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Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 19. September 2001 - Brüssel Ausgabe im ABl.
1. Wiederaufnahme der Sitzungsperiode
 2. Genehmigung der Protokolle der vorangegangenen Sitzungen
 3. Nachruf
 4. Mitteilung der Präsidentin
 5. Begrüßung
 6. Kampf gegen den Terrorismus
 7. Zukunft der Kohäsionspolitik
 8. Kohäsionsfonds (1999) - Strukturfonds (1999)
 9. Genitalverstümmelungen bei Frauen
 10. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
 11. Mobbing am Arbeitsplatz
 12. Luftvermutzung


  

VORSITZ: NICOLE FONTAINE
Präsidentin

(Die Sitzung wird um 15.00 Uhr eröffnet.)

 
1. Wiederaufnahme der Sitzungsperiode
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  Die Präsidentin. – Ich erkläre die am Mittwoch, dem 12. September, unterbrochene Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments für wieder aufgenommen.

 

2. Genehmigung der Protokolle der vorangegangenen Sitzungen
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  Die Präsidentin. – Die Protokolle vom Donnerstag, dem 6., und Mittwoch, dem 12. September 2001, wurden verteilt.

Gibt es Einwände?

 
  
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  Swoboda (PSE). – Frau Präsidentin! Ich weiß, wir haben heute Wichtigeres zu tun, aber ich möchte Sie trotzdem darauf aufmerksam machen, dass ich am 6. September Einwände gegen das Protokoll des Vortages erhoben und auch darum gebeten habe, den für Geschäftsordnungsfragen zuständigen Ausschuss mit einem Abstimmungsergebnis zu befassen, das nachträglich geändert wurde, um diese Fragen generell zu klären, nicht nur diesen spezifischen Fall. Ich habe gegen Mittag wieder einen Einwand gemacht und darauf hingewiesen, aber ich habe bis heute keine Antwort bekommen, und ich meine doch, dass ein Abgeordneter das Recht hat, eine Antwort zu bekommen.

Ich frage Sie erstens: Sind Sie auch der Meinung, dass ein Abgeordneter das Recht hat, bei Einwänden eine Antwort zu bekommen? Zweitens: Wann kann ich mit einer solchen Antwort rechnen?

 
  
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  Die Präsidentin. – Ja, Herr Swoboda, ganz richtig. Nach meinem Dafürhalten hat ein Abgeordneter natürlich das Recht, auf seine Einwände eine Antwort zu erhalten, und ich kann Ihnen versprechen, dass die Dinge in Ordnung gebracht werden.

 
  
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  Jarzembowski (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Natürlich hat mein verehrter Kollege Swoboda ein Anrecht darauf, eine korrekte Antwort zu bekommen. Ich möchte nur Ihre Dienststellen bitten, die korrekte Antwort auf der Basis der Debatte, die wir mittags geführt hatten, zu geben. Um es vorsichtig zu sagen: Ich hatte das Gefühl, dass Herr Swoboda an dem Tag versucht hat, das Abstimmungsergebnis dieses Hauses durch eine Änderung des Protokolls umzudrehen. Insofern bitte ich, die Debatte, die wir am Mittag geführt haben, zugrunde zu legen, wenn Ihre Dienste dem Herrn Kollegen Swoboda eine Antwort geben, und bitte seien Sie so nett, mir eine Kopie davon zu geben. Ich bin ganz sicher, dass Ihre Dienste alles korrekt verstanden haben, was dieses Haus gemeint hat!

 
  
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  Die Präsidentin. – Herr Jarzembowski, wir werden uns eingehend damit befassen.

(Das Parlament genehmigt die Protokolle.)

 

3. Nachruf
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  Die Präsidentin. – Werte Kolleginnen und Kollegen, am 4. April dieses Jahres empfingen wir im Europäischen Parlament Kommandant Massoud. Inzwischen wurde er wenige Tage vor den schrecklichen Terroranschlägen in New York und Washington von den Gegnern, die er bekämpfte, feige ermordet.

Ich hatte ihn eingeladen, weil er Träger der Hoffnungen der überwiegenden Mehrheit des afghanischen Volkes auf eine Zukunft in Frieden und Freiheit war. Er hatte uns vor dem heimlichen Zusammenspiel des Taliban-Regimes mit dem internationalen Terrorismus gewarnt und kämpfte mit aller Kraft gegen jene, die den Islam verfälschen, indem sie die elementarsten Menschenrechte mit Füßen treten. Er hatte uns eine deutliche Botschaft übermittelt und uns inständig gebeten, ihn im Ringen um den Frieden zu unterstützen.

Ich bedauere, dass diese Botschaft bei den westlichen Regierungen kein Gehör gefunden hat und sie es nicht verstanden haben, diesem mutigen Mann mehr Hilfe zu leisten. Viele von Ihnen sind ihm begegnet. Er hatte uns durch seine intellektuellen und menschlichen Fähigkeiten beeindruckt. Ich bitte Sie, ihn mit einer Schweigeminute zu ehren.

(Das Parlament erhebt sich zu einer Schweigeminute.)

 

4. Mitteilung der Präsidentin
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  Die Präsidentin. – Werte Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit auf eine Mitteilung zu lenken, die ich Ihnen zu Fragen der Sicherheit unseres Europäischen Parlaments zu machen habe.

Wie Sie wissen, haben die schrecklichen Terroranschläge in den Vereinigten Staaten auch in den Reihen unseres Europäischen Parlaments berechtigte Beunruhigung ausgelöst. Der Sunday Telegraph berichtete sogar über ernste Bedrohungen, denen wir ausgesetzt gewesen seien und die man habe abwenden können. Ich erkläre hiermit, dass das Europäische Parlament niemals Kenntnis von diesen angeblichen Bedrohungen hatte. Vorgestern hat der Präfekt des Departements Bas-Rhin mich persönlich angerufen, um mir zu sagen, dass er die Existenz solcher Bedrohungen kategorisch dementiert habe. Wie Sie wissen, wurde dieses entschiedene Dementi der französischen Behörden durch ein offizielles Kommuniqué untermauert. Auch die britischen Dienste erklärten, dass sie nichts davon gewusst hätten. Ich beabsichtige im Übrigen, in einem Schreiben an den Direktor des Sunday Telegraph gegen die Verbreitung so schwerwiegender Falschmeldungen zu protestieren.

(Beifall)

Dessen ungeachtet kann ich Sie versichern, dass die Frage der Sicherheit des Europäischen Parlaments ständig im Blickpunkt der Aufmerksamkeit unseres Präsidiums, der Vizepräsidenten, der Quästoren, der Präsidentin und des Generalsekretariats steht. Wir haben eine Reihe von Maßnahmen zur Verstärkung der Sicherheit ergriffen, insbesondere im Dezember letzten Jahres, zu Weihnachten, als Gerüchte kursierten, dass das Straßburger Münster Ziel eines Anschlags sein könnte. Da es ja nicht weit entfernt liegt, haben wir natürlich damals einige Maßnahmen ergriffen.

Am 11. September haben der Generalsekretär und ich sofort Kontakt miteinander aufgenommen und uns auf weitere Maßnahmen zur Verstärkung der Personen- und Gepäckkontrolle an den Zugängen zu den drei Arbeitsorten des Europäischen Parlaments verständigt. Wir halten natürlich ständige Verbindung zu den übrigen europäischen Institutionen auf der einen und den Regierungen der Gastländer des Europäischen Parlaments auf der anderen Seite.

Schließlich tritt das Präsidium heute Abend zusammen, um weitere Maßnahmen zu prüfen, die vom Generalsekretär vorgeschlagen wurden, um eine ausnahmslose – wohlgemerkt ausnahmslose – Anwendung der Sicherheitsvorkehrungen zu gewährleisten. Ich rechne auf das Verständnis aller, damit diese notwendigen Maßnahmen positiv aufgenommen werden und danke Ihnen im Voraus.

 

5. Begrüßung
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  Die Präsidentin. – Ich freue mich, Herrn Moussa Touré, den Präsidenten der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion, begrüßen zu können, der auf der Ehrentribüne Platz genommen hat.

(Beifall)

Die UEMOA, deren Struktur sich eng an die der Europäischen Union anlehnt, spielt eine Schlüsselrolle bei der Förderung der regionalen Zusammenarbeit in Westafrika. Aus diesem Grunde sind wir bestrebt, die zwischen dieser Organisation und der Europäischen Union bestehenden Bindungen noch zu vertiefen. Ebendies ist auch der Zweck des Besuchs von Herrn Moussa Touré, den ich sehr herzlich willkommen heiße.(1)

 
  

(1) Zusammensetzung der Ausschüsse – Vorlage von Dokumenten – Genehmigung zur Ausarbeitung von Berichten und Empfehlungen – Ausschussbefassung – Weiterbehandlung der Entschließungen des Parlaments – Mittelübertragungen – Tagesordnung: siehe Protokoll.


6. Kampf gegen den Terrorismus
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  Die Präsidentin. – Ich begrüße die Ministerin für Europaangelegenheiten und amtierende Ratspräsidentin, Frau Neyts-Uyttebroeck. Ich begrüße ferner Herrn Kommissar Vitorino.

Nach der Tagesordnung folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission im Hinblick auf die informelle außerordentliche Tagung des Europäischen Rates am Freitag, dem 21. September, über die Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus.

Ich erteile der Frau Ministerin unverzüglich das Wort.

 
  
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  Neyts-Uyttebroeck, Rat.(FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren Abgeordneten! Europa, seine Bürger und seine Institutionen stehen noch immer unter dem Schock der terroristischen Terroranschläge in den USA am Dienstag, dem 11. September.

Der Vorsitz und der Rat haben sofort äußerst entschieden die Täter, die Organisatoren und die Auftraggeber dieser barbarischen Akte verurteilt. Attentate gegen das amerikanische Volk sind ein direkter Angriff auf die Werte, die Amerikaner und Europäer gemeinsam haben und auf denen unsere Gesellschaften aufbauen, ohne dass wir ein Monopol darauf hätten: Demokratie, Toleranz, Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit.

Bereits auf seiner Dringlichkeitssitzung am Mittwoch, dem 12. September, hat der Rat der Außenminister seine tiefe Solidarität mit dem amerikanischen Volk bekundet. Wir haben erklärt, dass alles unternommen werden muss, um die Täter zu identifizieren, vor Gericht zu stellen und zu bestrafen. Zu diesem Zweck muss die Union verschiedene operationelle Instrumente in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik sowie Justiz und Inneres umsetzen und verstärken. Der Terrorismus als internationale Erscheinung erfordert eine globale Antwort.

 
  
  

(NL) Frau Präsidentin! Auf Anregung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten“ ist der Rat der Verkehrsminister am 14. September zu einer Sondertagung zusammengetreten. Der Rat hat die Sofortmaßnahmen zur Kenntnis genommen, die die einzelnen Mitgliedstaaten getroffen haben, um die Sicherheit des Luftverkehrs zu gewährleisten. Ferner wurde eine multidisziplinäre Ad-hoc-Gruppe unter gemeinsamem Vorsitz der Kommission und der Ratspräsidentschaft eingesetzt, die einerseits zu prüfen hat, inwieweit eine Koordinierung und Zusammenarbeit innerhalb der Union erforderlich ist, um eine kohärente Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen zu gewährleisten, und die andererseits die gesetzgeberischen Initiativen zur wirksamen und einheitlichen Anwendung dieser Maßnahmen planen soll. Ein erster Bericht dieser Gruppe wird für die Tagung des Rates „Verkehr“ am 15. Oktober dieses Jahres erwartet. Die Verkehrsminister haben schließlich beschlossen, gemeinsame Vorschläge für Präventivmaßnahmen zu erarbeiten. Diese Vorschläge werden im Namen der Union auf der am 25. September 2001 beginnenden ICAO-Versammlung erläutert.

Am 20. September tagt der Rat der Justiz- und Innenminister, der sich mit dem Informationsaustausch sowie der jeweiligen diesbezüglichen Rolle solcher Organe wie Europol und Eurojust beschäftigen wird. Der Rat wird sich sodann mit den beiden von der Kommission vorgelegten Vorschlägen für Rahmenbeschlüsse befassen.

Der erste Vorschlag betrifft das Strafrecht der Mitgliedstaaten, das besser aufeinander abgestimmt werden muss, um zu einer gemeinsamen Definition des Begriffs „Terrorakt“ zu gelangen und gemeinsame Strafmaßnahmen auszuarbeiten.

Der zweite Vorschlag bezieht sich auf die Einführung eines europäischen Haftbefehls. Der Rat wird sich auch mit den Instrumenten beschäftigen, die bei der Untersuchung von Verbrechen angewandt werden. Er wird für die Sicherstellung eines Gleichgewichts zwischen dem Schutz personenbezogener Daten und den Erfordernissen von Strafverfolgungsbehörden bei strafrechtlichen Ermittlungen Sorge tragen. Schließlich werden die Justiz- und Innenminister diverse Maßnahmen prüfen, um die transatlantische Zusammenarbeit auf gerichtlicher Ebene sowie auf dem Gebiet der Polizei, Geheimdienste und Einwanderung zu intensivieren.

 
  
  

(FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Im Kampf gegen den Terrorismus müssen die verschiedensten Instrumente eingesetzt werden, die es ermöglichen, Finanzströme zu kontrollieren, Verdächtige zu identifizieren, den Luftverkehr sicherer zu machen, den Waffenhandel zu kontrollieren und vieles mehr.

Die Europäische Union ist in besonderem Maße geeignet, im Kampf gegen den Terrorismus eine globale Antwort zu finden. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus erfordert allerdings einen langen Atem. Wie die Staats- und Regierungschefs erklärten, muss sich die Union noch stärker als bisher bei der Regelung regionaler Spannungen und Konflikte engagieren, um an die Herde vorzudringen, die dem internationalen Terrorismus Nahrung geben. Die Integration anfälliger Länder und instabiler Regionen in eine Welt des Friedens und des Rechts wird den Kampf gegen die Geißel des Terrorismus deutlich stärken.

Die Union wird ihre Effizienz steigern können, indem sie ihre gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik weiterentwickelt und ihre gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik möglichst zügig in die Tat umsetzt. Sie muss die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Präventionsinstrument und nicht als Repressionsmittel einsetzen. Wenn die Bekämpfung des Terrorismus wirklich wirksam sein soll, muss sie mit einer Verstärkung unserer Politiken gegenüber den Ländern und der Regionen der Welt einhergehen, in denen der Terrorismus seine Quellen zu finden scheint. Es gilt den politischen Dialog zu verstärken und zu vertiefen und alle verfügbaren Instrumente einzusetzen, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, einzudämmen und schließlich auszurotten.

Die Union ist eine globale Macht, die im Entstehen begriffen ist. Das erlegt uns eine zunehmende Verantwortung auf, der wir uns gemeinsam stellen müssen. Die tragischen Ereignisse vom 11. September werden für uns auch Anlass sein, unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten über die bereits bestehende Zusammenarbeit hinaus zu entwickeln. Der transatlantische Dialog bietet die Möglichkeit für den Austausch unserer jeweiligen Informationen und Einschätzungen zur terroristischen Bedrohung mit all ihren Aspekten.

Der belgische Außenminister Louis Michel wird heute Abend zu einem Meinungsaustausch mit Außenminister Powell über die transatlantische Zusammenarbeit nach Washington reisen. Er wird dann vor der für Freitag, den 21. September, einberufenen außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates über diese Gespräche Bericht erstatten. Ziel der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates ist es, eine Bestandsaufnahme sämtlicher politischer, diplomatischer, wirtschaftlicher, juristischer und finanzieller Mittel vorzunehmen, über die die Union zur Bekämpfung des Terrorismus verfügt. Die Ratstagung wird gleichzeitig Gelegenheit sein, über die diplomatische Rolle der Union bei der Stabilisierung der regionalen Konflikte nachzudenken.

Voraussetzung für eine effiziente Bekämpfung des Terrorismus ist, dass sie sich auf die Anstrengungen aller Länder gründet, die unsere Werte der Freiheit, der Toleranz und der Demokratie teilen. Deshalb war die Präsidentschaft darauf bedacht, die Drittländer in die Aktionen der Union einzubeziehen. Die Beitrittsländer haben sich ausnahmslos den Erklärungen des Rates „Allgemeine Angelegenheiten“ sowie denen der Staats- und Regierungschefs angeschlossen. Über die Botschaften der Mitgliedsländer im Ausland wurden die Drittländer ebenfalls aufgefordert, ihr Engagement für die konsequente Bekämpfung des Terrorismus zu bestätigen. Auf diese Weise kann die Union zur Errichtung einer Welt des Friedens und des Rechts für alle Völker beitragen.

(Beifall)

 
  
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  Vitorino, Kommission.(FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Kommission ist dabei, die Tagung des Europäischen Rates am kommenden Freitag aktiv vorzubereiten, in deren Rahmen sich auch die morgige Zusammenkunft der EU-Troika in den USA einordnet. Aus diesem Grunde kann mein Kollege Chris Patten, der vor allem zum Thema der auswärtigen Beziehungen auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung sprechen wollte, bei der heutigen Aussprache nicht anwesend sein.

Ich möchte im Namen der Kommission unterstreichen, dass wir den Grundsatz unterstützen, wonach die Union zusätzliche Anstrengungen unternehmen muss, um in Fragen der Terrorismusbekämpfung mit einer Stimme zu sprechen, und dass wir zu diesem Thema eine europäische Agenda brauchen, in der die zentrale Rolle anerkannt wird, welche den Vereinten Nationen im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus zukommt.

Deshalb begrüßen wir die Initiative des belgischen Vorsitzes, für kommenden Freitag eine informelle außerordentliche Ratstagung einzuberufen, und freuen uns, an der heutigen Aussprache im Europäischen Parlament teilnehmen zu können. Wir müssen das amerikanische Volk und die amerikanischen Behörden der Solidarität der gesamten Union versichern. Um jedoch die Orientierung des Kampfes gegen den Terrorismus beeinflussen zu können, muss die Union mit einer Stimme sprechen.

Der Terrorismus ist keine neue Erscheinung. Was hingegen neu ist, ist die Art der Bedrohung, und die Werkzeuge, derer sich die Terroristen bedienen, sind ebenfalls neu und ausgeklügelt.

Das tragische Geschehen in den USA veranschaulicht auf schmerzliche Weise die Aktualität der beiden Vorschläge, die die Kommission heute angenommen hat, die eng miteinander in Zusammenhang stehen und im Übrigen auf einen auf der September-Tagung in Straßburg gebilligten Antrag dieses Parlaments zurückgehen.

Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass unsere Vorschläge keine Antwort auf die Ereignisse in den USA sind. Sie tragen vor allem der Tatsache Rechnung, dass wir es selbst in unseren Mitgliedstaaten mit Terrorismusproblemen zu tun haben, denen wir uns widmen müssen.

Die Kommission arbeitet seit über einem Jahr in enger Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament an diesen Vorschlägen, und wir möchten hervorheben, dass diese Vorschläge dazu beitragen, dass Europa intern im Kampf gegen den Terrorismus effizienter zusammenarbeiten und auf diese Weise zu seiner Bekämpfung auf internationaler Ebene beitragen kann.

Der Terrorismus stellt eine der größten Bedrohungen für die Demokratie, die freie Ausübung der Menschenrechte und die freie wirtschaftliche und soziale Entwicklung dar. Es ist zu unterstreichen, dass in den letzten Jahren die terroristischen Aktivitäten sowohl innerhalb der Grenzen der Union als auch weltweit zugenommen haben. Diese Verstärkung des Terrorismus geht mit einem tiefgreifenden Wandel in der Art der terroristischen Anschläge einher. Die realen oder potenziellen Auswirkungen bewaffneter Überfälle werden immer zerstörerischer und immer tödlicher. Die zunehmende Abhängigkeit unserer Gesellschaft von der technologischen Entwicklung bringt neue Formen des Terrorismus hervor. Immer häufiger geht der Terrorismus von international operierenden Netzen aus, die äußerst enge Verbindungen zu anderen Formen des organisierten Verbrechens in mehren Ländern haben und die die aufgrund der räumlichen Begrenzung der Ermittlungskompetenz bestehenden rechtsfreien Räume nutzen, wobei sie vielfach umfangreiche finanzielle und logistische Unterstützung genießen.

Demzufolge sind Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Geißel heute notwendiger denn je. Der Unionsvertrag sieht ausdrücklich vor, dass die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts die schrittweise Annahme von Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des Terrorismus einschließt.

Das Europäische Parlament hat unlängst eine Entschließung angenommen, die die Entschlossenheit der Repräsentanten der europäischen Bürger zum Ausdruck bringt, den Kampf gegen den Terrorismus entschieden und effizient zu führen.

Die derzeitige Antwort der Kommission umfasst zwei Schwerpunkte:

Erstens schlagen wir eine gemeinsame Definition terroristischer Akte und die Festlegung eines der Schwere dieser Taten angemessenen Strafmaßes in allen Mitgliedstaaten vor. Die Terroristen profitieren davon, dass die Mitgliedstaaten bestimmte Straftaten rechtlich unterschiedlich einstufen, insbesondere wenn das betreffende Delikt im innerstaatlichen Recht nicht geregelt ist. Die Situation ist zugegebenermaßen in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. Die meisten unserer Mitgliedstaaten verfügen über keine speziellen Rechtsvorschriften zum Terrorismus, und terroristische Gewaltakte werden wie gewöhnliche Straftaten geahndet. In sechs Mitgliedstaaten gibt es allerdings einschlägige Gesetze oder Rechtsinstrumente, in denen die Begriffe „Terrorismus“ oder „Terrorist“ explizit genannt sind. Ziel des Vorschlags der Kommission für einen Rahmenbeschluss zum Terrorismus ist eine Harmonisierung auf diesem Gebiet. Er umfasst eine Liste von Straftaten, von Mord bis zu anderen ebenso verheerenden, wenn auch heimtückischeren Taten, die als terroristische Straftaten eingestuft werden, wenn sie vorsätzlich von Einzelpersonen oder Vereinigungen gegen ein oder mehrere Länder bzw. deren Institutionen oder Bevölkerung mit dem Ziel begangen werden, sie einzuschüchtern oder ihre politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen nachhaltig zu schädigen oder zu zerstören. Diese Taten sollen künftig mit Freiheitsentzug von 2 bis 20 Jahren je nach der Schwere der Tat bestraft werden.

Zweitens legt die Kommission einen Vorschlag horizontaler Art vor, der zugegebenermaßen recht ehrgeizig ist. Er zielt darauf ab, die herkömmlichen Auslieferungsverfahren durch ein System zur automatischen Überstellung zwischen den Justizbehörden auf der Grundlage eines europäischen Haftbefehls zu ersetzen. Dieser Vorschlag, der den Vorschlag zum Terrorismus ergänzen soll, wenngleich sein Anwendungsbereich weiter gefasst ist, beruht auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, die nach Ansicht des Europäischen Rates von Tampere zum Eckstein der europäischen justiziellen Zusammenarbeit werden soll. Dem liegt folgender Gedanke zugrunde: Ersucht die Justiz eines Mitgliedstaates um die Überstellung einer Person aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung oder aufgrund der strafrechtlichen Verfolgung dieser Person, muss ihre Entscheidung anerkannt und im gesamten Hoheitsgebiet der Union vollstreckt werden. Im Interesse der Vereinfachung und größtmöglichen Beschleunigung der Verfahren ist hierfür eine verbindliche Frist von drei Monaten vorgesehen, und die Verweigerung der Vollstreckung wird auf wenige Fälle beschränkt. Ferner werden der Grundsatz der doppelten Strafbarkeit und die Nicht-Auslieferung aus Gründen der Staatsangehörigkeit aufgehoben. Entscheidendes Kriterium in der Union ist nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der Wohnsitz der jeweiligen Person. So zielt der Vorschlag, soweit möglich, auf die Vollstreckung der Strafe in dem Land, in dem die Festnahme erfolgte, weil dort die besten Aussichten auf eine erfolgreiche Wiedereingliederung in die Gesellschaft bestehen.

Wie Sie wissen, werde ich Gelegenheit haben, diese Vorschläge morgen den Ministern auf der außerordentlichen Ratstagung vorzutragen, die der belgische Vorsitz zum Thema des Beitrags der Union zur Bekämpfung der terroristischen Bedrohung einberufen hat.

Dieses Treffen wird uns Gelegenheit geben, den Ministern die Grundsatzfragen auf politischer Ebene vorzutragen und sie gemeinsam zu erörtern. Dies gilt ebenso für unsere Legislativvorschläge wie für eine Reihe von Maßnahmen, die getroffen werden müssten, um unsere Aktion in operationeller Hinsicht zu verstärken und die Zusammenarbeit mit unseren Partnern zu verbessern und effizienter zu gestalten.

In operationeller Hinsicht hat die Kommission bekanntlich keine Kompetenzen, jedoch sollte die Union nach ihrer Auffassung intern eine Reihe von Maßnahmen treffen, um beispielsweise sicherzustellen, dass Europol zu einem operationellen Instrument im Kampf gegen die verschiedenen Formen der Kriminalität, darunter auch des Terrorismus, wird. Zu diesem Zweck müssen die Europol betreffenden Bestimmungen des Vertrags von Amsterdam umgesetzt werden, die seine Einbeziehung in gemeinsame Ermittlungsteams und die Möglichkeit, die Mitgliedstaaten um Ermittlungen zu ersuchen, vorsehen. Voraussetzung hierfür ist im Übrigen eine grundlegende Revision des Inhalts der Europol-Übereinkunft, einschließlich der Fragen der rechtlichen Kontrolle und der demokratischen Kontrolle. Die Mitgliedstaaten sollten sich künftig stärker engagieren, um eine wirkliche und effiziente Kooperation zwischen den Nachrichtendiensten zu entwickeln und so das gegenseitige Vertrauen zwischen ihnen zu stärken. Dies ist erforderlich, um die Bedingungen deutlich zu verbessern, unter denen die Polizei- und Nachrichtendienste der Mitgliedstaaten Europol die erforderlichen Informationen für die Erfüllung seiner Aufgaben liefern, wozu aus meiner Sicht vorrangig die Verhinderung terroristischer Akte gehört.

Weiterhin kommt es darauf an, dass die Union die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene verstärkt, wobei alle erforderlichen Maßnahmen in Fragen der Rechtshilfe, der Auslieferung und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit getroffen werden müssen, um ihre Fähigkeit zu verbessern, den Terrorismus auf internationaler Ebene vorausschauend zu bekämpfen.

Soweit ein kurzer Überblick über die von der Kommission ausgearbeiteten Ideen, die sie dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat vorschlägt. In dieser schwierigen Zeit, da die Bürger unserer Mitgliedstaaten mit Ungewissheit und einem Gefühl der Unsicherheit in die Zukunft blicken, besteht aus meiner Sicht die beste politische Botschaft, die wir ihnen vermitteln können, darin, dass wir hier eine einzigartige Chance haben, zu beweisen, dass das europäische Einigungswerk für die Garantie einer Zukunft der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts einen echten Mehrwert zu bieten hat.

(Beifall)

 
  
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  Poettering (PPE-DE). – Frau Präsidentin, Frau Ratspräsidentin Neyts-Uyttebroeck, Herr Kommissar Vitorino, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten begrüßt es sehr, dass auf Initiative der belgischen Ratspräsidentschaft am kommenden Freitag ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs stattfinden wird, und Frau Präsidentin, Sie werden dort ja auch für das Europäische Parlament sprechen. Wir als Europäisches Parlament können wirklich stolz darauf sein, dass wir in der letzten Plenarwoche den Bericht Watson verabschiedet haben, der ein Wegweiser ist für unseren gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus.

Der Gipfel am kommenden Freitag hier in Brüssel sollte in vielfacher Hinsicht ein Signal sein. Er sollte noch einmal ein Signal sein an unsere amerikanischen Freunde, dass die teuflischen Anschläge in Washington und New York nicht nur ein Anschlag auf die Vereinigten Staaten, sondern auf die gesamte zivilisierte Welt waren, ein Anschlag gegen jeden Einzelnen von uns! Es waren Anschläge gegen unsere Ideale von Demokratie, Menschenrechten und Frieden.

Das, was wir in der letzten Woche in einer beeindruckenden Sitzung hier gesagt haben, ist auch heute wahr. Ich habe heute Morgen in der Konferenz der Präsidenten den Hohen Beauftragten, Javier Solana – der ja in diesen Stunden ebenso wie Ratspräsident Michel und auch Chris Patten auf dem Weg nach Washington ist – gebeten, bei den Beratungen mit dem amerikanischen Außenminister Powell zu sagen, dass wir, das frei gewählte Parlament der Europäer in der Europäischen Union, unmittelbar nach diesen furchtbaren Ereignissen unsere Solidarität zum Ausdruck gebracht haben.

Aber wir sagen auch in Washington, dass wir erwarten, dass dort nicht nur Entscheidungen bekannt gegeben werden, über die unsere europäischen Verantwortlichen lediglich informiert werden, sondern dass es wirkliche Gespräche und Konsultationen gibt, so dass dann das notwendige Handeln ein gemeinsames, ein gemeinsam verantwortetes Handeln der Europäer und der Amerikaner ist.

Frau Präsidentin, ich habe höchsten Respekt vor Javier Solana. Wir müssen aber in der Zukunft sicherstellen, dass wir mit dem Hohen Repräsentanten der Europäischen Union auch hier im Europäischen Parlament debattieren können. Ich denke, das ist noch verbesserungsfähig.

(Beifall)

Es muss am Freitag bei dem Gipfel auch ein Signal an den Nahen Osten gegeben werden. Wir fordern Israel und Palästina auf, jetzt miteinander zu sprechen. Es ist jetzt nicht die Zeit, Gespräche zu verweigern und abzusagen, sondern es ist die Zeit des Dialoges und vertrauensbildender Maßnahmen, damit wir dort zu einem Frieden kommen.

(Beifall)

Wir müssen es einmal sagen: Wer jetzt den Dialog verweigert, der entfernt sich von unserer Sympathie und Solidarität. Wir brauchen eine Friedensentwicklung und vertrauensbildende Maßnahmen, gerade in diesen Tagen im Nahen Osten!

(Beifall)

Wir brauchen ein Signal an die arabische und islamische Welt. Unsere Fraktion hat heute Morgen in einer Präsidiumssitzung beschlossen, Ihnen, Frau Präsidentin, zu empfehlen, dass wir möglichst bald als Europäisches Parlament mit den Parlamentariern aus der arabischen und islamischen Welt im Rahmen des Mittelmeerforums zusammenkommen, also mit jenen Staaten, mit denen wir im Barcelona-Prozess und im Mittelmeerdialog verbunden sind. Lassen Sie uns jetzt dieses Signal setzen, damit sie wissen, dass wir Partnerschaft und Freundschaft wollen.

Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt ansprechen, und ich denke, das muss der eigentliche operationelle Inhalt des Gipfels hier am Freitag in Brüssel sein. Herr Vitorino, wir sagen Ihnen Dank dafür, dass Sie heute diese Vorschläge unterbreitet haben. Wir müssen Europol wirklich zu einem Instrument der Verbrechensbekämpfung machen, und wir fordern unsere Mitgliedstaaten auf, Europol auch die notwendigen Informationen zu geben, was bisher nicht der Fall war. Wie wir wissen, erfolgt es bislang nur durch ein Mitgliedsland einigermaßen hinreichend, die anderen Mitgliedstaaten haben sich bisher verweigert.

Wir sind sehr dafür, einen europäischen Haftbefehl einzuführen, und es ist jetzt die Zeit zu handeln. Wenn es jemanden geben sollte, der jetzt die Stärkung der Europäer bremsen will, der nicht für europäische Zusammenarbeit im Namen von Europol ist, der verweigert im Kern nicht nur den Europäern die Solidarität, sondern auch unseren amerikanischen Freunden, weil wir auch einig sein müssen in der Verbrechensbekämpfung gegen den Terrorismus, wenn wir an der Seite unserer amerikanischen Partner und Freunde stehen wollen!

(Beifall)

Deswegen hat unsere Fraktion einen Änderungsantrag zum Haushalt für das Jahr 2002 eingebracht. Wir wollen für Europol die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, damit Europol wirklich operationell handeln kann. Die Zeit der Worte ist jetzt vorbei! Wir müssen als Europäer handeln. Wir müssen zugleich aber auch besonnen handeln, und vor allen Dingen müssen wir da, wo wir es können, Konflikte friedlich bewältigen. Ein militärisches Vorgehen ist niemals Vergeltung, sondern muss immer zu mehr Sicherheit führen. Handeln wir besonnen, aber handeln wir konsequent, und vor allen Dingen: Leisten wir unseren Beitrag zu dem friedlichen Zusammenleben der Völker auf dieser Erde!

(Beifall)

 
  
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  Barón Crespo (PSE). – (ES) Frau Präsidentin, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! In der vergangenen Woche haben wir den Opfern dieser Anschläge aus Amerika, aus Europa und aus der ganzen Welt in feierlicher Form unsere Anteilnahme bekundet, wir haben unsere Solidarität mit den Vereinigten Staaten zum Ausdruck gebracht und müssen jetzt eine schmerzvolle aber entschlossene Antwort an den globalen Terrorismus, an diese Mischung aus Fanatismus und Hochtechnologie vorbereiten, die eine Bedrohung für unsere Zivilisation, für die offene, demokratische und multikulturelle Gesellschaft darstellt.

Es gilt meines Erachtens, unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern eine ganz klare Botschaft zu übermitteln: Der Terrorismus kann verletzen, kann töten, aber keine Demokratie ist durch den Terrorismus zerstört worden, und darin liegt unsere größte Kraft. Ein gemeinsames Herangehen ist daher gefragt: Das Parlament hat den Bericht Watson erstellt, die Kommission hat ihre Arbeiten beschleunigt, und in dieser Woche ist eine außerordentliche Ratstagung einberufen worden. Ich muss unterstreichen, dass der Ratspräsident, der belgische Außenminister Michel, der Hohe Vertreter für die GASP, Herr Solana, und der Vizepräsident der Kommission, Herr Patten, gestern und heute an Parlamentsdebatten zu diesem Thema teilgenommen haben. Diese Bereitschaft, mit der die Transparenz und die Kommunikation verstärkt werden, halte ich für begrüßenswert.

Bei unserer Antwort müssen wir Sozialdemokraten grundsätzlich von Folgendem ausgehen: Es handelt sich um eine globale Antwort, gestützt auf die Resolution 1368 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aus diesem Jahr, in der ein gemeinsames Vorgehen festgelegt wird, um die Organisatoren, Hintermänner und Urheber der Anschläge und ihre Komplizen der Justiz zu überstellen. Das ist die Grundlage der weltweiten Koalition, die wir mit den USA, mit den Kandidatenländern, mit Russland und mit all jenen Staaten der Welt schmieden, die die universellen Werte verteidigen, die auch die unsrigen sind. Ich würde noch einen weiteren Punkt hinzufügen: Es wäre zweckmäßig, die Ratifizierung des Internationalen Strafgerichtshofs zu beschleunigen, um gerade auf diesem Gebiet ein globales Justizinstrument zu haben.

Wir müssen auch mit Entschlossenheit und Beharrlichkeit daran arbeiten, unsere Aktion in den Rahmen einer mehrdimensionalen Politik einzufügen, die mit unseren Bemühungen in den Vereinten Nationen einher geht. So ist die Entscheidung der NATO mit der Aktivierung des Artikels 5 zu sehen.

Wir müssen sagen, dass weder Armut noch Ungerechtigkeit noch ein Konflikt die Barbarei rechtfertigen. Es gibt keinen Konflikt zwischen West und Ost, zwischen Islam und Christentum oder zwischen Tradition und Moderne, der begreiflich machen könnte, warum man durch das Töten von Unschuldigen in der Welt vorankommen kann.

(Beifall)

Ich glaube, dass wir im Europäischen Parlament, die wir unterschiedlichen Völkern, Glaubensrichtungen, Ideologien und Religionen angehören, Ausdruck dessen sind, welche Antwort wir Europäer auf Fanatismus und Intoleranz gefunden haben.

Was kann getan werden, um unsere Politik festzulegen? Hier hat es eine Reihe von Beiträgen gegeben, die Kommission hat einige Maßnahmen vorgetragen, es gibt weitere, die ebenfalls von der Kommission und vom Rat zügiger in Angriff genommen werden könnten, zum Beispiel die schnellere Umsetzung der Schlussfolgerungen des Gipfels von Tampere und die Anwendung des Vertrags von Amsterdam, zum Beispiel die beschleunigte Ratifizierung der internationalen Abkommen gegen den Terrorismus – was ebenfalls in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegt – und insbesondere des Abkommens zur Verhinderung der Finanzierung des Terrorismus. Es darf nicht sein, wie es offenbar geschieht, dass wir dazu beitragen, dass sich die terroristischen Organisationen über die Spekulation an den Börsen finanzieren. Wir brauchen auch eine wachsende Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten und eine Stärkung von Europol.

Schließlich, Frau Präsidentin – und dies sei unterstrichen –, müssen wir ausgehend von den Informationen, die uns Herr Solana heute Vormittag gegeben hat, unsere Politik der Suche nach einem Fenster, nach einer Chance für den Frieden im Nahen Osten auf der Grundlage des Mitchell-Berichts aktivieren und fortsetzen. Die vertrauensbildenden Maßnahmen sind nicht als Belohnung, sondern als Bestandteil des Prozesses anzusehen. Und dies bedarf eines gemeinsamen Vorgehens mit den Vereinigten Staaten. Die Botschaft an sie muss lauten: Verbergt euch nicht hinter fiktiven Schutzschilden, sondern tragt mit uns gemeinsam die Verantwortung für eine friedliche, gerechte, freiheitliche und sichere Welt.

(Beifall)

 
  
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  Watson (ELDR).(EN) Frau Präsidentin, die zivilisierten Menschen in der ganzen Welt sind über die Angriffe auf unschuldige Zivilisten in New York und Washington in der vorigen Woche erschüttert und empört. Die Angriffe zeigen die Schwierigkeiten auf, mit denen jeder Staat, vor allem ein demokratischer, beim Schutz seiner Bürger vor Terroristen konfrontiert wird. Diese abscheulichen Taten und die Suche nach den Verantwortlichen, die sich nun anschließt, führen uns auch die Schwachstellen, die bei uns hinsichtlich des Schutzes der Zivilbevölkerung bestehen, vor Augen und lassen das schon als schmerzlich langsam zu bezeichnende Vorankommen bei der Zusammenarbeit der EU in den Bereichen Justiz und Inneres, mit der man sich in Amsterdam und Tampere noch so kühn an die Öffentlichkeit wagte, deutlich hervortreten. Wenn die Amerikaner nun auf europäischem Boden mögliche Verantwortliche für diese Taten verhaften lassen wollen, können sie angesichts der Vielzahl von bilateralen Auslieferungsabkommen, die dabei zur Anwendung kommen, doch nur ungläubig den Kopf schütteln.

Ich begrüße die Erklärung von Herrn Vitorino. In die von ihm heute vorgelegten Vorschläge sind die wichtigsten Empfehlungen des Berichts eingeflossen, den wir am 5. September angenommen haben und den Herr Poettering freundlicherweise bereits erwähnte. Auf ihrer morgigen Tagung sollten die Justiz- und Innenminister unbedingt darüber beraten und rasch Taten folgen lassen. Nimmt sie der Rat an, dann bringen sie uns einen großen Schritt in unserem Bemühen weiter, eine gemeinsame Politik zur Terrorismusbekämpfung zu schmieden. Ich fordere alle Minister auf, die sich diesen Vorschlägen im verborgenen Ratskämmerchen womöglich widersetzen sollten, den Bürgern in ihrem eigenen Land oder auch generell in Europa in aller Öffentlichkeit zu erklären, warum sie eine wirksame gemeinsame Maßnahme auf diesem Gebiet behindern.

(Beifall)

So begrüßenswert und wichtig die Vorschläge der Kommission auch sein mögen, ausreichend sind sie keineswegs. Die Antworten, die wir darin finden, eignen sich für eine Welt, wie wir sie bis vorigen Dienstag kannten. Sie haben terroristische Verbrechen innerhalb der Union zum Gegenstand, leisten aber keinen Beitrag zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit Drittländern. Ebenso wenig findet sich darin ein Ansatz zur Lösung der Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Justizbehörden. Sie überlassen die Kooperation und die entscheidende Frage der polizeilichen Angelegenheiten dem Vorbehalt eines nationalen Einspruchs, wie es Herr Vitorino nannte. Will die EU den Terrorismus ernsthaft bekämpfen, dann müssen wir die operationellen Instrumente, die uns für gemeinsames Handeln zur Verfügung stehen, stärken. Wir müssen Europol in die Lage versetzen, wirkungsvoll mit Drittländern zu kooperieren. Wir müssen Eurojust eine äußere Dimension verleihen. Wir müssen auch entschlossen handeln, um die zurzeit im Vermittlungsausschuss behandelte Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche durchzubringen, und wir müssen gemeinsame Maßnahmen für die Sammlung und gemeinsame Nutzung von Erkenntnissen, die im Zuge der Verbrechensbekämpfung gewonnen werden, entwickeln, wie Frau Neyts ausführte.

Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik sind Maßnahmen erforderlich: verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen der UNO, der G8 und des Europarats, dringende Aufforderung an die Mitgliedstaaten, das UN-Übereinkommen über die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus zu unterzeichnen, Ausfuhrkontrollen bei sicherheitsrelevanten Produkten und strengere Assoziierungsabkommen mit Drittländern. Aufpassen müssen wir jedoch, dass die Konturen der zweiten und der dritten Säule nicht verwischt werden, wie das in der Erklärung des Rates in der vergangenen Woche anklang, und aufpassen müssen wir auch, dass das empfindliche Gleichgewicht zwischen den Sicherheitsbedürfnissen und den staatsbürgerlichen Freiheiten, die unsere Bürger genießen, nicht gestört wird.

Ich frage, ob es nun nicht langsam an der Zeit ist, die schwerfällige und überholte zweite und dritte Säule der Zusammenarbeit der EU dem Abfallhaufen der Geschichte zu übergeben und ihren Inhalt als zentrale Kompetenzen der Europäischen Union auszuweisen.

(Beifall)

Das Feigenblatt der nationalen Souveränität soll lediglich die Hilflosigkeit der Nationalstaaten verdecken. Die Demokratie sieht sich supranationalen Herausforderungen gegenüber, auf die auf supranationaler Ebene reagiert werden muss. Die Maßnahmen, die wir ergreifen, werden der Unterstützung der Öffentlichkeit bedürfen, daher werden für unsere Politikgestaltung angemessene demokratische Aufsicht und Kontrolle erforderlich sein. Ich glaube, dass dieses Hohe Haus bereit ist, seine Rolle zu erfüllen. Unsere Staats- und Regierungschefs müssen wir aufrufen, genau den Mut und den Weitblick zu beweisen, die ihnen zurzeit abverlangt werden.

(Beifall)

 
  
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  Lannoye (Verts/ALE).(FR) Frau Präsidentin, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissar! Über die berechtigten Gefühlsaufwallungen, die uns seit gut zehn Tagen bewegen, und die Bekundung von Solidarität und Mitgefühl hinaus müssen wir mit kühlem Kopf in die Zukunft blicken. Die verbrecherischen Anschläge in den Vereinigten Staaten vom 11. September, die Tausende Menschenleben gefordert haben, sollten Anlass sein, gründlich darüber nachzudenken, welche Maßnahmen erforderlich sind, um eine Wiederholung derartiger Verbrechen zu verhindern, um die kriminellen und terroristischen Netze zu zerschlagen und um der Spirale der Gewalt Einhalt zu gebieten, jener Gewalt, die zum Alltag unzähliger Menschen in der Welt gehört – dabei denke ich besonders an die afghanische Bevölkerung, die Sie gerade erwähnt haben, die nicht nur seit Jahrzehnten Krieg erlebt, sondern auch ein unerträgliches politisches Regime, das der Taliban, erdulden muss.

Im Namen meiner Fraktion begrüße ich die Haltung unseres Hohen Vertreters für die GASP, Herrn Solana, vor allem im israelisch-palästinensischen Konflikt, sowie die Stellungnahmen, die der Rat und die Präsidentschaft in Person von Herrn Michel in den letzten Wochen abgegeben haben. Das Auftreten von Herrn Michel ist für die Europäische Union sowie für die ganze Welt von großer Bedeutung.

Für eine wirksame politische Aktion sind Geschlossenheit und Entschlossenheit erforderlich. Es kann aber nicht darum gehen, auf barbarische Akte wie die des 11. September mit militärischen Initiativen zu antworten, deren Opfer die Zivilbevölkerung, unschuldige Menschen wären.

(Beifall)

Nach meinem Dafürhalten sind auch unsere Repräsentanten davon überzeugt, und ich glaube, alle Beiträge der Fraktionsvorsitzenden und der übrigen Abgeordneten gingen in diese Richtung. Ich würde mir jedoch wünschen, dass die Europäische Union mit der Stimme unseres Ratspräsidenten die amerikanischen Behörden sowie Präsident Bush und seine Umgebung davon überzeugt, die sich seit einigen Tagen in Rachebeschwörungen ergehen, welche mich persönlich wie auch die Europäer beunruhigen.

Die derzeitige Situation gebietet zweifellos eine internationale und multilaterale Vorgehensweise. Wir brauchen weltweite Instrumente, um mit weltweiten Problemen umzugehen. Der internationale Terrorismus ist eine weltweite Erscheinung. Das beginnt natürlich mit einem europäischen, gemeinschaftlichen Ansatz, aber wir sind ein aktiver Faktor auf internationaler Ebene und müssen also dort handeln, wo wir sind, das heißt an beiden Orten. Meiner Meinung nach muss die Europäische Union sich also entschieden dafür einsetzen, dass die Täter und die Hintermänner verbrecherischer Akte wie der vom 11. September vor den internationalen Strafgerichtshof gestellt werden, der ohne jeden Zweifel die geeignetste Instanz wäre, um derartige Taten, die, wie wir bereits gesagt haben, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind, zu ahnden.

Ein multilaterales Handeln ist umso dringender geboten, als die große Gefahr besteht, dass sich in den islamischen Ländern eine Koalition gegen die westliche Welt formiert, aufgestachelt durch die fanatischen Regimes, besonders in Afghanistan, die den anderen einreden könnten, wir seien ihnen feindlich gesinnt. Ich glaube also, es liegt in unserem Interesse, einen möglichst engen Dialog mit den arabischen Ländern und den islamischen Ländern im Allgemeinen zu führen. Ich betrachte den Vorschlag, den ich gestern auf der Konferenz der Präsidenten unterbreitet habe und der die Zustimmung aller Fraktionsvorsitzenden fand, als positiv. Im Übrigen haben Sie ja eine Initiative der Dienststellen angekündigt, ein internationales europäisch-arabisches oder besser noch ein europäisch-islamisches Forum zu organisieren, bei dem ein Dialog über die internationalen Probleme geführt werden soll, der sicher für die Zukunft unserer Beziehungen und die Zukunft der Welt konstruktiv sein wird.

Abschließend möchte ich Herrn Kommissar Vitorino für die Vorschläge der Kommission zur Terrorismusbekämpfung danken, aber ich glaube, man muss das Problem zugleich bei der Wurzel packen. Lassen Sie mich hierzu ganz kurz einen Aspekt ansprechen, der von kapitaler Bedeutung ist. Die Wurzel des Übels liegt in der Finanzierung der Terroristennetze, und da gibt es leider einige Instrumente, die die Finanzierung dieser Netze ermöglichen: ich meine das Bankgeheimnis und die Existenz von Steuerparadiesen. Ich glaube, die Europäische Union sollte Initiativen ergreifen, um diese beiden Erscheinungen zu beenden und damit dem Übel an der Wurzel zu begegnen.

(Beifall)

 
  
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  Wurtz (GUE/NGL).(FR) Frau Präsidentin, Frau amtierende Ratspräsidentin, Herr Kommissar! Ich bin ebenso wie meine Fraktion seit den Terroranschlägen von New York und Washington der Überzeugung, dass die Europäische Union jetzt mehr denn je ihr Gewicht und ihre Nützlichkeit bei der Gestaltung der internationalen Angelegenheiten unter Beweis stellen muss. Die nächste Zeit, vielleicht schon die allernächsten Tage, werden ihr zweifellos die Gelegenheit bieten, ihren Willen und ihre Fähigkeit zu demonstrieren, sich den mit diesen dramatischen Umständen verbundenen drei Herausforderungen zu stellen.

Die erste Herausforderung besteht aus meiner Sicht darin, dass man sich als Partner der USA, aber nicht als ihnen verpflichtet versteht. „Verbündete, aber nicht Gleichgeschaltete“, sagte ein Kollege gestern in der Debatte im außenpolitischen Ausschuss. Das heißt natürlich nicht, dass man es an der notwendigen und legitimen Solidarität fehlen lassen darf, vor allem im gemeinsamen Kampf, um die Schuldigen dieser Barbarei aufzuspüren, abzuurteilen und zu bestrafen und generell um die Terroristennetze zu zerschlagen. Vielmehr heißt dies, dass wir den Mut haben müssen, unseren amerikanischen Gesprächspartnern klipp und klar zu erklären, zu welchem Beitrag wir bereit sind und was wir auf keinen Fall mittragen können. Herr Solana hat gestern und heute Vormittag zu Recht unterstrichen, dass unser Kampf gegen den Terrorismus vor allem von den Völkern der arabisch-islamischen Welt nicht als Krieg gegen ihre Zivilisation verstanden werden darf oder gar als ein Kreuzzug, um einen der schrecklichsten diesbezüglich von Präsident Bush verwendeten Ausdrücke aufzugreifen. Gestern hatte der Hohe Vertreter für die GASP im gleichen Sinne bereits empfohlen, behutsam vorzugehen, niemanden zu demütigen, jede Unklarheit zu vermeiden, keine Gräben aufzureißen, was ein schwerwiegender Fehler wäre. Ich begrüße diese verantwortungsbewusste Sprache. Meine Fraktion wünscht, dass sie sich in der kategorischen Weigerung der Union niederschlägt, sich in eine Kriegslogik hineinziehen zu lassen, in ein Räderwerk, dass noch mehr Blutvergießen und unschuldige Opfer bedeuten würde.

Die zweite Herausforderung steht damit in unmittelbarem Zusammenhang. Wir müssen nicht nur einen solchen Bruch vermeiden, sondern vielmehr das Verhältnis zwischen Europa und den Mittelmeerländern neu überdenken und neu beleben. Meiner Meinung nach kann es derzeit nicht darum gehen, mit unseren Partnern südlich und östlich des Mittelmeeres von Freihandelszonen zu reden, sondern eher von Entwicklung, von politischem Dialog, von der Annäherung der Gesellschaften, von Menschenwürde. Zu den konkreten Engagements, in denen diese strategische Entscheidung ihren Niederschlag finden muss, gehört in erster Linie das entschlossene Handeln für eine gerechte Lösung des Nahostkonflikts. Ich begrüße die von Herrn Solana und allen Vertretern der Europäischen Union in der Region unternommenen Anstrengungen. Sie beginnen, erste Ergebnisse zu zeitigen, aber wir sind uns bewusst, dass diese äußerst anfällig sind. Deshalb müssen wir unser ganzes Gewicht in die Waagschale werfen, nicht gegen die USA, sondern in Partnerschaft mit ihnen und anderen Akteuren, vor allem aus der Region.

Die dritte Herausforderung besteht aus meiner Sicht in der Entwicklung eines neuen Ansatzes der internationalen Sicherheit. Die Tragödie vom 11. September illustriert doch auf das Schrecklichste, dass die Art und Weise, wie seit dem Fall der Berliner Mauer Weltpolitik gemacht wurde, gescheitert ist. Wie viele Konflikte blieben ungelöst! Wie viele starke okkulte Kräfte sind am Werk! Wie viele Quellen der Destabilisierung gibt es noch! Die Antwort auf diese tiefgreifenden Übel kann nicht in der Fortführung des Unilateralismus bestehen, sondern in einer echten weltweiten Kooperation unter Achtung von Geist und Buchstaben der Charta der Vereinten Nationen. Worauf es ankommt, ist nicht, ausschließlich auf das Militärische oder die Sicherheitspolitik zu setzen, sondern eine ambitionierte und vielgestaltige Politik der Krisenprävention zu betreiben. Überall, in Afrika, im Mittelmeerraum, in Lateinamerika, im Osten unseres Kontinents und selbst in den Vereinigten Staaten artikulieren sich in den Gesellschaften und vielfach auch in den Staaten selbst Erwartungen auf eine Änderung des Regierens in der Welt. Dieser Appell richtet sich derzeit ganz besonders an Europa. Darin liegt eine Chance. Die nächsten Tage könnten in dieser Hinsicht zur Stunde der Wahrheit werden.

 
  
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  Pasqua (UEN).(FR) Frau Präsidentin, Frau amtierende Ratspräsidentin, Herr Kommissar! Dies ist aus meiner Sicht für uns nicht die erste Gelegenheit, eingehend über das Problem zu beraten, und es wird auch nicht die letzte sein. Deshalb werde ich hier nicht auf die allgemeine Philosophie der durchzuführenden Aktion eingehen. Ich möchte nur einige Punkte in Erinnerung rufen, die nach meinem Dafürhalten nicht bei allen unseren Verantwortlichen voll präsent sind. Als erstes Problem müssen wir, das dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, den Gegner identifizieren. Machen Sie sich keine Illusionen: Es gibt einen fundamentalistischen Islamismus, der entschlossen ist, seine Angriffe auf die westlichen Demokratien fortzusetzen. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass es in all unseren Ländern mehr oder weniger schlafende terroristische Organisationen gibt, die ohne Weiteres morgen in Aktion treten können.

Lassen Sie mich zu den äußerst interessanten Bemerkungen und Überlegungen des Herrn Kommissar noch eines hinzufügen: Ich würde mir wünschen, dass die Europäische Union die Subventionierung von Staaten, die Terroristen beherbergen oder unterstützen, einstellt. Darin sehe ich eine praktische Maßnahme, die wir selbst umgehend ergreifen können.

Zweitens versteht es sich ja wohl von selbst, dass eine Aktion, die diesen Namen verdient, nicht denkbar ist, wenn nicht gleichzeitig eine aufrichtige politische Zusammenarbeit zwischen den Staaten, in erster Linie zwischen den EU-Mitgliedstaaten, besteht. Ich erinnere mich an eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurückliegt und von der ich nicht sicher bin, ob sie endgültig vorüber ist, da jeder nur sein eigenes Süppchen kochte und man die Präsenz bestimmter Organisationen auf dem eigenen Territorium nur unter der Voraussetzung akzeptierte, dass sie dort nicht aktiv werden, selbst auf die Gefahr hin, dass sie es beim Nachbarn tun. Meiner Meinung nach brauchen wir also eine echte Solidarität, die klar zum Ausdruck kommen muss.

