Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die gemeinsame Aussprache über die folgenden sechs Entschließungsanträge:
- B5-0172/2003 von den Abgeordneten Karamanou, Gröner, Ghilardotti, Prets, Veltroni und Swoboda im Namen der PSE-Fraktion zum Fall der in Nigeria zum Tode durch Steinigen verurteilten Amina Lawal;
- B5-0175/2003 von den Abgeordneten Maes, Rod und Lucas im Namen der Verts/ALE-Fraktion zur Lage der Menschenrechte in Nigeria, insbesondere zum Fall Amina Lawal;
- B5-0179/2003 von den Abgeordneten McCartin, Posselt, Sacrédeus und Scallon im Namen der PPE-DE-Fraktion zum Fall einer nigerianischen Frau, Amina Lawal, die in Nigeria zum Tode durch Steinigen verurteilt wurde;
- B5-0182/2003 von den Abgeordneten Ainardi, Eriksson, Morgantini, Fraisse, Uca und Figueiredo im Namen der GUE/NGL-Fraktion zu Nigeria: der Fall Amina Lawal;
- B5-0183/2003 von den Abgeordneten Collins und Muscardini im Namen der UEN-Fraktion zum Fall Amina Lawal in Nigeria;
- B5-0184/2003 von den Abgeordneten Sanders-ten Holte und Van den Bos im Namen der ELDR-Fraktion zur Lage der Menschenrechte in Nigeria, insbesondere zum Fall Amina Lawal.
Karamanou (PSE). – (EL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Die Nachricht, dass in Nigeria Frauen zum Tode durch Steinigung verurteilt werden, hat die Öffentlichkeit der ganzen Welt schockiert und ist im vergangenen September auch hier im Plenum Gegenstand der Debatte gewesen. Uns erging es aber, Herr Kommissar, wie dem Rufer in der Wüste.
Am 25. März muss Amina Lawal, eine unglückselige Frau, die das abscheuliche Verbrechen begangen hat, zu glauben, sie hätte das Recht, über ihren Körper selbst zu bestimmen, vor dem Shariah-Gericht erscheinen. Nach islamischem Recht handelt es sich um Hochverrat. Kann es wahr sein, dass im 21. Jahrhundert so etwas geschieht, ohne dass sich die Starken dieser Welt regen? Wie schade, dass der Kommissar nicht zuhört. Wie kann es sein, Herr Kommissar, dass die Grundfreiheiten und die Frauenrechte derart brutal und barbarisch missachtet werden, die Angelegenheit jedoch dem Wirken von Frauenorganisationen, der Öffentlichkeit und den Medien überlassen bleibt? Was hat die politische Führung der Europäischen Union, was haben die Kommission und der Rat unternommen? Was für Sanktionen sind gegen Nigeria verhängt worden, ein Land, mit dem uns immerhin wirtschaftliche und handelspolitische Beziehungen verbinden? Welchen Nutzen haben denn die Bestimmungen über die Achtung der Menschen- und Frauenrechte im Cotonou-Abkommen, Herr Kommissar, wenn es keine Sanktionen gibt? Und überhaupt, ist Nigeria ein laizistisches, demokratisches Regime oder eine Theokratie? Hat das Land eine Regierung oder regieren die Mullahs?
Der Präsident. – Frau Karamanou, ich weiß nicht, ob der Herr Kommissar Fischler auch Griechisch versteht. Ich frage das, weil ich sehen kann, dass er nicht seine Kopfhörer trägt.
Karamanou (PSE). – (EL) Herr Präsident, ich bin gleich am Ende meiner Ausführungen; der Kommissar hat nichts von dem gehört, was ich gesagt habe, und ist natürlich nicht imstande, auf die Fragen, die ich ihm gestellt habe, zu antworten. Dabei ist mein Redebeitrag eine einzige Auflistung von Fragen an die europäische Führung, die rein gar nichts unternommen hat, um den Verbrechen gegen Frauen in Nigeria Einhalt zu gebieten. Nigeria ist Unterzeichnerstaat des Cotonou-Abkommens, das Bestimmungen über die Achtung der Menschen- und Frauenrechte enthält, aber die Kommission agiert nach dem Grundsatz, aus den Augen aus dem Sinn. Die politische Führung unternimmt nichts und überlässt die gesamte Angelegenheit dem Engagement der Frauenorganisationen und der Medien, also der Wirkung des von der Weltöffentlichkeit ausgeübten Drucks. Natürlich ist dieser Druck stark und führt zu Resultaten, aber auch die politische Führung Europas muss sich endlich engagieren und die nigerianische Regierung dringend auffordern, dass sie Maßnahmen zum Schutz der Frauenrechte in Nigeria ergreift.
