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Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 27. Oktober 1999 - Straßburg Ausgabe im ABl.

2. Bericht über die Regierungskonferenz
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  Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die Erklärung der Kommission zu dem Bericht der hochrangigen Gruppe über die Regierungskonferenz.

Das Wort hat Herr Barnier im Namen der Kommission.

 
  
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  Barnier, Kommission. – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete, die gegenwärtige Debatte ist für die Kommission, die ich hier vertreten darf, einerseits von großem Interesse, weist aber andererseits auch Grenzen auf.

Die Grenzen, die jeder verstehen und respektieren wird, ergeben sich daraus, daß zum jetzigen Zeitpunkt weder die Kommission noch das Europäische Parlament ihre jeweiligen Standpunkte und Vorschläge für die nächsten institutionellen Verhandlungen, die Anfang kommenden Jahres beginnen werden, ausführlich und präzise festgelegt haben. Heute geht es somit darum – aber das ist schon einiges –, die Einstellung, mit der wir, Sie und wir, in diese Verhandlungen gehen werden, zu überprüfen bzw. einzuschätzen.

Ich werde Ihnen, meine Damen und Herren Abgeordnete, also mitteilen oder vielmehr bestätigen, welche Einstellung Präsident Prodi und das Kollegium der Kommissare vertritt, und ich werde mir sehr aufmerksam anhören, was Sie im Namen Ihrer politischen Fraktionen oder aus persönlicher Sicht anzumerken haben.

Mit ihrem Auftrag an drei anerkannte und erfahrene Persönlichkeiten, frei und ungezwungen nachzudenken und ihre Ideen zum Ausdruck zu bringen, verfolgte die Kommission die Absicht, diese Debatte unverzüglich in Gang zu setzen und auf eine solide Grundlage zu stellen. Ich bin mir sicher, daß wir auf diese Weise unsere Aufgabe im Sinne des ersten Absatzes von Artikel 48 des EU-Vertrags erfüllen.

Dieses erste Ziel ist nun erreicht. Die Debatte beginnt. Sie muß hier stattfinden, sie muß in den Mitgliedstaaten, in den nationalen Parlamenten stattfinden. Ich werde dazu mit all denen, die am europäischen Aufbauwerk interessiert sind – und davon gibt es mehr, als man glaubt – so bürgernah wie möglich beitragen.

Herr Präsident, ich möchte Ministerpräsident Jean­Luc Dehaene, Präsident von Weizsäcker und Lord Simon meine Anerkennung für die Qualität ihres Beitrags aussprechen, und ich möchte auch Ihnen hier in diesem Parlament für die freundliche Aufnahme danken und für die Aufmerksamkeit, die Sie dem Bericht dieser drei Persönlichkeiten entgegenbringen, insbesondere in Ihrem Ausschuß für konstitutionelle Fragen, der von Herrn Napolitano geleitet wird.

Dem Bericht Dehaene kommt das vorrangige Verdienst zu, daß er die Herausforderungen klar formuliert und der institutionellen Reform eine echte politische Perspektive verleiht. Darauf werde ich gleich zurückkommen. Aus dem Bericht sind bereits jetzt mehrere Lehren zu ziehen: erstens hinsichtlich des Zeitplans, zweitens hinsichtlich des Umfangs der Reformen, die erfolgreich umgesetzt werden müssen, und drittens hinsichtlich der Art der Vorbereitung auf diese Verhandlungen.

Bezüglich des Zeitplans ist diese Reform, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, Ihnen meine Überzeugung zum Ausdruck zu bringen, die letzte Gelegenheit für eine echte Reform vor der großen Erweiterung der Union, vor dem Vereinigung der europäischen Staaten und Völker in einer großen politischen und wirtschaftlichen Gemeinschaft. Diese Aussicht auf eine große Erweiterung ist nicht mehr hypothetisch, sie liegt nicht mehr in weiter Zukunft. Am 13. Oktober 1999 haben wir daher im Kollegium beschlossen, uns weiterhin genauso ernsthaft, aber schneller darauf vorzubereiten. Und aus ebendiesem Grund muß diese Regierungskonferenz tatsächlich vor Ende des Jahres 2000 abgeschlossen sein.

Diese verkürzte Frist zwingt uns zum Erfolg. Aber, meine Damen und Herren Abgeordnete, verurteilt uns diese Frist deshalb auch zu einer Mini-Regierungskonferenz? Wir sind nicht dieser Ansicht. Diese Reform, von der jeder in seinem tiefsten Inneren weiß, daß sie notwendig ist, ist nicht nur und nicht in erster Linie eine Frage der Zeit. Sie ist zunächst einmal eine Frage des politischen Willens, des klaren Blicks auf unsere eigene derzeitige Arbeitsweise und deren Unzulänglichkeiten; sie ist eine Frage des Mutes, des kollektiven Mutes, den wir aufbringen werden oder nicht, um diesmal der Union den Vorrang einzuräumen, um einer langfristigen Vision den Vorrang einzuräumen, die – das wissen wir genau, auch wenn es schwierig ist – sich mit Vorsichtsdenken nicht verträgt und über die unmittelbaren Interessen hinausgeht.

Angesichts der Verhandlungsdauer und der Dauer der Ratifizierung durch die einzelnen Mitgliedstaaten müssen wir diese echte Reform daher jetzt wollen und umsetzen. Ich spreche nicht von einer endgültigen Reform der europäischen Institutionen, sondern von einer Reform, die weitreichend genug ist, daß sie die Blockade der Institutionen oder gar ihre Lähmung verhindern kann; eine Reform, die weitreichend genug ist, wie dies kürzlich einer Ihrer Kollegen formuliert hat, daß sie in Zukunft weitere Entwicklungen zuläßt. Es ist ein Irrtum zu glauben – ich sage dies mit großem Nachdruck –, man könne später mit 18, 20 oder 25 Staaten die Reform durchführen, die wir in Amsterdam nicht geschafft oder die wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht gewollt haben.

Hinsichtlich des Umfangs der Reformen haben wir über die ehrgeizigen Pläne für diese Regierungskonferenz gesprochen, und genau dies entspricht der Einstellung der Kommission. Meine Damen und Herren, dies wird niemanden überraschen, denn das große Vorhaben der Erweiterung, ich habe es soeben gesagt, wird rascher und umfassender umgesetzt werden, als man sich dies in Amsterdam vorgestellt hatte. Ich wiederhole also: Die Kommission und das Europäische Parlament werden ihrer Aufgabe gerecht, indem sie das Niveau dieser Konferenz erhöhen wollen und wenn sie empfehlen, jetzt alle Reformen durchzuführen, die erforderlich sind, damit unsere Union eine größere Zahl von Staaten aufnehmen kann.