Drittens muss man sich meiner Auffassung nach darüber im Klaren sein, dass der Kampf gegen den Terrorismus nur dann wirksam sein kann, wenn er im Vorfeld ansetzt. Es gilt also, die Aktion der Geheimdienste zu verstärken. Ich habe wohl vernommen, was vorhin zur Notwendigkeit der Effizienz von Europol gesagt wurde. Ich bin sehr für die Verstärkung der Effizienz von Europol, aber damit werden Sie nicht gleich den Terrorismus bekämpfen können. Es muss zwischen den Geheim- und Sicherheitsdiensten eine echte und unmittelbare Kooperation sowie einen echten Informationsaustausch geben, und die Staaten – das mag einigen nicht gefallen, aber bislang sind es nun einmal die Staaten, die im Rahmen ihrer Kooperation für die Sicherheit verantwortlich sind –, müssen in der Lage sein, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen.

Ich möchte mich hierzu nicht weiter ausbreiten. Heute sei nur Folgendes hervorgehoben: Ich habe eine philosophische Debatte erlebt über die Frage, ob es sich bei der Aktion gegen die Vereinigten Staaten um eine Kriegshandlung oder um einen Terrorakt handelt. Angesichts des Ausmaßes dieser Aktion sehe ich darin eine Kriegshandlung. Und wenn wir uns nicht bewusst sind, dass dem, was nur ein erster Akt ist, weitere folgen können, werden wir diese Blindheit teuer bezahlen müssen.

 
  
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  de Gaulle (TDI).(FR) Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Das dramatische Geschehen vom 11. September geht nicht nur auf das Konto einer kriminellen Organisation, die ihre Verachtung gegenüber dem Westen mit spektakulären Attentaten zum Ausdruck bringt. Es offenbart zugleich eine immense Frustration gegenüber der amerikanischen Nahost-Politik mindestens seit 1991. Die unrühmliche Bombardierung des Irak um fragwürdiger strategischer Ziele willen hat die USA bereits einen Teil ihres Ansehens gekostet. Vor allem nach dem systematischen Einschwenken der Vereinigten Staaten auf die expansionistische Politik des Staates Israel, das die Amerikaner mit einer mehr oder weniger offiziellen Unterstützung für extremistische islamistische Organisationen zu kompensieren versuchten, hat sich in den arabischen Ländern das Gefühl einer tiefgreifenden Ungerechtigkeit ausgebreitet.

Auf diese Weise werden einerseits die Siedlungspolitik seit dem Sechs-Tage-Krieg und andererseits die nicht gerechtfertigte Präsenz amerikanischer Truppen in der Region verurteilt. Entweder der Staat Israel beendet seine rassistische Politik und räumt die im Westjordanland errichteten Siedlungen oder die arabische Welt wird einem legitimen Aufruf Folge leisten, sich erheben und die Führer der arabischen Halbinsel destabilisieren. Warum wird dieser Staat Israel, dessen überzogene militärische Kapazitäten überhaupt nur durch den Willen der Vereinigten Staaten existieren, so hochgespielt?

Für Frankreich und für Europa kommt es nicht in Frage, sich an einem neuen Kreuzzug gegen die arabische Welt zu beteiligen, sei es in militärischer Form oder in Form von Auslieferungen oder europäischen Haftbefehlen. Frankreich ist nicht Mitglied der NATO. Die NATO ist von Afghanistan nicht betroffen. Dem strategischen Interesse Frankreichs entspräche es vielmehr, sich entschlossen an die Seite der arabischen Welt in ihrem Kampf gegen den politischen Rassismus des Staates Israel zu stellen.

 
  
  

VORSITZ: RENZO IMBENI
Vizepräsident

 
  
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  Blokland (EDD).(NL) Herr Präsident! In New York und Washington ist Entsetzliches geschehen. Wir leben und leiden mit den Vereinigten Staaten. Erst jetzt wird uns richtig bewusst, was dort genau passiert ist. In der Europäischen Union müssen wir Solidarität mit den USA bekunden und eine Antiterrorismuspolitik weiterentwickeln. Das sind wir den Opfern und den Hinterbliebenen schuldig. Deshalb möchte ich Herrn Kommissar Vitorino dazu beglückwünschen, wie zügig er nun Vorschläge vorgelegt hat.

Dieser Kampf ist nicht gegen den Islam oder gegen die Anhänger des Islam gerichtet. Es ist eine Auseinandersetzung mit jenen, die ihre Ziele erreichen wollen, indem sie Terror ausüben, welche so genannte Rechtfertigung sie auch immer bemühen. Wir müssen unmissverständlich an alle Staaten und Regierungen appellieren, diese Politik bedingungslos zu unterstützen. In diesem Kampf geht es um das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit als in unserer Demokratie verbürgtes Grundrecht.

Ich hoffe, Herr Präsident, wir können diesen Weg einmütig beschreiten.

 
  
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  Souchet (NI).(FR) Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir, wie wir vorgeben, tatsächlich zur Entwicklung einer weltweiten Politik der Bekämpfung der terroristischen Internationale beitragen wollen, bestünde der effektivste Weg zweifellos darin, feierlich an den Rat zu appellieren, er möge künftig alle Vorschriften vor allem zur Freizügigkeit von Personen, unter dem Blickwinkel der Sicherheit und nicht dem der systematischen Abschaffung der Kontrollen prüfen.

Dieser Kurswechsel darf sich allerdings nicht nur auf künftige Vorschriften beziehen. Hierzu gehört auch eine systematische Überprüfung der bereits angenommenen Texte im Lichte der nunmehr vorrangigen Erfordernisses der Sicherheit und des Schutzes unserer Bevölkerung. Der Rat muss diese Überprüfung unverzüglich vornehmen und gegebenenfalls alle Bestimmungen streichen, die so lasch formuliert sind, dass sie von Terroristennetzen genutzt werden können, um sich in unseren Ländern einzunisten oder auszubreiten, besonders hinsichtlich der Durchreise, der Grenzkontrollen, des Familiennachzugs oder der Gewährung des Flüchtlingsstatus.

Wir können nicht gleichzeitig die Augen verschließen, wenn Bevölkerungsgruppen in unser Hoheitsgebiet gelangen, die am Rande der Legalität leben, und uns dann beklagen, dass auf diesem von uns selbst bereiteten Boden Terroristennetze gedeihen. Wir werden bereits morgen Gelegenheit haben, unsere Handlungen mit unseren Erklärungen in Übereinstimmung zu bringen, denn auf der Tagesordnung stehen zwei Berichte, deren Anliegen dem Erfordernis der Sicherheit und der Terrorismusbekämpfung, dem wir angeblich Vorrang einräumen wollen, diametral zuwiderlaufen. Wir können unmöglich morgen für den Bericht Watson stimmen, einen Bericht ohne Begründung, der die Bestimmungen zur Umsetzung des Asylrechts derart erweitern will, dass dieses wesentliche Recht vollkommen entstellt und den Behörden der Mitgliedstaaten auf unverantwortliche Weise ihr Kontrollrecht genommen wird. Ich begrüße im Übrigen den Mut des ursprünglichen Berichterstatters, unseres Kollegen Schmitt, der es abgelehnt hat, seinen Namen für ein solches Machwerk herzugeben. In gleicher Weise muss man sich fragen, ob es wirklich angebracht ist, den Bericht Coelho anzunehmen, der unter Ziffer 2 das Vereinigte Königreich und Irland auffordert, möglichst umgehend ihre Grenzkontrollen abzuschaffen. Diese Forderung erscheint doch wohl etwas deplaziert?

Wir haben durchaus die Möglichkeit, verantwortungsbewusst und effizient zu handeln, indem wir beispielsweise an den Rat appellieren, sämtliche Rechtsvorschriften unter dem Blickwinkel der Sicherheitserfordernisse zu durchleuchten. Andernfalls wäre das morgen der Gipfel der Schizophrenie.

 
  
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  Galeote Quecedo (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, lassen Sie mich wiederholen, dass wir europäischen Bürger betroffen und unmittelbar einem Verbrechen gegen die Menschheit beiwohnten, wie der Vorsitzende meiner Fraktion sagte, dem Versuch, unsere Freiheit und unsere Demokratie zu beseitigen.

Zuallererst muss man den Schmerz des amerikanischen Volkes teilen. Gestatten Sie mir die Bemerkung, dass wir Spanier das Leid der Opfer sehr gut verstehen. Aber im gleichen Atemzug gilt es, mit Entschiedenheit zu reagieren, um unsere Freiheit zu verteidigen und den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem wir den Terroristen und ihren Helfershelfern beweisen, dass sie gescheitert sind. Wie in anderen Epochen unserer Geschichte ist auch heute die Bekräftigung der demokratischen Werte entscheidend für die Verhinderung des totalitären Wegs, auf den uns der Terrorismus führt.

Das Europäische Parlament hat ein eindeutiges Bekenntnis für den Kampf gegen den Terrorismus abgegeben; der Bericht Watson ist ein klares Beispiel dafür. Aber gerade jetzt ist es erforderlich, weiterhin unseren politischen Schwung, unsere Kraft in die konkreten Initiativen einzubringen, die uns von der Europäischen Kommission vorgelegt werden. Der Vorsitzende meiner Fraktion hat einige Haushaltsinitiativen zur Stärkung der Rolle von Europol vorgelegt. Hoffentlich wird der Ausschuss für Grundfreiheiten – und ich appelliere an seinen Vorsitzenden – seinerseits einen Terminplan vorlegen, damit dem Plenum noch in diesem Jahr ein Vorschlag unterbreitet werden kann, der es der belgischen und der spanischen Ratspräsidentschaft ermöglicht, die Arbeit in den kommenden Monaten abzuschließen.

Die europäischen Institutionen haben die unaufschiebbare Aufgabe, die Verfahren zur Bereitstellung von Gemeinschaftsinstrumenten für die Justiz zu beschleunigen, die deren Arbeit gegen den Terrorismus und das organisierte Verbrechen wirksamer machen. Die Europäische Kommission, und insbesondere Kommissar Vitorino, sollen wissen, dass sie die Unterstützung des Parlaments zur Sicherung der Zusammenarbeit und der konzertierten Aktion bei der Verfolgung der Verbrecher haben, denn dies ist der Weg, um den Terror zu zerschlagen.

 
  
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  Terrón i Cusí (PSE). – (ES) Herr Präsident, wie bereits gesagt wurde, hat dieses Parlament am 5. dieses Monats den Bericht Watson mit einer Reihe von unabdingbaren Mindestmaßnahmen um dem Terrorismus die Stirn zu bieten, verabschiedet.

Wir betrachteten dabei eine für alle Mitgliedstaaten gemeinsame Definition des Terrorismus, einen Fahndungs- und Haftbefehl – wie er genannt wurde – im europäischen Bereich und die Abschaffung des Auslieferungsverfahrens als Mindestforderungen, wie sie am 5. vom Parlament aufgestellt wurden. Aber eben dieser Bericht des Parlaments beinhaltete mehr als eine politische Botschaft an die anderen Gemeinschaftsinstitutionen: Das Parlament gab zu bedenken, dass einige Akte – ich zitiere wörtlich – „durch international organisierte Gruppen geplant und ausgeführt werden“, und wies darauf hin, dass es Staaten gibt, die hinter diesen Handlungen stehen, und dass man dagegen vorgehen müsse.

Am 5. September ging dieses Parlament allen voran und forderte die anderen Institutionen auf, eine entschlossene Haltung in diesen Fragen einzunehmen. Wir hatten bereits die Zusage, dass Kommissar Vitorino positiv reagieren würde. Nur wenig später, am 11. September, stellten wir fest, dass wir zu spät, auf dramatische Weise zu spät gekommen waren und dass das Problem nicht in der Europäischen Union ausbrach, sondern in den USA, und zwar in einer noch spektakuläreren Form – ich will nicht sagen, dramatisch, denn dramatisch ist es immer –, als wir es hier erfahren hatten.

Herr Watson sagt uns bescheiden, dass die in seinem Bericht enthaltenen Forderungen nur im Rahmen der Europäischen Union von Nutzen sind. Das trifft meiner Meinung nach nicht zu. Ich glaube, dass wir, wenn wir diese Reihe von Maßnahmen festlegen, intern vorankommen können, was, wie Herr Poettering sagte, ein Zeichen der Solidarität gegenüber den Vereinigten Staaten ist. Wenn wir tatsächlich in der durch die Realität gebotenen Eile – und wir hatten es vorher schon eilig – vorankommen und auf diese Weise ein Beispiel geben, wie im supranationalen Bereich beim Kampf gegen den Terrorismus operativ reagiert werden kann, setzen wir das beste Signal der Solidarität für die USA, vermitteln wir das beste Bild, die beste Option für die Arbeit in diesem supranationalen Bereich, wie es vor kurzem in Palermo die Vereinten Nationen von uns gegen das organisierte Verbrechen forderten.

Ich hoffe, dass wir bei den übrigen Maßnahmen, wie dem Kampf gegen die Geldwäsche und so vielen anderen, die auf dem Tisch des Rates liegen, nicht warten, bis Eile geboten ist, bis dramatische Ereignisse eintreten, um sie in Gang zu setzen. Ich glaube, dass sie alle unverzichtbar sind, um die Welt und vor allem die Freiheit zu verteidigen.

 
  
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  Sterckx (ELDR).(NL) Herr Präsident! Als unsere Parlamentsdelegation in der vergangenen Woche in Washington weilte und ein paar Tage länger dort blieb, als eigentlich beabsichtigt, ist nicht nur bei mir, sondern auch bei den US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen die Erkenntnis gereift, dass uns ein Interesse gemein ist. Ich habe dort feststellen können, dass die Amerikaner und mit Sicherheit ihre Regierung besonnener handeln, als man hier im Allgemeinen annimmt und wir aus der hin und wieder etwas unglücklichen Wortwahl des Präsidenten schließen können.

Einige unserer US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen haben uns damals klipp und klar erklärt, dass die Zeit der schönen Worte vorbei ist. Meiner Meinung nach haben sie Recht. Das gilt nicht nur für das Verhältnis zwischen ihnen und uns, sondern auch für unser Handeln hier im Parlament. Wenn wir über die Bestrafung von Terroristen sprechen, dann kommen wir im Grunde zu spät.

Hoffentlich können wir uns ab und zu auch einmal der Prävention widmen. Das heißt also: Zusammenarbeit zwischen Polizeidiensten, zwischen Untersuchungsrichtern, zwischen Geheimdiensten. Ich hoffe, Herr Kommissar, Sie werden Ihre Vorschläge so bald als möglich vorlegen, was zweifellos auch der Fall sein wird. Dann zeigt sich, wer in diesem Hause für oder gegen engere Zusammenarbeit ist, wer wirklich Schritte nach vorn machen möchte und wer nicht.

Ich hoffe, Frau Ratspräsidentin, wir werden bei Ihren Geheimverhandlungen auch erfahren, wer dafür und wer dagegen ist, wer weiter gehen will und wer nicht, damit wir daraus unsere Schlüsse ziehen und mithin entscheiden und beurteilen können, denn nunmehr stehen wir noch unter dem Eindruck, jetzt fühlen wir noch den Schmerz mit unseren amerikanischen Freunden. Aber wer wird in ein oder zwei Jahren noch von dieser Debatte reden? Wir werden, so hoffe ich, auch dann noch recht wachsam sein und uns daran erinnern, was heute alles gesagt worden ist.

 
  
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  Maes (Verts/ALE).(NL) Herr Präsident, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissar! Solidarität mit den Opfern der fürchterlichen Anschläge ist das Erste, was wir zum Ausdruck gebracht haben und bringen mussten. Gleichwohl begrüße ich die Entschlossenheit, mit der der Rat und die Kommission zu Werke gegangen sind und auch Vorschläge formuliert haben.

Denn wir erleben eine Globalisierung des Terrorismus. Jeder ist verletzlich. Wir können unsere verwundbare Welt auch sicherer machen. Vor dieser Herausforderung stehen wir. Das aber setzt multilaterale Zusammenarbeit in einem globalen Kampf gegen den Terrorismus voraus. Diese positive Seite versuche ich deshalb in dem Inkraftsetzen von Artikel 5 des NATO-Vertrags zu sehen, nämlich ein Zeichen der Solidarität. Kein Freibrief für gleich welche Militäraktion, die neue unschuldige Opfer fordern, neue Ressentiments schüren und Enttäuschungen wecken würde, sondern eine Aufforderung zu Gesprächen und zum transatlantischen Dialog, wenn das auch nicht immer so aufgefasst werden mag.

Wir müssen uns bewusst sein, dass unsere Bevölkerung beunruhigt ist, dass zahlreiche Menschen befürchten, wir würden in eine Kriegsmaschinerie einfach mit hineingezogen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir unsere Absichten erläutern müssen.

Wir müssen diese verletzliche Welt sicherer machen, indem wir uns um politische Lösungen für sich endlos dahinziehende Konflikte wie den im Nahen Osten bemühen. Wir sollten Hoffnung tragen in weite Teile der Welt, die in Verzweiflung leben müssen. Ohne eine gerechte Weltordnung bleiben Stabilität und Frieden ein ferner Traum und wird immer aufs Neue ein Nährboden für den Terrorismus bereitet.

Wir freuen uns über den einmütigen Willen, der in diesen Tagen bekundet und hier auch vom Rat und von der Kommission zum Ausdruck gebracht wird. Nunmehr hoffen wir, dass es nicht bei Worten bleibt, denn als es darauf ankam und Europa die Instrumente zum Erreichen der Ziele schaffen sollte, die hier dargelegt werden, haben einige unserer Mitgliedstaaten in der Vergangenheit im Grunde immer wieder Barrieren errichtet. Wie lange schon mangelt es an der Zusammenarbeit, um Europol zu einem effizienten Instrument zu machen? Schon in Amsterdam wurde dies zum Ausdruck gebracht.

Die Auslieferung von Terroristen bezeichnete Herr Vitorino als den Meilenstein im Kampf gegen den Terrorismus. Aber wir werden sehen, ob wir uns alle zusammen dazu bekennen. Die Ratspräsidentin führte diverse Instrumente für die Terrorismusprävention an. Aber wird es uns je gelingen, die Kapitalströme zu kontrollieren, die den Terrorismus weltweit speisen? Wollen oder können wir den Waffenhandel je wirklich unter Kontrolle bekommen? Oder werden morgen erneut wirtschaftliche Argumente die Oberhand über die Argumente der Sicherheit und der Terrorismusprävention gewinnen? Denn es gibt den Terrorismus, es gibt den Fanatismus, es gibt das Unrecht. Eine Reihe von Waffen sind zwar von Terroristen noch nicht eingesetzt worden, stehen aber in unserer technologischen Gesellschaft zur Verfügung.

 
  
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  Morgantini (GUE/NGL).(IT) Herr Präsident! „Keine Sache – nicht einmal eine gerechte Sache – kann das Töten unschuldiger Zivilisten rechtfertigen. Der Terror pflastert nicht den Weg zur Gerechtigkeit, sondern den kürzesten Weg zur Hölle. Wir bedauern dieses abscheuliche Verbrechen, das von uns aufs Entschiedenste verurteilt wird, und wir verurteilen mit allem Nachdruck diejenigen, die es geplant und verübt haben. Unser Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen sowie mit dem gesamten amerikanischen Volk in dieser schweren Zeit ist lediglich der Ausdruck unseres unverbrüchlichen Bekenntnisses zum Singularismus des menschlichen Schicksals.“

Diese Worte stammen nicht von mir, sondern aus dem Munde palästinensischer Intellektueller, Politiker und Minister, wie Yaser Abed Rabbo, Hanan Ashrawi und Mahmoud Darwish. Es sind gewichtige, hoffnungsvolle Worte, da sie von Personen ausgesprochen wurden, die unter israelischer Militärbesetzung leben und darunter leiden.

In einer Zeit wie dieser ist von uns allen – Menschen, Staaten, Institutionen – ein Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein und an Entschlossenheit zur Ausrottung des Terrorismus sowie gleichzeitig zur Beendigung des Prozesses einer Globalisierung der Armut, der Ungerechtigkeit und der Kriege gefordert.

„An die Stelle der Waffen müssen nunmehr Worte treten“, hatte Javier Solana gefordert. Deswegen dürfen Worte nicht zum Hass oder zur Cowboy-Kultur des „tot oder lebendig“ aufrufen und anstiften. Wie die Frauen, die gegen den Krieg argumentieren, sagen: Zwischen Töten und Sterben gibt es einen dritten Weg, nämlich Leben. Die Erziehung zum Frieden, zur Achtung des Rechts darf niemanden ausschließen, erst recht nicht die Staats- und Regierungschefs. Mit dem heute verkündeten Waffenstillstand flackert aus Palästina und Israel ein zwar nur schwacher Hoffnungsfunke auf, an den man sich aber unbedingt klammern sollte. Die Europäische Union hat dazu beigetragen, dass der Dialog wieder aufgenommen werden konnte. Diese politische Rolle muss noch verstärkt werden, und ihre Stärke wird in der entschlossenen Verteidigung des Rechts liegen. So wie von Arafat verlangt wurde, standfest zu sein und den Terrorismus unter Kontrolle zu bringen, so muss Scharon deutlich zu verstehen gegeben werden, dass er nicht ungestraft die Beschlagnahme palästinensischen Grund und Bodens sowie den Siedlungsausbau fortsetzen, nicht weiteres Töten und die Abriegelung der Palästinenser in ihren Dörfern oder, wie gestern Vormittag, die Zerstörung des in Bau befindlichen und von den EU-Ländern finanzierten Hafens von Gaza zulassen darf.

Notwendig sind konkrete Maßnahmen: Den Palästinensern muss das Vertrauen auf einen Staat in Sicherheit eingeflößt und Israel die Gewissheit gegeben werden, dass niemand seine Existenz bedroht, d. h. nicht sein Bestehen, sondern seine Kolonial- und Expansionspolitik stehen zur Diskussion.

Gestern hatte ich im Libanon zusammen mit einer italienischen Delegation eine Unterredung mit Präsident Lahoud. Er hat den Terrorismus eindeutig abgelehnt, aber nachdrücklich bekräftigt, die Palästinafrage müsse unbedingt gelöst und die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Europa und der arabischen Welt intensiviert werden. Wir müssen an uns selbst glauben, wir müssen Frieden stiften und das Recht durchsetzen.

 
  
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  Muscardini (UEN).(IT) Herr Präsident! Die Bekämpfung des Terrorismus erfordert von jedem Verständnis dafür, dass ohne Regeln und ohne Bestrafung derjenigen, die gegen die Gesetze verstoßen und Freiheit und Sicherheit zerstören, die Demokratie nicht existenzfähig ist. Im April dieses Jahres besuchte Kommandant Massud das Europäische Parlament, das er um Unterstützung seines Kampfes gegen den Fundamentalismus der Taliban bat. Wir haben ihm mit freundlichem Lächeln unsere mitmenschliche Sympathie bekundet, so wie wir mit freundlicher Geste unser Mitgefühl mit den Opfern des Fundamentalismus in Algerien und in anderen Ländern – beispielsweise in Spanien –, in denen Bürger, Politiker und Journalisten niedergemetzelt wurden, bekundet haben.

Heute ist Massud tot, umgebracht von selbstmörderischen Terroristen, nur wenige Stunden bevor andere Terroristen das absurde Blutbad, das entsetzliche Blutbad, das abscheuliche Blutbad in den Vereinigten Staaten angerichtet haben. Der Terrorismus und der Fundamentalismus hatten offenkundig eine exakte Abfolge festgelegt, deren erster Akt in der Eliminierung der Integrationsfigur des Widerstands gegen die Taliban bestand.

Wenn wir den Terrorismus, seine Zentralen, seine Wirtschaftsmacht, seine hasserfüllte antidemokratische und gegen die Freiheit gerichtete Botschaft wirklich bekämpfen und definitiv ausrotten wollen, müssen wir der Nordallianz unsere uneingeschränkte Unterstützung gewähren: Was wir Massud zu seinen Lebzeiten verweigert haben, schulden wir ihm jetzt nach seinem Tod; wir schulden dies den für die Freiheit kämpfenden Männern und Frauen; wir schulden es all denen, die weltweit den Terrorismus und den Fundamentalismus bekämpfen.

Des Weiteren fordern wir, dass die Europäische Union erneut über die Notwendigkeit eines bestmöglichen Schutzes ihrer Grenzen, eventuell auch unter vorübergehender Suspendierung des Schengener Abkommens, nachdenken sollte, und dass auf jeden Fall, wie auch von dem Vorsitzenden Pasqua bereits hervorgehoben wurde, unsere Hilfen für jene Länder, die terroristische und kriminelle Organisationen beherbergen, finanzieren und schützen, eingestellt werden; dass die Nutzung des Internet überwacht und endlich einschlägige Regeln festgelegt werden, denn die gegenseitige internationale Unterstützung und Zusammenarbeit des Terrorismus basiert unter anderem darauf, dass der Einsatz dieses Instruments bisher noch nicht geregelt ist; dass jene Organisationen untersagt werden, die sich zum Religionskampf bekennen, die Gewalt predigen und zulassen, dass ihre Anhänger Terrorakte verüben.

Schließlich fordern wir, Herr Präsident, dass wir den Mut zu einer Europa-Mittelmeer-Konferenz haben, auf der wir uns, wenn wir für den Frieden wirken wollen, austauschen, auf der wir zusammenarbeiten und diejenigen bekämpfen können, die immer noch Hass und Gewalt säen.

 
  
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  Borghezio (TDI).(IT) Herr Präsident! Dem Anliegen, wonach auf die schweren Anschläge nicht in Form eines Kreuzzugs gegen den Islam reagiert werden sollte, ist zwar beizupflichten, doch müssen hier einige Punkte präzisiert werden. So sei darauf hingewiesen, dass sich eine der mit Bin Laden verbundenen Organisationen „Islamische Front gegen Kreuzfahrer und Juden“ nennt. Ferner möchte ich darauf verweisen, dass von den jährlichen Dollar-Finanzströmen in Milliardenhöhe an die moslemischen Wohlfahrts- und Hilfsorganisationen ein Teil auch dem fundamentalistischen Terrorismus zufließt. Darüber hinaus tragen die Gewinne islamischer Banken und Finanzinstitute, die gegenwärtig endlich auch auf dem internationalen Finanzmarkt kontrolliert und identifiziert werden und die ihren Sitz in Steuerparadiesen haben, zur finanziellen Unterstützung der Internationale des islamischen Terrorismus bei. Hier in Europa gibt es islamische Zentren, Moscheen, in denen die mit dem Terrorismus in Verbindung stehenden Fundamentalisten über Jahre – und noch heute – Unterschlupf gefunden haben, gedeckt wurden und sogar falsche Pässe ausgestellt bekamen, wofür es Belege gibt. Solche Komplizenschaften gibt es, und gewisse vage verbale Distanzierungen von Bin Laden können uns wohl kaum beruhigen, diese Gruppen aus dem Umfeld der Islamischen Internationale in Europa seien zum Frieden und zu den Menschenrechten konvertiert.

Ich pflichte der Kollegin Garaud bei, die heute Vormittag auf der Konferenz der Präsidenten dazu aufgerufen hat, realistisch zu sein und eine ernsthafte internationale Politik ...

(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)

 
  
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  Abitbol (EDD).(FR) Herr Präsident, eine bekannte Redensart besagt ja, dass man „den Wald vor Bäumen nicht sieht“. Dies sollte die Europäische Union beherzigen, denn in Wirklichkeit ist schwer erkennbar, was unsere heutigen Diskussionen auch nur im Geringsten mit der ungeheuerlichen Verletzung der amerikanischen Integrität am 11. September zu tun haben.

Wurde Amerika dadurch gerettet, dass es eine Polizei und einen Geheimdienst besaß? Natürlich besaß es diesen, und zwar den mächtigsten der Welt. Aber das bedeutete nicht, dass die Ereignisse vom Dienstag, dem 11. September, hätten vorhergesehen oder verhindert werden können. Es ist wirklich schwer einsehbar, was Europol damit zu tun haben soll oder die Stärkung dieser Europäischen Union, die wieder einmal beweist, dass sie ausschließlich mit ihrer eigenen Macht beschäftigt ist und ihr die eigentlichen Probleme völlig gleichgültig sind, und sie sich nur betroffen fühlt, wenn es um darum geht, ihre Macht zu stärken.

Wir, die wir behaupten, alle europäischen Völker zu repräsentieren, sollten lieber über unseren Rücktritt nachdenken und über die Verantwortung, die wir auf uns geladen haben, indem wir die Auseinandersetzung mit dem Rest der Welt allein den USA überließen, trotz der mehr als tausendjährigen diplomatischen, historischen, militärischen Traditionen unserer Nationen...

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Gorostiaga Atxalandabaso (NI).(EN) Herr Präsident, ich möchte zunächst die tiefe Anteilnahme zum Ausdruck bringen, die wir für die Opfer des Angriffs in der vergangenen Woche verspüren. In diesem Augenblick, noch bevor es zu konkreten militärischen Maßnahmen gekommen ist, sind wir bereits Augenzeugen einer gewaltigen humanitären Tragödie, in die Tausende unschuldiger Menschen in Afghanistan hineingezogen werden.

Die Vereinigten Staaten haben erklärt, dass die Beschränkungen für die Geheimdienste gelockert würden und diese freie Hand hätten, um auch Verbrecher zu rekrutieren. Ich zitiere Vizepräsident Cheney: „Um in diese terroristischen Organisationen einzudringen, muss man selbst einige dieser sehr unangenehmen Gestalten auf der Gehaltsliste haben.“

Als Präsident Bush den Krieg erklärte – und dies ist in Wirklichkeit ein Fall von Reich gegen Arm, der diesem Kampf zugrunde liegt –, sagte er, für den Krieg komme jedes Mittel zum Einsatz. Hier müssen aber die Mittel des Rechts zum Einsatz kommen, d. h. die Rechtsstaatlichkeit darf dabei nicht außer Kraft gesetzt und Freiheiten dürfen nicht unterdrückt werden, sondern im Gegenteil – sie müssen aufrechterhalten werden.

Herr Präsident, Frau Ministerin, Herr Vitorino, sehr geehrte Abgeordnete, wenn wir einen falschen Krieg führen, werden wir ihn verlieren.

 
  
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  McMillan-Scott (PPE-DE).(EN) Herr Präsident, wir werden die Angriffe auf die Vereinigten Staaten nie vergessen, und wir verurteilen diese Angriffe auf das Schärfste. Wir teilen sowohl das Leid der Opfer, bei denen es sich um Zivilisten handelte, den Kummer ihrer Familien als auch die Werte unseres großen Verbündeten – Demokratie und Freiheit des Einzelnen. Terrorismus schafft einen geistigen Zustand, der Empörung und Reaktionen hervorruft. Wir müssen also einig sein, wir müssen entschlossen sein, und wir müssen wachsam sein.

Abgesehen von unserer gemeinsamen politischen Reaktion müssen wir jedoch auch den diplomatischen Standpunkt der Europäischen Union neu bestimmen. Im Zuge des zurzeit laufenden Haushaltsprozesses ist das gewaltige Hilfeprogramm der EU neu zu bewerten, vor allem dann, wenn Staaten auf irgendeine Weise in diesen Terrorismus verstrickt sein sollten.

Die EU wird als pro-arabisch angesehen. Ich bedauere dies. Unser Image sollte sich daraus ableiten, dass wir für Demokratie eintreten. Der Krieg ist erklärt worden, und wir müssen nun uneingeschränkt zu unseren amerikanischen Verbündeten halten. Meine Partei und Fraktion fühlen sich verpflichtet, ihre volle Unterstützung zu geben, vor allem der britischen Regierung, ihren Partnern in der Europäischen Union und unseren NATO-Verbündeten. Die Größenordnung und die Art und Weise des verbrecherischen Anschlags, deren Augenzeugen wir in der vorigen Woche in den Vereinigten Staaten wurden, dient uns als Warnung vor all dem, was das neue Jahrtausend noch bringen kann, aus diesem Grund müssen wir ganz pragmatisch prüfen, was wir gemeinsam unternehmen müssen.

Wir müssen so viel als möglich voneinander darüber lernen, wie wir mit der Sicherheit unserer Menschen umgehen und wie wir am besten die Spannungen abbauen können, die zu politischer Gewalt und Terrorismus führen. Unsere Wähler sollten sobald wie möglich, wieder ihr gewohntes Leben führen, doch wir als Politiker dürfen nicht ruhen, solange der Terrorismus noch am Leben ist.

 
  
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  Read (PSE).(EN) Herr Präsident, ich weilte in der vergangenen Woche als Leiter einer für unsere Beziehungen zum Kongress der Vereinigten Staaten zuständigen Delegation des Europäischen Parlaments in Washington, und wir eröffneten unsere Besprechung vor der Tagung im Ausschuss am Dienstag, dem 11. September 2001, um 9.00 Uhr, genau nachdem das erste Flugzeug in den einen der Türme eingeschlagen war und kurz danach das zweite hineinraste. Selbstverständlich war unsere Beratung nicht von sehr langer Dauer, und schon sehr bald saßen wir, wie so viele andere in den USA auch, erschüttert und schweigend vor dem Fernseher. So war die Stimmung am Montag in Amerika. Am Mittwoch waren die Menschen verständlicherweise wütend und hatten Angst, und so ging es auch uns. Später gab es viel mehr Nachdenklichkeit und eine ernsthaftere Reaktion.

Die vielen Botschaften aus der Europäischen Union, gerade auch vom Europäischen Parlament, sowie die vielen persönlichen Unterstützungs- und Solidaritätsbekundungen wurden sehr hoch geschätzt. Wir konnten einen Teil unserer Delegationspflichten erfüllen – wir trafen uns mit Mitgliedern des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Kongress und führten sehr nützliche, wenngleich sehr traurige Diskussionen mit ihnen. Sie stellten uns folgende Frage: Wie wird Europa uns helfen? Wird uns Europa unterstützen? Wir befanden uns in einer schwierigen Lage. Darauf zu antworten, wäre für unsere kleine Abordnung vorschnell und unangemessen gewesen. Wir wussten natürlich nicht, wie wir reagieren sollten. Im Namen der Delegation gab ich eine Erklärung an den Kongress ab, die in das Protokoll des Kongresses aufgenommen wurde, und ich hoffe, dass diese Erklärung mit Ihrer Erlaubnis auch in das Protokoll unseres eigenen Parlaments aufgenommen werden kann. Neben dem ganz natürlichen Mitgefühl, das wir natürlich zum Ausdruck bringen wollten, wurde in dieser Erklärung betont, dass dieses Problem von den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union sowie vielen anderen Ländern partnerschaftlich in Angriff genommen werden muss.

Es wird immer deutlicher, dass die Antwort wohl überlegt und angemessen sein muss, und die Folgen für alle müssen vorausgesehen und geplant werden. Es besteht klarer Handlungsbedarf für große diplomatische und politische Initiativen zur Aufrechterhaltung der Zusammenarbeit mit den Ländern, die möglichen Zielen am nächsten liegen, in deren unmittelbarer Nähe es militärische Handlungen geben kann oder die von den Folgen am meisten bedroht sind. Möglicherweise sehen wir furchtbaren Zeiten entgegen, aber es ist ganz entscheidend, dass wir den Mut und das Mitgefühl haben, um die Alternativen sorgfältig gegeneinander abzuwägen.

Ich möchte meinen Dank an die vielen Anwesenden, unter anderem an den Präsidenten, richten, die ihre Sorge um unsere Sicherheit und unser Wohlergehen ausgedrückt haben, vor allem aber an meine Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete des Europäischen Parlaments, z. B. an Herrn Belder, Frau Peijs, meine beiden stellvertretenden Vorsitzenden, alle anderen Abgeordneten, die Mitarbeiter des Parlaments, die Dolmetscher des Rates und der Kommission und vor allem die Mitarbeiter der Kommission in Washington. Sie alle haben sich in dieser als außerordentlich schwierig zu bezeichnenden Woche sehr um uns gesorgt und gekümmert.

 
  
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  Wiebenga (ELDR).(NL) Herr Präsident! Die Anschläge auf Amerika erinnern mich vornehmlich an das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich im Juni 1914 in Sarajevo. Damals tauchte aus dem Nichts ein Terrorist auf, der das Habsburger Reich, eine als unantastbar geltende Großmacht, ins Herz traf. Dieser Mord löste eine Überreaktion des Habsburger Reichs aus, die im Ersten Weltkrieg mündete.

Der internationale Terrorismus muss unbedingt bekämpft werden. Ebenso wichtig finde ich es, dass dies gemeinsam mit Stärke und, ich betone, wohlüberlegter Besonnenheit geschieht.

Die Europäische Union selbst muss auch ans Werk gehen. Vielen Dank, Herr Kommissar, Sie sind nicht das Problem, ebenso wenig dieses Parlament. Ich wende mich an meine ehemalige Kollegin, an die Ministerin des belgischen Ratsvorsitzes. Tampere liegt zwei Jahre zurück. Schaffen Sie das Vetorecht im dritten Pfeiler ab, belgische Präsidentschaft, denn sonst setzt sich die Stümperei fort und können wir nicht gezielt gegen den Terrorismus vorgehen.

 
  
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  Schmid, Herman (GUE/NGL). (SV) Herr Präsident! Ich war Mitglied der Delegation, die in der vergangenen Woche Washington besuchte und habe die Bestürzung, den Schrecken und die Verzweiflung gesehen, die der Anschlag verursacht hat. Ich habe die Trauer und das Leid der Menschen dort gespürt und geteilt und fühle noch immer mit den Angehörigen der Vermissten.

Herr Präsident! Nachdem ich die Diskussion hier verfolgt habe, habe ich das vorbereitete Manuskript meiner Rede beiseite gelegt und mich entschlossen, darüber zu sprechen, was sich während des Zuhörens bei mir angesammelt hat.

Ich bin höchst beunruhigt, sowohl über die Ereignisse als auch über die Reaktion, die sie in den USA und in Europa hervorgerufen haben. Ich bin überzeugt davon, dass zur gleichen Zeit, als wir diesen Schreck empfunden haben, Millionen Menschen da draußen, in Asien, Afrika und anderen Teilen der Welt diese Terroraktion bejubelt haben. Wir haben von palästinensischen Jugendlichen gelesen, die diesen Gewaltakt gefeiert haben, und ich glaube, sie sind nicht die einzigen, sondern es gibt Millionen und aber Millionen Menschen da draußen, die ebenso reagiert haben. Das füllt mich mit großem Entsetzen und Schrecken, denn das bedeutet, dass wir einer Welt von Millionen potenzieller Terroristen und Gewalttäter dieser Art gegenüberstehen.

Wir müssen uns fragen, ob wir jetzt Zeugen einer Art sozialer Kriegführung sind. Bestehen hier Parallelen zu den Aufständen der Kolonialzeit? Ich erinnere mich an den Mau-Mau-Aufstand in meiner Jugendzeit, der damals als Terroraufstand beschrieben wurde. Uns allen ist der Vietnamkrieg noch in deutlicher Erinnerung. Liegt den Ereignissen der letzten Zeit auf die eine oder andere Weise ein sozialer Krieg zugrunde oder sind dies seine Vorboten? In diesem Fall wäre ein Massenbombardement im Nahen Osten ebenso sinnlos wie flächendeckende polizeiliche Kontrollaktionen.

Dann wäre unsere einzige Chance eine gewaltige Erneuerungs- und Umverteilungspolitik, eine Politik, die die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung in der Welt beseitigt, denn diese sind der Nährboden für den Terrorismus. Sonst werden wir trotz Bombenteppichen und allen möglichen Sicherheitsdiensten in der Welt niemals sicher sein.

 
  
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  Queiró (UEN).(PT) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Vereinigten Staaten von Amerika und die freie Welt wurden von einer Welle absolut barbarischer Anschläge überrascht, die Tausenden Männern, Frauen und Kindern aus mehr als 60 Ländern das Leben kostete, welche mit entsetzlicher Rücksichtslosigkeit und Brutalität umgebracht wurden. Einmal mehr müssen unsere ersten Worte wie so oft Worte der Solidarität und des Mitgefühls sein, fühlen wir uns angesichts so vieler ausgelöschter Leben und des Leidens ihrer Angehörigen im Herzen mit ihnen verbunden. Diese Anschläge überschritten bei weitem die Grenzen des Vorstellbaren und bestätigen die Befürchtungen, dass der Fanatismus der terroristischen Gruppen kein Erbarmen kennt noch schwankt und - sollte nicht das Erforderliche für ihre Bekämpfung oder Ausrottung getan werden - das Schlimmste für die Zukunft zu befürchten ist. Es liegt uns fern, einen neuen Keil zwischen West und Ost zu treiben. Wir unterscheiden durchaus zwischen denen, die frei und friedlich ihren islamischen Glauben ausüben, und jenen, die auf völlig unannehmbare Weise in der Hinwendung zu einem mittelalterlichen Konzept eines Heiligen Krieges die Inspiration suchen, um Bürger, Völker und Staaten, die in Frieden leben wollen, auf internationaler Ebene anzugreifen.

Deshalb gilt es, den für diese scheußlichen, wahrhaft kriegerischen Akte gegen die freie Welt Verantwortlichen mit Entschlossenheit entgegen zu treten, und zwar sowohl denen, die sie unmittelbar vorbereitet haben, als auch allen, die ihnen Unterschlupf gewähren, sie schützen, finanzieren oder antreiben. Dabei trägt die Europäische Union eine gewaltige Verantwortung als Gemeinschaft, die die universellen Werte des Lebens, der Freiheit, des Friedens und der Sicherheit bewahrt. Neben der Förderung der Beziehungen des Vertrauens, der Zusammenarbeit und des kulturellen Dialogs mit allen Völkern und Bürgern islamischen Glaubens, die diese universellen Werte teilen, bis hin zu ihrer Einbeziehung in ein aktives Vorgehen gegen den Terrorismus und die Gefahr, die er darstellt, müssen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten untereinander und weltweit neue und wirksamere Formen der Zusammenarbeit bei der Erfassung und Verarbeitung von polizeilichen Informationen, bei der Angleichung der Justiz- und Rechtssysteme und schließlich im Bereich der gemeinsamen Sicherheit und Verteidigung finden, um die Prävention zu verbessern und eine strenge Bestrafung all derer ermöglichen, die zu dieser neuen Form der weltweiten Bedrohung aufrufen, oder deren Helfershelfer sind.

Wir wollen hier unserer Erwartung und auch unserer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die heutige Aussprache und die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates am kommenden Freitag ein entscheidender Schritt in einem langwierigen und schwierigen Kampf gegen den internationalen Terrorismus sein mögen, einem Kampf, der jetzt und solange die Bedrohung besteht, für uns auf dem Gebiet der europäischen, atlantischen und globalen Sicherheit vorrangige Priorität haben muss.

 
  
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  Bigliardo (TDI).(IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eine Vielzahl guter Vorsätze, aber auch einige Gemeinplätze gehört. Terroristen sind allerdings nicht zu bekämpfen, wenn europäische Banken ihre Geldanlagen akzeptieren und ihnen so zu einem größeren finanziellen Gewicht verhelfen; der Terrorismus wird nicht bekämpft, wenn je nach den geopolitischen Interessen Waffen an die verschiedenen Länder verkauft werden, die zuweilen bereit sind, für diese oder jene Macht die Rolle von Askaris zu spielen.

Herr Präsident, solange jeden Tag von „Krieg“ gesprochen wird, wird es keinen Frieden geben können. Die ganze Welt ist über die eindeutigen und unmissverständlichen – ich habe für die Gemütsverfassung und die politische Situation Verständnis – Erklärungen des amerikanischen Präsidenten besorgt, dem wir zuerkennen, aus Gründen der Staatsräson zu handeln, und dem wir unsere uneingeschränkte politische und menschliche Solidarität bekunden. Wir hoffen jedoch, das Wort „Krieg“ möge gezielt gegen ganz bestimmte Randgruppen einer Welt gerichtet sein, der arabischen Welt, die es nicht verdient, wegen der verbrecherischen Akte einer winzigen Minderheit von Kriminellen, die sich aufgrund eines hellen, absurden und barbarischen Wahnsinns von jeglicher Zivilisation entfernt haben, in ihrer Gesamtheit kriminalisiert zu werden.

 
  
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  Farage (EDD).(EN) Herr Präsident, im Namen meiner Partei möchte ich dem Volk der Vereinigten Staaten mein tiefes Beileid aussprechen. Durch unser besonderes Verhältnis und weil zudem Hunderte von Briten noch als vermisst gelten, sind auch wir von Verzweiflung und dem Gefühl des Schmerzes über die Verluste ergriffen.

Meine erste Bemerkung muss ich an den eigenen Premierminister richten, der natürlich bei der Freilassung von mehr als 400 verurteilten Terroristen behilflich war. Wir müssen den Terrorismus in all seinen Formen bekämpfen, und wir müssen „Nein“ sagen zu jeder weiteren Beschwichtigung. Auch möchte ich den Rat und die Kommission bitten, diese Gelegenheit nicht dafür zu nutzen, das Projekt der europäischen Integration verstärkt voranzutreiben. Die Völker Europas werden es den Politikern nicht verzeihen, wenn sie ihren Eigennutz über die Sicherheit der Menschen stellen.

Wie düster und unsicher die Zukunft auch sein mag, wir müssen fest und entschlossen hinter den USA stehen, wie es dieses edle Land in unserer finstersten Stunde für uns getan hat. Unser Engagement für die Niederwerfung des Terrorismus darf nicht geringer sein als das Engagement der USA selbst.

 
  
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  Sichrovsky (NI). – Herr Präsident, dieser Terroranschlag in den USA betrifft uns leider alle, und das nicht nur deshalb, weil unter den Toten wahrscheinlich auch Hunderte Europäer sind. Allein 30 Österreicher sind bis heute vermisst. Solidarität und Kooperation bei der Reaktion auf diesen Terroranschlag sollte als ein uneingeschränktes Angebot der Europäer verstanden werden, und die europäischen Partner sollten darauf verzichten, hier Bedingungen zu stellen.

Das EU-Mitglied Spanien hat sicherlich hier ein Zeichen gesetzt, ebenso wie Frankreich; beide Länder entsandten sehr schnell Politiker in die USA. An die österreichischen politischen Parteien möchte ich appellieren, auf die so genannte Neutralität völlig zu verzichten, da es zwischen Terroristen und unschuldigen Opfern keine Neutralität geben kann. Ebenso wichtig bei dieser internationalen Zusammenarbeit wie das Funktionieren der demokratischen Länder untereinander wird auch die Kooperation mit den gemäßigten unter den arabischen Ländern und jenen sein, in denen die moslemische Bevölkerung die Mehrheit stellt. Eine effektvolle internationale Solidarität wird diesmal die wichtigste Grundlage eines erfolgreichen Gegenschlages sein. Und jene, die hier weise Sprüche militärischer Zurückhaltung und pazifistischer Fantasien anbieten, möchte ich nach New York einladen, um in der Schule, in die auch meine Kinder gehen, zu jenen Kindern zu sprechen, die ihre Väter oder Mütter oder auch beide bei diesem Anschlag verloren haben!

 
  
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  Nassauer (PPE-DE). – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Solidarität des Redens muss nun die Solidarität des Handelns folgen. Die Unionsparteien in Deutschland fühlen sich jedenfalls den Amerikanern auch bei der gemeinsamen Abwehr des Terrorismus verpflichtet. Die Amerikaner haben Entscheidendes geleistet beim Wiederaufbau unseres Landes, bei der Wiedererlangung unserer Einheit. Deswegen müssen wir mit ihnen auch gemeinsam die Last der Bekämpfung des Terrorismus tragen.

Die Vorschläge von Kommissar Vitorino sind ein erster und richtiger Schritt auf diesem Weg. Aber es ist kein Sofortprogramm. Diese Maßnahmen werden frühestens im Jahr 2002 in Kraft treten. So richtig sie sind, wir können und müssen mehr tun! Wir können beispielsweise Europol besser ausstatten, als das gegenwärtig der Fall ist. Europol braucht sofort im Rahmen des geltenden Rechts eine Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten von Amerika über den Datenaustausch zur Bekämpfung des Terrorismus. Das ist bisher daran gescheitert, dass wir unsere Datenschutzbestimmungen zum Maßstab aller Dinge gemacht haben. So haben wir mit diesem Datenschutz den Terroristen mehr genützt als ihren Opfern.

Wir müssen Europol unverzüglich operative Handlungsmöglichkeiten verschaffen. Wir müssen die möglichen joint action teams nunmehr einsetzen. Dort, wo gegen Terroristen ermittelt wird, muss Europol dabei sein und den unmittelbaren Datenaustausch zwischen denen, die ermitteln, und denen, die in der Europolzentrale arbeiten, fördern. Diese Möglichkeiten gibt es bereits jetzt, und die müssen wir ergreifen. Das ist etwas, was im Rahmen des geltenden Rechts geschehen kann, wozu wir nicht auf die Umsetzung von Richtlinien warten müssen.

 
  
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  Goebbels (PSE).(FR) Herr Präsident, Frau Präsidentin, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Für Terrorakte gibt es keine Entschuldigung. Terrorismus ist zuallererst Missachtung des Lebens, des Lebens unschuldiger Bürger, manchmal des eigenen Lebens. Alle Völker müssen den Terrorismus aufhalten, und dafür genügt es nicht, die Täter und die Hintermänner von Terroranschlägen festzunehmen und zu verurteilen. Es kommt vor allem darauf an, das Terrain zu sanieren, auf dem der Terrorismus gedeiht: Armut, Unterentwicklung, Unwissenheit sind ein fruchtbarer Boden für Fundamentalismus aller Art.

Paradoxerweise lässt sich jedes unvorhersehbare Ereignis hinterher leicht erklären, aber es genügt nicht, die Welt zu erklären, man muss sie verändern.

Der Weltwirtschaft geht es schlecht. Nach dem Angriff auf die Vereinigten Staaten könnte sich ihr Zustand noch verschlimmern, besonders im Falle einer längeren Militäraktion. Europa muss, um anderen helfen zu können, seine eigenen wirtschaftlichen Probleme lösen. Die Zinssenkung ist zu begrüßen, doch die EZB hätte die Märkte besser vorbereiten können. Das hätte uns einige Vermögensverluste an der Börse erspart.

Ohne ein langfristiges ausgewogenes Wachstum und ohne Sanierung der staatlichen Defizite muss ein solcher unvorgesehener und unvorhersehbarer äußerer Schock Europa veranlassen, die automatischen Stabilisatoren für alle EU-Länder wirksam werden zu lassen. Das ist keine Laxheit, sondern wirtschaftliche Vernunft.

Wirtschaftliche Vernunft machen uns unsere amerikanischen Freunde vor. Sie haben gerade ein Paket substanzieller Hilfe für ihre Zivilluftfahrt beschlossen. Wird Europa jetzt bei der WTO gegen diese Wettbewerbsverzerrung Beschwerde einlegen? Oder wird es ebenfalls eine Politik der Unterstützung für die durch den barbarischen Schock erschütterten Wirtschaftssektoren auflegen? Glücklicherweise haben wir den Euro. Ohne die gemeinsame Währung wäre jetzt auf den Währungsmärkten der Teufel los. Einige Währungen wie die Deutsche Mark wären in die Höhe geschnellt, und andere, schwächere Währungen wären abgestürzt. Ein Auseinanderbrechen des Binnenmarkts wäre nicht auszuschließen gewesen.

Aber es gibt ja nicht nur Europa. Da sind die armen Länder, die unter einem Konjunkturabschwung und einer jederzeit möglichen Rezession noch viel mehr zu leiden hätten. Wir sollten vorrangig die reale Integration aller Länder in den Welthandel anstreben. Die so häufig geschmähte Globalisierung berührt de facto nur sehr wenige Länder. Vier Fünftel des Welthandels werden unter etwa 30 Ländern abgewickelt. Ohne Handel wird es keine Entwicklung geben. Und jede Wirtschaft muss, um exportieren zu können, ein endogenes Wachstum schaffen, das zu mehr Gerechtigkeit innerhalb des Landes führt. Um diese endogene Entwicklung der armen Länder zu gewährleisten, gilt es das Problem der Verschuldung der Dritten Welt schnellstens zu lösen. Nur durch die Ausrottung von Armut und Unwissenheit werden wir den Terrorismus endgültig besiegen.

 
  
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  Caveri (ELDR).(IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der internationale Terrorismus zeigt, dass er eine regelrechte Eskalation betreiben möchte, sowohl was seine Aktionen als auch die Grausamkeit der angewandten Methoden betrifft, wie uns die schrecklichen Geschehnisse in den Vereinigten Staaten leider vor Augen geführt haben, während uns weitere ernsthafte Gefahren drohen, wie chemische oder atomare Waffen. Die Europäer müssen unbedingt geschlossen reagieren und eine gemeinsame Abwehrhaltung einnehmen, und die Erklärungen des Rates und der Kommission gehen in die richtige Richtung. Im Rahmen der internationalen Ordnung bzw., wenn Sie wollen, des Völkerrechts stellt sich ein Kernproblem, nämlich die Rolle von Institutionen wie der Europäischen Union oder auch der Vereinten Nationen gegenüber Staaten, die den Terrorismus dulden und seine Handlanger sind. In allen diesen Fragen darf es keine Abstriche und keine Halbheiten geben, wie es bislang mitunter der Fall war. Allerdings wird nichts mehr so wie früher sein, und sicherlich wird auch dieses Thema auf dem Sondergipfel am Freitag zur Sprache gebracht werden können.

 
  
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  Tajani (PPE-DE).(IT) Herr Präsident, Herr Kommissar! Europa und das Europäische Parlament stehen in diesem düsteren Augenblick der Menschheitsgeschichte, dem zweifellos düstersten seit Ende des Zweiten Weltkrieges, an der Seite der Vereinigten Staaten. Wir stehen auch deswegen an ihrer Seite, weil sich unter den Opfern der verschiedenen Anschläge Dutzende von Europäern und viele Italiener befinden. Am 11. September wurden nicht nur die Symbole der wirtschaftlichen Freiheit und der kollektiven Sicherheit des Westens getroffen, sondern wir alle sind getroffen worden.

