Der Präsident. Ich erkläre die am Donnerstag, dem 23. Oktober 2003, unterbrochene Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments für wieder aufgenommen.
2. Begrüßung
Der Präsident. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um eine Reihe hochrangiger Besucher auf der Ehrentribüne zu begrüßen. Ich heiße Herrn Mejdahl, Präsident des dänischen Folketing, heute Nachmittag herzlich willkommen.
(Beifall)
Einige Kollegen des Europa-Ausschusses des schwedischen Riksdag leisten uns ebenfalls Gesellschaft, und ich möchte auch sie in unserem Parlament begrüßen.
(Beifall)
Wie Sie wissen, werden wir heute Nachmittag mit Kommissar Verheugen über die Monitoringberichte der Kommission zu den Bewerberländern einen Meinungsaustausch führen. Zahlreiche hochrangige Gäste, darunter auch Botschafter, haben sich zu diesem Zweck heute bei uns eingefunden. Sie sind herzlich willkommen. Besonders erwähnen möchte ich, dass sich der rumänische Chefunterhändler und amtierende Minister für die europäische Integration sowie der rumänische Oppositionsführer Theodor Stolojan auf der Ehrentribüne befinden: auch sie sind herzlich willkommen.(1)
Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung - Vorlage von Dokumenten - Übermittlung von Abkommenstexten durch den Rat - Mittelübertragungen - Zusammensetzung der Ausschüsse und Delegationen: siehe Protokoll.
3. Tagesordnung
Der Präsident. Ein Korrigendum zur Tagesordnung der Sitzungen vom 5. und 6. November ist verteilt worden. Folgende Änderungen werden vorgeschlagen:
Mittwoch
Ich habe gemäß Artikel 144 der Geschäftsordnung zwei konkurrierende Anträge auf Rücküberweisung des Berichts von Herrn Wuermeling über den Verbraucherkredit (A5-0310/2003) erhalten, und zwar von der PSE-Fraktion auf Rücküberweisung vor der Aussprache und von der ELDR-Fraktion auf Rücküberweisung zu Beginn der Abstimmung.
Sollte es keinen Konsens geben – in Form eines gemeinsamen Antrags der Fraktionen – werde ich dem Parlament nur den Vorschlag machen können, dass wir zu gegebener Zeit über diese Anträge abstimmen.
Thors (ELDR).(SV) Herr Präsident! Meines Erachtens ist es ein gutes Prinzip, unnötige Arbeit und Verwirrung zu vermeiden. Ich denke, dass die hier im Plenum Anwesenden repräsentativ sind. Daher schlage ich vor, über die Rücküberweisung an den Ausschuss sofort abzustimmen.
Schulz (PSE). – Herr Präsident! Das war ein kluger Vorschlag der Kollegin Thors. Wenn sie jetzt sofort mit uns für die sofortige Rücküberweisung stimmt, ist das vollständig klug abgeschlossen.
Der Präsident. Aus dem Beifall schließe ich, dass dies im Sinne des Parlaments wäre, wobei das Parlament in diesem Falle die Geschäftsordnung ändern müsste, denn sie gestattet mir ein solches Vorgehen nicht. Die Abstimmung muss zu dem Zeitpunkt stattfinden, den ich zuvor genannt habe. Seien Sie also bitte zu Beginn der Aussprache hier, damit Ihre Meinung berücksichtigt werden kann.(1)
(Die Tagesordnung ist somit festgelegt.)
⁂
Gill (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte auf einige äußerst unerfreuliche, unwahre und persönliche Bemerkungen eingehen, die Herr Balfe nach der Haushaltsabstimmung in Straßburg letzten Monat gemacht hat. Herr Balfe hatte eine Ausweitung der Krankenversicherung auf ehemalige Abgeordnete gefordert, was vom Haushaltsausschuss abgelehnt wurde.
Als eine der Haushaltsberichterstatterinnen für 2004 sehe ich mich als Dienerin dieses Parlaments, deren Hauptaufgabe darin besteht, die von diesem Haus gefassten Beschlüsse zu verteidigen, und in diesem Fall auch die des Haushaltsausschusses. Mein Ziel bestand vorrangig darin, für den europäischen Steuerzahler Rentabilität sicherzustellen, und in dem Wunsch, das Ansehen und die Würde dieses Hauses in den Augen der europäischen Öffentlichkeit zu wahren.
Erstens ist die von Herrn Balfe gegen mich gerichtete Beschuldigung, ich hätte den vom Präsidium gefassten Beschluss vollends zum Scheitern gebracht, eine Beschuldigung des gesamten Haushaltsausschusses, da alle seine Forderungen zur Abstimmung gestellt wurden.
Zweitens machte Herr Balfe eine Bemerkung zu der – ich zitiere – „vergleichsweise preisgünstigen Regelung“. Das ist eine erstaunliche Äußerung, wenn man bedenkt, dass die ersten Schätzungen von weit über 1 000 000 Euro ausgehen und uns allein eine Studie zur Bestimmung der tatsächlichen Summen 60 000 Euro kostet: Peanuts sind das wohl kaum.