Herr Kommissar, ich möchte, dass Sie auch dies noch hören: Was ist Nigeria eigentlich? Ist es ein demokratisches Regime, ein laizistisches Regime oder eine Theokratie? Weil nämlich der Fall der Amina Lawal am 25. März vor einem Shariah-Berufungsgericht verhandelt wird. Ja, gibt es denn das überhaupt! Wir wissen ja gar nicht, was da eigentlich los ist in Nigeria! Vor drei Jahren noch haben wir uns darüber gefreut, dass das Land zur Demokratie zurückgekehrt ist und die Regierung demokratisch gewählt wurde. Aber diese Regierung ist partout nicht in der Lage, im Lande die Geltung der Verfassung und der Gesetze durchzusetzen. Es regieren die Mullahs, die Frauen deswegen zum Tode durch Steinigung verurteilen, weil sie angeblich außerehelichen Sex hatten.
Wir erwarten also, dass die Kommission und der Rat unverzüglich einschreiten, dass die Führung Stellung bezieht. Das ist es, was wir von Ihnen verlangen, Herr Kommissar.
(Beifall)
Der Präsident. – Frau Karamanou, ich haben Ihnen viel Redezeit eingeräumt, weil ich es erstens für unhöflich hielt, dass der Herr Kommissar den Fragen, die Sie an ihn gerichtet haben, nicht zugehört hat – es stimmt, dass ihm ein ausgearbeiteter schriftlicher Text vorliegt, doch ist zuhören immer höflich –, und weil Sie zweitens als Vorsitzende des Ausschusses für die Rechte der Frau und Chancengleichheit des Europäischen Parlaments gesprochen haben.
Maes (Verts/ALE). – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Sie werden verstehen, dass uns dieser Fall ein sehr dringendes Anliegen ist, und deshalb schließe ich mich nicht nur der Empörung von Frau Karamanou über die bei Ihrer Bank veranstalteten colloques singuliers, für die Sie als Kommissar nicht immer verantwortlich sind, an, sondern stimme auch inhaltlich zu. Dank der internationalen Kampagne konnten wir Safiya Hussaini vor dem Tod durch Steinigen bewahren, wozu sie – obwohl es sich um eine Vergewaltigung handelte – verurteilt worden war. Aus Verfahrensgründen blieb sie jedoch verschont, und das bedeutet, dass die Gefahr für Amina Lawal, deren Berufung am 19. August zugelassen wurde und deren Schuld am 25. März wahrscheinlich erneut bestätigt wird, keineswegs gebannt ist. Sie haben also noch ein wenig Zeit, Herr Kommissar.
Sie wurde durch ein Gericht in Katsina verurteilt, einem der zwölf Bundesstaaten im Norden, in denen seit drei Jahren die Scharia gilt. Todesstrafe, Verstümmelung von Frauen und Auspeitschen sowie die damit einhergehende Diskriminierung werden somit zur gängigen Praxis. Die Verfassung von Nigeria, die Allgemeine Menschenrechtserklärung und alle sonstigen von Nigeria unterzeichneten Abkommen bleiben damit toter Buchstabe.
In Nigeria werden in einigen Wochen Präsidentschaftswahlen abgehalten. Die Krawalle im Zusammenhang mit der Einführung der Scharia haben bereits mehrere Tausend Opfer gefordert. Kürzlich gab es bei Tumulten im Zusammenhang mit einem Schönheitswettbewerb 200 Tote. Das Klima wird bestimmt durch Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Unsicherheit sowie weit verbreitete Korruption. In diesem riesigen und dicht bevölkerten afrikanischen Land besteht leider die immense Gefahr eines Bürgerkriegs. Und wir stimmen hier über einen weiteren Entschließungsantrag ab. Herr Kommissar, wir haben dies am 15. Februar 2001, am 15. November 2001, am 11. April 2002, im September 2002 getan und die AKP haben es am 21. März 2001 getan. Wir werden also jetzt wieder über einen Entschließungsantrag abstimmen, aber wie Frau Karamanou fordere ich Sie zu konkreten Schritten auf, nicht nur um das Leben dieser unglücklichen Frau zu retten, sondern auch um dieses dicht bevölkerte afrikanische Land vor blutigen Konflikten zu bewahren, die Tausende von Opfern fordern könnten.