Europa muss jetzt in der neuen politischen Phase nach den jüngsten tragischen Ereignissen ein Hauptakteur sein. Unsere Institutionen, angefangen beim Parlament, müssen in den nächsten Wochen und Monaten eine Rolle übernehmen, die nicht zweitrangig sein darf. Die Union wird zusammen mit allen Ländern der Welt an vorderster Front zu stehen haben, und die von uns zu treffenden Entscheidungen müssen sich auf einige wesentliche Fragen konzentrieren, an erster Stelle auf die Identifizierung der Schuldigen. Dies ist eine Grundvoraussetzung für die erforderliche Gegenreaktion der Amerikaner gegen den Terrorismus, die gemeinsam mit ihren Verbündeten, die sich dazu verpflichtet fühlen, zu erfolgen hat, die aber darauf ausgerichtet sein muss, diejenigen zu treffen, die für das Blutbad von New York und Washington verantwortlich sind.

Um diesen Krieg gegen den Terrorismus zu gewinnen, Herr Kommissar, bedarf es einer entschiedenen Neuordnung des Geheimdienstsektors. Neben dem Ausbau von EUROPOL, den wir bejahen, erscheint die Einrichtung einer Art supranationaler intelligence als immer notwendiger. Dieses Thema wurde auf dem Gipfeltreffen zwischen dem italienischen Ministerpräsidenten und dem britischen Premierminister erörtert: Es handelt sich um ein Projekt zur Schaffung einer Organisation, mit deren Hilfe die Fangarme des Terrorismus-Polypen aufgespürt und zerschlagen werden können.

In die Strategie und internationale Mobilisierung müssen unbedingt sämtliche arabischen Länder einbezogen werden. Der gegenwärtige Konflikt findet, darüber sollten wir uns im Klaren sein, nicht zwischen dem Westen und dem Islam statt, sondern zwischen der gesamten Welt und dem terroristischen Wahnsinn. Die Ankündigung Russlands und Chinas sehen wir daher als äußerst wichtig an, so wie auch die Standpunkte von Yassir Arafat und gewisse Entscheidungen der israelischen Regierung, die zu ermutigenden Schritten für den Frieden im Nahen Osten beitragen, positiv zu werten sind.

Parallel zu den militärischen und intelligence-Gegenmaßnahmen bedarf es entschiedener politischer Vorstöße der Union in den brisantesten Krisengebieten, d. h. eines Eingreifens, um die durch Hoffnungslosigkeit und Intoleranz geschürten Brandherde zu löschen. Die vermuteten finanziellen Spekulationen der Terroristen an den internationalen Börsen sowie die Krise zahlreicher Fluggesellschaften, die zwangsläufig zum Abbau Tausender von Arbeitsplätzen führen wird, erfordern seitens der Völkergemeinschaft auch eine Reihe von Vorkehrungen zum Schutz der Wirtschaft.

Herr Präsident, Europa mit all seinen Institutionen wird auf eine harte Probe gestellt werden. Wir sind jedoch alle überzeugt, dass durch eine außergewöhnliche Konzentration unserer Ratio letztlich die Werte der Freiheit, Demokratie und Toleranz obsiegen werden, zu denen wir uns heute allesamt bekennen, und dass das Europäische Parlament als die die Völker Europas vertretende Institution ohne Zweifel seinen Beitrag dazu schon am Freitag zu leisten verstehen wird.

 
  
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  Hume (PSE).(EN) Herr Präsident, die gesamte Europäische Union steht ohne Zweifel geschlossen hinter dem Volk der Vereinigten Staaten und verurteilt diejenigen voll und ganz, die diese schrecklichen Taten in den Vereinigten Staaten verübt haben. Wir alle bringen unsere tiefe Anteilnahme mit den Familien zum Ausdruck, die Angehörige bei diesen schrecklichen Ereignissen verloren haben. Die Europäische Union und alle demokratischen Staaten in der Welt müssen sich jetzt zusammen mit den Vereinigten Staaten an der Suche nach den Schuldigen an diesen grausamen Taten beteiligen, um sie vor Gericht zu bringen und damit dafür zu sorgen, dass die USA die verantwortlichen terroristischen Organisationen und deren Mitglieder treffen, nicht aber die Gemeinschaften, in denen diese leben, denn es bestünde die Gefahr, dass unschuldige Menschen darunter leiden müssten.

Der Terrorismus ist im Allgemeinen in Gebieten zu finden, in denen Konflikte der Lösung harren und wo leider viele der Täter davon überzeugt sind, dass sie das Richtige tun. Die Europäische Union kann in verschiedenen Teilen der Welt eine wichtige Rolle bei der Konfliktlösung spielen, indem sie in diese Konfliktgebiete nicht eine Armee, sondern eine auf festen Prinzipien beruhende Philosophie des Friedens entsendet. Es wird häufig vergessen, dass die Europäische Union in der Weltgeschichte das beste Beispiel dafür ist, wie Konflikte gelöst werden können.

Wer hätte noch vor 60 Jahren voraussagen können, wo wir uns heute befinden? Wer hätte all dies im Jahr 1941 vorhersehen können, als der zweite Weltkrieg tobte, in dem Millionen von Menschen umgekommen sind. Hätte jemand unseren Eltern und Großeltern gesagt, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, weil die Enkel eines Tages gemeinsam in einem Parlament des vereinten Europas sitzen würden, so hätte ihm niemand geglaubt. Doch so ist es geschehen, wobei es äußerst wichtig ist, wie und warum dies geschah. Aus diesem Grund sollte die Europäische Union statt einer Armee lieber eine Abteilung für Frieden und Versöhnung in der Kommission mit einem für Frieden und Versöhnung zuständigen Kommissionsmitglied einrichten, um diese Philosophie zu verbreiten.

Erstens, in allen Konfliktgebieten sind die Völker durch Gegensätze gespalten. Bei der Überwindung der Gegensätze sollte Gewalt jedoch nicht zum Zuge kommen. Der Dialog ist der erste Schritt. Zweitens gibt es das Prinzip der Achtung von Unterschieden, denn alle Konflikte entstehen aus Unterschieden, Unterschieden hinsichtlich der Religion, der Nationalität oder der Rasse. Drittens muss man Institutionen schaffen, die diese Unterschiede respektieren, und das vierte Element ist die Zusammenarbeit im gemeinsamen Interesse. Das sind die Grundsätze, die der Europäischen Union zugrunde liegen, mit denen die schlimmsten Konflikte in der Weltgeschichte gelöst wurden, und es sind auch die Prinzipien, die der Konfliktlösung in jedem anderen Konfliktherd zugrunde gelegt werden müssen.

 
  
  

VORSITZ: JOSÉ PACHECO PEREIRA
Vizepräsident

 
  
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  Pirker (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, meine sehr geschätzten Damen und Herren! Die Europäische Union ist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf alle Fälle verwundbarer als die USA, und sie wird es bleiben, solange die Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten gegen den Terrorismus sowohl im rechtlichen als auch im operativen Bereich nicht optimiert wird. Wir haben zwar Europol als eine Institution mit Kompetenz auch gegen den Terrorismus, aber Europol ist machtlos, wenn nicht alle Mitgliedstaaten der Konvention nachkommen und zeitgerecht die umfassenden Informationen für notwendige Analysen und in der Folge Hilfestellung für die Mitgliedstaaten liefern.

Europol ist zahnlos, wenn nicht ausreichend Personal zur Verfügung steht, und gegenwärtig ermitteln lediglich 12 Mitarbeiter bei Europol gegen den Terrorismus in Europa. Europol ist auch zahnlos, wenn nicht die notwendige Technik zur Verfügung gestellt wird. Daher ist hier ein Maßnahmenpaket zwingend und rasch erforderlich. Daher möchte ich, dass die Mitgliedstaaten gemahnt werden, die Europol-Konvention, insbesondere den Artikel 4, zwingend einzuhalten, dass ein Mechanismus eingeführt wird, der die Mitgliedstaaten zwingt, die Informationen zu liefern.

Zweitens müssen wir ein Budget zur Verfügung stellen, das umfangreich genug ist, dass eine Lagezentrale eingerichtet werden kann mit einer entsprechenden Anzahl von Analysten für Ermittlungen gegen den Terrorismus. Drittens müssen wir im Kampf gegen den Terrorismus gemeinsame Ermittlungsteams aufstellen, im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Europol-Analysten und Vertretern aus den Mitgliedstaaten. Wir begrüßen die beschleunigte Initiative von Kommissar Vitorino mit den zwei Rahmenbeschlüssen als eine neue Rechtsgrundlage, die wir dringend brauchen, um gegen den Terrorismus effektiv anzukämpfen.

Europa ist eminent gefordert. Europa ist gefordert, gegenwärtig mehr als entschlossen gegen den Terrorismus aufzutreten und zu handeln. Das ist das Gebot der Stunde!

 
  
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  Van den Berg (PSE).(NL) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Anschläge auf das WTC und das Pentagon am 11. September haben unsere Demokratie im Herzen getroffen. Der neue Terrorismus zielt im Wesentlichen darauf ab, uns Angst einzujagen, unsere Welt durcheinanderzubringen und zugleich die Ohnmacht anderer in simplen Schwarzweißklischees auszunutzen. Ich fasse dies im Kern als einen Angriff gegen unsere Welt auf, gegen die ganze Welt, sowie gegen unsere internationale Rechtsordnung, und gerade die möchte ich verteidigen.

Der Terrorismus globalisiert sich und nutzt mithin auch globale, moderne Technologie und internationale kriminelle Strukturen. Deshalb hat er auch eine weltweite Antwort verdient. Dabei denke ich an intensivere Zusammenarbeit zwischen unseren Geheimdiensten und an das Infiltrieren terroristischer Netze. Wir können es uns nicht länger erlauben, als einzelne Staaten nebeneinander her zu arbeiten. Wir müssen nachgerade gemeinsam handeln, und mit diesem neuen Aktionsbündnis müssen wir über das übliche Denken hinausgehen.

Internationale Finanzkonsortien und multinationale Konzerne müssen sich ebenso aktiv einbringen. Denn die Drogenherstellung, die Erdölförderung in Konfliktgebieten und der Handel mit Blutdiamanten stellen Formen der Finanzierung von illegalen Aktionen, Konflikten, Krieg dar, und diese stehen wiederum im engen Zusammenhang mit diesen terroristischen Netzen.

Wir müssen die Finanzierung des Rohstoffhandels oder die Beteiligung daran einstellen, wenn damit Konflikte gefördert und ein Nährboden für Terrorismus bereitet werden. Auf diese Weise können wir die Finanzierung terroristischer Netze überaus effizient lahm legen. Zu diesem neuen Krieg gehört auch ein unablässiges Engagement auf dem Gebiet des Austauschs von Wirtschafts- und Kriminalinformationen, auch wenn sich dadurch manche öffentlichen Dienste zugunsten der Sicherheit verteuern oder verzögern.

Unser Wunsch nach einem Leben in einer offenen, für jeden zugänglichen Demokratie macht uns verletzlich. In der Zusammenarbeit jedoch liegt auch unsere Stärke. Das gilt ungeachtet der Rasse, des Glaubens oder der Nationalität. Jeder Versuch von Terroristen, die Welt in ihre Welt und unsere Welt zu spalten, Gruppen oder Religionen gegeneinander aufzuhetzen, ist fadenscheinig. Terroristen werden nicht durch Glauben oder Ideale geleitet. Ihr Hunger heißt Macht. Ihre Waffen sind Angst und Zerstörung. Sie wollen keinen Frieden im Baskenland, in Liberia oder im Nahen Osten, sie wollen einfach Opfer unter der Zivilbevölkerung. Deshalb stehen wir an der Seite der USA und aller, die diese internationale Rechtsordnung friedfertig unterstützen wollen.

 
  
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  Brok (PPE-DE), Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik. – Herr Präsident, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissar! Wir sehen, dass – wie ich glaube – mit großer Sorgfalt die Antwort auf diesen terroristischen Akt vorbereitet wird. Die Vereinigten Staaten gehen die Angelegenheit in Ruhe an und versuchen, das Problem in einem multilateralen Konzept, auch in Zusammenarbeit mit der NATO, zu lösen. Dies weist darauf hin, dass alles mit Besonnenheit geschieht.

Ich meine, dass wir aus diesem Grunde heraus auch deutlich machen müssen, dass es für uns keinen Grund gibt, uns aus unserer Verantwortung und Verpflichtung herauszustehlen, allerdings nicht nur aus Gründen der Dankbarkeit, nicht nur, um die Zukunft der transatlantischen Beziehungen zu gewährleisten, sondern weil dies in unserem ureigensten Interesse ist! Dieser Terrorismus, der die Ausmaße eines Krieges angenommen und Vernichtungen zur Folge gehabt hat, wie wir sie sonst nur von Kriegen her kannten, dieser Terrorismus ist in der Lage, heute Brüssel, morgen London und übermorgen Madrid in der selben Weise zu treffen!

Die Kämpfer sind bereits in unserer Mitte, und aus diesem Grunde kann sich niemand mehr herausstehlen! Ich glaube, niemand sollte ein Alibi suchen, warum er nicht mitmachen kann, wenn es dann wirklich zu den Aktionen kommt, und zwar zu Aktionen, die wir aus einer neuen Definition von Sicherheitspolitik heraus entwickeln müssen: militärische Aktionen bei Nutzung aller außenpolitischen Instrumente, um beispielsweise auch Allianzen zugunsten der anderen nicht zustande kommen zu lassen, und der Kombination mit der inneren Sicherheit, von denen Herr Vitorino und viele in diesem Haus bereits gesprochen haben.

Beim letzten Punkt muss deutlich sein, dass gegen grenzüberschreitenden Terrorismus grenzüberschreitende Maßnahmen eingesetzt werden können und die beste nationale Gesetzgebung und die beste nationale Polizei nichts leisten kann, wenn keine Kooperation in diesem Bereich erfolgt!

Ein Letztes möchte ich noch zum Ausdruck bringen: Es gibt keinen Grund, der Terrorismus rechtfertigt, aber dennoch müssen wir Sorge dafür tragen, dass Ursachen, aus denen heraus Unterstützung für Terrorismus kommt, beseitigt werden. Deswegen müssen wir im Nahen Osten und in vielen anderen Regionen unseren Beitrag dazu leisten, dass der Nährboden für Terrorismus beseitigt wird!

(Beifall)

 
  
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  Díez González (PSE). – (ES) Herr Präsident, die Terroranschläge vom 11. September haben unserer Debatte über die Notwendigkeit einer gemeinsamen Aktion im Kampf gegen den Terrorismus große Aktualität verliehen. Wir sind noch erschüttert von den grauenvollen Bildern, von der schrecklichen Realität, von den verheerenden Folgen, die sie bereits hatten und die sie, wie wir vorausahnen und befürchten, noch haben werden.

Aber neben der Auswirkung auf die Weltwirtschaft und die politischen Beziehungen in der Welt gibt es Tausende von Toten, Tausende Menschen, die ihre Eltern, ihre Kinder, ihre Ehepartner, ihre Freunde, ihre geliebten Nächsten verloren haben. Diesen Menschen, die leiden, den Opfern, möchte ich meine ersten Worte widmen: Sie, die Opfer, müssen in unseren Debatten und bei unseren Zukunftsentscheidungen präsent sein. Denn ihnen allen sind wir verpflichtet. Gerade, damit Gerechtigkeit geübt und damit durch Tun oder Lassen verhindert wird, dass es weitere unschuldige Opfer gibt, müssen wir handeln. Wir wissen, dass etwas getan werden muss, dass eine Antwort notwendig ist, eine gerechte, demokratische, angemessene Antwort, aber eben eine Antwort, weil die Terroristen nicht das Gefühl haben dürfen, dass sie Straffreiheit genießen, und auch nicht straffrei ausgehen dürfen, und weil wir verpflichtet sind, den Bürgern zu beweisen, dass der Rechtsstaat über die notwendigen Instrumente verfügt, um ihr Leben, ihre Freiheit und ihre Sicherheit zu schützen.

Ich will und kann mich nicht der Tatsache entziehen, dass ich Baskin bin. Ich würde gern die Erfahrung auf diesem Gebiet missen, ich würde sehr viel dafür geben, wenn ich sie nicht hätte, aber ich habe sie. Ich weiß, dass die internationale Zusammenarbeit und auch die heute von Kommissar Vitorino vorgestellten Initiativen der richtige Weg sind: politische Zusammenarbeit, justizielle Zusammenarbeit, polizeiliche Zusammenarbeit. Die gemeinsame Verantwortung gegenüber dem Terrorismus ist unsere grundsätzliche und wirksamste politische Antwort.

Meine Damen und Herren, der Terrorismus kennt – wie schon gesagt wurde – keine Grenzen, kein Vaterland, keine Religion und keine Ideologie. Er hat ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Methode. Niemals haben die Terroristen den Frieden gewollt. Immer haben sie versucht, uns zu vernichten, die Demokratie zu zerschlagen. Deshalb sage ich Ihnen, dass das, was die Kommission heute beschlossen hat, das, was heute verabschiedet worden ist, eine historische Tat ist. Gestatten Sie mir diese Einschätzung. Es wurde der Schritt getan, der fehlte, um von der zwar notwendigen, aber nicht ausreichenden Solidarität zur gemeinsamen Aktion aller überzugehen.

Vielen Dank, Herr Vitorino, und vielen Dank an alle für diese Entscheidung.

 
  
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  Oostlander (PPE-DE).(NL) Herr Präsident! Steinreiche Eliten, deren Angehörige und Handlanger eine Universitätsausbildung genossen haben, greifen unsere Finanz-, Wirtschafts- und Sicherheitsinstitutionen an. Diese furchtbare Tragödie verlangt nach einer Antwort. Die Bürgerinnen und Bürger fordern den Staat zum Handeln auf.

Im externen Bereich war die Europäische Union dazu in der Lage, weil wir immer besser imstande sind, mit einer Stimme zu sprechen. Die Bedeutung unseres Beitrags, um dem Terror den Nährboden zu entziehen, ist sprunghaft gestiegen. Das werden wir, so hoffe ich, auch in naher Zukunft feststellen. Intern ist dieses Sprechen mit einer Stimme noch nicht an der Tagesordnung. Dort heißt es vornehmlich nach wie vor „jeder für sich“. Erfreulicherweise hat die Kommission eingesehen, dass dies nicht so geht.

Herr Vitorino, ich möchte Sie dafür loben, dass Sie und die Kommission erkannt haben, wie unabdingbar es ist, dass die Europäische Union mit einer Stimme spricht. Innerhalb einer Woche haben Sie einen Plan mit Vorschlägen ausgearbeitet, die praktisch und auch wirklich nötig sind. Das wird sich in Vertrauen der Bürger ummünzen. Hoffentlich erdreistet sich kein einziger Mitgliedstaat, sich von diesem erforderlichen Plan zu distanzieren und damit den Widerwillen der eigenen Bevölkerung auf sich zu ziehen.

Selbstredend kommt der Justiz hier insofern große Bedeutung zu, als es im Wesentlichen um ein Verbrechen geht, welche wie immer gearteten edlen Motive dies auch beschönigen mögen. Das erleben wir auch in Nordirland, wo im Rahmen von Abkommen zu Unrecht Begriffe verwendet werden, die eine Beleidigung aller darstellen, die Religion ernst nehmen.

Wir begrüßen den Bericht Watson, der einen ersten Ansatz für die Bemühungen des Parlaments liefert und noch um Positionen ergänzt werden kann, die anderswo, außerhalb der Europäischen Union, getroffene Vorbereitungen von Straftaten betreffen.

Wir vertrauen darauf, dass der Kommissar einen Entwurf für Rahmenbeschlüsse mit nichtssagenden, völlig bedeutungslosen Floskeln, wie wir sie gegenwärtig durchaus hören, nicht billigen wird. Der tatsächliche Mehrwert sollte darin bestehen, dass die Europäische Union bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solche für die Bürgerinnen und Bürgern klar erkennbar die Führung übernimmt.

 
  
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  Jarzembowski (PPE-DE). – Herr Präsident, Frau Ratspräsidentin, sehr geehrter Herr Kommissar! Wir müssen auch Konsequenzen für den Luftverkehr ziehen. Wir brauchen Maßnahmen, um zu verhindern, dass sich derartige terroristische Anschläge in der Luftfahrt wiederholen. Wir brauchen schnell eine Erhöhung der Sicherheit für die Fluggäste, am besten auf internationaler Ebene. Aber jeder sollte an seinem Flughafen zu Hause anfangen. Wir brauchen strengere Kontrollen von Gepäck und Handgepäck. Wir brauchen strengere Kontrollen der Mitarbeiter an den Flughäfen. Vor allem reicht es nicht, dass heute und morgen auf den Flughäfen die Kontrollen stärker sind, wenn sie in einem halben Jahr wieder lasch sind in bestimmten Gegenden Europas. Nein, wir brauchen dauerhaft strenge Kontrollen.

Wir brauchen im Einzelfall auf bestimmten Strecken wahrscheinlich bewaffnete Flugbegleiter, und wir müssen prüfen, ob wir das Cockpit sichern müssen gegen terroristische Anschläge, denn wir müssen verhindern, dass Flugzeuge zur größten Waffe in der Welt werden. Wir haben allerdings nicht nur Sorge um die Sicherheit der Fluggäste – die ist primär –, sondern wir haben noch eine zweite Sorge: Wir beobachten im Moment riesige Rückgänge bei den Passagierzahlen der Fluglinien. Wir müssen die Situation beobachten. Sind es durch die terroristischen Anschläge bedingte Rückgänge der Passagierzahlen? Sind es konjunkturell bedingte Rückgänge oder strukturelle Rückgänge der Zahl der Passagiere? Die Forderungen mancher Regierungen, die man heute in den Zeitungen lesen konnte – Subventionen, Subventionen –, können nicht die Antwort sein!

Meine Fraktion lehnt Subventionen für die Fluggesellschaften ab. Wir müssen uns überlegen, wie wir Fluggesellschaften helfen können. Wir können ihnen helfen, indem wir code sharing vereinbaren, Umstrukturierungen der Gesellschaften zulassen, zusammen mit mergers und acquisitions. So können wir das etwas eleganter lösen, um sie wettbewerbsfähig zu halten, aber wir sollten nicht wahllos Subventionen zahlen.

Natürlich kann es sein, dass die Situation sich verändert. Wenn die USA mit riesigen Beträgen ihre Fluggesellschaften unterstützt, dann müssen wir gucken, welche Auswirkungen das auf den transatlantischen Markt hat. Dann können wir unsere Fluggesellschaften nicht im Regen stehen lassen, aber bitte mit Augenmaß, und zunächst brauchen wir eine Erhöhung der Sicherheit für die Passagiere!

 
  
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  Morillon (PPE-DE).(FR) Herr Präsident, am Dienstag erwachten wir mit Entsetzen angesichts der Äußerung einer neuen Form des Totalitarismus. Vorgestern der Faschismus, gestern der Stalinismus, heute der islamische Fundamentalismus, ihnen allen war und ist gemeinsam, dass sie von tiefster Verachtung für die Menschen geprägt sind und sie der Realisierung ihrer Weltherrschaftsabsichten unterordnen wollen.

Am 11. September wurde in New York und Washington nicht nur die Freiheit, sondern die Menschenwürde angegriffen. Die Drahtzieher dieses ungeheuerlichen Anschlags opferten vorsätzlich das Leben ihrer eigenen Leute mit dem alleinigen Ziel, möglichst viele unschuldige Opfer zu töten, um bei ihren Gegnern Entsetzen auszulösen und den Fanatismus ihrer Anhänger weiter anzuheizen. Die Entschlossenheit in der ganzen Welt zeigt, dass sie ihr erstes Ziel nicht erreicht haben, jedoch die Freudenkundgebungen, zu denen es hier und da kam, beweisen, dass sie das zweite Ziel möglicherweise nicht verfehlt haben. Angesichts dieser Bedrohung werden wir gezwungen sein, unsere gemeinsame Verteidigung zu überdenken, aber auch an einer neuen Weltordnung zu arbeiten, die es vor allem Europa ermöglicht, sich stärker bei der Regelung regionaler Konflikte zu engagieren, die im Nahen Osten wie in Afghanistan oder in Afrika immer wieder Menschenleben fordern.

Um den fundamentalistischen Terrorismus zu bekämpfen, müssen wir unsere Anstrengungen vor allem darauf konzentrieren, alle Anhänger des gemäßigten und toleranten Islam, seien sie an der Macht oder in der Opposition, stärker zu unterstützen. In Afghanistan haben wir es beispielsweise nicht verstanden, auf das dringende Ersuchen des Kommandanten Massoud zu reagieren, um das Hornissennest, das sich in diesem Lande entwickelt hat, zu zerstören. Wir müssen seine Anhänger in der Nordallianz als die einzigen Vertreter der anerkannten Regierung dieses Landes unterstützen und ihnen mit allen Mitteln dabei helfen, das barbarische Taliban-Regime zu stürzen. Um den fundamentalistischen Terrorismus zu bekämpfen, müssen wir unsere Verteidigung umfassend reformieren. Europa hat dazu nicht die Mittel. In den USA haben der Kongress und der Senat dem amerikanischen Präsidenten gerade 40 Milliarden Dollar bewilligt. Über welchen Betrag verfügen Sie, Frau amtierende Ratsvorsitzende, Herr Kommissar, heute, um nicht bloß mit schönen Worten unseren Willen zu manifestieren, an der Seite des amerikanischen Volkes in den uns aufgezwungenen Kampf einzutreten?

Nichts ist heute mehr so wie vorher. Ich hoffe, dass wir bei der Annahme unseres Haushaltsentwurfs 2002 in zweiter Lesung daraus die Konsequenzen ziehen.

 
  
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  Cushnahan (PPE-DE).(EN) Herr Präsident, Frau amtierende Ratsvorsitzende, Herr Kommissar, ich vertrete ein Land, das eine einzigartige, eine enge geschichtliche Beziehung zu den Vereinigten Staaten hat. Wir haben die Unterstützung sehr zu würdigen gewusst, die wir von diesem Land bei der Überwindung der Gewalt auf unserer eigenen Insel erhielten.

Das, was sich in New York und Washington ereignete, ist nicht neu. Angriffe auf wirtschaftliche, politische und sicherheitsrelevante Ziele mit großen Opfern unter der Zivilbevölkerung sind das Kennzeichen des internationalen Terrorismus. Diese Erfahrung mussten Irland, Großbritannien, Spanien und andere europäische Länder machen: Deshalb teilen und verstehen wir den Schmerz der Betroffenen. Wir in Irland hoffen, dass man Vertreter von Organisationen, die für ähnliche Schreckenstaten in Irland verantwortlich sind und die in den USA manchmal wie Berühmtheiten behandelt werden, nach dieser schrecklichen Tat endlich mit anderen Augen sehen und beurteilen wird. Hoffentlich schränkt das auch ihre Möglichkeiten ein, sich immer wieder Geld zu beschaffen, vor allem, wenn man bedenkt, dass ihr paramilitärischer Flügel nicht zur Abgabe der Waffen des Terrorismus und der Massenvernichtung bereit ist und sich mit anderen terroristischen Führern verbrüdert.

Die wichtigste Frage, die sich die Staats- und Regierungschefs demokratischer Länder stellen müssen, ist die nach der Art und Weise des Reagierens auf diese jüngste Untat. Wenn ich mir aber die Sprache anhöre, derer sich Präsident George W. Bush zurzeit bedient, so muss ich sagen, dass ich dabei ein wenig besorgt bin. Die Forderung „Fangt sie tot oder lebendig“ mag für Cowboyfilme angemessen sein, aber es ist nicht die Sprache, die der Mann an der Spitze eines der mächtigsten Länder der Welt zu irgendeiner Zeit sprechen sollte, und ganz gewiss nicht in Krisenzeiten.

Aus der Empörung, die die Ereignisse der letzten Woche hervorgerufen haben, erwächst der Anstoß, alle um die Unterstützung der demokratischen Ideale zu scharen und den Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu führen. Unkluges Vorgehen könnte aber die westliche Welt in einen Konflikt mit der Welt des Islam stürzen, der verheerende Folgen für alle haben wird. Die Antwort muss deshalb wohl überlegt und angemessen sein. Sie darf nicht zu unnötigen Opfern unter der Zivilbevölkerung führen, womit eine neue Generation von Terroristen herangezogen wird.

Wir besitzen die einmalige Chance, die Welt vom Übel des Terrorismus zu befreien und die Demokratie zu stärken. Künftige Generationen werden es uns nicht verzeihen, wenn wir diese Gelegenheit vertun.

 
  
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  Van Orden (PPE-DE).(EN) Herr Präsident, in dieser tragischen Zeit fühlen wir uns im Vereinigten Königreich alle in unserem Streben geeint. Aus allen Teilen Europas hören wir von den politisch Verantwortlichen, dass man mit den USA solidarisch sei, während zuvor manch ein europäischer Politiker seinen Enthusiasmus für die europäische Integration noch aus dem Antiamerikanismus bezogen hatte. Das darf nicht mehr geschehen. Es gibt wohl keine Zeitpunkt, zu dem die Notwendigkeit der euroatlantischen Einheit größer gewesen wäre.

Ich vertraue darauf, dass die führenden Politiker der Europäischen Union dafür sorgen werden, dass keine europäische Regierung einen Rückzieher machen wird, wenn es hart auf hart kommt. In früheren Krisen schwand die Entschlossenheit einiger doch rasch dahin. Besonders unangebracht wäre es, diese Krise dafür auszunutzen, um die integrationistischen Punkte auf der Agenda der Union, insbesondere aber die im Wesentlichen auf Abkopplung ausgelegten Elemente der europäischen Verteidigungspolitik zu beschleunigen. Unser Motiv muss ein entschlossenes Handeln gegen den Terrorismus, nicht aber das Ergreifen einer günstigen Gelegenheit zur Erweiterung der Befugnisse der EU sein.

Was die Front im Innern betrifft, so hoffe ich, dass die für die Europäische Union vorgeschlagene einheitliche Definition des terroristischen Verbrechens und die damit verbundenen Rechtsvorschriften ausreichend stabil sein mögen, um wenigstens gegen die vielen terroristischen Frontorganisationen, die in Europa ihr Unwesen treiben, wirksam vorgehen zu können. Ich muss hier sagen, dass ich dies bezweifele. Das Problem liegt darin, dass zu viele Terroristen ihre Fürsprecher haben und ihr wahres Gesicht verbergen.

Es sind Möglichkeiten zu finden, um terroristische Unterstützergruppen von Handlungen abzuhalten, die bislang in unseren Ländern nicht unter Strafe gestellt sind, so beispielsweise Anwerbung, Indoktrination und Geldbeschaffung mit dem Ziel, an anderen Orten rechtswidrige Taten zu begehen. Konkret ist es an der Zeit, dass die sieben Länder der Europäischen Union, die das noch nicht getan haben - darunter auch Belgien, das zurzeit den Ratsvorsitz innehat -, das Übereinkommen der UNO zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus ratifizieren und umsetzen, damit die Netze, über die Schwarzgeld in terroristische Organisationen fließt, ausgehoben werden können.

Die demokratische Gesellschaft muss sich schützen können und sie muss in der Lage sein, reale Gefahren zu überwinden. In den letzten Jahren ist sie immer weiter entwaffnet worden.

 
  
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  Gemelli (PPE-DE).(IT) Herr Präsident! Ich verurteile aufs Entschiedenste die Terrorakte und bekräftige, dass der Terrorismus keiner Adjektive bedarf und auch keiner Ideologie zugeordnet zu werden braucht, um verabscheut zu werden. Ferner schließe ich mich der Meinung derjenigen an, die eine sehr enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten bei der Bildung eines weltumspannenden Anti-Terror-Bündnisses mit sämtlichen Ländern, die dieser Allianz angehören möchten, für notwendig erachten. Die internationale Anti-Terror-Koalition muss sich zweifellos mit den Militäraspekten zur Gewährleistung der Sicherheit befassen, aber auch alle denkbaren Formen des Terrorismus berücksichtigen, die praktiziert werden können und vom Finanz- bis zum Bankterrorismus, vom Wirtschafts- zum Lebensmittelterrorismus und vom Umwelt- bis zum elektronischen und digitalen Terrorismus reichen.

Bei der Aussprache der in der Versammlung des Stabilitätspakts für Südosteuropa zusammengeschlossenen parlamentarischen Versammlungen des Europäischen Parlaments, der OSZE und der WEU wurde in den meisten Redebeiträgen der Schwerpunkt einerseits auf die notwendige Beschleunigung des Demokratisierungsprozesses in diesen Ländern und andererseits auf den Schutz der Menschenrechte als den beiden Grundpfeilern zur Bekämpfung der Armut und der Unterentwicklung mittels einer rationellen Nutzung der wirtschaftlichen Ressourcen gelegt.

Der Schutz der Menschenrechte und die praktische Anwendung der Demokratie müssen nunmehr eine conditio sine qua non bilden, deren Erfüllung die Europäische Union von all den Ländern einfordern muss, zu denen sie Beziehungen unterhält. Eine solche Voraussetzung muss strikt und bedingungslos gelten, da sie den Schutz der Verteidigung der Würde eines jeden Bürgers der Welt gewährleistet. Die Europäische Union muss die Achtung jeder Religion bekräftigen und gleichzeitig von sämtlichen Konfessionen die Verurteilung und Verabscheuung von Terrorakten fordern, um eine klare Trennlinie zwischen einer zivilen Gesellschaft, in der völlige Bekenntnisfreiheit besteht, und dem Terrorismus, dem jegliche religiöse Begründung abgesprochen werden muss, zu ziehen. Ich befürworte die Idee der Einberufung eines Mittelmeerforums zur Verurteilung des Terrorismus, zur Unterstützung des Nahost-Friedensprozesses sowie zur Neubelebung der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft.

EUROPOL und EUROJUST schließlich müssen gemeinsam zu wirksamen europäischen Instrumenten werden, wobei das Problem einer Vervollkommnung des europäischen corpus juris aufzuwerfen ist, um somit einen rechtlichen Bezugsrahmen als Fundament für ein europäisches Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht zu schaffen.

 
  
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  Atkins (PPE-DE).(EN) Herr Präsident, auch ich fühle mit den Vereinigten Staaten und den anderen Opfern dieses schrecklichen Ereignisses und möchte mein Mitgefühl mit ihnen zum Ausdruck bringen. Als früherer Nordirlandminister war ich Zielscheibe terroristischer Anschläge und musste am Ort eines terroristischen Anschlags inmitten der Verwüstungen vor laufender Fernsehkamera Rede und Antwort stehen. Deshalb weiß ich, wie wichtig es ist, sowohl die richtige Antwort zu finden als auch die breite Öffentlichkeit zu schützen, so weit das in einer Demokratie nur möglich ist.

Wie auch mein Kollege, Herr Jarzembowski, mache ich mir vor allem um den Luftverkehr und die vielen ganz normalen Menschen Sorgen, die von diesem Zweig abhängig sind. Als Mitglied des Verkehrsausschusses habe ich mich schriftlich an den Vorsitzenden dieses Ausschusses gewandt und darum gebeten, die Konsequenzen für diesen wichtigen Wirtschaftszweig bald zu prüfen. Zuallererst geht es um die Sicherheit auf Flughäfen und an Bord von Flugzeugen; zweitens um die Kontrolle des bereits jetzt überlasteten Luftraums vor dem Hintergrund der sehr wahrscheinlichen Zunahme militärischer Aktivitäten, um die Gefahren des feindseligen Eindringens in den zivilen Luftraum der Europäischen Union. Und natürlich bin ich, wie Herr Jarzembowski bereits ausführte, um die Lebensfähigkeit der europäischen Fluggesellschaften in der Zukunft besorgt. Es kommt entscheidend darauf an, dass wir bei der Bewahrung der öffentlichen Sicherheit und der geistigen Ausgeglichenheit der Menschen in der Europäischen Union einen einheitlichen Ansatz wählen.

Wir dürfen nicht überreagieren, die verständlichen Ängste der Reisenden nicht noch verschlimmern und die bürgerlichen Freiheiten nicht aufs Spiel setzen, aber wir müssen richtig reagieren, und das sofort. Wir müssen an der Seite unserer Freunde und Verbündeten in den Vereinigten Staaten von Amerika und in internationalen Organisationen, wie z. B. der ICAO handeln. Um das richtig zu machen, sind Arbeit und Anstrengungen sowie Einsatz erforderlich: So wie Herr Van Orden bereits sagte, möchten wir sichergehen, dass wir in sechs Monaten das Gleiche sagen und tun, was wir jetzt zu tun bekunden. Die abschließende Botschaft ist ganz einfach: Es darf nicht zugelassen werden, dass der Terrorismus einen Sieg davonträgt.

 
  
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  Krarup (EDD).(DA) Jeder Angriff auf Zivilpersonen ist abscheulich, und deshalb ist das aus Washington zu hörende Säbelrasseln – der Präsident gebraucht Worte wie „Kreuzzug“ – abscheulich. Das ist ungeheuerlich, da wir wissen, dass militärische Maßnahmen auf jeden Fall die Zivilgesellschaft zerstören und einen optimalen Nährboden für fortgesetzten Terrorismus schaffen wird. Und es ist unsere dringlichste Aufgabe, unsere Alliierten in den USA zur Zurückhaltung und zu überlegten Aktionen anzuhalten, denn man kann den Terrorismus nicht mit militärischen Schlägen bekämpfen. In Bezug auf die von der Kommission vorgelegten Vorschläge möchte ich anmerken, dass sie keine Maßnahmen zur Verhinderung von Terrorakten enthalten. Die Wurzeln liegen viel tiefer. Was vorgeschlagen wird, ist für die Bekämpfung des Terrorismus weder notwendig noch ausreichend. Es geht um ganz andere, grundsätzliche Verteilungsprobleme. Das ist am wichtigsten. Wir sollten diese militärischen Metaphern vermeiden, diese Kämpfe, Kriegshandlungen und Kreuzzüge.

 
  
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  Neyts-Uyttebroeck, Rat. – (NL) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mit der gebührenden Aufmerksamkeit die zahlreichen Beiträge in dieser Aussprache verfolgt. Meiner Meinung nach sind einige besonders beherzigenswerte Dinge gesagt worden.

Selbstverständlich waren die Ereignisse am vergangenen Dienstag gleichsam ein wake up call für Europa. Wie schon zahlreiche Redner erklärt haben, werden wir uns wirklich in Zukunft bemühen und den Unterschied zwischen dem ersten, zweiten und dritten Pfeiler der Integration beseitigen mit anderen Worten den zweiten und dritten Pfeiler in der europäischen Gesamtarchitektur aufheben müssen. Möglicherweise werden einige unter diesen Umständen erkennen, dass es nicht von institutioneller Zwangsläufigkeit zeugt, wenn man dafür eintritt, sondern von einer Sorge um die Effizienz der EU-Maßnahmen.

In diesem Zusammenhang habe ich die an mich gerichtete Aufforderung Ihres Kollegen und meines Freundes Jan-Kees Wiebenga sehr wohl zur Kenntnis genommen. Ihm möchte ich sagen, dass er sogleich mit der guten Arbeit beginnen kann, indem er seine eigene politische Partei und seine eigene Regierung davon überzeugt, im dritten Pfeiler jedes Vetorecht aufzugeben. Das wäre schon ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung.

Was unsere Zusammenarbeit mit den USA betrifft, so habe ich im Namen des Rates ausgeführt, sie müsse intensiviert werden und über die üblichen Formen der Kooperation hinausgehen. Wie viele von Ihnen hoffe ich, dass die von den Vereinigten Staaten erbetene Unterstützung von Seiten Europas, auf die mehrere Kollegen wiederholt hingewiesen haben, künftig genauso eindeutig sein wird und sich daraus eine ausgewogene Zusammenarbeit entwickelt, bei der wir uns auf gleichberechtigter Basis bei allen Maßnahmen, die erforderlich sind, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, möglichst umfassend informieren, unterstützen und helfen.

Ebenfalls in Anlehnung an einige unter Ihnen möchte ich im Namen des Rates herausstellen, dass es ein schrecklicher Irrtum wäre, in den Ereignissen der vergangenen Woche eine Art Konflikt zwischen zwei Kulturen, oder noch schlimmer zwischen philosophisch-religiösen Weltanschauungen zu sehen. Radikalismus ist, leider, niemandes Monopol, Fanatismus ebenso wenig.

Das in der vergangenen Woche Geschehene ist auf Grund seiner Dimension und der großen Zahl von Opfern derart schrecklich. Diese Bilder werden uns immer im Gedächtnis haften bleiben, aber leider werden wir in unserer unmittelbareren Nähe jeden Tag aufs Neue mit Ausdrucksformen blinden Fanatismus konfrontiert, die man nicht, wie es manche tun, bestimmten Weltanschauungen zuschreiben kann. Davor möchte ich mit aller Entschiedenheit warnen. Diesen Kurs dürfen wir nicht einschlagen, wir müssen vielmehr dafür Sorge tragen, dass bei allen Konfliktherden auf unserem Kontinent, aber auch darüber hinaus, so bald als möglich Friedensprozesse auf den Weg gebracht werden können. Dabei fällt mir, wie vielen von Ihnen, selbstverständlich der Nahe Osten ein, aber wirklich nicht nur der Nahe Osten. Ich denke dabei auch an den Balkan – gestern fand im Parlament eine Konferenz zum Stabilitätspakt für den Balkan statt – und an Afrika: heute Mittag habe ich über das Programm unseres Vorsitzes für Afrika gesprochen.

Wie ich schon in meinem ersten Beitrag ausgeführt habe, ist die Europäische Union, schneller, als viele gedacht haben, langsamer, als es sich viele wünschen, dabei, sich zu einer Weltmacht zu mausern. Damit haben wir noch mehr Verantwortung zu tragen. Hoffentlich erweisen wir uns dieser zusätzlichen Verantwortung in den nächsten Wochen und Monaten als würdig.

(Beifall)

 
  
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  Vitorino, Kommission. – (PT) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Kommission dankt für die Beiträge zu dieser Aussprache. Ich werde dem Präsidenten Romano Prodi und meinem Kollegen Christopher Patten die Fragen übermitteln, die unmittelbar mit ihrem Verantwortungsbereich innerhalb der Kommission verbunden sind. Ich möchte lediglich drei Anmerkungen dazu machen: Zum ersten teile ich vorbehaltlos die Auffassung, die Strategie zum Terrorismus dürfe nicht auf die Pfeiler der Europäischen Union beschränkt sein. Es muss eine globale Strategie geben, die verschiedene Instrumente mobilisiert: selbstverständlich die Politik der Konfliktverhütung, selbstverständlich die Entwicklung eines politischen Dialogs mit den problematischsten Regionen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, selbstverständlich die Entwicklungshilfepolitik, aber ebenso – und darüber müssen wir uns im Klaren sein – die Sicherheitspolitik und die Politik der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit. Wir dürfen die tiefen Ursachen des Terrorismus nicht verkennen, aber ebenso wenig dürfen wir den geringsten Wankelmut erkennen lassen. Deshalb bekräftigen wir, dass keine Sache das Mittel des Terrorismus und der Gewalt, der Unschuldige zum Opfer fallen, rechtfertigt. Deshalb ist die beste Art und Weise, den Terrorismus im Namen der Werte der Demokratie zu bekämpfen, der Einsatz der Waffen des Gesetzes, der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit.

Es sei aber darauf hingewiesen, dass es einige Verantwortlichkeiten gibt, zu denen wir uns selbst Fragen stellen müssen: die Frage der Finanzierung des Terrorismus; die Notwendigkeit, die Konvention der Vereinten Nationen gegen die versteckte Finanzierung des Terrorismus unerbittlich durchzusetzen; die Notwendigkeit wirksamer Mechanismen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Steuerparadiese, aus denen die Terroristengruppen ihre finanziellen Mittel schöpfen; die Konvention der Vereinten Nationen zum Waffenhandel, d. h. die Folge des Übereinkommens von Palermo zur organisierten Kriminalität. Das sind multilaterale Formen, die im Rahmen der Vereinten Nationen zeigen, dass die Menschen, die am 11. September ihr Leben verloren haben, nicht umsonst gestorben sind. Das bedeutet, dass die Staaten die Lektion gelernt haben und bereit sind, unmissverständlich zu zeigen, dass sie ihre Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus verstärken.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Flugsicherheit: Es freut mich sagen zu können, dass auf Beschluss des Rates der Verkehrsminister eine Arbeitsgruppe am kommenden 15. Oktober einen ersten Bericht vorlegen wird, und zwar nicht nur über die unmittelbaren Sicherheitsmaßnahmen, die auf den Flughäfen und in den Flugzeugen getroffen werden, sondern auch über die Notwendigkeit, ein Abkommen – vor allem mit unseren amerikanischen Partnern – zur baldigen Festlegung dieser Maßnahmen zu erreichen, die die Sicherheit des Flugverkehrs verstärken. Ich möchte ferner sagen, dass diese Fragen von den Vertretern der Europäischen Union bereits in der am 25. September beginnenden Generalversammlung der International Civil Aviation Organisation auf den Tisch gelegt werden.

Was die politischen Beschlüsse betrifft – beispielsweise die beiden von der Kommission soeben angenommenen Rahmenbeschlüsse –, so kann die Einstimmigkeit offenkundig ein im Rat schwer zu überwindendes Hindernis darstellen. Die Kommission hat sich ja schon mehrfach zustimmend zu der Auffassung geäußert, die Methoden der Beschlussfassung im dritten Pfeiler sollten flexibler und einfacher gestaltet werden. Über die Frage der Einstimmigkeit in diesem Bereich des Kampfes gegen den Terrorismus hinaus vertritt die Kommission jedoch eine politisch eindeutige Haltung: Kein Staat darf blockieren, kein Staat darf sich aus dem Kampf gegen den Terrorismus heraushalten. Die Wirksamkeit des Entwurfs der Rahmenbeschlüsse hängt von ihrer einheitlichen Umsetzung in ausnahmslos allen Mitgliedstaaten ab, denn wir wollen nicht, dass es in der Union auch nur ein einziges Paradies für die terroristischen oder kriminellen Aktivitäten gibt. In diesem Sinne hoffe ich, dass die Appelle dieses Parlaments und der Öffentlichkeit ausreichen, um die Kompromissformeln zu finden, die für die Verstärkung der polizeilichen und der justiziellen Zusammenarbeit notwendig sind - die in einer Demokratie legitimen Formeln zur Bekämpfung des Terrorismus.

 
  
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  Der Präsident. – Vielen Dank, Herr Kommissar António Vitorino.

 

7. Zukunft der Kohäsionspolitik
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  Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zur Zukunft der Kohäsionspolitik.

 
  
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  Neyts-Uyttebroeck, Rat.(FR) Herr Präsident, Her Kommissar, meine Damen und Herren! Die Kohäsionspolitik hatte seit 1988 unbestreitbare Erfolge zu verzeichnen. Diese Erfolge haben wir nicht dem Zufall zu verdanken, sondern sie sind das Ergebnis einer wichtigen politischen Entscheidung zugunsten der Solidarität, die sich auf dem Gebiet der Haushaltspolitik darin niederschlug, dass mehr als ein Drittel der Gemeinschaftsausgaben für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt aufgewendet werden.

Während der Programmplanungszeitraum 2000-2006 derzeit läuft, hat die Kommission am 31. Januar dieses Jahres den Zweiten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt gemäß Artikel 159 Absatz 2 des Vertrages angenommen. Neben einer ausführlichen Auflistung von Studien und statistischen Angaben mit Blick auf die Erweiterung enthält der Bericht Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die Debatte über die Zukunft der Regionalpolitik. Der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt ist eine Realität, auf die wir bereits heute unsere Aufmerksamkeit richten müssen, denn es geht darum, Antworten für den nächsten Programmplanungszeitraum finden, der am 1. Januar 2007 beginnt, also zu einem Zeitpunkt, da die Erweiterung um neue Mitgliedstaaten bereits Realität sein wird.

Betrachtet man die statistischen Angaben des Zweiten Kohäsionsberichts, so springt ins Auge, dass uns mit der Erweiterung eine doppelt so große Herausforderung gegenüber der heutigen Situation bevorsteht, denn die Zahlen belegen, dass die regionalen Disparitäten sich verdoppeln werden. Relativ gesehen werden bei 27 Mitgliedstaaten mehr Regionen von Entwicklungs- und Umstellungsrückstand betroffen sein, und zwar in größerem Maße. Darüber hinaus werden durch einen rein mechanischen Effekt einige Regionen der derzeitigen Europäischen Union aus der Gruppe der Regionen in Schwierigkeiten herausfallen, ohne dass ihre tatsächliche wirtschaftliche Situation sich wirklich positiv verändert hat.

 
  
  

(NL) Herr Präsident, Herr Kommissar, sehr geehrte Damen und Herren! Zwei entscheidende Fragen verdienen hier unsere Aufmerksamkeit.

Die erste Frage ist die, ob die Erweiterung ohne eine effiziente Struktur- und Kohäsionspolitik denkbar ist. Die zweite Frage lautet, wie die Politik für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt künftig weiterhin auf die rückständigen Regionen in den heutigen Mitgliedstaaten ausgerichtet sein soll und mit Blick auf welche Ziele. Beide Fragen sind auf der informellen Tagung des Rates „Regionalpolitik“, die am 13. Juli dieses Jahres in Namur stattfand, umfassend zur Sprache gekommen.

Hinsichtlich der ersten Frage wurde allgemein anerkannt, dass die Erweiterung einen wesentlichen Mehrbedarf im Bereich des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts bedeuten wird. Das wurde auch im Zweiten Bericht der Kommission über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt klar herausgestellt. Die Zahlen in dem Bericht sind aufschlussreich. Im Zuge der Erweiterung werden sich die Unterschiede in zweifacher Hinsicht vergrößern. Erstens verdoppelt sich der Bevölkerungsteil in Regionen mit einem Pro-Kopf-BIP von weniger als 75 % des derzeitigen Gemeinschaftsdurchschnitts, das heißt also, die Einwohnerzahl, die unter das derzeitige Ziel 1 der Strukturfonds fällt, wird von 19 % in der EU mit fünfzehn auf 36 % in einer EU mit siebenundzwanzig Mitgliedstaaten steigen.

Zweitens werden die Einkommensdisparitäten größer werden. Heute liegt das durchschnittliche Pro-Kopf-BIP in den Regionen mit Entwicklungsrückstand bei 66 % des Gemeinschaftsdurchschnitts. Fügt man hier die weniger weit entwickelten Regionen in den beitrittswilligen Ländern hinzu, dann geht das durchschnittliche Pro-Kopf-BIP auf nicht einmal die Hälfte des Gemeinschaftsdurchschnitts zurück, um genau zu sein auf nur 77 %.

Aus diesen Daten kann man schließen, dass durch die Erweiterung das Kohäsionsproblem zwei Mal so umfassend und doppelt so groß wird, wie es heutzutage der Fall ist. Armut und Ungleichheit stellen ein hartnäckiges Problem dar, bei dem wir uns im Klaren sind, dass es noch lange Zeit bekämpft werden muss. Selbst dann, wenn die Beitrittsländer schneller wachsen würden als die Kohäsionsländer in den vergangenen zehn Jahren, verweist das derzeitige Niveau des Pro-Kopf-BIP auf einen Konvergenzprozess über mindestens zwei Generationen. Sogar mit der Wachstumsrate Irlands der letzten zehn Jahre würde es zwanzig Jahre dauern, um 90 % des Pro-Kopf-BIP der EU-15 zu erreichen.

Aus dieser Perspektive müssen wir heute die Prioritäten und Ziele unserer Regionalpolitik prüfen. Auch die Verwaltung tout court des zusammengeschnürten Maßnahmenpakets halte ich insofern für ein wichtiges Element, als nicht aus dem Auge verloren werden darf, dass die meisten beitrittswilligen Länder derzeit nicht über geeignete Strukturen verfügen, um die Regionalpolitik, wie wir sie uns gewöhnlich vorstellen, angemessen zu betreiben.

Von der informellen Tagung des Rates in Namur ging also das klare Signal aus, dass es notwendig ist, den derzeitigen rückständigen Gebieten in der Europäischen Union weiterhin zu helfen. Die Unterstützung im Rahmen der heutigen Ziele für die Gebiete mit Entwicklungsrückstand sowohl in den Mitgliedstaaten als auch in den Beitrittsländern sollte auf gerechte Weise erfolgen. Das sollte zwangsläufig mit einem noch gezielteren Einsatz der Gemeinschaftsmittel einhergehen.

Es besteht mithin Einvernehmen darüber, dass die heutige Regionalpolitik für Regionen fortgesetzt werden muss, die nach wie vor gegen strukturelle Schwierigkeiten anzukämpfen haben.

 
  
  

(FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Hinsichtlich der Kohärenz der erforderlichen Maßnahmen sind die Fünfzehn dafür, diese auf allen Ebenen zu verstärken, vor allem zwischen den Strukturfonds und dem Kohäsionsfonds, indem die Interventionen stärker konzentriert werden.

Im Übrigen haben einige Mitgliedstaaten darum ersucht, zusätzliche Bewertungen, insbesondere zur Effizienz des derzeitigen Systems, vorzunehmen, bevor sie sich hinsichtlich der Modalitäten und Mechanismen für die künftige Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts festlegen wollen. Diese Modalitäten und Mechanismen werden Gegenstand eines Gesamtvorschlags sein, den die Kommission im Jahr 2004 in ihrem dritten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt unterbreiten wird. Klar ist in jedem Falle, dass die Projekte und Maßnahmen, die durch die Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts gefördert werden, von besonderer Bedeutung für die europäischen Bürger sind. Dies trägt zur Annäherung zwischen den Bürgern und europäischen Institutionen und Politiken bei.

Die Kommission hat mit der Veröffentlichung des Zweiten Berichts über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt den ersten Anstoß zu einer umfassenden Debatte über die Zukunft der Strukturpolitik in der Europäischen Union gegeben. Anlässlich der informellen Tagung zur Regionalpolitik in Namur verfolgte der Rat die Ausführungen von Kommissar Barnier mit großer Aufmerksamkeit und führte anschließend eine Aussprache in einer sachlichen und aufgeschlossenen Atmosphäre. Im Mittelpunkt der Beratungen standen Grundsatzfragen, zu denen sich ein allgemein günstiges Klima abzeichnet.

Eine definitive Option steht allerdings zum jetzigen Zeitpunkt noch aus. Zuvor kommt es darauf an, die im Zweiten Bericht aufgeworfenen Fragen noch zu vertiefen. Die Kommission wird weitere Analysen vornehmen und neue Elemente in die Debatte einbringen, indem sie Arbeitsgruppen zu den jeweiligen Themenkomplexen organisiert. Die Ergebnisse dieser Arbeiten sollen dann in die Abfassung des für 2004 vorgesehenen dritten Berichts einfließen. Gegenwärtig müssen Rat und Parlament auf der Grundlage der Kommissionsvorschläge weitere Schritte zur Erarbeitung der künftigen Architektur der Kohäsionspolitik unternehmen.