Es geht nicht darum, die Schlußfolgerungen von Köln in Frage zu stellen. Die erste Aufgabe dieser Regierungskonferenz wird darin bestehen, die in Amsterdam ungelöst gebliebenen Fragen zu behandeln und zwar angemessen und mit aller Entschlossenheit, wie ich betonen möchte; denn – erlauben Sie mir diese Anmerkungen ausgehend von einer gewissen Erfahrung –, diese drei Fragen lassen sich ohne Entschlossenheit nicht lösen. Bei allen diesen drei Fragen – die Anzahl der Kommissare in einer erweiterten Union, die neue Stimmengewichtung und der Anwendungsbereich von Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit – handelt es sich um äußerst schwierige, aber notwendige Entscheidungen. Ich möchte Ihnen sagen, daß wir das Gefühl haben, daß es weniger schwierig wäre, darüber zu sprechen, wenn sie in eine politische Perspektive eingebunden wären.

Aus diesen Gründen ist die Aufzählung der im Bericht Dehaene erwähnten Fragen unseres Erachtens angemessen. Keine der vorgebrachten Ideen kann als überflüssig betrachtet werden. Es ist nicht überflüssig, an einer Umgestaltung des Vertrags zu arbeiten, um ihn verständlicher und für die Bürger leichter zugänglich zu machen und um eines Tages zu einer leichteren Änderung der Gemeinschaftspolitiken im Gegensatz zu den Grundprinzipien der Union zu gelangen.

Es ist nicht überflüssig, eine Verbesserung des Systems der verstärkten Zusammenarbeit anzustreben, ohne sich allerdings, und hier gibt es für mich keine Alternative, auf irgendeine Aufweichung des Acquis communautaire einzulassen. Es ist nicht überflüssig, zu hoffen, man könne Ende des Jahres 2000 im Rahmen des neuen Vertrags die institutionellen Konsequenzen aus den Beschlüssen ziehen, die bis dahin im Geist von Köln für die Sicherheit und die Verteidigung des europäischen Kontinents gefaßt werden könnten. Es ist nicht überflüssig, sich mit weiteren institutionellen Fragen zu befassen, die sich infolge der Erweiterung stellen werden. Hier denke ich beispielsweise an die Rechtspersönlichkeit der Union oder an die Arbeitsweise des Gerichtshofs oder auch an geeignetere Maßnahmen der Union zur Betrugsbekämpfung. Ich sage dies in Ergänzung zum Rat von Tampere, über den Sie vorhin mit meinem Kollegen und Freund Vitorino debattiert haben. Zu all diesen Themen, und vielleicht auch zu einigen anderen, wird die Kommission mit Interesse Ihre Reaktionen und Ihre Vorschläge zur Kenntnis nehmen.

Und schließlich möchte ich kurz etwas zur Vorbereitung der Verhandlungen sagen. Die Vorhaben der portugiesischen und danach der französischen Präsidentschaft, die Vorhaben der finnischen Präsidentschaft im Vorfeld von Helsinki sind von wesentlicher Bedeutung, damit die Regierungskonferenz auf einer guten Grundlage beginnen kann, und dies, erlauben Sie mir diese Anmerkung, möglichst zeitig zu Beginn des Jahres 2000. Wir unsererseits bereiten uns gewissenhaft darauf vor, und dies ist das mindeste, was man von der Kommission erwarten darf. Ab dem 10. November werden wir innerhalb der Kommission über die Form und die Ausrichtung unseres offiziellen Berichts diskutieren, der zu Beginn dieser Verhandlungen veröffentlicht wird.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird dieser Bericht ein umfassendes und aussagekräftiges politisches Dokument sein, das von seinem Aufbau und seiner Gliederung her zweckdienlich für die Verhandlungen sein soll, das sie erleichtern und, wie wir hoffen, beschleunigen wird. Ich erinnere mich noch gut an das hohe Niveau der Beiträge der beiden Vertreter des Europäischen Parlaments, Élisabeth Guigou und Elmar Brok, während des gesamten Zeitraums im Vorfeld von Amsterdam, und möchte daher auch anmerken, daß es meines Erachtens für alle Seiten von Vorteil wäre, wenn Ihr Parlament seine Meinung einbringen könnte und bestmöglich in diese bevorstehenden Verhandlungen eingebunden würde.

Abschließend möchte ich Ihnen noch folgendes sagen: Zwischen Vorsicht und Kühnheit, zwischen Realismus und Utopie gibt es, davon sind wir überzeugt, einen Platz und einen Weg für eine echte Reform unserer Institutionen, für eine effizientere und demokratischere Arbeitsweise der Union, und zwar nicht, um die Erweiterung zu verzögern, sondern um sie zu meistern.

(Beifall)

 
  
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  Poettering (PPE). – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sagen zunächst für die Fraktion der Europäischen Volkspartei und der Europäischen Demokraten ein Wort des Dankes an Jean-Luc Dehaene, Richard von Weizsäcker und Lord Simon für diesen Bericht, der ehrgeizig ist, der mutig ist und doch gleichzeitig realistisch ist, und deshalb ist dieser Bericht zukunftsweisend. Wir haben in der vergangenen Woche in unserer Fraktion die Debatte geführt mit Jean-Luc Dehaene – Herr Kommissar Michel Barnier war anwesend –, und ich möchte Ihnen sagen, Herr Kommissar, wir haben volles Vertrauen darin, daß Sie Ihren Beitrag leisten werden, die Europäische Union mit den Arbeiten der Kommission in eine gute Zukunft zu führen, und Sie haben unser aller Unterstützung auf diesem Wege!

In Helsinki wird entschieden werden, daß wir mit sechs weiteren Staaten über den Beitritt verhandeln. Damit verhandeln wir mit 12 Staaten, und es ist sehr wahrscheinlich, daß mehr als fünf Staaten in einer ersten Runde dieser Europäischen Union beitreten. Deswegen ist es nicht realistisch, dieses Protokoll von Amsterdam auf drei Themen zu beschränken, sondern wir müssen darüber hinausgehen. Daher sagen wir als Fraktion der Europäischen Volkspartei der Christdemokraten und der Europäischen Demokraten: Wir wollen mehr, als in Amsterdam in Aussicht gestellt ist, wir wollen Amsterdam plus, wir wollen eine grundlegende Reform der Europäischen Union, damit sie fähig ist für eine Erweiterung, die für uns eine große Priorität hat!

