialen und sicherheitstechnischen Bedingungen zu gewährleisten. Diese Zielsetzung schließt auch Personen ein, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Alle Entscheidungen im Hinblick auf den Bau von Verkehrsinfrastrukturprojekten, darunter die Wahl des technischen Niveaus, unterliegen jedoch in erster Linie dem Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten.

Die Kommission bereitet derzeit ein Weißbuch vor, das im Sommer veröffentlicht werden soll, und ein Konzept für die zukünftige Entwicklung der TEN‐Politik enthält. Außerdem arbeitet die Kommission an der Revision dieser Leitlinien. Eine Möglichkeit, über die in diesem Zusammenhang diskutiert wird, ist die Festlegung von Kriterien in bezug auf den Annehmlichkeitsgrad, bei denen der Zugang von Behinderten zu den Verkehrsnetzen ebenfalls berücksichtigt werden könnte.

Im Zuge der Vorbereitung dieses Weißbuchs hat die Kommission ein umfassendes Konsultationsverfahren eingeleitet, und selbstverständlich begrüßen wir die Vorschläge dieses Hauses und aller interessierten Parteien, einschließlich Behindertenorganisationen, mit denen wir sehr gute und regelmäßige Kontakte pflegen.

  Howitt (PSE).(EN) Ich gratuliere dem Kommissar und kann bestätigen, was er über die Beziehungen zu Behindertenorganisationen sagte, zum Beispiel bei der Erarbeitung der Richtlinie zur Personenbeförderung in Bussen und Reisebussen, an der seine Mitarbeiter beteiligt sind. Die erreichten Fortschritte belegen die gute Zusammenarbeit eindrucksvoll. Ich unterstütze und ermutige den Kommissar, die Vorschläge in bezug auf die Annehmlichkeit und den Zugang für Behinderte noch stärker zu berücksichtigen.

Ich möchte ihn jedoch bitten, noch einen Schritt weiterzugehen. Kann er, wenn von Interoperabilität die Rede ist, auch die Durchgängigkeit der Verbindungen prüfen? Ein gut zugänglicher Zug nutzt zum Beispiel wenig, wenn Behinderte nicht in den Bahnhof gelangen können. Auch ein Straßenverkehrsnetz macht wenig Sinn, wenn Parkplätze für Behinderte fehlen. Könnte er sich für diesen Bereich und die Informationsvermittlung für Behinderte einsetzen, so daß Blinde mit Hilfe der Blindenschrift, Taube durch Textphone‐Dienste und andere visuelle Hilfsmittel umfassenden Zugang zu den Informationen über die transeuropäischen Netze erhalten?

Er hat zwar in seiner Antwort darauf verwiesen, daß die Umsetzung den Mitgliedstaaten obliegt, aber ich möchte dennoch fragen, ob das Weißbuch Vorschläge enthält, wie man die Mitgliedstaaten mit sanftem Druck zu eben dieser Umsetzung bewegen könnte?

  Kinnock, Neil. – (EN) Ich danke dem Herrn Abgeordneten sehr für seine Frage und die gewählte Formulierung.

Bei den Verbindungen zwischen und innerhalb der Verkehrsmittel, bei der Gestaltung der Fahrzeuge – wie er sagte, haben die Forschungsabteilungen und andere Abteilungen der Kommission zum Beispiel bei den Niederflur‐Einstiegen eine ganz entscheidende Rolle gespielt – ebenso wie im Hinblick auf klare und zugängliche Informationen für behinderte Reisende können wir demonstrieren, daß wir in all diesen Bereichen aktiv sind. In vielen Mitgliedstaaten rennen wir offene Türen ein, und auch wenn wir längst nicht überall auf positive Reaktionen stoßen, so hat sich die Situation in den letzten Jahren doch ganz erheblich verbessert.

Es wird den Herrn Abgeordneten interessieren, über unsere Arbeit im Zusammenhang mit dem europäischen Netz für Hochgeschwindigkeitszüge zu erfahren, in deren Rahmen wir den Europäischen Verband für die Interoperabilität von Eisenbahnen mit der Bewertung der Kriterien für die Interoperabilität der bahnnahen Infrastruktur, wie zum Beispiel Bahnsteige, beauftragt haben. Dies betrifft genau den Punkt, den er in seiner Zusatzfrage angesprochen hat.

Wir haben den Verband insbesondere gebeten, als Muster für eine gesetzliche Regelung in bezug auf den Zugang für Behinderte die Rechtsvorschriften für den öffentlichen Nahverkehr sowie die Bürgerrechte für Behinderte heranzuziehen, die kürzlich im Vereinigten Königreich in Kraft getreten sind. Wir hoffen, auf breiterer Basis auf dieses Modell aufbauen zu können.

  Banotti (PPE).(EN) Der Ordnung halber möchte ich sagen, daß meine Frage bereits von Herrn Howitt gestellt worden ist.

In Irland wurde in jüngster Zeit Kritik an der geringen Zahl leicht zugänglicher Busse laut. Ist Ihnen dieses Problem bekannt Herr Kommissar, und können Sie etwas dagegen tun?

  Kinnock, Neil. – (EN) Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, daß die Frau Abgeordnete in jeder Hinsicht Ordnung hält.

Bedauerlicherweise liegt es nicht in der Macht der Kommission, für den verstärkten Einsatz von leicht zugänglichen Bussen zu sorgen. Die Ironie liegt darin, daß die Firma, die Busse mit niedrigem Einstieg und Niederflurbusse herstellt und einen ausgezeichneten Ruf genießt, ihren Sitz in Nordirland hat. Ich hoffe, der grenzüberschreitende Handel wird zunehmen, wenn die irischen Verkehrsbetriebe in der Republik Irland diese hervorragenden Produkte nutzen.

Ich freue mich, daß immer mehr dieser Busse sowohl bei den Verkehrsbetrieben als auch bei verschiedenen Busunternehmen im Vereinigten Königreich eingesetzt werden. Ich hoffe, dies wird noch zunehmen.

  Der Präsident . ‐ Vielen Dank, Herr Kinnock. Mit dieser Frage ist die Zeit für die Anfragen an Herrn Kommissar Kinnock erschöpft. Ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit, wünsche Ihnen alles Gute für das neue Jahr und möchte Ihnen sagen, daß ich sicher bin, daß uns mit etwas Anstrengung von Ihrer Seite und von meiner eine Abstimmung gelingen wird.

Die Anfragen Nr. 40 bis 42 werden schriftlich beantwortet.(5)

Anfragen an Frau Bonino

 

  Der Präsident.

Anfrage Nr. 43 von Mary Banotti (H−1180/98):  Betrifft: Preisaufschläge für Alleinreisende

Kann die Kommission mitteilen, ob für Alleinreisende erhobene Preisaufschläge gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen?

Wir begrüßen die Kommissarin, Frau Bonino, und bitten sie, die Anfrage von Frau Banotti zu beantworten.

  Bonino, Mitglied der Kommission. – (IT) Die Anfrage von Frau Banotti war bereits im vergangenen Jahr von Frau Eryl McNally gestellt worden, und die Kommission hatte auch diese Anfrage bereits beantwortet.

Der Kommission ist bekannt, daß zum Beispiel ein Wähler von Frau McNally im Vereinigten Königreich eine Unterstützungsgruppe zur Druckausübung gegen die Preisaufschläge für Einzelreisende gegründet hat. Die Kommission verweist indessen darauf, daß die einzige gemeinschaftliche Rechtsvorschrift, die für die von der Frau Abgeordneten gestellte Anfrage herangezogen werden kann, die vom Rat erlassene Richtlinie über Pauschalreisen ist, wo in Artikel 2 Absatz 4 der Verbraucher als „Person, welche die Pauschalreise bucht oder zu buchen sich verpflichtet” definiert wird. Wie der Frau Abgeordneten sicherlich bekannt sein dürfte, enthält die Richtlinie auch eine Begriffsbestimmung des „Erwerbers” als „jede Person, in deren Namen der Hauptkontrahent sich zur Buchung der Pauschalreise verpflichtet” – sie werden als „die übrigen Begünstigten” definiert – oder „jede Person, der der Hauptkontrahent oder einer der übrigen Begünstigten die Pauschalreise abtritt”. Das ist, wie Ihnen sicherlich bewußt ist, Frau Abgeordnete, der Ansatz für dieses Problem.

Nach Ansicht der Kommission sind die Preisaufschläge für Einzelreisende das Ergebnis eines Geschäftsprinzips – höhere Preise für Einzelreisende –, das zu jenen Prinzipien gehört, die generell durch die Marktmechanismen akzeptiert werden, da diese Reisenden höhere Unterbringungskosten bestreiten müssen, was sich natürlich in den Preisen widerspiegelt. Deshalb kann die Kommission nicht erkennen, wieso Preisaufschläge für Einzelreisende gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen sollten. Ohne schließlich auf das Subsidiaritätsprinzip oder andere Elemente Bezug zu nehmen, ist die Kommission in Wahrheit nach wie vor der Auffassung, daß hier die Dynamik des Marktes zum Tragen kommt, aufgrund derer für den Einzelreisenden – und sei es auch nur für die Unterkunft, d.h. für die Belegung eines Zimmers – mit Sicherheit höhere Kosten anfallen.

Darüber hinaus ist der Reisende in der Regel über diesen Preisaufschlag informiert, weshalb auch die Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln hier nicht angewandt werden kann, weil jedes Informations‐ oder Werbeelement normalerweise auf den Einzelpreis und damit auf den Aufschlag hinweist.

Schließlich ist die Kommission der Auffassung, daß nach ihrem bisherigen Erkenntnisstand diese Aufschläge für Einzelreisende generell ihrem Wesen nach berechtigt sind. Vor allem aber sind sie bekannt, so daß beispielsweise die Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln nicht herangezogen werden kann.

  Banotti (PPE).(EN) Ich danke der Kommissarin. Sie hat die schlechte Nachricht so positiv wie möglich überbracht.

Gibt es bereits Anzeichen dafür, daß die Märkte selbst auf die steigende Zahl alleinreisender Menschen reagieren, die nichts weiter wollen, als die selige Ruhe eines Einzelbetts, wie es George Bernard Shaw einmal ausdrückte? Es überrascht mich, daß man nach wie vor Preisaufschläge für Alleinreisende erhebt, die sich das manchmal einfach nicht leisten können. Ich bin auch schon darauf gestoßen und habe von meinen Wählern Hinweise auf spezielle Angebote erhalten, die im Vereinigten Königreich offeriert werden, aber nicht für Personen gelten, die zum Beispiel aus Irland anreisen, um diese Angebote im Vereinigten Königreich zu buchen. Gehört dies auch zu den Bereichen, die den Kräften des Markts unterworfen sind, oder verstößt diese Praxis möglicherweise gegen das Gesetz?

  Bonino .(IT) Die Frau Angeordnete hat vollkommen recht: nichts ist so sensibel gegenüber dem Markt oder der Anpassung an den Markt wie die Wirtschaftsbereiche, die davon profitieren. Natürlich haben wir bemerkt, daß die Angebote, bei denen keine Zuschläge für Einzelreisende erhoben werden, stark zunehmen, eben weil die Reiseveranstalter begriffen haben, daß die Zahl der Einzelreisenden immer mehr ansteigt. Die Anpassung an den Markt erfolgt also auch bei den Sonderangeboten sehr schnell.

Zur zweiten Anfrage betreffend die Sonderangebote für eine spezielle Zielgruppe oder Nationalität behalte ich mir vor, den Juristischen Dienst nach den wichtigsten Kriterien für eine eventuelle Diskriminierung zu fragen. Bevor also Informationen mit möglichen Auswirkungen auf den Markt weitergegeben werden, halte ich es für angemessen, eine rechtliche Expertise einzuholen, was die Kommission auf jeden Fall tun wird und worüber Sie, Frau Abgeordnete, schriftlich informiert werden.

  Der Präsident . ‐

Anfrage Nr. 44 von Daniel Varela Suanzes‐Carpegna (H−1189/98):  Betrifft: Ergebnis der Gespräche zwischen der EU und Kanada im Zusammenhang mit dem Entwurf eines kanadischen Fischereigesetzes C−27

Auf dem letzten transatlantischen Gipfeltreffen EU/Kanada, das auf Ersuchen des Kommissionsmitglieds Sir Leon Brittan in Wien stattfand, verpflichtete sich der kanadische Außenminister zur Einsetzung eines gemischten Ausschusses von Sachverständigen aus der EU und Kanada zwecks gründlicher und gemeinsamer Prüfung des Inhalts des Entwurfs eines kanadischen Fischereigesetzes C−27, um festzustellen, ob der genannte Gesetzentwurf im Einklang steht mit dem Völkerrecht.

Aus diesem Grunde fand am 7. und 8. Dezember 1998 eine erste Sitzung in Ottawa statt.

Kann die Kommission Auskunft über die Ergebnisse dieser Sitzung erteilen?

Frau Bonino, Sie haben das Wort zur Beantwortung der Anfrage von Herrn Daniel Varela.

  Bonino, Mitglied der Kommission. – (IT) Ich meine, die Entschlossenheit von Herrn Varela, der mir die Kanada‐Anfrage im Durchschnitt alle zwei Monate stellt, entspricht genau der Entschlossenheit der Kommission, die ihrerseits keine Gelegenheit versäumt – und ich werde Ihnen gleich drei erst vor kurzem durchgeführte Treffen nennen –, um gegenüber der kanadischen Seite zu bekräftigen, daß das Gesetz C−27 für die Kommission nicht annehmbar ist.

Diese Frage wurde erst kürzlich bei drei verschiedenen Gelegenheiten erörtert: am 22. Oktober bei einem Treffen zwischen Sir Leon Brittan und dem kanadischen Außenminister, am 7. Dezember in Ottawa während einer Begegnung hoher Beamter aus dem Fischereiressort und schließlich am 17. Dezember auf dem Gipfeltreffen EU/Kanada.

Die Kommission kann bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß Kanada nicht beabsichtigt, den Entwurf für das Gesetz C−27 zu ändern, was meines Erachtens sehr deutlich geworden ist und wohl auch wiederholt erklärt wurde. Das Novum – und die Kommission strebt gegenwärtig diesen möglichen Ausweg an – besteht indessen darin, daß Kanada offenbar bereit ist, eine Auslegungserklärung vorzusehen, um klarzustellen, daß sich das Gesetz C−27 nur auf die Anwendung des Abkommens der Vereinten Nationen bezieht. Diese Auslegung oder Erklärung zur Auslegung könnte, falls wir sie erreichen, als ein interessanter Schritt Kanadas betrachtet werden.

Ich möchte noch zwei zusätzliche Überlegungen anführen. Als erstes fand aufgrund eines unglücklichen terminlichen Zusammentreffens die Diskussion zwischen den Fischereibeamten unmittelbar nach der Äußerung des Internationalen Gerichtshofes zu der Rechtssache statt, die Spanien gegen Kanada angestrengt hatte, weil 1995 der Fischkutter „Styke” gestoppt worden war. Obgleich der Gerichtshof lediglich erklärt hatte, daß er in dieser Sache keine gerichtliche Zuständigkeit besitze, wurde seine Erklärung in Kanada als Entscheidung über die wichtigsten Punkte des Rechtsstreits aufgefaßt, wodurch eine mögliche Bereitschaft der kanadischen Regierung teilweise blockiert wurde.

Zum zweiten bin ich zutiefst davon überzeugt, Frau Abgeordnete, daß, abgesehen von einseitigen kanadischen Zustimmungs‐oder Ablehnungserklärungen, deren Inhalt man sich erst noch wird ansehen müssen, der einzige Weg zur Eindämmung möglicher Streitigkeiten in der beschleunigten Ratifizierung des UN‐Übereinkommens über die stock chevauchants besteht. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, beinhaltet das Übereinkommen einen ganzen Teil über den dann zwingend vorgeschriebenen Ablauf des dispute settlement , wodurch Kanada daran gehindert würde, sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entziehen, wie dies 1994/95 geschehen ist.

Neben den Verhandlungen wird die Kommission also die Angelegenheit Tag um Tag oder Monat um Monat weiterverfolgen, wobei sie zutiefst davon überzeugt ist, daß die zügige Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen das wirksamste uns zur Verfügung stehende Mittel ist.

  Varela Suanzes‐Carpegna (PPE).(ES) Danke für Ihre Informationen, Frau Kommissarin. Ich habe genauso großes Interesse an dieser Angelegenheit wie die Kommission – Sie wissen das –, denn es handelt sich um eine Schlüsselfrage für die Fortentwicklung der Fischerei in internationalen Gewässern und somit für das internationale Recht. Ein Staat, der die Rechtsprechung eines internationalen Gerichtshofs nicht akzeptiert, der innerstaatliche Rechtsvorschriften erläßt, die dem internationalen Recht entgegenstehen, der sie anwendet, indem er Schiffe aufbringt, und den dann niemand verurteilen kann, stellt in der internationalen Gesellschaft eine enorme Gefahr für das Fischereiwesen dar und kann anderen als Beispiel dienen.

Allerdings bin ich in einem mir sehr wichtig erscheinenden Punkt anderer Meinung, Frau Kommissarin. Ich spreche in diesem Ton, weil die Dinge nicht gut laufen, weder für die Kommission noch für mich. Wir diskutieren hier dieselbe Frage nicht nur alle zwei Monate, sondern jeden Monat, weil Kanada alle Argumente vorbringt, um uns das Recht abzusprechen. Ich weiche in der Richtung ab, daß die Ratifizierung des Abkommens – das Europäische Parlament hat es gesagt –, wenn es anders als das Abkommen von New York interpretiert wird, eine ständige Quelle für Konflikte sein wird. Mit den Argumenten, die wir in der NAFO haben, könnten wir das Problem lösen. Was getan werden müßte, wäre, dieses Abkommen nicht zu ratifizieren, denn Kanada selbst ist an der Ratifizierung interessiert. Hier gehen unsere Meinungen also auseinander. Ich bitte Sie, über diese Frage nachzudenken, denn möglicherweise müssen wir Kanada zeigen, daß dies ein sehr lästiger Stein im Schuh der Beziehungen ist, die das Land mit der Europäischen Union unterhält. Wir müssen also weiterkommen und sollten möglicherweise dieses Abkommen, das Kanada so sehr wünscht, um es nach eigenem Gutdünken anzuwenden, nicht ratifizieren.

  Bonino .(IT) Ich kenne die Position des Parlaments, ich möchte jedoch auch zu bedenken geben, daß ein institutioneller Dialog gerade dazu dient. Eben weil wir uns in einer Situation befinden, in der die unterschiedliche Auslegung des Übereinkommens der Vereinten Nationen zweifellos eine Quelle von Streitigkeiten ist und dies immer mehr sein kann, interessiert mich, was ich Ihnen gegenüber, Herr Abgeordneter, besonders betonen möchte, die Möglichkeit seiner Ratifizierung; das gilt vor allem für jene Säule des Übereinkommens, die sich auf einen binding dispute settlement mechanism bezieht. Wir haben nämlich ansonsten keine Instrumente – und ich fordere Sie auf, einmal nur über diesen Gesichtspunkt nachzudenken – für die Lösung von Streitfällen, die nicht nur in kanadischen Hoheitsgewässern oder in NAFO‐Gewässern entstehen könnten.

Würde das Übereinkommen nicht ratifiziert, hätten wir keine Instrumente. Denken Sie beispielsweise an den Fall irgendeines anderen Küstenstaates mit einer anderen Auslegung. Wie Sie schon sagten, könnte dieses Beispiel Schule machen, und wir wären erneut in der Situation, über keine binding ‐Instrumente, d.h. keine verbindlichen Instrumente für die Konfliktlösung zu verfügen. Diesen Teil des Übereinkommens müssen wir uns meines Erachtens ganz sicher zunutze machen. Was nämlich, wie Sie sich erinnern werden, Herr Varela, bei dem letzten Zwischenfall 1995 geschah, war eben, daß Kanada seine eigene Zuständigkeit vom Internationalen Gerichtshof zurückgezogen hatte, so daß dieser nun in seinem Urteil seine Nichtzuständigkeit erklärt. Wenn wir also keine zwingend vorgeschriebenen Verfahrensweisen für die Beilegung internationaler Streitigkeiten erreichen, so fürchte ich, daß andere dem Beispiel Kanadas folgen werden.

Die Behandlung dieser Materie obliegt übrigens auch den Mitgliedstaaten. Ich möchte indessen unbedingt Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, daß das Fehlen verbindlicher Konfliktlösungsverfahren vielleicht nicht gerade vorteilhaft für uns ist.

  Der Präsident . – Vielen Dank, Frau Bonino.

Da der Verfasser nicht anwesend ist, ist die Anfrage Nr. 45 hinfällig.

Da die Anfragen Nr. 46, 47 und 48 ähnliche Themen betreffen, werden sie gemeinsam behandelt.

Anfrage Nr. 46 von Ian White (H−1222/98):  Betrifft: Puerto Morazan – Hurrikan Mitch

Kann die Kommission angeben, welche Mittel die EU für Soforthilfe zugunsten von Nicaragua und Honduras bereitgestellt hat und wieviel EU‐Hilfe über Kanäle von NRO und internationalen Hilfsorganisationen geflossen ist?

Anfrage Nr. 47 von Christine Oddy (H−1232/98):  Betrifft: Puerto Morazan – Hurrikan Mitch

Kann die Kommission mitteilen, in welchem Umfang sie beim Wiederaufbau von Straßen und Brücken mit Fachkräften und Ausrüstung in Nicaragua und Honduras hilft?

Anfrage Nr. 48 von Glenys Kinnock (H−1239/98) Betrifft: Reaktion auf Naturkatastrophen

Im Rahmen von ECHO mußte während dieses Haushaltsjahres auf eine Reihe tragischer und kostspieliger Notsituationen und Naturkatastrophen reagiert werden. Ist ECHO mit ausreichenden Mitteln ausgestattet, damit mögliche weitere Krisensituationen bewältigt werden können?

Ich schlage somit vor, Frau Kommissarin, daß Sie in den bis 19.00 Uhr verbleibenden zwei Minuten die Anfragen von Herrn White, Frau Oddy und Frau Kinnock gemeinsam beantworten.

  Bonino, Mitglied der Kommission. – (IT) Ich werde auch einige Worte zur Anfrage von Frau Kinnock sagen, da sie sich auf dasselbe Thema bezieht.

Zunächst stellt die Kommission den Damen und Herren Abgeordneten auf Wunsch den jüngst verabschiedeten globalen Gesamtplan für Mittelamerika zur Verfügung, und ich kann diesen Plan schon jetzt mit allen detaillierten Zahlenangaben übergeben. Kurz zusammengefaßt kann ich Ihnen jedenfalls sagen, daß die erste Mittelausstattung in Höhe von 6, 8 Mio. ECU am 4. November beschlossen wurde, als der Hurrikan also noch wütete; ein zweites Paket über 9, 5 Mio. ECU wurde unmittelbar nach meiner Rückkehr von meinem Besuch im November bewilligt; die Kommission hat dann später 3 Mio. ECU, die ursprünglich für andere Projektarten vorgesehen waren, zugunsten dieser Katastrophe umgeleitet oder umgestellt.

All diese Projekte werden durch NRO verwirklicht; sie sind in einer Liste erfaßt, die ich ihnen gern zur Verfügung stellen kann. Die beiden Pläne wurden vom Amt für humanitäre Hilfe, in dem alle Mitgliedstaaten vertreten sind, gebilligt. Vor kurzem hat die Kommissar Marín unterstellte Generaldirektion I B 8, 2 Mio. ECU für die Vorbereitung des globalen Wiederaufbauplans freigegeben, der, wie Sie ja wissen, Frau Abgeordnete, der Stockholmer Geldgeberkonferenz vorgelegt werden muß.

Zur zweiten Anfrage möchte ich darauf hinweisen, daß wir u.a. vor dem Problem stehen, daß die in den ordentlichen Haushalt des Amtes für humanitäre Hilfe eingestellten Mittel Mitte des Jahres erschöpft waren und wir aufgrund einer ganzen Reihe unvorhersehbarer Katastrophen gezwungen sind, sehr langwierige und schwerfällige Verfahren zur Mobilisierung der Reserve abzuwickeln. Gerade in dieser Hinsicht stellen wir bereits ab diesem Jahr eine gewisse Besserung fest, denn zu Jahresbeginn verfügen wir über eine höhere Mittelausstattung, die uns insbesondere bei den über Jahre andauernden Krisen eine etwas ordentlichere Planung ermöglicht, so daß wir die Reserve nur bei wirklich unerwarteten Krisen, die nämlich nicht geplant werden können, mobilisieren müssen. Diesen, den Haushalt betreffenden Punkt versuchen wir gemeinsam mit Kommissar Liikanen zu klären – wobei wir übrigens schon einige Fortschritte erzielt haben –, damit wir uns nicht im Juli in der üblichen sehr schwierigen Lage befinden.

  Oddy (PSE).(EN) Mich interessiert, wieviel von der Soforthilfe in Mittelamerika angekommen ist ist und welche Probleme dabei aufgetreten sind? Was brauchen die Menschen in Mittelamerika derzeit am nötigsten und was können wir jetzt tun, um ihnen zu helfen?

  Bonino . ‐ (EN) Die ersten Projekte, die am 4. November beschlossen wurden, konnten unverzüglich beginnen, weil wir uns für den Einsatz der NRO entschieden hatten, die bereits vor Ort arbeiteten; so traten keinerlei Lücken auf. Im Zusammenhang mit dem neuen Plan mit einem Finanzvolumen von 10 Millionen ECU haben wir die Liste der NRO geringfügig erweitert. Anfangs hatten wir Transportprobleme, und es war schwierig, die Menschen in den Gebieten zu erreichen, in denen alle Brücken und Straßen zerstört worden waren. Schließlich setzten wir Hubschrauber ein, aber mit Hubschraubern kann man nur geringe Mengen an Nahrungsmitteln transportieren.

Probleme bereitete auch, daß einige Regierungen nicht gerade erfreut darüber waren, daß die Arbeit nur über die NRO erfolgen konnte. Bei meinem Besuch machte ich den Regierungen jedoch unmißverständlich klar, daß nach den bestehenden Vorschriften eine direkte Vergabe von Mitteln an eine Regierung nun einmal nicht möglich ist und wir ausschließlich über das Rote Kreuz oder die NRO arbeiten können. Dies wurde schließlich akzeptiert, auch wenn gewisse politische Spannungen geblieben sind.