 
  
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  Barnier, Kommission. – (FR) Herr Präsident, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich freue mich, an dieser Stelle gemäß Ihrem Wunsch Bilanz über die große Debatte ziehen zu können, die wir hier in diesem Saal am 31. Januar eröffnet haben, als ich Ihnen den von der Kommission angenommenen zweiten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt vorgestellt habe. Bei dieser Gelegenheit haben wir über die Vorstellung des Berichts hinaus eine Debatte eingeleitet. Ich sagte damals, und das möchte ich heute vor Ihnen wiederholen, dass es eine aufrichtige und objektive Debatte ohne Tabus über eine der großen Gemeinschaftspolitiken werden wird, die das Herzstück des Bildes und der Vorstellung, die wir uns von dieser Europäischen Union machen, darstellt, da es sich um die Solidaritätspolitik handelt. Seitdem sind neue Beiträge in die Debatte eingeflossen. Ich denke dabei insbesondere an das Kohäsionsforum vom 21. und 22. Mai, das hier in diesem Hause dank des Europäischen Parlaments im Einvernehmen mit Ihrer Präsidentin und unter Mitwirkung meiner Kollegen Anna Diamantopoulou und Franz Fischler stattgefunden hat.

Gleichzeitig kommen die Erweiterungsverhandlungen mit allen Kandidatenländern voran. Die Erweiterung ist, wie Sie wissen, einer der wesentlichen Gründe für diese Debatte. Lassen Sie mich einleitend daran erinnern, dass wir einen deutlichen Unterschied zwischen den Beitrittsverhandlungen, die sich auf die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes durch die neuen Mitgliedstaaten gründet, und der Reform der Strukturpolitik für den Zeitraum nach 2006 machen müssen. In der Debatte, zu der ich Sie auffordere, geht es also um die Zeit nach 2006. Natürlich kann nicht die Rede davon sein, das in Frage zu stellen, was die derzeitigen Mitgliedstaaten bis 2006 aus den Strukturfonds erhalten.

Mit der Aufforderung an die Kommission, hier das Wort zu ergreifen, verband Ihr Hohes Haus die Absicht, Bilanz über diese Debatte zu ziehen. Ich danke Ihnen für diese Gelegenheit und möchte kurz auf einige Punkte eingehen.

Da war zunächst das Forum, das wir am 21. und 22. Mai durchgeführt haben und das Gelegenheit für eine echte Debatte war, der weitere folgten. Seit dem 31. Januar ist die Vorstellung der Schlussfolgerungen aus dem Kohäsionsbericht für mich sowie für meine Mitarbeiter in der Generaldirektion Regionalpolitik eine vorrangige Aufgabe. Sie können sicher sein, dass ich Woche für Woche vor Ort meinen Beitrag zu dieser Debatte leiste. So traf ich beispielsweise am vergangenen Freitag in Helsinki mit den Präsidenten der 20 finnischen Regionen zusammen, und morgen und übermorgen werde ich in Porto an einer Tagung der Konferenz der Meeresrandregionen teilnehmen, wo wir über diese künftige Kohäsionspolitik beraten werden. Auf diese Weise soll sich die Debatte weiter ausbreiten und dezentral weitergeführt werden, so dass dann in Brüssel und zunächst in den Mitgliedstaaten eine Reihe von Ideen, Forderungen, Beweisen oder Orientierungen zusammengeführt werden können. Dieses Forum vom 21. Mai war für mich eine sehr wichtige und aufschlussreiche Veranstaltung. Dort trafen mehrere Minister sowie ehemalige und amtierende Premierminister mit Vertretern der Regionen und der Städte nicht nur aus den 15 Mitgliedstaaten, sondern auch aus den Bewerberländern zusammen, und es wurden viele Beiträge von sehr hohem Niveau gehalten. Lassen Sie mich aus all diesen Beiträgen und aus dem von Frau Ministerin Neyts-Uyttebroeck vorhin erwähnten Dialog, den ich in Namur mit den 15 Ministern für Regionalpolitik auf Einladung des belgischen Vorsitzes hatte, drei Aspekte herausgreifen.

Erstens das Interesse, auf das die Zukunft dieser Politik nach 2006 in allen Mitgliedstaaten und in den Bewerberländern stößt, und der Nachdruck, den viele auf die wirklich politische Dimension der europäischen Solidarität legen. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes. Das ist, wie Sie, Frau Ministerin Neyts-Uyttebroeck, im Namen des Ratsvorsitzes zu Recht sagten, vielleicht der konkreteste, präziseste und sichtbarste Ausdruck der Werte, auf die sich die Union gründet. Der Beweis, dass diese Union nicht nur eine große Freihandelszone und ein großer Markt ist, sondern auch eine Solidargemeinschaft und dass sie eines Tages eine politische Macht werden soll.

Zweitens habe ich kein negatives Echo hinsichtlich des Erweiterungsprozesses vernommen. Natürlich gibt es Besorgnisse, aber auch den Sinn für die historische Aufgabe, die der Union zufällt, und das Interesse, das die neuen wie die alten Mitgliedstaaten daran haben, zur nachhaltigen und ausgewogenen Entwicklung des gesamten europäischen Kontinents beizutragen.

Drittens konnte ich auch ermessen, wie wichtig es für den Erfolg dieser Debatte ist, die Bedürfnisse der Regionen in den Staaten, die derzeit der Union angehören, nicht zu vergessen. Ich möchte nochmals meiner Überzeugung Ausdruck geben, dass durch den EU-Beitritt sehr armer Regionen aus dem Osten – in Estland, Slowenien, Polen, Bulgarien und anderswo – die armen und in Schwierigkeiten befindlichen Regionen im Norden, in der Mitte, im Süden, ganz zu schweigen von den Regionen in äußerster Randlage, nicht plötzlich wie durch Zauberhand reich werden. Es wird nach der Erweiterung weiterhin Probleme und Bedürfnisse in der derzeitigen Union geben.

Das ist letztlich eine sehr starke Ermutigung zur Beibehaltung einer Kohäsionspolitik, die den neuen wirtschaftlichen Herausforderungen und der künftigen Geografie Europas angepasst ist.

Mein zweiter Punkt betrifft das künftige Verfahren. Wie Sie wissen, hat sich die Kommission auf Ersuchen des Rates im Juni verpflichtet, ihm regelmäßig Bericht über den Fortgang ihrer Arbeiten zur künftigen Kohäsionspolitik zu erstatten. Diese Information, die ich dem Rat schulde, schulde ich natürlich auch dem Europäischen Parlament. Ich werde der Kommission vorschlagen, den ersten dieser regelmäßigen Zwischenberichte gleich zu Beginn des nächsten Jahres, im Januar, anzunehmen, sobald wir über neue Statistiken verfügen, die die jetzt im Kohäsionsbericht enthaltenen Angaben verdeutlichen, aktualisieren und präzisieren. Dazu muss ich sagen, dass die neuen Statistiken, die uns Eurostat zur Verfügung stellt, beispielsweise das Pro-Kopf-BIP von 1999 oder die Arbeitslosenstatistiken von 2000 betreffen. Je aktueller die Zahlen sind, desto seriöser und objektiver wird die Debatte sein. Dieser Zwischenbericht vom Januar wird also eine Aktualisierung der Zahlen und der Analysen aus dem ersten Teil des Kohäsionsberichts bezüglich der Situation der Regionen, zugleich aber auch die Ergebnisse der verschiedenen von uns in Auftrag gegebenen Studien sowie die Schlussfolgerungen der großen Diskussionsrunden und Seminare enthalten. Zu den in Auftrag gegebenen zusätzlichen Studien kann ich sagen, dass es sich um eine Studie zur Situation der Inseln sowie um eine Studie über die makroökonomische Wirkung der Strukturfonds handelt. Mit dieser makroökonomischen Studie würde ich Ihnen gern auch Informationen darüber liefern, welche direkten Auswirkungen der Einsatz dieser Strukturfonds in den Ländern, die Nettozahler sind, hat. Weiterhin plane ich, eine zusätzliche Studie zur Situation der Bergregionen oder der Regionen mit ständigen natürlichen Nachteilen in Auftrag zu geben. Um diese Debatte weiter zu untermauern, sind für das erste Halbjahr 2002 Seminare zu jeder der zehn im Kohäsionsbericht definierten Gemeinschaftsprioritäten vorgesehen, zu denen wir je nach Thema Sachverständige aus den Mitgliedstaaten und den Regionen einladen werden.

Mein dritter Punkt, der sich ebenfalls auf die Zukunft bezieht, betrifft den Kern der Debatte. Diesbezüglich bin ich von drei Dingen überzeugt. Erstens bin ich überzeugt, dass mit Blick auf die bevorstehende Erweiterung der Union die Mitgliedstaaten und die Regionen eher das Bedürfnis nach mehr gemeinschaftlicher Kohäsionspolitik als nach weniger Kohäsion verspüren. Ich glaube nicht, dass eine Form der Zurücknahme oder der Renationalisierung der Regionalpolitik ein geeignetes Mittel wäre, um auf diese Forderung zu reagieren, auf dieses Kohäsionsbedürfnis in einer erweiterten Union, wo es – und hier sprechen die Zahlen für sich – mehr Disparitäten geben wird als heute. Aber ich bin auch entschieden dafür, dass wir gleichzeitig mit der Bekräftigung dieses Kohäsionsbedarfs und der Konzipierung dieser neuen Kohäsionspolitik und dieser neuen Regionalpolitik zusammen mit Ihnen nach Mitteln suchen sollten, um zu mehr Dezentralisierung und Vereinfachung und weniger Bürokratie zu gelangen. Wo immer dies möglich ist, werde ich in den europäischen Verfahren bestrebt sein, alles zu tun und vorzuschlagen, um mehr Vereinfachung und Dezentralisierung zu erreichen.

Meine zweite Überzeugung ist finanzieller Art. Obgleich die eigentliche finanzielle Debatte heute noch verfrüht wäre, bin ich der Auffassung – und da stehe ich nicht allein –, wie ich es hier in meinem persönlichen Namen bereits gesagt habe, dass ein finanzieller Aufwand von insgesamt 0,45 % des BIP der Union eine Schwelle darstellt, unterhalb derer die Glaubwürdigkeit der künftigen Kohäsionspolitik in Frage gestellt wäre. Ich wiederhole also nochmals, dass man, wenn diese Kohäsionspolitik glaubwürdig sein soll, aus meiner Sicht nicht unter diese Schwelle von 0,45 % gehen kann, die generell durch die Staats- und Regierungschefs in Berlin akzeptiert wurde.

Drittens bin ich überzeugt, dass die künftige Kohäsionspolitik gerecht sein muss und niemanden diskriminieren darf. Sie muss sich also an Regionen richten, die sehr unterschiedliche strukturelle Schwierigkeiten haben, und sich äußerst heterogenen Fragen widmen, das heißt Regionen mit großem Entwicklungsrückstand, die zumeist in den Kandidatenländern gelegen sind, Regionen der heutigen Fünfzehn, in denen der Prozess einer wirklichen Konvergenz noch nicht abgeschlossen ist und die zum gegebenen Zeitpunkt gleichberechtigt behandelt werden müssen, damit sie nicht durch einen rein statistischen oder automatischen Effekt im Zusammenhang mit den Schwellenwerten oder den neuen Durchschnittswerten im Rahmen der erweiterten Union ins Hintertreffen geraten. Und schließlich muss sie den Schwierigkeiten bestimmter Zonen Rechnung tragen, die besondere Nachteile aufweisen oder mit ernsten sozialen Fragen konfrontiert sind, wie die Chancengleichheit oder die Situation der städtischen Gebiete.

Lassen Sie mich abschließend daran erinnern, dass der Bericht, den wir Anfang nächsten Jahres vorlegen werden, den Ergebnissen der großen Debatten im zweiten Halbjahr dieses Jahres Rechnung tragen wird. Das ist nur der erste Termin, den ich Ihnen zugesagt habe. Es werden noch weitere folgen, bevor ich Ihnen im Jahre 2004 den dritten Kohäsionsbericht vorlege. In diesem Sinne stehe ich heute und in den nächsten Wochen gern zu Ihrer Verfügung, um Ihre Anregungen, Empfehlungen oder Kritiken entgegenzunehmen.

 
  
  

VORSITZ: LUÍS MARINHO
Vizepräsident

 
  
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  Hatzidakis (PPE-DE), Vorsitzender des Ausschusses für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr. (EL) Herr Präsident! Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Aussprache über die Regionalpolitik beeindruckende Ergebnisse haben wird, da wohl zumindest der Zeitpunkt für die Vermittlung von Informationen denkbar ungeeignet ist. Die Tatsache aber, dass sich so viele Kollegen für diese Problematik interessieren und die Regionalpolitik immerhin 35 % des Haushalts ausmacht, bestätigt ein weiteres Mal ihre Bedeutung für Europa. In diesem Sinne hat die Aussprache vielleicht doch einen gewissen Nutzen.

Zweitens wäre es vielleicht gut, wenn wir irgendwann einmal – und zwar sicherlich im Ausschuss für Regionalpolitik – eine Aussprache über den Fortgang der Projekte und Programme der Gemeinschaftlichen Förderkonzepte in den einzelnen Ländern abhalten würden, denn ich bin mir persönlich ganz und gar nicht sicher, dass in allen Ländern alles glatt läuft, wobei ich dies nicht auf die Kommission, sondern auf bestimmte Mitgliedstaaten beziehe. Ich will nicht von dramatischen Rückständen sprechen, aber es ist offensichtlich, dass in einigen Ländern Probleme bestehen.

Zur zukünftigen Kohäsionspolitik hat seit dem Zweiten Kohäsionsbericht der Europäischen Kommission eine Diskussion begonnen, durch die meines Erachtens schon einige Punkte deutlich werden: Es wird in viel mehr Regionen Förderungsbedarf geben, in den gegenwärtig geförderten Regionen der Mitgliedstaaten steigt das BIP künstlich an, was aber, wie auch der Kommissar gesagt hat, nicht automatisch bedeutet, dass sie reich sind, und es liegt auf der Hand, dass weitere Mittel benötigt werden, die aber keineswegs leicht zu mobilisieren sind.

Die Schlussfolgerungen sind für mich einigermaßen klar. Erstens dürfen wir die Dinge nicht treiben lassen und Beschlüsse erst im letzten Moment fassen, da wir sonst möglicherweise explosive Zustände in der Europäischen Union schaffen. Zweitens müssen wir uns von 2006 an auf den wirklichen Bedarf konzentrieren. Drittens darf es in den Regionen, deren Förderung ausläuft, nicht zu einem Schock kommen, weil sonst Euroskepsis entsteht. Und schließlich habe ich noch zwei unangenehme Dinge zu sagen: Eines betrifft die ärmeren Länder, das andere die wohlhabenderen.

Hinsichtlich der ärmeren Länder müssen wir uns meiner Meinung nach Verfahren zur Verbesserung des Mitteleinsatzes einfallen lassen und mit geeigneten Mechanismen und Anreizen, aber auch – wenn es sein muss – mit Sanktionen bewirken, dass die finanziellen Mittel greifen. Und im Hinblick auf die wohlhabenderen Länder müssen wir noch einmal die gesamte Logik des Gemeinschaftshaushalts durchdenken, um Wege zur Aufstockung der Mittel zu finden, da der Anstieg des Bedarfs gigantisch sein wird und die Regionalpolitik, wie auch der Kommissar gesagt hat, ihre Glaubwürdigkeit verliert, wenn wir unter ein bestimmtes Niveau absinken.

 
  
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  Simpson (PSE).(EN) Herr Präsident, Herr Kommissar, wie Sie ja wissen, geht der Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr in seinen Überlegungen zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt vom zweiten Kohäsionsbericht aus, und dieser Bericht eröffnet die Diskussion darüber, wie wir uns den Herausforderungen der Finanzierung regionaler Belange und der Strukturpolitik in einem erweiterten Europa stellen werden. Zwar bin ich Herrn Barnier für seine heutige Erklärung dankbar, aber in meiner Fraktion ist man weiterhin von der Kommission enttäuscht, weil sie ihr Initiativrecht nicht wahrgenommen und sich nicht mit ganzer Kraft für dieses Thema eingesetzt hat. Hier stellt sich die Frage, was denn nun die wirklichen Vorschläge der Kommission sind.

Herr Barnier verwies auf das Treffen im Mai, an dem viele Abgeordnete teilnahmen, doch auch aus diesem Treffen scheint nichts Konkretes herausgekommen zu sein. Auf unserer Seite der politischen Trennlinie erkannten wir bereits sehr frühzeitig, mit welcher Sensibilität diese Frage behaftet ist, und zu dieser Einsicht führten uns die Erfahrungen mit der Agenda 2000. Dann aber vermittelte Frau Kommissarin Wulf-Matthies den gemeinsamen Standpunkt mit dem Parlament, und dies bestärkt uns in unserer Meinung, dass genau jetzt für uns die Zeit gekommen ist, um die Arbeit mit der Kommission aufzunehmen, da sie jetzt aktiver, positiver und auch entschlossener handelt.

Meine Fraktion hat die von Ihnen aufgeworfenen Fragen ausführlich erörtert. Die Hauptpunkte, die sich aus unserer Diskussion ergeben, kreisen um das Prinzip der Beibehaltung des Konzepts des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und seines ausgeprägtesten Instruments, des Kohäsionsfonds. Es muss jedoch eine eingehende Diskussion über die Durchsetzung der Ziele der Kohäsionspolitik geführt werden, bevor von uns irgendwelche Entscheidungen zur Finanzierung der Strukturhilfe getroffen werden können.

Wir sehen uns zurzeit einer ganzen Reihe großer Herausforderungen gegenüber, und wenn wir über die Durchführung des Kohäsionsfonds sprechen, so sind auch andere Bereiche, z. B. Entwicklung und Landwirtschaft, aufzugreifen und mit der nachhaltigen Entwicklung in Einklang zu bringen. Wir müssen weiterhin dafür sorgen, dass die Regionen mit Entwicklungsrückstand, die gegenwärtig Strukturhilfen erhalten, künftig nicht schlechter behandelt werden und dass Gemeinschaftsinitiativen, wie etwa INTERREG und URBAN, beibehalten werden. Wir bezweifeln auch, ob denn die in der Agenda 2000 festgelegten 1,27 % des BIP der Gemeinschaft im Hinblick auf den neuen Kohäsionsfonds ausreichen werden.

Indem wir diese Debatte auf den Weg bringen, verweisen wir auf unsere Ansicht, dass unsere Diskussionen noch fruchtbarer und aussagekräftiger wären, hätte sich die Kommission auch mit eigenen Gedanken zu Wort gemeldet, womit sie diese Diskussionen zugleich auch hätte befördern können. Wir wissen, dass es hier um eine wichtige Frage geht. Im Moment haben wir es mit den Fragebögen zu tun, aber wir können dem Kommissar zusichern, dass sich unsere Fraktion auch in den kommenden Monaten umfassend in die Diskussionen einbringen wird.

 
  
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  Pohjamo (ELDR).(FI) Herr Präsident, die Aussprache über die Zukunft der Kohäsionspolitik ist von besonderer Aktualität. Ich danke der Kommission für ihre Bereitschaft, diese Debatte auch mit dem Parlament zu führen, und ebenso für die Besuche, die es in den Mitgliedstaaten gegeben hat. Diese waren dringend notwendig.

Meine Sorge gilt dabei nicht nur der Frage, wie die Regionalpolitik sowohl in den heutigen Mitgliedstaaten als auch in den Bewerberländern effizient umgesetzt, sondern auch wie die Strukturpolitik in den heutigen Mitgliedstaaten in der nächsten Phase der Strukturfonds weitergeführt werden kann. Die Strukturfondspolitik wird derzeit zu schwerfällig betrieben. Nun ist es an der Zeit, beispielsweise zu evaluieren, welche Schlussfolgerungen aus der Verzögerung der Vorbereitungsverfahren der Programme für die nächste Phase gezogen werden können. Wie erreichen wir mehr Effizienz, bessere Ergebnisse und weniger Bürokratie? In diesem Zusammenhang hätte ich auch gern gewusst, welchen Standpunkt die Kommission zu der Frage vertritt, welche Konsequenzen die Erweiterung für den Anteil der Strukturfondsmittel haben wird. Ist die Kommission bereit, die Mittel für die Strukturpolitik im nächsten Strukturfondszeitraum aufzustocken, sofern der Zustand des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts dies erfordert?

Gleichzeitig möchte ich der Kommission zur Kenntnis geben, dass ein Finanzierungsmodell für die Erweiterung inakzeptabel ist, das zu Lasten der armen Regionen in den heutigen EU-Ländern geht, die nach wie vor beispielsweise beständig mit Problemen zu kämpfen haben, die sich aus den schwierigen natürlichen Bedingungen, großen Entfernungen und dünner Besiedlung ergeben. Die EU muss auch in Zukunft solidarisch vorgehen, damit für die neuen Herausforderungen der Strukturpolitik im Rahmen eines neuen Finanzinstruments neue Mittel bereitgestellt werden, wobei zum Beispiel die zentralen Regionen, die von der Erweiterung wirtschaftlich am schnellsten profitieren, für die Kosten aufkämen.

 
  
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  Schroedter (Verts/ALE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Rahmen ihrer Erweiterung ist wohl die Kohäsionspolitik die größte Herausforderung, vor der die Gemeinschaft stehen wird. Gleichzeitig wird die Kohäsionspolitik der Prüfstein dafür sein, ob es gelingt, in einer EU der 27 Stabilität zu erhalten, und zwar in allen ihren Teilen. Allerdings hat sich in den Mitgliedstaaten die Tendenz durchgesetzt, in der Kohäsionspolitik nicht den Erfolg in den benachteiligten Gebieten zu bewerten, sondern den Erfolg daran zu bewerten, wie viel sie bei jeder Verhandlung für sich am Ende wieder rauskriegen. Das muss sich ab 2006 klar ändern! Die Stabilität und die erfolgreiche Entwicklung einer erweiterten Union werden nach 2006 nur gewährleistet sein, wenn Besitzstandswahrung nicht die Voraussetzung ist für die Zuteilung von Fonds, sondern gemeinsame objektive Kriterien. Das heißt, eine gemeinsame neue Kohäsionspolitik muss in allen Teilen gegenüber der alten Politik auf den Prüfstand gesetzt werden.

Der zweite Kohäsionsbericht enthält einige gute Vorschläge, aber er schleppt auch viele Fehler aus der Kohäsionspolitik weiter und ist kein grundlegender Reformvorschlag. Ich sage noch einiges zu den Vorschlägen. Gut finde ich, wenn alle Regionen der erweiterten Union gleich bewertet werden, es aber gleichzeitig keinen Schock gibt für Regionen, die derzeit gefördert werden. Das phasing out-Prinzip unterstütze ich also voll. Dezentralität erhöhen, Partnerschaft fördern. Das muss aber auch für die Beitrittsländer in den Beitrittsfonds gelten – und zwar jetzt –, damit die Verwaltungen darin eingeübt werden. Phasing in für die Beitrittsländer in eine dezentrale Strukturpolitik bereits ab 2002, auch das ist notwendig, um Erfahrungen zu sammeln. Kleckern statt klotzen, eine integrierte Regionalpolitik ist das einzige, was vertrauenswürdig auch für die Geber ist. Deswegen muss Qualität vor Quantität stehen!

 
  
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  Markov (GUE/NGL). – Herr Präsident, Herr Kommissar, Frau Ratspräsidentin! Ich halte die Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts für eine der ganz positiven Errungenschaften der Europäischen Union, weil sie nämlich das Solidarprinzip zwischen weiterentwickelten und schwachen Regionen dokumentiert. Natürlich, wenn man analysiert, wie die Strukturfondspolitik bisher gewirkt hat, muss man klar sagen, es gibt eine Menge Unzulänglichkeiten.

Erstens: Die Divergenz zwischen den Mitgliedstaaten hat sich zwar verringert, aber die Unterschiede innerhalb der Mitgliedstaaten – zwischen stark entwickelten Regionen und schwachen Regionen – haben sich erhöht.

Zweitens: Die Arbeitslosenquote in den schwachen Regionen hat sich nicht signifikant verringert.

Drittens: Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der reichsten Regionen, die 10 % der Unionsbevölkerung ausmachen, ist immer noch 2,6 mal höher als in den Regionen, in denen 10 % der ärmsten Bevölkerung wohnen.

Viertens: Die unterentwickelten Regionen verfügen nach wie vor nicht über selbsttragende Wirtschafts- und Sozialkreisläufe. Damit haben sie eben auch enorme Probleme, tatsächlich den Rückstand zu den weiterentwickelten zu verkürzen.

Fünftens: Schauen Sie es sich an, die noch abzuwickelnden Verpflichtungsermächtigungen betrugen Ende 1999 fast 42 Milliarden Euro, d. h., der Einsatz der Strukturfondsmittel für bestimmte Projekte ist ineffizient! Das bedeutet, dass man entschieden andere Maßnahmen, auch andere Projekte auswählen muss. Das geht natürlich nur in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten.

Trotz der Mängel darf nicht übersehen werden, dass enorm viel bewegt worden ist. Die Unterschiede wären sonst noch entschieden größer. Das bedeutet eben auch, dass wir die Strukturfondspolitik weiterführen müssen. Herr Barnier, Sie haben eben gesagt, es darf keine Tabus geben. Das stimmt! Auf dem informellen Treffen in Namur wurde das auch von allen Mitgliedstaaten mehr oder weniger gesagt, und es wurden Vorschläge unterbreitet. Aber irgendwann muss man auf den Punkt kommen, irgendwann muss man sagen, die und die Vorschläge kosten soundso viel Geld, und dieses müssen wir entweder bereitstellen, oder wir müssen bekennen, wir werden es nicht bereitstellen.

Das kann man nicht ewig verschieben. Sie wissen, die Obergrenze beträgt 1,27 % des Bruttoinlandprodukts innerhalb der Finanziellen Vorausschau 2000 bis 2006. Wo liegen wir real? Bei 1,06 %. Das kann ja dann wohl keine Umsetzung von wirklicher Strukturpolitik sein! Das liegt auch am Parlament ...

(Zuruf von Herrn Jarzembowski)

Ich habe ja jetzt nicht nur dem Kommissar Vorwürfe gemacht, wir lassen es uns ja jedes Mal gefallen! Also meine Fraktion nicht, wir haben immer die entsprechenden Änderungsanträge eingereicht. Vielleicht, Herr Jarzembowski, macht die PPE beim nächsten Mal mit, dann wäre es ja schon fast eine Mehrheit! Wir müssen natürlich auch im Rahmen dieser Diskussion betrachten, dass es ganz spezielle Regionen gibt. Das von der Kommission aufgelegte Programm für die Grenzregionen, es tut mir leid, Herr Kommissar, das ist vollkommen unzureichend! Vielleicht sollte man einmal darüber nachdenken, ob man so etwas ähnliches machen kann ...

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Raschhofer (NI). – Herr Präsident, Herr Kommissar! Der Kohäsionsfonds wurde ins Leben gerufen, um die strukturschwachen Länder der Union auf die Wirtschafts- und Währungsunion vorzubereiten. Die Kohäsionsländer haben in den letzten Jahren kräftig aufgeholt, und sie nehmen alle an der WWU teil. Ich stelle also fest, dass dieses Ziel des Kohäsionsfonds erreicht wurde. Trotzdem wurde in der Agenda 2000 die Weiterführung des Kohäsionsfonds beschlossen. Wäre es nicht konsequent, den Kohäsionsfonds, wenn auch nicht schockartig, so doch in Form eines phasing out auslaufen zu lassen? Mit der Osterweiterung ist die Kohäsionspolitik der Union, wie sie derzeit gestaltet ist, nicht mehr fortsetzbar. Wir wissen alle, dass die Osterweiterung nicht zum Nulltarif zu haben ist, und das sollte man auch ehrlich sagen. Im Übrigen glaube ich auch, dass in der Kohäsionspolitik der Union vieles falsch läuft, was Effizienz, den Verwaltungsaufwand und die Betrugsanfälligkeit dieser Politik betrifft. Was notwendig wäre, ist eine grundsätzliche Debatte über die Stärken und Schwächen dieser Politik, also über eine Reform dieser Kohäsionspolitik.

Ich weiß, dass diese Debatte schwierig ist, denn hier geht es um Besitzstände. Hier geht es aber auch um eine ganz grundsätzliche Frage, nämlich die Frage, was bedeutet Solidarität in der Union?

 
  
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  Jarzembowski (PPE-DE). – Herr Präsident, Frau Ratspräsidentin, lieber Herr Kommissar! Auch ich will Ihre Anregung aufgreifen, diese Frage ohne Tabu zu diskutieren. Ich glaube, dass es in diesem Hause eigentlich keinen gibt, der gegen eine Kohäsionspolitik ist. Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Kann man Kohäsionspolitik nicht besser ohne einen Kohäsionsfonds betreiben?

Es gibt zwei Probleme. Erstens: Wenn die Beitritte erfolgen, dann müssten logischerweise alle Beitrittsstaaten dem Kohäsionsfonds beitreten, denn es ging um die ärmsten Länder und Staaten. Man kann nicht sagen, es gibt Regionalpolitik für alle, Kohäsionsfonds für vier Länder, und die zehn neuen kommen da alle irgendwie unter! Nein, also wenn man den Kohäsionsfonds aufrechterhalten wollte, müsste er für alle Beitrittsländer gelten. Ich persönlich glaube allerdings, man kann Kohäsionspolitik über regionale und Strukturpolitik allgemeiner Art besser ohne einen Kohäsionsfonds machen, zumal der Kohäsionsfonds aus meiner Sicht den Nachteil hat, dass auf Staaten geachtet wird und nicht auf Regionen. Wir wollen aber nicht die Staaten fördern, sondern wir wollen benachteiligte Regionen fördern. Deshalb glaube ich, dass diese Frage, Herr Kommissar, noch einmal sehr sorgfältig überlegt werden soll.

Zweitens: Ich glaube, auch wir sollten, wie Sie es immer gesagt haben, zwischen der inhaltlichen Reform und der Frage trennen, wie viel Geld wollen wir im Endeffekt dafür ausgeben? Ich glaube, wir müssen die inhaltliche Form schnell entscheiden, denn die Beitrittsländer haben einen Anspruch darauf, dass wir ihnen bis 2002/2003 sagen, wie die Kohäsionspolitik aussieht, wenn sie dann Mitglied sind.

Herr Kommissar, ich bin nicht so sicher, ob ich Sie richtig verstanden habe: An sich finde ich Ihr Modell gut. Sie sagen, es gibt für alle Regionen einheitliche Kriterien, sagen wir, ein oder zwei, dann machen wir ein phasing out für die Regionen, die bisher gefördert wurden, aber nach den neuen Kriterien nicht mehr förderfähig sind, oder weil kein Geld mehr da ist. Es stellt sich nun die Frage, nach welchen Kriterien soll in Zukunft tatsächlich gefördert werden? Also, ich wäre bereit, über ein/zwei Kriterien oder auch drei Kriterien zu sprechen. Aber ich habe ein wenig den Verdacht – Sie haben das vorhin angedeutet –, dass man nachher zehn Kriterien hat. Dann guckt man, welches Kriterium passt auf die Region? Ah, da sind ein paar Berge, also ist das eine Bergregion. Ah, das ist eine Insellage, also ist das eine Inselregion!

Ich halte es für besser, man nimmt egal welchen Prozentsatz, z. B. Bruttoinlandsprodukt plus vielleicht die Arbeitslosensituation. Wenn man das noch weitertreibt und sagt, ja, auch die Geschlechterverteilung oder der Ausbildungsstand von Männern und Frauen gelten als allgemeine Kriterien, dann wird es ein wenig wirrwarrig, wenn ich es mal so sagen darf. Deshalb lassen Sie uns weiter diskutieren, so wie Sie es uns gesagt haben. Wir stehen auf Ihrer Seite, wir freuen uns auf die weitere Debatte mit Ihnen!

 
  
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  Duin (PSE). – Herr Präsident, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissar! Ich möchte ausdrücklich diejenigen unterstützen, die gesagt haben, dass es in dieser Debatte nicht um Besitzstandwahrung gehen darf, sondern um Hilfe für diejenigen, die sie am dringendsten benötigen. Lassen Sie mich auch klar aussprechen, dass meines Erachtens niemand die Augen davor verschließen darf, dass die Erweiterung uns alle vor große Herausforderungen auch finanzieller Natur stellen wird. Die Deutschen haben ihre Erfahrung bei der Wiedervereinigung gemacht, als man den Bürgerinnen und Bürgern zunächst erklären wollte, dass keine Belastungen damit verbunden wären. Das war nachweislich falsch! Damit kein Missverständnis aufkommt – natürlich wollen wir die Erweiterung. Aber man muss den Konsequenzen für die Strukturpolitik ins Auge sehen. Ein einfaches „Weiter so“ darf es und wird es, glaube ich, nicht geben.

Wenn man das Vertrauen der Menschen in den betroffenen Regionen nicht verspielen will, dann muss man auch deutlich und ehrlich frühzeitig darauf hinweisen. Um ein böses Erwachen zu verhindern, müssen wir nach Möglichkeiten suchen, die es uns erlauben, den Bewerberländern volle Unterstützung beim Aufbau ihrer Infrastruktur zu geben, und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass die schwächsten Regionen der EU 15 weiter an den Durchschnitt herangeführt werden. Dies kann nur gelingen, wenn einige Veränderungen vorgenommen werden, die auch ohne Erweiterung schon notwendig wären. Da ist zuerst die Tatsache, dass die Kohäsionsländer teilweise sehr unterschiedliche Erfolge im Aufholungsprozess aufzuweisen haben und nachweislich dort die besten Erfolge erzielt wurden, wo die Akteure vor Ort eingebunden und auf höchstmögliche Effizienz der Förderung eingeschworen wurden.

Um die Effizienz der eingesetzten Mittel überprüfen zu können, muss außerdem die Evaluierung der Projekte weiter verbessert und effizientes Wirtschaften mehr belohnt werden, als dies bisher der Fall gewesen ist. Last but not least ist eine engere Verzahnung mit den andern EU-Politiken, insbesondere der gemeinsamen Agrarpolitik, unausweichlich. Mit den von Herrn Kommissar Barnier angesprochenen Dezentralisierungen und Vereinfachungen kann es uns meiner Meinung nach gelingen, beide Ziele zu erreichen.

 
  
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  Gasòliba i Böhm (ELDR). – (ES) Herr Präsident, meine Damen und Herren, Herr Kommissar! Ich möchte den beiden Berichten, die uns eine gute Analyse über den Einsatz der Mittel des Kohäsionsfonds und der Strukturfonds im Jahre 1999 liefern, grundsätzlich zustimmen. Ausgehend von der in diesen beiden Berichten vorgenommenen Analyse möchte ich auf drei Punkte eingehen.

Der erste liegt auf der Hand: Die Kohäsionspolitik ist Bestandteil der Politik der Europäischen Union, und ein grundlegendes Element dieser Kohäsionspolitik sind die Fonds, die wir hier behandeln. Man kann auf diese Fonds in den Regionen, deren Niveau unter dem Durchschnitt der Europäischen Union liegt, weder mit noch ohne Erweiterung verzichten. Folglich entspricht es dem Wesen der Kohäsionspolitik der Europäischen Union, dass die am schwächsten entwickelten Regionen Mittel und Ressourcen erhalten, um die bestehenden territorialen Ungleichgewichte möglichst zu beseitigen. Wie zum Ausdruck gebracht wurde, gibt es noch eine Haushaltsmarge in der Europäischen Union, um diese Erfordernisse abzudecken.

Zweitens betreffen diese Berichte das Jahr 1999. Es gibt eine Reihe von Kritiken in Bezug auf die Mittelverwendung, die berücksichtigt werden sollten. Wir hoffen, dass im Jahre 2001 dank der Tätigkeit des Kommissars und seines Teams die aufgezeigten Beschränkungen und Mängel überwunden worden sind.

Drittens beweisen die zahlreichen analysierten Statistiken und die durchgeführten Untersuchungen über den langfristigen Einsatz der Mittel in der Europäischen Union, von wenigen Ausnahmen abgesehen, dass die am stärksten benachteiligten Gebiete das Ungleichgewicht in Bezug auf den Durchschnitt der Europäischen Union verringert haben. Daher sollte dies, da wir schon von der Zukunft des Einsatzes dieser Mittel sprechen, gerade bei den neuen Politiken der Union in diesem Bereich berücksichtigt werden.

 
  
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  Nogueira Román (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie Sie alle, stelle auch ich mit großer Genugtuung fest, dass sich sowohl die Frau Ratspräsidentin als auch das für die Territorialpolitik zuständige Kommissionsmitglied zunächst darin einig sind, dass künftig, mit der Erweiterung, eine doppelte Kohäsionspolitik notwendig sein wird, wenngleich mit Minderheitscharakter: die Kohäsionspolitik für die Regionen, die zu den fünfzehn gegenwärtigen Staaten gehören, und die zusätzliche Kohäsionspolitik für die Staaten der Erweiterung.

Ich stelle fest, dass sie auch in einer Frage übereinstimmten, die mir wider alle Heuchelei als elementar erscheint: Es gibt kein politisches Europa ohne ein wirtschaftliches Europa, und es gibt kein politisches Europa ohne eine Kohäsionspolitik. So ist das ist in den derzeitigen Mitgliedstaaten, und die Europäische Union muss dieser Verantwortung auch in Zukunft gerecht werden.

Wie ist das zu bewerkstelligen? Wie kann man es erreichen und mit welchen Instrumenten? Natürlich muss die gegenwärtige Verwendung der Strukturfonds und des Kohäsionsfonds verbessert werden. Man braucht sich, wenn Sie mir gestatten, nur die Ergebnisse der letzten Jahre im Fall der Unterschiede zwischen Irland und Spanien oder zwischen Portugal und Italien oder Griechenland anzusehen. Die Verwendung war insofern unterschiedlich, als Irland einen gewaltigen Sprung gemacht hat, und Portugal hat die Strukturfonds besser als viele andere Staaten genutzt. Anders in Spanien, Italien oder Griechenland, wo sich zwar die Staatseinnahmen dem europäischen Durchschnitt angenähert haben, aber nicht die der einzelnen Regionen, was darauf hindeutet, dass die Mittel falsch eingesetzt werden, weil möglicherweise der Staat die für Regionen bestimmten Mittel für sich genutzt hat oder weil im Staat nicht die Politik der Zusätzlichkeit zum Tragen kam.

Herr Barnier, Sie sagten auch schon bei früheren Gelegenheiten , dass die Strukturfonds und der Kohäsionsfonds nicht unter 0,46 % des BIP der Gemeinschaft liegen dürfen. Ich erinnere Sie daran, dass dies das Niveau von 1999 war und dass sie im Jahre 2006 bei 0,31 % liegen werden. Wenn wir uns das Ergebnis ansehen und es uns also schon 1999 mit diesen Fonds nicht gelungen ist, die Unterschiede zwischen den Regionen Europas abzubauen, muss man demzufolge noch viel ehrgeiziger sein, als Sie vorschlagen, auch wenn Sie es auf positive Weise getan haben.

 
  
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  Musotto (PPE-DE).(IT) Herr Präsident, Herr Kommissar! Die Frage, vor der wir stehen, betrifft das kohäsionspolitische Konzept, das wir uns im Rahmen der neuen Situation, die sich infolge der Erweiterung ergibt, als Ziel zu setzen haben. Die Antwort gliedert sich in zwei Teile: Zum einen müssen die der Kohäsionspolitik ab 2006 zugrunde zu legenden Prinzipien definiert werden, und zum anderen geht es um die Festlegung der Prioritäten.

Meiner Meinung nach müssen für die Kohäsionspolitik zwei Leitprinzipien gelten, nämlich erstens die Chancengleichheit und zweitens die Regionalisierung. Die modernen Wirtschaftstheorien lehren uns anhand einer Fülle von Details und gestützt auf umfassende empirische Belege, dass der Erfolg politischer Maßnahmen zur Förderung der lokalen Entwicklung in hohem Maße von einer größeren Autonomie der Entscheidungsträger sowie von der Planung und Einführung von Regionalpolitiken abhängt, die auch bei den Wählern Akzeptanz finden.

Des Weiteren bedeutet der Begriff Regionalisierung die Konzipierung der Wirtschaftspolitik auf lokaler Ebene, um so die komparativen Vorteile jeder Region zu berücksichtigen und zu bewerten, sowie die Festlegung lokaler Verwaltungseinrichtungen, die kollektive Entscheidungen auf der Grundlage einer tatsächlichen demokratischen Basis, unter der Kontrolle durch die Wähler, die sie politisch haftbar macht, treffen sollen.

Die Verwirklichung dieser Ziele setzt zweifellos neuartige statistische Angaben zur wirtschaftlichen Lage auf lokaler, nationaler sowie gemeinschaftlicher Ebene voraus. Zur Beurteilung der Zugangsmöglichkeiten der Bürger in den Regionen Europas reichen Angaben zum Pro-Kopf-Einkommen nicht mehr aus; erforderlich ist weitaus mehr: Notwendig sind Indikatoren über den Grad des Zugangs zu den Ressourcen, zur Messung der wirtschaftlichen Freiheiten, die man genießt; Indikatoren, die Aufschluss darüber geben, inwieweit die grundlegenden Menschenrechte gewahrt sind, und die ganz allgemein die Lebensqualität bewerten.

 
  
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  Walter (PSE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, Frau Ratspräsidentin! Die Kohäsionspolitik ist ein integraler Bestandteil der Europäischen Union. Wir können keinen Fortschritt in Bezug auf das Zusammenwachsen der Europäischen Union feststellen, wenn die Solidarität nicht immer ein Stück mitspielt. Wir alle wissen, dass diejenigen, die stärker, die reicher sind, denen helfen müssen, die ärmer oder noch nicht so stark sind oder sich in Aufholprozessen befinden. Wir unterhalten uns heute über das, was in den letzten Jahren zu sehen war, und natürlich auch über die Schlussfolgerungen, die wir für die nächsten Jahre daraus ziehen müssen.

Ich will heute einmal den Blick darauf werfen, wie es denn ganz konkret im Moment in Bezug auf unsere Kohäsionspolitik aussieht, das heißt, wie geben wir denn die Gelder aus, die wir für diese wirklich wichtige Politik der Europäischen Union bereithalten? Wir hatten in der Vergangenheit bis zur Agenda 2000 die heftigsten Debatten darüber, wie viel Geld vergeben werden soll. Wenn wir uns heute aber anschauen, wie die Umsetzung tatsächlich vonstatten geht, dann müssen wir doch sehr große Zweifel haben, ob hier mit aller Ernsthaftigkeit herangegangen wird.

Wir stehen seit dem letzten Jahr am Beginn der neuen Förderperiode, das heißt, es kann natürlich am Anfang nicht so schnell losgehen, wie wenn man mitten im Lauf ist, aber trotzdem muss man darauf hinweisen, die Ausführungsraten sind in den verschiedenen Bereichen erbärmlich, anders kann man es nicht sagen! Wir haben dies im Haushaltsausschuss mehrfach zum Thema gemacht, und auch der Regionalausschuss hat es zum Thema gemacht und wird es weiter zum Thema machen.

Wenn man sich die aktuelle Diskussion im Rahmen der Haushaltsberatungen anschaut - und jetzt muss ich den Rat ansprechen -, dann sieht man, dass der Rat für neue Verpflichtungen für das nächste Jahr lediglich 1 % vorsieht, das dann tatsächlich auch in Zahlungen umgesetzt werden soll. 1 % von dem Ganzen, was wir verpflichten wollen, soll als Zahlung rüberkommen! Wir produzieren einen backlog, wie wir ihn in der Vergangenheit oft hatten. Wir türmen Mittel auf, anstatt schnelle Hilfe zu geben, und schnelle Hilfe ist gute Hilfe, weil wir wollen, dass viele Länder und Regionen, wenn die Erweiterung dann kommt, es gar nicht mehr nötig haben, Hilfe zu bekommen. Wer ihnen wirklich helfen will, da rauszukommen, wer wirklich Platz schaffen will für die neuen Länder, die dazukommen wollen, der muss jetzt schnell helfen, der muss konzentriert helfen, das heißt, hier müssen wir entsprechend nachfassen.

Ich fordere die Kommission – sie hat da schon Vorschläge vorgebracht –, aber auch den Rat auf, an der Stelle den Worten auch Taten folgen zu lassen, denn Kohäsion ist nur dann gut, wenn sie wirklich bei den Menschen ankommt, und zwar sobald wie möglich!

 
  
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  Berend (PPE-DE). – Herr Präsident, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Herr Kommissar, ein Wort des Dankes für Ihre klaren Worte und für das Doppelbekenntnis, im Rahmen des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts sowohl die neuen – bei den Beitrittskandidaten – als auch die anhaltenden Schwierigkeiten in den jetzt bestehenden 15 Mitgliedstaaten in verschiedenen Regionen angemessen zu berücksichtigen. Zum anderen auch ein Wort des Dankes dafür, dass Sie noch einmal betont haben, es gibt in der Diskussion keine Tabus! Wir stehen am Anfang dieses Diskussionsprozesses, und wir sollten auch die ganze Palette der Revision der Strukturfonds in dieser Diskussion ausloten.

Der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt von 27 Ländern gestaltet sich nun einmal anders als die Kohäsion von 15 Ländern. Fest steht, dass sich die Disparitäten in der EU durch den Beitritt von 12 neuen Staaten erheblich vergrößern werden. Den neuen Mitgliedstaaten wird einerseits Vorrang gegeben werden müssen, wobei andererseits den derzeitigen Empfängerländern gewisse Kontinuität nicht abgesprochen werden darf. Dabei wissen wir wohl, dass der Kohäsionsfonds und die Strukturfonds immer nur temporäre Maßnahmen sind und nicht in Besitzstände umgewandelt werden dürfen. Trotzdem darf es nicht passieren, dass Regionen nach 2006 nur deshalb ihren Ziel 1-Status verlieren, weil sich infolge der Erweiterung eine Verbesserung ihrer relativen Lage ergeben hat, ohne dass schon eine sich selbst tragende Entwicklung erreicht wurde.

Ich meine, die Kohäsionspolitik ist nur dann glaubwürdig, wenn wir die Finanzmittel auf der Basis objektiver Kriterien, die für alle gleichermaßen gelten, zuteilen, wobei die Kriterien des nationalen und regionalen Wohlstandes zugrunde liegen müssen. Bei einer anstehenden Revision der europäischen Regionalpolitik müssen also Lösungen gefunden werden, und das ist Sinn und Zweck des jetzt beginnenden Diskussionsprozesses – gleichberechtigt die Situationen sowohl in den neuen Mitgliedstaaten als auch in den Ziel-1-Regionen der jetzigen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen.

 
  
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  Izquierdo Collado (PSE). – (ES) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissar! Im Gegensatz zur Bemerkung eines Kollegen halte ich den gegenwärtigen Zeitpunkt für sehr günstig, um über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu sprechen. Hoffentlich wird dieser Begriff die europäischen Grenzen überwinden und auf andere regionale Bereiche angewendet werden. Möglicherweise würden wir damit etliche Konflikte lösen.

Ich muss allerdings sagen, dass zwar der Zeitpunkt für die Debatte günstig ist, doch dass die Antworten des Rates und der Kommission zumindest meiner Meinung nach unbefriedigend ausfallen. Erstens glaube ich kaum, dass man von wirtschaftlichem und sozialem Zusammenhalt sprechen kann, ohne auch nur im Mindesten auf den Binnenmarkt und alle Politikbereiche der Europäischen Union einzugehen. Wir behandeln derzeit das Sechste Rahmenprogramm, ein Programm, das schon von Anfang an nicht die Kohäsionsbedingungen erfüllt, die die Verträge von ihm verlangen. Der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt macht es erforderlich, der Gesamtheit der Politikbereiche Aufmerksamkeit zu widmen.

Herr Barnier hat diesem Parlament in seinem Bericht einige Fragen gestellt. Als wir die gleichen Fragen an den Rat richteten, erklärte dieser, das sei nicht der richtige Zeitpunkt für ihre Beantwortung, aber das Parlament hat das Recht, diese Fragen vor der Ausarbeitung unseres Berichts der Kommission und dem Rat zu stellen, um deren Meinung zu erfahren. Ich weiche zutiefst und grundsätzlich von der Haltung des Rates und, mit Abstrichen, von der des Kommissars ab, weil ich glaube, dass bestimmte grundlegende Faktoren bereits jetzt geklärt werden müssen. Wir sprechen darüber, wie sich das Projekt 2006 in der Zukunft auf die einen und die anderen Regionen auswirken wird. Wenn wir es nicht tun, werden wir ständig über diesen Faktor diskutieren und nicht die für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in Europa erforderliche Reform in Angriff nehmen. Wir werden uns alle verstohlen ansehen, die einen werden sagen, der Kohäsionsfonds müsse abgeschafft, die anderen, bestimmte Regionen müssen aus dem Fonds herausgenommen werden. Dieser Nebel wird es verhindern, bei der Analyse der Frage bis auf den Grund vorzudringen.

 
  
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  Mastorakis (PSE).(EL) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen, dass die Europäische Union den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt der Regionen als Kernelement ihres Daseins auffasst und auch das Ziel quantifiziert, nämlich als Untergrenze des angestrebten Zusammenhalts den Wert von 75 % des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens ihrer 15 Mitgliedstaaten festlegt.

Zugleich beschließt unsere Europäische Union sehr richtig den Beitritt neuer Mitgliedstaaten mit erwiesenermaßen niedrigem Pro-Kopf-Einkommen. Ist es aber vernünftig, moralisch vertretbar und damit letztlich akzeptabel, das zweite Ziel insofern auf Kosten des ersten zu realisieren, als die Erweiterung das neue durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen erheblich absenken wird? Erfreulicherweise haben immerhin alle registriert, dass die Kohäsionspolitik nicht schematisch mit den 75 % fortgeschrieben werden kann, und so sind verschiedene Szenarien vorgeschlagen und erörtert worden, die möglicherweise den einen oder anderen Ausweg aufzeigen, aber keine wirklich gerechte Lösung bieten. Es ist daher zweckmäßig, ich würde sogar sagen, es liegt auf der Hand, dass das erste Ziel auch in der erweiterten Europäischen Union unverändert gültig bleiben muss, dass nämlich alle Mitgliedstaaten, heutige wie künftige, die Grenze der 75 % des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens der heutigen 15 Mitgliedstaaten erreichen und überschreiten. Das wäre folgerichtig.

Natürlich werden für die Erweiterung größere als die bisher bereitgestellten Summen benötigt. Mögen also die Verantwortlichen die neue Lage in ihrem wahren Ausmaß erkennen, mögen sie ihr mit Großzügigkeit begegnen, das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer neuen, couragierten Regionalpolitik langfristig betrachten und nicht jene Regionen verbittern, die auch weiterhin die Hilfe Europas benötigen, des Europas, das sie sich vorgestellt haben und an das sie glauben. Nehmen wir zur Kenntnis, was auf Altgriechisch einer der Großen des antiken Griechenlands, Demosthenes, gesagt hat: „... Offenbar bedarf man des Geldes, denn ohne dieses kann Nichts, von dem was nötig ist, erreicht werden...“ Und auch, wenn die entsprechenden Entscheidungen schon gefällt sind, na und? Beschlüsse sind dazu da, revidiert zu werden, wenn es nötig ist.

 
  
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  Darras (PSE).(FR) Herr Präsident, Frau amtierende Ratspräsidentin, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Wie Herr Marques und Herr Nogueira Román in ihren Berichten unterstrichen haben, sind die Kohäsionsfonds und die Strukturfonds von herausragender Bedeutung für die Entwicklung der meisten Regionen der Union sowohl was die Infrastruktur als auch was die soziale Integration betrifft. Trotz gewaltiger haushaltspolitischer Anstrengungen sind die europäischen Regionen allerdings noch weit von einem gleichen Entwicklungsstand entfernt, und mein Kollege Fruteau ist sehr beunruhigt hinsichtlich der Regionen in äußerster Randlage. Sie werden also verstehen, dass ich in der Perspektive der Erweiterung befürchte, dass die Europäische Union ihren Blick ausschließlich nach Osten richtet. Das hätte für sehr viele der heute geförderten europäischen Regionen dramatische Folgen.

Bitte verstehen Sie mich recht: es geht hier nicht darum, die Erweiterung in Frage zu stellen, die ja der Festigung des Friedens auf unserem Kontinent dient, was in diesen schwierigen Zeiten ein edles und prekäres Ziel ist. Es geht im Gegenteil darum, über die Voraussetzungen für den Erfolg nachzudenken. Ich gehöre zu denen, die der Auffassung sind, dass die Stärkung der Kohäsion eine der Voraussetzungen für den Erfolg der Erweiterung darstellt. Aber der Preis für diese Kohäsion darf nicht den ärmsten Ländern der Union aufgebürdet werden.

Konkret wünsche ich mir, Herr Kommissar, dass die Kriterien für die Förderwürdigkeit nach Ziel 1 und 2 sorgfältig überarbeitet werden, damit die Armut der einen nicht die Hoffnungslosigkeit und Verarmung der anderen besiegelt. Die mit der Erweiterung verbundene Herausforderung ist alles andere als gering. Sie erfordert Solidarität. Vergessen wir nicht, dass sie nur zu bewältigen ist, wenn man sie versteht und akzeptiert.

 
  
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  Pittella (PSE).(IT) Herr Präsident! Die Erklärungen sowohl des Rates als auch von Herrn Kommissar Barnier, die wir heute gehört haben, sowie sämtliche Redebeiträge der Kolleginnen und Kollegen haben eindeutig bestätigt, dass die Kohäsionspolitiken weiterhin einen der Grundpfeiler der Unionspolitik bilden und angesichts der Erweiterung nicht nur erneuert, sondern auch verstärkt werden müssen.

Allerdings stellen sich meines Erachtens anderweitige Probleme, von denen ich einige nennen möchte. Erstens: Ist das Instrumentarium, mit dem wir in den vergangenen Jahren die zunehmend differenzierter werdenden Ungleichgewichte geregelt haben, denn noch aktuell? Können allgemeine Indikatoren, wie das Bruttoinlandsprodukt, oder schematische Prozentsätze, wie die 75 Prozent, weiterhin die einzigen Parameter für die Klärung und Klassifizierung der Förderwürdigkeit darstellen? Kann denn noch ein pseudoegalitäres Kriterium Bestand haben, anhand dessen gleiche Maßnahmen für Menschen und Situationen ergriffen werden, die lediglich statistisch gesehen identisch sind?