(Beifall)

Der Kern ist sicher die Mehrheitsentscheidung im Rat, und wir sind dafür, daß die Mehrheitsentscheidung im Rat das grundsätzliche Entscheidungsverfahren wird, und in allen Fragen der Mehrheitsentscheidung muß das Europäische Parlament – auch heute schon bei der Agrarpolitik, das ist ein weiterer Punkt – gleichberechtigt in der Gesetzgebung mitentscheiden. Wir haben Verständnis dafür, wo man das noch diskutieren muß, daß jedes Land auch in der Kommission vertreten ist und daß wir eine Neugewichtung im Ministerrat bekommen. Die doppelte Mehrheit ist ein Instrument, es gibt andere. Aber es muß sich natürlich die Demokratie wiederfinden in der Neuberechnung der Stimmen im Ministerrat. Aber ich sage auch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es gibt eine Dimension jenseits aller rechtlichen Verfahren. Wenn heute Vertreter einiger großer Mitgliedstaaten eine gewisse Anmaßung, eine gewisse Arroganz Kleineren gegenüber an den Tag legen, so lehnen wir dies ab und sagen: Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union leisten ihren Beitrag und müssen eingebunden werden, und hier sollten auch die großen Mitgliedstaaten erkennen, daß manche Präsidentschaft kleiner Länder erfolgreicher, effizienter und engagierter war als die mancher großer Mitgliedstaaten!

(Beifall)

Wir finden den Vorschlag der Kommission der Weisen, einen grundlegenden Vertrag zu schaffen, gut. Ich freue mich besonders, daß unser Freund Jacques Santer sich über diesen Punkt freute, denn er ist ja ein Beispiel für die Effizienz eines kleineren Mitgliedstaates, in diesem Fall Luxemburg. Wir unterstreichen, daß es richtig ist – und ich finde diesen Gedanken genial –, daß die Arbeitsgruppe vorgeschlagen hat, einen grundlegenden Vertrag zu schaffen und einen erweiterten Vertrag. Durch den grundlegenden Vertrag wären alle Mitgliedstaaten, alle Mitgliedsparlamente bei einer Reform immer dabei; das ist gut. Beim erweiterten Vertrag wären es dann Ministerrat und Europäisches Parlament, die diese Entscheidung treffen könnten. Dies schafft Flexibilität, und es bestünde die Möglichkeit, den jeweiligen Erfordernissen gerecht zu werden.

Herr Barnier hat von der Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union gesprochen. Die Europäische Union ist heute rechtlich ein Nullum, ein Nichts, sie kann nicht einmal ein Haus kaufen, geschweige denn in einer internationalen Organisation vertreten sein! Das müssen wir ändern, wenn die Europäische Union Gewicht haben soll in der Welt!

Wir müssen auch handeln in der Außen–, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Gerade in der letzten Woche hat das Institut für strategische Studien in London gesagt, daß die Europäer nicht handlungsfähig sind. Das ist nicht nur eine Frage der Institution, sondern der Bereitschaft der Mitgliedstaaten, die notwendige Logistik, die notwendige Aufklärung zu ermöglichen für unsere Streitkräfte. Wir erwarten vom neuen Hohen Repräsentanten, Herrn Solana, in Absprache mit Chris Patten, daß hier die notwendigen Initiativen ergriffen werden. Wir benötigen jetzt eine große Debatte auch über die geographische Ausdehnung der Europäischen Union, über ihre Inhalte, und wir fordern den Ministerrat auf, – die Damen und Herren, die dort vertreten sind, – haben Sie den Mut, Europa in eine gute Zukunft zu führen, denn es geht um die Stabilität, um den Frieden, um die Demokratie im 21. Jahrhundert auf unserem Kontinent!

(Beifall)

 
  
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  Corbett (PSE).(EN) Herr Präsident, meine Fraktion begrüßt den Bericht von Herrn Dehaene, Lord Simon und Herrn von Weizsäcker, denn darin kommt klar und unmißverständlich zum Ausdruck, daß sich eine Regierungskonferenz nicht auf die drei, nach dem Vertrag von Amsterdam noch offenen Aspekte beschränken darf. Wir müssen uns mit weiterreichenden Fragen befassen. In der anstehenden Regierungskonferenz wird es zwar nicht so sehr um die Ausweitung des Zuständigkeits- oder Kompetenzbereichs der Europäischen Union gehen, sondern vielmehr um die strukturelle Reform, die Interinstitutionelle Reform, eine Reform also, durch welche die Union offener, effizienter, demokratischer und transparenter werden soll. Vor allem wird die Regierungskonferenz dazu beitragen, daß die Union funktioniert und ihrer Verantwortung auch mit mehr als 20 Mitgliedern noch gerecht werden kann.

Die drei, nach dem Vertrag von Amsterdam noch offenen Aspekte werden Teil des Pakets sein, jedoch nicht den gesamten Inhalt bilden. Wir setzen uns mit unserer Argumentation für eine Erweiterung der Agenda immer mehr durch. Doch allein die drei Punkte von Amsterdam sind, wie Herr Barnier betonte, nicht einfach. Die Ausweitung der Beschlußfassung mit qualifizierter Mehrheit wird zum Beispiel unmittelbar zur Folge haben, daß die Euroskeptiker und andere in ihren Mitgliedstaaten behaupten werden, daß ihr Land sein Vetorecht und seine Souveränität aufgibt. Tatsächlich spricht sich eine der größten zusammengeschlossenen Parteien des Europäischen Parlaments ebenfalls gegen eine Ausweitung der Beschlußfassung mit qualifizierter Mehrheit aus. Würde man nur eine Minute nachdenken, würde man schnell feststellen, daß das eigene Land und jedes andere Land durch das Veto der anderen mehr verliert, als es durch das eigene Vetorecht in vielen Bereichen, für welche die Europäische Union zuständig ist, gewinnen kann.

Reformen sind jedoch nicht nur für im Hinblick auf die drei Punkte von Amsterdam, die Ausdehnung von Mehrheitsentscheidungen, die Größe der Kommission und die Stimmengewichtung im Rat, notwendig. Auch in bezug auf den Europäischen Gerichtshof sind Reformen erforderlich. Wie wird er mit fast 30 Mitgliedstaaten funktionieren? Die Größe des Parlaments ist auf unseren eigenen Wunsch hin in den Verträgen auf 700 Mitglieder beschränkt worden, Veränderungen sind also notwendig, wenn wir diese Grenze einhalten wollen. Die Beschlüsse unserer Mitgliedstaaten in bezug auf die Integration der WEU und die Übertragung ihrer Funktionen bzw. eines Teils ihrer Funktionen auf die Europäische Union müssen umgesetzt werden.