Wir konzentrieren uns derzeit hauptsächlich auf Honduras und den Norden Nicaraguas und wollen in erster Linie für sauberes Trinkwasser sorgen, um Seuchen zu verhindern. Die Nahrungsmittelversorgung ist ausreichend, Engpässe gibt es nur bei der Versorgung von Risikogruppen. Am dringendsten benötigt wird Trinkwasser, um die Entstehung von Seuchen zu verhindern. Der neue Plan ist vor allem auf die medizinische Grundversorgung, die Reparatur von Pumpen und die Trinkwasserversorgung ausgerichtet.

Wenn Sie daran interessiert sind, kann ich Sie ausführlich über die Arbeit der einzelnen NRO vor Ort informieren.

  Kinnock, Glenys (PSE). (EN) In einer Zeit, in der die Leistungsfähigkeit der Kommission in Zweifel gezogen wird, möchte ich die überaus schnelle und effiziente Reaktion von ECHO auf die Krise in Mittelamerika würdigen.

Vor dem Hintergrund der Informationen, die Sie, Kommissarin Bonino, uns gegeben haben, möchte ich fragen, welche Finanzhilfen Sie für das immer wieder von Krisen heimgesuchte Bangladesh, ein Land, das meinem Heimatland, dem Vereinigten Königreich sehr am Herzen liegt, bereitstellen konnten. Ist ECHO aus Ihrer Sicht jetzt und künftig in der Lage, diesem Bedarf, der in Bangladesh ja jedes Jahr aufs neue vorhanden ist, Priorität einzuräumen?

  Bonino . – (EN) Die endgültigen Zahlen über Bangladesh liegen mir im Moment leider nicht vor, aber ich werde sie Ihnen zukommen lassen. Im letzten Jahr ist uns klar geworden, wie verheerend die Auswirkungen immer wiederkehrender Naturkatastrophen sein können. Insgesamt wollen wir den Aktionsplan für 1999 so gestalten, daß wir noch besser auf Naturkatastrophen vorbereitet sind. Wir haben sogar die Einrichtung eines Fonds für den Katastrophefall bzw. eines Fonds zur Hilfe bei Naturkatastrophen erwogen. Wir prüfen derzeit noch, ob es sinnvoll, möglich und realisierbar ist, einen Fonds einzurichten, der einfacher genutzt werden kann, um auf Naturkatastrophen zu reagieren, sie zu vermeiden oder besser dafür gerüstet zu sein. Für einen solchen Fond müßte die Haushaltsordnung geändert werden. Ich weiß nicht, ob sich eine politische Mehrheit für eine flexiblere Ausgabenpolitik finden würde. Wir suchen noch nach der bestmöglichen Lösung.

Was Bangladesh betrifft, werde ich Ihnen die genauen Zahlen noch zukommen lassen. Ich möchte Ihnen keine falschen Informationen geben und werde das klären.

  Der Präsident . – Vielen Dank, Frau Kommissarin.

Da die Zeit für die Fragestunde an die Kommission erschöpft ist, werden die Anfragen Nr. 49 bis 79 schriftlich beantwortet.(6)

Damit ist die Fragestunde beendet.

(Die Sitzung wird um 19.05 Uhr unterbrochen und um 21.00 Uhr wiederaufgenommen.)

VORSITZ: RENZO IMBENI
Vizepräsident

(1) ABl. L 256 vom 13.9.1991, S. 51.
(2) ABl. C 362 vom 28.11.1997, S. 12.
(3) ABl. C 152 vom 18.5.1998, S. 55.
(4) ABl. C 285 vom 14.9.1998, S. 5.
(5) Siehe Anlage „Fragestunde”.
(6) Siehe Anlage „Fragestunde”.


9. Handelssystem und international anerkannte Arbeitsnormen

  Der Präsident . – Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht von Herrn Sainjon (A4‐0423/98) im Namen des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen über die Mitteilung der Kommission an den Rat „Der Zusammenhang zwischen dem Handelssystem und den international anerkannten Arbeitsnormen” (KOM(96)0402 ‐C4‐0488/96).

  Sainjon (ARE), Berichterstatter. – (FR) Herr Präsident! Zu dem Zeitpunkt, da der 50. Jahrestag der UNO‐Menschenrechtserklärung begangen wird, ist es für Europa als größte Handelsmacht der Welt eine Verpflichtung, weiter für die Idee einer, wie ich sie bezeichnen möchte, „Globalisierung der sozialen Dimension” einzutreten. Wenn die Europäische Union bei diesem Thema glaubwürdig sein will, muß meiner Überzeugung nach ihre eigene Bilanz untadelig sein.

Denn wie soll sie von den Entwicklungsländern ernstgenommen werden, wenn beispielsweise im Vereinigten Königreich zwei Millionen Kinder, darunter 500 000 unter 15 Jahren, einer Arbeit nachgehen? Weshalb lehnen die Behörden dieses Landes die Ratifizierung des IAO‐Übereinkommens Nr. 138 über die Abschaffung der Kinderarbeit ab? Es reicht meiner Meinung nicht aus, die EU‐Richtlinie über den Jugendarbeitsschutz oder die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte zu ratifizieren, sondern man muß auch die darin enthaltenen Grundsätze umsetzen und das Schicksal jener Zehntausenden von Kindern berücksichtigen, die unter unzumutbaren Bedingungen schwere Arbeiten insbesondere in der Warenbewegung und auf Baustellen verrichten. Ich könnte auch Österreich anführen, welches das Übereinkommen Nr. 138 immer noch nicht ratifiziert hat; ebenso hat Irland das IAO‐Übereinkommen Nr. 111 über die Nichtdiskriminierung in Beruf und Beschäftigung nicht ratifiziert. Die gleichen strikten Kriterien sollten allerdings auch gegenüber den Ländern gelten, die sich um den Beitritt zur Union bewerben.

Unter diesen Umständen sollten wir nicht zögern, uns auf die im Juni letzten Jahres von der IAO verkündete Erklärung zu den Grundsätzen und Grundrechten im Arbeitsleben zu stützen, in der die Übereinkommen über Zwangsarbeit, Abschaffung der Kinderarbeit, Nichtdiskriminierung in Beruf und Beschäftigung sowie Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen aufgenommen sind. Diese Zusammenfassung mehrerer Übereinkommen zu einem Gesamtpaket stellt einen sehr wichtigen Schritt dar, da die Länder, die eines dieser Übereinkommen nicht ratifiziert haben, gleichwohl Berichte erhalten, die zu dem diesbezüglichen Thema verfaßt wurden.

Die Union muß also auf das Ziel hinarbeiten, daß auf mittlere Sicht alle Mitgliedstaaten der WTO die Grundsatzerklärung der IAO ratifizieren. Bislang sind jedoch sämtliche gegenüber den Entwicklungsländern unternommenen Versuche aufgrund eines zumeist negativen Ansatzes gescheitert. Eine Wende trat ein, als im März 1998 die APS‐Anreizklausel erstmals tatsächlich angewandt wurde. Zum ersten Mal wurde eine Zollvergünstigung für Länder vorgesehen, die bestimmte soziale Mindestnormen einhalten, was zu einem positiveren Ansatz in bezug auf die Sozialklausel beigetragen hat. Dieser Schritt könnte gewissermaßen als Modell, als Vorläufer, für die EU‐Strategie im Rahmen der WTO dienen.

Eine weitere Strategie für weltweite Fortschritte bei den Menschenrechten in der Arbeitswelt sind die Hunderte von Verhaltenskodizes für multinationale Unternehmen. Allerdings muß festgestellt werden, daß die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen dabei oft außer acht gelassen werden.

Daher muß heute noch weiter gegangen werden. Der Verhaltenskodex, der sich auch hier auf die IAO‐Grundsatzerklärung stützen wird, muß meines Erachtens einen Mindestsockel darstellen. Ganz konkret fordert das Parlament die Kommission auf, über die Ausarbeitung eines europäischen Verhaltenskodex im Rahmen eines den Europäischen Gewerkschaftsbund, die Europäischen Arbeitgeber sowie einige NRO umfassenden Gremiums nachzudenken. Die europäischen multinationalen Unternehmen könnten diesen Verhaltenskodex auf freiwilliger Grundlage ratifizieren und werden dann im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften und auf den Internet‐Seiten der Kommission namentlich aufgeführt.

Dieser Kodex würde zwar keine Sanktionen vorsehen, aber eine spezielle Dienststelle im Rahmen dieser Institution könnte durch Schaffung einer Datenbank ein wirksames Monitoring der Unternehmen durchführen, die diesen Weg einschlagen. Völlig zum Tragen kommen kann die Idee eines solchen Verhaltenskodex langfristig jedoch nur im Rahmen der Welthandelsorganisation.

Des weiteren möchte ich von dieser Tribüne des Europäischen Parlaments alle internationalen Institutionen und die bedeutendsten internationalen Persönlichkeiten auf den Gebieten der Politik, Philosophie, Religion und Kultur feierlich aufrufen, gemeinsam dafür einzutreten, daß endlich ein unerbittlicher Kampf dafür geführt wird, die Zwangsarbeit von Kindern im ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts weltweit endgültig auszumerzen.

Das moderne Zeitalter hält Einzug in die Geschichte. Es kann nicht geduldet werden, daß Millionen von Kindern in Elend, Gewalt und Leid dahinvegetieren. Alle Kinder sollten die Möglichkeit haben, eine Kindheit voller Spiel, Freude, Hoffnung und Glück zu erleben. Für uns als Träger politischer Verantwortung muß es eine moralische Verpflichtung sein, entschlossen zu handeln und daher außergewöhnliche Mittel zur Erreichung des von mir vorgeschlagenen Ziels zu beschließen, das sich aus dem Vermächtnis derer ableitet, die, oft unter Einsatz ihres Lebens, für die Wahrung der Menschenrechte in der ganzen Welt gekämpft haben.

Wir sollten konkret prüfen, was sich bewährt hat. Die Förderung des Schulbesuchs ist zwar richtig, reicht aber nicht aus. Die Regierungen der betreffenden Länder müssen den Familien, deren Kinder dadurch zu arbeiten aufhören, eine Ausgleichsbeihilfe zahlen, das heißt einige Dollar pro Monat. Darin liegt die Lösung und nicht anderswo. Sie muß natürlich durch strikte Kontrollmaßnahmen flankiert werden. Unicef selbst hat auf die Folgen beispielsweise einer plötzlichen Schließung oder Verlagerung multinationaler Unternehmen hingewiesen. In diesem Fall wenden sich die Kinder nicht etwa der Schule zu, sondern landen wieder auf Straße, wo sie Arbeit suchen, um weiter zum Lebensunterhalt ihrer Familie beizutragen, und geraten dann zumeist, da sie keine finden, in die schreckliche Welt der Prostitution.

Selbst wenn der Kampf für die Sozialklausel lang und schwierig sein wird, eröffnet sich damit für uns heute ein großartiges Aktionsfeld. Die Öffentlichkeit muß sich dessen bewußt werden, und die Politiker müssen beweisen, daß sie angesichts der Globalisierung der Wirtschaft nicht lediglich passive Zuschauer sind.

  Schiedermeier (PPE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. ‐ Herr Präsident! Als Angehöriger einer Partei, die das Wort sozial im Namen führt, ist mir die soziale Marktwirtschaft ein besonderes Anliegen. Daher trete ich ganz entschieden für die sozialen Mindeststandards auf europäischer Ebene ein. Andererseits zwingt uns die Globalisierung im internationalen Handel, die zur Liberalisierung von Handel, Investitionen und Kapitalströmen führt, die soziale Entwicklung weltweit zu betrachten. Die Weltbank hat in ihrem Weltentwicklungsbericht aus dem Jahre 1995 die Bedeutung guter Beziehungen der Sozialpartner für einen effizienten Arbeitsmarkt betont. Dies setzt jedoch ein demokratisches System voraus, in dem die Arbeitnehmer Rechte haben, die es ihnen ermöglichen, die Regierungen an dem Versuch zu hindern, sich Wettbewerbsvorteile durch Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung zu verschaffen.

Eine zweite Schlußfolgerung drängt sich von selbst auf. Damit der internationale Handel der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes förderlich sein kann, muß es möglich sein, Entscheidungen zu treffen und Präferenzen zu äußern. Mit anderen Worten: Wir müssen den Bürgern an ihren Arbeitsplätzen zumindest die gleichen Rechte einräumen, wie wir ihnen als Verbraucher zuerkennen.

In meiner Stellungnahme des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten vertrete ich deshalb nachdrücklich die Forderung nach Sozialklauseln im internationalen Handel. Dazu gehört, daß die Mitgliedstaaten der EU die grundlegenden Arbeitsnormen durchsetzen und fördern, vor allen Dingen im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation. Die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen für diese Ziele muß von der EU und den Mitgliedstaaten unbedingt unterstützt werden. Ferner müssen Anreize geschaffen und verstärkt werden, damit die Entwicklungsländer zur Einhaltung der grundlegenden Sozialnormen bewegt werden können, also keine Sanktionen und kein verdeckter Protektionismus. Dazu gehört auch die Unterstützung von Warenzeichen‐Kampagnen, wie zum Beispiel rug mark und viele andere, die durch Verbraucherinitiativen geschaffen wurden, sowie die Selbstverpflichtung von Unternehmen zur Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte.

Der Ausschuß unterstützt ferner die Aufnahme von Sozialklauseln in Handels‐ und Kooperationsabkommen der EU‐Mitgliedstaaten. Einen entsprechenden Textvorschlag enthält meine Stellungnahme. Dem Kollegen Sainjon danke ich für die weitergehende Übernahme der Forderung meiner Stellungnahme in seinem Bericht, wenn ich auch glaube, daß er bei seinen Forderungen überzogen hat. Allzuviel ist manchmal ungesund. Allerdings verstehe ich nicht, warum Herr Howitt im Änderungsantrag 10 im Namen der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas das gute Beispiel der Vereinigten Staaten aus dem Text streichen will. Dieser Streichung möchte ich eigentlich nicht zustimmen.

  Papakyriazis (PSE).(EL) Herr Präsident, gestatten Sie mir die Bemerkung, daß ich es als besondere persönliche Ehre empfinde, hier sprechen zu dürfen, und zwar einerseits als Vertreter der großen Sozialistischen Fraktion und nach den beiden Berichterstattern, Herrn Sainjon und Herrn Schiedermeier, und andererseits in meiner Eigenschaft als Mitglied beider Ausschüsse, also des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen und des Ausschusses für soziale Angelegenheiten, in deren Rahmen ich die Gelegenheit hatte, selbst an dem gesamten langen Prozeß der Ausarbeitung dieser Berichte teilzunehmen. Daher möchte ich den Berichterstattern und den Ausschüssen, die die ursprünglichen Berichte in einem ausführlichen und offenen Verfahren bereichert haben, meine aufrichtigen Glückwünsche aussprechen.

Ich werde nicht versuchen, die von den Berichterstattern gemachten Ausführungen zu wiederholen oder ihnen etwas hinzuzufügen, sondern möchte ihnen unter Hinweis auf zwei Punkte meine Unterstützung erklären.

Erstens will ich besonders darauf verweisen, wie wichtig es ist, daß wir im Europäischen Parlament, wir in der Europäischen Union, heute, nur wenige Tage nach der Einführung des Euro, das ganze Ausmaß der Globalisierung der Gesellschaft erfassen. Dies widerspricht nicht der Tatsache, daß außer dem globalisierten Markt auch die Dimension der weltweiten sozialen Politik der Solidarität existiert. Von anerkannten Organisationen wie der Welthandelsorganisation – so sei hinzugefügt – ist bewiesen worden, daß dies nicht im Gegensatz zu einem Wirtschaftswachstum steht, das gleichzeitig auch die Voraussetzung für sozialen Wohlstand darstellt.

Zweitens möchte ich betonen, daß wir in der Europäischen Union in der gegenwärtigen Phase der Erweiterung unter Erläuterung und weiterer Konkretisierung der Kriterien von Kopenhagen darauf bestehen und erklären müssen, daß dazu auch die Menschenrechte in der Arbeitswelt gehören.

  Günther (PPE). – Herr Präsident! Es ist ja nicht das einzige Mal, daß wir in dieser Woche das Thema eines Kodex im internationalen Verkehr diskutieren, sondern wir haben ja auch noch morgen einen Initiativbericht des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit zum gleichen Thema auf der Tagesordnung. Ich finde, daß wir uns bei diesen Berichten grundsätzlich auf ein paar Punkte einigen sollten. Der eine ist: Wir haben nicht das Recht, einerseits exterritoriale Vorschriften in solchen Berichten unterzubringen und auf der anderen Seite die USA im Zusammenhang mit dem Helms‐Burton‐Gesetz zu kritisieren.

Zweitens: Auch die Entwicklungsländer müssen in diese Diskussion einbezogen werden, wenn es sie betrifft. Denn auch sie wollen nicht über ihre Köpfe hinweg Normen aufgedrückt bekommen, an deren Zustandekommen sie nicht beteiligt sind.

Drittens: Kinderarbeit ist ein wesentlicher Punkt in diesem ganzen Zusammenhang. Wenn es sich hier um einen Bericht über anerkannte Arbeitsnormen handelt, so sollte man doch auch die Sozialnormen und andere Formen der Arbeit stärker im Auge behalten, anstatt sich hier auf einen Punkt zu begrenzen und damit diesen ganzen Bericht quasi zu überfrachten. Internationale Vereinbarungen brauchen nämlich Klarheit und eine präzise Ausrichtung, damit sie auch anerkannt und befolgt werden, vor allen Dingen dann, wenn wir fordern müssen, daß es sich hier um einen freiwilligen Kodex zu handeln hat.

  Plooij‐van Gorsel (ELDR).(NL) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Kommissar! Vereinbarungen über international anerkannte Arbeitsnormen kommen der International Labour Organization ganz besonders gelegen. Bei der Implementierung international getroffener Vereinbarungen hingegen sieht es schon anders aus, zumal dann, wenn wir über die Abschaffung von Kinderarbeit reden. Der Berichterstatter will der Europäischen Kommission in diesem Bereich eine wichtige Rolle zuweisen. Dieser Rolle sind leider Grenzen gesetzt, weil die Europäische Union als solche nicht Mitglied der International Labour Organization ist. Der Berichterstatter spricht der Union dennoch zahlreiche Kompetenzen zu.

Damit bin ich bei meinem zweiten Punkt. In Artikel 19 des Entschließungsantrags fordert der Berichterstatter eine europäische Initiative zur Bekämpfung der Kinderarbeit. Das würde ich gern unterstützen, nur schlägt er erstens die Gewährung einer ersatzweisen Vergütung für die Familien von Kindern, die zur Arbeit gezwungen sind, und zweitens die schulische Ausbildung der Kinder in den jeweiligen Ländern sowie Begleitmaßnahmen vor.

Dieser Vorschlag wäre sehr zu begrüßen, wenn die Union auf diesem Gebiet Befugnisse hätte. Dennoch frage ich mich, ob sich der Berichterstatter der finanziellen Folgen für die Union bewußt ist, würden wir Familien in Entwicklungsländern eine Einkommensgarantie bieten. Nach meiner Schätzung dürfte sich der EU‐Haushalt verdoppeln. Meine Fraktion der Liberalen tritt selbstverständlich für die Beseitigung von Kinderarbeit ein. Nur sind Einkommenshilfen dafür nicht das geeignete Mittel. Entscheidende Bedeutung kommt der schulischen Ausbildung zu, das hat auch der Berichterstatter erkannt. Schulische Ausbildung nicht nur für Jungen, vielmehr auch und gerade für Mädchen. Deshalb appelliere ich an Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, den Änderungsantrag der Fraktion der Liberalen zu Artikel 19 zu unterstützen, in dem wir die Bekämpfung von Kinderarbeit durch europäische Maßnahmen zur Förderung der schulischen Ausbildung von Kindern fordern.

Auf dieser Ebene muß die Europäische Union ihrer Verantwortung – möglichst in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie dem UNICEF und der UNESCO – gerecht werden.

  Herzog (GUE/NGL).(FR) Herr Präsident! Ich möchte zunächst André Sainjon zu seinem ausgezeichneten Bericht beglückwünschen. Die Achtung der sozialen Grundrechte im internationalen Handel stellt eine Grundsatzfrage dar, die sich seit über einem Jahrhundert stellt, ohne daß bislang nennenswerte Ergebnisse erzielt wurden. Eine der Hauptursachen dafür liegt zweifellos in der protektionistischen und einseitigen Haltung der wirtschaftlich führenden Länder.

Daher darf es keinem Zweifel unterliegen, daß die Durchsetzung der Achtung der sozialen Rechte nicht nur die armen Länder und die Schwellenländer, sondern auch die entwickelten Länder und insbesondere die EU‐Mitgliedstaaten betrifft, und daß dazu eine konkrete Solidarität erforderlich ist.

In diesem Sinne hat das Europäische Parlament – und André Sainjon hat dabei selbstverständlich eine herausragende Rolle gespielt – buchstäblich eine ganze Strategie entwickelt, damit die Europäische Union gewissermaßen auf zwei Ebenen aktiv wird, nämlich zum einen als regionale Kraft, welche in ihren Außenbeziehungen die Grundsätze eines sozialen Anliegens zu vertreten vermag, und die ergänzend dazu auf multilateraler Ebene handlungsfähig ist, wobei das primäre Ziel selbstverständlich darin besteht, den Multilateralismus weiter voranzubringen.

Was den internen Bereich anbelangt, so wünschen der Ausschuß und sein Berichterstatter, daß die EU neben dem, was im Rahmen des Allgemeinen Zollpräferenzsystems eingeführt wurde, weitere Dimensionen ihres eigenen Handelns entwickelt, insbesondere im Falle von Handels‐ und Kooperationsabkommen sowie von Übereinkommen über Investitionsbeihilfen. In der Frage der Verhaltenskodizes nehmen wir eine nuancierte Haltung ein, die jedoch noch durch weitere Überlegungen über Sanktionen ergänzt werden muß, die aber offenkundig in die richtige Richtung weist. Ebenso ist es richtig, daß wir in der Frage der Kinderarbeit mit den Anreizsystemen, die in die von uns verfolgte Richtung weisen, ein Beispiel setzen.

Selbstverständlich muß gleichzeitig auf multilateraler Ebene – dieser zweite Pfeiler ergänzt den ersten Pfeiler, der wiederum nicht ohne den zweiten auskommt – gehandelt werden, wo zwei Hauptziele zu verfolgen sind, nämlich zum einen nicht nur die Anerkennung der sozialen Grundrechte, sondern auch der beginnende Einsatz von Mitteln zu ihrer Durchsetzung, und zwar in Zusammenarbeit mit der IAO und der WTO, sowie zum andern die Fortsetzung politischer Maßnahmen im Hinblick auf die Möglichkeit, auf multilateraler Ebene zugleich dem Erfordernis der Wettbewerbsfähigkeit wie dem des sozialen Fortschritts gerecht zu werden. Voraussetzung dazu sind sehr strikte Zielsetzungen wie das Verbot von Kinderarbeit oder die Schulpflicht für Kinder; gleichzeitig müssen eventuell weitere mögliche Ziele verfolgt werden wie die Einrichtung bzw. Verbesserung von Sozialschutzsystemen. Doch es steht außer Zweifel, daß wir heute einen vorzüglichen Bericht vorliegen haben.

  Kreissl‐Dörfler (V). ‐ Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon sehr froh, daß wir hier mittlerweile sagen, alle Arbeitnehmerinnen haben weltweit ein Anrecht auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Dazu sind die Konventionen der ILO immerhin sehr hilfreich. Nur, wie setzen wir die denn endlich um? Bei der Debatte über die Welthandelsorganisation und über die GATT‐Verträge war es überhaupt kein Problem, bis hin zu durchsetzungskräftigen Sanktionen alles zu beschließen, was einer Deregulierung und Liberalisierung weiter verhilft. Geht es aber darum, für die Menschen im Arbeitsprozeß annehmbare Bedingungen zu schaffen, dann kommen Konventionen heraus, die nicht bindend sind, und dann schauen wir mal, und dann darf nichts überlastet werden.

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wenn wir uns nicht dazu durchringen, endlich verpflichtende Normen einzuführen, werden wir hier allmählich die gleichen Verhältnisse bekommen wie anderswo. Es darf aber doch nicht sein, daß die Menschen mittlerweile weltweit gegeneinander in Konkurrenz gesetzt werden, um die miesesten Arbeitsbedingungen, die niedrigsten Löhne und die schlechtesten sozialen Standards zu haben. Dahin wird diese Entwicklung jedoch führen, und deshalb bin ich sehr froh, daß Herr Sainjon einen so klaren Bericht vorgelegt hat.

  Karamanou (PSE).(EL) Herr Präsident, im Lichte der heutigen Erklärungen der deutschen Präsidentschaft und angesichts des Nachdrucks, der dem Bereich der Achtung der Menschenrechte verliehen wurde, wird die Annahme des ausgezeichneten Berichts des Kollegen Sainjon meines Erachtens eine unmittelbare Bestätigung sowohl des in Europa herrschenden Wertesystems als auch der weitergehenden strategischen Rolle darstellen, die die Union gegenwärtig weltweit zu spielen aufgefordert ist.

Die Notwendigkeit eines Gleichgewichts zwischen der Liberalisierung des weltweiten Handels einerseits und einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum unter Achtung der Menschenrechte und der sozialen Rechte andererseits stellt sich heute als conditio sine qua non für das Überleben unseres Planeten. Deshalb ist es erforderlich, zu einer Vereinbarung über allseits akzeptierte Regeln sowie die Art ihrer Anwendung und die Aufstellung eines Kodex mit grundlegenden Sozialstandards zu gelangen. In folgenden Bereichen muß die Union unverzüglich und vorrangig tätig werden:

‐ Erstens in bezug auf die energische Unterstützung der Initiativen der Internationalen Arbeitsorganisation und die Verbesserung ihrer Zusammenarbeit mit der WTO, damit alle Mitglieder der WTO zumindest die Erklärung zu den Grundsätzen der Internationalen Arbeitsorganisation ratifizieren.

‐ Zweitens sollte sie Aktionen zur Bekämpfung der Zwangsarbeit von Kindern einleiten und Programme zur Förderung der Schulbildung und beruflichen Bildung der Kinder finanzieren, mit einer ersatzweisen Vergütung – da bin ich einverstanden – für das entgangene Familieneinkommen. Im übrigen haben wir ja das ausgezeichnete Beispiel des Programms der Union für Pakistan.