(Beifall)
McCartin (PPE-DE). −(EN) Herr Präsident, ich habe über diesen Fall im vergangenen Jahr gelesen und das Einzige getan, was ich tun konnte. Ich habe ihn meiner Fraktion vorgetragen. Wir diskutierten in der Fraktion und mit anderen Fraktionen dieses Parlaments und verabschiedeten einen Entschließungsantrag über die Notlage von Amina Lawal. Aus dem Antrag geht eindeutig hervor, was die Regierung von Nigeria unserer Meinung nach gemäß ihren internationalen Verpflichtungen und den Erfordernissen ihrer eigenen föderalen Verfassung zu tun hat. Sie muss ihre legitime Macht zum Schutz von Amina Lawal nutzen und andere nigerianische Frauen in ähnlichen Situationen vor dieser grausamen, entwürdigenden und unmenschlichen Behandlung unter der Scharia bewahren.
Wir erkennen die Souveränität des nigerianischen Volkes und seiner föderalen Regierung an und sind uns zunehmend bewusst, dass es eine globale Gemeinschaft gibt und jeder Bürger der globalen Gemeinschaft Anspruch auf unsere Solidarität und Achtung hat. Ich erinnere mich daran, dass ein afrikanischer Führer beim Fall der Berliner Mauer darüber klagte, dass sich die Europäische Union jetzt nach Osten gewandt hätte, so wie ein Mann, der einem aufregenden Mädchen hinterher schaut, das er zum ersten Mal sieht, und dass man Afrika wohl vergessen und links liegenlassen würde.
Wenn wir den Prozess der Erweiterung abgeschlossen haben, werden wir wirtschaftlich und politisch stärker sein. Wir können uns wieder Afrika zuwenden. In diesem Zusammenhang müssen wir sagen dass wir zwar die Souveränität der afrikanischen Nationen anerkennen, andererseits aber an unsere Entwicklungshilfe Bedingungen knüpfen werden. Daran müssen wir denken und an ähnliche Fälle und an die Notlage aller Frauen unter der Scharia auf dem afrikanischen Kontinent.
Wir wollen keinem souveränen Staat unseren Willen aufzwingen, aber wir werden ihnen sagen, dass da ein Preis zu zahlen ist. Afrika braucht unsere Hilfe, und wir werden sie großzügig gewähren, aber als Gegenleistung muss Afrika seine Bürger human behandeln.
Morgantini (GUE/NGL). – (IT) Herr Präsident, zu vielen Entschließungen wurde nicht nachgekommen, und bisweilen liegt es auch in unserer Verantwortung als Parlamentsmitglieder, dass wir Entschließungen annehmen und meinen, damit hätten wir das Problem gelöst. Aber ich bin eine Frau, und zu meinen Vorbildern zählen Frauen, die, weil sie den Mut besaßen zu sprechen und den Wunsch zu lachen oder zu lieben, im Namen Gottes aufgrund der Grausamkeit frommer christlicher Ordensträger barbarisch gefoltert und lebendigen Leibes verbrannt wurden.
Religiöse Praktiken, Kulturen und Traditionen können sich jedoch ändern. Ich komme aus einem Land, in dem es noch nach dem Krieg das Verbrechen gegen die Ehre gab und wo die Vergewaltigung erst in den 70-er Jahren mit dem Erstarken der feministischen Bewegung als Verbrechen gegen die Person anerkannt wurde. Heute werden wir Frauen in Europa zwar immer noch diskriminiert und wird unsere Sexualität vermarktet, doch wurde das Recht zu existieren erkämpft. Die von den Frauen und den Menschen weltweit erduldeten Leiden und Ungerechtigkeiten scheinen jedoch heute unseren Körper und unsere Seele mehr denn je zu peinigen. Wieder einmal werden durch Religionen, Traditionen und Kulturen im Namen eines angeblich allmächtigen und barmherzigen Gottes Steinigungen verhängt, verabredete Ehen aufgezwungen, die Körper unschuldiger Mädchen durch die Infibulation verstümmelt.
Wir müssen die Ermordung von Amina Lawal verhindern, einer Frau, die es gewagt hat zu lieben und die zum Tode durch Steinigen verurteilt wurde, weil sie ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hat. Wir müssen verhindern, dass die Religion, wenn sie die Menschenrechte, egal ob einer Frau oder eines Mannes, verletzt, als Gesetz fungieren kann, auch wenn dieses gegenüber den Gesetzen des Staates zweitrangig ist. Die Bundesrepublik Nigeria hat die internationalen Menschenrechtsabkommen ratifiziert: Diese dürfen jedoch keine rein formale Bedeutung haben, sondern müssen geachtet und konkret umgesetzt werden.