Zweitens: Haben die Kernprinzipien der Subsidiarität und der Zusätzlichkeit heute noch die gleiche Bedeutung wie vor 20 Jahren, als das Institutionengefüge der Europäischen Union anders gestaltet war? Ist denn der vor einigen Tagen von Herrn Giuliano Amato, dem ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten, unterbreitete Vorschlag einer tief greifenden Reform, bei der die Europäische Kommission für die großen strategischen Investitionen zuständig bleibt und die Entwicklungsmaßnahmen auf lokaler Ebene dezentralisiert werden sollen, wirklich so realitätsfern und gänzlich unmöglich?

Ich hoffe aufrichtig, bei der Debatte in den kommenden Monaten möge der nötige Mut vorhanden sein, sich auch mit diesen Problemen auseinander zu setzen.

 
  
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  Lage (PSE).(PT) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, Herr Kommissar! Die Kohäsion ist ein Grundpfeiler der Europäischen Union. In der Tat gibt es ohne wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt keinen politischen Zusammenhalt in der Europäischen Union, ungeachtet dessen, was einige Föderalisten denken. Andererseits jedoch gibt es keinen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt ohne politischen Zusammenhalt, so sehr das auch einigen Verfechtern der Souveränität missfallen mag. Die Kohäsionspolitik, die in den letzten Jahren eine wichtige Rolle gespielt hat, wird künftig in Folge der Erweiterung von noch größerer Bedeutung sein. Sie ist sogar eine Voraussetzung für den Erfolg der Erweiterung. Das liegt doch auf der Hand! So ist die Erweiterung, Herr Präsident, mit diesen Paradoxen verknüpft: Zwar wird die Europäische Union ärmer in Bezug auf das Pro-Kopf-Einkommen, doch die derzeit am stärksten benachteiligten Länder werden reicher, als wenn Zahlenzauberei im Spiel wäre. Das ist ein Problem. Mein Land – Portugal – sowie andere Kohäsionsländer können nicht hinnehmen, dass sie in Folge der Erweiterung an den Rand der Kohäsionspolitik gedrängt und zu Opfern eines statistischen Systems werden, durch das sie automatisch die fatale Grenze von 75 % überschreiten.

Ausgehend davon bin ich der Meinung, dass folgende Grundsätze für die künftige Kohäsionspolitik unabdingbar sind:

- Erstens: Verstärkung der für den Zusammenhalt bestimmten Haushaltsmittel; entgegen dem, was der Herr Abgeordnete Walter gesagt hat, darf man dieser Frage nicht ausweichen.

- Zweitens: die Gewähr, dass die Interessen der derzeit am stärksten benachteiligten Regionen und Länder nicht angetastet werden und dass eine gerechte Formel gefunden wird, damit sie weiter in den Genuss der heute bewilligten Hilfen kommen.

- Drittens: eine tiefgreifende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik und ein stärkerer Schutz des ländlichen Raums.

- Viertens: die Festlegung und Umsetzung einer Strategie zur Entwicklung des europäischen Territoriums, die die derzeitigen städtischen Zentren mit hoher Dichte und Konzentration zum Nutzen des gesamten europäischen Territoriums entlastet.

 
  
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  Neyts-Uyttebroeck, Rat.(FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist im Wesentlichen eine Sondierungs- und Orientierungsdebatte bezüglich der künftigen Entwicklungen der Struktur- und Kohäsionspolitik, wie Sie sie wünschen. Ich habe aufmerksam zugehört. Wir werden Ihren Anregungen natürlich Rechnung tragen. Aber für heute möchte ich es bei dieser kurzen Reaktion bewenden lassen.

 
  
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  Barnier, Kommission. – (FR) Herr Präsident, wie Frau Ministerin Neyts-Uyttebroeck habe auch ich die hier vorgetragenen Bemerkungen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Das wird Sie nicht wundern, hatte ich doch selbst den Wunsch geäußert, dass die Debatte in diesem Anfangsstadium mit viel Offenheit geführt wird und Kritiken, so sagte ich vorhin, oder Anregungen geäußert werden.

Ich muss Ihnen sagen, dass mich die Bemerkungen von Herrn Simpson vorhin sehr getroffen haben. Ich finde sie wirklich ungerecht. In anderer Weise hat auch Herr Izquierdo Collado seiner Ungeduld Ausdruck gegeben. Ich bitte Sie jedoch, der Kommission gegenüber Gerechtigkeit walten zu lassen. Da Herr Simpson auf die Vorgeschichte einging und den Namen einer Frau erwähnt hat, für die ich viel Achtung und Freundschaft empfinde, meine Vorgängerin Frau Wulf-Matthies, möchte ich Ihnen den Zeitplan der vorangegangenen Debatte über die Agenda von Berlin ins Gedächtnis rufen. Das Forum, mit dem die Debatte über die Agenda von Berlin eingeleitet wurde, fand 1996 statt, im Hinblick auf eine Tagung des Europäischen Rates von 1999, die die Agenda für den Zeitraum 2000-2006 beschloss. Drei Jahre vorher! Wenn ich mich nach dem gleichen Zeitplan gerichtet hätte, wäre ich nicht im Januar 2001 zu Ihnen gekommen, um die Debatte zu eröffnen, sondern in zwei Jahren, 2003.

Man komme mir heute nicht mit dem Argument, die Kommission sei nicht aggressiv genug und man erwarte Vorschläge von ihr. Wir haben zwei Jahre im Voraus die Debatte ohne Tabus eröffnet, ohne die Erweiterung abzuwarten. Ich bitte Sie, gegenüber der Kommission gerecht zu sein. Zum gegebenen Zeitpunkt, wenn ich Sie angehört haben werde, wenn ich den Ausschuss der Regionen sowie die Regionen selbst und die Mitgliedstaaten angehört haben werde, können Sie sich darauf verlassen, dass ich Mut und gegebenenfalls auch Aggressivität beweisen und weit gehende Vorschläge unterbreiten werde. Aber verlangen Sie heute nicht von mir, eine Debatte abzuschließen, die ja gerade erst begonnen hat, und zwar mit zwei Jahren Vorsprung gegenüber den üblichen Verfahren. Ich habe auf Transparenz gesetzt und auf Offenheit gegenüber dem Europäischen Parlament. Da finde ich es ziemlich ungerecht, dass man mir das heute zum Vorwurf macht.

Herrn Hatzidakis, Frau Schroedter, Herrn Duin, Herrn Gasòliba i Böhm und Herrn Markov, die, wenn ich sie richtig verstanden habe, in ihren Beiträgen den Akzent stärker auf das gegenwärtige Management gelegt haben, möchte ich sagen, dass ich mich vielen ihrer Bemerkungen, ihren Appellen zu einer besseren Mittelausschöpfung, zur Einhaltung der Verpflichtungen, zum Bemühen um eine echte Partnerschaft in den Regionen anschließe. Und zusammen mit den Mitarbeitern der Generaldirektion achte ich äußerst streng darauf, dass die Begriffe, die in den Verordnungen stehen – Partnerschaft, Mittelausschöpfung, Strenge, Parität und andere – auch in die Realität umgesetzt werden.

Herr Hatzidakis, ich werde in einigen Tagen vor Ihrem Ausschuss erscheinen, um Bilanz zum Zeitraum 1994-1999 und auch zur Mittelausschöpfung im vorangegangenen Zeitraum zu ziehen, die hoffentlich jetzt endgültig feststeht, nachdem bisher noch Überhänge von vor 1994 vorhanden waren. Ich will auch Alarm schlagen, was die Vornahme der Mittelbindungen und die ersten Mittelausschöpfungen im gegenwärtigen Zeitraum betrifft. Ich werde dem Ausschuss für Regionalpolitik eine sehr präzise und objektive Bilanz vorlegen.

Herr Markov ist erneut auf die Frage der Grenzregionen eingegangen. Ich muss einräumen, Herr Markov, dass die Antwort, die wir zusammen mit Herrn Verheugen gegeben haben, angesichts der Problematik der Grenzregionen nicht ganz befriedigend war. Aber auch hier bitte ich Sie, heute nicht mehr von mir zu verlangen, als ich geben kann, denn wir arbeiten in dem Rahmen, den Sie wohl kennen und den Sie gebilligt haben, den Rahmen von Berlin. Ich habe einen Finanzrahmen einzuhalten, und ich kann ihn nicht ignorieren. Ich nutze alle Flexibilitätsmargen und Handlungsspielräume, aber ich bewege mich bis 2006 in dem Rahmen von Berlin und kann diesen nicht sprengen.

Herr Pohjamo hat, wie auch andere Redner, die Finanzierung der Erweiterung angesprochen. Die Entscheidungen trifft nicht die Kommission, Herr Pohjamo. Das tut der Rat, der Rat der Staats- und Regierungschefs im Jahre 2006, auf der Grundlage der von uns zu unterbreitenden Vorschläge. Ich will Ihnen hierzu sagen, wie ich etwas später auch Herrn Nogueira Román, Herrn Walter, Herrn Mastorakis und Herrn Pittella hätte sagen können, die die Ziele und Werte der Union angesprochen haben, welche sich in dieser Kohäsionspolitik widerspiegeln, nämlich dass wir 2006 gute Finanzbeschlüsse erreichen werden, wenn wir zuvor eine wirkliche, gute politische Debatte führen und wenn, natürlich im Rahmen dieser Debatte und an ihrem Abschluss, die Kommission ihrerseits ihrer Rolle gerecht wird und mutige und starke Vorschläge unterbreitet. Sie können sich auf mich und Frau Diamantopoulou sowie auf Herrn Fischler verlassen, dass wir Positionen und Vorschläge vorlegen werden, die die Kohäsionspolitik fortsetzen und sie zugleich verändern und reformieren. Ich möchte Ihnen auch sagen, dass ich, um diese Herausforderung im Jahr 2004 oder 2005 zu bestehen, darauf angewiesen bin, dass im Vorfeld eine echte Debatte stattfindet. Ich bin darauf angewiesen, dass Sie hier, in Ihren Ländern und im Dialog mit den einen und den anderen den Nutzen dieser Regionalpolitik, ihre Notwendigkeit und ihre Wirkungen unter Beweis stellen. Wenn wir diesen Beweis nicht erbringen, so muss man um die endgültigen Finanzbeschlüsse fürchten. Ich fordere Sie also auf, sich in Ihren Fraktionen, untereinander, unter Ländern und Regionen an dieser Debatte zu beteiligen, auf die ersten Denkansätze zu reagieren, die die Kommission aufgezeigt hat, und selbst Vorschläge zu unterbreiten.

Frau Raschhofer, Sie haben gesagt, dass wir Reformen brauchen. Ich weiß nicht, ob wir uns richtig verstanden haben, aber genau zu diesem Zweck ist die Debatte eröffnet worden, und ich erwarte, dass im Rahmen dieser Debatte Wege zu Reformen aufgezeigt werden. Frau Raschhofer hat ein Wort gebraucht, das ich nicht durchgehen lassen kann, denn man muss auf die Wörter achten, die man verwendet. Sie hat von Betrug gesprochen. Ich bin äußerst genau, ja sogar unerbittlich in dieser Frage der Exaktheit bei der Verwaltung der Strukturfonds. Wahrscheinlich gibt es Fehler. Wahrscheinlich gibt es Verzögerungen und oftmals auch Unregelmäßigkeiten. Aber ich konnte den Berichten des Rechnungshofs sowie des Haushaltsausschusses und des Haushaltskontrollausschusses Ihres Parlaments nicht entnehmen, dass im Zusammenhang mit der Verwaltung der Strukturfonds viele Fälle von Betrug aufgedeckt wurden. Wo etwas vorliegt, handelt es sich um Fehler, Verzögerungen, Unregelmäßigkeiten, die wir mit der Haltung, die ich eben nannte, schrittweise überwinden werden.

Herr Jarzembowski hat sich ebenfalls in die Debatte eingeschaltet, und dafür danke ich ihm. Um Missverständnisse zu vermeiden: als ich von der territorialen Dimension der künftigen Politik sprach. Sie bemerken im Übrigen, Herr Jarzembowski, dass ich den Kohäsionsbericht unter das Motto gestellt habe „Einheit Europas, Solidarität der Völker, Vielfalt der Regionen“. Dabei gehen wir von der Idee aus, dass man vielleicht bei der neuen und zukünftigen Ziel-2-Politik, sofern es noch eine Ziel-2-Politik gibt, was ich mir wünsche, anstelle von ein wenig Bürokratie und Gebietseinteilung, diese Politik dezentralisieren sollte, jedoch ausgehend von einigen europäischen Prioritäten, die wir gemeinsam festlegen müssten. Und im Dienste jeder dieser Prioritäten könnte es ein Finanzinstrument geben, einige Finanzinstrumente im Dienste einiger Schwerpunktziele, die Sie sich wünschen: Hilfe für die Regionen mit ständigen natürlichen Nachteilen, Förderung der Stadtentwicklungspolitik, Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Soweit einige Beispiele für territoriale Ziele. Denkbar wären auch thematische Ziele, wie beispielsweise die Informationsgesellschaft.

Herr Korakas, Sie haben ebenfalls zu mehr Vertrauen und zu mehr Regionalisierung aufgerufen. Einverstanden. Ich werde in der neuen Agenda im Jahr 2004 Vorschläge für mehr Vereinfachung und für Regionalisierung unterbreiten. Die Grenze besteht aus meiner Sicht jedoch darin, dass wir eine Rücknahme oder einen Abbau dieser Kohäsionspolitik nicht zulassen dürfen, die zu den großen, zu den stärksten Gemeinschaftspolitiken gehört und das Herzstück der Solidarität in Europa bildet.

Herr Berend hat wie einige andere Redner eine Kritik zum aktuellen Kriterium des Pro-Kopf-BIP geäußert, die ich akzeptiere oder zumindest verstehe. Ich bin da ganz offen. Ich möchte jedoch bemerken, dass mir dieses Kriterium bislang als das gerechteste und objektivste erschien. Es wird durch alle Mitgliedstaaten akzeptiert. Dank der vorhandenen Instrumente verfügen wir über zuverlässige statistische Angaben. Bevor man dies ändert, muss man gründlich darüber nachdenken, um weiterhin ebenso gerecht und objektiv sein zu können, wie wir es mit dem Kriterium des Pro-Kopf-BIP sind.

Frau Darras, ich möchte Ihnen sagen, dass ich zum gegebenen Zeitpunkt eine Regional- und Kohäsionspolitik vorschlagen werde, die alle Länder der Union betrifft, natürlich mit einer Konzentration, wie wir es auch heute tun, auf die ärmsten Regionen, die ärmsten Länder, denn das ist es, was Kohäsion ausmacht, die im übrigen dazu da ist, dass sie beendet ist, sobald sie erfolgreich war. Ich bin jedoch keineswegs gewillt, eine Politik zu machen, die die anderen Regionen ignoriert, die zwar weniger Schwierigkeiten haben, jedoch noch spezifische Vorhaben und Probleme und oftmals Zonen der Armut. Ich werde also zu gegebener Zeit eine Politik vorschlagen, die mit unterschiedlicher Intensität je nach dem Entwicklungsstand alle Regionen und alle Länder Europas betrifft. Gleichzeitig werde ich mich bemühen – dies als Antwort an Herrn Lage – all diese Regionen fair zu behandeln, um den von mir selbst im Kohäsionsbericht angesprochenen mechanischen Effekt sowie den statistischen Effekt, der bei sofortiger Anwendung möglicherweise die derzeitigen Regionen der Europäischen Union benachteiligen würde, zu vermeiden.

 
  
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  Izquierdo Collado (PSE). – (ES) Herr Präsident, ich möchte kurz auf die Bemerkung des Kommissars eingehen, die ich für unangebracht halte und die vor allem nicht zu ihm passt, denn wir sind bei ihm an einen gewählten Umgang mit dem Parlament und jedem einzelnen Abgeordneten gewöhnt. Vielleicht hat es ein Verständigungsproblem gegeben.

Ich habe Ihnen, Herr Kommissar, lediglich die gleiche Frage gestellt, die Sie an das Parlament gerichtet haben. Sie können mir deshalb nicht sagen, ich sei ungeduldig. Im Januar haben Sie das Parlament im Zweiten Kohäsionsbericht gefragt, welches der vier Kriterien wir unserer Meinung nach anwenden müssen. Das Parlament stellt dieselbe Frage an den Rat und an die Kommission.

Zweitens, Herr Kommissar, befinden wir uns mitten im Erweiterungsprozess. Wir sprechen von einem anderen Zeitpunkt und von einem anderen Zeitabschnitt. Ich möchte deshalb, dass Sie wissen, dass alle meine Bemerkungen von einer konstruktiven Position aus gemacht wurden und dass ich meinen Kampf für die Kohäsion in diesem Parlament nicht erst seit heute, sondern seit vielen Jahren führe.

 
  
  

VORSITZ: ALONSO JOSÉ PUERTA
Vizepräsident

Der Präsident. – Herr Izquierdo hat eine Erklärung abgegeben und dabei seine Position und Absichten erläutert. Ich bin gerade erst in den Plenarsaal gekommen. Meiner Ansicht nach sollte damit keine Debatte unter den Abgeordneten ausgelöst werden. Daher bitte ich Herrn Jarzembowski, es bei einer Frage zur Geschäftsordnung zu belassen.

 
  
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  Jarzembowski (PPE-DE). – Herr Präsident! Es geht nicht an, dass, wenn die Redezeit abgelaufen ist und der Kommissar geredet hat, jeder noch einmal eine neue Debatte anfängt. Ich bitte, das in Zukunft zu verhindern, sonst würde ich nämlich auch gerne noch zwei Minuten reden. Ich kann jedenfalls nur sagen, dass der Kommissar alle unsere Fragen sehr gut beantwortet hat und dass wir ihm großen Dank schuldig sind!

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

 

8. Kohäsionsfonds (1999) - Strukturfonds (1999)
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  Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die gemeinsame Aussprache über die folgenden Berichte im Namen des Ausschusses für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr:

A5-0248/2001 von Herrn Marques über den Jahresbericht der Kommission über den Kohäsionsfonds für 1999 (KOM(2000) 822 - C5-0109/2001 - 2001/2058(COS));

A5-0247/2001 von Herrn Nogueira Román über den 11. Jahresbericht der Kommission über die Strukturfonds (1999) (KOM(2000) 698 - C5-0108/2001 - 2001/2057(COS)).

 
  
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  Marques (PPE-DE), Berichterstatter. – (PT) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Wie der Bericht der Kommission über die Tätigkeit des Kohäsionsfonds für 1999 zeigt, werden – wie in den vorangegangenen Jahren – die unmittelbaren Ziele, für die er errichtet wurde, weiterverfolgt, d. h. die so genannten Kohäsionsländer Portugal, Spanien, Griechenland und Irland in den Bereichen Umwelt und Verkehr mit wirtschaftlichen Infrastrukturen auszustatten. In diesen beiden Bereichen beispielsweise spielte der Kohäsionsfonds eine entscheidende Rolle bei der Schaffung von Infrastrukturen, die für die Entwicklung meiner Region unerlässlich sind. Allein 1999 wurden der Ausbau des Flughafens von Madeira und eine wichtige Anlage zur Behandlung fester Abfälle finanziert.

Doch es gibt noch mehr Gründe, warum wir mit der Tätigkeit des Kohäsionsfonds im Jahr 1999 zufrieden sein können. So wurden bei der materiellen und finanziellen Umsetzung der geförderten Projekte, bei der Aufteilung der Mittelausstattungen in den Bereichen Umwelt und Verkehr, bei der Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften im Umweltbereich, wie auch bei der Aufteilung der Finanzmittel auf die begünstigten Länder die Vorschriften zur Tätigkeit des Fonds weiterhin eingehalten. Ferner wurden im Jahr 1999 keinerlei Fälle von Betrug oder Doppelfinanzierung aus dem Kohäsionsfonds und anderen Gemeinschaftsmitteln festgestellt. Weil 1999 alles normal verlief, weil es das letzte Jahr des Programmplanungszeitraums 1993-1999 war und weil der Bericht der Kommission einen allgemeinen Überblick über die Entwicklung in diesem Zeitraum liefert, schien es wichtiger zu sein, in meinem Beitrag den Beitrag des Kohäsionsfonds zur Umsetzung des Grundsatzes des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, dessen wesentliches Instrument er ist, in den Mittelpunkt zu stellen.

Im Übrigen sei gesagt, dass dieser Grundsatz der Solidarität, ein wahrhafter Stützpfeiler des Vorhabens des europäischen Aufbaus, schon bessere Tage erlebt hat. Insbesondere als die Finanzmittel für die Strukturpolitiken zweimal – 1986 und 1992 – mit dem Ziel verdoppelt wurden, es den Kohäsionsländern zu ermöglichen, sich besser in die durch den großen Binnenmarkt und die Wirtschafts- und Währungsunion ausgelösten Dynamiken einzubinden.

Doch im Juni 1999, als die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf dem Berliner Gipfel über die Strukturfonds für den Zeitraum 2000-2006 im Rahmen der Agenda 2000 beschließen mussten, gab es keine weiteren Verdoppelungen. Es kam sogar zu einer eindeutigen Kürzung. Es war der Gipfel, auf dem die nationalen Egoismen das europäische Interesse eines kohärenteren und ausgewogeneren Europas, das in Jacques Delors und Helmut Kohl unermüdliche treue Verfechter hatte, verdrängten.

Heute nun, Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, ist es angesichts der nahe bevorstehenden Erweiterung und der Notwendigkeit, gegen die daraus erwachsenden gewaltigen Disparitäten vorzugehen, zwingend erforderlich, der Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts neues Leben einzuhauchen. Wir sind überzeugt, dass die Kommission und vor allem Herr Kommissar Michel Barnier dieser Herausforderung gewachsen sein werden. Wir sind uns sehr wohl dessen bewusst, dass die Wiederbelebung der Kohäsionspolitik nicht nur für die Länder notwendig ist, deren Beitritt zur Europäischen Union in naher Zukunft erwartet wird, sondern um - auch nach der Erweiterung - den Kampf gegen den noch immer bestehenden Mangel an Zusammenhalt in der derzeitigen Europäischen Union der Fünfzehn weiterzuführen. Zudem können ja die regionalen Ungleichheiten im derzeitigen Europa der Fünfzehn letztlich die durch den Erweiterungsprozess ausgelösten Dynamiken sogar noch beschleunigen, namentlich in der Beziehung zwischen den Randgebieten und dem Zentrum. Mit anderen Worten: Länder wie Portugal können noch mehr an den Rand gedrängt und das gegenwärtige Zentrum (London, Paris und das Gebiet dazwischen) in seiner zentralen Lage noch mehr gestärkt werden, da es zum Zentrum eines wirtschaftlich vom Westen bis fast zur Ostgrenze reichenden Europas wird. Wir müssen uns bewusst werden, dass die übergroßen regionalen Disparitäten für die Europäische Union eine wirtschaftliche und politische Gefahr darstellen. Eine wirtschaftliche Gefahr, denn wenn wir nicht in der Lage sind, die Ressourcen der rückständigsten Regionen umfassend und effektiver zu nutzen, wird ganz Europa verlieren. Eine politische Gefahr, weil die Europäische Union nicht lebensfähig ist, wenn es auf riesigen territorialen und sozialen Ungleichheiten beruht. Entweder Europa ist kohärent oder es kommt nicht zustande. Das Nichtzustandekommen Europas wäre die große Gefahr, in die man sich begeben würde, wenn die völlig unakzeptable These von der Renationalisierung der Kohäsionspolitiken an Boden gewinnen würde.

Deshalb war aus unserer Sicht die Schaffung des Kohäsionsfonds durch den Vertrag von Maastricht völlig gerechtfertigt. Das wird übrigens in der Bilanz des Kohäsionsfonds für den ersten Zeitraum seiner Tätigkeit von 1993-1999 deutlich. Der Kohäsionsfonds, und das können wir schon jetzt sagen, war ein wichtiger Faktor für die reale Konvergenz, so wie er auch für die Empfängerländer einen starken Anreiz für die Erfüllung der in Maastricht vorgesehenen Kriterien der nominalen Konvergenz gebildet hat. Daher müssen wir uns jedwedem Versuch widersetzen, den Kohäsionsfonds abzuschaffen. Ferner gilt es, aus diesem ersten Zeitraum der Tätigkeit Lehren zu ziehen, um die Wirksamkeit des Kohäsionsfonds weiter zu vervollkommnen.

 
  
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  Nogueira Román (Verts/ALE), Berichterstatter. – (PT) Herr Präsident, Herr Kommissar! Die im 11. Jahresbericht über die Strukturfonds von der Kommission übermittelten Daten, die vom Zweiten Bericht über den Kohäsionsfonds bestätigt werden, zeigen, dass trotz der im Zeitraum 1994-1999 unternommenen Haushaltsanstrengungen die vor 1994 bestehenden großen sozialen und territorialen Ungleichheiten nicht beseitigt wurden. Die anfänglichen großen regionalen Unterschiede bestanden fort oder nahmen zu. Das zeigt sich darin, dass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen von 10 % der Bevölkerung in den reichsten Regionen der Union noch 2,6 mal höher ist als das Einkommen von 10 % der Bevölkerung in den am wenigsten entwickelten Regionen. Es wurden noch nicht einmal die territorialen Ungleichheiten behoben, die in bestimmten Staaten mit Ziel-1-Regionen wie Italien, Spanien und Griechenland herrschten. Vielmehr wurde in den letzten Jahren der Raum gestärkt, der sich von London nach Paris und Hamburg erstreckt, eine große zentrale Region, wo auf nur einem Siebentel der Fläche Europas ein Drittel der Bevölkerung lebt und in die fast die Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung fließt, eine Region mit einer hohen Konzentration von Städten und Arbeitsplätzen, die die eigentliche, nachhaltige Entwicklung der Europäischen Union gefährdet.

Leider gibt es hier keinerlei Anzeichen für eine positive Trendwende in den kommenden Jahren. Die in der Agenda 2000 für den geltenden Zeitraum beschlossenen Haushaltsmittelansätze sind stark restriktiv, so dass der für die Kohäsionspolitik veranschlagte Anteil des BIP der Europäischen Union 1999 bei 0,46 % liegen und 2006 nicht über 0,31 % hinauskommen würde, was gegenüber 1994 einen Rückschritt bedeutet. Zudem genügt es, einen Blick auf die Erfahrung der deutschen Wiedervereinigung zu werfen, um zu begreifen, dass sich das Problem mit dem Beitritt der Kandidatenländer noch verschärfen wird, wenn wir nicht alles unternehmen, um hier Abhilfe zu schaffen.

Angesichts dessen müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir, wenn wir von der Politik der Strukturfonds sprechen, nicht „ein Problem mehr“ behandeln, sondern im Gegenteil von einem grundlegenden Problem sprechen, weil nämlich der Inhalt des politischen Europas in erheblichem Maße von der positiven Entwicklung der Kohäsionspolitik abhängt. Und das sowohl bei den Ziel-1-Regionen der gegenwärtigen EU, die noch auf die Kohäsionspolitik angewiesen sind, als auch bei den neuen Mitgliedstaaten, die Haushaltsmittel benötigen werden, die keine zusätzlichen oder ergänzenden Mittel sein dürfen. Wenn wir nicht genau diese Entscheidung treffen, werden wir es mit dem unannehmbaren Paradoxon zu tun haben, dass die für die neuen Staaten notwendige Kohäsionspolitik mit Geld aus dem Haushalt bezahlt wird, das heute für die am wenigsten entwickelten Länder der Union bestimmt ist.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir dürfen nicht zulassen, dass die Europäische Union im Bereich der territorialen und sozialen Entwicklung zurückweicht. Das politische Europa wäre nicht was es ist, hätte man auf die Kohäsionspolitik verzichtet. Es wäre scheinheilig oder unverantwortlich, eine Sache zu wollen und die für die andere Sache erforderlichen Finanzmittel zu verweigern. Vor diesem Hintergrund dürfen wir meiner Ansicht nach nicht zögern eine Entscheidung zu treffen, die für den kommenden Programmplanungszeitraum eine Aufstockung des Haushalts der Union sichert, die deutlich über 1,2 % des gemeinschaftlichen BIP liegt.

 
  
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  Kratsa-Tsagaropoulou (PPE-DE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Rechte der Frau und Chancengleichheit. – (EL) Herr Präsident! Der Ausschuss für die Rechte der Frau hält die Initiative der Europäischen Kommission, die Chancengleichheit von Mann und Frau als horizontales Aktionsziel zu präsentieren, für einen bedeutenden Gesichtspunkt dieses Berichts.

Die Initiative hat sowohl einen politischen als auch einen symbolischen Gehalt. Sie macht deutlich, dass die Gleichstellung von Mann und Frau ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Anstrengungen für wirtschaftliches Wachstum bei sozialem und regionalem Zusammenhalt ist. Unser Ausschuss drückt jedoch sein Bedauern darüber aus, dass die Präsentation allzu deskriptiv ist und keine exakten Informationen zur Beurteilung und Bewertung sowohl des Zugangs der Frauen zu den Strukturmitteln als auch des Widerhalls der Gemeinschaftsinitiativen zur Förderung der Chancengleichheit beinhaltet.

Mit der neuen Regelung für den Programmzeitraum 2000 bis 2006 stellt das Prinzip der Chancengleichheit zwischen den beiden Geschlechtern ein integrales Ziel dar. Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, anhand von Indikatoren und Statistiken die Ex-ante-Analyse der Programme unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung von Mann und Frau durchzuführen. Hier ist zu betonen, dass die Indikatoren und Statistiken sorgfältig nach Geschlechtern differenziert sein müssen. Das ist im Übrigen eine unverrückbare Forderung des Europäischen Parlaments.

Wir bekräftigen aber ebenso unsere an die Europäische Kommission gerichtete Forderung, sie möge für eine gebührende Berücksichtigung des Prinzips der Gleichstellung der Geschlechter sowie für die Erhebung von Statistiken nicht nur bei der Planung, sondern auch während der Begleitung und Kontrolle der Programme der Strukturfonds für die Erhöhung der Beschäftigung der Frauen, die Sicherung von Qualität und Verträglichkeit der neuen Arbeitsplätze sowie die Schaffung einer Infrastruktur zur Sicherung einer harmonischen Verbindung von beruflichem und familiärem Leben sorgen.

Und schließlich unterstreichen wir die Bedeutung einer zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten abgestimmten Aktion zur Aufklärung der regionalen Funktionsträger und aller Förderberechtigter darüber, welche Möglichkeiten der Politik der Gleichstellung der beiden Geschlechter durch die Strukturfonds gegeben sind.

 
  
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  Avilés Perea (PPE-DE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. – (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar! Das Jahr 1999 war das letzte des ersten Anwendungszeitraums des durch den Maastricht-Vertrag geschaffenen Kohäsionsfonds. Er war als wichtiges Instrument nicht nur für die wirtschaftliche und soziale Kohäsion, sondern auch zur Unterstützung der Länder mit größeren Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme zur Vorbereitung der Einführung der Einheitswährung vollkommen gerechtfertigt. Dieser Fonds war ein wichtiger Faktor für die echte Konvergenz und ein starker Anreiz für die Einhaltung der Maastricht-Kriterien. Die Hilfe wurde für die Realisierung von Infrastruktur- und Verkehrsprojekten sowie von Umweltvorhaben eingesetzt. 99 % der vorgesehenen Hilfen wurden in Anspruch genommen, was zum Teil bedauerlich ist, da es hätten 100 % sein sollen. Aber diese Zahl wurde zum Ende des untersuchten Zeitraums, das heißt 1999, fast erreicht.

Die jüngste Reform der Strukturfonds ist geeignet, die Programmplanung, die Durchführung und die finanzielle Abwicklung der Interventionen spürbar zu vereinfachen, und wir haben die Kommission in der Stellungnahme des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten aufgefordert, die Interventionen mit einer besseren Unterstützung für die nationalen Verwaltungsstellen zu erleichtern. Wir halten es für sehr wichtig, künftig die Aufschlüsselung nach Geschlechtern vorzusehen, wodurch es möglich sein wird, spezifische, auf die Förderung der Frauen gerichtete Aktionen durchzuführen. Die Finanzausstattung ist geringer, als von der Kommission und vom Europäischen Parlament vorgeschlagen. Es ist bedauerlich, dass dies die Erreichung der Ziele im Bereich der Beschäftigung erschweren wird, vor allem, wenn wir die auf dem Gipfel von Lissabon von allen Mitgliedstaaten und den europäischen Institutionen beschlossene Verpflichtung für eine entschiedene Aktion zugunsten der Beschäftigung berücksichtigen.

Positiv ist, dass in den Zielsetzungen die Herstellung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in den Beschäftigungsprogrammen berücksichtigt wird, da dies eines der Gebiete ist, auf denen die Beteiligung der Frauen deutlich niedriger als die der Männer liegt. Daher ist es begrüßenswert, dass die Kommission beschlossen hat, künftig in Übereinstimmung mit den Artikeln 2 und 141 des Vertrags von Amsterdam, geschlechtsspezifische Aspekte in das Gesamtgefüge der Politiken und Gemeinschaftsaktionen zur Verabschiedung horizontaler Maßnahmen für positive Aktionen einzubeziehen.

 
  
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  Berend (PPE-DE). – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kommissar! Jahresberichte haben die Aufgabe, für einen begrenzten Zeitraum Analysen vorzunehmen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Dieser elfte Jahresbericht über die Strukturfonds bezieht sich auf ein Jahr, das gewiss von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der Kohäsionspolitik in der Union ist. Meine Fraktion teilt mit dem Berichterstatter einige vorgeschlagene Maßnahmen und Verbesserungsmöglichkeiten als Resümee hinsichtlich der Umsetzung der Strukturfonds, wie die Beschleunigung der Abwicklung von bewilligten Maßnahmen, wie die tatsächliche Konzentration der Strukturfondsmittel auf Gebiete mit Entwicklungsrückstand oder eine Verbesserung der Vor-Ort-Kontrollen angesichts einer noch recht hohen Betrugsquote.

Wir möchten aber auch kritische Anmerkungen machen und darauf hinweisen, dass manche Bestandsaufnahmen und Schlussfolgerungen des Berichterstatters nicht unsere Unterstützung finden, wie die zu negative Einschätzung der Ergebnisse der Strukturfonds im Planungszeitraum, wie die Verfehlung des Ziels der Regionalpolitik, nämlich Angleichung der Lebensverhältnisse, das angeblich nur teilweise erreicht sei. Ich meine, Herr Kollege Berichterstatter, hier gehen Sie mit einem falschen Ansatz an die europäische Strukturpolitik heran, die sich lediglich um die Verringerung der Disparitäten bemüht und dieses, wie ich meine, auch weitestgehend erreicht hat. Indessen wird es immer eine Diskrepanz zwischen den Lebensverhältnissen in den reichen und armen Regionen der EU, ja selbst innerhalb eines Mitgliedstaates geben. Eine Angleichung von der Strukturpolitik zu erwarten, ist doch unrealistische Traumtänzerei! Hier sollten wir Machbares doch nicht mit Wunschvorstellungen verwechseln.

Zum anderen muss kritisch vermerkt werden, dass trotz aller Bedeutung hinsichtlich des Jahres 1999 der elfte Bericht ein Jahresbericht ist und kein Warenhauskatalog, in dem alle Sorgen und Probleme der Union in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wieder aufgerollt werden müssen. Wenn Berichte etwas bewegen sollen, müssen sie sich auf einige Schwerpunkte konzentrieren, das wissen wir doch als Parlamentarier aus jahrelanger Praxis. Genau das macht dieser Bericht nicht! Wie schon gesagt, es muss nicht falsch sein, was der Berichterstatter schlussfolgert, aber vieles hat in diesem Bericht in der Tat nichts zu suchen! Daher sind wir der Meinung, dass einige Punkte aus diesem Bericht durch das Plenum noch geändert werden müssen.

 
  
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  Pittella (PSE).(IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die heute zur Diskussion stehenden Berichte bestätigen einige Besorgnis erregende Elemente in Bezug auf die Ausführung der Strukturfonds im Zeitraum 1993-1999, aber leider auch in der neuen Programmplanungsperiode, die 2006 auslaufen wird. An erster Stelle ist der enorme am Ende des Zeitraums 1993-1999 unausgeschöpfte Mittelbetrag, der noch bis zum 31. Dezember dieses Jahres verwendet werden kann, zu nennen. Eine nachdrückliche Mahnung etwas mehr als zwei Monate vor Ablauf der Frist halte ich daher für richtig und notwendig. Während es jedoch eines leidenschaftlichen Engagements bedarf, wird indes in bestimmten Regionen und Staaten die drohende Gefahr des Verlustes dieser Mittel in unverantwortlicher Weise ignoriert. Ferner sollten aus den im Zeitraum 1993-1999 begangenen Fehlern und eingetretenen Verzögerungen – sagen wir es so – die Lehren gezogen werden, um eine Wiederholung zu vermeiden. Herr Mastorakis hat Griechisch zitiert, ich möchte ein lateinisches Sprichwort anführen: errare humanum est, perseverare autem diabolicum. Dies ist ein bekannter Satz, der aber offensichtlich bei vielen in Vergessenheit gerät. Die Jahresdaten 2000, die Kommissar Barnier bekannt sind, beruhigen uns keineswegs. Trotz des Drängens gerade seitens des Herrn Kommissars werden die im Rahmen der Strukturfondsreform vorgesehenen Neuerungen nur schwerfällig und schleppend umgesetzt.

Das Parlament muss auch diese Gelegenheit ergreifen, um sein Interventionsrecht und seine Interventionspflicht zu bekräftigen. Als das von den Bürgern direkt gewählte Organ darf sich das Parlament nicht ausschweigen, wenn ein für die Entwicklung der Gemeinschaft und für ihren Zusammenhalt essenzielles Instrument nicht voll zur Anwendung gebracht wird. Deswegen müssen wir – Kommission, Parlament, Rat sowie Regional- und Lokalakteure – Seite an Seite zusammenarbeiten, um eine wesentlich raschere Mittelausführung sicherzustellen und die Ausgaben auf solche Projekte zu konzentrieren, die zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit vor allem der am stärksten benachteiligten Gebiete bzw. jener mit Entwicklungsrückstand beitragen.

Wir müssen allen bewusst machen, dass die Qualität der Ausgaben und die Ausgabenmöglichkeiten, das Kosten-Nutzen-Verhältnis der verschiedenen Ziele und die Ergebnisse der diversen Empfänger zu Schlüsselaspekten der Entscheidungen über die künftige Gestaltung der Kohäsionsstrategie der Union werden.

 
  
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  Ortuondo Larrea (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident, als Erstes wird in den Jahresberichten für 1999 über die Kohäsionspolitik festgestellt, dass sehr dürftige Ergebnisse erreicht wurden. In den elf bzw. sieben Jahren, in denen diese Gemeinschaftsfonds eingesetzt werden, ist das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen Spaniens, Griechenlands und Portugals von 68 % des europäischen Durchschnitts im Jahre 1988 auf 79 % im Jahre 1999 angehoben worden. Das heißt, es ist pro Jahr um durchschnittlich einen Prozentpunkt gewachsen. Bei diesem Tempo wären weitere 21 Jahre notwendig, um die Angleichung an den Durchschnitt der gesamten Europäischen Union zu erreichen.

Ich hege ernsthafte Zweifel am politischen Willen zur Beseitigung der Unterschiede und an der echten Solidarität der Regierungen der Union. Ich sage das, weil, wie mein Kollege Nogueira dargelegt hat, die Fonds der Kohäsionspolitik für den Siebenjahreszeitraum 92-99 im Jahre 1999 einen Anteil von 0,46 % des BIP ausmachten, während diejenigen, die von der Agenda 2000 bis ins Jahr 2006 reichen, nur 0,31 % des Jahres 2006 betragen werden, das heißt, sie werden sich um 15 Punkte verringern. Außerdem gibt es einige, die ihre Beiträge nicht erhöhen wollen und mit diesen geringen Beträgen auch die Solidarität mit den neuen Staaten aus dem Osten abzudecken gedenken, die durch die EU-Erweiterung hinzukommen.

Herr Präsident, wenn wir wirklich an die Chancengleichheit, an die Solidarität und ein wahrhaft vereintes Europa glauben und darauf setzen, müssen wir mit der Knauserei Schluss machen und alle mehr Geld bereitstellen, vor allem die Reichen zugunsten der Ärmsten.

 
  
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  Poli Bortone (UEN).(IT) Herr Präsident! Dass der Kohäsionsfonds eine Schlüsselrolle für die Entwicklung der transeuropäischen Netze und für Umweltvorhaben in den vier Empfängerländern gespielt hat, steht außer Diskussion, ebenso wie er zweifellos als ein bedeutender Faktor für die Wirtschaftskonvergenz in der Europäischen Union zu bezeichnen ist. Es wurden jedoch unterschiedliche Ergebnisse erzielt, über deren Ursache eine anschließende Studie durchgeführt werden sollte.

Tatsächlich bestehen – paradoxerweise – bürokratische Probleme sowie Mechanismen, die noch nicht geordnet sind, speziell in Bezug auf den Zeitpunkt, zu dem die Fondsmittel zugewiesen und zu dem sie verwendet werden: Dies gilt für den Kohäsionsfonds, bei dem die Zahlungsermächtigungen 1999 nicht vollständig in Anspruch genommen wurden, wie auch für die Strukturfonds, bezüglich derer das Ausgabenziel einer hundertprozentigen Ausschöpfung nicht erreicht wurde, sei es, weil ein wesentlicher Teil der Mittelbindungen erst unmittelbar vor Ende des Programmplanungszeitraums vorgenommen wurde, sei es, weil die Auszahlung der verfügbaren Mittel nur schleppend erfolgte, wodurch die Durchführung der Programme durch die Verantwortlichen erschwert wird.

Die Verzögerungen tragen mit Sicherheit nicht zu einer allgemeinen Verbesserung der sozioökonomischen Lage und der Beschäftigungssituation in den betroffenen Regionen bei. Wichtig ist daher für beide Fonds nicht nur die Ex-ante-, sondern vor allem die Ex-post-Bewertung, die wirkungslos wird, wenn sie nicht rechtzeitig erfolgt, wobei ich unter rechtzeitig den Zeitpunkt der Programmplanung für die anschließenden Interventionen verstehe, die nicht rationell erfolgen kann, wenn die Endevaluierung der Vorgängerprogramme noch nicht vorliegt.

Die Bewertung ist allerdings zur Überprüfung der Einhaltung des Grundsatzes der Zusätzlichkeit erforderlich, für den es ganz klare Empfehlungen des Rechnungshofs gibt, die es zu berücksichtigen gilt.

Damit im Zusammenhang steht die Frage, inwieweit die Kommission in der Lage sein sollte, zu der hauptsächlich sozioökonomische und nicht rein buchhalterische Aspekte betreffenden Projektevaluierung detailliertere und vollständigere Angaben zu machen und dabei aufzuzeigen, ob das Ziel einer Verringerung des Entwicklungsgefälles zwischen den Regionen erreicht worden ist oder nicht. Diese Auskünfte sind dem Europäischen Parlament rechtzeitig zu erteilen und nicht – wie es diesmal beim Kohäsionsfonds der Fall war – mit nahezu zweijähriger Verspätung, denn dadurch wird eine Umgestaltung der Interventionen durch die rechtzeitige Korrektur von Funktionsstörungen selbstverständlich verhindert. Eine solche Maßnahme wird angesichts der nunmehr bevorstehenden Erweiterung noch notwendiger.

Schlussendlich muss, ganz kurz zusammengefasst, eine aktive Beteiligung des Europäischen Parlaments am Evaluierungsprozess, d. h. an der Bewertung, ob die Interventionen und die verfolgten Ziele wirksam sind oder nicht, gefordert werden.

 
  
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  Van Dam (EDD).(NL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Zweifellos hat der Kohäsionsfonds in den vergangenen Jahren zur Stärkung der rückständigen Regionen in der Union beigetragen. Falsch wäre es jedoch, davon auszugehen, wir bräuchten nicht zu prüfen, ob der Kohäsionsfonds in seinem derzeitigen Umfang angemessen ist.

Der bevorstehende Beitritt einiger neuer Mitgliedstaaten dient dabei lediglich als Ansporn. Ich finde es sinnvoll, dass Kollege Marques sowohl die Ziele, Instrumente als auch die Kriterien des Kohäsionsfonds nennt. Der Kohäsionsfonds wurde eingerichtet, um den Mitgliedstaaten zu helfen, die Konvergenzkriterien im Hinblick auf die WWU zu erfüllen. Das steht außer Zweifel. Für die Unterstützung anderer Ziele haben wir die Strukturfonds.

Der Beitritt zwingt uns zur Beurteilung und Bewertung der Strukturpolitik, auch des Kohäsionsfonds. Meiner Meinung nach sind allerdings weniger Änderungen vonnöten. Gleichwohl gilt es, den Fonds nur dafür zu verwenden, wofür er gedacht ist. Dann kann das derzeitige System auch nach dem Beitritt noch vielen erfolgreichen Jahren entgegensehen.

 
  
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  Ripoll y Martínez de Bedoya (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren Berichterstatter und Verfasser der Stellungnahmen! Ich möchte kurz an die Berichte anknüpfen, die wir gerade diskutieren, und erklären, dass wir uns, wie wir bereits gesehen haben, hier in einer wichtigen Debatte befinden, die für die Zukunft des europäischen Aufbaus wie auch für die Errichtung des erweiterten Europas wegweisend ist.

Wir sprechen über Fonds, die zu einem bestimmten Zeitpunkt mit bestimmten Zielen, nämlich zur Durchsetzung einer Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, geschaffen wurden. Diese Politik war auf der einen Seite fraglos erfolgreich, aber auf der anderen sehen wir auch, dass die Unterschiede, wie die Berichte zeigen, weiter bestehen. Heißt das, dass diese Politik gescheitert ist? Ich würde eher sagen, es bedeutet, dass die Politik nicht nur für die Kohäsionsländer, für die ärmsten Regionen, die beträchtliche Hilfen erhalten, erfolgreich ist, sondern auch für andere Regionen, in reichen Ländern, auf welche diese Hilfen zurückwirken. Zu guter Letzt wird eine expansive Bewegung in ganz Europa erzeugt, und über die Strukturfonds und den Kohäsionsfonds ziehen diese Regionen in den wohlhabenderen Ländern schließlich Vorteile aus den Hilfen, weil Technologien gekauft werden, weil von jenen Ländern, in denen sich der technologische Fortschritt vollzieht, Investitionen ausgehen. Vielleicht liegt darin auch der Grund für das Fortbestehen der Unterschiede nach den großen Hilfen und umfangreichen Investitionen, die mit Hilfe des Kohäsionsfonds ausgeführt werden.

Nun stehen wir vor der Problematik, die sich aus der Erweiterung ergibt. Muss der Kohäsionsfonds geändert werden? Werden die ärmsten Regionen keine Mittel aus dem Fonds mehr erhalten? Werden die bisherigen Empfängerstaaten der Hilfe zugunsten der neuen Beitrittsländer diese Mittel nicht mehr bekommen? Dies ist meiner Meinung nach die große Herausforderung, vor der der Kommissar steht und vor der auch wir selbst als Parlament stehen. Ich meine, dass die Fonds beibehalten werden müssen, dass wir ideenreich sein müssen und dass es uns gelingen muss, die Mittel weiterhin für alle Regionen bereitzustellen. Andernfalls wird der Abstand am Ende noch größer werden.

Wir müssen Anstrengungen unternehmen, damit die Länder der Erweiterung ebenfalls zu Wirtschaftsmotoren werden, die es ermöglichen, dass diese Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts schließlich zu einem viel gerechteren, viel freieren Europa führt. Wir haben Beispiele aus jüngster Zeit dafür, was aus Armut und Fanatismus entsteht.

 
  
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  Izquierdo Collado (PSE). – (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar! Im Ausschuss für Regionalpolitik haben wir Herrn Nogueira bereits erklärt, dass wir mit seiner negativen – oder zumindest übermäßig kritischen – Wahrnehmung der Anwendung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts nicht übereinstimmen.

Ich würde mich nicht scheuen zu sagen, dass diese Einschätzung angesichts der hervorragenden Ergebnisse positiv, ja mehr als das, sein muss. Davon ausgehend möchte ich einige ganz konkrete Bemerkungen zu diesen beiden Berichten über die Anwendung der Fonds in den jeweiligen Jahren machen. Die Informationen sind in der Tat gut, vor allem weil die Empfehlungen des Parlaments eingehalten wurden. Das umweltpolitische Gleichgewicht zwischen den Investitionen in das Eisenbahnwesen und in die Infrastrukturen für den Straßenverkehr entspricht genau der Empfehlung des Parlaments. Es gibt keinen Bericht über Betrugsfälle bei der Anwendung dieser Fonds, und eine weitere Reihe statistischer Kriterien wird ordnungsgemäß ausgeführt.

Aber wir sind nicht der Rechnungshof. Was wir in diesen Berichten vermissen, ist ein stärker qualitativer Charakter: Wir wollen wissen, welche qualitative wirtschaftliche und politische Auswirkung diese Investitionen haben, in welchem Maße sich der Metabolismus dieser Regionen verändert, inwieweit die Regierungen die richtigen Investitionen beschließen, indem sie sich auf die Investitionen im produktiven Bereich konzentrieren, so wie dies die Strukturpolitik fordert. Das vermissen wir in den Berichten über die Anwendung des Kohäsionsfonds.

Ich meine damit alle Aspekte. Im nächsten Jahr werden wir die Berichte über die Anwendung der Strukturfonds und des Kohäsionsfonds in den Jahren 2000 und 2001 prüfen müssen. Die Zahlen werden nicht gut sein, aber ich will sie nicht im Voraus verurteilen, denn wenn die Kommission nachweist, dass sie im Hinblick auf die Programmplanung gut verwendet wurden, dann wird dies ein qualitatives Element sein, das vom Parlament zu berücksichtigen sein wird.

 
  
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  Esclopé (EDD). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar! Dieser elfte Jahresbericht über die Strukturfonds erweist sich, obwohl er der letzte Bericht des Programmplanungszeitraums 1994-1999 ist, als sehr aufschlussreich. Zunächst stimmen wir der Feststellung des Berichterstatters, Herrn Nogueira Román, im Hinblick auf den Mangel an quantitativer Analyse und genauer Evaluierung dieser Fonds zu. Europa ist auf ein wirkliches Feedback bezüglich der bereitgestellten Finanzmittel angewiesen, um die wirksame Projektdurchführung und die ordnungsgemäße Verwendung der öffentlichen Gelder zu kontrollieren und um die neuen Programme zu optimieren.

Außerdem höre ich von den Bürgern meiner Region immer wieder dieselben Kritikpunkte: zu kompliziert, zu bürokratisch und zu langsam. Nach meinem Dafürhalten bevorzugen wir nicht in ausreichendem Maße kleinere Strukturvorhaben, für die Einfachheit und Schnelligkeit maßgebliche Voraussetzungen sind, um den konkreten Erfordernissen vor Ort Rechnung zu tragen.

Ich kann nicht umhin mich zu fragen, wieso man einerseits den Willen bekundet, vorrangig die Beschäftigung zu fördern, und dabei insbesondere an die Erklärungen des Europäischen Rates von Lissabon erinnert, während man im Widerspruch dazu nach wie vor weit davon entfernt ist, sich kleinen Projekten zuzuwenden, die von Kleinstunternehmen und KMU durchgeführt werden, obwohl allgemein anerkannt ist, dass diese die meisten Arbeitsplätze schaffen. Es ist unbedingt erforderlich, dass wir uns alle zusammen um eine größere Nähe zu all unseren Mitbürgern bemühen, und das gilt in erster Linie für die Kommission,.

Abschließend möchte ich mich gegen eine Vorgehensweise wenden, die ich persönlich für abnorm und ungerechtfertigt halte. Es geht mir um die mögliche Erpressung durch die Kommission – und ich habe mir meine Worte reiflich überlegt –, die die Gewährung finanzieller Mittel von der strikten Einhaltung ihrer Umweltschutzauflagen abhängig macht. Ich bin voll und ganz mit der zunehmenden Notwendigkeit einverstanden, unsere Umwelt zu schützen, lehne aber gleichwohl dieses pseudoökologische Diktat ab. Ich vertrete die Auffassung, dass es hier zu einer faktischen Zweckentfremdung dieser Mittel kommen kann, die, daran sei erinnert, der Finanzierung von Projekten zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohlstand dienen sollen, um das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Regionen Europas zu bekämpfen.

In Anbetracht des nach wie vor unzureichenden wirtschaftlichen Zusammenhalts frage ich mich schließlich, welche Absichten der Struktur- und Kohäsionsfondspolitik tatsächlich zugrunde liegen. Haben wir es mit einem Druckmittel oder mit wirklicher Wirtschaftshilfe zu tun? Diese Frage sollte gestellt werden.

 
  
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  Barnier, Kommission. – (FR) Herr Präsident, vielen Dank Ihnen beiden, Herr Marques und Herr Nogueira Román, für Ihre sehr guten Berichte, und vielen Dank allen Rednerinnen und Rednern für Ihre Stellungnahmen.

Zu dem Bericht von Herrn Marques möchte ich feststellen, dass der Jahresbericht 1999 tatsächlich verspätet vorgelegt wurde, und zwar im Januar 2001. Dies war auf Probleme im Zusammenhang mit der Umstrukturierung unserer Generaldirektion zurückzuführen. Ich kann Ihnen schon jetzt versichern, dass der Jahresbericht 2000 bereits fertiggestellt wurde und sehr wahrscheinlich Anfang Oktober vom Kollegium angenommen wird.

Ich möchte kurz auf vier Punkte eingehen. Erstens eine insgesamt vollständige finanzielle Ausschöpfung während des gesamten Programmplanungszeitraums. Es stimmt, dass die für 1999 verfügbaren Mittel für Zahlungen nicht vollständig, sondern nur zu 91,6 % ausgeschöpft wurden. Diese nicht vollständige Ausschöpfung der verfügbaren Mittel ist de facto darauf zurückzuführen, dass eine große Zahl von Zahlungsanträgen erst im Dezember 1999 bei der Kommission einging. Als positiv möchte ich jedoch die Tatsache hervorheben, dass 1999 keinerlei Fälle von Betrug oder Doppelfinanzierung durch den Kohäsionsfonds und andere gemeinschaftliche Finanzinstrumente festgestellt wurden. Ich habe stets Wert darauf gelegt, das Parlament regelmäßig über die Ausführung des Haushaltsplans zu informieren und werde dies auch in Zukunft so halten.

Zweitens das Gleichgewicht zwischen den Investitionen in den Bereichen Verkehr und Umwelt, auf das ich ebenso wie Sie Wert lege.