Wie in einer jüngsten Studie des Internationalen Arbeitsamts festgestellt wurde, arbeiten weltweit ca. 250 Millionen Kinder im Alter von 5‐14 Jahren unter harten Bedingungen und für erschreckend wenig Lohn, und 120 Millionen Kinder sind gezwungen, die Schule zu verlassen, um arbeiten zu gehen. Erst in allerletzter Zeit gab es Enthüllungen zur Kinderarbeit in der Türkei und zum Verhalten bestimmter multinationaler Gesellschaften.

Abschließend, Herr Präsident, möchte ich sagen, daß die Europäische Union mit ihrer ständig wachsenden Ausstrahlung, ihrem Prestige und ihrer politischen Macht sich wirksam für die Durchsetzung von Arbeitsnormen einsetzen kann, die den Menschenrechten überall in der Welt gerecht werden.

  Caudron (PSE).(FR) Herr Präsident, Herr Kommissar Marín, liebe Kolleginnen und Kollegen! An der Aussprache über den ausgezeichneten Bericht unseres Kollegen Sainjon kann erneut ermessen werden, wie weit die Standpunkte der Progressisten und einiger Konservativer bei den sozialen Fragen sowie in der Frage des den Arbeitnehmern weltweit und in sämtlichen Unternehmen eingeräumten Platzes auseinanderliegen.

Das Ausmaß dieser Kluft mag uns betroffen machen, doch können wir wirklich darüber erstaunt sein? Der Bericht Sainjon bietet nun die Möglichkeit zu bedeutenden Fortschritten bei den sozialen Normen. Er befürwortet die Einführung von Grundsätzen und Normen in die Wirtschaftsbeziehungen, durch die Kollektivverhandlungen gefördert werden. Er nimmt den Kampf gegen die Ausbeutung von Kindern auf, die auch zur Herstellung von Spielzeug für unsere eigenen Kinder ausgebeutet werden. Daher unterstütze ich vorbehaltlos die Aufforderungen des Berichterstatters und seine zugleich durch Pragmatismus und wirklichen politischen Willen gekennzeichneten Vorschläge.

Ganz besonders begrüße ich in diesem Zusammenhang die Einführung von Sozialklauseln für Unternehmen, die in den Genuß von Gemeinschaftsmaßnahmen zur Förderung von Investitionen in Drittländern kommen. Im Zusammenhang mit diesem Vorschlag möchte ich den Wunsch äußern, daß das System zukünftig auf Unternehmen erweitert werden möge, die sich an Ausschreibungen von öffentlichen Aufträgen beteiligen. Eine öffentliche Körperschaft sollte die Möglichkeit haben, in ihren Lastenheften Grundprinzipien und soziale Mindeststandards festzulegen.

Denn – wie Sie wissen – bedeutet bei öffentlichen Aufträgen die Zuschlagserteilung an den Anbieter mit dem niedrigsten Preis allzu häufig, das Unternehmen auszuwählen, das auch die niedrigsten Sozialstandards bietet, was für niemanden gut ist, insbesondere nicht für die Arbeitnehmer.
Abschließend möchte ich bemerken, daß ich zwar den Vorschlag unterstütze, Unternehmen, die nicht die festgelegten sozialen Mindestnormen einhalten, im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften und auf den Internet‐Seiten der Kommission namentlich aufzuführen, doch hätte ich persönlich zugegebenermaßen spürbarere, wenn auch nicht schwerere Sanktionen bevorzugt; gleichwohl finden – um es nochmals zu sagen – der Bericht und die Vorschläge von André Sainjon meine uneingeschränkte Unterstützung.

  Marín, Vizepräsident der Kommission. – (ES) Herr Präsident! Die Kommission beglückwünscht sich zur Vorlage des ausgezeichneten Berichts von Herrn Sainjon, der einmal mehr seine Sensibilität in bezug auf diese Fragen beweist. Er kommt unserer Meinung nach zu einem günstigen Zeitpunkt, um eine Bilanz der Politik der Europäischen Union auf einem sensiblen und sich ständig verändernden Gebiet zu erarbeiten, auf dem nach meinem Dafürhalten das Parlament und die Kommission stets aktiv und fruchtbringend zusammengearbeitet haben.

In allgemeinen Zügen teilt die Kommission die von Herrn Sainjon und insgesamt vom Europäischen Parlament angeführten Analysen, Fragen und Besorgnisse. In dieser Angelegenheit stehen wir in der Tat an einem Scheideweg. Seit der ersten großen Debatte im Parlament zu diesem Thema im Jahre 1994 haben wir folgende Maßnahmen ergriffen: Wir haben – und das war ein sehr wichtiger Punkt in unserer ersten Diskussion – den Ansatz des Zwangs, der Sanktion und des Protektionismus verworfen, der auch von der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation 1996 in Singapur eindeutig abgelehnt wurde. Im Gegenteil führte uns die von der Europäischen Union gewählte Option, unter der Führung des Europäischen Parlaments, zur Definition einer Politik der Unterstützung der international anerkannten Sozialnormen gerade durch die Schaffung eines positiven Anreizes, wie in den Klauseln des Systems allgemeiner Zollpräferenzen (APS) bestätigt wird. In diesem Sinne wurde mit unseren Partnern weltweit ein Dialog auf der Grundlage der Zusammenarbeit und Überzeugung begonnen, der sich widerspiegelt in dem, was unserer Meinung nach der wesentlichste erreichte Fortschritt ist, nämlich die Verhandlungen mit der Regierung von Pakistan über das IPEC, einem sehr ambitiösen Programm, auf das sich alle unsere Kooperationsbemühungen mit Pakistan konzentrieren.

Natürlich – um auf andere Redebeiträge hier einzugehen, wie beispielsweise von Herrn Kreissl‐Dörfler – ist zumindest der Vertrag unterzeichnet. Wir werden sehen, wie wir ihn umsetzen, aber auf jeden Fall ist dies ein Beispiel dafür, daß die Kommission manche Dinge richtig macht. Glauben Sie mir, die Verhandlungen mit Pakistan sind nicht leicht gewesen, aber wir haben ein sehr wichtiges Projekt, das in einem Zielland in einer so sensiblen Problematik, wie sie die Kinderarbeit darstellt, zum Tragen kommt.

Demzufolge glaube ich, Herr Sainjon, daß der Ansatz der Europäischen Kommission auf direkter Linie mit dem 1994 hier im Europäischen Parlament bestätigten Bericht liegt. Wir sind auch im negativen Sinne tätig geworden, wie im konkreten Fall von Birma, wo wir das gesamte Verfahrenssystem aufgrund der Klage des Europäischen Gewerkschaftsbundes und der NGO durchlaufen mußten, was uns ein „Einfahren” des Systems gestattet hat, da es in der Kommission keine Rechtsprechung darüber gab, wie Birma von den Vergünstigungen des APS ausgeschlossen werden konnte.

Folglich ist die Bilanz im Prinzip – und es braucht Zeit, um die Programme zu realisieren – positiv. Wir haben eine Politik des Anreizes mit einem Begünstigungsinstrument zu ihrer Durchsetzung, nämlich das APS. Aber natürlich ist das nicht ausreichend, und wir glauben, das Europäische Parlament und insbesondere Herr Sainjon tun gut daran, dies zu betonen.

Es sind noch genügend Hindernisse zu überwinden, um diese Politik vor Ort richtig umzusetzen. Das erste Hindernis besteht im Instrument selbst, dem allgemeinen Zollpräferenzsystem. Diesem Instrument sind durch seine Definition Grenzen gesetzt, da es eine zusätzliche Präferenzspanne zwischen 15 % bzw. 25 % in Abhängigkeit von den Produkten hat. Jetzt sind ihm enge Grenzen gesetzt, weil mit dem Fortschritt der WTO‐Verhandlungen der Vorzugscharakter des allgemeinen Zollpräferenzsystems logischerweise abnimmt und immer weniger anziehend wird – das ist eine Realität, der wir Rechnung tragen müssen –, und demzufolge werden die Zollspannen allmählich und langfristig immer weniger attraktiv.

In Wahrnehmung der Aufforderung, die der Bericht an die Kommission richtet, wäre es besonders interessant zu überdenken, wie die sozialen und Umweltdimensionen vollständig in den Handelsabkommen, die die Europäische Union verhandelt oder verhandeln will, berücksichtigt werden können, vor allem wo wir Möglichkeiten des freien Handels bzw. der gestaffelten Liberalisierung des Warenaustauschs anbieten.

Ich spreche in erster Linie von dem mich betreffenden Gebiet, den Mittelmeerländern, den AKP‐Ländern – wenn dieser Gedanke schließlich bei der Erneuerung des Abkommens akzeptiert wird – und in Lateinamerika, bei Mercosur, Chile und Mexiko.

Es ist natürlich klar, daß diese Strategie nicht die Ziele der gemeinsamen Handelspolitik gefährden darf. Darüber hinaus gibt es eine Reihe interessanter Präzedenzfälle, diese Klauseln sind nämlich schon im Freihandelsabkommen für Lateinamerika enthalten. Und wie Sie wissen, sind solche Klauseln auch in den bilateralen Abkommen mit Chile und Kanada vorhanden. Deshalb sage ich, daß sich diese Philosophie zwar nicht stark, aber immer etwas mehr verbreitet.

Was den Verhaltenskodex für europäische Unternehmen angeht, so werden wir den Bericht Howitt morgen diskutieren, und tatsächlich müssen wir auch auf diesem Weg vorankommen.

Die europäische Initiative zur Schaffung der finanziellen Bedingungen für eine wirkliche Begleitpolitik zur Unterstützung der Familien und schulischen Ausbildung der Kinder ist ebenfalls eine Anregung, die die Kommission natürlich prüfen muß.

Aber abgesehen von diesen Zusatzbestimmungen kommen wir meiner Meinung nach nicht umhin, über die Realität zu sprechen. Das wirkliche Hindernis ist nicht technischer, sondern vor allem politischer Natur. Das Instrument – das allgemeine Zollpräferenzsystem – existiert und könnte schon genutzt werden, aber es wird nicht oder jedenfalls nicht ausreichend genutzt.

Seit dem 25. Mai 1998, dem Datum seiner Annahme, hat nur ein Land die als Anreiz konzipierten Vergünstigungen durch die sogenannte Sozialklausel beantragt. Dieses Land ist Moldawien. Wir haben nur diesen Antrag erhalten. Moldawien ist wenig, aber es ist ein kleiner Schritt. Die anderen Länder üben Zurückhaltung bei der Ergreifung der Initiative, und es muß ein politischer Dialog in Gang gesetzt werden, um diese Zurückhaltung zu überwinden, die in vielen Drittländern hinsichtlich der Verbindung von Sozialnormen und Handel besteht. Im Moment gibt es noch keine internationale Debatte, die es ermöglicht, die Drittländer, die die Begünstigungen des APS beantragen, davon zu überzeugen, sich in der von uns allen gewünschten Richtung zu bewegen. Es muß gesagt werden: Viele von ihnen sind weiterhin der Auffassung, daß diese Frage eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten ist. Sie geben eine politische Erklärung ab, indem sie darauf hinweisen, daß es dafür die IAO gibt, daß eine Unterzeichnung der IAO‐Übereinkommen ausreichend ist und die Europäische Union demzufolge keinen Grund hat, bilaterale Vereinbarungen zu dieser Frage zu fordern, da dies eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten bedeutet.

Andererseits besitzt die Sozialklausel des APS eine unzureichende territoriale Abdeckung. Wie Sie wissen, hatten wir im Rat eine Erweiterung der Sozialklausel vorgeschlagen. Der Rat hat diesen Vorschlag der Kommission jedoch abgelehnt, und lassen Sie uns einmal dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, und dem Rat, was dem Rat zusteht, der sich normalerweise nicht in diese Art von Debatten einzumischen pflegt, und deshalb muß es immer die Kommission sein, die die Last der Erklärung zu diesen Angelegenheiten zu tragen hat. Ich kann auch nicht verstehen, warum der Rat den Vorschlag der Kommission abgelehnt hat, aber es ist eine Tatsache.

Wir sind der Meinung, daß die IAO unterstützt werden muß, die zur Zeit bekanntlich versucht, in ihrer Organisation selbst eine Reihe von Mechanismen zur Anwendung zu bringen. Das Problem der Mechanismen der IAO besteht darin, daß ihre Reichweite gerade dadurch eingeschränkt wird, daß eine dreiseitige Verständigung erzielt werden muß. Ich habe mit Herrn Hansen gesprochen und ihm vorgeschlagen, diese große Konferenz von Mitgliedstaaten, Gewerkschaften und Drittländern einzuberufen, wenn die IAO es wünscht, um genau solche Elemente zu beleuchten, die definitiv Gründe zur Weiterführung dieser Politik darstellen. Und sie prüfen das.

Ich halte es für gut, daß die WTO selbst beschlossen hat, wie Sie in Ihrem Bericht bemerken, den Artikel 20 zu ändern und die Sozialnormen zu einem Zugangskriterium zur WTO zu machen. Dies ist eine Frage, die nach meiner Meinung in der Europäischen Union diskutiert werden sollte. Das wird außerordentlich delikat sein, denn es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß die Mitgliedstaaten zu dieser Frage sehr geteilter Meinung sind.

Was den Gedanken betrifft, die Aufnahme der beitrittswilligen Länder an eine spezifische Bedingung in bezug auf die Übereinkommen der IAO zu binden, so ist dies im wesentlichen bereits im screening ‐Prozeß der Beitrittskandidaten enthalten. In der Tat ist es logisch, daß eine Übereinkunft der IAO, die von der Europäischen Union oder ihren Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde, als ein weiteres Element des gemeinschaftlichen Besitzstandes verstanden werden muß, und nach meiner Auffassung gibt es keinen besonderen Grund, aus dem die beitragswilligen Länder oder diejenigen, die schließlich beitreten möchten, nicht dieselbe allgemeine Regelung der Europäischen Union akzeptieren sollten.

Zum Schluß muß ich bemerken, daß dies eine Debatte ist, die lange Zeit in Anspruch nehmen wird. Wie ich bereits sagte, teilt die Kommission die Kriterien des Berichts Sainjon. Ich gebe zu, daß wir nur in kleinen Schritten vorankommen, aber es ist die richtige Philosophie. Es kann keine andere geben.

  Der Präsident . – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.


10. Seehäfen und Seeverkehrsinfrastruktur

  Der Präsident . – Nach der Tagesordnung folgt die gemeinsame Aussprache über folgende Berichte:

‐ A4‐0371/98 von Herrn Danesin im Namen des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr über die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, den Wirtschafts‐ und Sozialausschuß und den Ausschuß der Regionen über öffentlich‐private Partnerschaften bei transeuropäischen Verkehrsprojekten (KOM(97)0453 – C4‐0020/98),

‐ A4‐0375/98 von Herrn Jarzembowski im Namen des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr über das Grünbuch der Kommission über Seehäfen und Seeverkehrsinfrastruktur (KOM(97)0678 – C4‐0022/98),

‐ A4‐0413/98 von Frau Langenhagen im Namen des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr über die Mitteilung der Kommission „Aufbau eines transeuropäischen Ortungs‐ und Navigationsnetzes – Eine europäische Strategie für globale Satellitennavigationssysteme (GNSS)” (KOM(98)0029 – C4‐0188/98).

  Sisó Cruellas (PPE), stellvertretender Berichterstatter – (ES) Herr Präsident! Da es dem Berichterstatter, Herrn Danesin, nicht möglich ist, zu dieser Aussprache zu erscheinen, habe ich die Ehre, ihn zu vertreten, um den Inhalt seines Berichts zu erläutern. Eingangs möchte ich Herrn Danesin zu der ausgezeichneten Arbeit bei der Abfassung des Berichts beglückwünschen.

Wie es anders nicht sein kann, werde ich mich auf einige Aspekte des Inhalts des Entschließungsantrags zur Mitteilung der Kommission über öffentlich‐private Partnerschaften bei den transeuropäischen Verkehrsprojekten beschränken, den der Ausschuß für Verkehr und Fremdenverkehr praktisch einstimmig angenommen hat, da es nur eine Enthaltung und keine Gegenstimme gab.

Ein aufmerksames Studium der Mitteilung über öffentlich‐private Partnerschaften bei den Projekten des transeuropäischen Verkehrsnetzes und eine Beurteilung der realen Probleme, die letztendlich der Auslöser für diese Mitteilung waren, bringen zutage, daß es folgende Schlüsselfragen gibt: die Unzulänglichkeiten der langfristigen europäischen Kapitalmärkte (entscheidende Märkte zur Verwaltung des Investitionsrisikos mit sehr langen Fälligkeitszeiten), das Fehlen ausgereifter Projekte, vor allem für die Länder Mittel‐ und Osteuropas, das Mißtrauen und die Ungewißheiten des Privatsektors in bezug auf die gegenwärtigen und künftigen Handlungen des öffentlichen Sektors.

Daher sind die Probleme, die durch die öffentlich‐privaten Partnerschaften gelöst werden sollen, zahlreich und kompliziert, vielleicht größer als die Fähigkeit zu ihrer Lösung. Einige der durch die Partnerschaften einzuhaltenden Merkmale sind gemäß Entschließungsantrag: Wahrung des notwendigen Gleichgewichts zwischen den kommerziellen und sozioökonomischen Kriterien in der Entscheidungsphase der Vorhaben; Risikoverteilung, das heißt, der Privatsektor muß sicherstellen, die im Rahmen der Partnerschaft eingegangenen Verpflichtungen erfüllen zu können, damit der öffentliche Sektor nicht gezwungen ist, die Fertigstellung des Vorhabens durch weitere Zuschüsse sichern zu müssen; Durchführung einer Einzelfallprüfung für jede Partnerschaft, die immer einen Kosten/Nutzen‐Vergleich mit einer rein öffentlich finanzierten Alternative hinsichtlich Rentabilität und sozialer Konsequenzen einschließt; absoluter Ausschluß von Auswirkungen auf die öffentlichen Haushaltsdefizite in den Fällen, in denen keine effektiven Zahlungen zwischen Regierung und privaten Investoren erfolgen.

Andererseits wird im hier diskutierten Entschließungsantrag darauf hingewiesen, daß die Zuweisung öffentlicher Finanzierungen eine grundlegende Rolle spielt, und die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, einen Prozentsatz von mindestens 1, 5 % ihrer eigenen Haushaltsmittel für die Realisierung der Verkehrsnetze zur Verfügung zu stellen. Das Europäische Parlament verpflichtet sich seinerseits im Rahmen seiner Zuständigkeiten, alles in seinen Kräften stehende zu unternehmen, damit die Haushaltslinien in Verbindung mit den Verkehrsnetzen über umfangreichere Finanzmittel verfügen können. Gleichzeitig werden die Mitgliedstaaten und die Kommission aufgefordert, alles ihnen mögliche zu tun, um die Rechtsvorschriften für die öffentlichen Ausschreibungen für Infrastrukturvorhaben klar und flexibel zu gestalten, damit sich der Privatsektor an diesen Ausschreibungen beteiligt.

Die Mitgliedstaaten und die Kommission werden dringend ersucht, auch im Fall von öffentlich‐privat finanzierten Projekten ausreichend Transparenz und öffentliche Beteiligung am Planungsprozeß zu gewährleisten.
Das sind die Aspekte, die ich aus diesem Entschließungsentwurf hervorheben möchte.

Zum Schluß, Herr Präsident, bitte ich das Hohe Haus, für den Entwurf zu stimmen, da die öffentlich‐privaten Partnerschaften bei den Projekten des transeuropäischen Verkehrsnetzes sehr positiv zur Veränderung bzw. Mobilisierung der – meiner Meinung nach – notwendigen und unerläßlichen Privatfinanzierung beitragen, denn ohne sie können die aktuellen Baupläne für Verkehrsinfrastrukturen kaum verwirklicht werden, was einen bedeutenden Rückschritt in den Wachstumsprognosen unserer Wirtschaften und den wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsperspektiven sowie der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft verursachen würde.

  Jarzembowski (PPE), Berichterstatter. – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich als Berichterstatter bedanken für die kollegiale Zusammenarbeit im Ausschuß für Verkehr und Fremdenverkehr. Der Bericht wurde nach intensiven Beratungen zwischen den einzelnen Abgeordneten und den Fraktionen einstimmig im Ausschuß angenommen. Man sieht also, trotz aller Fragen, die heute und morgen vielleicht hier im Hause diskutiert werden, gibt es in den Fachausschüssen doch immer noch gute Kollegialität und Zusammenarbeit. Insofern herzlichen Dank an meine Kollegen.

Wir haben in unserem Bericht Stellung genommen zum Grünbuch vom Dezember 1997. Wir sind relativ schnell gewesen und haben versucht, alle Informationen aus dem Bereich der Hafenwirtschaft und der Gewerkschaften aufzunehmen. Wir haben also nicht nur am Grünen Tisch versucht, über das Grünbuch nachzudenken und zu arbeiten. Gemeinsam mit der Kommission sind wir der Auffassung – und das war früher in den Hafenkreisen anders –, daß es eine effektive, wenn auch unter Beachtung der Subsidiarität sachlich begrenzte europäische Seehafenpolitik geben sollte. Das war über viele Jahre umstritten.

Für uns gibt es zwei primäre Zielsetzungen dieser europäischen Seehafenpolitik: Erstens müssen wir endlich faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den europäischen Seehäfen herstellen. Noch immer muß man feststellen, daß der faire Wettbewerb unter den Seehäfen durch regionale und nationale Beihilfen verzerrt wird, und das widerspricht eben zutiefst den Prinzipien eines europäischen Binnenmarktes.

Zweitens sind wir durchaus der Auffassung, daß im Sinne einer auf Dauer tragbaren Mobilität die Gemeinschaft nicht von wenigen Häfen aus erschlossen werden soll, sondern durchaus dezentral von der Peripherie her, damit wir viele Landwege vermeiden können, weil wir umweltschonend transportieren wollen. Natürlich bedeutet das, daß wir so manchen kleineren oder neuen Hafen fördern sollten, aber auch das muß unter der Maxime laufen, daß nicht gegen den fairen Wettbewerb unter den Seehäfen verstoßen wird.

Was bedeuten diese beiden Leitsätze nun ganz konkret in bezug auf unsere Forderungen an die Kommission? Erstens: Die Kommission sollte endlich eine Transparenzstudie über die Wettbewerbsbedingungen unter den und innerhalb der Seehäfen vorlegen. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß nationale und regionale Beihilfen den Wettbewerb verzerren. Damit benachteiligen sie aber auch die Häfen und die Unternehmen, die aufgrund eigenen Engagements ihre Effizienz gesteigert haben und effektiv bleiben wollen. Das Unterminieren der Effizienz durch unzulässige Subventionen muß verhindert werden, aber dazu müssen die Fakten auf dem Tisch liegen. Sie haben eine Menge Fakten, aber Sie haben die Fakten noch nicht zusammengeschrieben und uns vorgelegt. Darauf legen wir als erstes Wert.

Zweitens: Die Kommission ist unabhängig von der Transparenzstudie verpflichtet, schon jetzt Wettbewerbsverstöße zu ahnden und ihnen nachzugehen. Das sollten Sie vermehrt tun. Sie wissen eine ganze Menge, aber wir sind der Auffassung, um eine generell faire Behandlung aller Häfen und Hafenunternehmen zu erreichen, brauchen wir Leitlinien für die Seehafenbeihilfe und Wettbewerbskontrolle und das nicht erst im Jahre 2001, wie aus einem Papier Ihres Hauses hervorgeht, Herr Kommissar. Die hätten wir eigentlich schon vor fünf Jahren haben müssen. Wir brauchen klare Leitlinien, damit bei bestimmten Usancen, die sich in dem einen oder anderen Mitgliedstaat eingebürgert haben, klar gesagt wird: So geht es nicht weiter. Es muß umgestellt werden. Wir brauchen fairen Wettbewerb. Die Häfen und die Unternehmen müssen sich darauf einstellen.

Für diese Leitlinien gilt auch, daß die Finanzierung von Hafen‐ und Seeverkehrsinfrastrukturanlagen in drei Kategorien unterteilt werden muß: den öffentlichen Hafen, die Infrastrukturmaßnahmen, die weder angemeldet noch kontrolliert zu werden brauchen, weil sie keine staatlichen Beihilfen sind. Die unternehmensbezogenen Hafeninfrastrukturmaßnahmen sind nur dann keine Beihilfen, wenn sie refinanziert werden und insofern eben keinen Beihilfecharakter haben. Ansonsten unterliegen sie dem Beihilferecht. Unternehmensbezogene Hafensuprastrukturmaßnahmen hingegen unterliegen nach unserer Auffassung immer dem Beihilferecht, sprich sie sind eigentlich immer verboten; auf Ausnahmefälle gehe ich jetzt nicht ein.

Zum Schluß möchte ich die Kommission auffordern: Schaffen Sie Transparenz, gehen Sie gegen Sünder vor, aber schaffen Sie kein neues Recht, Herr Kommissar. Unser Ausschuß ist der Auffassung, daß wir – jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt – weder den Erlaß einer Richtlinie für seehafenbezogene Infrastrukturen, Gebühren oder Terminals brauchen noch eine Richtlinie über den Marktzugang von Hafendienstleistungen. Ich kann Ihnen sagen: Die holländischen Schlepper sind in Hamburg eingebrochen, die hamburgischen Schlepper brechen in Antwerpen ein. Es funktioniert ohne neues Recht, wenn die Kommission die Marktkräfte unterstützt. Deshalb bitten wir die Kommission, nach dem geltenden Recht weiterzuarbeiten. Sparen Sie sich eine neue Rechtsetzung, sondern arbeiten Sie mit dem Beihilfe‐ und Wettbewerbsrecht und schützen Sie die Häfen, die sich selbst anstrengen, und lassen Sie uns gemeinsam die anderen unterstützen, aber das oberste Ziel muß sein: keine Wettbewerbsverzerrung.

  Langenhagen (PPE), Berichterstatterin. – Herr Präsident, Herr Kommissar! Georg, Deinen Satz über die kleinen Seehäfen habe ich sehr gerne gehört.