Die Verträge müssen kodifiziert und vereinfacht werden, dies wurde vom Parlament bereits im Vorfeld der Verhandlungen über den Vertrag von Amsterdam erstmals unterstrichen. Mit dieser Aufgabe wurde in Amsterdam begonnen, sie ist jedoch längst noch nicht abgeschlossen, und auch darauf wird im Bericht von Herrn Dehaene verwiesen.

Durch die Hinzufügung dieser neuen Punkte zu den Beratungsthemen der Regierungskonferenz machen wir die Arbeit der Konferenz nicht unbedingt schwieriger. Ein größeres Paket könnte zu einer schnelleren Einigung beitragen und die Ratifizierung in unseren Mitgliedstaaten befördern, doch möchte ich im Namen meiner Fraktion betonen, daß wir in der eben von Herrn Barnier erläuterten Weise zur engen Zusammenarbeit des Parlaments mit der Kommission bereit sind, damit wir bei der Regierungskonferenz gemeinsam ein ausgewogenes Paket von Vorschlägen vorlegen können, das er und unsere Vertreter bei allen Sitzungen der Regierungskonferenz unterstützen können: ein Paket, mit dessen Hilfe die Union ihre Arbeit auch mit mehr als 20 Mitgliedstaaten bewältigen kann.

 
  
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  Duff (ELDR).(EN) Herr Präsident, ich begrüße den Bericht deshalb, weil er uns auf die zentrale Frage aufmerksam macht, nämlich das Verfahren für die zukünftige Revision der Verträge. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß es praktisch unmöglich – und in jedem Falle undurchführbar – sein wird, bei wesentlichen Fragen der Souveränität eine Einigung zwischen 25 oder 30 Mitgliedstaaten herbeizuführen. Am wichtigsten für Vertragsänderungen ist daher die Reform von Artikel 48. Verankert werden müssen die grundlegenden Artikel des Vertrags, und wir brauchen ein flexibleres System für Vertragsänderungen in bezug auf die einzelnen Politikbereiche. Durch die erste Reform wird die Angst der Bürger vor einer schleichenden Abtretung der Souveränität zerstreut, und durch die zweite Reform sollen die Bürger ermutigt werden, sich stärker zu den politischen Entscheidungen zu äußern, die wir in Brüssel und Straßburg zu treffen haben.

Die zweite notwendige Reform ist die Streichung des nationalen Vetorechts aus den Klauseln über die verstärkte Zusammenarbeit, und durch die dritte Reform sollen die Bürger das Recht erhalten, sich direkt an den Europäischen Gerichtshof zu wenden.

 
  
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  Frassoni (Verts/ALE).(IT) Herr Kommissar Barnier, der Bericht Dehaene enthält wie beinahe alles im Leben Licht- und Schattenseiten; ich möchte hinzufügen, daß seine Grundideen seit Jahrzehnten vom Europäischen Parlament fortentwickelt werden, weshalb er mir nicht besonders originell erscheint. Ich möchte nun meine knappe Redezeit nutzen, um Sie und den Kommissionspräsidenten Prodi aufzufordern, doch einmal über die Risiken nachzudenken, die eingegangen werden, wenn man als einzige Gesprächspartner die Regierungen haben und nur sie, insbesondere die widerspenstigsten unter ihnen, überzeugen sowie Realismus und Glaubwürdigkeit stets mit oftmals zweideutigen und halbherzigen Vorschlägen in Einklang bringen will.

Ich finde es besorgniserregend, wenn sogar die Weisen, die ja gegenüber niemandem mehr verpflichtet sind, den Versuch eines Kompromisses in den Vordergrund rücken und eine Rolle spielen wollen, die ihnen nicht zukommt. Ich hoffe, daß die Kommission und Sie in dem Vorschlag, den Sie uns vorlegen werden, den Mut aufbringen, nach höherem zu greifen, daß Sie für die Notwendigkeit der Festlegung eines konstitutionellen Teils in den Gründungsverträgen der Europäischen Union eine leidenschaftlichere Begründung als nur die simple Neugestaltung der konfusen Texte der Verträge finden mögen. Ich finde es bedauerlich, daß Ex-Ministerpräsident Dehaene diesen Mut nicht hatte. Ich hoffe außerdem, daß sich die Kommission von der ineffizienten und anachronistischen Pfeilerstruktur befreien und dem wirklich seltsamen Gedanken der Weisen, das Europäische Parlament sei nur zur Mitentscheidung über den ersten Pfeiler berechtigt, eine klare Absage erteilen möge. Die mutige Suche nach Bündnissen und Konsens außerhalb der Machtpaläste, unter den Menschen, in diesem Parlament, ist eine Herausforderung, der sich die Kommission stellen muß. Tut sie dies nicht, werden wir alle die Verlierer sein.

 
  
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  Kaufmann (GUE/NGL). – Herr Präsident! Kommissionspräsident Prodi hatte völlig recht, als er vor diesem Haus von einem Fehler historischen Ausmaßes sprach, falls die Regierungskonferenz auf die sogenannten left overs von Amsterdam reduziert bliebe. Nein, was die Bürgerinnen und Bürger zu Recht erwarten, sind wahrhafte Demokratie, Transparenz sowie Effizienz von Entscheidungen. Nötig ist vor allem Mut zur kritischen Überprüfung der bisherigen Politiken der Union. Ein sozial gerechtes Europa ist unverändert hochaktuell. Wir brauchen eine Reform der Union dahingehend, daß der Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit und Armut endlich im Mittelpunkt der Politik steht. Dazu gehörte dann auch die Courage, Artikel 4 EG-Vertrag zu ändern, der die Union in klassisch neoliberaler Manier als offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb definiert.

Gleiches gilt für Artikel 105 EG-Vertrag, damit die EZB den vertraglich fixierten politischen Auftrag erhält, mit ihrer Geldpolitik Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Bürgerinnen und Bürger müssen in die Debatte über Ziele und Inhalte der Reform einbezogen werden. Sie müssen die Möglichkeit haben, über Volksentscheide selbstbestimmt ein Urteil über die Ergebnisse der Regierungskonferenz abgeben zu können.

Ich habe die Vorschläge der Herren Dehaene, von Weizsäcker und Simon mit Interesse zur Kenntnis genommen. Einige halte ich persönlich für durchaus überlegenswert, zum Beispiel diejenigen zur Vereinfachung der Verträge oder aber den Vorschlag, daß qualifizierte Mehrheitsentscheidung im Rat und Mitentscheidung des Parlaments künftig die Regel sein sollten. Als Abgeordnete eines großen Mitgliedstaates lege ich allerdings größten Wert darauf, daß die Rechte kleiner Staaten nicht eingeschränkt werden dürfen.