Drittens verstehe und unterstütze ich Ihren Wunsch, dass die Kommission mehr Mittel für die Kontrollen vor Ort bereitstellen soll. Auch hier machten sich die Folgen der Umstrukturierung der Dienststellen bemerkbar, insbesondere die Dezentralisierung der Kontrollmaßnahmen. Es ist nunmehr Aufgabe unserer Generaldirektion, die Kontrollen vor Ort durchzuführen. Dies gilt für die Kohäsionsfondsinterventionen, aber auch für sämtliche im Rahmen der Strukturfonds kofinanzierten Maßnahmen.

Viertens, Herr Marques, hat die Koordinierung des Kohäsionsfonds mit den Strukturfonds durch die neue Regelung für den Zeitraum 2000-2006 sowie im Rahmen der Generaldirektion durch die integrierte Leitung der verschiedenen für die Überwachung des Kohäsionsfonds und der anderen Strukturfonds zuständigen Dienststellen wichtige Impulse erhalten.

Das sind im Telegrammstil, so wie es mir von Ihnen, Herr Präsident, nahegelegt wurde, die Anmerkungen, mit denen ich kurz auf die vier mir wichtig erscheinenden Punkten des Berichts von Herrn Marques eingehen wollte, bei dem ich mich hiermit bedanke.

Auch zu dem Bericht von Herrn Nogueira Román, dem ich ebenfalls für die sehr gute Arbeit danke, möchte ich vier Anmerkungen machen. Erstens, was die Durchführung der Fonds im Jahr 1999 betrifft, so wurden 99 % der für den Zeitraum 1994-1999 vorgesehenen Mittel gebunden und 75 % ausgezahlt. Das ist meines Erachtens eine alles in allem zufrieden stellende Zahl. Wie Sie wissen, meine Damen und Herren, kann die Zahlung der Mittel vor Ort gemäß den einschlägigen Vorschriften bis zum 31. Dezember dieses Jahres erfolgen. Die Zahlungsermächtigungen werden meines Erachtens vollständig ausgeführt, und ich arbeite seit zwei Jahren - wobei die Arbeit bereits vor meiner Ankunft begonnen wurde - mit den Mitgliedstaaten daran, die bestmögliche Mittelinanspruchnahme sicherzustellen. Das ist ein Anliegen, das Herr Pittella soeben geäußert hat. Die Verspätungen beim Beginn bestimmter Programme in den Jahren 1994 und 1995 wurden also bei den meisten Aktionen während des Programmplanungszeitraums aufgeholt. Eine verbesserte Durchführung ist auch bei den Programmen im Rahmen der Gemeinschaftsinitiativen zu verzeichnen, bei denen es jedoch zu den größten Verzögerungen kam. Gewiss, darauf weist der Berichterstatter mit Recht hin, waren am Ende des Jahres 1999 noch Mittelbindungen in beträchtlicher Höhe abzuwickeln. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass ein wesentlicher Teil der Mittelbindungen erst unmittelbar vor Ende des Programmplanungszeitraums vorgenommen wurde. Ich möchte jedoch klarstellen, dass sich die Lage im Jahr 2000 deutlich gebessert hat, konnten doch die noch abzuwickelnden Verpflichtungen von Ende 1999 auf 47 % abgesenkt werden. Um die Informationen des Parlaments zu diesem Thema zu ergänzen, erstellte die Kommission Ende Juni 2001 einen vollständigen Bericht über die in sämtlichen Ausgabenkategorien noch abzuwickelnden Verpflichtungen, die aus dem normalen Rahmen fallen.

Zweitens hat es der Berichterstatter begrüßt, dass das 1999 behandelte horizontale Thema die Chancengleichheit von Männern und Frauen im Rahmen der Strukturfondsprogramme war. In Bezug auf die Strukturfonds des gegenwärtigen Zeitraums kann ich bestätigen, dass die Chancengleichheit von Männern und Frauen eines der Kriterien für die Zulässigkeit der von den Mitgliedstaaten eingereichten Pläne war, und Sie können sich darauf verlassen, dass Anna Diamantopoulou diesbezüglich sehr wachsam ist, ebenso wie Herr Kratsa-Tsagaropoulou und Frau Avilés Perea, wie ich vorhin feststellen konnte. Für den Zeitraum 1994-1999 mussten die Mitgliedstaaten hingegen keine Angaben über den Zugang der Frauen zu den Strukturfonds übermitteln. Daher mangelt es uns für diesen Programmplanungszeitraum an detaillierten Informationen zu diesen Themen.

Drittens die Zusätzlichkeit, die im Gegensatz dazu ein Thema ist, das beim Berichterstatter und in einigen Fällen auch bei mir Fragen aufwirft. Diesbezüglich kann ich bestätigen, dass die Kommission die Einhaltung dieses Grundsatzes im Rahmen der Ex-ante-Bewertung der neuen Programme für den Zeitraum 2000-2006 sehr wohl überprüft hat. Was den vorangegangenen Zeitraum betrifft, so wird die Kommission ihre endgültige Überprüfung der Zusätzlichkeit Ende 2002 abschließen. Ich teile die von Ihnen vertretene Meinung, dass es stärkere Sanktionsmöglichkeiten für den Fall geben müsste, dass Mitgliedstaaten gegen das Zusätzlichkeitsprinzip verstoßen. Wie Sie wissen, sind solche Sanktionen in der Verordnung zu den Fonds für den Zeitraum 2000-2006 nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber, insbesondere der Rat, hatte sich bei der Annahme der Verordnung entschieden dagegen ausgesprochen. Wir verfügen jedoch über bestimmte Instrumente für den Fall, dass die Zusätzlichkeit nicht eingehalten wird, und erforderlichenfalls werde ich diese Instrumente in Abstimmung mit meinen Kollegen anwenden.

Was schließlich die Bewertung und Kontrolle betrifft, so wurde, wie Ihnen bekannt ist, die Ex-ante-Halbzeitbewertung bzw. die Ex-post-Bewertung voll und ganz in den Programmplanungszyklus für den Zeitraum 2000-2006 einbezogen. Die Kommission hat gerade die Ex-post-Bewertung für die Ziele 1 und 2 des Zeitraums 1994-1999 sowie die thematische Bewertung in Bezug auf die Informationsgesellschaft, die nachhaltige Entwicklung sowie kleine und mittlere Unternehmen auf den Weg gebracht. Daraus werden sich ebenso wie aus den im Jahr 2003 durchzuführenden Halbzeitbewertungen Antworten auf noch offene Fragen ergeben, und ich werde dem Europäischen Parlament selbstverständlich die Ergebnisse mitteilen.

Viertens wird, was die Kontrollen betrifft, dieselbe Wachsamkeit herrschen, wobei die Kommission in dieser Hinsicht nunmehr eine andere Rolle spielt. Bekanntlich sind jetzt die Mitgliedstaaten für die Kontrollen vor Ort zuständig und müssen der Kommission regelmäßig Bericht erstatten. Wir werden unsererseits überprüfen - und tun dies bereits -, inwieweit die einzelnen Mitgliedstaaten über ein zuverlässiges System zur Durchführung umfassender Kontrollen vor Ort sowie auf staatlicher Ebene verfügen. Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass die Zahl der Vor-Ort-Kontrollen 1999 ebenfalls angestiegen ist, und zwar auf 120 gegenüber 100 Kontrollen im Jahr 1998.

Abschließend möchte ich noch einmal bekräftigen, dass die Kommission unverändert an den Grundprinzipien der Strukturfonds festhält: Konzentration, Zusätzlichkeit und Partnerschaft sowie bestmögliche Koordinierung mit dem Kohäsionsfonds.

In Ihren Berichten legen Sie uns nahe, meine Herren Berichterstatter, noch effizienter und wachsamer zu sein. Ich möchte Ihnen sagen, dass ich persönlich überzeugt bin, dass wir Ihren Erwartungen bereits bei der Untersuchung der Ergebnisse und der Bewertung für das Jahr 2000 besser gerecht werden können. In dem betreffenden Jahr wurden die neue Programmplanung sowie einige neue Vorschriften auf den Weg gebracht. Ich denke, dass wir in der Lage sein werden, mehr positive Ergebnisse vorzulegen, die Ihrer Aufforderung und Ihrer Wachsamkeit entsprechen.

 
  
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  Der Präsident. – Vielen Dank, Herr Kommissar.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 11.00 Uhr statt.

 

9. Genitalverstümmelungen bei Frauen
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht (A5-0285/2001) von Frau Valenciano Martínez-Orozco im Namen des Ausschusses für die Rechte der Frau und Chancengleichheit über Genitalverstümmelungen bei Frauen (2001/ 2035(INI)).

 
  
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  Valenciano Martínez-Orozco (PSE), Berichterstatterin. – (ES) Herr Präsident, meine Damen und Herren, meine Damen und Herren Kommissionsmitglieder! Weltweit sind 130 Millionen Frauen Opfer dieser Genitalverstümmelungen geworden. Zwei Millionen Mädchen werden Jahr für Jahr dieser grausamen Praxis unterzogen. Heute ist es am Europäischen Parlament, die Situation, unter der Millionen von Frauen leiden, öffentlich anzuprangern.

Wir haben uns bemüht, bei der Anfertigung dieses Berichts auf der Grundlage des Konsenses mit allen Fraktionen zusammenzuarbeiten. Wir haben die Meinung von Sachverständigen, betroffenen Regierungen und Nichtregierungsorganisationen eingeholt. Es ist unser erklärtes Ziel, diese Gemeinschaften, in denen die Genitalverstümmelung bei Frauen praktiziert wird, von der Notwendigkeit zu überzeugen, diese Praxis abzuschaffen.

Die Bräuche der völligen oder teilweisen Entfernung der weiblichen Geschlechtsorgane haben ihre Wurzeln in einer grundlegend ungerechten Auffassung von der Rolle der Frauen in einer Gesellschaft, in der sie als minderwertige Bürgerinnen betrachtet werden, deren Kontrolle in den Händen jener liegt, die die Entscheidungsgewalt besitzen, und das sind in den meisten Fällen die Männer.

Die Verteidigung dieser Traditionen hat für uns Frauen eine ganz klare Grenze. Sie besteht im Schutz der Menschenrechte. Es gibt kein Brauchtum, in dessen Namen hingenommen werden darf, dass Frauen für den Rest ihres Lebens schwer und unwiderruflich verstümmelt werden. Deshalb haben die Information, Bildung und Sensibilisierung im Hinblick auf die Auswirkungen, die für das Leben der Frauen unheilvoll sind, auch wenn die meisten von ihnen es nicht wissen, so grundlegende Bedeutung. Sie werden unter einer unumkehrbaren Verstümmelung leiden, kennen aber überhaupt nicht die wirklichen Folgen dieser Tatsache.

Der von uns verfasste Bericht fordert die Kommission, den Rat und die Mitgliedstaaten auf, eine umfassende Strategie zu erarbeiten, die nicht nur eine Bestrafung vorsieht, sondern auch alle von dieser Frage betroffenen Bereiche umfasst: den sozialmedizinischen, den gerichtlichen, den rechtlichen, den politischen usw. Wir betrachten die Genitalverstümmelung bei Frauen als eine gravierende Verletzung der Menschenrechte, und ausgehend von dieser Erwägung ersuchen wir, die logischen Schlussfolgerungen zu ziehen: den Frauen Asylrecht zu gewähren, die dieser Lage entfliehen wollen, sie aufzunehmen, damit sie diesem unumkehrbaren Eingriff in ihr Leben entgehen können.

Nach der Genfer Konvention und dem Flüchtlingsstatut muss die Verfolgung aus Gründen des Geschlechts ein Grund für die Gewährung des Asylrechts darstellen. Es gibt keine andere Verfolgung aus Gründen des Geschlechts, die eindeutiger ist als diese. Man kann seine politischen Überzeugungen aufgeben. Man kann seinem religiösen Glauben entsagen. Aber man kann sich nicht von dem Geschlecht trennen, mit dem man geboren wurde. Wenn wir es also mit einer barbarischen Verletzung der Grundrechte zu tun haben, müssen wir diesen Frauen auch die Möglichkeit zur Erlangung des Flüchtlingsstatuts einräumen. Ich glaube, dass die von der Kommission in diesen Tagen vorgelegte Richtlinie über die Normen betreffend die Bedingungen, die von Staatsangehörigen eines dritten Landes erfüllt werden müssen, die das Flüchtlingsstatut beantragen, in diese Richtung geht, und das wäre sehr wichtig. Für uns handelt es sich um eine prinzipielle Frage, und wir können auf diese Forderung nicht verzichten.

Der Bericht fordert auch die Erhöhung der Außenhilfe für jene afrikanischen Länder, die gesetzliche und administrative Maßnahmen zum Verbot und zur Ahndung dieser Praxis ergriffen haben. Wir rufen außerdem die Europäische Kommission auf, eng mit den Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, die gewaltige Anstrengungen vor Ort unternehmen, sehr häufig mit äußerst geringen Mitteln. Wir fordern gleichzeitig, die Menschenrechtsklausel geltend zu machen, den Kampf gegen die Genitalverstümmelungen in einen vorrangigen Aktionsbereich in den Beziehungen zu Drittländern zu verwandeln, insbesondere jenen, die im Rahmen des Abkommens von Cotonou enge Beziehungen mit der Europäischen Union unterhalten.

Meine Damen und Herren! Viele Frauen, Tausende afrikanischer Frauen warten darauf, was wir zu dieser Frage zu sagen haben. Das ist kein Problem der afrikanischen Frauen. Es ist unser aller Problem, denn es geht um die grundlegenden Menschenrechte. Sie warten, und wir müssen ihnen dringend eine Antwort geben.

 
  
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  Dell'Alba (TDI), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit. – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich eine Kleinigkeit berichtigen. Ich spreche im Namen des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit und nicht im Namen des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung.

Ich bin besonders froh darüber, dass man mich als Verfasser der Stellungnahme zu dieser so wichtigen Frage benannt hat, die in den Entwicklungsländern, anders als in den EU-Mitgliedstaaten, so viele Frauen betrifft. Ich freue mich darüber, dass mein Bericht vom Ausschuss einstimmig angenommen wurde. Einstimmig angenommene Beschlüsse werden oftmals gering geschätzt, weil man einen gewissen Mangel an Aufmerksamkeit unterstellt. Ich glaube jedoch, dass die Mitglieder des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit in diesem Fall ganz bewusst ihre Stimme abgegeben haben, weil sie von den einzelnen Abschnitten unserer Stellungnahme überzeugt sind.

Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen auf zwei Punkte aufmerksam machen, abgesehen von der einstimmigen Annahme, die ja ein wenig im Widerspruch zu der Debatte steht, welche in einigen Fraktionen nach wie vor für Aufregung sorgt.

Zunächst das Asylrecht. Wir haben uns dafür ausgesprochen und Frau Valenciano schlägt dem Rat, der Kommission und den Mitgliedstaaten in ihrem diesbezüglichen Bericht vor, dass zu den Voraussetzungen für die Gewährung des Asylrechts auch das Risiko einer drohenden Genitalverstümmelung bei Frauen zählen muss, als eines der Verbrechen, die einen unmittelbaren Anspruch auf Asyl in den EU-Mitgliedstaaten begründen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, der einstimmig angenommen wurde. Deshalb hoffe ich, dass das Parlament auch morgen mehrheitlich für diesen Abschnitt stimmt.

Was nun das Geld betrifft, so haben wir 10 Millionen Euro zur Finanzierung sämtlicher Bemühungen gefordert, die darauf gerichtet sind, den betreffenden Ländern bei der Überwindung dieser Situation zu helfen. Ich hoffe, dass diese Forderung morgen vom Parlament angenommen wird und dass der Haushaltsausschuss dem folgt, was der Ausschuss für Entwicklung und Zusammenarbeit im Augenblick noch nicht getan hat.

 
  
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  Turco (TDI), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten. – (IT) Herr Präsident! Zunächst möchte ich der Kollegin Valenciano für die von ihr geleistete Arbeit danken, die auf einem von 316 Mitgliedern unterzeichneten Entschließungsantrag basiert. Möglicherweise ist dies mit ein Grund für die einstimmige Annahme des Berichts im Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten. Das von dem Kollegen Dell’Alba und der Kollegin Valenciano angesprochene gewichtige Kriterium für die Anerkennung des Anspruchs auf Asyl ist auch für unseren Ausschuss einer der Kernpunkte bei dem Kampf, um den es hier geht.

Lassen Sie mich die beiden bereits angeführten Zahlen nochmals in Erinnerung bringen: weltweit 130 Millionen Opfer; alljährlich 2 Millionen Mädchen, die Genitalverstümmelungen unterzogen werden. Außer den verschiedenen Kampagnen zur Information, Schulung und Ausbildung, den Maßnahmen im humanitären, sozialen und Gesundheitsbereich sowie der Unterstützung vor allem der Nichtregierungsorganisationen ist nach Ansicht unseres Ausschusses noch auf folgende spezielle Initiative hinzuweisen: die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass die Genitalverstümmelungen bei Frauen strafrechtlich geahndet werden, indem die bestehenden Verfassungsvorschriften, die das Recht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit als Grundrecht anerkennen, sowie die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, die jede Handlung untersagen, die dieses Recht absichtlich verletzt, strikt angewandt werden. Wir fordern mithin, dass sich niemand auf eine Ausnahmeregelung oder kulturelle Andersartigkeit berufen kann, um eine Relativierung oder Aufweichung dieses Grundrechts und des damit einhergehenden, dem Staat obliegenden Rechtsschutzes zu rechtfertigen.

Wir hoffen infolgedessen, die Kommission, der Rat und die Mitgliedstaaten mögen willens und imstande sein, umgehend dafür Sorge zu tragen, dass unsere Beschlüsse zu konkreten Folgemaßnahmen führen.

 
  
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  Der Präsident. – Vielen Dank, Herr Turco.

Nach der Tagesordnung unterbrechen wir die Sitzung bis zur Fortsetzung der Aussprache um 21.00 Uhr. Ich hoffe, Sie erholen sich entsprechend und sind pünktlich um 21.00 Uhr wieder hier.

Vielen Dank, Frau Kommissarin. Vielen Dank, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Die Sitzung wird um 20.00 Uhr unterbrochen und um 21.00 wieder aufgenommen.)

 
  
  

VORSITZ: JAMES PROVAN
Vizepräsident

 
  
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   Avilés Perea (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Vor uns liegt ein Initiativbericht des Ausschusses für die Rechte der Frau, der ein gravierendes Problem behandelt, die Genitalverstümmelung an einer Vielzahl von Frauen und Mädchen. Diese althergebrachte Praxis ist eine Verletzung der Grundrechte der Frauen und Mädchen, die ihr unterzogen werden, und bedeutet somit einen Angriff auf die grundlegenden Menschenrechte, die in den Verträgen und in den Erklärungen der Vereinten Nationen verankert sind.

Vorgeschlagen wird die Ausweitung des Schutzes und der Vorbeugung in allen Ländern, in denen diese Praxis Anwendung findet, auch in der Europäischen Union, wo bekanntlich in den Einwanderergemeinschaften oder bei einer Reise in das Herkunftsland, in dem diese Tradition herrscht, die Genitalverstümmelung vorgenommen wird, da diese Praxis im Brauchtum vieler afrikanischer und einiger asiatischer Völker tief verwurzelt ist.

Nur die Vorbeugung durch Informations- und Aufklärungskampagnen über die unwiderruflichen Folgen dieser Praxis kann zu ihrer Ausmerzung beitragen. Solche von den NRO durchgeführten Kampagnen müssen jedoch begleitet sein von der festen Verpflichtung der Regierungen und der entschlossenen Unterstützung der Führer, insbesondere der religiösen; es geht um Erziehungskampagnen in den Schulen unter den Schülern und Schülerinnen, die, wie uns heute die First Lady berichtete, in Burkina Faso mit recht gutem Erfolg durchgeführt werden.

Die Verfolgung der Genitalverstümmelung als Straftat, sowohl in dem Land, in dem sie praktiziert wird, als auch in einem anderen, das heißt, die Extraterritorialität der Straftat, wird einen wirksamen Beitrag zu ihrer Beseitigung leisten. Für schwere Fälle sehen einige Länder das Asylrecht vor, wie es in der Richtlinie unter der Rubrik Asylrecht aufgrund des Geschlechts festgeschrieben ist. Wir halten es für nicht zweckmäßig, hier allgemein das Asylrecht für alle mutmaßlichen Opfer, das heißt, für Millionen von Mädchen und jungen Frauen aufzunehmen. Man darf keine Türen öffnen, die man dann nicht wieder schließen kann, und wir können in der Europäischen Union nicht alle vermeintlichen Opfer aufnehmen, die ihr Land aus diesem Grund verlassen wollen. Wir können es einfach nicht, selbst wenn wir es wollten.

In diesem Punkt weicht die Meinung der Fraktion der Volkspartei von diesem Bericht ab, und sollte der Punkt angenommen werden, kann es dazu kommen, dass wir uns bei der Endabstimmung der Stimme enthalten. Das wäre bedauerlich, denn der Bericht enthält viele positive Aspekte, insbesondere die Notwendigkeit der Verpflichtung, den Kampf gegen die Genitalverstümmelung in alle Programme für die Zusammenarbeit einzubeziehen und sie entsprechend mit finanziellen Hilfen auszustatten, und die Forderungen an die Regierungen der Staaten, in denen diese Praxis vollzogen wird, sich wirksam für ihre Ausmerzung zu engagieren.

In der Fraktion der Volkspartei verurteilen wir konsequent die Genitalverstümmelung und verteidigen das Recht aller Frauen auf körperliche Unversehrtheit, auf die volle Entfaltung ihrer Sexualität und auf das Recht, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden, auch wenn diese Entscheidung gegen die Vergangenheit ihres Volks gerichtet ist. Wir setzen uns für das Recht der Frauen als menschliche Wesen ein, mit voller Garantie für ihr Leben, wo immer es sein mag, und wir verpflichten uns, weiterzuarbeiten, um diese schreckliche Praxis auszumerzen, unabhängig davon, was mit diesem Bericht geschieht.

 
  
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  Gröner (PSE). – Herr Präsident, Frau Kommissarin, Kolleginnen und vereinzelte Kollegen! Mein Dank gilt heute besonders der Berichterstatterin Frau Valenciano, die den ausgezeichneten Bericht erstellt hat mit einer sehr klaren Botschaft: Genitalverstümmelungen sind Menschenrechtsverletzungen! Die Gründe, die zur Rechtfertigung dieser Menschenrechtsverletzung genannt werden, sind vielfältig, berufen sich auf Tradition und Religion. Tatsächlich handelt es sich hier um ein Instrument, um die Unterdrückung von Frauen aufrechtzuerhalten. Frauen, die sich der genitalen Verstümmelung entziehen wollen, müssen mit Ausgrenzung aus der Gesellschaft rechnen, d. h., unvorstellbare Armut und Ächtung.

Ihre hochgradige Gewalterfahrung, die irreparablen Schäden an Körper, Seele und Gesundheit finden kaum Beachtung. Erstmals hat die Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking einen weltweiten Diskussions- und Solidaritätsprozess in Gang gesetzt und die internationale Politik zu gemeinsamem Handeln aufgefordert. Auch in Europa sind wir genitalverstümmelten Frauen gegenübergestellt, aber auch mit einem breiten Feld von Tätern und Mittätern konfrontiert. Obwohl FGM, wie sie genannt wird, in vielen Ländern strafbar ist, berichten Medien und Selbsthilfeorganisationen allein in Deutschland von geschätzten 5 000 Fällen und etwa viermal so vielen Fällen, in denen Mädchen zur Verstümmelung in ihre Heimatländer verbracht werden.

Es gibt skrupellose Ärzte und andere Personen, die pro Fall 1 000 bis 3 .000 Mark verdienen. Meine Sozialdemokratische Fraktion fordert, den bedrohten Frauen Asyl zu gewähren, die Täter zu bestrafen und nach dem Prinzip der Exterritorialität zu verfahren.

Ich will das ganz klar machen: Für meine Fraktion ist es ein wichtiger Punkt, und es ist für uns gänzlich unverständlich, dass Teile der bzw. die ganze EVP sich in dieser Asylfrage enthalten wollen, nicht für den Bericht stimmen werden und so die Frauen im Stich lassen. Der Kampf gegen Unwissenheit und Unterdrückung muss international geführt werden, und deshalb hat die Sozialistische Internationale eine weltweite Kampagne gegen Gewalt an Frauen gestartet. Fünfzehn Staaten haben FGM schon verboten, darunter neun afrikanische Länder. Es müssen weitere Hilfen folgen. Meine Regierung in Deutschland hat bereits 3,8 Millionen Mark für Aufklärung und Projekte auf den Weg gebracht. Die EU hilft mit DAPHNE. Aber das ist nur der Tropfen auf den heißen Stein.

Wir müssen gemeinsam im Verbund den Kampf für reproduktive Gesundheit, gegen Aids und gegen die Genitalverstümmelung führen. Dann haben wir eine Chance, die Frauen zu erreichen und ihnen zu helfen.

 
  
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  Van der Laan (ELDR).(NL) Herr Präsident! Zunächst möchte ich Frau Valenciano meine Anerkennung aussprechen, die sich dieses sensiblen Themas in ihrem ausgezeichneten Bericht klar und engagiert angenommen hat. Die ELDR-Fraktion wird den Bericht deshalb auch unterstützen.

Genitalverstümmelung von Frauen und Mädchen stellt eine gravierende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte dar. Schon mehr als 130 Millionen Frauen sind das Opfer geworden, und jährlich kommen noch zwei Millionen hinzu. Europa muss deshalb alles daransetzen, um dieses Phänomen zu bekämpfen, wo immer es auch auftritt.

Dem Vernehmen nach erwägen einige Mitglieder, im Zusammenhang mit den Passagen über Asyl und Exterritorialität gegen diesen Bericht zu stimmen. Lassen Sie mich jedoch versuchen, alle zu beruhigen: Wenn wir uns die derzeitige Asylpraxis anschauen, dann stellen wir fest, dass die meisten der fünfzehn Mitgliedstaaten Genitalverstümmelung bereits als einen Grund für die Gewährung von Asyl ansehen. Meines Erachtens zu Recht. Der Bericht lehnt sich lediglich an die derzeitigen Praktiken an.

Das Prinzip der Exterritorialität gilt derzeit allerdings nur auf dem Gebiet des Kindersextourismus, sollte aber ebenso auf die verstümmelten Frauen oder gefährdeten Frauen Anwendung finden. Nur auf diese Weise können wir nämlich verhindern, dass EU-Bürger beispielsweise somalischer Herkunft ihre Tochter in den Sommerferien nach Somalia verbringen, um sie dort verstümmeln zu lassen. Wenn diese Leute wissen, dass sie bei ihrer Rückkehr nach Europa Gefahr laufen, strafrechtlich verfolgt zu werden, dann geben wir den Eltern eine Waffe an die Hand, um ihre Töchter vor dem Druck der Gesellschaft zu schützen.

Abschließend eine Bemerkung an die Adresse derjenigen, die gegen Genitalverstümmelung nicht vorgehen wollen, weil sie Ausdruck einer bestimmten Kultur oder Religion sei. In allen Ländern, in denen Genitalverstümmelung praktiziert wird, führen lokale Aktionsgruppen Kampagnen zur Abschaffung dieser Praktik durch. Es trifft also nicht zu, dass wir unsere westlichen Normen auferlegen. Nein, wir müssen gerade diesen Frauen beistehen, indem wir bei der morgigen Abstimmung unsere Solidarität bekunden. Auch der Koran lässt Verstümmelung nicht zu. Dennoch existieren diese Praktiken vornehmlich in islamischen Ländern. Hier sollten es sich die Imams deshalb auch zur Aufgabe machen mitzuhelfen, dieses Phänomen auszurotten. Das ist gerade jetzt umso wichtiger, als wir es in dem derzeitigen sensiblen Klima nicht gebrauchen können, dass der Islam in negative Klischees gezwängt wird. Genitalverstümmelung ist kein religiöses Phänomen, sondern stellt eine Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts dar.

 
  
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  Sörensen (Verts/ALE).(NL) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich im Namen meiner gesamten Fraktion die Kollegin Valenciano zu diesem phantastischen Bericht und den darin formulierten Empfehlungen beglückwünschen, die ich zu 200 Prozent unterschreibe.

Die mit Abstand meisten Frauen, die Genitalverstümmelung erleiden mussten – man spricht hier von 130 Millionen –, leben in Afrika. In bestimmt 28 afrikanischen Ländern zwischen dem Äquator und dem Wendekreis des Krebses wird die Beschneidung von Frauen systematisch betrieben. Außerhalb Afrikas ist sie in Südostasien, unter anderem in Indonesien, Sri Lanka, Malaysia, auf der Arabischen Halbinsel in Jemen, Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten üblich. Nur wenige Touristen, die die Sphinx besichtigen, wissen, dass selbst in einem Land wie Ägypten 90 % der Frauen beschnitten sind. Manche dieser Frauen sind allerdings nach Europa geflüchtet, um ihre Töchter vor dieser Behandlung zu bewahren oder sich hier zur Linderung ihrer Schmerzen operieren zu lassen. Wenn aber eine solche Frau in ihr Land zurückkehrte, würde sie verstoßen. Ein Sommerurlaub im Herkunftsland hingegen kann für Migrantenmädchen auf einen Alptraum hinauslaufen, wenn Verwandte es für notwendig erachten, die Tradition fortzusetzen.

Jahrelang habe ich mich dafür eingesetzt, Frauen zu helfen, die das Opfer von Menschenhandel geworden sind. Aus meinen eigenen Erfahrungen weiß ich, dass beschnittene Frauen oftmals als Schmutz angesehen und deshalb zum Zwecke der Prostitution verkauft werden: So werden sie zweimal das Opfer.

Afrikanische Mädchen, die tagein, tagaus in Bordellen arbeiten, deren Geschlechtsorgane verstümmelt sind, die verkauft und weiterverkauft werden, warten auf Kunden, um ihre Schulden zu begleichen. Deshalb appelliere ich nochmals an die Mitgliedstaaten und die Kommission, Genitalverstümmelung oder die Bedrohung damit als geschlechtsspezifischen Grund für die Gewährung des Asylrechts anzuerkennen. Man sollte sich nicht hinter einer möglichen Revision des Wiener Übereinkommens verstecken.

Ich fordere diejenigen in diesem Hause auf, die damit Schwierigkeiten haben, sich einmal die Videos anzusehen, die von diesen „Festen“, wie es mitunter in diesen Ländern heißt, aufgenommen worden sind. Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, dass die Stille rund um dieses Tabuthema durchbrochen wird. Deshalb müssen lokale Bildungsprogramme ebenso wie die Sensibilisierung der betroffenen Migranten in Europa gefördert werden. Wir können es nicht länger dulden, dass diese gravierende Verletzung der Menschenrechte und der Würde der betroffenen Frauen und Mädchen unter dem Deckmantel nationaler Bräuche und Traditionen praktiziert wird.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch mitteilen, dass unsere Fraktion zu dem folgenden Bericht von Frau Smet auf Grund seiner ausgezeichneten Qualität nicht das Wort ergreifen wird: Dieser Bericht ist perfekt.

Abschließend nochmals mein Glückwunsch an Frau Valenciano zu der von ihr geleisteten Arbeit.

 
  
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  Bonino (TDI).(IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutung des vorliegenden mutigen Berichts und seine Originalität gegenüber der Fülle von Berichten und Dokumenten, die auch in zahlreichen anderen internationalen Gremien ausgearbeitet wurden, liegen darin, dass die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane eindeutig, ohne heuchlerische Zugeständnisse, als ein Problem der Freiheit, der Würde, des Rechts und der Menschenrechte für Hunderte, für Tausende von Frauen dargestellt wird. Elena Valenciano macht, worin sie hoffentlich von uns allen unterstützt wird, keine scheinheiligen Konzessionen an die so genannte Respektierung kultureller Traditionen oder an den kulturellen Relativismus, von denen wir so oft sprechen hören; sie plädiert auch nicht für das wohlfeile ruhige Gewissen, durch das unsere Stellungnahmen vielfach gekennzeichnet sind. Sie weist nämlich auf die Einstufung als Straftat hin, die folglich geahndet werden müsse, wobei sie eine ganze Reihe von Maßnahmen als Empfehlungen vorschlägt, deren praktische Umsetzung allerdings uns, den verschiedenen Institutionen – Kommission und Rat – obliegt.

Eines möchte ich jedoch der Kollegin Perea, die ich sehr schätze, sagen. Sie haben uns einen Sonderfall dargelegt, den es gar nicht gibt; Sie haben die Verweigerung des Asylrechts nämlich damit begründet, dass wir dadurch Millionen Schutz suchender Frauen die Tür öffnen würden. Sehen Sie, werte Kollegin, gäbe es Millionen Frauen und Mädchen, die fähig oder in der Lage wären, sich aufzulehnen, offen aufzutreten, sich der Kontrolle durch die Familie, die Gesellschaft und die Männer zu entziehen, so wäre dieses Problem bereits gelöst. Die Frage stellt sich also nicht. Leider haben heute nicht Hunderttausende oder Millionen Mädchen und Frauen die Möglichkeit, sich aufzulehnen, offen aufzutreten, sich an eine Botschaft zu wenden, um dort um Asyl nachzusuchen. Einen solchen Mut besitzen nur sehr wenige, wirklich ganz wenige, und der Gedanke, wir könnten selbst dieser verschwindend geringen Zahl die Tür verschließen – ich bitte Sie, doch nochmals darüber nachzudenken –, ist unverantwortlich, ist unseriös. Dies hieße die Rückkehr zu einer Situation, in der vergebliche Predigten gehalten werden, in der man sich ein wohlfeiles ruhiges Gewissen verschafft und in der nicht die Verantwortung übernommen wird, die hingegen von uns, von diesem freien, zivilisierten, demokratischen und auf die Rechte aller bedachten Europa übernommen werden muss. Das wollen wir – meines Erachtens – mit unserem Bericht, über den wir morgen abstimmen werden, zum Ausdruck bringen: Wir wollen sagen, dass wir eine Welt befürworten, in der die menschlichen Wesen gleich sind. Würde eine derart grausame Verstümmelung an unseren männlichen Kollegen praktiziert, wären wir vielleicht schon längst zu einer Lösung gelangt. Das Problem ist jedoch, dass wir noch nicht so weit sind, und uns, diesem Parlament, obliegt es, eine Beispielfunktion wahrzunehmen.

Ein letzter Punkt, und ich wende mich hier an die Kolleginnen, die auch dem Ausschuss für Entwicklung und Zusammenarbeit angehören. Ich treffe mich heute mit dem AKP-Generalsekretär, Botschafter Goulongana, der sich bereit erklärt hat, dieses Thema in die Agenda der nächsten Tagung der Paritätischen Versammlung AKP-EU in Brüssel Ende Oktober aufzunehmen. Ich weiß, Tagesordnungen sind strikt festgelegt, und es ist mir bewusst, dass es möglicherweise zu spät ist. Gleichwohl wird dem Thema politische Beachtung zu schenken sein, was dazu beiträgt, dass Flexibilität nicht damit verwechselt wird, dass man absolut untätig bleibt! Gleichwohl wird es einen Unterschied geben, den wir geltend machen könnten! Ich wünsche mir, im Anschluss an unser Parlament möge auch die Paritätische Versammlung AKP-EU diese von uns vertretene Position billigen.

Werte Kolleginnen, ich möchte Sie alle, die Sie Zweifel hegen, darauf hinweisen, dass die Zahl jener Frauen, die die Möglichkeit, den Mut und gar das Glück haben, sich auflehnen zu können, sehr gering, wirklich minimal ist.

(Beifall)

 
  
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  Schierhuber (PPE-DE). – Herr Präsident, Frau Kommissarin! Ich bin sehr froh darüber, dass dieser Initiativbericht gemacht worden ist. Jeder von uns, der das Buch „Die Wüstenblume“ von Waris Dirie gelesen hat, wird für immer schockiert und betroffen sein. Ich denke heute auch an 130 Millionen Frauen und Mädchen, die der Genitalverstümmelung unterzogen wurden, und jedes Jahr werden es 2 Millionen mehr. Ich denke auch an die vielen Mädchen, die dabei auf grausame Weise ihr Leben verlieren. Darum lassen Sie mich gleich vorweg sagen, dass ich mich verstärkt für eine gemeinsame Haltung der EU und ihrer Mitgliedstaaten zur Abschaffung dieser Eingriffe ausspreche, die die sexuelle und reproduktive Gesundheit der Frauen schädigt. Es wird notwendig sein, dass die Kommission und der Rat bei einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik diese Aspekte der Genitalverstümmelung von Frauen und Mädchen berücksichtigen. Dies gilt ebenso für die Flüchtlingspolitik. Dabei möchte ich zu bedenken geben – und das ist mir klar –, dass hier vor allem dann Asyl gewährt wird, wenn politischer Schutz von Staats wegen gefordert ist. Genitalverstümmelung siedelt man im Graubereich an, und sie wird meist von Privatpersonen durchgeführt. Das macht es um so schwieriger, diese Praxis zu bekämpfen. Es muss von uns allen viel Überzeugungsarbeit, Information und Ausbildung in der Bevölkerung geleistet werden, und in der Gesellschaft muss sich ein Wandel vollziehen.

Die Genitalverstümmelung ist für mich eine Verletzung der Menschenrechte, die ich durch nichts und niemanden akzeptieren werde. Wir müssen dieses Thema in der Öffentlichkeit ansprechen und sowohl die Bevölkerung der EU als auch in den Entwicklungsländern sensibilisieren, um für die nachfolgenden Generationen von Frauen diese furchtbare Verstümmelung zu verhindern.

Vor allem müssen wir auch dafür sorgen – und das wurde von einigen meiner Vorredner angesprochen –, dass diese Praxis auch in unseren Mitgliedstaaten unterbunden wird, wie ich auch selber weiß, gibt es hier eine sehr große graue Zone. Ich bitte daher, dass wir wirklich gemeinsam daran arbeiten, diese Praxis zu verhindern.

 
  
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  Theorin (PSE), (SV) Herr Präsident! Vor zwei Wochen lief im schwedischen Fernsehen ein aufsehenerregender Dokumentarfilm, in dem gezeigt wurde, wie religiöse Führer in Schweden, christliche wie moslemische, die Sunna-Beschneidung empfehlen, wie in Schweden ansässige Personen ihre Töchter während der Sommerferien in Kenia und Somalia verstümmeln lassen und wie ein schwedischer Arzt seiner Meldepflicht gegenüber den Behörden nicht nachgekommen ist, nachdem er ein Mädchen bei einer von ihren Eltern organisierten Beschneidung vor dem Verbluten gerettet hat.

Für uns, die wir uns für die Verhinderung der Genitalverstümmelung engagieren, ist gerade die Unterstützung dieser Art von Folter durch die Heiligen Männer am enttäuschendsten. Die religiösen Führer haben eine besondere Verantwortung, da sie einen enormen Einfluss besitzen und ihre Stimme entscheidend ist für eine Beendigung der Verstümmelungspraktiken.

Ich begrüße den ausgezeichneten Bericht von Frau Valenciano Martínez-Orozco, der eine ganzheitliche Strategie zur Verhinderung der Genitalverstümmelung in der EU u. a. durch umfassende Informationskampagnen sowie ein gesetzliches Verbot der Genitalverstümmelung in allen Mitgliedstaaten fordert. Von besonderer Bedeutung sind dabei die geforderten speziellen nationalen Gesetze, die auch für außerhalb des Hoheitsgebiets begangene Genitalverstümmelungen gelten und eine strafrechtliche Verfolgung gebietsansässiger Personen ermöglichen, die ihre Töchter im Ausland verstümmeln lassen. Schweden besitzt seit 1999 als erstes und einziges Land der EU diese Art von exterritorialer Gesetzgebung, die es nun hoffentlich ermöglichen wird, gegen die Schweden vorzugehen, die ihre Töchter der „Sommerferienverstümmelung“ im Ausland aussetzen.

Ein weiterer zentraler Punkt dieses Berichts wurde bereits von mehreren Rednern genannt: die Forderung nach Gleichstellung der Flucht vor dieser Folter mit der Flucht vor politischer Verfolgung. In den USA und Kanada wurde in mehreren Fällen bereits die Ausweisung junger Mädchen und Frauen gestoppt, die aus Furcht vor Genitalverstümmelung Asyl gesucht haben. Europa sollte in dieser Beziehung nicht nachstehen.

Es ist höchste Zeit, jetzt einschneidende Maßnahmen zur Rettung der zwei Millionen Mädchen zu ergreifen, die jedes Jahr Gefahr laufen, dass ihre Genitalien verstümmelt werden. Wir setzen unsere Hoffnung und unser Vertrauen darauf, dass die Frau Kommissarin konkrete Vorschläge unterbreitet, zu denen dann unsere Minister Stellung nehmen können.

 
  
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  Malmström (ELDR). (SV) Herr Präsident! Die Genitalverstümmelung bei Frauen ist eine grausame Handlung, die ernsthafte physische und psychische Schäden und lebenslanges Leiden verursacht und eine ungeheure Kränkung darstellt. Überdies ist die Sterblichkeitsrate unter den dieser Praxis ausgesetzten Frauen hoch. Wir brauchen daher wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Unsitte, dieser furchtbaren Taten, wo auch immer sie begangen werden.

Das Ganze ist auch ein europäisches Problem, darum benötigt Europa mehr Wissen, Forschung und Dokumentation hinsichtlich der Genitalverstümmelung bei Frauen. Ferner brauchen wir gemeinsame Strategien im Kampf gegen diesen Eingriff, der von keiner Religion vorgeschrieben wird. Einige Kollegen haben in diesem Zusammenhang auch bereits die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit religiösen Führern hervorgehoben.

Die Frauen, die bereits Opfer einer Genitalverstümmelung wurden, brauchen Betreuung und Rehabilitation. Dazu ist die Schulung von Hebammen, Sozialarbeitern und Lehrern erforderlich. Maj Britt Theorin hat auf die in Schweden als „Sommerferienverstümmelung“ bezeichnete Praxis verwiesen, bei der Mädchen zur Genitalverstümmelung ins Ausland gebracht werden. Das ist in meinem Land verboten und die liberale Fraktion unterstützt selbstverständlich die Vorschläge, dies überall zu verbieten. Das würde ein deutliches Signal setzen und klarmachen, dass sowohl im Inland als auch im Ausland durchgeführte Genitalverstümmelung kriminell ist und eine Menschenrechtsverletzung darstellt.

 
  
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  Maes (Verts/ALE).(NL) Herr Präsident! Die Praxis der Genitalverstümmelung stellt eine extreme Form der Unterdrückung von Frauen dar, die in der Geschichte mancher Länder tief verwurzelt ist. Es sind die Frauen dieser Länder selbst, Ägyptens, Somalias, die uns ihr unermessliches Leid offenbart haben. Sie haben Anklage erhoben, und dazu mussten sie eine Welt von Vorurteilen überwinden, aber sie haben es getan wegen ihrer Schwestern, oftmals wegen ihrer kleinen Schwestern, wegen ihrer eigenen Töchter. Sie fordern von uns, ebenso mutig zu sein.

Einige Frauen haben sich im selben Sinne mit einer Petition an das Europäische Parlament gewandt. Wir wissen um die Unterstützung der Frauen auf der ganzen Welt. Die Achtung des Menschen muss bei Männern und Frauen auf gleiche Weise beurteilt werden: Frauenrechte sind Menschenrechte. Nicht dadurch, dass sie unter medizinisch annehmbaren Bedingungen durchgeführt wird, wird die Verstümmelung selbst akzeptabel. Auch nicht deshalb, weil diese unmenschliche Praxis in einigen Gemeinschaften zu den ältesten Traditionen zählt – ich sage absichtlich nicht Religionen, denn damit hat es kaum etwas zu tun –, sollten wir Toleranz zeigen. Die Genitalverstümmelung von Frauen muss in allen Ländern, in allen Gesellschaften als eine Straftat angesehen werden, wie in diversen internationalen Übereinkommen gefordert.

Positiv finde ich auf jeden Fall, dass immer mehr Länder die Genitalverstümmelung von Frauen verboten haben. Allerdings bleibt dieses Verbot in vielen Fällen ein toter Buchstabe, und deshalb sollten wir das Abkommen von Cotonou so anpassen, dass wir es auf gleiche Weise durchführen können wie bei Verletzungen der Menschenrechte.

Im Übrigen schließe ich mich dem Standpunkt der Kolleginnen und Kollegen an.

 
  
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  Kauppi (PPE-DE).(FI) Herr Präsident, in dem ausgezeichneten Bericht von Kollegin Valenciano Martínez-Orozco wird deutlich herausgestellt, dass Genitalverstümmelungen bei Frauen Straftaten sind, die Europa nicht stillschweigend hinnehmen darf. Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen, in der morgigen Abstimmung dem Bericht ihre einmütige Zustimmung zu geben.

Genitalverstümmelungen bei Frauen, in welchem Maße sie auch immer praktiziert werden, sind ein Akt der Gewalt gegen Frauen, der sowohl gegen die Grundrechte als auch gegen die Unverletzlichkeit verstößt sowie die physische und psychische Gesundheit der Person verletzt. Die Rechte von Frauen, Jugendlichen und Mädchen werden mit Füßen getreten, indem auf die Traditionen der verschiedenen Kulturen und sogar auf vermeintliche Glaubensvorschriften verwiesen wird. Dahinter verbirgt sich jedoch stets die gegenüber den Männern geringere soziale Position und Stellung der Frau in diesen Kulturen. Auch hier bleibt also im Kampf für die Gleichstellung genug zu tun.

Bedauerlicherweise wurden und werden, wie festgestellt wurde, auch auf dem Hoheitsgebiet der EU Genitalverstümmelungen bei Frauen in Einwanderergemeinschaften praktiziert, obwohl diese Praktiken in der Strafgesetzgebung der Mitgliedstaaten verboten sind und die Grundsätze der Grundrechtecharta der Europäischen Union eindeutig verletzen. Keine religiöse oder kulturelle Praxis darf gegen die Prinzipien der Menschenrechte oder der körperlichen und seelischen Unversehrtheit geltend gemacht werden, die das Fundament der europäischen Demokratie bilden. Auch die Forderung, wonach die Ärzte Genitalverstümmelungen unter klinischen Bedingungen vornehmen sollten, ist strikt abzulehnen. Das ist nicht mit der Beschneidung bei Männern gleichzusetzen, wobei diese Praxis in einigen Mitgliedstaaten übernommen worden ist.

Ich befürworte die im Bericht genannten positiven Maßnahmen, die darauf abzielen, diesen Straftaten in den EU-Mitgliedstaaten ein Ende zu setzen. Information, Aufklärung und Vorbeugung müssen in den Vordergrund gerückt werden. Gegen bereits verübte Straftaten der Verstümmelung muss jedoch mit strafrechtlichen Schritten und Sanktionen vorgegangen werden. Ich selbst bin auch bereit, in diesem Zusammenhang das Prinzip der Exterritorialität zu akzeptieren. Ich appelliere an die Behörden, und als finnische Vertreterin natürlich besonders an die Behörden meines Heimatlandes, unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diesen unmenschlichen und mittelalterlichen Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen.

(Beifall)

 
  
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  Karamanou (PSE).(EL) Herr Präsident! Auch ich möchte Frau Valenciano Martínez-Orozco für die Qualität ihres umfassenden Berichts danken. Tatsache ist, dass Genitalverstümmelungen weltweit für Millionen von Frauen etwas Unvermeidliches sind, ein Akt des Terrors, dem sie sich unterziehen müssen, um ihr Überleben zu sichern. Das Fehlen von Alternativen und der totale Mangel an Informationen zählen zu den Hauptproblemen der den erniedrigenden Verstümmelungen unterworfenen Frauen. Die Verstümmelungen bilden die schlimmste Form der Unterdrückung, Terrorisierung und Ausbeutung der Frauen, einen Akt des Verbrechens, der insofern die persönliche Freiheit, die körperliche Unversehrtheit, die Gewissensfreiheit und das Recht auf Gesundheit verletzt, als er gravierende körperliche Schäden einschließlich seelischer Nebenwirkungen hervorruft, von den Rückwirkungen auf die sexuelle Identität der Frauen und ihre Fähigkeit zur Fortpflanzung ganz zu schweigen.

130 Millionen verstümmelte Frauen weltweit sind eine erschreckende Zahl. Leider dringt diese schauerliche Praxis auch in die Europäische Union ein. Laut einer Veröffentlichung der British Medical Association werden im Vereinigten Königreich jährlich 3 000 Genitalverstümmelungen vorgenommen, und natürlich scheuen die Fundamentalisten auch innerhalb der Europäischen Union nicht davor zurück, ihre mittelalterlichen Praktiken mit dem Ziel anzuwenden, die Frauen zu gängeln und ihre Sexualität zu kontrollieren.

Jeder Mensch hat Anspruch auf gesetzlichen Schutz, wenn, wie im Fall der Verstümmelungen, Grundfreiheiten und Menschenrechte bedroht sind. Allerdings ist der rechtliche Zustand in der Europäischen Union unbefriedigend. Wir fordern daher die strikte Anwendung der Verfassungsvorschriften einschließlich der Bestimmungen des Strafrechts angesichts dieses schauerlichen Verbrechens. Ferner kann die Europäische Union selbstverständlich durch die Wirtschaftsverträge mit jenen Ländern, in denen derartige Praktiken angewendet werden, im Rahmen des Abkommens von Cotonou, aber auch mit dem Erlass exterritorialer Rechtsvorschriften erheblichen Einfluss geltend machen. Zum Abschluss möchte ich an die Europäische Volkspartei appellieren, sich gemeinsam mit uns gegenüber den Tausenden von Frauen, die diese schauerliche Prozedur über sich haben ergehen lassen müssen, solidarisch zu zeigen und bis morgen ihre Entscheidung zu revidieren.

 
  
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  Junker (PSE). – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane bringt in mindestens 25 afrikanischen Ländern – die meisten davon sind AKP-Länder – unendliches Leid über Frauen und Mädchen. Die Frauen werden Opfer gewalttätiger und lebensgefährlicher kultureller Traditionen, die es zu überwinden gilt, denn eine Tradition, die menschenverachtend, in diesem Fall auf schreckliche Weise frauenverachtend ist, darf im 21. Jahrhundert keinen Bestand mehr haben. Diese Überzeugung greift erfreulicherweise auch in den afrikanischen AKP-Ländern immer mehr um sich. In Äthiopien, Ghana, Guinea, Uganda, Senegal, Tansania, Togo, Burkina Faso, in der Zentralafrikanischen Republik und der Elfenbeinküste wurden erfreulicherweise Gesetze gegen die Genitalverstümmelung von Frauen und Mädchen erlassen.

Gleichzeitig bemüht man sich, unterstützt von Hilfsorganisationen und einer Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen, durch Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung, diesem schrecklichen Brauch ein Ende zu setzen. In diesem Sinn ist ein Beschluss der letzten Paritätischen Versammlung AKP/EU in Libreville in Gabun, Frau Bonino, positiv hervorzuheben. Einstimmig wurden die politisch Verantwortlichen auch mit den Stimmen der Vertreterinnen und Vertreter der AKP-Seite aufgefordert, alle erforderlichen gesetzgeberischen, administrativen und juristischen Maßnahmen zu ergreifen, um Genitalverstümmelung in der Praxis zu stoppen und mit Sensibilisierungskampagnen für die Ausmerzung zu sorgen.

Dies ist auch als eine Menschenrechtsverletzung dort gebrandmarkt worden, und das ist gegenüber der früheren Tabuisierung dieses Themas ein großer Fortschritt, den es anzuerkennen gilt. Der Kampf für die körperliche und psychische Unversehrtheit der Frauen in den AKP-Ländern und anderswo ist aber noch nicht gewonnen. Er bedarf weiterhin unserer solidarischen Unterstützung.

 
  
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  Diamantopoulou, Kommission.(EL) Herr Präsident! Ich möchte Frau Valenciano Martínez-Orozco gratulieren und zunächst den politischen Stellenwert und die Tragweite ihres Berichts unterstreichen, die natürlich um so bedeutender sein werden, je größer die für ihn stimmende Mehrheit ist. Der Bericht wird der Arbeit der Kommission, vor allem aber den gegen diese Barbarei kämpfenden Organisationen der Frauen in Europa und Afrika Schwung verleihen. Es handelt sich, wie viele Abgeordnete gesagt haben, um ein Problem, das nicht nur in Afrika existiert. In Europa leben laut Angaben des Programms DAPHNE gegenwärtig rund 700 000 aus betroffenen Ländern stammende Frauen. Es ist schwierig, genaue Zahlen anzuführen, aber es besteht Anlass zu der Annahme, dass sie viel höher sind, als wir uns vorstellen können.

Es ist ein schwieriges und heikles Problem. Es ist evident, dass kulturelle, seit Jahrhunderten in bestimmten Regionen der Welt verwurzelte Traditionen involviert sind. Aber es kann nicht sein, dass kulturelle Traditionen ein Alibi dafür sind, dass die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Auf der internationalen Konferenz von Peking ist eindeutig festgeschrieben worden, dass die Genitalverstümmelung eine Verletzung der Menschenrechte bedeutet und zudem auch eine Diskriminierung ist, da sie nur Frauen und Mädchen betrifft.

Was kann nun die Europäische Union tun? Im Hinblick auf die Vorschläge zur Gesetzgebung ist zunächst zu bemerken, dass eine Kontroverse darüber besteht, ob der bestehende Vertrag die rechtlichen Grundlagen für eine europäische Verfassungsgebung bietet. Die in Nizza verabschiedete Charta der Grundrechte bildet zwar eine Grundlage, die aber noch nicht rechtswirksam sein kann. Gesetze sind jedoch nicht immer die einzige Lösung. Bei diesem Problem gibt es viel, was man tun kann.

Im Hinblick auf das Asylthema sind von vielen Rednerinnen die Argumente vorgebracht worden, und der Bericht ist eindeutig. Ich möchte hierzu erwähnen, dass die Kommission vor wenigen Tagen dem Rat einen Richtlinienvorschlag über die Einführung von Mindestanforderungen bei der Anerkennung des Status Angehöriger dritter Staaten oder Staatenloser oder von Flüchtlingen gemäß dem Genfer Vertrag unterbreitet hat, und nach viel Diskussion und Anstrengung ist nun im Text explizit vermerkt, dass der Schutz der Frau als Antragsgrund anerkannt wird, vor allem in Fällen, wo möglicherweise sexuelle Gewalt oder anderes geschlechtsbezogenes Verhalten vorliegt. Meiner Meinung nach lohnt es sich, diesen Vorschlag der Kommission gründlich zu studieren, der auch die Grundlage einer Verständigung im Europäischen Parlament bieten könnte, was für alle Fraktionen von größter Bedeutung wäre.