GNSS erlaubt uns, den immer höher werdenden Anforderungen an aktuelle Positions‐ und Zeitbestimmungen in unserer täglichen Arbeits‐ und auch Freizeitwelt gerecht zu werden. Wir werden eine immer größere Effizienz in der Verkehrsinfrastruktur erreichen, gleichzeitig die Sicherheit erhöhen und die Umweltbelastung verringern. Kurz, mit einem europäischen GNSS können wir ein effizienteres und ökologischeres Gesamtverkehrssystem in Europa schaffen. Mit der Satellitentechnik werden wir – um nur ein paar Beispiele zu nennen – den Fluglotsen in seiner Arbeit entlasten, und somit wird im Flugverkehr durch eine satellitengesteuerte Verkehrslenkung eine größere Sicherheit für die Passagiere erreicht.

Im Straßentransportsektor können die Ladungen und die Standorte der Lkws jederzeit genau bestimmt werden, was eine genauere Planung der Distributionslogistik erlaubt. Vielleicht am bekanntesten ist die Nutzung der Satellitennavigationstechnik im Bereich der Schiffahrt und der Fischerei – zunächst boykottiert, dann selbstverständlich gehandhabt.

Im Freizeitbereich haben immer mehr Hobbysegler ihr Boot mit Satellitennavigationstechnik ausgestattet. Die Ausweitung der Nutzungsmöglichkeiten scheint endlos. Man denke auch nur an das durchaus mögliche Szenario, daß auch viele Hobbybergsteiger in Zukunft nicht mehr ohne ein Satellitennavigationssystem auskommen werden.
Wir reden bei GNSS also nicht nur über eine technische Errungenschaft für wenige, sondern vielmehr über einen neuen Markt für alle.

Momentan werden wir weltweit zwei Satellitennavigationssysteme zur Anwendung bringen können, das amerikanische GPS und das russische GLONASS. Diese beiden Systeme bieten aber gerade für uns Europäer einige wesentliche Nachteile. Beide Systeme sind staatlich kontrolliert und für militärische Zwecke konzipiert. Die Amerikaner stellen ihr System grundsätzlich nur beschränkt der zivilen Nutzung zur Verfügung, und daraus resultiert für den europäischen Nutzer ein erhebliches Defizit. Dieses zeigt sich in mangelnder Genauigkeit bei zu hoher technischer Fehlerwahrscheinlichkeit und zu langen Wartezeiten bei eventuellen Systemausfällen, die es schon gegeben hat.

Das bedeutet, daß es keine Garantie dafür gibt, daß das System permanent zur Verfügung steht. Durch die Mitbenutzung des amerikanischen GPS befinden wir uns also in einer großen Abhängigkeit von den Amerikanern und von ihrem Willen, uns die Signale mehr oder weniger vollständig zu übermitteln.

Zukünftig werden weltumspannende Netze für Satellitenkommunikation eingerichtet werden. Hierin liegt ein enormes Wachstumspotential für die europäische Weltraumforschung, und das ist auch Europas Chance, dem kommenden internationalen Wettbewerb standzuhalten und den dominierenden Anbietern Paroli zu bieten.

Wir können hier sogar eine führende Position aufbauen. So steckt hinter GNSS eben wirklich ein enormes Marktpotential, und Europa kann in diesem Marktsegment weltweit vielleicht der erste zivile Anbieter sein. Ein erster Schritt ist getan: Eine enge Kooperation der drei europäischen Institutionen – der Kommission, der europäischen Raumfahrtagentur ESA und der Europäischen Organisation für die Sicherheit im Luftverkehr EUROCONTROL – ist gerade in einem Übereinkommen geregelt worden.

Die Strategie der EU beruht auf zwei Phasen. Zunächst wird man sich auf die genannten Signale stützen. Deren Genauigkeit und Integrität soll allerdings durch zusätzliche, bereits existierende boden‐ und weltraumgestützte Infrastruktur verbessert werden. In der zweiten Phase wird es dann zu einem unabhängigen europäischen System für die zivile Nutzung kommen oder – was ich mehr begrüße – zu einem System der internationalen Zusammenarbeit mit demselben Ziel.

Die europäische Industrie wird sich ein weites Betätigungsfeld erobern für die Entwicklung dieser neuen Technologien in einem innovativen und ständig expandierenden globalen Markt. Damit zusammenhängen werden auch neue Arbeitsplätze im Bereich der Märkte für Forschung, Entwicklung, Ausrüstung und Dienstleistungen. Durch das Zweiphasenmodell wird der Weg zu diesem neuen Markt geebnet.

Es gibt allerdings ein Problem, nämlich die Frage der Finanzierung. Der öffentliche Sektor wird nicht sämtliche Kosten eines solchen Systems tragen, und so bedarf es einiger in sich schlüssiger und umfassender neuer Denkansätze. Denken wir nur an das, was Herr Sisó eben ausgeführt hat, nämlich an das Modell der public private partnership, das hier sicherlich Anwendung finden müssen wird.

Somit spreche ich alle Akteure an, in der Politik, in der Industrie und in Forschungseinrichtungen. Sie sollen mit der Erarbeitung des Satellitennavigationssystems für Europa einen gleichen Zugang zu allen Optionen einer innovativen Grundlagentechnologie schaffen, die aus unserer Zeit nicht mehr wegzudenken ist.

  Ettl (PSE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik. ‐ Herr Präsident! Herr Kommissar! Aus der Sicht des Wirtschaftsausschusses begrüße ich, daß unsere Stellungnahme und unsere Anregungen im Bericht Danesin entscheidend berücksichtigt worden sind, und das ist das Wichtigste.

Aber eine grundsätzliche Anmerkung allgemeiner Art noch zur Sache public private partnership selbst. Das Ziel der Mobilisierung von Privatkapital für die Finanzierung der TEN ist im ersten Anlauf glatt gescheitert, das müssen wir feststellen. Gescheitert ist es an Attraktivität, an administrativen, rechtlichen, aber auch an politischen Hindernissen. Argumentiert wurde seinerzeit damit, daß derartige Projekte sinnvoll und notwendig sind und daß der forcierte Ausbau transeuropäischer Verkehrsprojekte absolutes Nonplusultra ist.

Natürlich wurden diese Projekte auch wegen der positiven Auswirkungen auf die Beschäftigungslage begrüßt. Dabei ist es aber auch schon geblieben. Heute möchte ich noch einen zusätzlichen Aspekt anführen und gerade mit Blick auf die Erweiterung der Europäischen Union darauf hinweisen, daß gerade jetzt der forcierte Ausbau der transeuropäischen Verkehrsnetze notwendig ist.

Wenn wir den Wachstumsraten der beitrittswilligen Länder einigermaßen Rechnung tragen wollen, ist es schon aus umweltpolitischer Sicht absolut notwendig, Verkehrsprojekte voranzutreiben, weil sich ansonsten die umweltpolitischen Probleme so potenzieren werden, daß wir nichts mehr in den Griff kriegen werden, und das mitten in Europa. Eine verbesserte Koordination zwischen EIB und EEF sowie langfristige Finanzierungsmöglichkeiten auch mit Blick auf risk capital sind also notwendig, um in einem zweiten Anlauf öffentlich‐private Partnerschaften attraktiver zu machen. Darüber hinaus ist es notwendig, das Zusammenspiel und die Abgrenzung zwischen privatem und öffentlichem Sektor zu verbessern und den Bedürfnissen der Partner besser Rechnung zu tragen. Nur so, und auch mit einem größeren öffentlichen Mitteleinsatz können wir Projekte morgen starten, die wir heute schon dringend benötigen.

  Scapagnini (PPE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Forschung, technologische Entwicklung und Energie – (IT) Herr Präsident, die Wettbewerbsfähigkeit Europas im Seeverkehrssektor hängt in immer stärkerem Maße vom Verkehrssystem und von den Hafendienstleistungen ab, da mehr als 90 % des Handelsvolumens der Europäischen Union mit Drittländern und nahezu 30 % des innergemeinschaftlichen Handels über die Häfen abgewickelt werden. Daraus ergibt sich offensichtlich die Notwendigkeit, geeignete politische Maßnahmen zu ergreifen, und zwar insbesondere in bezug auf die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen maritimen Industrie – die 2, 5 Millionen Menschen Beschäftigung bietet – und die Perspektiven der Zusammenarbeit mit den Beitrittskandidaten und den Ländern im Mittelmeerraum, die ebenfalls eine große Herausforderung für die nahe Zukunft darstellen.

Eine grundlegende Voraussetzung ist, daß Maßnahmen ergriffen werden, damit das zwischen den südlichen und den nördlichen Seehäfen entstandene Ungleichgewicht behoben wird, was jedoch in der im Grünbuch vorgeschlagenen Strategie nicht klar erkennbar ist. Nach Ansicht des Ausschusses für Forschung, technologische Entwicklung und Energie, dessen Vorsitzender ich bin, muß man dahin gelangen, die Kosten für die Erbringung von Hafendiensten hereinzuholen und die Infrastrukturen durch Einnahmen aus Hafenaktivitäten zu finanzieren. Die Eigenfinanzierung ist unerläßlich für die Transparenz bei der Hafenbuchführung als Voraussetzung für die Einführung eines freien Wettbewerbs.

Im Fünften Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung werden die Probleme der Häfen, der Seeverkehrsstrukturen und der Meerestechnologien berücksichtigt, wobei der Forschung in den Bereichen nachhaltige Mobilität und Zusammenwirken der Verkehrsträger sowie nachhaltige Ökosysteme des Meeres besondere Beachtung geschenkt wird.

Der Ausschuß für Forschung, technologische Entwicklung und Energie unterstützt schließlich den Vorschlag des Europarats zur Schaffung einer europäischen Meeresagentur, die mit der Förderung der Zusammenarbeit zwischen den europäischen High‐Tech‐Zentren, der europäischen maritimen Industrie und den politischen Entscheidungsorganen betraut ist und sich am Kooperationsmodell EUREKA orientiert.

  Maes (ARE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Regionalpolitik. – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Namen von Jaak Vandemeulebroucke, der hier als Berichterstatter des Ausschusses für Regionalpolitik vorgesehen war und dessen Nachfolgerin ich sein darf, möchte ich einige Dinge besonders hervorheben. So mußte der Ausschuß unter anderem erkennen, wie schwierig es ist, einheitliche Maßnahmen auf einem Gebiet mit enormen Unterschieden in der Organisations‐ und Eigentumsstruktur umzusetzen. Auch die Bedeutung von Abgrenzung und multimodalem Verkehr möchte ich erwähnen. Erfreulicherweise treten an die Stelle des einseitigen Interesses für den Straßenverkehr nun allmählich andere Prioritäten. Ich möchte auch auf die Funktion von Häfen als Bindeglied für benachteiligte europäische Regionen und zugleich auf die großen Unterschiede in der geographischen Begebenheit hinweisen. Im Bericht steht zwar etwas über die Schwierigkeiten bestimmter Inselgebiete, dennoch sollten wir beispielsweise die landseitige Lage einiger großer Seehäfen nicht vergessen. Ich wohne in der Nähe von Antwerpen. Sie verstehen, was ich meine. Jährlich fallen dort Kosten in Höhe von 8 Milliarden für Baggerarbeiten an, weil der Zugang zum Hafen ständig freigehalten werden muß. Für die Wettbewerbsstellung dieses Seehafens käme es einer Katastrophe gleich, müßten diese Baggerkosten dem Nutzer angelastet werden. Sie werden dafür Verständnis haben, wenn wir darauf achten, welche konkreten Maßnahmen im Hinblick auf die Umsetzung Ihrer Politik ergriffen werden. Im Gegensatz zu wichtigen südeuropäischen, nordischen und britischen Häfen erhalten unsere nämlich keine Mittel aus dem EFRE und dem Kohäsionsfonds. Die Kommission wird dieser geographischen Lage hoffentlich Rechnung tragen. Ich begrüße es sehr, daß Sie auch eine integrierte Raumordnungspolitik verfolgen wollen. Unsere Häfen sind nämlich wahre Vielfraße, was Raum betrifft. Ich möchte mich an dieser Stelle mit einem kleinen Dorf in meiner Gegend, mit Doel, solidarisch erklären, das der Expansion Antwerpens zum Opfer fallen soll.

  Pompidou (UPE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Forschung, technologische Entwicklung und Energie. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde nicht auf den bemerkenswerten Bericht Langenhagen zurückkommen, in dem es um die Verteidigung einer europäischen Strategie für ein weltweites Navigationssystem zu zivilen Zwecken geht. Es handelt sich um ein sehr technisches und mithin kompliziertes Thema, aber auch um ein hochpolitisches System, da es dabei um die Unabhängigkeit der Europäischen Union auf dem Gebiet der Luftverkehrskontrolle geht.

Das GNSS stellt im übrigen ein Beispiel für die Komplementarität zwischen der Kommission und der Europäischen Raumfahrtagentur ESA unter Beteiligung namentlich von EUROCONTROL dar. Das gilt auch für das Programm EGNOS. Ich werde in diesem Zusammenhang auf drei Punkte näher eingehen, für die der Ausschuß für Forschung, technologische Entwicklung und Energie gestimmt hat, und die ich als Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses in Form von Änderungsanträgen eingereicht habe.

Erstens muß die Notwendigkeit betont werden, durch das Fünfte Rahmenprogramm die Grundlagenforschung sowie die technologischen Demonstrationen, die zur Entwicklung leistungsfähiger, den Anforderungen der Navigation sowie des Fahrzeugverkehrs entsprechender Satelliten erforderlich sind, zu fördern, aber gleichzeitig die bodengestützten Infrastrukturen und vor allem die Bordanlagen der verschiedenen Fahrzeuge zu verbessern. Der GNSS‐Weltmarkt beläuft sich nämlich auf 40 Milliarden Euro, davon 10 für Satelliten und 30 für bodengestützte Infrastrukturen sowie Bordanlagen. Die Verbesserung des Luftverkehrs und vor allem dessen Sicherheit stellen eine der Herausforderungen des europäischen GNSS dar, doch muß auch ein besseres Verkehrsmanagement in den Bereichen See‐ und Landverkehr (Straßen‐ und Schienenverkehr) angestrebt werden.

Schließlich muß der Einsatz des GNSS auch auf andere Anwendungszwecke ausgedehnt werden, wie sie in dem Bericht Langenhagen genannt sind, insbesondere auf den See‐Rettungsdienst. In diesem Zusammenhang sind die richtige Festlegung der Standorte der bodengestützten Anlagen sowie vor allem die erforderliche Verflechtung zwischen Flughafenanlagen und den Einrichtungen zur Weitergabe von Informationen über den See‐ und Landverkehr unerläßlich. Damit wird die Europäische Union nicht nur über ein globales Satellitenortungs‐ und Navigationssystem verfügen, sondern auch über die Instrumente zur Nutzung dieses Systems für die Verbesserung des Luft‐, Land‐ und Seeverkehrs, die ja das Endziel des europäischen GNSS darstellt.

  Malerba (PPE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen – (IT) Herr Präsident, ich werde auch dem Grünbuch einen Teil meiner vierminütigen Redezeit widmen, ja ich möchte sogar damit beginnen, indem ich behaupte, daß das Grünbuch über Seehäfen und Seeverkehrsinfrastruktur große Erwartungen geweckt hat, u.a. weil die Seehäfen erstmals als integraler Bestandteil des TEN‐Systems anerkannt werden. Zugleich hat es jedoch auch unter den Hafenunternehmen eine gewisse Besorgnis hinsichtlich der Finanzierung der Hafeninfrastruktur ausgelöst, da es die vor allem zwischen den nord‐ und den südeuropäischen Häfen bestehenden Unterschiede nicht vollständig zu berücksichtigen scheint.

Im Mittelmeer hat der Verkehr nach einer langen Zeit der Stagnation gerade in den letzten 10 Jahren die stärkste Entwicklung zu verzeichnen, und zwar dank des Wachstums des internationalen Verkehrs auf der über den Suez‐Kanal laufenden Route sowie dank des örtlichen Verkehrs, einschließlich des Personenverkehrs. Es wurden zweistellige Wachstumsraten verbucht, und viele Häfen haben endlich den unternehmerischen Wandel vollzogen, indem sie sich mit moderneren und wettbewerbsfähigeren Organisationsformen ausstatteten. Trotzdem reichen die Infrastruktureinrichtungen für ein nachhaltiges Wachstum bei weitem noch nicht aus.

Ferner bestehen zwischen den einzelnen Häfen der europäischen Regionen sowohl institutionell als auch administrativ immer noch große Unterschiede hinsichtlich der Methoden der Finanzkooperation zwischen Hafenverwaltungen und örtlichen Behörden. Deshalb ist der in dem ausgezeichneten Bericht von Herrn Jarzembowski enthaltene Hinweis auf eine der Kommission empfohlene Transparenzstudie, d.h. eine Bestandsaufnahme über die unterschiedlichen Typologien der europäischen Häfen, sehr wichtig.

Ich möchte noch zwei weitere Punkte zu diesem Thema hervorheben. Die für den Wettbewerb unter den Häfen geltenden Regeln sollten keine formellen Ausnahmen zulassen und, wenn überhaupt, dann diejenigen belohnen, die den Übergang zu einer unternehmensbezogenen Organisation bereits vollzogen haben, und nicht diejenigen, die immer noch wie staatliche Unternehmen arbeiten. Der zweite Punkt betrifft die Beförderung von Passagieren auf dem Seeweg, die meines Erachtens vor allem im Mittelmeer als Faktor der wirtschaftlichen, sozialen und regionalen Entwicklung strategische Bedeutung erlangt. Die Entwicklung der Hafeninfrastrukturen im Mittelmeer muß auch in Drittländern unbedingt gefördert werden.

Ich komme nun zur Satellitennavigation und möchte als Sprecher des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen einige Bemerkungen zu dem hervorragenden Bericht von Frau Langenhagen anfügen. Es steht wohl außer Zweifel, daß Europa ein Strategie‐Projekt mit einem riesigen Potential in seiner Reichweite hat, das technologisch nicht allzu schwierig ist und das auch und vor allem in keinem Mißverhältnis zu den Mitteln und den ehrgeizigen Zielen Europas steht. Wir könnten es also schaffen. Dieses Vorhaben wäre zugleich Symbol einer Technologie im Dienste der Sicherheit und der Effizienz und könnte das Augenmerk der Bürger verstärkt auf die europäische Zusammenarbeit lenken. Es ist also Zeit, das Tempo der Entscheidungen und Investitionen für ein europäisches Satellitennavigationssystem zu beschleunigen. Ich meine, der Forschungsausschuß hat das Seine bereits im Fünften Forschungsrahmenprogramm getan; nun ist es an Kommissar Kinnock, eine Finanzierungsmethode für die Infrastruktur vorzuschlagen.

Was die internationalen Verhandlungen anbelangt, so liegt es meines Erachtens auf der Hand, daß das GPS für die Vereinigten Staaten immer noch eine doppelte Bedeutung, nämlich eine zivile und eine militärische, hat. Ich würde also so weit gehen, die an sich paradoxe Behauptung aufzustellen, daß es nicht nur im Interesse Europas, sondern auch im Interesse der USA liegt, wenn Europa eine eigene Initiative für eine neue Satellitenkonstellation mit regionaler und globaler Ausrichtung ergreift. Natürlich wollen wir, daß dieses System mit dem der USA interoperabel ist, das ist offensichtlich; zudem fördern wir auch die Zusammenarbeit mit den Schwellenländern des Raumfahrtsektors wie China und Indien. Darüber hinaus wäre auch eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Rußland von Interesse, obgleich hier ein Risiko in bezug auf die Zuverlässigkeit seines Systems besteht.

Noch eine letzte kurze Bemerkung zur Notwendigkeit, eine Europäische Navigationsagentur zur Zertifizierung einzurichten. Meines Erachtens sollte auch dies gebührend berücksichtigt werden.

  Castricum (PSE).(NL) Herr Präsident! In der letzten Woche hörte ich im Radio die Geschichte eines Spediteurs, der probeweise einen Container per Bahn vom Süden der Niederlande nach Cádiz versendet und nach fünfeinhalb Tagen die Nachricht erhalten hatte, die Sendung sei in Spanien eingetroffen. Daran mußte ich denken, als ich das Grünbuch über Seehäfen und Seeverkehrs‐Infrastruktur noch einmal durchblätterte und die zweite Zeile auf mich wirken ließ. Die Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Weltwirtschaft hängt immer mehr von einem effizienten und rentablen Verkehrssystem ab. Die unserem Ausschuß vorliegenden Dokumente müssen mehr als bisher vor diesem Hintergrund bewertet werden. Unter den Häfen ist ein gewaltiger Wettbewerb entbrannt. Mit dem Grünbuch wird keinen Tag zu früh eine Linie für eine gewisse Ordnung ausgegeben, die zu den Regeln paßt, die auch für zahlreiche andere Sektoren gelten. Das ist gerade dort um so zutreffender, wo sich Hafenkomplexe immer mehr zu Gebieten entwickelt haben, in denen sich die unterschiedlichsten Formen des Verkehrs, der Industrie, des Handels und zuweilen andere anspruchsvolle Dienstleistungen konzentrieren. Leider kann ich hier und jetzt nicht noch einmal ausführlich auf die wichtigsten Punkte des Grünbuchs eingehen. Mein Kompliment an die Kommission für Ihr Bemühen um maximale Vollständigkeit sowie an Kollegen Jarzembowski für das Ergebnis seiner akribischen Arbeit.

Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen. Das Grünbuch stammt von Ende 1997. Inzwischen haben wir bereits zwei Jahreswechsel erlebt, so kann man es auch sehen, Kollege Jarzembowski. Sie haben eine etwas andere Betrachtungsweise gewählt, nur sind wir inzwischen schon zwei Kalenderjahre weiter. Obwohl die Kommission und bald das Parlament den Bericht von Kollegen Jarzembowski mit Sicherheit annehmen werden, ist angesichts der inzwischen verstrichenen Zeit jedoch davon auszugehen, daß die Kommission die notwendigen Arbeiten fortgeführt hat. Der erste, zugleich aber auch entscheidende Schritt ist die Erhebung der notwendigen Daten. Zuverlässiger und vergleichbarer Daten. Kann der Kommissar heute abend mitteilen, ob es möglicherweise bereits Fortschritte gibt, denn meines Wissens sind umfangreiche Fragebögen verschickt worden?

Herr Präsident, mehrere Fraktionen haben Änderungsanträge eingebracht. Allzu viele sind es nicht. Das beweist einmal mehr, was wir bereits seit der Behandlung im Ausschuß wußten, daß nämlich zum Bericht von Kollegen Jarzembowski ein breiter Konsens besteht. Deshalb sehen wir uns auch nicht veranlaßt, die neu eingereichten Änderungsanträge zu unterstützen. Allerdings habe ich an den Kommissar noch eine Frage zu Änderungsantrag 8 von Kollegen Lagendijk. Ich darf den Kommissar bitten, noch einmal zu prüfen, ob es möglich ist, unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips die tatsächliche Kooperation der Häfen zu fördern. Nach meiner festen Überzeugung könnte auch sie der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft in der Welt zugute kommen.

  Sisó Cruellas (PPE).(ES) Herr Präsident! In erster Linie möchte ich die beiden anderen Berichterstatter dieser gemeinsamen Aussprache, Herrn Jarzembowski und Frau Langenhagen, beglückwünschen.

Es ist so offenkundig, daß die Entwicklung der transeuropäischen Verkehrsnetze ein entscheidender Faktor für die Erreichung des Wirtschaftswachstums, der Ziele der sozioökonomischen Kohäsion und der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft ist, daß dies nicht weiter betont werden muß.

Aber genauso klar ist, daß zum Bau dieser Infrastrukturen erhebliche Investitionen erforderlich sind und bei Haushaltskürzungen, wie sie zur Zeit vorgenommen werden, die Mitgliedstaaten sie nicht finanzieren können. Deshalb sind Privatmittel unerläßlich. Aus diesem Grund können die von der Kommission angeregten öffentlich‐privaten Partnerschaften ein wertvolles Instrument zur Gewährleistung der notwendigen Finanzierung für die Ausführung und Inbetriebnahme der transeuropäischen Verkehrsnetze sein.

Dies wird unter der Bedingung möglich sein, daß den potentiellen Investoren und Bauunternehmen sowie den Verkehrsdienstleistern und der Kapitalgüterindustrie ein stabiler Rahmen für ihre finanziellen Transaktionen geboten wird. Die Stabilität hängt natürlich auch davon ab, daß die Regierungen der Partnerländer ihrer Verantwortung gerecht werden, indem sie einen klaren politischen und gesetzlichen Rahmen schaffen, durch den die Investoren die politischen und administrativen Risiken der Projekte erkennen können und andererseits die Bestimmungen der Europäischen Union in bezug auf Wettbewerb, Umwelt und öffentliche Auftragsvergabe respektiert werden.

Bis jetzt, und obwohl allgemein ein guter Wille vorhanden ist, scheint es den verschiedenen einbezogenen Akteuren nicht zu gelingen, die Einbeziehung des Privatkapital für die Schaffung von Verkehrsinfrastrukturen in einem angemessenen Rhythmus in Gang zu bringen. Dies erfordert eine größere Anstrengung seitens aller europäischer Finanzinstitutionen, sowohl der öffentlichen als auch der privaten, und der verschiedenen Akteure im Wirtschafts‐ und Sozialbereich, wenn die bestehenden Schwierigkeiten zur Beschaffung der erforderlichen Mittel zum Aufbau des Verkehrinfrastrukturnetzes überwunden werden sollen. Dieses Netz ist unerläßlich zur Erreichung der Ziele, die sich die Europäische Union gesetzt hat, darunter der Schaffung eines transeuropäischen Infrastrukturnetzes, das zur erfolgreichen Vollendung der Erweiterung der Europäischen Union sowie zur Öffnung des paneuropäischen Verkehrs nach den Staaten Osteuropas und dem Mittelmeerraum beiträgt.

  Wijsenbeek (ELDR).(NL) Herr Präsident, lassen Sie uns zunächst festhalten, daß die drei heute abend erörterten Berichte nur wenige Berührungspunkte haben. Dennoch ist es eine interessante Aussprache geworden, weil wir feststellen können, daß wir in Europa die Verkehrsnetze und ihr eigentliches Funktionieren doch allmählich differenzierter betrachten. Naturgemäß sind die Seehäfen darin die wichtigsten Knotenpunkte. Nicht nur die größten Knackpunkte, sondern zwangsläufig auch die Orte intermodalen Verkehrs.