Eines allerdings will ich hier abschießend in aller Deutlichkeit sagen: Die Integration der WEU in die Union lehnt meine Fraktion entschieden ab. Wir wollen ein solidarisches und ziviles Europa. Wir wollen keine Militärunion, die bis an die Zähne bewaffnet künftig als Euro-Gendarm in der internationalen Politik auftritt!

 
  
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  Berthu (UEN).(FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, nach Ansicht der Fraktion Europa der Nationen ist der Bericht Dehaene über die institutionellen Auswirkungen der Erweiterung weder hinsichtlich seiner Methode, noch hinsichtlich seiner wesentlichen Schlußfolgerungen zufriedenstellend.

Seine Methode sieht wie folgt aus: Der Rat von Köln im Juni diesen Jahres hatte es abgelehnt, eine kleine Arbeitsgruppe für die Vorbereitungsarbeiten zur Überarbeitung des Vertrags einzurichten. Dieser Rat wollte nämlich, daß die Diskussionen von Anfang an offener sind. Was aber haben wir erlebt? Die Kommission, die verärgert war, weil es ihr nicht gelungen war, die Debatte abzuschotten, ernannte umgehend selbst eine kleine Arbeitsgruppe, die auch gleich als „Gruppe der Weisen“ bezeichnet wurde, obwohl ihre Mitglieder nicht weiser sind als der Durchschnitt der hier Anwesenden. Dahinter steckte der Versuch, den Rat dazu zu zwingen, die von der Kommission gewünschte Tagesordnung der Konferenz zu übernehmen. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß der Bericht Dehaene im wesentlichen die Befugnisse der Kommission stärken und die Rechte der Staaten umgehen möchte. Zunächst kommt der Text zu dem Schluß – welch seltsamer Zufall! –, daß die Kommission gleich zu Beginn der Regierungskonferenz einen vollständigen Vertragsentwurf auf den Tisch des Rates legen soll. Hier wird also die bekannte Methode des Durchpeitschens fortgesetzt.

Ebenso macht die Gruppe den altbekannten föderalistischen Vorschlag der generellen Einführung von Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat. Dieser Vorschlag in Verbindung mit der Beibehaltung des alleinigen Initiativrechts der Kommission würde bekanntlich zu einer beträchtlichen Ausweitung der Befugnisse der Kommission und zu einem entsprechenden Abbau der Rechte der Staaten führen. Im übrigen ist es eine ziemlich interessante Feststellung, daß – dies ist ein gutes Beispiel für europäisches „Neusprech“ – das System der Mehrheitsentscheidungen in diesem Bericht als konsensfördernd hingestellt wird, obwohl genau das Gegenteil der Fall ist. Die Mehrheitsregel zwingt die Minderheit und vor allem die kleinen Staaten zum Nachgeben, während die Einstimmigkeit Verhandlungen bis zur Konsensfindung erforderlich macht.

Eine weitere Umgehung der Staaten besteht darin, daß der Bericht Dehaene vorschlägt, der Vertrag könne in bestimmten Fällen aufgrund eines einfachen Ratsbeschlusses oder gar eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit geändert werden. Dies ist vollkommen inakzeptabel, denn es steht in völligem Widerspruch zu unserer Auffassung von einem Europa, das seine Nationen respektiert. Abgesehen von den üblichen föderalistischen Gemeinplätzen wird in diesem Bericht auch zaghaft eine neue Idee angedeutet, die Idee der in einem erweiterten Europa erforderlichen institutionellen Flexibilität. Damit wird anerkannt, was wir schon immer gesagt haben, nämlich daß die im Vertrag von Amsterdam vorgesehenen Formen der verstärkten Zusammenarbeit in keiner Weise zur Lösung der beiden Probleme beitragen können, die in der wachsenden Heterogenität und der völligen Unmöglichkeit, Souveränitätsrechte zugunsten von Entscheidungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit aufzugeben, bestehen. In einem Europa von 30 oder mehr Staaten gilt dies um so mehr. Dies, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist das eigentliche Thema, das auf die Tagesordnung der Regierungskonferenz gehört, und ein zweites Thema „Wie stellen wir Europa wieder unter die Kontrolle durch seine Völker?“, das mit dem ersten eng verknüpft ist, da es ebenfalls auf die freie Ausübung der nationalen Souveränität abzielt.

 
  
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  Dimitrakopoulos (PPE).(EL) Herr Präsident, der bislang noch inoffizielle Bericht Dehaene geht auf jeden Fall in die richtige Richtung. Bei seiner Lektüre stellt man zwar fest, daß er weder auf die Visionen noch auf die Ziele oder die Herausforderungen eingeht, vor denen die Europäische Union an der Schwelle zum 21. Jahrhundert steht, aber zumindest gibt er einige allgemeine Leitlinien in bezug auf eine Reihe von institutionellen Fragen, die geklärt werden müssen. Auch nach den sehr interessanten Ausführungen des zuständigen Kommissars, Herrn Barnier, bleibt nun zu schauen, wieviele und welche dieser Vorschläge wir annehmen werden und was es noch zu tun gilt, damit die Europäische Union beginnen kann, die richtigen Vorbereitungen für die Zukunft zu treffen.

Die von Herrn Barnier verwendete Formulierung, daß nämlich der von der Kommission vorzulegende Text „global et fort“ sein wird, ist in der Tat ganz wichtig. Wir warten nun darauf, was in diesem Text stehen wird. Wir als Europäisches Parlament wollen es aber keinesfalls versäumen, unserer Erwartung Ausdruck zu verleihen, daß dieser Text einen systematischen Ansatz für alle Aspekte der Europäischen Union enthält, damit die neue Regierungskonferenz sich der Fragen und Probleme, die uns derzeit beschäftigen, einzeln annehmen kann, und dies nach Maßgabe der aristotelischen Logik, daß Politik die Kunst des Machbaren ist.

 
  
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  Leinen (PSE). – Herr Präsident! Ich sehe in dem Bericht der Weisen einen großen Schritt nach vorne, und ich stimme Kommissar Barnier ausdrücklich zu, daß umfassende Reformen der Union jetzt durchgeführt werden müssen und nicht erst auf die Zeit nach der Erweiterung verschoben werden dürfen. Das wäre verhängnisvoll und fatal, weil das, was die 15 Staaten nicht miteinander regeln können, das können doch die 20 oder 25 Staaten erst recht nicht regeln! Jetzt ist die letzte Chance, diese Union so zu reformieren, daß sie funktioniert, daß sie von den Bürgern verstanden wird und daß sie erweiterungsfähig ist.