Nigeria hat auch eine Verfassung verabschiedet, die das Recht auf Freiheit garantiert, ohne Folter und ohne Strafe. Präsident Obasanjo hat sich mehrfach gegen die Anwendung der Todesstrafe auf der Basis der Scharia ausgesprochen, doch kann er nicht immer eine doppelte Rechtsordnung aufrechterhalten. Zwar stimmt es, dass die Probleme komplex sind, doch heute steht das Leben vieler Frauen und Männer auf dem Spiel – heute das von Amina Lawal, gestern das von Safiya Hussaini. Aber wie viele andere Frauen und wie viele Männer schmachten in den Gefängnissen oder werden verurteilt und gehängt?
Die Europäische Union – und wir persönlich – müssen uns nach Kräften dafür einsetzen, dass Amina Lawal nicht hingerichtet wird und zudem die internationalen Abkommen wirklich eingehalten werden. Deshalb müssen wir die nigerianische Regierung dazu auffordern, alles zu tun und jegliche Unterstützung zu leisten, damit Amina nicht sterben muss und nie wieder ein solchesUrteil verhängt wird.
Ich halte es wirklich für äußerst wichtig, dass nicht mit zweierlei Maß gemessen wird. Wir müssen von unserem Grundprinzip ausgehen, von der Tatsache, dass es wichtig ist, dass auch wir hier bei uns die Menschenrechte – gegenüber den Zuwanderern und vielen anderen – wahren, weshalb wir alles in unserer Macht Stehende tun müssen, damit niemand mehr hingerichtet wird.
Maaten (ELDR). – (NL) Herr Präsident! Im September vergangenen Jahres hat das Parlament eine Entschließung angenommen, in der wir die Verurteilung von Amina Lawal zum Tode durch Steinigen verurteilt haben. Seither wurde von allen Seiten starker internationaler Druck ausgeübt, um Amina Lawal zu helfen, und zwar zu Recht. Ihr Fall ist selbstverständlich besonders dramatisch: eine Mutter, welche die Todesstrafe zu erwarten hat.
Der Fall Lawal galt innerhalb und außerhalb Nigerias als ein Testfall. In Nigeria gibt es keine Staatsreligion, und das muss so bleiben. Der Vollzug dieser Todesstrafe wäre ein Signal, dass für Muslime in Nigeria andere Rechte gelten als für Christen, und das ist nicht zulässig. Ferner darf nicht der Eindruck erweckt werden, die Verletzung von Menschenrechten und der Vollzug der Todesstrafe seien hinnehmbar. Die nigerianische Regierung muss dafür sorgen, dass die internationalen Verpflichtungen auf dem Gebiet der Menschenrechte eingehalten werden.
In knapp zwei Wochen beginnt das Berufungsverfahren gegen die unmenschliche Bestrafung von Amina Lawal. Hoffentlich gewinnt sie diese Berufung, wenn aber nicht, so möchte ich Präsident Olusegun Obasanjo an seine eigenen Worte erinnern. Während der Krawalle im Zusammenhang mit den Miss-World-Wahlen im Januar dieses Jahres sagte er, und ich zitiere: „In meinem Land wird niemand gesteinigt werden.“
Mein Appell an ihn ist einfach: Halten Sie Wort. Die nigerianische Regierung verfügt über genügend Möglichkeiten, um zu verhindern, dass dieser Fall in einer Katastrophe endet. Wir warten ab, wie die nigerianische Regierung nach der Berufung am 25. März dieses Jahres handeln wird. Wir in diesem Parlament betrachten Menschenrechte als einen Eckstein guter Beziehungen zwischen der Europäischen Union und anderen Ländern. Ich spreche hier die Hoffnung aus, dass durch den Fall Lawal die Beziehungen zwischen der Union und Nigeria nicht getrübt werden mögen.
Abschließend, Herr Präsident, möchte ich darauf hinweisen, dass Präsident Obasanjo vor ein paar Jahren, bevor er Präsident dieses Landes wurde, den Freiheitspreis der Liberalen Internationalen dankbar in Empfang genommen hat. Er möge sich jetzt auch weiterhin dementsprechend verhalten.
VORSITZ: CATHERINE LALUMIÈRE Vizepräsidentin
Tannock (PPE-DE). −(EN) Frau Präsidentin! Amina Lawal, eine des Lesens und Schreibens unkundige 31-jährige nigerianische Frau bereitet sich wegen des Verbrechens, Ehebruch begangen zu haben, auf den Tod vor. Sie behauptet, ein Freund habe sie vergewaltigt, und als Folge gebar sie ein Kind. Das Todesurteil durch Steinigung, das vollstreckt wird, indem sie lebendig bis zum Hals eingegraben wird und die Umstehenden aufgefordert werden, sie mit Steinen zu bewerfen, wurde bis nach der Geburt ihres Kindes aufgeschoben. Ortsansässige behaupten, dass Mitglieder des örtlichen Scharia-Gerichts, das sie verurteilte, selbst ehebrecherische Beziehungen gehabt hätten, die gelegentlich zur Geburt von Kindern geführt haben.