Wir teilen voll und ganz die Auffassung der Kommission, short sea shipping bedürfe der Förderung. Ich darf die Kommission gleichwohl fragen,

(EN) Herr Kommissar, ich möchte Sie um Ihre Antwort auf die folgende, ganz spezielle Frage bitten: Besteht, sofern staatliche Beihilfen für die Infrastruktur nicht zulässig sind, weil diese nicht zum öffentlichen Eigentum zählen, eine andere Fördermöglichkeit, da intermodale Einrichtungen subventionsfähig sind? Man könnte die Argumentation ja einfach umkehren und sagen, es handle sich nicht um Infrastruktur für die private, sondern die intermodale Nutzung.

(NL) Herr Präsident, ich fahre nun in meiner Muttersprache fort und möchte zum wiederholten Male nachdrücklich betonen, daß wir die Subventionen eigentlich abschaffen und vermehrt zur normalen Marktwirkung übergehen sollten. Insofern ist die Ansicht, wie sie hier vom Kollegen Castricum geäußert wurde, nämlich die Häfen sollten kooperieren, auch grober Unsinn. Häfen sind nun einmal ganz normale Unternehmen, und da kann man nicht sagen: in dem einen Hafen gibt es diese Art Verkehr und in einem anderen Hafen jene. Häfen als solche stehen miteinander im Wettbewerb, und wir müssen die Marktkräfte wirken lassen. Möglicherweise kann die Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokraten und Liberalen, wie sie in meinem Land nun schon seit langem besteht, Herrn Castricum auch eines Tages davon überzeugen.

  Donnay (UPE).(FR) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen es, daß in der Europäischen Union endlich eine Diskussion über die Lage der Seehäfen in Gang gekommen ist und man sich heute mit diesem Thema auseinanderzusetzen beginnt.

Von den Berufskreisen des Sektors war das Grünbuch der Kommission übrigens dringend erwartet worden, und sie hatten auf die dadurch in Aussicht gestellten Entwicklungsmöglichkeiten berechtigte Hoffnungen gesetzt. Die in dem Kommissionsdokument enthaltenen Antworten werden jedoch bei weitem nicht den geweckten Hoffnungen gerecht.

Es muß festgestellt werden, daß das vorliegende Dokument nicht den ursprünglichen Zielsetzungen entspricht. Insbesondere können wir nur bedauern, daß die Rolle und die Bedeutung der Seehäfen von der Kommission nur unvollständig gesehen und anerkannt werden. Häfen haben nämlich nicht nur eine kommerzielle Rolle, sondern dienen auch zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie als Instrumente der Raumordnung. Als solche müssen sie weiterhin in den Genuß einer gewissen staatlichen Unterstützung gelangen. Wir hatten gehofft, daß der Berichterstatter die Schwächen und Lücken in den Kommissionsvorschlägen aufzeigen würde und das Grünbuch bei der Prüfung im Ausschuß in einigen Punkten nutzbringend verbessert werden könnte.

Wir hatten für unseren Teil einige Vorschläge im Hinblick auf die Möglichkeit, den europäischen Häfen neue Impulse zu verleihen, unterbreitet. Keiner unserer Vorschläge wurde jedoch übernommen, weder in dem Kommissionstext noch im Bericht Jarzembowski. Daher muß ich leider sagen – mein Kollege Jarzembowski möge mir dies verzeihen –, daß uns der vorliegende Bericht ebensowenig zufriedenstellt wie der Kommissionstext. Beide Dokumente sind gekennzeichnet durch eine zu begrenzte Betrachtungsweise der Seehäfen, die zwar für den Handel bestimmt sind, aber auch, um es nochmals zu betonen, eine sehr wichtige Rolle bei der Raumordnung spielen und wesentliche Auswirkungen auf die Beschäftigung haben. Weiterhin muß bedauert werden, daß nicht auf die Verpflichtungen der Hafenbehörden zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen hingewiesen wird.

  Moreau (GUE/NGL).(FR) Herr Präsident! In dem Grünbuch über Seehäfen und Seeverkehrsinfrastruktur geht es um einen wichtigen Sektor, über den mehr als 90 % des Handelsvolumens der Europäischen Union mit Drittländern und annähernd 30 % des innergemeinschaftlichen Handels abgewickelt und in dessen Rahmen jährlich über zwei Millionen Fahrgäste befördert werden. Dieser Sektor spielt für die Beschäftigung, die Entwicklung der Wirtschaft und die Raumordnung eine wichtige Rolle; er darf daher nicht nur unter kommerziellen Aspekten betrachtet werden.

Wir sind damit einverstanden, daß in dem Bericht Jarzembowski der Erlaß von Richtlinien über seehafenbezogene Infrastrukturgebühren sowie über Hafengebühren abgelehnt und gemeinschaftliche Rechtsvorschriften über die Organisationsstruktur und den Marktzugang für Hafendienste zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund der unterschiedlichen Situationen für nicht erforderlich gehalten werden. Diese Ansicht entspricht im übrigen dem Standpunkt des Rates.

Ebenso begrüßen wir einige im Ausschuß erzielten Fortschritte, doch müssen wir feststellen, daß der vorliegende Bericht ebenso wie die Kommissionsvorschläge von einer ausschließlichen Marktlogik geprägt sind, aufgrund derer die Kommission, wie in anderen Sektoren, für die Häfen einen Prozeß der Liberalisierung vorschlägt und infolgedessen finanzielle Beihilfen einschränken möchte. Die von diesen Strukturen wahrgenommenen Aufgaben der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen werden erheblich unterschätzt. Sie müssen aber stärker berücksichtigt werden.

Aus diesem Grunde hat unsere Fraktion Änderungsanträge eingereicht, in denen der gemeinwirtschaftiche Charakter der Hafentätigkeiten bekräftigt und infolgedessen ein Verbot der für die Erfüllung dieser Aufgaben erforderlichen Beihilfen abgelehnt wird. Die diesbezüglichen Entscheidungen müssen in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleiben.

Hingegen wäre, wie ich hinzufügen möchte, die Festlegung eines Gemeinschaftsrahmens hinsichtlich der beruflichen Befähigungen und der Erfüllung von Sicherheitsaufgaben zur wirksamen Bekämpfung von Wettbewerbsverzerrungen und zur Förderung einer nach oben orientierten sozialen Harmonisierung durchaus angebracht.

Trotz gewisser Fortschritte kann demnach der Bericht in der uns vorliegenden Form unserer Meinung den Erfordernissen einer Weiterentwicklung dieses Sektors nicht gerecht werden.

  Tamino (V).(IT) Herr Präsident, zum Bericht von Herrn Jarzembowski möchte ich die Wertschätzung der V‐Fraktion ob der Tatsache zum Ausdruck bringen, daß er auch Betrachtungen zu umweltpolitischen Fragen umfaßt, namentlich unter Erwägungsgrund J und K, wo die Bedeutung strategischer Umweltverträglichkeitsprüfungen und der Sicherheits‐ und Umweltstandards hervorgehoben wird. Ich möchte hinzufügen, daß wir als Grüne die umsichtige Nutzung der See‐ und Binnenwasserstraßen als ordnungsgemäße Verwirklichung eines auf Dauer tragbaren Verkehrssystems betrachten, aber gerade deshalb halten wir es für ebenso wichtig, daß einige in gewissem Maße auch schon von der Kommission gebilligte Aspekte nicht nur in den Erwägungsgründen, sondern in irgendeiner Form auch in den Vorschlägen und damit im Hauptteil erscheinen. Aus diesem Grunde hat unsere Fraktion auch einen Änderungsantrag eingebracht, in welchem der Notwendigkeit strategischer Umweltverträglichkeitsprüfungen mehr Verbindlichkeit verliehen wird.

Was den Bau neuer Hafenstrukturen anbelangt, sind wir der Auffassung, daß dabei die Kapazitäten zur Unterhaltung bereits bestehender Hafenanlagen und vor allem die Zusammenarbeit zwischen den Seehafensystemen in Betracht gezogen werden müssen. Mir ist bewußt, daß ich damit Herrn Wijsenbeek Kummer bereite, der diese Theorie bereits als Unsinn abgetan hat, aber ich wiederhole sie dennoch.

  Van Dam (I‐EDN).(NL) Herr Präsident, die europäischen Seehäfen sind ein ständiger Zankapfel zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. Geht es schon nicht um die Frage, welcher sich der größte nennen darf, so dann doch darum, ob die Finanzierung in den heftig konkurrierenden europäischen Häfen rechtens ist. Schuld daran sind die erheblichen Strukturunterschiede der Häfen. Unterstreichen möchte ich, daß Häfen in einer speziellen Kultur entstanden und auch dadurch geprägt sind. Wir brauchen deshalb nachprüfbare Regelungen, um dieser Vielfalt gerecht zu werden. Man darf sich jedoch keineswegs damit abfinden, wenn die Häfen innerhalb Europas eine Ungleichbehandlung erfahren. Um diese Diskrepanz zu beseitigen, bedarf es zunächst einer gründlichen Analyse der Finanzstruktur der europäischen Häfen. Neben dieser Analyse müssen Richtlinien erlassen werden, damit eventuellen unzulässigen Beihilfen nachgegangen werden kann. Diese Richtlinien müssen vor allem präzise und einfach sein. Deshalb habe ich zwei Änderungsanträge eingebracht, mit denen die Kategorisierung von Finanzströmen anhand klarer und einfacher Kriterien möglich ist. Abgesehen von der Frage, ob staatliche Beihilfen für Häfen legal sind, muß das Spannungsfeld zwischen staatlichen Beihilfen und einer ehrlichen Wettbewerbsstellung deutlicher abgegrenzt werden. Es kann doch nicht angehen, daß die Stellung, die sich Häfen über viele Jahrzehnte mit umfangreichen Investitionen aufgebaut haben, durch überhöhte Subventionsströme an Konkurrenzhäfen zunichte gemacht wird. Dort müssen wir ganz besonders auf der Hut sein. Zu begrüßen hingegen sind Maßnahmen, die Anreize für den Kurzstreckenseeverkehr schaffen. Wiederholt hat das Parlament mehr Transporte auf die umweltschonendste Art und Weise gefordert. In diesem Zusammenhang plädiere ich für zusätzliche Investitionen in Häfen, um damit den modal split in diese Richtung zu verlagern.

  Schifone (NI).(IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte etwas zum Bericht von Herrn Danesin über die transeuropäischen Verkehrsnetze sagen. Es ist offensichtlich, daß die Entwicklung transeuropäischer Verkehrsnetze ein wesentliches Element des europäischen Einigungsprozesses darstellt. Die Mobilität ist nämlich meines Erachtens insbesondere im Rahmen des Binnenmarkts ein entscheidender wirtschaftlicher, zugleich jedoch auch kultureller Faktor zur Förderung von Handel, Wettbewerbsfähigkeit, Kommunikation und allgemeinem sozialem Fortschritt. Wie in dem Bericht hervorgehoben wurde, erfordern diese Vorhaben jedoch enorme finanzielle Mittel und gewaltige wirtschaftliche Anstrengungen, und die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Mitgliedstaaten, diese Maßnahmen mit öffentlichen Mitteln zu bestreiten, werden immer deutlicher erkennbar.

Der Bericht enthält nun den Vorschlag zur Förderung öffentlich‐privater Partnerschaften bei der Verwirklichung transeuropäischer Verkehrsnetze. Wir billigen diesen Ansatz, und wir teilen auch das Bestreben des Berichterstatters, Herrn Danesin, hinsichtlich der Notwendigkeit, einerseits die Rentabilität für die Privatunternehmen zu gewährleisten – denn ohne Rentabilität gibt es selbstverständlich auch keine privaten Investitionen –, und andererseits auch den sozialen Nutzen der durchzuführenden Vorhaben sicherzustellen. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit, eine Aufteilung des unternehmerischen Risikos festzulegen, bei der sowohl kommerzielle als auch soziale und ökologische Kriterien im Rahmen einer umfassenden innergemeinschaftlichen Mobilitätsstrategie berücksichtigt werden.

Die im Bericht enthaltenen endgültigen Vorschläge finden unsere Zustimmung. Abschließend möchte ich der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß sich die Kommission nicht auf Vorschläge zur langfristigen Kreditvergabe beschränken, sondern sich auch zur Durchführung von Maßnahmen verpflichten möge, in deren Rahmen stärkere Interventionen vorgesehen werden können, um auch tatsächlich private Investoren anzulocken.

  Baldarelli (PSE).(IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, der Aufbau eines transeuropäischen Ortungs‐ und Navigationsnetzes ist ein sehr wichtiges Element im Rahmen der Strategie zur Förderung des Zusammenhalts in der Europäischen Union. In gewisser Hinsicht beginnen wir dieses Vorhaben mit Verspätung, aber wir sind uns auch der Möglichkeit bewußt, ein erhebliches Potential nicht nur für die Navigation, sondern auch für die Sicherheit zu entwickeln sowie bemerkenswerte Möglichkeiten für das inner‐ und außerstädtische Verkehrsmanagement zu erschließen. Es gilt, alle Anstrengungen zu unternehmen und die Interoperabilität dieses Netzes zu erreichen, indem das intelligente Verkehrssystem genutzt wird, welches sich auf Gemeinschaftsebene schwerpunktmäßig entwickelt und bereits einige bedeutsame Lösungen für die wichtigsten Ballungsgebiete der Europäischen Union hervorgebracht hat: ich denke dabei an die Erfahrungen von Turin, Hamburg und London auf dem Gebiet der intelligenten Verkehrsleitsysteme. Das Navigationsnetz ist also in gewisser Weise eine Antwort, und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Raumfahrtagentur, EURATOM, der Internationalen Seeschiffahrtsorganisation und der ICAO beweist den Wert dieser Entscheidung.

Trotzdem sollten wir meiner Ansicht nach diese Entscheidung nicht nur als Ausdruck der Entschlossenheit der Kommission oder der Gemeinschaftsinstitutionen betrachten, denn es müssen auch beträchtliche öffentliche und private Mittel mobilisiert werden. Ich möchte hier nur das Beispiel Italiens erwähnen, wo das Präsidium des Ministerrats eine Ad‐hoc‐Gruppe für Fragen des Satellitennavigationssystems gebildet hat, da diesem Bereich große Bedeutung beigemessen wird. Ich denke ferner an die Fähigkeit zur Verbreitung des Ortungs‐ und Navigationssystems, die nicht nur Investitionen im Bereich der Ortung, sondern auch Investitionen und Kapazitäten auf dem Gebiet der Erprobung erfordert, wobei die Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen, der Provider, all jener Strukturen zur Verbreitung des hochentwickelten technologischen Systems, die einen wirksamen Beitrag hierzu leisten können, stärker zum Tragen kommen muß.

Nun möchte ich noch zwei Bewertungen zum Grünbuch über die Seehäfen abgeben. Zwar brauchen wir in diesem Bereich Wettbewerb, brauchen wir eine Bestandsaufnahme, aber bei alldem müssen wir auch bedenken, daß Investitionen in strategischen Bereichen wie Umwelt oder kombinierter Verkehr sehr wichtig sind. Natürlich dürfen Investitionen nicht mit Beihilfen verwechselt werden, wie Herr van Dam ganz richtig hervorgehoben hat; es gilt jedoch zu beachten, daß die Strukturfondsmittel von ausschlaggebender Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt der Union sind. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Zuweisung von Strukturfondsmitteln nicht als unlauterer Wettbewerb betrachtet werden.

  McIntosh (PPE).(EN) Herr Präsident, ich begrüße alle drei Berichte und freue mich sehr über die umfassende Zustimmung, die sie von allen politischen Fraktionen im Ausschuß für Verkehr und Fremdenverkehr erhielten. Mein Augenmerk gilt dem Bericht von Herrn Danesin, der heute abend von meinem Kollegen, Herrn Sisó Cruellas, so überzeugend vorgestellt wurde, und der Mitteilung der Kommission über öffentlich‐private Partnerschaften bei transeuropäischen Verkehrsprojekten.

Transeuropäische Verkehrsprojekte spielen bei der Vollendung und Durchführung des Binnenmarkts eine entscheidende Rolle und ermöglichen europäischen Unternehmen einen schnelleren Marktzugang für ihre Waren und Dienstleistungen. Ich möchte an dieser Stelle meine uneingeschränkte Unterstützung für solche Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor in diesem Bereich zum Ausdruck bringen und dazu ermutigen. Durch Sie, Herr Präsident, bitte ich den Kommissar heute abend, einen genaueren Blick auf das britische Modell zu werfen, und insbesondere die im Vereinigten Königreich bestehenden privaten Finanzierungskonzepte als Vorbild zu betrachten. Ihm ist sicher bekannt, daß diese Initiative zwar von der vorhergehenden konservativen Regierung ins Leben gerufen wurde, mittlerweile aber so erfolgreich ist, daß sie von der neuen Labour‐Regierung rückhaltlos übernommen worden ist.

Wir können die Gelegenheit, die wir heute abend im Haus haben, vor allem dazu nutzen, günstige Rahmenbedingungen für öffentlich‐private Partnerschaften zu schaffen. Es ist unsere Aufgabe, für die notwendige Rechtssicherheit zu sorgen. Im öffentlichen Sektor muß man auf den Rechtsrahmen vertrauen können, in dem öffentlich‐private Partnerschaften mit privaten Investitionen in transeuropäische Verkehrsprojekte gedeihen können, und die Gewißheit haben, daß diese Investitionen sicher sind und ein späteres Eingreifen des öffentlichen Sektors oder der Regierungen nicht erforderlich ist, um die private Finanzierung oder den Betrieb des Projekts zu retten.

Aus meiner Sicht kann die Europäische Union insbesondere von den bereits erwähnten, im Vereinigten Königreich gesammelten Erfahrungen und den fundierten, konkreten Fachkenntnissen profitieren, die wir sowohl im Straßenbau als auch beim Bau von Schulen erworben haben.

Ferner müssen wir mit Hilfe des Berichts von Herrn Danesin und der Mitteilung der Kommission Klarheit bei der Umsetzung von Wettbewerbsvorschriften schaffen, um eine Verzerrung des Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten und zwischen ihnen zu vermeiden. Auch bei der Umsetzung der Rechtsvorschriften der Europäischen Union für das öffentliche Auftragswesen ist mehr Transparenz und Klarheit erforderlich. Ferner wäre der bessere Zugang zu langfristigen Finanzierungen und die Verfügbarkeit von Risikokapital von großem Nutzen.

Ich bin davon überzeugt, daß der Bericht Danesin ein wesentlicher und positiver Schritt ist, um auf der Grundlage der Kommissionsmitteilung solche öffentlich‐private Partnerschaften zu schaffen. Es freut mich sehr, daß drei wichtige, das Vereinigte Königreich betreffende Vorhaben als prioritäre Projekte eingestuft werden sollen: die Straßenverbindung Irland‐Vereinigtes Königreich‐Benelux, einschließlich des Zugangs zu den Häfen an der Ostküste, die Bahnverbindung durch den Kanaltunnel und der Ausbau der wichtigsten Bahnverbindungsstrecke an der Westküste. Ich möchte die Bitte aussprechen, daß auch das Straßenbauprojekt A 120 im Norden von Essex so bald wie gefördert wird.

  Crowley (UPE).(EN) Herr Präsident, ich möchte den Berichterstattern gratulieren und ebenfalls auf den Bericht von Herrn Danesin über die Finanzierung von öffentlich‐privaten Partnerschaften eingehen.

In diesem Haus wurde bereits darauf verwiesen, daß neue transeuropäische Verkehrsprojekte größere Mobilität ermöglichen und den Menschen den Marktzugang für ihre Produkte und Dienstleistungen erleichtern.

Die Umsetzung transeuropäischer Verkehrsprojekte wird auch beschäftigungspolitische Auswirkungen haben, ein Aspekt, der dieses Thema mit unserer kürzlich geführten Debatte über das Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam verbindet. Die Arbeiten zur Verbesserung der Infrastruktur sind so umfangreich, daß sie nur mit massivem Einsatz von Arbeitskräften bewältigt werden können, und dies wird in vielen Mitgliedstaaten die Wirtschaft ankurbeln.

Angesichts der Reform der EU‐Finanzierungssysteme und der im Reformpaket der Agenda 2000 enthaltenen Kürzung der Struktur‐ und Kohäsionsfondsförderung für bestimmte Länder müssen wir für diese äußerst wichtigen Projekte neue Finanzierungsmöglichkeiten finden. Deshalb bin ich voll und ganz für die Schaffung öffentlich‐privater Partnerschaften, mit denen wir sicherstellen, daß die Gelder und die zusätzlichen Einnahmen, die aufgrund des Bestehens des Binnenmarkts in der Europäischen Union erwirtschaftet werden, in die Europäische Union zurückfließen statt zuzulassen, daß Gelder, die in Pensionsfonds und so weiter angelegt werden, in Drittländern investiert werden und so für die gesamte Europäische Union verloren sind.

Kommissar Kinnock, dem ich zu seiner Initiative zu diesem Thema gratulieren möchte, hat dazu einen Bericht erstellt, indem die Vorteile aufgezählt sind. Das heißt nicht, daß wir auf Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung von Mißbrauch und zur Gewährleistung der Rechtssicherheit verzichten können, auf die meine Kollegin, Frau McIntosh, verwiesen hat. Durch den Bericht werden Regierungen wie die Irlands ermutigt, bei zukünftigen Planungen nach innovativen Wegen zu suchen. Sie sollten die Herausforderung annehmen, welche die Kürzung der zukünftigen europäischen Förderung für sie darstellt, und diese Chance nutzen, um die irische Wirtschaft ebenso wie irische Finanzinstitutionen zu einer Beteiligung an Projekten zu ermutigen.

Abschließend möchte ich betonen, daß der Erfolg dieser Maßnahmen nur durch die Einbeziehung aller drei Ebenen, der nationalen, der lokalen und der europäischen Ebene, garantiert werden kann. Besonders wichtig ist, daß wir nun private Investitionen heranziehen können und damit die erforderlichen zusätzlichen Impulse und Anstöße geben.

  Theonas (GUE/NGL).(EL) Herr Präsident, ich möchte in der mir zur Verfügung stehenden Zeit auf die transeuropäischen Verkehrsnetze eingehen. Mir liegt daran, daß hier im Namen der Arbeitnehmer auch eine Stimme des Protests laut wird.

Sechs Jahre nach der Ausarbeitung des Weißbuchs von Herrn Delors geht es mit den transeuropäischen Netzen, bei denen die Erhöhung der Beschäftigung als Feigenblatt für die vollständige Deregulierung der Arbeitsverhältnisse und die Durchsetzung flexibler Beschäftigungsformen herhalten mußte, wegen fehlender Mittel für ihre Finanzierung noch immer nur im Schneckentempo voran. Jetzt läßt die Kommission auch den letzten Vorwand fallen. In dem Wissen, daß es im Rahmen der restriktiven Haushaltspolitik auf Grund der WWU keinerlei Perspektive für eine gemeinschaftliche oder staatliche Finanzierung der transeuropäischen Verkehrsnetze gibt, verfolgt sie weiter eine Politik, in der sie sich schon sehr gut auskennt. Sie überträgt auch diese wichtigen Infrastrukturen ganz geschickt dem privaten Spekulationskapital, wobei sie auf jede Weise juristisch dafür sorgt, daß das betreffende Kapital und die jeweiligen Profite in jeder Hinsicht abgesichert sind.

Diese Politik, Herr Präsident, geht zu Lasten der Völker und ihrer Interessen und fördert die Akkumulation privater Profite zum Nachteil der öffentlichen Dienstleistungen. Damit besteht keinerlei Aussicht mehr, daß die transeuropäischen Netze zum Ausbau der Beschäftigung beitragen können. Machen wir es uns endlich klar: Der Markt kann weder für soziale Probleme noch für Probleme im Hinblick auf die Entwicklung der Infrastrukturen und der öffentlichen Dienstleistungen Lösungen bieten.

  Sindal (PSE).(DA) Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Versuch, in bezug auf die europäischen Häfen einen gemeinsamen Standpunkt zu finden, ist wirklich als mutig zu bezeichnen. Nur ein mutiger Kommissar wird es wagen, die Hafenkapitäne und ‐behörden mit einem solchen Grünbuch zu konfrontieren. Das fordert sofort einen internen Wettbewerb heraus. Aber die wirkliche Herausforderung sind nicht die Nachbarhäfen, sondern die Landstraßen. Das Parlament muß heute abend deutlich machen, daß wir die Verkehrsgewohnheiten ändern können, indem wir modernisieren, indem wir den Häfen Möglichkeiten eröffnen und indem wir uns einig werden. Geben Sie diese Botschaft an Ihre Heimathäfen weiter: sie müssen mit der Landstraße und nicht mit dem Nachbarhafen konkurrieren, hier müssen wir ansetzen. Ich weiß, daß hinsichtlich der Kofinanzierung durch die öffentliche Hand und der Hafenkosten zwischen den Häfen erhebliche Unterschiede bestehen, aber wir sollten uns darüber im klaren sein, daß wir die Verkehrsgewohnheiten nicht allein mit Hilfe der Marktkräfte ändern können. Wir sollten hin und wieder auch versuchen, durch politische Entscheidungen Einfluß zu nehmen.

Meinem verehrten Kollegen Wijsenbeek möchte ich sagen, daß sein Redebeitrag heute abend bewiesen hat, daß er nicht viel von Häfen und Schiffen versteht. Kümmern Sie sich also lieber um die Straßen, Herr Wijsenbeek, wir nehmen uns der Häfen an.

Das Projekt einer Strategie für globale Navigationssysteme findet meine vorbehaltlose Unterstützung. Es ist sehr wichtig, daß wir hier aktiv werden, daß sich Kommission, Rat, Parlament usw. an der Schaffung eines europäischen Profils in diesem Bereich beteiligen.

  Camisón Asensio (PPE).(ES) Herr Präsident! Ich werde ausschließlich auf den Bericht über die Satellitenkommunikationssysteme eingehen. Die große Herausforderung, vor der die Europäische Union im Moment steht, besteht darin zu erreichen, daß die Industrie den EGNOS‐Dienst realisiert, weil damit das Ziel erreicht wäre, im Jahre 2003 über eine spezifisch europäische Komponente im weltweiten Satellitennavigationssystem der ersten Generation zu verfügen, das heißt, etwa die gleiche Großtat zu wiederholen, wie sie die Union mit dem GSM, mit der zweiten Generation der mobilen Kommunikation, vollbracht hat oder versucht, mit der dritten Generation dieses Kommunikationssystems zu vollbringen.