Über das gesetzgeberische Feld hinaus können im Rahmen der bestehenden Programme der Europäischen Union Aktivitäten und Kampagnen mit dem Ziel der Bekanntmachung des Problems, der Aktivierung und Sensibilisierung unserer Gesellschaften und selbstverständlich auch der Aufklärung und Weiterbildung des Krankenhauspersonals unterstützt werden. Die Beschäftigten in den Pflege- und Gesundheitsdiensten kommen in wenigstens fünf Ländern der Europäischen Union sehr häufig mit solchen Fällen in Kontakt und müssen eine spezielle Ausbildung und Fähigkeiten haben, um den betroffenen Personen Hilfe leisten zu können.

Zu den Möglichkeiten der Ausbildung und Unterstützung der Einwanderinnen. Sicher ist, dass Frauen, die wirtschaftlich unabhängig sein können, für ihre Revolution auf jeden Fall auch wirtschaftliche Chancen geboten bekommen müssen. Daher ist die Unterstützung von Einwanderinnen in Europa ist ein äußerst wichtiges Thema. Ihre Unterstützung und ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt können ebenso wie die Finanzierung von Aufklärungs- und Sensibilisierungsfeldzügen im Rahmen der bestehenden Programme durchgeführt werden, über die wir bereits im Parlament diskutiert haben und hinsichtlich derer wir ferner Vorschläge von den betroffenen Nichtregierungsorganisationen erwarten.

Im Hinblick auf unsere Beziehungen zur Dritten Welt sind bereits erhebliche Anstrengungen unternommen worden, die Entwicklungshilfe an die Bedingung zu knüpfen, dass die Regierungen die Menschenrechte insbesondere auf diesem Gebiet respektieren, sowie die Bereitschaft zu berücksichtigen, politische Maßnahmen für die Aus- und Weiterbildung, die Sensibilisierung und die Unterstützung der Frauen und der Familien zu ergreifen. In Zusammenarbeit mit dem Entwicklungssektor und dem zuständigen Kommissar planen wir bereits, die Wirtschaftshilfe zugunsten jener Länder anzuheben, die der Beseitigung dieses Phänomens besondere Aufmerksamkeit schenken werden. Meiner Meinung nach gibt uns die Umsetzung dieses Programms in Äthiopien Anlass zu zufriedenstellenden Schlussfolgerungen darüber, was man unter Einsatz der Entwicklungshilfe in Zusammenarbeit der Europäischen Union mit den jeweiligen Regierungen erreichen kann.

Schließlich denken wir, dass die Nichtregierungsorganisationen eine Katalysatorrolle sowohl in der Europäischen Union als auch in den afrikanischen Staaten spielen können, weswegen sie in dieser Angelegenheit auch die Hauptansprechpartner und die wichtigsten Helfer der Kommission sind.

 
  
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  Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 11.00 Uhr statt.(1)

 
  

(1) Übermittlung gemeinsamer Standpunkte des Rates: siehe Protokoll.


10. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
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  Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt der Bericht (A5-0275/2001) von Frau Smet im Namen des Ausschusses für die Rechte der Frau und Chancengleichheit über gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit.

 
  
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  Smet (PPE-DE), Berichterstatterin. – (NL) Herr Präsident, Frau Kommissarin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Trotz aller rechtlichen Instrumente auf europäischer Ebene und in den Mitgliedstaaten, die Diskriminierung beim Arbeitsentgelt verbieten, bleibt nach wie vor ein beträchtliches und zählebiges Lohngefälle zwischen Männern und Frauen bestehen. Die uns dazu vorliegenden Zahlen, die übrigens von recht interessanten europäischen Studien stammen, verweisen auf eine Lohndifferenz von 25 bis 28 %, in manchen Ländern sogar von 30 %. So ist die Lohnkluft im Privatsektor auch größer als im öffentlichen Sektor, in der Industrie ausgeprägter als in der Landwirtschaft oder im Dienstleistungsbereich, und die größten Unterschiede bestehen in den Sektoren, in denen Frauen unterrepräsentiert sind.

Es fällt nicht immer leicht, die Bedeutung dieser Zahlen korrekt zu analysieren. Allgemein wird aber angenommen, dass der Lohnunterschied etwa zur Hälfte auf den unterschiedlichen Verlauf des beruflichen Werdegangs von Männern und Frauen – Frauen unterbrechen beispielsweise ihre Laufbahn weitaus häufiger als Männer, was eine verlangsamte Berufslaufbahnentwicklung zur Folge hat –, auf die niedrigeren Berufsabschlüsse insbesondere älterer berufstätiger Frauen, auf die Tatsache, dass von den Arbeitnehmern Frauen im Durchschnitt jünger sind als Männer, mit anderen Worten auf objektive strukturelle Unterschiede zurückzuführen ist.

Die andere Hälfte des Lohngefälles lässt sich jedoch nicht objektiv erklären und ist versteckten diskriminierenden Mechanismen zuzuschreiben, die zu einer geringeren Einstufung der Funktionen und Berufe führen, die hauptsächlich von Frauen wahrgenommen werden. Der diesbezüglich wichtigste Mechanismus ist das Funktionseinstufungssystem, bei dem die einzelnen Funktionen nach der Bedeutung geordnet, in eine bestimmte Klasse eingeteilt werden und entsprechend dieser Funktionsklasse ein Entgelt zugewiesen bekommen. Meistens wird diese Funktionsbewertung von den Sozialpartnern auf der Grundlage eines von einem Beratungsdienst entwickelten Systems vorgenommen.

Diskriminierung bei der Funktionsbewertung zeigt sich auch dann, wenn Merkmale, die traditionell weiblichen Funktionen zugeordnet werden wie soziale Fertigkeiten, das bessere Konzentrationsvermögen und die größere Fingerfertigkeit von Frauen, zu gering eingestuft werden. Auf Grund der Tatsache, dass sie weniger Punkte erhalten, niedriger eingeordnet werden, sind diese Funktionen in den Funktionshierarchien und Gehaltsrastern zu niedrig angesetzt und erhalten die Frauen also niedrigeres Entgelt. Demgegenüber findet eine Überbewertung von Merkmalen statt, die traditionell männlichen Funktionen zugeordnet werden wie technische Kenntnisse, körperlich schwere Arbeit oder finanzielle Verantwortung.

Im Prinzip wissen die Arbeitnehmer nicht, wie ihre Funktion eingestuft worden ist. Man kann sich sogar die Frage stellen, inwieweit die Sozialpartner in den Unternehmen Einblick in die Art und Weise der Funktionsbewertung haben. Außerdem sind die Frauen im Großen und Ganzen nicht an der Bewertung von Funktionen beteiligt, weil sie nicht Unterhändler der Sozialpartner sind.

Dann stellt sich die Frage: Was kann Europa hier unternehmen? Meiner Meinung nach, Frau Kommissarin, muss vornehmlich die Sammlung statistischer Daten über das Entgelt von Männern und Frauen sowie über die Darstellung der Unterschiede beim Entgelt unbedingt verbessert werden. Derzeit ist die statistische Datensammlung sowohl auf europäischer Ebene als auch in den meisten Mitgliedstaaten unzureichend. Das muss also als Erstes in Angriff genommen werden. Wie ich weiß, hat die Kommission eine Expertengruppe gebildet, um dies auf den Weg zu bringen, ich aber fordere, dass sie darüber hinaus auch nach einer Erklärung für das Lohngefälle sucht.

Zweitens könnte sich die Europäische Union stärker der Problematik der diskriminierenden Funktionseinstufung annehmen. Dazu könnte eine Initiative ergriffen werden, um beispielsweise die Richtlinie über gleiches Entgelt von 1975 durch einen Anhang zu ergänzen, der Vorschriften und Kriterien zur Gewährleistung eines geschlechtsneutralen Systems zur Arbeitsplatzbewertung enthält.

Die Mitgliedstaaten brauchen einen Leitfaden. Die Sozialpartner ebenso. Meiner Meinung nach kann Europa dabei eine hervorragende Hilfe sein. Außerdem bedarf es des Engagements der Sozialpartner, um die Transparenz im Hinblick auf die angewandte Werteskala im Lohnfestlegungsprozess sicherzustellen. Wie können die Menschen jetzt wissen, ob ihr Lohn einer Diskriminierung unterliegt oder nicht, wenn es beim Grad oder der Art und Weise der Lohnfestlegung keinerlei Transparenz gibt? So sollten sie sich auch dazu verpflichten müssen, mehr Frauen in die Lohnverhandlungen einzubeziehen, insbesondere Diskriminierung rückgängig zu machen und sie endlich ganz vorn auf die Agenda zu setzen, denn das versäumen die Sozialpartner immer.

Auch die Beschäftigungsleitlinien müssen durch die Aufnahme von Zielwerten und die Festlegung von Zielen mit Zeitplänen noch weiter präzisiert werden. Die vermisse ich, auch in den neuen Leitlinien, obgleich sie schon weitaus besser sind als die vorigen. Darauf muss viel stärker geachtet werden. Ich habe noch nie gehört, dass sich die Kommission beschwert, weil die nationalen Aktionspläne dieser Problematik zu wenig Beachtung schenken.

Kurzum, es bedarf einer globalen politischen Strategie. All diese Elemente gehören dazu, auch die Kampagne, die die Kommission einleiten möchte und die im Übrigen ein nützliches Element sein könnte, um einige dieser Dinge herauszustellen.

Ich, Frau Kommissarin, fordere also: Räumen Sie diesem Problem zugunsten der Frauen endlich einmal Priorität ein.

 
  
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  Attwooll (ELDR), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. (EN) Herr Präsident, Herr Kommissar, sehr geehrte Kollegen! Ich möchte Frau Smet zu ihrem Bericht beglückwünschen und dem Ausschuss für die Rechte der Frau und Chancengleichheit danken, der zahlreiche der vom Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten vorgelegten Schlussfolgerungen aufgenommen hat. Drei Dinge sind deutlich erkennbar: Erstens, in allen Berufsgruppen sind die Löhne von Frauen im Durchschnitt geringer als die der Männer; zweitens, Frauen sind vorrangig in Bereichen beschäftigt, in denen die Arbeit seit jeher weniger gilt; drittens, Frauen stellen einen wesentlich höheren Anteil an Teilzeitarbeitnehmern als Männer. Das Problem ist deshalb ganz ohne Zweifel tief verwurzelt und ohne das konzertierte Vorgehen aller Beteiligten nicht zu lösen. Dazu muss auch die Einführung von Arbeitsplatzbewertungssystemen gehören, denen objektive, geschlechtsneutrale Kriterien zugrunde liegen, um die gegenwärtige Unterbewertung der Fertigkeiten von Frauen zu beenden. Wir brauchen aber auch, wie Frau Smet bemerkte, eine viel breitere Palette von Initiativen zur Beseitigung der strukturellen Nachteile, denen sich Frauen auf dem Arbeitsmarkt gegenübersehen.

Der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten erkennt dankbar an, in welchem Maße sich die Kommission in ihren Vorschlägen für die Beschäftigungsleitlinien für 2002 dieses Themas bereits angenommen hat. Insbesondere begrüßen wir die Hervorhebung des Gleichstellungsaspekts und die Stärkung der Leitlinie 17. Wir freuen uns auf eventuelle Vorschläge der Kommission für die Überarbeitung und Aktualisierung der Richtlinie über gleiches Entgelt für Männer und Frauen von 1975. Bis dahin rufen wir sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Sozialpartner auf, sich aktiv an der Entwicklung dringend erforderlicher Maßnahmen zur Überwindung geschlechtsspezifischer Lohnunterschiede zu beteiligen.

 
  
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  Avilés Perea (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Ich möchte Frau Smet zu diesem Initiativbericht beglückwünschen, der dringend notwendig war. Sie hat es verstanden, ihn mit großer Professionalität zu erarbeiten, denn sie kennt das Problem von Grund auf und hat viel daran gearbeitet.

Doch obwohl der Bericht sehr gut ist, obwohl er versucht, jeden der Punkte im Zusammenhang mit dem Lohngefälle zwischen Männern und Frauen zu prüfen, stehen wir heute vor einem Problem, das sich verselbständigt hat, für das wir keine Lösung sehen. Für Frauen ist es schwieriger als für Männer, Zugang zu einem Arbeitsplatz, zu Bildungsmöglichkeiten und beruflicher Förderung zu erhalten, und dabei wird ihnen ein geringeres Entgelt als den Männern gezahlt. Aber dies betrifft nicht nur jene Frauen, die schon längere Zeit auf dem Arbeitsmarkt tätig sind, sondern auch gut und vielfach besser als Männer ausgebildete Frauen, die eine hervorragende Arbeit leisten und niedriger als ihre männlichen Kollegen bezahlt werden.

Es gibt keinerlei Rechtfertigung, kein Gesetz, das so etwas in einem der Staaten der Europäischen Union gestatten würde, aber dennoch ist dies die Realität, mit der wir konfrontiert sind und aus der wir keinen Ausweg wissen. Wahrscheinlich müssen die Sozialpartner, sowohl die Unternehmerverbände als auch die Gewerkschaften, eine wichtige Rolle bei der Lösung dieses Problems spielen. Säßen in den Führungen dieser Organisationen mehr Frauen, wäre die Frage vermutlich schon seit langem geregelt. Es ist recht bedauerlich, dass wir, während wir gegen viele andere Diskriminierungen kämpfen, die manchmal schwer nachzuweisen sind, noch nicht imstande waren, dieses augenfällige Problem zu lösen, das sich Monat für Monat in den Zahlen der einzelnen Gehaltsabrechnungen widerspiegelt.

Ich glaube, die mangelnde Wertschätzung der Arbeit der Frau, die Tatsache, dass ihre Arbeit stets als der des Mannes untergeordnet betrachtet wurde, dass immer angenommen wurde, sie wäre für Arbeitsplätze mit hoher Verantwortung nicht besonders geeignet, sind Vorurteile, die noch immer im Denken der Gesellschaft vorhanden sind und die Gleichheit und den Zugang zu einer besseren beruflichen Förderung der Frauen erschweren.

Ich bitte die Kommissarin, Frau Diamantopoulou, eine Initiative zu finden, die zur Lösung dieses Problems beiträgt. Legt eine Person, die auf diese Weise diskriminiert wird, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union Klage ein, so gewinnt sie; ist sie im öffentlichen Dienst tätig, muss sie sich lediglich den übelgelaunten Kollegen aussetzen; arbeitet sie hingegen im Privatsektor, wird sie früher oder später gezwungen sein, ihren Arbeitsplatz aufzugeben. Aus diesem Grund nutzen viele Frauen diesen ihnen offen stehenden legalen Weg gar nicht.

 
  
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  Honeyball (PSE).(EN) Herr Präsident! Wir haben es hier mit einer sehr wichtigen Frage zu tun, weil diese Diskriminierung alle Frauen betrifft, nicht nur in der EU, sondern weltweit. Deshalb begrüßen wir diesen Bericht, der in der Tat zu gravierenden Erkenntnissen gelangt. Er zeigt, wie die Berichterstatterin ausführte, dass die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen in der Europäischen Union im Durchschnitt 20-25 % beträgt; in einigen Mitgliedstaaten ist die Situation noch viel schlimmer. Dieser Bericht ist sehr praktisch ausgerichtet, er schlägt Maßnahmen vor, die ganz konkrete Schritte enthalten, um diese schwierige Aufgabe in Angriff zu nehmen. Deshalb unterstützen wir die in dem Bericht dargelegten Maßnahmen und fordern, diese Schritte so bald wie möglich umzusetzen, denn wir haben es hier mit einer Diskriminierung zu tun, der Frauen schon sehr lange ausgesetzt sind. Wir müssen gegen eine Benachteiligung vorgehen, die seit Jahrhunderten besteht, und wir müssen dabei vorankommen. Ich unterstütze selbstverständlich alle Rufe, dies zu einer prioritären Aufgabe der EU und der Kommission zu erklären.

Insbesondere möchte ich darauf aufmerksam machen, dass in dem Bericht drei Mitgliedstaaten genannt sind, in denen die Situation bedeutend schlimmer ist, so schlimm, dass der Bericht sie namentlich erwähnt. Diese Mitgliedstaaten stehen ganz besonders in der Verantwortung, Maßnahmen einzuleiten und dafür zu sorgen, dass sie so schnell wie möglich zum EU-Durchschnitt aufschließen.

Ich möchte zwei weitere Punkte aus dem Bericht hervorheben. Erstens sind das die Kampagnen zur Bewusstseinsbildung. Die Mitgliedstaaten können diese ohne große Schwierigkeiten durchführen. Das löst nicht die eigentlichen Probleme am Arbeitsplatz, aber dieser Punkt ist von den Regierungen relativ leicht umzusetzen. Der zweite Punkt des Berichts, auf den ich aufmerksam machen möchte, betrifft die Feststellung, der öffentliche Sektor könne eine Beispielfunktion wahrnehmen, und ich fordere die Regierungen der Mitgliedstaaten deshalb auf, ihre eigene Beschäftigungspolitik kritisch zu überprüfen und zu ermitteln, wie sie selbst bessere Arbeitgeber werden könnten.

 
  
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  Dybkjær (ELDR).(DA) Herr Präsident, auch ich möchte Frau Smet für einen sehr guten Bericht danken. Trotzdem muss ich sagen, dass ich es für beschämend halte, dass wir im Jahr 2001 noch immer über diese Probleme diskutieren. Und wir wissen auch, dass die Situation durch die Erweiterung nicht besser wird – um es vorsichtig auszudrücken. Daraus folgt nicht nur, dass Frauen die schlechter bezahlten Jobs haben, sondern auch, dass sie keine guten Führungspositionen bekleiden; gute Führungspositionen sind aber eine der Voraussetzungen dafür, dass eine Änderung der Situation herbeigeführt werden kann.

Ich habe heute Abend hier ums Wort gebeten, weil ich auf eine Untersuchung hinweisen möchte, die gerade in Dänemark veröffentlicht worden ist und die zeigt, dass der Grundstein für die Ungleichheit der Bezahlung schon im Kinderzimmer gelegt wird. Die Untersuchung zeigt, dass Mädchen weit weniger Taschengeld erhalten als Jungen. Sie bekommen viel weniger Konsumgüter als Jungen und sie verdienen auch weniger als diese. Deshalb können Jungen schon im Kindesalter zu sparen anfangen, womit der Grundstein für die Ungleichheit gelegt ist. Dies gilt für alle Altersgruppen, ausgenommen die 16- bis 18-Jährigen. In allen anderen Altersgruppen bekommen die Mädchen weniger Taschengeld als die Jungen. Und es sind die Eltern selbst, die Frauen selbst, die ihren Mädchen weniger Taschengeld geben als den Jungen. Hinzu kommt, dass die Jungen viel bessere Arbeitsplätze haben und dadurch auch mehr verdienen. Mit den Konsumgütern verhält es sich ebenso. Natürlich haben Jungen in ihren Zimmern mehr Fernsehgeräte, mehr Computer usw. Wir sollten also vielleicht bei uns selbst anfangen. Eltern müssen überlegen, wie sie ihre Kinder behandeln und verhindern, dass sie von der Wiege an ungleich behandelt werden. Ich möchte Ihnen diesen dänischen Bericht sehr empfehlen. Er ist meiner Meinung nach sehr interessant.

 
  
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  Fraisse (GUE/NGL). – (FR) Vielen Dank an Frau Smet dafür, dass sie die Initiative zur Ausarbeitung dieses Berichts ergriffen hat. Ich möchte drei Probleme hervorheben, zunächst jedoch folgende Anmerkung machen. Wenn wir von einem Lohngefälle von 25 % sprechen, so ist dies ein Durchschnittswert für sämtliche Berufe. Bei gleicher Arbeit beträgt der Unterschied im Allgemeinen 15 %. Warum ist es mir so wichtig, an diese zwei Zahlen und an diese zwei Begriffe zu erinnern? Weil es vor allem darum geht, auf die Schwierigkeiten hinzuweisen - meine Kolleginnen haben das bereits getan -, mit denen wir es heute zu tun haben. Die Lage ist außerordentlich schwierig. Es sind kaum Lösungen zu erkennen, jedenfalls keine sehr wirksamen Lösungen.

Ich möchte an drei Dinge erinnern. Erstens entfallen beispielsweise in Frankreich 10 % der Arbeitsplätze, die Männern offen stehen, auf Frauen. Von 300 Berufen gibt es 30, in denen Frauen tätig sind. Frauen haben also Zugang zu 10 % aller Berufe. Obwohl dies sicher eine Frage der Beratung ist.

Zweitens sprechen wir in diesem Bericht von der atypischen Arbeit, die auch als Teilzeitarbeit bezeichnet wird. Einige Länder vertreten die Auffassung, dass das für Frauen gut ist. Ich für meinen Teil finde das überhaupt nicht gut. Auf diese Weise wird man keine Lohngleichheit und keine wirtschaftliche Gleichheit herbeiführen. Denn ohne wirtschaftliche Gleichheit gibt es keine Lohngleichheit.

Drittens muss auch bei der Vertretung in den Entscheidungsorganen der Sozialpartner Parität bestehen. Ich wäre ganz gewiss die Erste, die dafür kämpfen würde, dass Männer und Frauen an den Entscheidungen der Sozialpartner paritätisch beteiligt sind. Bei sehr vielen Berufen gibt es jedoch keine Sozialpartner, nämlich bei sämtlichen Beschäftigungsverhältnissen im Dienstleistungssektor. Wie sollen wir also vorgehen? Wir haben in Frankreich ein Gesetz über die Nachtarbeit gemacht, das besagt, dass die Sozialpartner sich darum kümmern müssen. Aber es gibt für diese Berufe keine Sozialpartner, und das bringt große Probleme mit sich.

Frau Kommissarin, ich möchte Sie angesichts der Tatsache, dass wir es mit einem ganzen Komplex von enormen Schwierigkeiten zu tun haben, vielleicht nur um eines bitten, nämlich dass wir bei der zweiten Lesung der Richtlinie von 1976, die wir gerade mit Ihnen und dem Rat überarbeiten, auf der Frage der Gleichheit des Arbeitsentgelts bestehen, die offenbar bei den Diskussionen mit dem Rat nicht willkommen ist. Meines Erachtens kommen wir jedoch an dieser Frage nicht vorbei, wenn wir wollen, dass die Aktualisierung der Richtlinie von 1976 einen Sinn hat.

 
  
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  Sandbæk (EDD).(DA) Wenn wir noch einmal über gleichen Lohn für gleiche Arbeit sprechen, obwohl dieses Prinzip schon mit dem Vertrag von Rom eingeführt wurde, müssen wir uns vielleicht einmal fragen, ob wir nicht zu anderen Strategien zur Überwindung des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen greifen müssen, da die gemeinsamen Anstrengungen der EU nicht zum Erfolg geführt haben. Ich finde, wir sollten künftig in verstärktem Maße – gemäß dem Subsidiaritätsprinzip – diese Aufgabe den einzelnen Mitgliedstaaten übertragen. Die Erfahrungen werden an den jeweiligen Arbeitsplätzen gemacht. Die einzelnen Länder müssen über die Sozialpartner konkret dafür sorgen, dass das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit in die nationalen Tarifvereinbarungen übernommen wird. Wir müssen berücksichtigen, dass in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Systeme für Lohn- und Tarifverhandlungen bestehen. Statt einer direkten EU-Vorschrift in diesem Bereich muss die EU Leitlinien erarbeiten und Empfehlungen geben, und das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit muss mehr als bisher in die nationalen Aktionspläne für die Beschäftigung und Gleichbehandlung einbezogen werden. Der Arbeitsmarkt wird in den kommenden Jahren mehr Arbeitskräfte benötigen, und deshalb ist es wichtig, dass wir uns verstärkt um bessere Bedingungen für Frauen bemühen. Insgesamt gesehen kann ich alle Initiativen des Berichts Smet unterstützen.

 
  
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  Martens (PPE-DE).(NL) Herr Präsident! Seit 1951 bemüht man sich auf europäischer Ebene um gleiches Entgelt für männliche und weibliche Arbeitnehmer bei gleichwertiger Arbeit. 1957 wurde dies im Vertrag von Rom und 1975 in einer Richtlinie verankert. Obgleich Lohndiskriminierung von Rechts wegen verboten ist, wie heute schon mehrfach ausgeführt, besteht in der EU derzeit nach wie vor eine Lohnkluft. Das ist nicht hinnehmbar. Ich begreife, dass es mitunter schwierig ist, eine objektive Lohnfestlegungsmethode oder ein Funktionsbewertungssystem zu finden, es muss aber trotzdem mehr Transparenz und Geschlechtsneutralität möglich sein. Zu Recht ist in dem Bericht von Wertediskriminierung die Rede. Dort sind der Staat, aber auch die Sozialpartner in der Pflicht. Sie spielen, wie schon gesagt, eine wichtige Rolle.

Ebenso müssen Frauen unbedingt stärker in Lohnverhandlungen und in die Beschlussfassung im Allgemeinen eingebunden werden, um Frauen mehr Positionen in Beschlussorganen zu sichern. Peinlich finde ich es, dass das auf europäischer Ebene verfügbare statistische Material über Unterschiede beim Arbeitsentgelt zwischen Männern und Frauen veraltet und unvollständig ist. Ich begrüße deshalb auch die Initiative zur Erfassung neuer Daten und unterstütze den Gedanken einer weiteren Untersuchung über die auf das Arbeitsentgelt einwirkenden Faktoren sowie über die Ursachen des Lohngefälles bei gleichwertiger Arbeit. Eine Lohndifferenz von 15 % nach Berücksichtigung solcher Elemente wie Alter, Ausbildung und Berufserfahrung ist, wie gesagt, nicht gerechtfertigt.

Das Thema, das wir jetzt erörtern, darf nicht losgelöst von anderen Dingen in Bezug auf Frauen und Berufstätigkeit von Frauen gesehen werden. Es steht in engem Zusammenhang mit solchen Aspekten wie Zugang zum Arbeitsmarkt, Aufstiegschancen, Vereinbarkeit von Arbeit und Familie usw. Gleiches Entgelt bei gleichwertiger Arbeit kann mithelfen, den Teufelskreis der lebenslangen Ungleichheit zu durchbrechen: Weniger Lohn führt zu weniger Rente oder zu mehr Arbeit, um dasselbe Rentenniveau zu erreichen, mehr Arbeiten bedeutet oft einen größeren Bedarf an Kinderbetreuung, weniger Zeit für die Entfaltung und Entspannung neben der Arbeit usw.

Ich freue mich, dass der belgische Ratsvorsitz diese Problematik als Priorität betrachtet und hoffe, dass die Mitgliedstaaten diesen Appell dieses Mal ernst nehmen. Ich erwarte zudem einen entscheidenden Impuls von der Kampagne zu diesem Thema im Jahre 2002.

Der Bericht, den wir erörtern, ist ein Initiativbericht. Ich möchte der Berichterstatterin, Frau Smet, zu ihrer Arbeit gratulieren. Insbesondere ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass dieser Initiativbericht vorliegt. Der Bericht verschafft noch einmal einen klaren Überblick über das eine oder andere und gibt konkrete Lösungsrichtungen vor.

 
  
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  Torres Marques (PSE).(PT) Herr Präsident, Frau Kommissarin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union hat entscheidend dazu beigetragen, die Problematik des in unseren fünfzehn Ländern bestehenden Lohngefälles zwischen Frauen und Männern aufzuzeigen und nach einer Lösung zu suchen. Sowohl der Vertrag als auch die nun bestehenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften verpflichten zu dem Prinzip der Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen. Aber kein Land hält sich an die Gesetze, die es in diesem Bereich erlassen hat. Das ist von Land zu Land unterschiedlich, die Ergebnisse aber sind gleich. Die wachsende Zahl von Frauen in den Wirtschaftsbereichen bewirkt eine Entwertung der Arbeitsentgelte. Gerade bei den Berufen, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden, nimmt die Gesellschaft hin, dass sie am schlechtesten bezahlt werden. Sogar in den skandinavischen Ländern, wo die Frauen die Gleichstellung erreicht haben, ist selbst im politischen Leben festzustellen, wie schwierig es für sie ist, in Privatunternehmen in Führungspositionen zu gelangen, in denen die Gehälter höher sind.

Folglich haben wir es mit einer widersprüchlichen Situation zu tun, da die Gesetze zur Gleichstellung verpflichten, die Gesellschaft aber nach wie vor das Modell pflegt, das die von der Frau ausgeübten Tätigkeiten als minderwertiger einstuft. Damit sich die wahre Demokratie durchsetzt, damit ein neues Gesellschaftsmodell entwickelt wird, das die Gleichstellung verinnerlicht, müssen die Männer im Bereich ihres Privatlebens mehr Rechte erhalten. Die hier erlassenen oder vorgeschlagenen Gesetze sprechen eine deutliche Sprache. So hat beispielsweise die Regierung in Portugal dem Parlament kürzlich einen Gesetzesentwurf vorgelegt, um den Elternurlaub obligatorisch auf mindestens fünf Tage festzulegen. Ein solches Gesetz existiert in keinem Land Europas – dort ist diese Freistellung freiwillig, und sein Anliegen besteht darin, das allgemeine Umdenken voranzubringen.

Die Tatsache, dass die Gesellschaft nach wie vor akzeptiert, dass der Mann von den Pflichten des Familienlebens entbunden wird, ist ein wirklich unfairer Wettbewerb, dem die Frau in ihrem beruflichen Leben ausgesetzt ist. Wenn wir die Benachteiligung beseitigen wollen, mit der die Frauen in der Arbeitswelt noch immer zu kämpfen haben, müssen sich die Denkweise und die Einstellungen der Menschen und das Handeln der Sozialpartner ändern. Dabei muss die Europäische Union weiterhin eine entscheidende Rolle spielen. Auf dem Gipfel von Lissabon hat Europa festgestellt, dass die innerhalb von zehn Jahren angestrebte wirtschaftliche und soziale Situation nur erreicht wird, wenn die Beschäftigungsquote der Frauen angehoben wird. Jetzt muss Europa anerkennen, dass es nicht nur mehr arbeitende Frauen, sondern auch Berufe benötigt, die von Frauen ausgeübt werden.

In diesem Sinne hat die Kommission vorgeschlagen – und der Rat hat dies akzeptiert –, im Programm für die Gleichstellung für 2001 dem gleichen Arbeitsentgelt für Männer und Frauen Vorrang zu geben. Auch der Europäische Gewerkschaftsbund hat diese Frage als vorrangig für dieses Jahr eingestuft. Das Europäische Parlament hat den Initiativbericht ausgearbeitet und damit ...

(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)

... Ich möchte nur noch die Berichterstatterin Smet beglückwünschen und sagen, dass ich ihren Vorschlägen zustimme.

 
  
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  Laguiller (GUE/NGL). – (FR) Herr Präsident, das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen, das in dem Bericht auf 28 % geschätzt wird, ist um so empörender, als die Löhne selbst bei einem Großteil der männlichen Arbeitnehmer weit davon entfernt sind, ein angemessenes Leben im 21. Jahrhundert zu ermöglichen. Aber es reicht nicht, dies festzustellen. Wenn das Parlament dieser Ungerechtigkeit wirklich ein Ende bereiten wollte, dann würde es zwingende Maßnahmen ergreifen und sämtliche Arbeitgeber ohne Ausnahme unter Androhung drastischer Sanktionen zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Arbeitsentgelt verpflichten. Es gibt Bereiche, in denen das Parlament sehr wohl in der Lage ist, verbindliche Maßnahmen zu ergreifen. Aber nach den zögerlichen Vorschlägen des Berichts zu urteilen, geht es hier gar nicht um Zwangsmaßnahmen gegenüber den Arbeitgebern. Unter diesen Umständen ist selbst die Zustimmung des Parlaments ein Schlag ins Wasser. Es bleibt den Arbeitnehmerinnen überlassen, die Gleichheit selbst durchzusetzen und sich darüber hinaus mit den Arbeitnehmern zu verbünden, um Löhne durchzusetzen, die für alle angemessen sind.

 
  
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  Kratsa-Tsagaropoulou (PPE-DE).(EL) Herr Präsident! Der Bericht der Kollegin Smet ist das Ergebnis seriöser Recherchen, aber auch politischer Erfahrung und persönlichen Engagements und wurde deswegen mit Begeisterung und großer Mehrheit in unserem Ausschuss angenommen.

Er erörtert eine allgemeine, in allen gesellschaftlichen und ökonomischen Systemen Europas anzutreffende Erscheinung, eine bittere Realität, die allen fortschrittlichen gesetzgeberischen Bemühungen, ob national oder europäisch, entgegenwirkt. Die Frauen sind nicht nur hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt, sondern auch bei Karrierechancen und Entlohnung benachteiligt. Der letzte Bericht über die Beschäftigung erwähnt, dass in den meisten Mitgliedstaaten der Versuch, die Ungerechtigkeiten zu beseitigen, aufgegeben worden und das Thema vom Tisch des sozialen Dialogs ist.

Wir verlangen von der Kommissarin, dass sie von den Mitgliedstaaten eine seriöse Beurteilung der Lage fordert, so wie es die Berichterstatterin vorschlägt. Und um nicht das zu wiederholen, was meine Kollegen bereits gesagt haben und mit dem ich voll und ganz übereinstimme, möchte ich Ihnen, Frau Kommissarin, im Hinblick auf Ihre Politik, aber auch die der Mitgliedstaaten empfehlen, die Frage umfassend zu thematisieren. Die politischen Realitäten in vielen Ländern der Europäischen Union in den Bereichen Arbeit, soziale Sicherung und Renten, grenzen die Frauen aus dem aktiven Berufsleben aus und entmutigen sie in Hinblick auf ihre Ambitionen, Anstrengungen, den Wettbewerb, auf Ansprüche und folglich auch die Entlohnung. Unsere Rolle, Ihre Rolle ist eine schwierige: Es geht darum, die öffentliche Meinung, aber auch die Frauen selbst davon zu überzeugen, wie sehr alle diese Themen miteinander verknüpft sind und dass ihre so genannten Errungenschaften und Schutzrechte im Widerspruch zu ihren Interessen, zur Qualität, Verträglichkeit und Entlohnung ihrer Arbeit stehen. Unterstützen Sie, Frau Kommissarin, auch die Regierungen dabei, die politischen Kosten zu übernehmen, die solche Bemühungen um den Wandel meistens mit sich bringen.

 
  
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  Ghilardotti (PSE).(IT) Herr Präsident! Auch ich möchte Frau Smet zu dem vorliegenden Initiativbericht sowie zu ihrer ausführlichen und umfassenden Arbeit beglückwünschen. Unterschiede beim Arbeitsentgelt zwischen Männern und Frauen sind ein bekanntes Phänomen, das, wenn auch in ungleichem Umfang, sämtliche Unionsländer betrifft, und hinsichtlich dessen seit langem Schritte unternommen werden: Einige meiner Vorredner haben bereits das IAO-Übereinkommen von 1951, den Artikel des Vertrags von Rom, die Richtlinie von 1975 sowie den Vertrag von Amsterdam genannt. Vieles ist getan worden, und es wurde auch Abhilfe geschaffen. Seit über 10 Jahren legt die Kommission, unter anderem auf Aufforderung des Parlaments, Empfehlungen vor; außerdem verweise ich auf den von der Kommission formulierten Verhaltenskodex, durch den die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner für einschlägige Maßnahmen im Rahmen konkreter Aktionen sensibilisiert werden sollten.

Trotz unvollständiger Daten lassen sich anhand der Untersuchung des Phänomens die bestehenden Unterschiede erklären. Es gibt strukturelle Gründe, die bereits genannt worden sind: Unterschiede in Bezug auf Alter, Ausbildung, beruflichen Werdegang, unsichere und Teilzeitarbeitsplätze, in denen vorwiegend Frauen beschäftigt sind. Es bestehen jedoch auch noch regelrechte Diskriminierungen: direkte Diskriminierung – in einigen Fällen ist das Entgelt sogar bei gleicher Arbeit unterschiedlich; vor allem aber Wertediskriminierung – die von Frauen verrichteten Tätigkeiten werden noch immer geringer eingestuft als die von Männern, trotz z. B. gleich hohem Ausbildungs- und Verantwortungsniveau.

Ich möchte auf ein Beispiel in meinem Land hinweisen: Erst Mitte der 80er Jahre ist es im Rahmen des für die Textilarbeitnehmer geschlossenen nationalen Tarifvertrags gelungen, nach 15-jährigem Kampf die Anerkennung einer höheren Einstufung des in den Textilbetrieben der Konfektionsindustrie vorgesehenen Berufsbilds der „Meisterin“ durchzusetzen, d. h. erst als dieser ursprünglich typische Frauenberuf im Zuge der Umstrukturierungen und nach dem Verlust von Frauenarbeitsplätzen allmählich auch von Männern ausgeübt wurde. Dies ist ein konkretes Beispiel für ein Problem, das in Italien in der Textilbranche erst Mitte der 80er Jahre gelöst wurde, aber heute noch in sehr vielen anderen Situationen fortbesteht.

Die Berichterstatterin hat zahlreiche Vorschläge unterbreitet, die meiner Meinung nach in die richtige Richtung weisen. Die Frau Kommissarin und die Kommission sind diesem Thema gegenüber sehr aufgeschlossen, das infolge der Beschäftigungsleitlinien für 2002 ebenfalls im Mittelpunkt unserer Arbeiten steht.

 
  
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  De Sarnez (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, auch ich möchte zunächst Frau Smet für die ausgezeichnete Arbeit danken, die sie geleitet hat, insbesondere für die sehr gute Darlegung der Gründe.

Im Hinblick auf diesen Bericht machen wir alle heute die traurige Feststellung, dass trotz der vielen Initiativen, die seit Jahren ergriffen wurden, und trotz der positiven Maßnahmen der Kommission heute nach wie vor ein Lohngefälle zwischen Frauen und Männern in der Europäischen Union besteht. Frauen verdienen nicht nur durchschnittlich 28 % weniger als Männer für gleichwertige Arbeit, sondern, und darüber sprechen wir nicht genug, sie stellen einen hohen Anteil in unsicheren und mit anstrengender Arbeit verbundenen Beschäftigungsverhältnissen. Frauen sind häufiger arbeitslos und in stärkerem Maße von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Außerdem übernehmen sie in den meisten Fällen die Betreuung der Kinder und manchmal auch anderer pflegebedürftiger Personen.

Selbstverständlich müssen wir etwas unternehmen und dabei verschiedene Richtungen beschreiten. Deshalb bin ich mit dem Geist und mit den Vorschlägen dieses Berichts einverstanden. Die Bildung einer Expertengruppe, die die Erfassung statistischer Daten verbessern soll, ist notwendig. Die Einleitung einer europaweiten Kampagne im Jahr 2002 ist eine gute Sache, und es wäre zweifellos nützlich, bei dieser Gelegenheit einen Vergleich zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Darüber hinaus ist es notwendig, wie von der Berichterstatterin vorgeschlagen, die Richtlinie von 1975 zu überarbeiten, sich mit den Problemen der Ausbildung zu befassen, um dafür zu sorgen, dass Frauen wirklich ein Recht auf lebenslanges Lernen in Anspruch nehmen können, die Sozialpartner zu einer stärkeren Beteiligung von Frauen an Tarifverhandlungen aufzufordern und schließlich Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben zu ergreifen.

Aber damit es nicht bei diesen Vorsätzen bleibt, müssen sich alle politischen Entscheidungsträger der Union wirklich dafür engagieren und klar und deutlich ihren Willen bekunden. In einer Zeit, da wir in eine neue Welt eintreten und uns mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert sehen, müssen sich unsere Entscheidungsträger der Tatsache bewusst werden, dass diese Situation nicht nur diskriminierend und ungerecht ist, dass sie nicht nur kontraproduktiv ist, sondern Tag für Tag den Werten, an die wir glauben, und dem Gesellschaftsmodell, das Europa verteidigen muss, widerspricht.

 
  
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  Diamantopoulou, Kommission. – (EL) Herr Präsident! Auch ich möchte Frau Smet besonders gratulieren, zumal in ihrem Bericht auch ihre persönlichen Kenntnisse und Erfahrungen mit diesem Thema zu spüren ist.

Das Thema des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen ist ganz unverkennbar ein Spiegel der allgemeinen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Ich will nicht alles wiederholen, was hier an Belegen oder Analysen der Ursachen dieser Ungleichheit vorgebracht worden ist. Ich werde mich vielmehr auf das beziehen, was sich gegenwärtig in Politik und Planung tut. Wie sie wissen, ist die Frage des Lohngefälles seit dem Beginn der Strategie für die Beschäftigung im Jahre 1999 ein Teilproblem des der Chancengleichheit gewidmeten vierten Schwerpunkts. Seitdem, also von 1999 an, unterzieht die Kommission die Politik der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Lohngleichstellung einer regelmäßigen Beurteilung. Dabei ist für die letzten drei Jahre festzustellen, dass in vielen, wenn auch nicht in allen Mitgliedsländern das Problem des Lohngefälles erkannt und Konzepte und Maßnahmen zu seiner Bewältigung vorgeschlagen worden sind. Die Kommission erörtert das Problem Jahr für Jahr im gemeinsamen Bericht auf der Grundlage der verfügbaren Daten und übermittelt den Mitgliedstaaten politische Empfehlungen.

Nun stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln die Kommission diese Bewertung durchführt, wobei man in der Tat auf das Problem der Indikatoren und der Statistiken trifft, das Frau Smet erwähnt hat. Die statistische Arbeit bedarf neuer Leitfragen, um das Problem exakt einzufangen und wiederzugeben. Die Kommission ist bereits zu diesen neuen Leitfragen übergegangen, von denen ich hier nur eine erwähnen möchte. Wir müssen beispielsweise die Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf den Stundenlohn von Angestellten, die mehr als 15 Wochenstunden arbeiten, statistisch untersuchen. Dabei ist zwischen Brutto- und Nettobezügen im öffentlichen und privaten Bereich zu unterscheiden, und das bedeutet Aufgliederung nach Alter, Ausbildung, Beruf, wirtschaftlicher Tätigkeit, Art der Arbeit, Status der Arbeit. Solche Informationen werden in sehr wenigen Ländern in der erwähnten Weise erfasst. Neben dem Problem der Leitfragen haben wir auch ein Problem mit der Praxis der Durchführung statistischer Untersuchungen. In manchen Mitgliedsländern vergeht äußerst viel Zeit zwischen der Erhebung der Daten und der Bekanntgabe der Resultate. Das kommt aber nicht nur in den Mitgliedstaaten vor, sondern auch bei manchen Statistiken der Europäischen Union selbst. Von daher ist die Erhöhung der Qualität der Statistiken als zentrales Instrument zur Verbesserung der Politik eine unserer Prioritäten. Sie werden sehen, dass in den diesjährigen Empfehlungen an die Mitgliedstaaten besonders auf die Notwendigkeit der Verbesserung der statistischen Systeme Bezug genommen wird.

Zweites Grundelement sind die Leitlinien für das Jahr 2002. Meiner Meinung nach sind sie eine sehr klare Strategie, im Rahmen derer die Mitgliedstaaten aufgefordert sind, konkrete Ziele zur Verminderung des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen zu formulieren. Dabei ist es natürlich unsere Absicht, mit allen Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten und einen Austausch der best practices zu bewirken, damit bestimmte Länder von anderen, weiter fortgeschrittenen Ländern lernen können.

Der dritte Punkt, den ich erwähnen möchte, bezieht sich auf das fünfte Programm, dessen Umsetzung gerade anläuft. Die Phase der Prüfung der eingereichten Vorschläge steht dabei vor dem Abschluss. Priorität bei der Auswahl der Vorschläge hat die Frage der Lohngleichstellung. Ja, wir haben sogar fünf Unterschwerpunkte geschaffen, die von den eingereichten Programmen abgedeckt werden müssen, bevor sie unter dem Gesichtspunkt der Lohngleichstellung geprüft werden können, um das zu erreichen, was viele Rednerinnen als nötig herausgestellt haben, eine integrierte Strategie. Vor wenigen Tagen, am 13. September, haben die belgische Präsidentschaft und die Kommission einen großen Kongress zum Thema Lohngleichheit veranstaltet.

Herr Präsident, verehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich möchte sagen, dass wir unter Berücksichtigung des Effekts all dieser Maßnahmen und der Prüfung der erwähnten Politiken auch die abschließende Entscheidung über die Revision der bestehenden Richtlinie fällen werden.

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 11.00 Uhr statt.

 

11. Mobbing am Arbeitsplatz
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  Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt der Bericht (A5-0283/2001) von Herrn Andersson im Namen des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten über Mobbing am Arbeitsplatz.

 
  
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  Andersson (PSE), Berichterstatter. (SV) Herr Präsident! In diesem Initiativbericht geht es um ein Problem, das zwar nicht neu, aber erst kürzlich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt ist. Einer Umfrage der Dublin-Stiftung zufolge tritt Mobbing am Arbeitsplatz in relativ großem Umfang auf. 8 % der Arbeitnehmer in der EU, das entspricht 12 Millionen Personen, erklären, in den letzten zwölf Monaten an ihrem Arbeitsplatz Mobbing ausgesetzt gewesen zu sein.

Welches sind die Gründe dafür, und können wir Zusammenhänge erkennen? Ja, wir wissen z. B., dass unsichere Arbeitsverhältnisse hier eine Rolle spielen und dass Personen, die Mobbing ausgesetzt sind, erheblich mehr unter Stress zu leiden haben als andere. Ebenso ist bekannt, dass Mobbing insbesondere an Arbeitsplätzen mit hoher Anspannung auftritt. Es geht dabei um Fragen der Sicherheit im Arbeitsleben sowie der Arbeitsorganisation.

Welche Auswirkungen hat nun Mobbing? Mobbing führt natürlich dazu, dass die Betroffenen sich schlechter fühlen, öfter ihrem Arbeitsplatz fernbleiben und häufiger krank sind. Ferner funktioniert die gesamte Arbeitsgruppe, auch die selbst nicht gemobbten Personen, schlechter. Mobbing hat überdies erhebliche Auswirkungen für das Unternehmen, in Form von geringerer Produktivität und mangelnder Effizienz sowie schlechteren Arbeitsbedingungen.

Mir wurde die Frage gestellt, warum sich die EU mit dieser Frage beschäftigt und was dies mit der Gemeinschaft zu tun habe. Nun, Mobbing am Arbeitsplatz ist ein Problem, das in allen Mitgliedstaaten auftritt, dem aber in den einzelnen Ländern unterschiedliche Aufmerksamkeit gewidmet wird. Seit einigen Jahren reden wir immer häufiger von der Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen, d. h. von der Qualität im Arbeitsleben, bei der es vor allem um Fragen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie der Arbeitsorganisation geht. An vielen Arbeitsplätzen stellt Mobbing ein Problem in diesem Zusammenhang dar. Die EU besitzt seit langem Rechtsvorschriften zum Gesundheitsschutz und zur Sicherheit am Arbeitsplatz.

Was ist also zu tun? Nun, wir müssen zunächst einmal die Definition des Mobbing überprüfen und einheitlich charakterisieren. Darüber hinaus brauchen wir wesentlich bessere statistische Daten, wobei hier die Dublin-Stiftung und Eurostat zukünftig eine wichtige Rolle spielen.

Überdies ist das offene Koordinierungsverfahren anzuwenden. Dabei müssen die Mitgliedstaaten ihre Rechtsvorschriften usw. weiter ausbauen und zur Verbreitung guter Praxis beitragen, d. h. voneinander lernen. Der Lissabon-Prozess enthält auch Indikatoren für die Qualität.

Wie steht es nun hier mit den Rechtsvorschriften? Sollen wir von vornherein erklären, auf diesem Gebiet seien keine Rechtsvorschriften erforderlich, da es zu einem Bereich gehört, auf dem die EU heute bereits Vorschriften erlassen hat, nämlich im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz? Gegenwärtig gibt es eine umfassende Debatte über Sicherheit und Gesundheit, in der anerkannt wird, dass nicht nur physische, sondern auch psychosoziale Arbeitsumweltfaktoren von Bedeutung sind und in der veränderten Arbeitsumwelt der Zukunft eine immer größere Rolle spielen werden. Was atypische Arbeiten, unsichere Arbeitsverhältnisse usw. betrifft, so sind davon vor allem Frauen betroffen.

Die Frage der Rechtsvorschriften wird im Bericht an zwei Stellen hervorgehoben, auch wenn nicht ausdrücklich erklärt wird, dass wir Rechtsvorschriften benötigen oder wie diese aussehen sollen. Die Kommission wird aufgefordert, in der Mitteilung über eine Gemeinschaftsstrategie zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und die Stärkung der qualitativen Dimension in der Beschäftigungs- und Sozialpolitik sowie im Grünbuch zur sozialen Verantwortung der Unternehmen auch das Problem des Mobbing am Arbeitsplatz zu berücksichtigen und sich dabei auch mit der Notwendigkeit von Gesetzgebungsinitiativen in dieser Richtung zu befassen. Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass die Kommission zu dem Schluss kommt, dass wir keine derartigen Rechtsvorschriften benötigen. In diesem Fall werden wir eine Analyse anfertigen. Ich finde es jedoch ziemlich unverständlich, wenn bereits im Vorfeld die Möglichkeit einer Gesetzgebung ausgeschlossen wird.

Es ist durchaus möglich, dass die Rahmenrichtlinie über die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz auch die Aspekte der psychosozialen Arbeitsumweltbedingungen abdeckt, aber wir wollen diesen Punkt eindeutig geklärt haben. Wenn wir hier entsprechende Klarheit erhalten, dann ist das alles kein Problem, anderenfalls brauchen wir jedoch z. B. eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Rahmenrichtlinie, damit sie auch das „neue“ wichtige Gebiet umfasst. In diesem Zusammenhang muss dann auch überprüft werden, ob Rechtsvorschriften oder eine Gesetzgebungsinitiative zum Mobbing am Arbeitsplatz erforderlich sind.

Lassen Sie mich ein Beispiel aus meinem Land anführen. Wir haben eine Rahmengesetzgebung, die den Arbeitgeber verpflichtet, beim Auftreten von Mobbing am Arbeitsplatz entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dabei wird nicht im Detail festgelegt, wie diese auszusehen haben, aber es ist klar geregelt, dass hier die Verantwortung beim Arbeitgeber liegt.

Unter Punkt 24 des Berichts wird die Kommission aufgefordert, in einem Grünbuch eine Analyse der Lage im Hinblick auf das Mobbing am Arbeitsplatz vorzulegen und danach ein Aktionsprogramm zu unterbreiten. Dies ist der wohl wichtigste Punkt des gesamten Berichts.

 
  
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  Smet (PPE-DE), Verfasserin der Stellungnahme des Ausschusses für die Rechte der Frau und Chancengleichheit.(NL) Herr Präsident! Zunächst möchte ich den Initiator dieses Berichts, Herrn Andersson, beglückwünschen: Er hat ein neues Thema angepackt, das nur in einigen Mitgliedstaaten mehr oder weniger geregelt ist. Ich begrüße es, dass, wie es recht oft geschieht, Europa bei einigen Dingen die Vorreiterrolle übernimmt. Meinen Glückwunsch also.

Weshalb hat der Ausschuss für die Rechte der Frau und Chancengleichheit nun speziell eine Stellungnahme verfasst? Selbstverständlich betrifft das Problem sowohl Männer als auch Frauen, unser Ausschuss ist jedoch zu dem Urteil gelangt, dass Frauen häufiger, viel häufiger sogar, das Opfer derartigen Mobbing und darüber hinaus auch das Opfer einer anderen Form des Mobbing werden, die sogar recht oft auf sexuelle Belästigung hinausläuft, und dass er daher eine spezielle Rolle erfüllen musste. Deshalb hat unser Ausschuss eine eigene Stellungnahme verfasst.

Meiner Meinung nach sollten wir uns alle bewusst sein, dass es sich um eine neue Problematik handelt. Wir können von den Maßnahmen lernen, die zahlreiche Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der sexuellen Gewalt getroffen haben, denn es nicht so einfach und nicht so offenkundig, eine Politik auf dem Gebiet der Bekämpfung moralischer Einschüchterung im Arbeitsleben zu konzipieren. Einige Mitgliedstaaten aber sind darum bemüht, und wir haben in nicht wenigen Mitgliedstaaten Erfahrungen beim Vorgehen gegen sexuelle Gewalt gesammelt.

Was können wir unternehmen? Erstens kann man präventiv handeln, das heißt, Unternehmen sollten ihrem Personal deutlich machen, dass sie Mobbing am Arbeitsplatz nicht dulden. Das ist ein beträchtliches Maß an Prävention. Zweitens kann eine Vertrauensperson eingesetzt werden, die dann zwischen den beiden Parteien vermittelt, wenn ein Problem auftritt. Nach wie vor ist es in einem Unternehmen vorzuziehen, über Vermittlung eine Lösung herbeizuführen, als dass eine der Parteien vor Gericht ziehen muss. Solche Lösungen sind mir am liebsten. Lässt sich drittens eine Lösung nur schwer finden, dann kann die Betriebsleitung Sanktionen verhängen. Viertens muss auf jeden Fall die Möglichkeit zur Anrufung eines Gerichts erhalten bleiben.

Eine Reihe praktischer Dinge, für die wir, so meine ich, sorgen können.

 
  
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  Glase (PPE-DE). – Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Schon lange sollte das Problem Mobbing am Arbeitsplatz hier im Europäischen Parlament diskutiert werden. Es hat lange auf sich warten lassen, da immer wieder die Frage auftauchte: Ist dies denn der richtige Ort? Einige Mitglieder meiner Fraktion lehnen diesen Bericht ab, weil sie der Meinung sind, es ist kein europäisches Thema. Die Mehrheit wird meiner Empfehlung folgen und zustimmen, weil es eben ein europaweites Thema und Problem ist. Wir haben Mobbing in allen Ländern der Europäischen Union, in allen Bereichen und auch in den Institutionen der Europäischen Union. Es ist ein schlimmes Thema, es ist vielen peinlich, die Dunkelziffer deshalb hoch, keiner will so recht darüber reden, die Betroffenen selbst fühlen sich beschämt, ausgenutzt und erpresst.

Der Leidensweg hat oft schwere Folgen, nicht nur für die Betroffenen selbst an Leib und Seele, sondern er hat auch Folgen, die sich volkswirtschaftlich definieren lassen: Krankenstand, Arzt- und Arzneimittelkosten, Personalfluktuation, verringerte Produktivität, Qualitätsverringerung, Imageverlust des Betriebes oder der Einrichtung und somit auch Kundenverlust. All das geht mit Mobbing einher.