Ich freue mich, daß die Verträge neu gestaltet werden sollen. Kein Bürger versteht den Vertrag von Maastricht oder den Vertrag von Amsterdam. Es ist eine Zumutung für jeden Bürger der Union, diese Texte zu lesen! Es muß jetzt gelingen, die Texte einzuteilen in die wirklich konstitutionellen Elemente und die mehr technischen Elemente. Das muß man auseinanderhalten, wie wir das bei unseren eigenen Fundamentalgesetzen oder Verfassungen in den Mitgliedstaaten auch haben.

Ein Wort zu der Reform der Institutionen. Die Dehaene-Gruppe hat sich sehr auf die Reform der Kommission konzentriert. Ich meine, der Rat steht im Mittelpunkt der Reform. Die Kommission wird nach dem, was jetzt gemacht wird, funktionieren. Das Parlament hat Reformen durchgeführt und funktioniert. Die Institution, die nicht funktioniert, ist der Rat! Die Blockade der Union ist der Rat! Deshalb werden wir im Parlament uns auch darauf konzentrieren, Forderungen für eine Reform des Rates zu stellen, und diese Doppelstruktur als Legislativorgan oder als Exekutivorgan muß doch irgendwie geregelt werden, erst recht in einer Union der 20 oder 25 Mitgliedstaaten. Ich hoffe, Herr Kommissar Barnier, die Kommission kann einen konkreten Vorschlag für die Vertragsänderung machen, worüber wir dann diskutieren werden.

 
  
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  Malmström (ELDR).(SV) Herr Präsident, Herr Kommissar Barnier! Den deutlichen Wunsch nach Veränderung, den uns unsere Wähler am 13. Juni übermittelt haben, müssen wir EU-Politiker sehr ernst nehmen. Wir sind verpflichtet, dies zur Richtschnur unserer Arbeit zu machen und für eine Umgestaltung einzutreten. Die Regierungskonferenz stellt eine günstige Gelegenheit dafür dar.

Viele Anregungen finden sich dafür im „Bericht der Weisen“, und auch die Regierungskonferenz sollte für eine umfassende Durchsicht des Vertrags genutzt werden. Wir müssen alle Aufgaben der Union vereinfachen, offen darlegen, verdeutlichen und überprüfen sowie eine Lösung erreichen, bei der sich die EU auf wenige, eindeutig grenzüberschreitende Probleme konzentriert. Die Bürger der Union brauchen eine demokratische Rechtsordnung mit einem Katalog der Zuständigkeiten, in dem die Verantwortlichkeiten deutlich geregelt sind und der dem Subsidiaritätsprinzip einen wirklichen Sinn verleiht.

Mit diesem Anspruch an die Regierungskonferenz kann es uns meiner Meinung nach gelingen, die beiden großen Aufgaben der EU zu bewältigen: zum einen die Schaffung einer demokratisch funktionierenden erweiterten Union und zum anderen die Wiedergewinnung ihrer Legitimität und des teilweise verlorenen Vertrauens der Bürger.

 
  
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  Voggenhuber (Verts/ALE). – Herr Präsident! Für sehr kühle, aufgeklärte Köpfe ist das Jahr 2000 natürlich ein Jahr wie jedes andere, aber nicht nur Romantiker können sich am Beginn eines neuen Jahrhunderts einer gewissen Magie nicht entziehen, den Kopf zu heben über die täglichen Geschäfte und gegenüber der eigenen Zukunft so etwas wie eine Entwurfshaltung einzunehmen. Ich bedaure es sehr, Herr Kommissar Barnier, daß in der Vorbereitung der Regierungskonferenz von einer Magie des Jahrhundertwechsels und der Fähigkeit, Visionen ins Auge zu fassen, nichts zu spüren ist. Ich bedaure es auch, daß der Weisenrat ganz im Gegensatz von manchen Lobeshymnen, die hier abgehalten wurden, diesen Mut nicht hatte.

In den Fragen der Institutionenreform wird bei den Motiven und Notwendigkeiten auf einen technographischen Begriff von Effizienzsteigerung und Handlungsfähigkeit verwiesen, ohne auf die so dringende, so notwendige Frage der Errichtung einer europäischen Demokratie auch nur den Blick zu lenken. Auf die zweite und dritte Säule dieses demokratischen Niemandslands der Regierungszusammenarbeit verschwendet dieser Weisenrat nicht ein Wort der Kritik und auch keinen Vorschlag, ihn in eine europäische Demokratiereform einzubinden. An die Methode der Regierungskonferenz, von der wir inzwischen doch alle wissen, daß sie nicht imstande ist, die europäische Idee weiter zu verwirklichen, wird kein Gedanke verschwendet. Die Einbindung des Parlaments ist in Wahrheit kein Anliegen.

Die soziale Dimension der Europäischen Union, eine Voraussetzung für eine europäische Demokratie, erscheint in diesem Weisenratsbericht ebenfalls mit keinem einzigen Wort. In der Frage der Außen- und Sicherheitspolitik verschwendet dieser Bericht viel Zeit – wie auch die Regierungs- und Staatschefs –, die Sicherheitspolitik zu entwickeln, und vergißt dabei, daß die Sicherheitspolitik eine Funktion von Außenpolitik ist.

(Beifall)

 
  
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  Sjöstedt (GUE/NGL).(SV) Herr Präsident! Will man den Bericht der Dehaene-Gruppe in einer Minute zusammenfassen, was ich hier an dieser Stelle versuchen möchte, so kann man sagen, daß er genau das enthält, was nach Bekundung der schwedischen EU-Befürworter niemals hätte eintreffen sollen. Würden die Vorschläge dieser Gruppe verwirklicht, so wäre das ein entscheidender Schritt der EU in Richtung auf die Schaffung eines Staatsgebildes. Das verbliebene Vetorecht wird abgeschafft, der Einfluß der kleinen Länder wird geringer, der Kommissionspräsident wird eine Art Ministerpräsident in einer immer mächtigeren Europäischen Kommission, und die EU wird zu einer militärischen Union.

Besonders negativ ist der Plan der Gruppe, den Einfluß der Mitgliedstaaten auf Änderungen des Vertrags drastisch zu mindern. Danach sollen große Teile des gegenwärtigen Vertrags ohne Zustimmung der nationalen Parlamente und ohne erforderliche Einstimmigkeit geändert werden können. Ein solcher Vorschlag richtet sich direkt gegen die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten und ihrer Bürger, die Entwicklung der EU demokratisch zu beeinflussen.