Ja, ich weiß, daß diese erste Generation der Satellitennavigation gleichzeitig durch die dominierenden militärischen Systeme gestützt werden muß, sowohl das amerikanische GPS als auch das russische GLONASS, aber zweifellos muß dieser erste Schritt als Sprungbrett für die nächste Etappe dienen, das GNSS2 für das Jahr 2008, ausschließlich europäischer Herkunft, ohne amerikanische bzw. russische Abhängigkeit. Hier wird eine riesige Arbeit zu leisten sein, um dieses Ziel des Fünften Rahmenprogramms für Forschung zu erreichen.

Zum Abschluß, Herr Präsident, möchte ich zwei Empfehlungen hervorheben: Das Expertenforum, das dafür gebildet wird, und das natürlich auf die Unterstützung der Europäischen Weltraumorganisation zählen wird, darf in keiner Weise Eurocontrol ausgrenzen, und wenn schließlich entschieden wird, Mittel aus den Strukturfonds für die entsprechende Finanzierung bereitzustellen, darf kein Tüpfelchen von den entsprechenden Verordnungen abgewichen werden.

Das habe ich in der mir gewährten Zeit zu diesem großartigen Bericht von Frau Langenhagen zu sagen.

  Mendes Bota (PPE).(PT) Herr Präsident, allzu offensichtlich ist die zunehmend unzulängliche Ausgestaltung der transeuropäischen Verkehrsnetze, die bereits 1993 im Weißbuch über „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung” festgestellt wurde.

Die Zwangsjacke des Stabilitäts‐ und Beschäftigungspaktes veranlaßte die Mitgliedstaaten, ihre Haushalte und Investitionspläne für große öffentliche Verkehrsbauten zu beschränken. Doch andererseits waren sich dieselben Mitgliedstaaten des Multiplikatoreffekts derartiger Investitionen auf das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie auf den inneren Zusammenhalt der Union bewußt und gaben nie die Absicht auf, weiter voranzukommen.

Wie kann man dann aus dieser Sackgasse herauskommen? Die Inanspruchnahme von Partnerschaften zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor oder den nationalen und regionalen Sektoren kann eine Lösung sein, wird jedoch nicht alles klären, weil es nicht immer leicht ist, die Ziele der finanziellen Rentabilität und der Risikogewichtung, auf die Privatinvestitionen ausgerichtet sind, mit den Vorstellungen von makroökonomischen, sozialen und umweltgerechten Gleichgewichten zu vereinbaren, die öffentliche Institutionen leiten müssen.

Es trifft zu, daß man mehr Synergien erreichen kann, wenn man gleich in der Anfangsphase der Projektentwürfe die technische, kommerzielle, finanzielle und Managementerfahrung der Privatinitiative auf die prioritären Pläne und Projekte überträgt. Es trifft zu, daß es eine größere Koordinierung zwischen den finanziellen Interventionsinstrumenten der Gemeinschaft, dem Kohäsionsfonds, den Strukturfonds, dem Europäischen Investitionsfonds, der EIB und sogar möglichen neuen Instrumenten, wie etwa den strukturell nachgeordneten Darlehen oder den sogenannten „Mezzanine”‐Fonds, geben kann.

Aber Vorsicht! Man setze seine Hoffnungen auf eine magische Lösung durch diese Partnerschaften nicht zu hoch an, weil es viele Projekte gibt, vor allem in den Gebieten mit der geringsten Bevölkerungsdichte und in den entlegensten Randgebieten der Union, die nicht deren Begehrlichkeit wecken werden, weil sie ganz einfach unrentabel sind. Es geht nicht nur darum, den rechtlichen Rahmen der öffentlichen Aufträge oder des Wettbewerbs zu ändern, um diese Partnerschaften zu fördern. Das reicht nicht aus. Ohne einen starken politischen Willen seitens der Union werden die 14 in Essen bestimmten prioritären Projekte weiter nur auf dem Papier stehen. 1995 kosteten sie annähernd 99 Milliarden ECU. Von jenem Jahr bis 1999 widmete ihnen der Gemeinschaftshaushalt die bescheidene Summe von 1, 8 Milliarden ECU, das heißt weniger als 2 %, was so gut wie nichts ist. Die Agenda 2000 sieht nicht mehr als 5 Milliarden ECU vor, was ebenfalls eine völlig unbedeutende Summe ist. Und nichts plus nichts wird weiter nichts ergeben. Bis eine politische Zahl eingeführt wird, die irgend etwas konkretisiert.

  Cornelissen (PPE).(NL) Herr Präsident, die besondere Betonung, die im Grünbuch auf lauteren Wettbewerb unter den Häfen und auf die Marktwirkung gelegt wird, findet meine Zustimmung. Dazu fünf Bemerkungen. Erstens handelt es sich um eine komplizierte Angelegenheit. Jedes Land hat so seine eigenen Subventionen. Mehr Transparenz halte ich für Priorität Nummer eins.

Zweitens, nicht nur staatliche Beihilfen, sondern auch unterschiedliche Regelungen und deren Umsetzung im Bereich der Umwelt, Sicherheit und Arbeit können den Wettbewerb verzerren.

Drittens, wie gedenkt die Kommission, eine Balance zwischen ihrem Ziel der regionalen Entwicklung und ihrer Aufgabe zur Bekämpfung von Wettbewerbsverzerrungen zu finden?

Viertens übe ich an den Passagen im Grünbuch Kritik, in denen es um finanzielle Intervention zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Häfen geht. Vor neuem Interventionismus auf europäischer Ebene möchte ich warnen. Ich vertraue darauf, daß die Marktwirkung zu effizienten Häfen führt.

Fünftens brauchen wir für die Wettbewerbsfähigkeit Europas gute Hinterlandverbindungen. Public private partnership scheint mir ein passendes Instrument zur Mobilisierung des notwendigen Privatkapitals zu sein. Denkt die Kommission dabei vorrangig auch an Wasserwege und Eisenbahnlinien? Ich danke dem Kommissar für seine positive Haltung zur Verbindung zwischen Schelde und Seine. Auch im Namen von Kollegen Tindemans darf ich ihn fragen, ob er prüfen lassen wird, welche stimulierende Rolle die Kommission bei der Wiedergeburt des „Eisernen Rheins” übernehmen kann? Diese bei weitem kürzeste Bahnverbindung zwischen Antwerpen und dem Ruhrgebiet steht auf der TEN‐Prioritätenliste für kombinierten Verkehr. Das Besondere dieser Linie ist, daß sie durch drei Länder mit vermeintlich unterschiedlichen Interessenlagen verläuft. Daher unsere Frage.

Herr Präsident, im Gegensatz zum Kollegen Wijsenbeek würde ich es angesichts der weltweiten Entwicklungen begrüßen, wenn wir einmal die Vor‐ und Nachteile der Kooperation von Häfen analysieren würden. Ich erinnere nur an die Zusammenarbeit in der Luftfahrt.

  Stenmarck (PPE).(SV) Herr Präsident, ich möchte zunächst Herrn Jarzembowski zu einem ausgezeichneten Bericht über die europäischen Häfen danken. Der Seeverkehr ist in vielerlei Hinsicht wichtig. So ist es zum Beispiel ein nicht unbedeutender Vorteil, daß große Teile der Welt auf einfache Weise erreichbar sind. Deshalb werden auch große Gütermengen über die Weltmeere befördert. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das, daß die Häfen innerhalb der EU über 90 % des Handels der Gemeinschaft mit Drittländern abwickeln und 30 % aller Transporte innerhalb der EU einen Hafen durchlaufen. Zudem werden jährlich mehr als 200 Millionen Passagiere befördert.

Außerdem läßt sich der Seeverkehr leichter an neue Umweltschutzregelungen anpassen als andere Transportarten. Während der Arbeit des Ausschusses wurde betont, daß in verschiedenen Forschungs‐ und Entwicklungsprogrammen im Infrastrukturbereich die langfristigen Umweltauswirkungen beachtet werden müssen. Trotz all dieser Vorteile sind Fragen im Zusammenhang mit Seehäfen und der Seeverkehrs‐Infrastruktur in der EU oft nur am Rande behandelt worden. Das läßt sich etwa daran erkennen, daß für diesen Bereich zunächst keine transeuropäischen Verkehrsnetze angedacht worden sind. Aber in dem Maße, wie der Handel zunimmt und immer mehr Länder und Märkte erschlossen werden – nicht zuletzt die Länder im alten Osteuropa – verzeichnet auch der Seeverkehrsbereich ein bedeutendes Wachstum und eine immer stärkere Globalisierung. Das ist alles sehr erfreulich, aber dieser Sektor muß auch Anreize und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung erhalten. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die Regeln in den verschiedenen Ländern weitgehend übereinstimmen, Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden und die Leistungsfähigkeit der Häfen verbessert wird. Dann kann auch die EU gestärkt werden, nicht zuletzt im Verhältnis zu ihrem Umfeld.

Um dies zu ermöglichen, sollten die Häfen der Union in das transeuropäische Verkehrsnetz integriert werden. Erst dadurch können wir den Verkehrssektor als Gesamtheit entwickeln. Wir werden dann die einzelnen Verkehrsarten weniger isoliert und eher als Teil eines Ganzen betrachten. Das ist unter vielen Gesichtspunkten ein großer Vorteil.

Außerdem ist es wichtig, wie der Ausschuß schreibt, daß die Kommission möglichst bald Empfehlungen vorlegt, wie die öffentliche Finanzierung der Hafen‐Infrastruktur in Zukunft aussehen soll. Einige Punkte im Bericht des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr halte ich für besonders wichtig, nämlich daß Verkehrsnetze und Vorschriften nicht nur für die derzeitigen Mitgliedsländer gelten sollen. Sie sollten so bald als möglich auf die Länder in EU‐Nachbarschaft und vor allem auf die zukünftigen Mitgliedsländer im alten Osteuropa ausgedehnt werden.

  Rosving (PPE).(DA) Herr Präsident, Herr Kommissar, ich möchte der Berichterstatterin, Frau Langenhagen, zu ihrem sehr fundierten Bericht gratulieren, der für die Gestaltung der europäischen Strategie innerhalb der GNSS sehr wichtig werden kann. Ich stelle erfreut fest, daß sich Kommission und Rat auf eine gemeinsame Strategie einigen konnten. Diese Strategie liegt auf der Linie, die vom Parlament in früheren Entscheidungen über die europäische Raumfahrt auf der Grundlage von Berichten vorgezeichnet worden ist, die vom ehemaligen Mitglied des Europäischen Parlaments, Klaus Toksvig, und von mir in der letzten Legislaturperiode verfaßt wurden.

Die Entwicklung immer genauerer Systeme und damit korrespondierender Kommunikationsmöglichkeiten wird zu einer Verbesserung sowie zu einer besseren und sichereren Nutzung des europäischen Luftraums beitragen. Die Wirtschaftlichkeit und Sicherheit des Straßensektors wird verbessert, und bei der Modernisierung der Eisenbahnanlagen werden sich beträchtliche Summen einsparen lassen, u. a. im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau in Ost‐ und Mitteleuropa. Ich nehme an, die ESA, European Space Agency , wird auch künftig der technologische Support der EU sein. Selbst wenn eine umfangreiche öffentliche Finanzierung notwendig wäre, bin ich sicher, daß die Einsparungen in bezug auf neue Infrastrukturprojekte viele Kosten der Einrichtung eines GNSS abdecken können.

  Kinnock, Neil, Mitglied der Kommission. – (EN) Herr Präsident, ich möchte nicht nur den drei Berichterstattern für ihre Berichte danken, sondern auch allen anderen, die zu der sehr interessanten Debatte heute Abend beigetragen haben, in der unterschiedliche Ansichten geäußert wurden. Es ist sehr bedauerlich, daß wir in dieser gemeinsamen Aussprache nicht jedem der behandelten Berichte voll und ganz gerecht werden können, und so werden meine Anmerkungen kürzer ausfallen, als ich mir dies unter anderen Umständen gewünscht hätte.

Ich möchte mit dem ausgezeichneten Bericht von Herrn Danesin über öffentlich‐private Partnerschaften bei transeuropäischen Verkehrsprojekten beginnen. Ich werde auf die Fragen von Herrn Sisó Cruella eingehen, der Herrn Danesin heute freundlicherweise vertreten hat, und über einige aktuelle Initiativen der Kommission berichten. Erstens haben wir in Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank nochmals die Einrichtung eines „Mezzanine‐Fonds” geprüft, der bei der Entwicklung der öffentlich‐privaten Partnerschaften die Rolle eines Katalysators spielen und die Beteiligung institutioneller Investoren an der Finanzierung transeuropäischer Verkehrskonzepte fördern soll.

Sie wissen, daß in unserem Vorschlag zur Änderung der Verordnung über die gemeinschaftliche TEN‐Finanzierung die Förderung von Finanzierungskonzepten auf der Grundlage von Risikokapital vorgesehen ist. Wenn das Parlament und der Rat eine solche Initiative unterstützen, könnte sie im Jahr 2000 in Kraft treten. Im Zusammenhang damit hat der Europäische Rat die EIB auf dem Gipfeltreffen in Wien aufgefordert zu prüfen, wie ihre vorhandenen Instrumente zur Überstützung der TEN genutzt werden könnten.

Zweitens kennt das Haus neben unseren übrigen Initiativen und Entwicklungen, über die ich berichten möchte, auch unseren Vorschlag, den Haushalt für die TEN im Zeitraum 2000‐2006 auf 5 Milliarden ECU aufzustocken. Obwohl auch diese Summe lediglich einen Bruchteil des geschätzten Gesamtinvestitionsbedarfs ausmacht, besteht der wichtigste Effekt in der Mobilisierung anderer Mittel, was zweifellos für die Entwicklung der öffentlich‐privaten Partnerschaften von Bedeutung ist.

Drittens begrüßen wir die Forderung von Herrn Danesin nach transparenten und flexiblen Rechtsvorschriften für das öffentliche Auftragswesen. Wie den Damen und Herren Abgeordneten bekannt ist, hat die Kommission bereits eine allgemeine Mitteilung zum öffentlichen Auftragswesen vorgelegt, und wir werden noch vor Ostern eine weitere Mitteilung einreichen, in der es speziell um die Anwendung der Rechtsvorschriften für öffentliche Ausschreibungen auf die Vergabe von Konzessionen geht.

Viertens freue ich mich, dem Haus über konzeptionelle Änderungen und wichtige Entwicklungen im Zusammenhang mit den Projekten berichten zu können, die im Anhang der Kommissionsmitteilung aufgelistet sind. So ist zum Beispiel beim Ausbau des niederländischen Abschnitts der PBKL‐Hochgeschwindigkeitsstrecke nun eine Phase erreicht, in der die niederländischen Behörden darüber entscheiden, welche Konzessionen sie im Rahmen einer öffentlich‐privaten Partnerschaft vergeben werden.

Ich möchte das Parlament jedoch darüber informieren, daß die Liste nur Projekte enthält, die derzeit für eine öffentlich‐private Partnerschaft geeignet erscheinen. Dies trifft natürlich nicht auf alle Infrastrukturprojekte zu. Die meisten der aufgelisteten Projekte befanden sich noch in einem sehr frühen Planungsstadium, und die Kommission beteiligt sich selbstverständlich aktiv an den laufenden Diskussionen.
Ich begrüße die in diesem Bericht geäußerte, positive Haltung gegenüber öffentlich‐privaten Partnerschaften, die im Verlauf der Debatte heute abend im wesentlichen bekräftigt wurde. Neben anderen wichtigen Punkten wird im Bericht nachdrücklich darauf hingewiesen, daß es darauf ankommt, den privaten Sektor zur Ergänzung der beschränkten Mittel des öffentlichen Sektors ebenso zu ermutigen wie zur Unterstützung im Hinblick auf die Verbesserung der Projektgestaltung und die optimale Mittelverwendung.

Herr Jarzembowski hat einen, wie für ihn typisch, ausgezeichneten Bericht über das Grünbuch der Kommission über Seehäfen und Seeverkehrs‐Infrastruktur erarbeitet, das vor 13 Monaten veröffentlich wurde. Ich begrüße die Tatsache, daß durch den Bericht die umfassende Integration der Seehäfen in ein multimodales transeuropäisches Netz unterstützt und das Grünbuch als wertvolle Grundlage für mehr Transparenz im Hinblick auf den Wettbewerb in und zwischen Häfen in der Europäischen Union gewürdigt wird.

Der Berichterstatter und die Kommission sind sich ferner darüber einig, daß bei allen Rechtsvorschriften über Seehäfen das Subsidiaritätsprinzip berücksichtigt werden muß. Demzufolge darf es in der Europäischen Seehafenpolitik keine Zentralisierung bzw. übertriebene Zentralisierung geben. Eine sogenannte Einheitlichkeit von Maßnahmen, Gebühren, Verfahren oder vielen anderen Aspekten des Hafenbetriebs zu erzwingen oder dies zu versuchen, wäre falsch und kontraproduktiv, und gehört sicher nicht zu den Zielen unserer Seehafenpolitik. Im Bericht wird die Forderung nach freiem und fairem Wettbewerb bekräftigt. Zweifellos stellt dieses Ziel im Hinblick auf die Finanzierung und Erhebung von Gebühren für Importe eine große Herausforderung dar, weil die derzeitige Praxis sehr unterschiedlich gehandhabt wird. In immer mehr Seehäfen versucht man, die Kosten durch Gebühren zu decken, während man in anderen Häfen weiter auf herkömmliche Finanzierungsquellen zurückgreift. Diese Abweichungen könnten die Wettbewerbsbedingungen erheblich verzerren und ferner den lauteren Wettbewerb behindern, dessen Grundlage die Nichtdiskriminierung der Hafenbenutzer und die größere Transparenz der Hafenfinanzierung bilden muß. Ich glaube jedoch, daß die im Bericht geäußerte Ansicht, die vorgeschlagene Richtlinie für Hafengebühren sei nicht das richtige Instrument zur Erreichung dieser Ziele, auf einer falschen Auslegung unserer tatsächlichen Absichten beruht.

Ich freue mich daher über die Gelegenheit, diesen Punkt zu klären und sage ganz offen, daß wir die Hafengebühren nicht harmonisieren wollen. Der vorzuschlagende Gebührenrahmen wird flexibel gestaltet und auf bestimmten, allgemein durchführbaren Prinzipien beruhen, wobei kommerzielle Erwägungen, die eigentliche Festlegung der Gebühren eingeschlossen, den einzelnen Hafenverwaltungen überlassen bleiben, was auch sinnvoll ist.

Im Bericht spricht man sich gegen einen Gebührenrahmen aus und fordert statt dessen Leitlinien für staatliche Seehafen‐Beihilfen. Ich bin zwar ebenfalls der Meinung, daß das aktuelle Konzept zur staatlichen Förderung von Seehäfen transparenter werden muß, möchte aber darauf hinweisen, daß die Leitlinien für staatliche Seehafen‐Beihilfen allein keine Lösung für das gesamte Problem der Finanzierung und Gebührenstruktur darstellen. Sie können daher ein Gebührensystem nicht ersetzen. Die Leitlinien für staatliche Seehafen‐Beihilfen und ein Gebührenrahmen werden sich gegenseitig ergänzen, und beide Instrumente werden zukünftig erforderlich sein.

Ich begrüße die im Bericht erhobene Forderung nach einer Bestandsaufnahme der derzeit bei der öffentlichen Finanzierung und der Gebührenerhebung angewandten Verfahren. Ich kann sowohl dem Parlament als auch Herrn Castricum, Herrn Jarzembowski und anderen Abgeordneten, die dieses Thema angesprochen haben mitteilen, daß wir vor kurzem einen umfangreichen Fragebogen an die Mitgliedstaaten versandt haben, um von ihnen wichtige Informationen über die Methoden der Finanzierung und Gebührenerhebung zu erhalten und damit eine gute Basis für die im Laufe des Jahres anstehende Erarbeitung von Legislativvorschlägen zu schaffen. Wenn diese Informationen – hoffentlich bis Ende nächsten Monats – vollständig vorliegen, können wir sie zusammenstellen und dem Parlament vorlegen, denn ich weiß, daß viele Abgeordnete an diesem Thema interessiert sind.

Nach dem Bericht von Herr Jarzembowski besteht keine Notwendigkeit, Rechtsvorschriften für Hafendienste einzuführen. Als jemand, der stets versucht, unnötige Regelungen zu vermeiden wünschte ich, ich könnte diese Auffassung teilen. Die steigende Zahl von Beschwerden, welche der Kommission über die GD VII von Hafennutzern, insbesondere im Hinblick auf die Bereitstellung von technisch‐nautischen Diensten zugehen, zeigt, daß es hier durchaus Probleme gibt, die gelöst werden müssen.

Ich möchte betonen, daß mögliche Gesetzesvorschläge sich nur auf Verfahren beziehen können, die in Ergänzung unseres Prinzips der Prüfung des Einzelfalls durchgeführt werden, und daß lediglich allgemeine Kriterien für den Marktzugang und für Qualifikationsanforderungen festgelegt würden, während wichtige Sicherheitskriterien sowie lokale Gegebenheiten davon unberührt würden.

Wir sind uns alle darin einig, daß Transparenz, Nichtdiskriminierung und hohe Sicherheitsstandards die Basis für den Marktzugang bilden und gemeinwirtschaftliche Erfordernisse angemessen berücksichtigt werden sollten. Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt für einen Vorschlag, mit dem dies geregelt wird. Ich würde gerne mit Herrn Jarzembowski und seinen Parlamentskollegen, von denen sicher viele bei der heutigen Aussprache anwesend sind, weiter über dieses Thema diskutieren.

Ich komme nun zu dem Bericht von Frau Langenhagen über die Mitteilung der Kommission „Aufbau eines transeuropäischen Ortungs‐ und Navigationsnetzes: Eine europäische Strategie für globale Satellitennavigationssysteme (GNSS)”. Auch hier möchte ich der Frau Abgeordneten wieder einmal für Ihre Unterstützung danken, die sie uns nicht zum ersten Mal gewährt hat.

Ich bin davon überzeugt, daß das Konzept der Europäischen Union zur Entwicklung von globalen Satellitennavigationssystemen von größter Bedeutung ist, nicht nur im Hinblick auf das Verkehrswesen, sondern auch auf die Beschäftigungspolitik, die Wettbewerbsfähigkeit und unsere weiterreichenden strategischen Interessen. Da dieses Konzept im Bericht von Frau Langenhagen nachdrücklich unterstützt wird, möchte ich mich im wesentlichen auf die Arbeit der Kommission seit der Vorstellung unseres Aktionsplans im Januar letzten Jahres konzentrieren.

Erstens erarbeiten wir derzeit mit Unterstützung des GNSS‐Forums, dem Sachverständige sowie Vertreter der Industrie angehören, Empfehlungen für eine Strategie, nach der die Europäische Union ab Februar verfahren können müßte. Der Vorschlagsentwurf wird schon Anfang nächsten Monats verfügbar sein.

Zweitens haben wir unsere internationalen Kontakte ausgebaut, insbesondere mit den Vereinigten Staaten von Amerika und mit Rußland, und dabei ist klar geworden, daß die USA keine Beteiligung am wichtigsten System, dem Global Positioning System, und keine gemeinsame Kontrolle dieses Systems wünschen, vor allem natürlich wegen der militärischen Rolle, die dieses System nach wie vor spielt. Dennoch ist man ernsthaft an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert.

Auch von seiten der Russischen Förderation scheint großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit uns zu bestehen, und man ist bereit, unsere Bedingungen zu akzeptieren. Ohne unsere Unterstützung läge ein voll einsatzfähiges GLONASS‐System noch in sehr weiter Ferne. Rußland möchte sich an einem modernen europäischen GNSS‐System, basierend auf GLONASS beteiligen, und wir sind uns darüber im klaren, daß Rußland über ein Kontingent rarer Frequenzen sowie über umfangreiche Erfahrungen beim Betrieb eines globalen Satellitensystems verfügt.

Vor diesem Hintergrund sind die finanziellen Gesichtspunkte natürlich von entscheidender Bedeutung. Mir ist klar, daß Europa sich generell gegen ein globales Satellitensystem entscheiden könnte, doch habe ich in diesem Zusammenhang bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß dies als die kostengünstigste Lösung erscheinen mag, doch da muß man schon sehr kurzsichtig sein. Ich bin absolut davon überzeugt, daß eine derart passive Lösung im Hinblick auf verlorene Marktchancen und einen Rückgang des europäischen Wirtschaftswachstums sowie der Beschäftigung langfristig extrem kostspielig wäre.

Wie Frau Langenhagen bereits ausführte, wäre Europa in diesem Fall im Hinblick auf seinen wachsenden Bedarf an Satellitennavigation im Verkehrsbereich, wo es oft um die Sicherheit geht, ganz zu schweigen von anderen wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten, von einem System abhängig, das wir nicht kontrollieren oder beeinflussen könnten.

In der Kommission prüft man daher neben den Kosten auch alle anderen Möglichkeiten, wie öffentlich‐private Partnerschaften und die Beteiligung anderer Länder an der Entwicklung eines europäischen GNSS‐Systems.

Wir können jedoch in keinem Fall Gebühren für Dienstleistungen erheben, die die USA kostenlos anbieten. Wollen wir dieses System bauen, so ist der Einsatz öffentlicher Mittel unvemeidbar. Ich weiß, was das bedeutet, aber ich möchte betonen, daß das GNSS ein wesentlicher Teil unseres Ortungs‐ und Navigationsnetzes ist. Da Satellitensignale Grenzen überwinden, ist dieses System letztlich transeuropäischer Natur. Die gegenwärtige Diskussion zur Agenda 2000 und zur Regelung der TEN‐Finanzierung spielt daher eine wichtige Rolle bei der Festlegung, in welchem Umfang der Beitrag des öffentlichen Sektors zum GNSS aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert werden kann.

Wir werden zwar versuchen, ein System zur gerechten Kostenaufteilung zwischen den unterschiedlichen Benutzern zu finden, aber der Umfang des Finanzrahmens für die TEN und unser Vorschlag, die Grenze für den zulässigen Finanzierungsanteil aus dem Gemeinschaftshaushalt für ein Projekt in Ausnahmefällen von 10 auf 20 % zu erhöhen, sind entscheidende Faktoren für die zukünftige Unterstützung des GNSS durch die Gemeinschaft.