Die Scharia wurde in Teilen Nigerias vor kurzem im Rahmen eines Prozesses der Islamisierung eingeführt. Christliche Gruppen haben die nigerianische Regierung kritisiert, sie habe es unterlassen zu bekräftigen, dass solche Strafen der Bundesverfassung widersprechen, obwohl Präsident Obasanjo geäußert hat, er werde weinen, falls das Urteil vollstreckt wird. Das Urteil wurde bis 2004 aufgeschoben, damit Amina Lawal ihr Kind abstillen kann.
Nigeria wird meiner Meinung nach zweifellos eine Reihe internationaler Vertragsverpflichtungen verletzen, unter anderem auch gegen die Anti-Folter-Konvention und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die Nigeria unterzeichnet hat, verstoßen. Selbst im Iran hat es seit fast zwei Jahren keine Steinigung mehr gegeben, und jüngst hat der höchste Richter die Strafe für illegal erklärt.
Hier geht es nicht um die Todesstrafe per se, die nach internationalem Recht für die schwersten Verbrechen legal bleibt. Es geht um eine unverhältnismäßige und unnötig grausame Strafe gegen eine junge Mutter. Dies ist auch keine feministische Frage. Nigeria muss begreifen, dass seine Beziehungen zur zivilisierten Welt nicht mehr dieselben sein werden, falls das Urteil vollstreckt wird, und ich für meinen Teil werde für den Ausschluss aus dem Commonwealth und ein Sofortprogramm für ausgewählte Sanktionen sowie Reiseverbote für nigerianische Führer eintreten.
Ich möchte auch die griechische Ratspräsidentschaft auffordern, den nigerianischen Botschafter einzubestellen und ihm den Abscheu dieses Hohen Hauses vor solch einer ungerechten Bestrafung deutlich zu machen.
(Beifall)
Sauquillo Pérez del Arco (PSE). – (ES) Frau Präsidentin, die in den Bundesstaaten Nordnigerias durch islamische Gerichte in Anwendung der Scharia beschlossenen Steinigungen stellen eine flagrante Verletzung der Menschenrechte dar, die wir mit aller Kraft im Namen unseres Europäischen Parlaments verurteilen müssen, so wie es Frau Karamanou heute Nachmittag sehr wirkungsvoll getan hat.
Erstens, weil wir die Todesstrafe nicht tolerieren können, und zweitens, weil sich die Anwendung der Scharia gegen wehrlose Frauen richtet, die Handlungen beschuldigt werden, wie zum Beispiel Ehebruch, die nicht als Straftaten angesehen werden können, und drittens, weil im Fall von Amina Lawal der Angeklagten überdies während des Verfahrens nicht die geringsten Verfahrensrechte zugestanden wurden.
Der Fall von Amina Lawal ist dramatisch und dringend, weil der Vollzug des Urteils nach mehreren Aufschiebungen unmittelbar ansteht: am 25. März. Aber dieser Fall ist nicht der einzige. Sarimu Mohamed, Safiya Hussaini, Bariya Ibrahima und Adama Yunusa sind ebenfalls nach einer Reihe von internationalen Kampagnen gegen diese Steinigungen zu Haftstrafen verurteilt worden. In keinem dieser Fälle wurden die am Ehebruch beteiligten Männer bestraft.
Die Wehrlosigkeit von Frauen unter dem islamischen Strafrecht, die Folterungen und die erniedrigende Behandlung, die sie erleiden, stellen eine nicht tolerierbare Verletzung der Menschenrechte dar, und dies sollte sich in den Beziehungen, die die Europäische Union zu Nigeria und jedem Land unterhält, das die Scharia anwendet, widerspiegeln.
Nigeria hat eine der höchsten Analphabetenraten der Welt. Es gibt dort rituelle Verstümmelungen, Millionen Menschen werden aus religiösen Gründen vertrieben, und durch islamisches Recht wird ein Teil der Bevölkerung in bestimmten Bundesstaaten offenkundig diskriminiert, und die Zentralregierung tut nichts dagegen.