 
  
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  Méndez de Vigo (PPE).(ES) Herr Präsident! Was soll die nächste Regierungskonferenz tun? Sie soll die Union für ein Europa der 27 Mitgliedstaaten vorbereiten. Je weitreichender daher die institutionelle Reform ist, desto größer wird das Ausmaß der Erweiterung sein.

Was muß sie tun? Sie muß das institutionelle Gleichgewicht erhalten, das den Fortschritt des europäischen Aufbaus in den letzten vierzig Jahren ermöglicht hat. Was darf sie nicht bedeuten? Sie darf für die Europäische Union keine neuen Zuständigkeiten bedeuten. Dies hat schon der Vertrag von Amsterdam getan. Und ebensowenig darf sie die Entartung der Union bedeuten.

In diesem Zusammenhang möchte ich sagen, daß der von Herrn Dehaene ausgearbeitete Bericht in vielen Aspekten sehr treffend ist, aber er enthält etwas, was mir beträchtliche Sorgen bereitet. Insgesamt gesehen, strebt der Bericht von Herrn Dehaene einerseits nach der Erweiterung der qualifizierten Mehrheit und gleichzeitig nach der Erhebung der Verträge in den Verfassungsrang und ihre Teilung in zwei Teile, einen, der einem sehr strengen Verfahren unterworfen wird, der für seine Reform Einstimmigkeit erfordert, und einen anderen mit Stimmenmehrheit. Und dazu kommt noch eine Flexibilisierung der verstärkten Zusammenarbeit.

Was mir Sorgen bereitet – ich wende mich an die Kommission, die einen Bericht dazu anfertigen muß –, ist, daß die Verbindung dieser drei Faktoren – Erweiterung der qualifizierten Mehrheit, Bindung an verschiedene Prüfungen und Flexibilisierung der verstärkten Zusammenarbeit – zu einem Europa à la carte führt, einem Europa, in dem jeder Mitgliedstaat das auswählt, was er sein möchte. Und ich möchte sagen, Herr Präsident, daß dies nicht die Europäische Union ist, für die viele von uns gekämpft haben und an die viele von uns glauben.

 
  
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  Van den Bos (ELDR).(NL) Die Gruppe Dehaene selbst bezeichnet ihre Pläne als überaus ehrgeizig, ehrgeizig sind diese Vorhaben jedoch nur im Hinblick auf die derzeitige Situation und die bestehenden Widerstände. Die Vorschläge genügen jedoch nicht den Anforderungen, die eine Union mit mehr als dreißig Mitgliedstaaten stellt. Wenn die Union doppelt so viele Mitgliedstaaten wie heute zählt, wird die Beschlußfassung vollkommen festfahren, sofern nicht drastische Änderungen angeregt werden, weitaus drastischer als das, was jetzt auf dem Tisch liegt. Die Zuständigkeiten der Kommission als Hüterin des gemeinsamen europäischen Interesses müssen unweigerlich zu Lasten der Verantwortlichkeiten der im Rat vertretenen Regierungen ausgeweitet werden. Das verlangt nach einer umfassenderen politischen Legitimation der Kommission, als es derzeit der Fall ist, und erfordert auf lange Sicht auch eine Direktwahl aller Kommissionsmitglieder. Selbstverständlich muß unser Parlament auch mit allen ihm zukommenden Befugnissen ausgestattet werden. Was jetzt revolutionär klingen mag, wird sich alsbald als sehr realistisch herausstellen.

 
  
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  MacCormick (Verts/ALE).(EN) Herr Präsident, ein Punkt ist in der bisherigen Aussprache noch nicht erwähnt worden, und ich möchte auf den grundlegenden Mangel im Bericht von Herrn Dehaene hinweisen, der darin besteht, daß der regionale Aspekt der Verwaltung in Europa nicht ausreichend behandelt, sondern lediglich am Rande erwähnt wird. Die Subsidiarität scheint hier als Konzept betrachtet zu werden, zu dem zwar Lippenbekenntnisse abgelegt werden, aber keine echten Maßnahmen erfolgen. Dieser Bereich muß im Vertrag neu definiert werden.

Die autonomen Regionen und Nationen in den zur Europäischen Union gehörenden Staaten, wie in Spanien, im Vereinigten Königreich oder Belgien, müssen einen festen Platz in unserem System erhalten. Eine Voraussetzung dafür ist die Reform des Rates. Zwischen der exekutiven und der legislativen Rolle des Rates sollte eine sorgfältige Trennung erfolgen, und in seiner legislativen Rolle könnte er den Prozeß der Annäherung an die Funktion einer Regionalkammer beginnen.

Der Ausschuß der Regionen ist in seiner gegenwärtigen Form zahnlos und in keiner Weise repräsentativ. Ist den anwesenden Mitgliedern bekannt, daß Luxemburg im Ausschuß der Regionen über sechs Mitglieder, Schottland dagegen über vier Mitglieder verfügt? Ich kenne die Unterschiede zwischen den östlichen und westlichen Regionen in Luxemburg nicht, aber ich kenne die unterschiedlichen Gegebenheiten in Schottland, und ich halte das bestehende Repräsentationsprinzip für absurd. Ein Ausschuß, der eigentlich ein Gegengewicht der Regionen und internen Nationen zu den Staaten ermöglichen sollte, wird vom System der Staaten dominiert.

Durch die Erweiterung werden neue Mitglieder in dieses Parlament aufgenommen werden, von denen viele frühere Mitgliedsnationen einer Staatenunion vertreten. Denken wir nur an Slowenien und Estland. Dies sind kleine Staaten, aber die Zahl ihrer Vertreter wird automatisch die des Baskenlands oder Flanderns, die von Schottland oder Wales, übersteigen. Der Grundsatz der Vertretung in Europa, der derzeit für die europäischen Nationen und Regionen gilt, muß neu überdacht werden, und ich finde es bedauerlich, daß dieses Thema im Bericht von Herrn Dehaene praktisch nicht aufgegriffen worden ist.

(Beifall)

 
  
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  Lamassoure (PPE).(FR) Herr Präsident, knapp ein Jahr nach dem historischen Erfolg der Währungsunion steckt die Europäische Union in einer seltsamen Lage. Sie rennt und rennt, aber sie weiß weder, wohin der Weg führt, noch wie sie an ihr Ziel gelangen soll.