Ich möchte daher Frau Langenhagen und alle anderen Mitglieder ermutigen, nicht nur die Regelung zur TEN‐Finanzierung, sondern auch die allgemeinen Diskussionen zur Agenda 2000 in bezug auf die verfügbaren Finanzmittel für interne Projekte sehr aufmerksam zu verfolgen, um sicherzustellen, daß für das GNSS Finanzmittel in ausreichender Höhe zur vorhanden sind.

Drittens bitte ich Sie alle, sich dafür einzusetzen, daß die letztlich gebilligten Rechtsvorschriften nicht zu einer übermäßigen Einschränkung des Finanzierungsanteils aus dem TEN‐Haushalt für dieses äußerst wichtige transeuropäische Projekt führen. Wenn das Engagement der Gemeinschaft für Verkehrsprojekte je gerechtfertigt war, dann ist es hier bei der Weiterentwicklung unseres Konzepts für globale Satellitennavigationssysteme. Wenn wir uns mit Nachdruck dafür einsetzen, werden wir erheblich davon profitieren. Wir werden jedoch noch über Generationen hinweg schwer unter den Folgen zu leiden haben, wenn wir uns dieser Verpflichtung entziehen.

Ich bin sicher, daß die meisten Mitglieder dieses Hauses diese Auffassung teilen. Ich hoffe, daß auch die Mitglieder des Rats dieser Ansicht sein werden. Im Parlament wird man zweifellos alle notwendigen Schritte für eine adäquate Finanzregelung und einen den Anforderungen der Zeit entsprechenden Kurs bezüglich globaler Satellitennavigationssysteme unternehmen und die vordringliche Umsetzung beider Komponenten zum Wohle der Gemeinschaft sicherstellen.

  Der Präsident . – Ich danke Herrn Kommissar Kinnock für seine Ausführungen.

  Cornelissen (PPE).(NL) Herr Präsident, ganz kurz, ich habe volles Verständnis für den Kommissar, der in der Kürze der Zeit nicht alles beantworten kann. Darf ich annehmen, daß er die Frage zum „Eisernen Rhein” schriftlich beantworten wird?

  Der Präsident . – Eine schriftliche Beantwortung wäre besser, da wir sehr in Verzug sind. Wir könnten auch Herrn Wijsenbeek eine schriftliche Antwort erteilen, ohne uns die Frage anzuhören.

  Wijsenbeek (ELDR).(EN) Herr Präsident, das gilt auch für mich. Ich hatte dem Kommissar eine spezielle Frage in bezug auf den möglichen Tausch zwischen staatlichen Fördermitteln für Infrastrukturprojekte und Subventionen für den kombinierten Verkehr gestellt. Ich hoffe, ich werde in Kürze eine schriftliche Antwort erhalten.

  Der Präsident . – Es ist besser, die Fragen der beiden Kollegen schriftlich zu beantworten, da wir andernfalls die Aussprache über die beiden noch ausstehenden Berichte zu sehr hinauszögern.

  Maes (ARE).(NL) Herr Präsident, ich hätte gern Aufschluß über die schriftliche Antwort auf meine Frage zu landseitig gelegenen Häfen.

  Kinnock, Neil, Mitglied der Kommission. – (EN) Herr Präsident, ich werde die Fragen gerne beantworten. Alle Mitglieder, die mich kennen wissen, daß ich es damit sehr genau nehme.

Ich muß jedoch darauf hinweisen, und das gilt in dieser heiklen Woche ganz besonders, daß einige der Vorschriften zur Geschäftsordnung geändert werden müssen, wenn die Mitglieder dieses Hauses von den Kommissaren angemessene Antworten auf ihre durchaus legitimen, während der Aussprache gestellten Fragen erhalten möchten. Ich würde das begrüßen. Ich freue mich ebenso wie meine Kommissionskollegen über die Möglichkeit, Rechenschaft abzulegen, aber manchmal wird durch die Geschäftsordnung die Transparenz und Rechenschaftspflicht verhindert, die wir gewährleisten wollen; ich bin sicher, auch die Abgeordneten erkennen dies.

  Der Präsident . – Herr Kommissar Kinnock, das ist ein anderes Thema.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.


11. Elektronische Signaturen

  Der Präsident . – Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht von Herrn Ullmann (A4‐0507/98) im Namen des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (KOM(98)0297 – C4‐0376/98‐98/0191(COD)).

  Ullmann (V), Berichterstatter. – Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Elektrifizierung der öffentlichen und privaten Kommunikation ist heute so weit fortgeschritten, daß die dabei verwendeten Mechanismen auch die Maschinensprache der Digitalisierung zu sprechen und zu lesen vermögen. Sie können das nicht nur, sie tun es auch, auf dem Markt der Waren und Dienstleistungen wie im Bereich der amtlichen und privaten Kommunikation. Welche Rechtsfolgen hat das, und welche Rechtsfragen müssen beantwortet werden? Die Aufgabe besteht darin, die vorhandenen Rechtsstandards der genannten Bereiche in die neuen Kommunikationsdimensionen zu übersetzen, ohne sie einzuschränken.

Der vorliegende Richtlinienentwurf tut das in einem begrenzten, aber fundamentalen Bereich, dem Bereich der Signaturen und Beurkundungen aller Art, aber – was immer wieder betont werden muß – ausschließlich in offenen Systemen. Zu regeln ist dabei allein dreierlei: Die Voraussetzungen für die Gewährleistung einer zuverlässigen Identifikation der in elektronischen Medien digital oder nicht digital Kommunizierenden, die Integrität der übermittelten Informationen so wie die rechtliche Qualität elektronischer bzw. digitaler Signaturen. Es geht also nicht um das Verhältnis Staatsmacht zu Marktmacht, wie man teilweise lesen kann, im Bereich öffentlicher und privater Sicherheit. Vielmehr geht es um das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre auf dem Niveau der Digitalisierung von Urkundlichkeit und deren Rechtsgültigkeit.

Die Richtlinie hat für die Lösung dieses Problems einen überzeugenden Weg gefunden, indem sie einerseits die Äquivalenz von elektronischer und handschriftlicher Signatur regelt, andererseits aber sich hinsichtlich der technischen Anforderungen an die Zertifizierung auf die für eine europäische Harmonisierung unerläßlichen Mindeststandards beschränkt, wie es in den beiden Anhängen der Richtlinie formuliert ist.

Auf Ratsebene gibt es offenkundig eine Diskussion, die darauf hinausläuft, daß man unter Berufung auf bestehende Gesetze einen höheren öffentlichen Sicherheitsstandard haben will. Die Bundesregierung hat mich wissen lassen, daß es eine Kompromißlösung für diesen Streit geben könnte durch die Anfügung eines Anhangs III, der sich mit den Anforderungen an die technischen Geräte zur Zertifizierung beschäftigt. Herr Kommissar Bangemann, ich wüßte gerne, wie die Kommission zu diesem Vorschlag steht, der Ihnen sicherlich auch vorliegt. Ich bin der Meinung, das Parlament könnte mit ihm leben. Es gibt meiner Ansicht nach ein kleines Problem, aber im übrigen wird durch diesen Anhang III die Grundkonzeption der Richtlinie nicht tangiert: volle Marktfreiheit für alle Zertifizierungsdiensteanbieter und Sicherstellung des Schutzes der Privatsphäre der Verbraucher auf dem Niveau eines angemessenen Datenschutzes einschließlich der Möglichkeit des Gebrauches von Pseudonymen und unter Aufnahme der wichtigsten Haftungsregeln.

Was die jetzt vorliegenden Änderungsanträge anbelangt, so empfehle ich deren Annahme, mit Ausnahme der Anträge 2, 4, 8, 9, 21, 22 und 26, die entweder nicht mit bestehenden Artikeln der Richtlinie übereinstimmen, überflüssig sind oder Einschränkungen der vorgesehenen Regelungen bedeuten. In diesem Sinne bitte ich das Hohe Haus um Zustimmung zu dem Bericht, nicht ohne den Generaldirektionen XIII und XV der Kommission für ihre äußerst bereitwillige und engagierte Kooperation, dem Ausschuß für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik und seinem Verfasser der Stellungnahme, Herrn Kollegen Tappin, sowie allen Kolleginnen und Kollegen gedankt zu haben, die durch ihre Änderungsanträge geholfen haben, den Bericht zu verbessern.

Zum Schluß möchte ich alle denen, die dieser interessanten Debatte zur Mitternachtsstunde ferngeblieben sind, etwas prophezeien: Sie werden sich wundern, welche Auswirkungen diese Richtlinie haben wird. In der Bundesrepublik Deutschland sind es nicht weniger als 3800 Gesetze, die davon betroffen sind. Hier kann man also gespannt sein.

  Tappin (PSE), Verfasser der Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik. – (EN) Herr Präsident, mit diesem Bericht werden wir ein Sprungbrett in die Zukunft schaffen. Schätzungen zufolge kann man bis zum Juli mit einer Verdopplung des Handels über das Internet rechnen.

In allen Mitgliedstaaten gibt es Bestrebungen, die Technologie in unzählige Bereiche des täglichen Lebens zu integrieren; als Beispiele seien elektronische Wahlen, elektronische Sozialversicherungssysteme und elektronische Banktransaktionen genannt. Wenn wir die Schwelle in ein elektronisches Zeitalter überschreiten, müssen wir über sichere und kontrollierbare Verfahren verfügen, um zu gewährleisten, daß Bürger und Organisationen Transaktionen schnell und sicher durchführen können. Wir brauchen einen klaren gemeinsamen Rahmen für elektronische Signaturen, um das Vertrauen in die neuen Technologien zu stärken. Wir müssen sicherstellen, daß wir unseren Seelenfrieden nicht der Bequemlichkeit opfern. Elektronische Signaturen müssen in gleicher Weise rechtlich anerkannt werden wie handschriftliche Signaturen. Es darf keine Unterschiede, keine Nachteile und keine Privilegien geben.

Aus diesem Grund haben wir uns auf die Bedürfnisse derjenigen konzentriert, die Zertifikate ausstellen, mit deren Hilfe elektronisch übermittelte Informationen anerkannt und die Grundrechte des Unterzeichners auf Privatsphäre respektiert werden. Ein Unterzeichner muß selbst entscheiden können, welche persönlichen Daten in Verzeichnissen veröffentlicht werden. Pseudonyme sollten für den rechtmäßigen Gebrauch, nicht aber zur Verschleierung illegaler Transaktionen erlaubt sein.

Wir müssen sicherstellen, daß die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs nicht mit einem Anstieg der Betrugsfälle einhergeht. Ferner ist im Hinblick auf die Vielzahl von Vorschlägen und Initiativen, die derzeit in den Mitgliedstaaten bestehen, die Forderung nach dem Schutz der Grundsätze des Binnenmarkts von größter Bedeutung. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, daß durch die Umstellung auf die Verwendung elektronischer Unterschriften keine technischen Hindernisse entstehen, denn nicht nur innerhalb der Europäischen Union muß die Interoperabilität gefördert werden, sondern weltweit. Daher ist es wichtig, daß die Kommission Experten in die Gestaltung und Überprüfung des Konzepts einbezieht.

  Pradier (ARE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie ich feststelle, zeigt sich Begeisterung in allen Gesichtern und findet das Fundament, das nun gelegt wurde, unsere breite Zustimmung.

Wie unser Parlament bereits in seiner Entschließung vom 17. Juli 1998 zum Ausdruck brachte, muß ein Rechtsrahmen zur Sicherstellung der rechtlichen Gleichstellung digitaler und handschriftlichen Unterschriften geschaffen werden, damit ein Dokument mit einer elektronischen Signatur als Beweismittel gelten kann.

Die Größenordnungen, um die es dabei geht, sind enorm, denn den Prognosen über das Internet zufolge dürfte der elektronische Geschäftsverkehr in diesem oder zumindest im nächsten Jahr 220 Milliarden Dollar erreichen, davon mindestens 26 Milliarden in der Europäischen Union. Wenn es Kaufleuten, Bankiers und Informatikern auch dank ihres Sachverstands gelungen ist, aus einem nicht den wirtschaftlichen Erfordernissen entsprechenden Netz – Freiheit und Unentgeltlichkeit waren ja, wie wir uns erinnern sollten, die beiden für die Gestaltung des Netzes in seiner Anfangsphase geltenden Grundsätze – einen Raum für Handelstransaktionen zu schaffen, so darf dabei nicht vergessen werden, daß Datenschutz und das Anlegen von Akten bei der Behandlung der durch die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs aufgeworfenen Rechtsprobleme häufig vernachlässigt werden.

Der vorliegende Vorschlag für eine Richtlinie bildet leider keine Ausnahme zu dieser unerfreulichen Gewohnheit. Jedenfalls beglückwünsche ich Herrn Ullmann, daß er die Vorschläge aus der Stellungnahme, die ich im Namen des Ausschusses für Grundfreiheiten abgegeben habe, berücksichtigt hat. Ziel dieser Vorschläge ist eine Klarstellung des Status der Zertifizierungsdienstanbieter, damit die in einigen unserer Mitgliedstaaten bereits eingetretenen Fehlentwicklungen vermieden werden können. Insbesondere kann hier der Fall Frankreichs angeführt werden, wo durch zwei Gesetzesverordnungen als „vertrauenswürdige Dritte” bezeichnete Mittler geschaffen wurden, die ihre Tätigkeit unter der Amtsaufsicht einer Superbehörde, dem Zentraldienst für die Sicherheit von Informationssystemen, ausüben.

Diese Superbehörde scheint indessen mehr bestrebt zu sein, zu überprüfen, daß die EDV‐Anlagen keine Sicherheitssysteme aufweisen, die sie nicht entschlüsseln kann, als sich darum zu sorgen, ob überhaupt ein Sicherheitssystem vorhanden ist. Es kann auch der Fall Spaniens angeführt werden, wo das Finanzgesetz 1998 den Innenminister beauftragt, diesmal als Zertifizierungsdienstanbieter tätig zu sein. Es ist zu bezweifeln, daß eine solche Maßnahme das Vertrauen der Unterzeichner gewährleistet. Mit diesen Beispielen soll lediglich darauf hingewiesen werden, daß Cyber‐Verbraucher ebenfalls Rechte haben und daß der Mythos von der Geheimhaltung, Anonymität und Vertraulichkeit zur Realität werden muß.

  Berger (PSE). – Herr Präsident, sehr geehrter Herr Kommissar! Ich darf im Namen meiner Fraktion dem Berichterstatter sehr herzlich zu seinem Bericht gratulieren und mich vor allem auch dafür bedanken, daß es ihm gelungen ist, diesen Bericht relativ schnell nach Einbringen des Kommissionsentwurfs im Europäischen Parlament sowohl durch den Ausschuß als auch nun durch das Plenum zu bringen. Das Wirksamwerden dieser Richtlinie – ich glaube, da sind wir uns einig – ist äußerst dringend, um in dem für den grenzüberschreitenden elektronischen Verkehr so zentralen Bereich der elektronischen Signatur eine den Binnenmarkt hemmende Rechtszersplitterung nicht weiter zuzulassen.

Die Kommission und der Berichterstatter waren vor allem in zwei zentralen Anliegen zu unterstützen. Zum einen darin, eine Balance zu finden zwischen dem Anspruch, die neuen Geschäftsfelder, die sich mit der elektronischen Signatur auftun, nicht mit allzu detaillierten und beschwerenden Regelungen – an Vorschlägen hat es uns dazu im Parlament nicht gemangelt – zu erschweren und bereits im Entstehen abzuwürgen, zum anderen die Nachfrage nach diesen Dienstleistungen und die Akzeptanz der elektronischen Signatur durch vertrauenssichernde Maßnahmen zu stärken. Ich denke, daß es uns gemeinsam gelungen ist, diese Balance gegenüber dem Kommissionsvorschlag noch weiter zu verbessern. Dies insbesondere durch das Erfordernis der Unabhängigkeit der Zertifizierungsdiensteanbieter, die Freiwilligkeit von Akkreditierungssystemen und die zusätzliche Möglichkeit, daß diese Akkreditierungssysteme auch von nichtstaatlichen Einrichtungen getragen werden können. Diese Regelungen und die durch uns unverändert gebliebene Haftungsregelung kann man auch als Starthilfe oder als Vertrauensvorschuß an die zukünftigen Zertifizierungsdiensteanbieter ansehen. Wir verbinden damit auch die Erwartung, daß diese davon guten Gebrauch machen werden.
Ein weiteres Anliegen war es uns, dem Grundsatz, daß das, was off‐line rechtens ist, auch on‐line zu gelten hat, diesem Grundsatz also in all seinen Facetten zum Durchbruch zu verhelfen. Das gilt insbesondere für die Möglichkeit von Verbrauchern, die bei alltäglichen Kleingeschäften übliche Anonymität auch bei on‐line ‐Geschäften durch die Benutzung eines Pseudonyms zu wahren. Das Recht des Verbrauchers, elektronische Kleingeschäfte unter einem Pseudonym abzuschließen, kann insbesondere auch verhindern, daß allzu detaillierte Käuferprofile erstellt werden.

Abschließend möchte ich an die Kommission appellieren, die vom Parlament angenommenen Änderungen zu übernehmen, an den Berichterstatter, noch einmal seine Haltung zum Änderungsantrag 26 zu überdenken, und vor allem an den Rat, rasch einen gemeinsamen Standpunkt zu finden.

  Mosiek‐Urbahn (PPE). ‐ Herr Präsident! Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Auch ich möchte zunächst dem Berichterstatter herzlich danken für seine schnelle und sehr kooperative Arbeit. Verbraucher und Unternehmen in Europa müssen sich im elektronischen Geschäftsverkehr darauf verlassen können, daß Nachrichten rechtlich zweifelsfrei ihrem jeweiligen Absender zugeordnet werden können.

Um die Entwicklung unserer Wirtschaft nicht zu behindern, müssen wir also den Bürgern Europas die Möglichkeit an die Hand geben, die traditionelle handschriftliche Unterschrift durch elektronische Mittel zu ergänzen. In meiner deutschen Heimat ist schon letztes Jahr ein Gesetz verabschiedet worden, das digitale Signaturen auf relativ hohem Sicherheitsniveau regelt. Die ersten diesem Gesetz entsprechenden elektronischen Ausweise, also Chipkarten, mit denen sich elektronische Unterschriften erzeugen lassen, sind seit letzter Woche auf dem Markt.

Es ist also höchste Zeit, diese Materie auf europäischer Ebene in einen einheitlichen Rahmen zu fassen, sonst riskieren wir auf die Dauer eine Zersplitterung des Rechts in fünfzehn Signaturgesetze mit unterschiedlichen Standards. Folge wäre letztendlich eine erhebliche Behinderung des freien Waren‐ und Dienstleistungsverkehrs in unserem Binnenmarkt. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, daß die Kommission dem Parlament noch im letzten Jahr einen entsprechenden Richtlinienvorschlag vorgelegt hat.

Anbietern von Zertifizierungsdiensten gewährt die Richtlinie freien Zugang zum Markt, elektronische Signaturen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, werden der traditionellen Unterschrift gleichgestellt und grenzüberschreitend anerkannt, auch als Beweismittel im Gerichtsverfahren. Regeln über die Haftung der Anbieter von Zertifizierungsdiensten sollen das Vertrauen von Verbrauchern und Unternehmen sicherstellen.

Der Vorschlag der Kommission war also bereits sehr fortschrittlich und ausgewogen, konnte aber, wie ich meine, durch einige im Rechtsausschuß angenommene Änderungsanträge sinnvoll verbessert werden. So sieht der Kommissionsvorschlag in Artikel 8 Absatz 4 vor, daß Zertifikate für digitale Signaturen auf Verlangen auch unter Pseudonym ausgegeben werden können. Dagegen bestehen nicht nur keine Bedenken, sondern dies wird ausdrücklich begrüßt.

In ihrem Bemühen um Datenschutz geht die Kommission aber etwas zu weit. Sie will in ihrem Vorschlag die Offenlegung der Identität von Personen, die Pseudonyme verwenden, gegen ihren Willen nur im Fall eines Strafverfahrens ermöglichen. Es ist daher sehr zu begrüßen, daß ein Änderungsantrag – jetzt Nr. 27 des Berichterstatters, der im Ausschuß mit deutlicher Mehrheit angenommen wurde –, die Weitergabe dieser Daten auch in einem weiteren Fall ermöglicht, nämlich dann, wenn das für Rechtsansprüche im Zusammenhang mit Transaktionen notwendig ist, bei denen ein solches Pseudonym verwendet wurde. Ich denke nicht, daß mit dieser Änderung der Datenschutz geschwächt wurde, zumal sie ausdrücklich unter dem Vorbehalt des Datenschutzrechts steht. Vielmehr stellt dieser Antrag ein Gleichgewicht her zwischen den Rechten des Verwenders eines Pseudonyms und den Interessen seiner Geschäftspartner.

Darüber hinaus ist es in einer Vielzahl weiterer Änderungsanträge gelungen, den Text zu präzisieren bzw. Widersprüche zu beseitigen. Als Beispiel der Begriff digitale Signatur, der sich im Sprachgebrauch auf eine bestimmte, derzeit verbreitete Form von elektronischer Signatur beschränkt: Er wurde in den Änderungsanträgen durch den Begriff „elektronische Signatur” ersetzt. So läßt sich die Reichweite der Richtlinie für künftige technische Entwicklungen offenhalten.

Leider schießen aber auch einige etwas unglücklich formulierte Änderungsanträge, zum Beispiel Änderungsantrag 8, 15 und 23, nach Auffassung meiner Fraktion über das Ziel hinaus, nämlich bei der Verfolgung des Ziels, den Text präziser zu verfassen. Statt der beabsichtigten Klarstellung haben sie den gegenteiligen Effekt und sind daher abzulehnen. Dasselbe gilt für den Antrag zur elektronischen Einreichung von Petitionen, der nach der Auffassung meiner Fraktion mit der digitalen Signatur nur wenig zu tun hat und daher an dieser Stelle fehl am Platze ist.

Andere Änderungsanträge, nämlich 6 und 7, wollen, daß in allen multilateralen Vereinbarungen der Union mit Drittländern zu diesem Bereich auch Fragen des Datenschutzes geregelt werden. Sie fordern die Beibehaltung des bisherigen Datenschutzrechts nicht nur der Union, sondern auch jedes einzelnen Mitgliedstaats in solchen Abkommen. Damit schränken sie den Verhandlungsspielraum der Union unnötig ein. Solche Änderungen können deshalb auch in den Erwägungen nicht befürwortet werden.

Ich gehe davon aus, daß das Plenum bei der Abstimmung diesen Erwägungen Rechnung trägt und die Richtlinie in einer ausgewogenen Form verabschiedet werden wird.

  Thors (ELDR).(SV) Herr Präsident, Herr Kommissar, es ist schon mehrfach gesagt worden, wie wichtig dieses Thema ist. Wir freuen uns, daß der Berichterstatter diese Arbeit schnell erledigt hat. Trotzdem glaube ich, daß über diesen Vorschlag erst unter der finnischen Präsidentschaft entschieden werden wird. Darauf freue ich mich jedoch bereits.

Meiner Meinung nach haben wir wichtige Korrekturen durchgeführt, die den Ausgangspunkt der Kommission ergänzen, daß die Zertifizierungsdiensteanbieter im Prinzip nicht akkreditierungspflichtig sein sollen. Wir haben aber die privaten Organisationen trotzdem besonders betont.

Die Kommission schlägt eine strenge Haftung vor – auf finnisch ankara vastuu . Es ist aber jetzt die Rede davon, daß der Rat die Haftungsbedingungen ändern möchte. Deshalb möchte ich den Kommissar fragen, welchen Standpunkt er in bezug auf die Haftungsbedingungen einnehmen wird. Meiner Ansicht nach war der Entwurf der Kommission ein vernünftiger Ausgangspunkt.

Ein weiterer zentraler Punkt der Richtlinie sind natürlich die Rechtsfolgen. Sollte man sie mit einer besonderen Technik verbinden oder nicht? Auch in diesem Fall bin ich der Meinung, daß wir gemeinsam mit der Kommission einen guten Ausgangspunkt gewählt haben. Man sollte prinzipiell von denselben Rechtsfolgen wie bei Unterschriften ausgehen. Man könnte scherzhaft sagen: Wenn die Rechtsnormen eines Landes es nicht zulassen, daß man per Brief getraut wird, dann kann man auch nicht elektronisch getraut werden. Das ist korrekt.

Ich bin aber anders als der Berichterstatter nicht der Meinung, daß wir den sogenannten Anhang III des Rates akzeptieren sollten. Ich halte ihn nämlich nicht für technisch neutral, wie dies von uns – jedenfalls von der Mehrheit des Ausschusses – gefordert worden ist. Ich habe den Kommissar auch gefragt, welche Haltung er zur derzeitigen Diskussion im Rat einnimmt, denn ich glaube, es handelt sich hier um einen entscheidenden Punkt für die zukünftige Behandlung dieser Frage.

Abschließend bitte ich den Sprachendienst des Parlaments und des Rates darum zu überlegen, ob die schwedische Bezeichnung nicht doch elektronische Unterschriften – statt elektronische Signaturen – lauten sollte.

  Oddy (PSE).(EN) Herr Präsident, ich möchte Herrn Ullmann für seine – wie immer – gewissenhafte Arbeit und seinen ausgezeichneten Bericht danken. Wie alle Vorredner bereits betonten, handelt es sich hier um ein äußerst wichtiges Thema. Immer mehr geschäftliche Transaktionen werden über den elektronischen Geschäftsverkehr abgewickelt, und insbesondere das Internet erleichtert grenzüberschreitende Transaktionen. Wir brauchen ein einheitliches, pragmatisches und sicheres System für die Anerkennung von Unterschriften im elektronischen Handel.

Im Vorschlag der Kommission wird die Notwendigkeit der gleichwertigen rechtlichen Anerkennung elektronischer und handschriftlicher Signaturen anerkannt. Die Klarstellung ist für die Zertifizierungsdiensteanbieter notwendig. Zwei Bereiche können als problematisch bezeichnet werden: erstens, die Forderung nach Wahrung der Privatsphäre und zweitens die Forderung nach Sicherheit. Vom Ausschuß für Recht und Bürgerrechte wird empfohlen, den Einsatz von Pseudonymen zu untersuchen und zu überwachen. Ich empfehle dem Haus diesen Bericht und den Vorschlag für eine Richtlinie als wichtige Elemente zur Öffnung des Binnenmarkts für den elektronischen Geschäftsverkehr.