Die Europäische Union muss gemäß den Verträgen, die die Grundsätze für unsere Beziehungen zu Drittländern klar festlegen, und trotz des nigerianischen Öls ihre gesamten diplomatischen Möglichkeiten ausschöpfen, um den Vollzug der Todesstrafe gegen Amina Lawal und alle Folgen der möglichen Steinigung verurteilen.
Mehr als anderthalb Millionen Menschen haben bei den nigerianischen Behörden Protest eingelegt und dank dieser Volksaktion wurden andere Steinigungen verhindert. Gegenwärtig muss aber das Leben von Amina Lawal gerettet werden, und dazu muss die Scharia abgeschafft und, wo erforderlich, verfolgt werden.
Sandbæk (EDD). – (DA) Frau Präsidentin, die Steinigung von Frauen muss jetzt ein Ende haben. Es ist empörend, dass es noch immer Orte auf der Welt gibt, an denen die Steinigung von Frauen eine legitime und akzeptierte Form der Todesstrafe ist. Der Fall Amina Lawal macht es erneut erforderlich, alle Mittel einzusetzen, um die Ablehnung solch barbarischer und inhumaner Methoden durch die EU zu verdeutlichen. Nigeria ist nicht das einzige Land der Welt, in dem solche Grausamkeiten stattfinden. Steinigungen müssen natürlich weltweit verboten werden, aber der offensichtlich bestürzende Fall Amina Lawal sollte für uns der Anlass sein, unsere eindeutige Ablehnung der Steinigung von Frauen zum Ausdruck zu bringen. In Nigeria müssen die Unterschiede zwischen national und regional geltenden Gesetzen beseitigt werden. Es ist erschütternd, dass nicht garantiert werden kann, dass Amina Lawal jemals vor ein nationales Gericht gestellt werden wird, obwohl ihr durch die nigerianische Verfassung Leben und Würde zugesichert werden. Es ist wichtig, dass wir unsere Möglichkeiten nutzen, um der Abscheu des Parlaments Ausdruck zu verleihen und die nigerianische Gesellschaft weiter unter Druck zu setzen. Die Anwendung der Rechtsordnung der Schariah in einer Reihe von Ländern führt nicht nur zu einer völlig inakzeptablen Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, sie ist auch eine Frage allgemeiner Menschlichkeit und Anständigkeit. Es steht noch ein langer und zäher Kampf bevor, bis die Menschenrechte in allen Ländern der Welt akzeptiert und beachtet werden.
Scallon (PPE-DE). −(EN) Frau Präsidentin, ich begrüße diese gemeinsame Entschließung zu Gunsten von Amina Lawal. Dies ist das zweite Mal, dass wir eine Entschließung zu Amina Lawal annehmen werden. Zweifellos hat die erste Entschließung vom September 2002 wesentlich zum internationalen Gnadengesuch beigetragen, das bisher ihre Sicherheit gewährleistet hat. Damals wurde ich gebeten, um ihretwillen einen Appell zu verfassen. Ich möchte den vielen tausend Menschen danken, die darauf reagiert haben, sowohl 2002 als auch auf den jüngsten Appell in den letzten Wochen. Ich danke auch dem Europäischen Büro, das sich um die Menschenrechte in Nigeria kümmert.
Zum Tode durch Steinigung wegen eines außerehelichen Kindes verurteilt zu werden, ist ein Verstoß gegen die international vereinbarten Menschenrechte. Ich stelle fest, dass diese Exekution nicht Wunsch der nigerianischen Regierung ist. Insbesondere danke ich dem nigerianischen Botschafter in Irland, Seiner Exzellenz Herrn Elias Nathan, der öffentlich um Gnade für diese Mutter ersucht hat.
Wir fordern das Oberste Berufungsgericht der Scharia in Katsina auf, die internationalen Menschenrechtsabkommen, die Nigeria unterzeichnet hat, zu respektieren und einzuhalten und dafür zu sorgen, dass jedes Gesetz der Scharia, das sich gegen diese Rechte richtet, aufgehoben wird. Die regionale Gesetzgebung muss mit den in Nigeria auf Landesebene geltenden Gesetzen in Einklang stehen. Mir ist bekannt, dass Frau Lawal seit ihrer Verurteilung im März 2002 nicht mit Gewalt festgehalten oder inhaftiert worden ist. Dafür bin ich dankbar. Doch wir können uns vorstellen, unter welchem Trauma sie angesichts des Todesurteils leidet, das das ganze vergangene Jahr über ihr geschwebt hat. Sicher war sie krank und musste in dieser schweren Zeit in mehreren Krankenhäusern behandelt werden.