Die Würde eines jeden Menschen sollte nicht nur auf dem Papier und im Grundgesetz eingehalten werden, sondern auch im täglichen Miteinander. Ein wenig mehr Respekt und Fairness und weniger Egoismus würde uns eine Diskussion über Mobbing wahrscheinlich ersparen. Um all die Ursachen, die zu Mobbing führen, abzuschaffen, ist eine europäische Gesetzgebung ungeeignet und wirkungslos. Deshalb danke ich dem Berichterstatter für seine gute Kooperation und die Aufnahme meiner Gedanken in diesen Bericht.

Der Schwerpunkt zur Bekämpfung von Mobbing sollte seine Basis in den Mitgliedstaaten haben und die Sozialpartner aktiv miteinbeziehen. Die Unternehmen sollten ein eigenes Interesse daran haben, dass solche Vorfälle bei ihnen nicht passieren. Durch die Schwierigkeit, eine exakte Definition festzulegen, wird es die Kommission auch nicht leicht haben, das angekündigte Grünbuch vorzulegen. Dass wir aber in der Europäischen Union schon einige wenige gute Beispiele im Kampf gegen Mobbing haben, sollte alle auch von anderen lernen lassen. Eine gute Verteilung der Aufgaben an die Ebenen, wo sie hingehören, erhöht auch den nötigen Willen, tätig zu werden, und den notwendigen Respekt vor dem schwierigen Thema.

 
  
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  De Rossa (PSE).(EN) Eingangs möchte ich dem Berichterstatter im Namen meiner Fraktion für seinen Bericht danken. Dies ist ein wichtiger Bericht, weil Mobbing am Arbeitsplatz leider nur zu verbreitet ist. Meine Fraktion wird den Bericht in seiner Gesamtheit in vorliegender Form unterstützen; sie erwartet oder beantragt nicht die teilweise Streichung von Absätzen oder Sätzen. Bedauerlicherweise musste die Dubliner Stiftung feststellen, dass mehr als 15 Millionen Menschen über Gewalt, sexuelle Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz berichteten. Daran muss sich etwas ändern, weil diese Art von Mobbing und Belästigung tödlich sein kann und in vielen Fällen Menschen entweder in den Selbstmord getrieben oder, unter Mitwirkung anderer, bei Unfällen am Arbeitsplatz das Leben gekostet hat. Deshalb sollten sich die Kommission und das Parlament meiner Ansicht nach damit beschäftigen. In Irland sind im Rahmen der Gesetzgebung zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz Vorschriften erlassen worden, wonach große Unternehmen verpflichtet sind, Leitfäden zum Umgang mit Mobbing zu erstellen.

Es ist jedoch noch nicht deutlich festzustellen, in welchem Umfang die Unternehmen diese Vorschriften umsetzen. Mir kam neulich der Fall eines jungen Mannes zu Ohren, der eine Tätigkeit bei einer staatlichen Gesellschaft aufnahm und dort von den älteren Männern im Unternehmen ganz massiv gemobbt wurde – die Frauen beteiligten sich nicht daran. Die Männer wollten ihn einfach deshalb nicht auf diesem Arbeitsplatz, weil sie sich durch seine Gegenwart bedroht fühlten. Es ist ihnen nicht gelungen, ihn von seiner Position zu vertreiben, ungewöhnlich ist jedoch, dass so etwas hier und heute passiert. Tatsächlich haben sich die in den letzten zehn Jahren aufgekommenen Tendenzen, wie von der Dubliner Stiftung dargelegt, verstärkt. Klar ist auch, dass dies in großem Maße auf unsichere Arbeitsverhältnisse und Veränderungen in der Art der Arbeit zurückzuführen ist. Typische Arbeit verursacht Stress und Belastungen, die sich in derartigem Verhalten niederschlagen, deshalb unterstütze ich die Forderung des Berichterstatters nach Vorlage einer Mitteilung der Kommission bis zum nächsten Jahr sowie eines Aktionsprogramms durch die Kommission bis zum Ende des nächsten Jahres.

Gestatten Sie mir, ehe ich wieder Platz nehme, eine Bemerkung in einer völlig anderen Angelegenheit, die jedoch mit der Arbeit der Kommission zu tun hat. Ich möchte an den Kommissar appellieren, unsere Kollegen in der Kommission zu bitten, Maßnahmen zur Lockerung der Vorschriften bezüglich staatlicher Beihilfen für die Luftfahrtindustrie zu ergreifen, ansonsten könnten überall in Europa in nicht allzu ferner Zukunft Zehntausende Beschäftigte arbeitslos werden.

 
  
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  Lynne (ELDR).(EN) Das nenne ich Belästigung am Arbeitsplatz. Ich kann nicht reden, ohne dass hinter mir geraucht wird, davon bekomme ich einen Asthmaanfall, und das ist Belästigung. Ich beglückwünsche Herrn Andersson zu seinem Bericht. Er ist wichtig für das Vorgehen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene, weil, wie wir gehört haben, Jahr für Jahr 12 Millionen Menschen Belästigungen oder Mobbing am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Es gibt viele Formen der Belästigung, und, ich erwähnte es bereits, Rauchen am Arbeitsplatz in Nichtraucherbereichen ist eine Form davon. Dies kann sowohl physisch als auch psychisch verheerende Auswirkungen haben. Durch Mobbing und Belästigung am Arbeitsplatz entsteht ein enormes Maß an Stress. Behinderte, Frauen und insbesondere ethnische Minderheiten haben sehr zu leiden. Sie können in besonderem Maße diskriminiert und belästigt werden, allein deshalb, weil sie diesen benachteiligten, diskriminierten Gruppen angehören.

Ich freue mich auch, dass Herr Andersson auf das Problem der Mitarbeiter mit befristeten Verträgen hinwies, weil uns ebenfalls Beweise vorliegen, wonach auch solche Beschäftigten gemobbt werden. Ich möchte noch kurz darauf eingehen, weshalb die ELDR bei den Absätzen 8 und 13 getrennte Abstimmungen beantragt hat. Ich bin überzeugt davon, dass es zu den Aufgaben der Europäischen Union gehört, gemeinschaftliche Leitlinien, bewährte Verfahren und Benchmarking in allen Mitgliedstaaten zu haben, aber ich glaube nicht, dass wir verbindlichere Vorschriften brauchen: Das ist Aufgabe der Mitgliedstaaten und eine Frage der Subsidiarität. Obwohl ich also in weiten Teilen mit dem Bericht von Herrn Andersson einverstanden bin, bin ich nicht der Auffassung, dass wir verbindliche Vorschriften haben sollten, und deshalb haben wir die getrennte Abstimmung beantragt.

 
  
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  Lambert (Verts/ALE). (EN) Herr Präsident! Auch meine Fraktion möchte Herrn Andersson zu seiner Arbeit an diesem ausgezeichneten Initiativbericht beglückwünschen: Es war ein sehr wertvoller Abend für alle. Wie meine Vorredner bereits ausführten, sollten wir die Auswirkungen von Belästigungen in all ihren Erscheinungsformen auf das Leben und die Gesundheit sowie die sich daraus ergebenden langfristigen seelischen und psychischen Probleme nicht unterschätzen. Rein statistisch gesehen wäre zum Beispiel im Europäischen Parlament eine Gruppe betroffen, die dem Umfang nach ungefähr der Fraktion der Liberaldemokraten entspricht, um einmal den Prozentsatz der von Mobbing Betroffenen zu veranschaulichen. Da bisher gegen Mobbing generell nur sehr wenig unternommen wurde, ist dieser Bericht besonders begrüßenswert, ermöglicht er doch eine offene Aussprache zu einem Punkt, der nur allzu oft ignoriert wird.

Eine französische Untersuchung ergab auch, dass 70 % der Mobbingopfer Frauen sind, und das gilt an allen Punkten des Beschäftigungsprozesses. Sie werden also nicht nur schlechter bezahlt, sie sind auch Mobbingopfer, und chauvinistische und sexistische Anspielungen, die Frauen öfter zu hören bekommen als Männer, können leicht in etwas Gravierenderes umschlagen. Deshalb sollte die Kommission besondere Aufmerksamkeit darauf verwenden, wie dieser für Frauen in Europa nicht hinnehmbaren Situation abgeholfen werden kann. Herr Andersson weist mit Recht darauf hin, dass es Aufgabe der Arbeitgeber sein muss, Mobbing am Arbeitsplatz zu verhindern, nicht mit den Tätern gemeinsame Sache zu machen oder selbst Mitarbeiter zu schikanieren. Die Rahmenrichtlinie über die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz regelt jedoch nicht eindeutig, ob für das seelische, psychosoziale oder soziale Arbeitsumfeld die Arbeitgeber verantwortlich sind. Deshalb bin ich der Meinung, dass Schritte eingeleitet werden sollten, die Richtlinie dahingehend zu überarbeiten, dass sie diese Definition enthält.

 
  
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  Pérez Álvarez (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, auch ich möchte mit einem Dank für die Arbeit des Herrn Berichterstatters beginnen, obgleich wir keine Definition für das Mobbing haben, vielleicht weil sich das Mobbing in vielerlei Gestalt offenbart und schwer auszumachen ist. Gerade hat uns Frau Lynne, der meine Solidarität und Sympathie gilt, von einer neuen Form des Mobbing berichtet. Bei einer Analyse halte ich die Definition der irischen Arbeitsgruppe zur Verhütung des Mobbing für annehmbar, in der es heißt, Mobbing sei ein wiederholtes ungebührliches Verhalten, unmittelbar oder mittelbar, sei es verbal, physisch oder auf sonstige Weise, das von einer oder mehreren Personen gegenüber einer oder mehreren anderen am Arbeitsplatz und/oder im Rahmen der Beschäftigung an den Tag gelegt wird und das als das Recht des Einzelnen auf seine Würde am Arbeitsplatz unterminierend betrachtet werden kann. Natürlich kann ein so definiertes einmaliges Verhalten ein Verstoß gegen die Würde am Arbeitsplatz sein, es wird aber als einmaliger Vorfall nicht als Mobbing betrachtet.

Wir akzeptieren diese oder jede andere Definition. Tatsache ist, dass bis zu zwölf Millionen Menschen der Europäischen Union erklären, in den letzten zwölf Monaten moralisch einem Mobbing ausgesetzt gewesen zu sein, dass die Frauen berichten, dem Mobbing in höherem Maße als die Männer ausgeliefert zu sein, dass einige Tätigkeitsbereiche besonders anfällig zu sein scheinen. Mobbing schlägt sich in der wirtschaftlichen Effizienz des Unternehmens durch Absentismus, mangelnde Effektivität und Produktivität nieder. Für die Gesellschaft kann Mobbing zu Kosten für ärztliche und psychologische Betreuung, Krankschreibungen, vorzeitige Verrentung usw. führen. Und vor allem beeinträchtigt es den Arbeitnehmer und stellt neben körperlicher Gewalt und ergonomischen Fragen einen Risikofaktor dar. Auf der anderen Seite bleibt noch viel zu tun, um die physikalisch und chemisch bedingten Gesundheitsrisiken zu beseitigen. Vor allem das moralische Mobbing, das Schikanieren – wie immer man es nennen mag –, halte ich für unvereinbar mit der Erklärung in Artikel 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union: „Die Würde des Menschen ist unverletzlich. Sie ist zu achten und zu schützen.“

Mobbing stellt somit ein gesundheitliches Risiko, aber vor allem einen Angriff auf die Würde des Menschen dar. Deshalb sei diese Initiative zur Vorbeugung und Verhinderung des Mobbing im Arbeitsleben, die verhindern soll, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin vor Ohnmacht weint, herzlich willkommen.

 
  
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  Koukiadis (PSE).(EL) Herr Präsident! Das Thema Mobbing am Arbeitsplatz ist unmittelbar mit dem Respekt der persönlichen Grundrechte wie der Würde des Menschen oder der gleichberechtigten Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben verbunden.

Der Kollege Andersson zeigt mit seiner Initiative neue Aspekte auf, die wir im Hinblick auf die inhaltliche Umsetzung der Grundrechtecharta sowie für eine integrierte Herangehensweise an die Politik der Qualität der Beschäftigung zu berücksichtigen haben. Wir haben dieser Initiative in erster Linie deswegen Beifall zu spenden, weil sie uns Gelegenheit gibt, die große Bedeutung eines unterschätzten und üblicherweise nur gelegentlich unsere Aufmerksamkeit erregenden Themas für den Erfolg einer Reihe von Politiken wie der Politik gegen Diskriminierung und den Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt, der Politik für Menschen mit Behinderungen, der Politik gegen die Arbeitslosigkeit und für die Qualität der Beschäftigung zu erkennen. Nur wenn sich der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz geschützt vor dem Verhalten seiner Kollegen oder Vorgesetzten fühlt, wenn er spürt, dass sein Arbeitsumfeld ihn stützt, anstatt ihn wegen seiner Schwächen zu kritisieren, dann werden die Opfer des Mobbing – von dem es zahlreiche Arten gibt – den Eintritt in den Arbeitsmarkt vorziehen und ihre Arbeitsleistungen bei weitem ihre Schwächen überwiegen.

Wenn man berücksichtigt, dass laut Statistik mehr als 8 % der Menschen betroffen sind, kann man leicht das politische Ausmaß des Problems erfassen. Zugleich haben die Arten von Mobbing die verschiedensten Ausgangspunkte, von den Frauen über die Menschen mit Behinderungen bis hin zu Ausländern und Menschen anderen Glaubens. Das zeigt uns auch die qualitative Dimension des Problems.

Ausgehend von diesem Bericht müssen wir einen Plan der Bekämpfung der gesamten Spanne des Mobbings entwerfen, die von Spott und Arroganz über Bedrohung, Demütigung und absichtliche Schädigung bis hin zu Gewaltanwendung reicht, unabhängig davon, ob es sich um Mobbing von oben nach unten, d. h. des Vorgesetzten gegenüber dem Untergebenen, oder von unten nach oben oder um horizontales Mobbing handelt. Der Aktionsplan muss über Maßnahmen zur Durchsetzung des Mobbingverbots hinaus auch die Verpflichtung des Arbeitgebers umfassen, für ein Klima der Nichtbelästigung zwischen den Kollegen zu sorgen und den zwischenmenschlichen Kontakt am Arbeitsplatz zu fördern. Und da niemand böswillig ist, muss der Plan auch von Maßnahmen zum Abbau des Misstrauens und der Voreingenommenheit gegenüber den betroffenen Personengruppen flankiert sein.

 
  
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  Hermange (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, der Bericht, über den wir heute diskutieren, betrifft zwölf bis fünfzehn Millionen Menschen in Europa, das heißt 8 bis 10 % der europäischen Arbeitnehmer. Ein modernes Übel, das drei Aspekte aufweist. Einen wirtschaftlichen Aspekt, denn die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, die sich gemäß dem Bericht der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen innerhalb von zehn Jahren ergeben hat, ist auf die Beschleunigung des Arbeitstempos und die Flexibilität in all ihren Formen zurückzuführen. Einen soziologischen Aspekt, der auf die Verschlimmerung des in unserer Gesellschaft herrschenden Individualismus hindeutet. Einen psychologischen Aspekt, der das Mobbing besonders niederträchtig macht und es in einigen Fällen ermöglicht, jemanden kaputtzumachen, ohne dabei Spuren zu hinterlassen.

Zur Zeit gibt es große Lücken in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und große Unterschiede auf europäischer Ebene. Die immer konsequentere Rechtsprechung trägt jedoch dazu bei, hier Abhilfe zu schaffen. Deshalb ist der vorliegende sehr gut dokumentierte und stichhaltige Bericht eine sehr ermutigende Antwort und ein nachhaltiges Zeichen für die Arbeitswelt. In Absatz 12 verweist er neben anderen Maßnahmen, die ins Auge gefasst werden, insbesondere auf die Notwendigkeit einer Verstärkung des Dialogs zwischen allen Sozialpartnern und auf die Möglichkeit, einen unabhängigen externen Vermittler einzusetzen, wie es in dem von mir eingebrachten Änderungsantrag befürwortet wird. Dies ist meines Erachtens wichtig, um in diesem Bereich wirkliche Fortschritte zu erzielen. Gemäß der Europäischen Sozialcharta sind jedoch sämtliche europäischen Institutionen aufgerufen, Anstrengungen zur Bekämpfung dieses bereits fest verwurzelten Übels zu unternehmen. Deshalb begrüße ich den Vorschlag des Berichterstatters, dass die Kommission aufgefordert werden sollte, im nächsten Jahr ein Grünbuch auszuarbeiten und ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm vorzulegen. Ferner unterstütze ich im Namen meiner Fraktion die Einbeziehung dieser Problematik in den Meinungsaustausch über das Grünbuch zur sozialen Verantwortung der Unternehmen.

Wir alle müssen diesen Kampf unterstützen, jeder auf seiner Ebene, in der Überzeugung, dass die Früchte des sozialen und persönlichen Gleichgewichts der ganzen Gesellschaft zugute kommen werden.

 
  
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  Mann, Thomas (PPE-DE). – Herr Präsident, in der EU sind schätzungsweise 12 Millionen Menschen dem Mobbing ausgesetzt. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Da wird ausgegrenzt und schikaniert, Gerüchte werden in Umlauf gebracht, Informationen gezielt vorenthalten, da werden Menschen zu Sündenböcken abgestempelt. Ob Chef oder Mitarbeiter, jeder kann zum Opfer oder Täter werden. Mobbing wird noch völlig unterschätzt, so dass kaum wirksame Instrumente entwickelt wurden. Dabei ist es ein ernsthaftes Problem im Arbeitsleben. Die durch Mobbing ausgelösten Aggressionen und Depressionen, Krankmeldungen, Kündigungen, Personalumstrukturierungen kosten Wirtschaft und Sozialsysteme jährlich mehrere 100 Millionen Euro.

In den fünfzehn Mitgliedstaaten der EU muss gemeinsam Bilanz gezogen werden. Best-practice-Ansätze werden uns weiterhelfen durch den Erfahrungsaustausch von- und miteinander, damit sinnvolle Maßnahmen entstehen können. Aber die Lösungen müssen differenziert sein, nach den Formen des Mobbing, also geschlechtsbedingt, altersbedingt oder herkunftsbedingt. Jan Andersson hat einen exzellenten Bericht angefertigt. Im Beschäftigungsausschuss wurde er zu Recht einstimmig angenommen. Fast alle Anträge aus der EVP wurden integriert, etwa die Einbeziehung der Sozialpartner Europas, um gemeinsam Konzepte gegen Mobbing mit zu entwickeln. In der Praxis bedeutet das aktives Konfliktmanagement, bessere betriebsinterne Kommunikation und Aufbau von Netzwerken für diejenigen, die durch Mobbing geschädigt sind. Wir schlagen ferner vor, dass in den Betrieben eine Vertrauensperson eingesetzt wird, damit die Betroffenen sich vertraulich an sie wenden können.

Wir rechnen fest damit, Frau Kommissarin Diamantopoulou, dass die Kommission im Laufe des nächsten Jahres ein Grünbuch zum Thema Mobbing herausgeben kann, so dass wir danach in der Lage sind, ein präzises Aktionsprogramm zu entwickeln, damit nachhaltige Wirkung entsteht.

 
  
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  Diamantopoulou, Kommission.(EL) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Andersson zu seinem außergewöhnlichen Bericht gratulieren und stimme vollkommen darin überein, dass Mobbing ein äußerst gravierendes Problem ist, einen Risikofaktor am Arbeitsplatz darstellt und erhebliche Negativwirkungen gesellschaftlicher wie wirtschaftlicher Art sowohl auf den Arbeitnehmer und das Unternehmen als auch auf die Wirtschaft insgesamt entfaltet, da es einer der Hauptgründe für den Rückgang der Produktivität ist.

Ich möchte dem Hohen Hause versichern, dass sich die Kommission der Tragweite dieses Problems vollständig bewusst ist, weswegen es auch eines der Hauptelemente der im Juni abgegebenen Stellungnahme der Kommission hinsichtlich der Qualität der Beschäftigung ist und zu jenen Problemen zählt, zu denen wir Indikatoren testen.

Ferner muss ich im Hinblick auf die bereits vorhandenen Instrumente an die Schutzaufgabe der Sozialpartner – die Sozialpartner können eine bedeutende Rolle bei diesem Thema spielen – und an die Richtlinie 89/391/EG erinnern, die klar macht, dass im Hinblick auf die Risikoprävention am Arbeitsplatz auch psychosomatische Zwangslagen berücksichtigt werden müssen – die aber natürlich nicht immer leicht zu definieren sind.

Ich möchte Sie darüber informieren, dass ein aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehender Beratungsausschuss hinsichtlich des Problems der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz bereits tätig ist und dass ein Unterausschuss eingesetzt worden ist, der sich speziell mit dem Problem der Gewalt am Arbeitsplatz befasst. Nachdem dieser Ausschuss seine Arbeit gestern beendet hat, liegt nun eine allgemeine Definition hinsichtlich des Problems der Gewalt am Arbeitsplatz vor. Der Vorschlag einer Initiative für ein Grünbuch mit diesem Thema ist zur Zeit aus folgenden Gründen nicht realisierbar: Wie Sie wissen, hat die Kommission die Initiative für eine Gesamtrevision der Strategie für die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz ergriffen. Hierbei wird der gerade erörterte Bericht eine bedeutende Rolle spielen, indem er zum Wandel und zum Vorschlag für eine neue Strategie zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz beiträgt, und dafür möchte ich dem Berichterstatter besonders danken.

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 11.00 Uhr statt.

 

12. Luftvermutzung
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  Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die gemeinsame Aussprache über folgende Berichte:

- A5-0293/2001 von Frau Oomen-Ruijten im Namen der Delegation des Europäischen Parlaments im Vermittlungsausschuss über den vom Vermittlungsausschuss gebilligten gemeinsamen Entwurf einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft,

- A5-0292/2001 von Frau Riitta Myller im Namen der Delegation des Europäischen Parlaments im Vermittlungsausschuss über den vom Vermittlungsausschuss gebilligten gemeinsamen Entwurf einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe.

 
  
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  Oomen-Ruijten (PPE-DE), Berichterstatterin. – (NL) Herr Präsident! Vor fast drei Jahren legte die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Vorschriften für Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen vor. Nach diesen drei Jahren runden wir dann in dieser Woche dieses meines Erachtens recht bedeutende Dossier endlich ab. Niemand wird es mir verübeln, wenn ich sage, dass wir einen mühsamen Weg gegangen sind, einen Weg, auf dem uns hier und da auch Kummer nicht erspart worden ist.

Es gab erheblichen Widerstand, nicht nur von Seiten einiger Mitgliedstaaten, sondern auch mancher Kolleginnen und Kollegen. Es gab recht intensive Warnungen und Proteste Beteiligter, auch im Elektrizitätssektor einiger Mitgliedstaaten. Dennoch konnten wir die ursprüngliche Verordnung, die vorgelegt wurde und die nach Ansicht von mir und einigen Kolleginnen und Kollegen viel zu schwach war, problemlos anpassen. Die technischen Möglichkeiten sind ja in großem Maße vorhanden, und in zahlreichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind die Vorschriften, die wir in der ersten Lesung eingebaut haben, längst Gesetz und mithin normale Politik.

Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag zur Änderung der Richtlinie von 1998 war nach Auffassung der Mehrheit dieses Hauses kein großer Erfolg. Die Grenzwerte waren nicht ehrgeizig genug, und außerdem wurden ältere Anlagen nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie aufgenommen. Wir haben hier als Europäisches Parlament gemeinsam wirklich das ausgestaltet, was Umweltpolitik nun eigentlich ausmacht, und ich möchte an dieser Stelle noch einmal allen Kolleginnen und Kollegen herzlich danken, die daran mitgewirkt haben. Wir haben gezeigt, was es bedeutet, wenn wir wirklich etwas gegen diese scheußliche Luftverschmutzung unternehmen wollen, die auch Menschen gefährdet. Wir als Parlament haben in der ersten Lesung die Emissionsgrenzwerte deutlich verschärft und auch die bestehenden Feuerungsanlagen in den Geltungsbereich der Richtlinie aufgenommen.

Dann legte der Rat den Gemeinsamen Standpunkt vor. Er kam übrigens mit allergrößter Mühe zustande. Die Vorschriften wurden etwas verschärft, aber der Wunsch des Europäischen Parlaments wurde akzeptiert und auch die bestehenden Anlagen in die Richtlinie einbezogen. Leider hat sich jedes Land wieder eigene Ausnahmen ausbedungen, und wenn es nach dem Ministerrat gegangen wäre, würde man also bis in alle Ewigkeit – bis zum Sankt Nimmerleinstag, könnte man sagen – alte, nicht an den Stand der Technik angepasste Anlagen nutzen, die Schadstoffe ausstoßen.

Dem Gemeinsamen Standpunkt fehlte unserer Meinung nach jegliche Vision. Er war zu einem Sammelsurium geworden, das für jeden etwas enthielt. Verglichen mit den Vorschriften, die derzeit in Japan und den Vereinigten Staaten gelten, hätten wir, die alles so tadellos machen wollen, mit den Emissionsgrenzwerten des Rates bei den Kyoto-Verhandlungen eine besonders schlechte Figur abgegeben.

Gleichwohl ertönte der Ruf, es sei nicht nötig, Anforderungen an die Feuerungsanlagen zu stellen, weil wir doch den wunderbaren Bericht von Frau Myller über Emissionshöchstmengen bekämen, und man müsse sich als EU-Organ erst darum kümmern, wenn diese Emissionshöchstmengen vorliegen, denn damit werde alles geregelt, damit setze es jeder Mitgliedstaat zwingend um. Aber letztendlich kam es auch dort anders.

Würden wir den Erwartungen derjenigen entsprechen, die eine Liberalisierung des Energiemarkts befürworten, mit anderen Worten, würden wir keine Forderungen stellen oder Ausnahmen zulassen, so dass alte, umweltverschmutzende Kraftwerke Elektrizität erzeugen können, dann würden unseres Erachtens der Marktmechanismus gestört und diejenigen, die die Umwelt vernachlässigen, mit einem Vorsprung belohnt, weil sie mit ihren alten Kraftwerken niedrigere Energiepreise in Anwendung bringen könnten.

Da der Rat jedoch nicht in der Lage war, die Abänderungen des Parlaments zu übernehmen, wurde das Vermittlungsverfahren erforderlich, in dem dieses Thema gemeinsam mit dem Bericht von Riitta Myller behandelt wurde. Auch ihr gebührt mein Dank. Sie war in diesen Verhandlungen eine ausgezeichnete Kollegin.

Während der Trilogsitzung mit dem schwedischen Vorsitz und der Kommission im Mai und Juni dieses Jahres wurden übrigens sofort beträchtliche Fortschritte betreffend die Verringerung von SO2-Emissionen, des Schwefeldioxids, sowie einige wichtige technische Fragen erzielt. Bei den NOx, den Stickoxiden, kamen diese Verschärfungen allerdings recht mühsam zustande. Die im Rahmen des Trilogs erzielte vorläufige Einigung sah vor, dass die Kommission verpflichtet ist, in ihre laufenden Bewertungen – dank Hans Blokland – auch Schwermetall-Emissionen einzubeziehen.

Außerdem kam der Rat dem Parlament entgegen, indem er bestimmte Ausnahmen strich, insbesondere hinsichtlich bestimmter mit einheimischen festen Brennstoffen und einheimischer Braunkohle befeuerter Anlagen. Leider erzielten wir bei dem ersten Treffen noch nicht wirklich eine Einigung über den meiner Meinung nach wichtigsten Punkt, die NOx.

Nach der ersten Lesung hatten wir einen wichtigen Schritt nach vorn vollzogen, als der Rat zustimmte, auch ältere Anlagen in den Geltungsbereich der Richtlinie aufzunehmen. Dies war besonders wichtig, da diese älteren Anlagen häufig den geringsten energetischen Wirkungsgrad aufweisen und daher unverhältnismäßig hohe Mengen Treibhausgase emittieren. Mit dem im Vermittlungsverfahren erzielten Kompromiss gelang es dem Europäischen Parlament insbesondere, die vorgeschlagenen Grenzwerte für SO2- und NOx-Emissionen zu verschärfen. Der Rat stimmte im Grunde sofort zu, die SO2-Emissionsgrenzwerte vornehmlich für mittlere und große Anlagen erheblich zu senken, denn dort bringt es auch am meisten.

Bei den NOx-Emissionen haben wir als Parlament auf der Verringerung der NOx-Grenzwerte für die mit festen Brennstoffen befeuerten Großfeuerungsanlagen von 650 mg/Nm³ auf 200 mg/Nm³ bestanden. Diese Grenzwerte gelten jedoch erst ab 2016 für Neuanlagen und für bestehende Anlagen. Das ist im Grunde zu spät. Wie ich bereits ausführte, haben einige Mitgliedstaaten diese Grenzwerte schon vor etwa drei Jahren eingeführt. Wir haben kein Veto eingelegt, weil wir damit einen wichtigen Schritt nach vorn machen und dies ferner eine unerlässliche Voraussetzung ist, um bald auch die Beitrittsländer darauf festzunageln zu können.

Außerdem haben wir auch die Ausnahme, die der Rat für Spitzenlast-Kraftwerke forderte, senken können, so dass sich die Schadstoffemissionen auch hier im Zaum halten lassen.

Summa summarum bin ich also der Meinung, dass die im Vermittlungsverfahren erreichte Einigung zufriedenstellend ist, da wir weit über das hinausgehen, was vor der zweiten Lesung für möglich gehalten worden war. Ich danke dem schwedischen Ratsvorsitz. Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere bei Frau Myller. Mein Dank gilt der Kommission für die konstruktive Zusammenarbeit. Im Namen der Delegation empfehle ich, diesen Vorschlag anzunehmen.

 
  
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  Myller (PSE), Berichterstatterin. – (FI) Herr Präsident, Frau Wallström! Das Parlament verfolgt mit dieser Richtlinie das Ziel, möglichst strenge Höchstmengen für durch Versauerung verursachte Emissionen festzulegen. Versauerung, Bildung von bodennahem Ozon und Eutrophierung des Erdbodens sind ineinander greifende Probleme, die für die Bildung von Schwefeldioxid, Stickstoffoxid, flüchtigen organischen Verbindungen und Ammoniak verantwortlich sind. Es ist geboten, diese Probleme im Zusammenhang zu betrachten, weil so die kosteneffizienteste Verringerung von Schadstoffen erzielt wird.

Die Kommission hatte in ihrem auf dieser Grundlage geschaffenen Entwurf die Höchstmengen für jeden einzelnen Mitgliedstaat gesenkt, die er bis zum Jahr 2010 erreichen muss. Die Gemeinschaft – die Europäische Union – hat sowohl im Fünften Umweltaktionsprogramm als auch in ihrer Versauerungsstrategie das Ziel gestellt, zu gewährleisten, dass die Menschen vor allen bekannten Luftschadstoffen geschützt werden. Die Kommission erklärte in ihrem Entwurf, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in der Lage sei, die so genannten endgültigen Ziele hinsichtlich der kritischen Belastungen und Niveaus zu formulieren, vielmehr muss das endgültige langfristige Ziel über Zwischenziele, die die Kommission also für das Jahr 2010 aufgestellt hat, erreicht werden.

Abgesehen von Ammoniak hat das Parlament in zweiter Lesung das Zielniveau der Kommission gebilligt, als dieses durch das langfristige Ziel ergänzt worden ist. Nach Auffassung des Parlaments sollten die Zwischenziele bis 2010 und das endgültige Ziel, die Menschen auf dem Gebiet der gesamten EU vor allen bekannten Luftschadstoffen zu schützen, bis 2020 erreicht werden. Bis zur Vermittlung waren die Konstellationen klar, der Rat gab deutlich zu verstehen, dass er nicht über die Möglichkeit verfügt, die Zahlen zu ändern, die er im Gemeinsamen Standpunkt gebilligt hat. Ebenso wenig war er bereit, das langfristige Ziel zu billigen, weil nach Auffassung von Rat und Kommission die Forderung, die kritischen Niveaus und Belastungen in keinem Bereich zu überschreiten, technisch nicht umsetzbar war. Hinsichtlich der Emissionshöchstmengen war der Gemeinsame Standpunkt des Rates relativ weit entfernt von den Zahlen der Kommission, aber dennoch besser als die so genannten Zahlen von Göteborg, auf die sich die meisten Mitgliedstaaten eingeschworen hatten.

Die Billigung des Gemeinsamen Standpunktes des Rates hätte bedeutet, bei der Verbesserung der Luftqualität und beim Schutz der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu kapitulieren. Bei der Vermittlung kam es zu einer großen Kraftprobe, und dank der von der Kommission erzielten Kompromisse konnte eine Ausrichtung der zentralen Grundsätze der Richtlinie zugunsten der Auffassungen des Parlaments erreicht werden. Bei der Vermittlung wurden die strengeren Emissionshöchstmengen von Kommission und Parlament als indikative Zahlen und der Gemeinsame Standpunkt des Rates als für die Mitgliedstaaten verbindlich gebilligt. Indikativität bedeutet, dass die Kommission verpflichtet wurde, in ihren Berichten für die Jahre 2004 und 2008 die Richtlinie unter Berücksichtigung der Entwicklung und der Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik neu zu bewerten, um zu strengeren Emissionshöchstmengen zu gelangen. Bei diesen Überprüfungen muss zudem berücksichtigt werden, inwieweit die langfristigen Ziele bis 2020 erreicht werden können. Im Ergebnis der Vermittlung wurden also der Kommission Instrumente in die Hand gegeben, das Zielniveau der Richtlinie strenger zu bewerten, und die Forderung erhoben, die Senkung der Emissionen einer Überprüfung zu unterziehen, auch mit dem langfristigen Ziel, dass alle kritischen Niveaus und Belastungen nicht überschritten werden und die Menschen wirklich effizient vor allen Luftschadstoffen geschützt werden. Es war eine große Leistung, dieses langfristige Ziel in einen Artikel der Richtlinie aufzunehmen, aber vielleicht der wichtigste Punkt, der bei der Vermittlung geklärt werden konnte. Das größte Problem bei den durch Versauerung verursachten Emissionsquellen besteht darin, in die Emissionen von Flugzeugen und Schiffen einzugreifen. Hier sind wir ebenfalls ein Stück weitergekommen. Von der Kommission werden Maßnahmen in diese Richtung gefordert.

Ich möchte auch Frau Ria Oomen-Ruitjen für die gute Zusammenarbeit bei dieser Vermittlung danken. Die Billigung der Richtlinie betreffend Großfeuerungsanlagen war in der Tat von großer Bedeutung, denn sie ist ein zentrales Instrument, mit dem diese Richtlinie über Emissionshöchstmengen umgesetzt werden kann. Mein Dank gilt auch dem Vorsitzenden der Delegation des Parlaments, den Mitgliedern und den Vertretern der Kommission sowie dem schwedischen Vorsitz für die überaus konstruktive Zusammenarbeit.

 
  
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  Jackson (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Ich möchte beide Berichterstatter des Parlaments zu der intensiven Arbeit an ihren Berichten beglückwünschen. Sie haben ein Ergebnis vorgelegt, auf das sie stolz sein können. Es wurde nach einer immensen Arbeitsleistung spät in der Nacht erreicht. Als britische Abgeordnete des Europäischen Parlaments muss ich jedoch sagen, dass es bei diesen Richtlinien enorme Schwierigkeiten gab, in besonderem Maße gilt dies für die Richtlinie zur Begrenzung der Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen. Ich möchte hervorheben, dass wir auf die enorme Schwierigkeit stießen, dass weder die Kommission noch der Rat genaue Angaben zu den Auswirkungen ihrer Vorschläge machten. Uns wurde auch keine genaue Schätzung zur Verfügung gestellt, noch half man uns, die Auswirkungen dessen, was das Europäische Parlament vorschlägt, abzuschätzen.

Als britische Abgeordnete im Europäischen Parlament trafen Herr Bowe und ich auf Lobbys aus Großbritannien, die im Grunde genommen sagten, wenn die Änderungsanträge des Parlaments angenommen werden, müssen alle gegenwärtig noch betriebenen britischen Kohlegruben geschlossen werden. Wir konnten daher nicht ausschließen, dass unser Votum für die Änderungsanträge und für die Berichte der Mitglieder unseres eigenen Ausschusses für den Mitgliedstaat, den wir vertreten, sehr ernste wirtschaftliche Folgen haben könnte.

Auf der Sitzung des Ministerrates stellten wir fest, dass andere Mitgliedstaaten vor genau denselben Problemen standen. Finnland zum Beispiel gehört zu den Ländern, deren Minister und Regierungen ihre Abgeordneten im Europäischen Parlament niemals gebührend kontaktierten, um zu erläutern, welche Schwierigkeiten es ihrer Meinung nach geben würde. Wir erlebten auch die außerordentliche Situation, auf der Sitzung im Mitentscheidungsverfahren vier Beamte zu hören, obwohl die Reden eigentlich von Ministern gehalten werden müssten.

Mir geht es um Folgendes. Wir brauchen erstens viel mehr Ehrlichkeit von Seiten der Mitgliedstaaten und der Kommission bezüglich der tatsächlichen Auswirkungen der von uns diskutierten Vorschläge in den Mitgliedstaaten. Es sollte zumindest ein Hinweis darauf erfolgen. Zweitens, bei den Sitzungen im Mitentscheidungsverfahren dürfen nicht länger 15 Abgeordnete auf einen Minister und 14 Beamte treffen. Das ist lächerlich. Viele unserer Anmerkungen zu den Berichten von Frau Oomen-Ruijten und Frau Myller hätten eigentlich von den Ministern kommen müssen. Bei den Sitzungen im Mitentscheidungsverfahren wollen wir Ministern gegenübersitzen.

 
  
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  Bowe (PSE).(EN) Herr Präsident! Als britischer Abgeordneter möchte ich eingangs feststellen, dass ich die Ausführungen von Frau Jackson unterstreiche.

Nur die Anwesenden wissen, wie viel Mühe beide Berichterstatterinnen aufgewendet haben, um zu dieser abschließenden Position zu gelangen und beide Berichte dem Parlament zur endgültigen Abstimmung vorlegen zu können. Als Kollegen können wir sehr genau einschätzen, wie hart Sie daran gearbeitet haben und beglückwünschen Sie beide zu dieser Arbeit. Es hat sehr lange gedauert, und es ist dies einer der schwierigsten Berichte, die ich in zwölf Jahren in diesem Parlament erlebt habe.

Schließlich liegt uns aber, trotz aller Schwierigkeiten und trotz der Schlichtung am Ende, ein umsetzbarer und praktischer Vorschlag vor. Es wird nicht leicht sein. In Bezug auf einige Anforderungen wird es sogar außerordentlich schwierig werden, aber es wurde ein ausgewogenes Verhältnis gefunden zwischen Belangen des Umweltschutzes und dem Interesse der Gesellschaft an einer zuverlässigen und sicheren Energiequelle zu einem erschwinglichen Preis, was wir nicht ignorieren können.

Um den Anforderungen dieses Vorschlags zu entsprechen, werden Veränderungen erforderlich sein. Die Energieindustrie wird zweifellos einige alte Kraftwerksanlagen ersetzen müssen, hoffentlich durch modernere Quellen der Energieerzeugung. Es wird zu einer erheblichen Reduzierung der Schwefeldioxid- und Stickoxidemissionen kommen, die die Hauptverursacher von saurem Regen und bodennahem Ozon sind, wodurch sich die Umweltbedingungen für die Volksgesundheit verbessern. Eine mögliche Nebenwirkung könnte darin bestehen, dass der Kohlendioxidausstoß im Verhältnis zur erzeugten Energie insgesamt zurückgeht, da sich die Effizienz der Kraftwerke insgesamt verbessert. Das wäre ein hilfreicher und nützlicher Nebeneffekt dieser Rechtsvorschrift.

Es wird nicht einfach sein, all diese Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Der Zeitplan reicht weit in die Zukunft. Das ist unter den gegebenen Umständen annehmbar und verständlich, deshalb begrüße ich diese Vorschläge im Namen der sozialistischen Fraktion. Wir werden sie morgen bei der Abstimmung unterstützen.

 
  
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  Evans, Jillian (Verts/ALE).(EN) Herr Präsident! Ich möchte beide Richtlinien begrüßen und mich mit meinen Glückwünschen an die beiden Berichterstatterinnen meinen Vorrednern anschließen. Ich habe insbesondere die Aussprache zur Begrenzung der Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen verfolgt. Diese Anlagen erzeugen, nach den Emissionen des Verkehrs, den größten Anteil an Luftschadstoffen in Europa, und deshalb ist es sehr wichtig, dass wir strenge Rechtsvorschriften haben, um hier einzuwirken. Die Einbeziehung bestehender Anlagen stellt gegenüber früheren Vorschriften eine wesentliche Verbesserung dar. Sie führt dazu, dass für alle Anlagen die gleichen Bedingungen gelten, auch für die schlimmsten Verursacher von Luftverschmutzung und einige Anlagen in den beitrittswilligen Ländern, die Strom billiger erzeugen können, weil es weniger Kontrollen gibt und sie nicht dieselben Standards einhalten müssen.

Trotzdem können wir, auch das wurde schon erwähnt, den Bürgern versichern, dass aufgrund verschiedener Ausnahmen und Regelungen für niedrigere Standards, die in den Text der endgültigen Kompromisslösung Eingang gefunden haben, bestehende Kraftwerke wie Aberthaw in meinem eigenen Wahlkreis nicht bedroht sind. Die Presse und die anderen Medien haben ausführlich darüber berichtet, welch vermeintliche Bedrohung diese Richtlinie für die Überlebensfähigkeit und Rentabilität des Kohlekraftwerks Aberthaw darstellt. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Tatsächlich wird die Richtlinie langfristig Arbeitsplätze in der walisischen Kohle- und Stromindustrie sichern.

Das war eine sehr wichtige Aussprache, weil sie gezeigt hat, dass man sich keineswegs für eines von beiden – höhere Grenzwerte für sauberere Luft oder Arbeitsplätze – entscheiden muss, wie einige uns einreden wollten. Die Bemühungen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung können durchaus mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen und der nachhaltigen Entwicklung der Gemeinwesen Hand in Hand gehen.

Meine Fraktion unterstützt auch den erzielten Kompromiss, die vorgeschlagenen Grenzwerte für SO2- und NOx-Emissionen zu verschärfen und insgesamt strengere Grenzwerte einzuführen. Darüber hinaus unterstützt die Fraktion die Ergebnisse der Schlichtung zum Bericht von Frau Myller über die Richtlinie über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe und wird auch bei der Abstimmung für diesen Bericht stimmen.

 
  
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  Blokland (EDD).(NL) Herr Präsident! Ich beschränke mich auf die Luftverschmutzung durch Großfeuerungsanlagen. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens weit hinter den derzeitigen technischen Möglichkeiten zur Begrenzung von Schadstoffemissionen zurückbleibt. Bizarre Ausnahmebestimmungen sind nun weiterhin in der Richtlinie enthalten wie die Erlaubnis für ältere Großfeuerungsanlagen, 2000 Stunden pro Jahr beträchtliche Schadstoffmengen zu emittieren sowie die Ausnahmen für Spanien, Kreta und Rhodos.

Bestehende Anlagen werden die Luft noch enorm mit Schwefeldioxid und Stickoxiden verunreinigen. Insbesondere bei den Stickoxiden halte ich das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens für kläglich, da die USA schon jetzt erheblich über die Grenzwerte hinausgehen, die in der Europäischen Union erst in einigen Jahren gelten werden.

Außerdem stellen wir schon jetzt fest, dass Kohlekraftwerke zusätzlich mit viel Biomasse befeuert werden. Hier gelten weitaus laschere Emissionsgrenzwerte als für Müllverbrennungsanlagen. Ich hätte eigentlich erwartet, dass infolge der Liberalisierung des Energiemarkts gleiche Umweltvorschriften gelten, um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern.

Schlussendlich, Herr Präsident, werde ich für diese Richtlinie stimmen, und zwar nicht aus dem Grund, weil damit die Luftverschmutzung effizient bekämpft wird, sondern weil diese neue Richtlinie nicht ganz so schlecht ist wie die Vorige.

 
  
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  Korhola (PPE-DE).(FI) Herr Präsident, meine Kollegin Ria Oomen-Ruijten hat als Berichterstatterin in allen drei Phasen der Behandlung der Richtlinie zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen eine ausgezeichnete Arbeit geleistet. Uns liegt nun auch eine novellierte Richtlinie vor, von der erwartet werden kann, dass sie wesentlich zur Verringerung von Emissionen aus Großfeuerungsanlagen beiträgt, so wie sie gleichermaßen auch die Realitäten des praktischen Lebens berücksichtigt. Ich bin dankbar, dass ich an den Kompromissanträgen mitwirken durfte und diese zunächst von der Berichterstatterin und dann vom Parlament gebilligt worden sind. Die Änderungsanträge sind auch noch nach der Vermittlung in dieser Richtlinie sichtbar und ermöglichen zum Beispiel die für die nachhaltige Entwicklung wesentliche Kraft-Wärme-Kopplung. Zu Beginn bestand die Gefahr, dass die Richtlinie die KWK wirtschaftlich unrentabel gemacht hätte. Das wäre eindeutig ein Rückschritt gewesen.

Der Bericht Oomen-Ruijten ist ebenso wie der Bericht von Kollegin Myller ein Beispiel dafür, wie im Mitentscheidungsverfahren auch bei besonders schwierigen und anspruchsvollen Themen schließlich ein positives Ergebnis erzielt werden kann. Diese beiden Richtlinien zählen ganz eindeutig dazu.

Die nationalen Emissionshöchstmengen und Emissionen von großen Energieanlagen sind Fragen, bei denen die Mitgliedstaaten traditionell ihre Interessen gewahrt haben und bestrebt waren, Zielsetzungen zu verhindern, die ihre Wettbewerbsfähigkeit und die der EU gefährden. Die Kommission musste das bereits bei der Erarbeitung des Entwurfs berücksichtigen. Auch das Parlament war bei allem Idealismus gezwungen, von den politischen Realitäten auszugehen. Dennoch kann das Ergebnis als ehrgeizig bezeichnet werden. Für die Luftqualität in Europa von unmittelbarer Bedeutung. Außerdem beweist es einen wichtigen Punkt: Die EU ist bereit, auch in der praktischen Politik dafür zu einzutreten, dass die im Kyoto-Protokoll vereinbarten Ziele erreicht werden.

Von der Kommission werden noch im Laufe dieses Herbstes mehrere bedeutende Vorschläge im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Klimaänderung erwartet. Die beiden jetzt zu verabschiedenden Berichte sind vielversprechend. Die Institutionen der EU sind zu ausgewogener Arbeit imstande, von der anspruchsvolle Resultate zu erwarten sind. Angesichts der Klimaänderung haben wir keine andere Wahl.

 
  
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  Lange (PSE). – Herr Präsident, Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte den beiden Berichterstatterinnen ganz herzlich danken für ihre Zähigkeit und ihr Engagement. Das war in den Verhandlungen mit dem Rat sicherlich besonders notwendig, gerade wenn ich an die Verhandlungen über die Großfeuerungsanlagen denke. Das Parlament wollte und hat es letztendlich auch durchgesetzt, dass Altanlagen in diese Richtlinie einbezogen wurden. Das ist ein zentrales Feld, auf dem wir einen Erfolg verbuchen können.

Aber man muss auch sagen, es ist uns nicht vollständig gelungen. Wir haben viele Ausnahmeregelungen, Verlängerungsregelungen und seichtere Grenzwerte akzeptieren müssen, und zwar nicht, weil es technisch nicht anders möglich ist, sonst wären wir häufig konfrontiert mit Aussagen wie: Was ihr da wollt, liebes Parlament, das ist technisch überhaupt nicht möglich! In diesem Fall ist völlig klar, eine Nachrüstung von bestehenden Anlagen auf das Niveau von neuen Anlagen ist technisch überhaupt kein Problem. In vielen Bereichen ist das auch schon Realität. Der Wiederstand hat sich allein festgemacht an einzelwirtschaftlichen Betrachtungen von einzelnen Großfeuerungsanlagen. Das ist eine verkürzte Sichtweise. Wir müssen schon insgesamt wirtschaftlich denken und auch die Kosten einbeziehen, die durch Versauerung und durch die Schadstoffe entstehen, die auf die Bevölkerung niedergehen. Insofern kann ich die Verhandlungsposition des Rates in dieser Frage überhaupt nicht verstehen oder nachvollziehen. Weil aber letztendlich Altanlagen einbezogen wurden, stimme ich dem Kompromiss ebenfalls zu.

 
  
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  Hulthén (PSE), (SV) Herr Präsident! Es ist weder der Zeitpunkt noch die Stimmung dafür, mit dem Ausschussvorsitzenden oder anderen britischen Abgeordneten einen wie auch immer gearteten Streit darüber vom Zaun zu brechen, wer durch die Versauerung oder die Maßnahmen dagegen am meisten zu verlieren hat.

Stattdessen möchte ich versuchen, mich etwas positiver auszudrücken und danke hiermit den Kollegen aus Großbritannien dafür, dass sie sich durch diese Richtlinie gekämpft haben und wir morgen einen Beschluss fassen können. Dieser Beschluss bedeutet, um es einmal etwas dramatisch auszudrücken, dass meine Region wiederbelebt wird und Forstwirtschaft, Fischerei und biologische Vielfalt die Möglichkeit erhalten, die in Jahrzehnten, und vielleicht sogar während eines ganzen Jahrhunderts verursachten Schäden wieder zu reparieren.

Dies ist ein ausgezeichnetes Beispiel für den Nutzen einer konkreten und soliden europäischen Zusammenarbeit. Dadurch können wir eine Veränderung in meiner Heimatregion erreichen, die wir allein nicht zustande gebracht hätten: das Aufhalten der Versauerung. Auch wenn wir die Versauerung nicht ganz verhindern können, so können wir sie doch hemmen und versuchen, einige der dadurch entstandenen Schäden zu reparieren.

Ich sehe der geplanten Überprüfung mit Hoffnung entgegen, da ich weiß, dass diese Richtlinie nicht ausreichend ist. Trotz des von uns morgen zu fassenden Beschlusses wird die Versauerung weitergehen. Ich danke den Kollegen und der Kommission für die gemeinsam geleistete Arbeit.

 
  
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  Wallström, Kommission.(EN) Herr Präsident, verehrte Abgeordnete! Ich bin sehr erfreut, dass diese beiden wichtigen Ergänzungen der Gemeinschaftsvorschriften zur Luftverschmutzung jetzt in die Phase der Feststellung eingetreten sind. Ich schließe mich den Glückwünschen und dem Dank an die beiden Berichterstatterinnen Frau Oomen-Ruijten und Frau Myller für ihre Leistungen an, möchte aber auch dem Vorsitzenden der Delegation des Europäischen Parlaments Herrn Friedrich – der leider heute Abend nicht hier sein kann – für seinen Beitrag zum erfolgreichen Abschluss dieser Verhandlungen danken, sowie Herrn Provan, der im letzten Moment dazugestoßen ist, an einem der schließlich schönsten Sommerabende diesen Jahres.

Die Vorschläge zu nationalen Emissionshöchstmengen und Großfeuerungsanlagen stellen einen wesentlichen Fortschritt bei den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zur Luftverschmutzung dar. Wie Sie wissen, würde der Vorschlag zu den nationalen Emissionshöchstmengen helfen, ein fortlaufendes Programm zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Luftverschmutzung zu schaffen, da er die Mitgliedstaaten zur Begrenzung jener Emissionen verpflichtet, die den größten Schaden anrichten, nicht nur im eigenen Land, sondern - Frau Hulthén erwähnte es - auch in den Nachbarstaaten.

In der ersten Etappe sind rechtsverbindliche Emissionshöchstmengen festgeschrieben, die die Mitgliedstaaten bis 2010 einhalten müssen. In regelmäßigen Abständen – 2004, 2008 und 2012 – werden Überprüfungen stattfinden, damit die Obergrenzen für Emissionen in Zukunft weiter gesenkt werden können: Dieses System der Überprüfung ist auf Grund der vom Parlament geäußerten Bedenken erheblich gestärkt worden. Die ersten Überprüfungen werden versuchen, die Fehlmengen bis zum Jahr 2010 auszugleichen, unter Berücksichtigung der im ursprünglichen Vorschlag der Kommission enthaltenen Gesamtemissionen für die Gemeinschaft. Bei allen Überprüfungen wird es darum gehen, wie wir unser langfristiges Ziel erreichen können, nach 2010 die entscheidenden Obergrenzen im Umweltbereich einzuhalten. Das Jahr 2020 wird dann der Vergleichsmaßstab werden. Bei nachfolgenden Überprüfungen wird die Kommission insbesondere über Fortschritte bei der Erreichung unserer langfristigen Ziele berichten und mit Blick auf diese entscheiden, welche weiteren Maßnahmen erforderlich sind, um diese Ziele, wie die Berichterstatterin ausführte, „möglichst bis 2020“ zu erreichen.

Gleichzeitig werden mit dem Vorschlag zu Großfeuerungsanlagen neue und strengere Emissionsgrenzwerte im Bereich Energieerzeugung gelten, insbesondere für ältere Kraftwerksanlagen, die zu den Hauptverursachern von Versauerung und Ozonbildung gehören. Die Analyse der gemeinsamen Stellungnahme zu Großfeuerungsanlagen durch die Kommission zeigt, dass im Ergebnis dieser Gesetzgebung sowohl die SO2- als auch die NOx-Emissionen dieses Sektors wesentlich sinken werden.

Die Kompromisslösung hinsichtlich des Vorschlags zu den Großfeuerungsanlagen wird mittelfristig Flexibilität bringen, um sowohl den unterschiedlichen Bedingungen in den Mitgliedstaaten als auch den wesentlichen Vorteilen für die Umwelt in einer erweiterten Gemeinschaft auf lange Sicht Rechnung zu tragen.

Das Parlament hat in dieser Aussprache viel erreicht und kann sehr stolz auf seinen Beitrag sein. Die Kommission ist mit dem Ergebnis zufrieden. Mit der Annahme dieser Vorschriften übernimmt die Kommission die Verpflichtung, beide Richtlinien im Jahr 2004 zu überprüfen und Vorschläge für weitere Fortschritte vorzulegen. Wir haben bereits in der im Mai 2001 vorgelegten Mitteilung über saubere Luft für Europa dargelegt, wie wir uns auf diese erste Überprüfung vorzubereiten gedenken, und die Vorarbeiten dazu sind bereits im Gange.

Abschließend ersuche ich das Parlament, das Ergebnis der Schlichtung anzunehmen und mit uns zusammen weiter voranzuschreiten. Ich freue mich auf die Unterstützung des Parlaments für CAFE.

 
  
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  Der Präsident. – Die gemeinsame Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 11.00 Uhr statt.(1)

(Die Sitzung wird um 23.30 Uhr geschlossen.)

 
  

(1) Tagesordnung für die nächste Sitzung: siehe Protokoll.

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