Nebenbei bemerkt, ist es sonderbar, daß sich in dieser Aussprache hauptsächlich Frauen zu Wort gemeldet haben. Man könnte Herrn Bangemann gewissermaßen als Dorn unter den Rosen bezeichnen, aber ich bin sicher, daß er dieses Thema sehr ernst nimmt. Ich finde den Gedanken, über das Internet zu heiraten, besonders faszinierend. Da ich nicht verheiratet bin, kann ich mich vielleicht darauf freuen, daß dies in den nächsten zehn Jahren möglich sein wird.

  Bangemann, Mitglied der Kommission. – Herr Präsident! Frau Oddy hat gerade am Schluß ein Problem angesprochen, das in der Tat auch in diesem Bereich auftreten kann, wo es ja darum geht, wie weit elektronische Signale Formerfordernisse erfüllen können, die das Recht der Mitgliedstaaten festlegt. Das erinnert mich an meine juristischen Studien, wo eine berühmte Frage eines Professors lautete: Wenn auf die Frage, ob jemand einen anderen heiraten will – und das ist ja Ihr Problem, Frau Oddy –, nach dem Gesetz die Antwort „ja, ich will” vorgeschrieben ist, reicht es dann auch aus, wenn der Betreffende antwortet, „doch, doch”? So ungefähr stellt sich für manche Mitgliedstaaten hier auch das Problem der elektronischen Signatur dar.

Ich möchte zunächst dem Berichterstatter danken. Der Bericht ist für uns sehr hilfreich gewesen. Wir haben auch eine ganze Reihe von Änderungsanträgen übernehmen können. Von den 35 Änderungsanträgen können wir 17 vollständig und 8 teilweise übernehmen. Andere Änderungsanträge konnten wir nicht übernehmen, weil sie in der Tat entweder den Text nicht besser machen oder Probleme berühren, die hier nicht reingehören. Das ist ja ein alter Fehler des Parlaments, den ich schon häufig erwähnt habe. Sie wollen in einem Gesetzestext immer die ganze Welt regeln. Das hilft nicht, da wird die Sache nicht klarer.

Es wurde auch zu Recht erwähnt, daß sowohl Mitgliedsländer als auch internationale Organisationen in diesem Bereich sehr eifrig arbeiten, so daß wir, wenn wir dazu beitragen wollen, daß wir eine gemeinsame einheitliche Regelung bekommen, die natürlich für den Binnenmarkt notwendig ist, schnell vorankommen müssen. Diese Geschwindigkeit hat das Parlament bisher aufrechterhalten. Bei der letzten Diskussion im Rat, die ja noch nicht zu einem Ergebnis hätte führen können, weil ja noch nicht die Stellungnahme des Parlaments vorlag, sind wir in der Tat letztlich an der Frage gescheitert, ob man Zertifizierungsdienste genehmigen kann, ohne in technische Einzelheiten einzutreten, die eine bestimmte technologische Lösung quasi vorschreiben. Die Kommission und das Parlament möchten ja nicht in die Technologie eintreten. Wir haben uns deswegen bemüht, einen Vorschlag zu machen, bei dem selbstverständlich nicht einfach ins Blaue hinein zertifiziert werden kann, aber das Verfahren der Zertifizierung soll jedenfalls keine technologischen Bedingungen aufstellen.

Wir sind letztlich in dieser Sitzung des Rats nicht weitergekommen. Der neue Vorschlag, der eine gewisse Entwicklung darstellt, Herr Ullmann, muß von uns noch genau geprüft werden, denn so wie er jetzt ist, scheint er uns darauf hinauszulaufen, daß vielleicht keine technischen Lösungen vorgeschrieben werden, aber doch so eine Art Typgenehmigung vorgenommen wird. Man muß einmal darüber nachdenken, ob das dann wirklich der Weisheit letzter Schluß ist.

Wir haben im Rat quasi zwei Lager: Ein Lager der kleineren Länder, die hier sehr viel mutiger sind, und ein Lager von größeren Ländern, die sehr streng auf solche Formerfordernisse achten und deswegen hier nicht so großzügig sind. Jedenfalls werden wir sehen, wie weit wir bei der nächsten Sitzung des Telekom‐Rats kommen werden. Man soll das auch nicht überziehen. Auch eine handschriftliche Signatur kann man beispielsweise fälschen. Man soll nun nicht anfangen, mehr Erfordernisse an elektronische Signaturen zu stellen, als man schon normalerweise bei den handschriftlichen Signaturen tut.

Wir haben Haftungsregeln für Zertifizierungsdiensteanbieter. Ich weiß nicht genau, was Sie meinten, denn in Artikel 6 sind diese Haftungsregelungen festgelegt. Zur Frage der Technologie habe ich mich schon geäußert. Ich habe bereits gesagt, welche Änderungsanträge wir annehmen und welche nicht. Ich will das jetzt nicht im einzelnen ausführen, wir können das dann in zweiter Lesung machen. Wie gesagt ist der Bericht auch in diesem Punkt sehr konstruktiv. Wir haben eine weitgehende Einigkeit, und ich hoffe, daß wir das nächste Mal im Rat dann zu einer gemeinsamen Position kommen können, die wir dann noch einmal im Detail prüfen können.

  Der Präsident . – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.


12. Grenzwerte für Luftschadstoffe

  Der Präsident . – Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über die Empfehlung für die zweite Lesung (A4‐0483/98) im Namen des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates (10275/98 – C4‐0540/98‐97/0266(SYN)) im Hinblick auf den Erlaß der Richtlinie des Rates über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (Berichterstatterin: Frau Pollack).

  Pollack (PSE), Berichterstatterin. – (EN) Herr Präsident, wir alle wissen, daß nur die wichtigsten Dinge um Mitternacht behandelt werden. Das geschieht vor allem deshalb, um diese Dinge vor der Presse geheimzuhalten, damit niemand erfährt, daß wir uns hier tatsächlich mit wichtigen Themen befassen, die sich auf das Leben der Menschen auswirken.

Tausende von Menschen in ganz Europa sterben jährlich an den Folgen der Luftverschmutzung, zu deren Hauptverursachern der Straßenverkehr zählt. In dieser Richtlinie ist erstmals ein Paket strikter, rechtsverbindlicher Grenzwerte für den Ausstoß der vier wichtigsten Schadstoffe Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide sowie Partikel und Blei festgelegt, die bis zum Jahr 2005 bzw. 2010 erreicht werden müssen und auf den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation zum Schutz der Volksgesundheit aus dem Jahr 1997 basieren. Von den in erster Lesung vom Parlament vorgeschlagenen 28 Änderungsanträgen hat der Rat in seinem Gemeinsamen Standpunkt, der unter britischem Ratsvorsitz vorgelegt wurde, 21 weitgehend gebilligt. Dazu zählen die umfassendere Information der Öffentlichkeit und Alarmschwellen für Stickstoffoxide sowie für Schwefeldioxid.

Der Rat hat jedoch auch einige der ursprünglichen Kommissionsvorschläge aufgeweicht. Darüber sind die Mitglieder des Parlaments besorgt, und deshalb haben wir 11 Änderungsanträge zu diesem Gemeinsamen Standpunkt vorgelegt. Mit einigen dieser Anträge werden lediglich Ungenauigkeiten oder Abweichungen berichtigt, zum Beispiel in den Änderungsanträgen 1, 3 und 8. Durch Änderungsantrag 4 soll sichergestellt werden, daß alle Aktionspläne für Gebiete, in denen Ausnahmeregelungen gelten, ebenfalls der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. In Änderungsantrag 5 fordern wir in bezug auf unseren ursprünglichen, vom Rat nicht gebilligten Vorschlag für eine Alarmschwelle für Partikel die Kommission auf, diesen erneut zu prüfen, wenn nach der Revision im Jahre 2003 weitere Forschungsergebnisse vorliegen. Soweit ich weiß, wird neben anderen Änderungsanträgen leider auch Änderungsantrag 7 von der Kommission nicht unterstützt, und daher gehört die Behandlung besonders empfindlicher Ökosysteme zu den Problemen, die durch nationale Maßnahmen gelöst werden müssen. Das Parlament hält es für wichtig, darauf hinzuweisen, daß von der Weltgesundheitsorganisation vier verschiedene Grenzwerte empfohlen werden, während in der Richtlinie nur ein Grenzwert enthalten ist. Wir halten dies nicht für ausreichend und haben deshalb diesen Änderungsantrag erneut vorgelegt.

Größere Probleme haben wir zum Beispiel mit Schwefeldioxid. Mit Änderungsantrag 6 erneuern wir den ursprünglichen Vorschlag für acht Überschreitungen für den Ein‐Stunden‐Grenzwert pro Jahr, die der Rat auf 24 erhöhte. Die Kommission bestätigt, daß dieser Schadstoff, insbesondere für Asthmatiker und Menschen mit Herz‐Kreislauferkrankungen, schon bei kurzfristigen Überschreitungen des zulässigen Grenzwerts unmittelbar toxisch ist; dies ist der Grund, weshalb wir ursprünglich einen so strengen Grenzwert vorgeschlagen hatten.

Ich hoffe daher, daß die Kommission hier ebenso wie in bezug auf Änderungsantrag 2 keine Zugeständnisse machen wird. Der Zusatz des Rats „soweit praktikabel” ist äußerst problematisch. Ich weiß zum Beispiel, daß es speziell bei den französischen Meßgeräten ein Problem bei der Ermittlung des Zehnminutenmittelwertes gibt, aber dennoch ist diese Information für die Halbzeitüberprüfung von größter Bedeutung. In jedem Fall können die Mitgliedstaaten ihre Überwachungsstellen selbst bestimmen, so daß sie sicher eine Lösung für dieses Problem finden werden.

Ferner ist es für die Mitgliedstaaten offensichtlich besonders schwierig, die Grenzwerte für Stickstoffoxide einzuhalten. Dies ist jedoch ein zentrales Element der Richtlinie. Es ist nicht hinnehmbar, daß der Rat die Anzahl der Überschreitungen für den Ein‐Stunden‐Grenzwert von ursprünglich 8 auf 18 erhöht hat, und mit Änderungsantrag 9 wollen wir den ursprünglichen Wert wieder einsetzen. Zumindest ist es wichtig, daß die Kommission diesen Punkt bei der Revision im Jahre 2003, wenn weitere Forschungsergebnisse vorliegen, nochmals sorgfältig überprüft.

In den Änderungsanträgen 10 und 11 geht es um genau dieselben Probleme, allerdings in bezug auf Partikel. Wir wissen, daß hier weitere Untersuchungen erforderlich sind und auch bereits laufen. Nach dem Gemeinsamen Standpunkt sind jedoch zehn zusätzliche Überschreitungen des 24‐Stunden‐Grenzwerts und des Ein‐Stunden‐Grenzwerts pro Jahr zulässig; die Überprüfung wird praktisch hinausgeschoben, so daß hier bis mindestens 2010 keine großen Änderungen zu erwarten sind. Obwohl uns keine ausreichenden Erkenntnisse über Partikel vorliegen, wissen wir, daß sie tödlich sind, und die Weltgesundheitsorganisation kann nicht einmal sichere Grenzwerte vorschlagen. Angesichts bestehender Ausnahmeregelungen für „southern dust” im Süden und die Streuung von Straßen mit Sand im Norden muß darauf verwiesen werden, daß die Lösung dieses Problems eines stärkeren politischen Willens in den Mitgliedstaaten bedarf. Bei der Lösung dieser Probleme ist der Zeitverlust bereits erheblich, und nun müssen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.

In meiner Eigenschaft als Berichterstatterin bitte ich die Kommission dringend um die Überprüfung ihrer Strategie, insbesondere im Hinblick auf die beiden letzten Punkte, und hoffe auf ihre Bereitschaft, einige dieser Änderungsanträge zu akzeptieren. Ich empfehle dem Haus diesen Gemeinsamen Standpunkt.

  Hulthén (PSE).(SV) Herr Präsident, Frau Kommissarin, ich kann nicht recht nachvollziehen, warum die Themen des Ausschusses für Umweltschutz, Volksgesundheit und Verbraucherschutz immer am Ende der Tagesordnung stehen. Wir haben im vorigen Tagesordnungspunkt über die Ehe diskutiert, daher kommen wir jetzt sozusagen zum „Höhepunkt der Hochzeitsnacht”. Leider sind an diesem Höhepunkt nicht mehr viele beteiligt.

Diese Richtlinie ist ein gutes Beispiel dafür, wie es sich mit europäischen Rechtsnormen für den Umweltbereich arbeiten läßt. Die Menschen Europas spüren die Auswirkungen direkt und konkret, indem sie sauberere Luft bekommen, vor allem die Menschen in unseren Städten. Es ist auch ein schönes Beispiel für Kooperation über die nationalen Grenzen hinweg, um in der europäischen Zusammenarbeit Fortschritte zu erzielen.

Ich möchte Frau Pollack für die Arbeit danken, die sie auf diese Richtlinie verwendet hat. Es ist eine schwierige Richtlinie mit vielen technischen Bestandteilen. Sie hat das Thema praxisnah und pragmatisch behandelt, was sich auch auf das Ergebnis ausgewirkt hat. Gleichzeitig wissen wir allerdings, daß die Luft, die wir atmen, sich auf die Gesundheit der Menschen auswirkt – das ist natürlich nichts Neues. Es ist erfreulich, daß wir jetzt Vorschriften erlassen werden, die besser sind als die, welche es bisher in der Union gab.

Wir sollten zugleich betonen, daß die Gesundheit der Menschen durch unsere ehrgeizige Arbeit und unsere Forderungen noch besser werden kann. Ich und viele mit mir hätten sich vielleicht gewünscht, daß wir noch einen Schritt weiter gegangen wären als in dieser Richtlinie, daß die Anforderungen an unsere Atemluft noch strenger geworden wären. Wir haben aber jetzt einen gemeinsamen Ausgangspunkt, den wir ausbauen können. Ich weiß, daß viele Mitgliedstaaten einen höheren Anspruch gerade an die Luftqualität stellen.
Die Qualität der Luft wirkt sich allerdings nicht nur auf die Gesundheit der Menschen aus – auch wenn dies ein sehr wichtiger Aspekt ist –, sondern es entstehen auch Probleme mit der Versauerung, nicht zuletzt in dem Teil Europas, aus dem ich komme. Deshalb müssen wir die Luft als eine Ganzheit betrachten und dürfen uns nicht auf die Situation in einzelnen Gebieten beschränken.

In bezug auf die Partikel und die Einwirkung von Partikeln auf die Gesundheit der Menschen möchte ich noch besonders darauf hinweisen, daß wir darüber nicht genug wissen und daß unser Kenntnisstand bescheiden ist. Ich möchte besonders den Hinweis von Frau Pollack betonen, daß nämlich wichtige Änderungsanträge vorliegen, die von Rat und Kommission berücksichtigt werden müssen , damit wir den Menschen in Europa und in der Union eine vernünftige Lebenssituation ermöglichen können. Die einfachen Erklärungen, dies sei nicht möglich, sind unzulänglich. Wir brauchen statt dessen einen starken politischen Willen.

  Der Präsident . – Bevor Frau Flemming den Ausführungen von Frau Pollack und Frau Hulthén über die Gründe, weshalb wir die Probleme des Ausschusses für Umweltfragen um Mitternacht behandeln, ihre eigenen Betrachtungen hinzufügt, möchte ich in Erinnerung bringen, daß die Entscheidungen darüber bei der Konferenz der Präsidenten liegen. Hinter dieser Situation, in der wir uns befinden, verbirgt sich also nichts Unergründliches, sondern dahinter stehen die Beschlüsse der Konferenz der Präsidenten.

  Flemming (PPE). – Herr Präsident! Ich traue dem Zufall allmählich auch nicht mehr; ich glaube auch, daß die Konferenz der Präsidenten Umweltfragen leider für nicht sehr wichtig hält. Aber die Bevölkerung Europas wird das irgendwann quittieren. Strengere EU‐Grenzwerte für bessere Luftqualität soll das Parlament beschließen. Ich bedaure ebenso wie meine Vorrednerinnen, daß von den 28 Änderungen des Europäischen Parlaments aus erster Lesung nur 21 unverändert bzw. dem Sinn nach übernommen wurden. Ziel dieser Richtlinie ist also die Festlegung von Emissionsgrenzwerten auf der Grundlage der Luftqualitätsleitlinien der Weltgesundheitsorganisation.

Bei den Grenzwerten für Partikel sieht der Bericht sogar eine sehr deutliche Verschärfung vor, für deren Erreichung in den meisten Mitgliedstaaten erhebliche Anstrengungen nötig sein werden. Europaweit einheitliche Methoden und Kriterien sollen weiter schädliche Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt verhindern helfen. Damit führt die Europäische Union nun auch die in Österreich bereits schon lange gültigen strengen Grenzwerte ein. In manchen Bereichen sind sie sogar noch strenger ausgefallen. Ich freue mich darüber.

Trotzdem bin ich mit den Einzelheiten des Berichts keineswegs gänzlich zufrieden. Im Anhang I Abschnitt I sind Grenzwerte und Alarmschwellen für Schwefeldioxid vorgesehen, und der in der Richtlinie vorgeschlagene Grenzwert von 350 ;g/m3 mit 24 Überschreitungen ist meiner Ansicht nach viel zu hoch. Die vorgesehene Reduktion der Überschreitungsmöglichkeiten von 24 auf 8 entspricht zwar nicht meinen Wünschen nach einer Senkung des Grenzwertes, ist aber ganz sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung und wird daher von uns unterstützt werden.
Auch bei Anhang II Abschnitt I betreffend Grenzwerte für NO2 und Nox und Alarmschwelle für Stickstoffdioxid würde ich es begrüßen, wenn die Überschreitungsmöglichkeiten gänzlich gestrichen würden. Auch hier gilt, daß der von Frau Pollack eingebrachte Änderungsantrag für eine Reduktion der Überschreitungsmöglichkeiten von 18 auf 8 ein Schritt in die richtige Richtung ist und von meiner Fraktion daher unterstützt werden wird.

Ich weiß, daß Frau Pollack sich sehr viel Mühe mit diesem Bericht gemacht hat, und wenn auch nicht alles gelungen ist, was man sich als Umweltpolitikerin eben so wünscht, so möchte ich ihr doch zu diesem Bericht sehr gratulieren, und ich wünsche uns allen, daß wir vielleicht doch einmal eine Umweltdebatte an einem Vormittag machen könnten.

  Blokland (I‐EDN).(NL) Herr Präsident, sauberere Luft ist ein erstes Lebensbedürfnis, ganz sicherlich für Asthma‐ und Bronchitispatienten. Zugleich ist eine gute Luftqualität zum Schutz der Umwelt, Gebäude und Vegetation unabdingbar.

Bereits in den 70er Jahren wurden in Europa Maßnahmen getroffen, um den Ausstoß von Schwefeldioxid und Stickstoffoxiden unter Kontrolle zu bekommen. Diese Politik war erfolgreich. Trotz des gestiegenen Energieverbrauchs ist der Ausstoß versauernder Stoffe drastisch zurückgegangen. Eine Reduzierung um mehr als 50 Prozent seit 1980 ist in den meisten EU‐Mitgliedstaaten zum Glück keine Ausnahmeerscheinung. Selbst die für 2010 geplante SO2‐ und Nox‐Senkung scheint aufgrund neuer Normen für Kraftfahrzeugabgase machbar zu sein.

Partikel stellen eine Gefahr für die menschliche Gesundheit dar. Das Europäische Umweltschutzbüro hat festgestellt, daß eine Reduzierung des mittleren PM10‐Grenzwertes von 30 �g/m3 auf 20 �g/m3 in der EU den frühzeitigen Tod von 10 000 Menschen durch Pneumokoniose verhindern kann. Deshalb ist der von den europäischen Umweltministern auf 40 �g/m3 festgesetzte PM10‐Wert enttäuschend. Der Schadstoffausstoß durch den Fahrzeugverkehr muß unter anderem durch reinere Kraftstoffe und sparsamere Motoren weiter gesenkt werden.

Auch in der Industrie brauchen wir weiterreichende Maßnahmen: 30 Prozent der Nox‐Emissionen stammen von Müllverbrennungsanlagen, Zementöfen, Kraftwerken und anderen Fabriken. In neuen Richtlinien muß deshalb der Reduzierung der Emissionen von Partikeln, Nox und SO2 ernsthaft Rechnung getragen werden. Ich gratuliere Frau Pollack zu diesem Bericht.

  Bjerregaard, Mitglied der Kommission.(DA) Herr Präsident, auch meiner Ansicht nach wäre es besser, wenn auch Umweltvorschläge dann behandelt werden könnten, wenn mehr Parlamentarier an der Debatte teilnehmen können. Ich stimme aber auch Überlegungen und Anmerkungen zu, welche die Wichtigkeit dieses Entwurfs betonen. Ich werde mich jetzt kurz fassen. Dem Ausschuß für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz und insbesondere der Berichterstatterin, Frau Pollack, danke ich dafür, daß dieser Entwurf erneut so schnell und mit solchem Sachverstand behandelt worden ist.

Die meisten der bei der ersten Lesung vorgelegten Änderungsanträge des Europäischen Parlaments sind vom Rat entweder wörtlich oder sinngemäß in den Gemeinsamen Standpunkt aufgenommen worden, und nach Meinung der Kommission können mehrere der jetzt vom Ausschuß vorgetragenen Vorschläge dazu beitragen, den Entwurf eindeutiger und straffer zu gestalten. Das gilt z. B. für den Änderungsantrag 1, in dem es um die Definition von Naturereignissen geht. Seismische Aktivitäten müssen nach wie vor dazugehören, aber geothermische Ereignisse müssen neu aufgenommen werden, und der Rest des Änderungsantrags wird den Text verständlicher machen. Wir können auch die Änderungsanträge 3 und 4 unterstützen. Sie verdeutlichen die Forderung nach Information der Öffentlichkeit, und wir alle halten das ja für einen sehr wichtigen Punkt des Entwurfs. Auch die Forderung, die Alarmschwellen für Partikel im Jahr 2003 zu überprüfen, können wir unterstützen, und deshalb akzeptieren wir Änderungsantrag 5 und auch Änderungsantrag 8, durch den ein Fehler betreffend die Toleranzmarge korrigiert wird.

Einige weitere Änderungsanträge hat Frau Pollack bereits erwähnt. In Änderungsantrag 2 wird gefordert, daß alle Mitgliedstaaten Überschreitungen der von der WHO empfohlenen Zehnminutenmittelwerte für Schwefeldioxid melden müssen. Die Kommission ist an möglichst vielen Informationen zu diesem empfohlenen Wert interessiert, da es aber für einige Mitgliedstaaten schwer sein wird, diese Forderung zu erfüllen, können wir diesen Änderungsantrag nicht unterstützen.

Ich komme zu den Änderungsanträgen 6, 7, 9, 10 und 11. Eigentlich sollte ich mich über diese Änderungsanträge freuen, weil in ihnen vorgeschlagen wird, einige der ursprünglich vorgeschlagenen Grenzwerte wieder einzusetzen oder sie weiter zu verschärfen, und es ist doch zu begrüßen, wenn das Parlament dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission zustimmt. Ich kann sie aber trotzdem nicht unterstützen, weil sich während der Debatte im Rat gezeigt hat, daß es vielen Mitgliedstaaten nicht möglich wäre, die im Gemeinsamen Standpunkt genannten Grenzwerte insbesondere in bezug auf Partikel einzuhalten. Das würde allzu schwierige Entscheidungen erfordern. Natürlich möchte die Kommission möglichst hohe Standards für den Schutz in der Union erreichen. Dieser Entwurf erlaubt es Mitgliedstaaten, die mehr tun können, dies im Zusammenhang mit diesem Entwurf auch zu tun, da sie entsprechend der Rahmenrichtlinie für Luftqualität mehr tun dürfen, wenn sie dazu in der Lage sind. Aber wie gesagt: Unter Berücksichtigung der Verhältnisse in der Union insgesamt wage ich nicht – um es einmal so auszudrücken –, diese Änderungsanträge zu akzeptieren, weil dann eventuell der Vorschlag insgesamt abgelehnt werden könnte.

Dieser Vorschlag ist die erste konkrete Umsetzung des neuen Programms der EU zur Verbesserung der Luftqualität für ihre Bürger und für die Umwelt. Nach Ansicht der Kommission sichert der Entwurf in seiner jetzigen Fassung ein hohes Schutzniveau und stellt einen guten Ausgangspunkt für das Programm dar. Wir haben neulich einen anderen Vorschlag über Kohlenmonoxid und Benzol angenommen. Wir werden uns im Jahr 2003 auch erneut mit den in diesem Vorschlag behandelten verschmutzenden Stoffen befassen, um zu entscheiden, ob sich in einer nächsten Stufe noch mehr erreichen läßt. Ich vertraue deshalb darauf, daß die Wirksamkeit des Programms im Laufe der Zeit weiter zunimmt, und hoffe im übrigen, daß wir uns gemeinsam über die sauberere Luft und die bessere Gesundheit und Umwelt freuen können, die durch diesen Entwurf erreicht werden sollen.

  Pollack (PSE), Berichterstatterin. – (EN) Herr Präsident, ich wage kaum, die Kommission in der jetzigen Situation um die Zusicherung zu bitten, einen Teil unserer Forderungen im Hinblick auf die Revision im Jahre 2003 zu erfüllen. Ich werde das erst einmal zurückstellen und auf einen geeigneteren Moment hoffen.

Ich möchte der Kommissarin gratulieren und ihr danken, daß sie trotz ihres kürzlichen Unfalls und der späten Stunde ins Plenum gekommen ist. Ich bitte Sie, den Mitarbeitern der GD XI meinen Dank als Berichterstatterin zu übermitteln, die mich in bezug auf diese in hohem Maße technische Richtlinie sehr unterstützt haben.

  Der Präsident . – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt(1) .

(Die Sitzung wird um 00.10 Uhr geschlossen.)

(1) Tagesordnung für die nächste Sitzung: siehe Protokoll.

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