Obwohl Amina Lawal das Recht hätte, gegen ihr Urteil vor einem weltlichen Gericht Berufung einzulegen, hat sie genug gelitten. Ich bitte dringend um Gnade und um die Zusicherung, dass sie unter keinen Umständen hingerichtet wird. Wir müssen auch daran denken, dass sie nicht die einzige Frau in dieser Lage ist.
Als man mich aufforderte, einen Aufruf zu Gunsten von Safiya Husseini abzufassen, die wegen eines ähnlichen Vergehens angeklagt war, erfuhr ich von mindestens vier Frauen, die das gleiche Urteil erwarteten – Amina Lawal war eine von ihnen \u8722\'2d, und dass Jungen im Alter zwischen 12 und 16 Jahren eine Amputation ihrer Hände wegen Diebstahls zu erwarten hätten. Wir respektieren zwar die nationale Souveränität, aber es gibt für Nigeria und sein Volk einen besseren Weg. Wir fordern eine sofortige und dauerhafte Antwort auf unsere parlamentarische Entschließung.
Gillig (PSE). – (FR) Frau Präsidentin, wieder einmal sieht sich das Parlament veranlasst und in der Pflicht, die nicht hinzunehmende Lage einer Frau anzuprangern: von Amina Lawal, die in Nigeria zum Tod durch Steinigen verurteilt wurde, weil sie ihr Recht auf Freiheit ausgeübt hat.
Was kann ich sagen, was kann ich den Erklärungen meiner Kollegen noch hinzufügen, außer meiner wiederholten Verurteilung der unerträgliche Lage einer Frau, die zeigt, wie notwendig die Kampfaktionen im Rahmen des Internationalen Frauentages noch sind. Angesichts der schrecklichen Lage dieser Frau müssen wir unsere grundsätzliche Ablehnung der Todesstrafe bekräftigen, müssen wir daran erinnern, dass ein Gerichtshof, ob in Nigeria oder in irgendeinem anderen Land in der Welt, sich nicht auf religiöse Prinzipien berufen darf, um alle Grundsätze im Zusammenhang mit der uneingeschränkten Achtung der Rechte und der Würde des Menschen zu missachten. Dies ist ein Rückschritt ins Mittelalter, zu einer Fortschrittsfeindlichkeit, die es leider auch in unseren Ländern gab. Wir müssen diese unerträgliche Lage einer Frau wieder und wieder kritisieren, die uns dazu veranlasst, das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche und Staat als eines der wichtigsten Organisationsprinzipien moderner und demokratischer Staaten zu bekräftigen.
Frau Präsidentin, Herr Kommissar, wir erwarten von der nigerianischen Regierung die Erklärung, dass die Anwendung der Scharia durch einen regionalen Gerichtshof der Verfassung ihres Landes widerspricht. In diesem Zusammenhang erinnern wir sie daran, dass insbesondere die Achtung der Menschenrechte ein grundlegender Bestandteil der Abkommen ist, die mit Drittländern geschlossen werden. Neben Amina Lawal aus Nigeria erwarten all diejenigen in der Welt, deren elementare Rechte missachtet werden, dass die Europäische Union die Entschließungen, die wir auf jeder Tagung hier in diesem Hohen Haus annehmen, in die Tat umsetzt. Und ich schließe mich voll und ganz den Fragen an, die meine Kollegin Anna Karamanou gestellt hat. Herr Kommissar – aber diese Frage richtet sich ebenso an die Verantwortlichen des Rates –, wo bleiben, neben den Entschließungen, unsere Taten?
Sacrédeus (PPE-DE). – (SV) Frau Präsidentin! Wir befassen uns hier mit einem völlig unangemessenen Urteil sowie damit, das Leben eines unschuldigen Menschen zu retten. Es geht aber auch darum – und ich wende mich hier an Kommissar Fischler – der Scharia-Gesetzgebung und der Islamisierung von Teilen Zentralafrikas auf den Grund zu gehen. Der Fall Amina Lawal ist dort einer von vielen, und es ist zu erwarten, dass solche Urteile immer und immer wieder gefällt werden. Die Vereinbarkeit der Scharia-Gesetze mit den Menschrechten und mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen muss mit aller Deutlichkeit, Bestimmtheit, Beharrlichkeit und Konsequenz in Frage gestellt werden.