Die Geldscheine der europäischen Währung sind noch nicht einmal im Umlauf, und schon hat man im Juni in Köln über eine europäische Armee und im September in Tampere über eine europäische Strafjustiz gesprochen; eine Charta der Grundrechte wird vorbereitet, und zu alldem fordert die Kommission den Europäischen Rat auf, die Perspektive eines Europa zu akzeptieren, das bis nach Kleinasien und zu den Westgrenzen des Irak und des Iran reicht. Dies ist keine Erweiterung mehr, dies ist eine Explosion.

Einige von uns, zu denen wir UDF-Abgeordneten innerhalb der PPE gehören, befürworten neue europäische Vorstöße. Andere aus unseren Reihen stehen solchen Bestrebungen zurückhaltend oder gar ablehnend gegenüber. Ich glaube aber, wir sind uns alle einig darüber, daß es an der Zeit ist, daß die Politiker die Kontrolle über den Lauf der Dinge wieder selbst in die Hand nehmen und es endlich wagen, über das Ausmaß der geographischen Dimension und über den Weg des politischen Europa zu diskutieren, wie wir dies im Falle der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion getan haben.

Wie weit soll Europa gehen? Wie weit aus geographischer Sicht? Über diese Frage haben wir niemals diskutiert, weder hier im Parlament, noch im Rat, noch in der Kommission. Wie weit soll Europa gehen aus der Sicht der Kompetenzen? Das Europa der 30 Mitgliedstaaten kann nicht genauso funktionieren wie das Europa der zwölf! Einerseits wird ein viel effizienteres Entscheidungssystem erforderlich sein, das politischer und nicht mehr diplomatischer Natur ist. Andererseits wird die Zahl der Themen von gemeinsamem Interesse abnehmen, das Erfordernis der Dezentralisierung hingegen stark zunehmen.

Wie weit wollen wir gehen? Mit welchen Partnern und auf welchem Weg? Diese Fragen gilt es zu beantworten, bevor wir den Juristen unsere Anweisungen beispielsweise zur „zukünftigen Gewichtung der Stimmen der schönen Insel Malta” geben.

(Beifall)

 
  
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  Väyrynen (ELDR).(FI) Herr Präsident, im Vorfeld gab es Gerüchte, nach denen die hochrangige Arbeitsgruppe Europa das Zwiebelmodell, ein System konzentrischer Kreise, vorzuschlagen beabsichtigt. Bedauerlicherweise beinhaltete der Bericht keine „Zwiebel”, denn die institutionelle Differenzierung scheint die einzige realistische Lösung für die sich stark erweiternde Union zu sein.

Europa muß in Zukunft aus drei institutionellen Kreisen bestehen. Der äußere Kreis wäre der Europäische Rat, dessen Regierungsinstitutionen besser als bisher genutzt werden könnten, indem ihm neue Aufgaben übertragen werden. Der zweite Kreis wäre die Europäische Union, die sich künftig als Staatenbund entwickelt. Das würde eine Dezentralisierung der Entscheidungen und eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen voraussetzen. Eine solche Staatenbund-EU könnte leicht und schnell erweitert werden. Der innere Kreis wäre die Europäische Föderation, die von den EU-Staaten gebildet würde, die bei der Integration die meisten Fortschritte erzielt haben: von denen, die sowohl zur NATO als auch zum Eurogebiet gehören. Die EU würde sich zu einem Staatenbund entwickeln, dessen Kern der Bundesstaat wäre.

 
  
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  Van Hecke, Johan (PPE).(NL) Herr Präsident, der Bericht Dehaene hat unverkennbar den Vorteil der Klarheit, zeugt von Kreativität und Schlagkraft, von Pragmatismus und von Ehrgeiz. 101 Rezepte für eine schnelle und effiziente Regierungskonferenz gibt es nicht. Will man eine neue Glanzleistung juristischer Spitzentechnologie, ein unentwirrbares Knäuel vermeiden, kommt man nicht umhin, auf die eine oder andere Weise immer wieder auf den Kern dieses glasklaren Berichts zurückzugreifen. Für Dehaene braucht es kein veni vidi vici zu werden. Akzeptiert man aber die Essenz von Amsterdam plus nicht, dann droht Europa flügellahm zu werden. Der Ball liegt nun im Lager der Mitgliedstaaten und der Kommission. Unseres Erachtens, und lassen Sie mich das ganz klar sagen, bleibt die Reformierung der Union jedenfalls eine Conditio sine qua non für die Erweiterung. Zunächst vertiefen und erst dann erweitern. Ein Europa mit immer mehr Mitgliedern, doch mit immer weniger Anhängern, Effizienz und Seele lehnen wir dankend ab.

 
  
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  Barnier, Kommission. – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete, in diesem Stadium und angesichts der Zwänge Ihrer Tagesordnung möchte ich lediglich einige Anmerkungen machen. Die Grundregeln für die heutige Debatte waren klar. Sie war für die Kommission von großem Interesse, aber sie hatte auch ihre Grenzen, da bisher weder die Kommission noch Sie selbst Ihre Standpunkte und Vorschläge präzise definiert haben. Es handelte sich somit um einen Meinungsaustausch, der durch den Bericht Dehaene ausgelöst wurde, welchen Präsident Prodi angefordert hatte, um ebendiese Debatte in Glanz zu bringen und zu erhellen. Ich habe mit großer Aufmerksamkeit sämtlichen Rednern zugehört, denen ich hiermit für ihr Interesse und ihre Beiträge danke. Wir werden diese Fragen, diese Vorschläge sowie auch die kritischen Anmerkungen und Befürchtungen in den wenigen Tagen bis zum 10. November in unsere Überlegungen einbeziehen. An diesem Tag wird die Kommission nämlich ihren ersten politischen Standpunkt festlegen, und danach werden wir eine Debatte über dieses erste politische Dokument der Kommission durchführen. Im Anschluß daran werden wir zwischen dem 10. November und dem Verhandlungsbeginn noch viel zu tun haben, da die Kommission ein Dokument vorlegen muß, von dem ich selbst gesagt habe, daß es ein umfassendes und aussagekräftiges politisches Dokument sein muß, das von seinem Aufbau her den Verhandlungspartnern von Nutzen sein und diese Verhandlungen erleichtern soll. In diesem Zeitraum werden wir in engem Einvernehmen mit dem Ausschuß für konstitutionelle Fragen und mit Ihrem Parlament zusammenarbeiten. Abschließend möchte ich dem Europäischen Parlament Dank sagen für diesen ersten Meinungsaustausch über die bevorstehende Regierungskonferenz und über die Ambitionen, mit denen wir in diese Konferenz gehen müssen.

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet in wenigen Augenblicken statt.

 
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