Wir sind eine Gruppe von Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die sich an die diplomatischen Vertretungen Nigerias überall in der Europäischen Union und in der übrigen Welt mit der Bitte gewandt haben, diesem Fall Beachtung zu schenken. Wir müssen mit allen Mitteln Druck auf den Obersten Gerichtshof in Nigeria ausüben. Wie in der Entschließung formuliert, müssen wir auch darauf drängen, dass alle Nigerianer gemäß ihrer Verfassung dieselben Rechte und denselben Schutz genießen können, unabhängig davon, ob sie Moslems oder Christen sind, einem anderen oder keinem Glauben angehören. Ferner müssen wir die Zulässigkeit eines so grundlegenden Verstoßes der Scharia-Gesetzgebung gegen das internationale Recht und die Menschenwürde anzweifeln können. Wir müssen auf jede nur erdenkliche Weise folgende Frage stellen: Wo sind die gläubigen Moslems Afrikas und Europas, die ihre Stimme erheben und sagen, dass die Scharia-Gesetze unvereinbar sind mit dem, was Kern allen religiösen Glaubens sein muss, nämlich Liebe und Toleranz?
Fischler,Kommission. – Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kommission teilt natürlich die Besorgnis des Parlaments bezüglich der Art der Strafen, die in Nordnigeria unter Anwendung der Shariah verhängt werden. Die Kommission hat in einer ganzen Reihe von Fällen, u.a. auch im Fall von Amina Lawal, Kontakt zur nigerianischen Regierung aufgenommen, und unser Präsident Prodi selbst hat sich direkt an Präsident Obasanjo gewandt, der sich ebenfalls gegen die Strafen ausgesprochen hat und der darauf hingewiesen hat, dass alle Beschwerdeführer das Recht haben, den Fall vor das Oberste Gericht zu bringen.
Die Kommission begrüßt auch die Stellungnahme des nigerianischen Justizministers, der letztes Jahr erklärt hat, es sei nicht richtig, Moslems dadurch zu diskriminieren, dass sie für ein und dasselbe Vergehen anders bestraft würden. Im Fall von Amina Lawal ist das Berufungsverfahren, wie ja schon verschiedene Mitglieder in ihren Beiträgen ausgeführt haben, für den 25. März festgesetzt. Amina Lawal hat einen Rechtsbeistand bekommen und wird auch Gelegenheit haben, erforderlichenfalls ihre Berufung noch auf höherer Ebene fortzusetzen.
Über unsere Delegation in Abuja verfolgen wir diesen Fall mit größter Aufmerksamkeit. Wir vermeiden es aber, uns direkt auf Fälle zu beziehen, die noch verhandelt werden, und ziehen es vor, darauf zu drängen, dass die nigerianische Bundesregierung die Todesstrafe endlich insgesamt abschafft.
Die Rechtsordnung der Shariah ist in Nigeria ein komplexes und heikles Thema. Auch verfassungsrechtlich ist die Situation sehr schwierig, weil es Widersprüche gibt zwischen der Staatsshariah und der Verfassung sowie den von der nigerianischen Bundesregierung eingegangenen internationalen Verpflichtungen.
Sozial ist das Land in einen moslemischen Norden und einen christlichen Süden geteilt, und außerdem ist das Thema in diesem Jahr politisch sehr geladen und höchst sensibel, weil noch dazu Wahlen stattfinden.
Die Kommission hat eine Studie finanziert, die ergeben hat, dass die Anwendung der Shariah als Strafrecht noch dadurch problematischer wird, dass dieses Strafrecht schlecht verfasst ist und von schlecht ausgebildeten Richtern auf inkohärente Weise angewendet wird.
In Bezug auf die Menschenrechtsfrage in Nigeria hat die EU einen Gemeinsamen Standpunkt ausgearbeitet, eine Demarche der Troika zur Todesstrafe verfasst und eine offizielle Stellungnahme in der Menschenrechtskommission abgegeben.
Die Achtung der Grundsätze des Cotonou-Abkommens wird ebenfalls mit größter Aufmerksamkeit verfolgt. Die Kommission ist auch selber direkt aktiv und hat im Juli letzten Jahres ein Länderstrategiepapier und ein Kooperationsprogramm mit Nigeria unterzeichnet. Darin sind die Menschenrechte und eine verantwortungsbewusste Staatsführung als Schlüsselbereiche aufgeführt. Ferner ist darin die Unterstützung der Zivilgesellschaft vorgesehen.
Außerdem ist Nigeria eines der Schwerpunktländer der europäischen Initiative für Demokratie und Menschenrechte, und in Kürze wird eine Reihe von Projekten zur Unterstützung der Regierungs- und Justizreform angenommen werden. Auf diese Weise hoffen wir, auf das Verständnis und die Anwendung der grundlegenden Menschenrechte durch die nigerianische Bundesregierung und die einzelnen Bundesstaaten der Bundesrepublik Nigeria positiv Einfluss nehmen zu können und die Dinge zum Besseren zu wenden.