Drittens muss ich in Bezug auf die Inanspruchnahme der geltenden Regelungen durch jetzige Abgeordnete sagen, dass ich völlig verblüfft bin. Fordert Herr Balfe Transparenz für alle Mitglieder im Haushaltsausschuss oder will er für jeden ein Register anlegen? Schlägt er vor, die geltende Regelung zu ändern? Über die Kosten macht er sich da wohl keine Sorgen! Ich würde sagen, er sollte Vorschläge für den Haushalt nächstes Jahr einbringen, damit wir all die Änderungen vornehmen können, die nötig sind.
Abschließend möchte ich im Namen aller meiner Kollegen im Haushaltsausschuss, die ihre Aufgaben – wie ich finde – sehr ernst nehmen, anmerken, dass diese Behauptungen einer Person nicht würdig sind, die in diesem Parlament eine wichtige Position wie die eines Quästors innehat, und ich glaube, dass er dieses Parlament und dieses Amt damit in Verruf bringt.
(Beifall von links)
Balfe (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte klarstellen, dass das Präsidium den Haushaltsausschuss gebeten hat, eine bestimmte Maßnahme zu treffen, was Frau Gill als Haushaltsberichterstatterin hätte tun können. Sie hat es aber abgelehnt. Das Präsidium hat darum ersucht, dass Mitglieder, die bei ihrer Pensionierung älter als 60 sind, mindestens zwei Legislaturperioden dem Europäischen Parlament angehört haben und ebenso wie alle Bediensteten bereit sind, ein Drittel der Kosten des Systems selbst zu tragen, ein Krankenversorgungssystem in Anspruch nehmen können – wie es für alle Bediensteten dieser Einrichtung der Fall ist –, wenn sie keine ausreichende nationale Versicherung haben.
Das Präsidium, das in dieser Hinsicht eine einmütige Meinung vertrat, hat eine sehr humane Bitte geäußert. Meiner Ansicht nach hat Frau Gill als Haushaltsberichterstatterin nicht besonders freundlich, human oder vernünftig auf diese Bitte reagiert. Es wird jetzt eine Studie erstellt, und wenn sie abgeschlossen ist, hoffe ich, dass der Haushaltsausschuss, der Millionen von Pfund für sehr zweifelhafte Projekte ausgibt,…
(Proteste)
...erkennen wird, dass er auch Verpflichtungen gegenüber den älteren und oftmals kranken Mitgliedern dieses Hauses hat, die sehr viel für das Parlament getan haben, und dass diese Mitglieder bereit sind, für ihre Teilnahme an einem Versicherungssystem mehr zu zahlen, als jeder von uns gegenwärtigen Abgeordneten zu zahlen bereit ist.
Ich hoffe, dass diese Angelegenheit erneut im Haushaltsausschuss geprüft wird, aber ich sage noch einmal, dass alles, was Frau Gill hätte tun müssen, darin bestand, die Empfehlung des Präsidiums – und nicht dieses Quästors – aufzugreifen und in diesem Haus zur Abstimmung zu stellen. Wenn sie glaubt, dass der Haushaltsausschuss über dem Parlament steht, dann sollte sie sich vielleicht noch einmal mit dem Verfassungsrecht beschäftigen.
(Beifall von rechts)
Der Präsident. Glücklicherweise sind die heute anwesenden Abgeordneten gesund und nicht krank. Lassen Sie uns deshalb mit einer gesunden Einstellung unsere Tagesordnung fortsetzen.
Lehne (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich will mich auch ganz kurz fassen. Es geht darum, dass wir morgen eine Abstimmung über eine Entschließung zu den freien Berufen auf der Tagesordnung haben. Vor dem Hintergrund der sitzungsfreien Woche in der vergangenen Woche war es nicht möglich, zeitgerecht einen Kompromiss zustande zu bringen. Meine Bitte ist deshalb die, die Abstimmung auf die nächste Straßburg-Woche zu verschieben. Das ist mit Herrn Medina Ortega und mit Herrn Rothley auch so abgesprochen worden. Danke.
Medina Ortega (PSE). – (ES) Herr Präsident, ich bin mit dem Vorschlag von Herrn Lehne einverstanden, da wir zwischen den Fraktionen faktisch zu keiner Einigung über den Text des gemeinsamen Entschließungsantrags gelangt sind.
Der Präsident. Wenn darüber Einigkeit besteht, dann lassen Sie uns auf dieser Grundlage fortfahren.
⁂
Schulz (PSE). – Herr Präsident! Ich komme auf die Frage der Geschäftsordnung und des Berichts Wuermeling zurück. Wir haben nachgedacht, wie wir das Problem ohne Änderung der Geschäftsordnung jetzt sofort lösen können und sind zu einem Ergebnis gekommen, das, glaube ich, auch im Sinne der Kollegin Thors ist. Ich beantrage hiermit, den Bericht Wuermeling als ersten Tagesordnungspunkt vorzuziehen und würde Sie bitten ihn aufzurufen und kündige schon jetzt an, dass ich dann die unverzügliche Rücküberweisung in den Ausschuss beantragen werde.
Wuermeling (PPE-DE). – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nachdrücklich den Vorschlag unterstützen, über den Rücküberweisungsantrag jetzt schon abzustimmen. Es ist für die Kolleginnen und Kollegen unzumutbar, heute Abend um halb zwölf hier in das Plenum zu kommen, nur um darüber zu entscheiden, ob eine Debatte stattfindet oder nicht. Das wäre eine Zufallsmehrheit. Das ist der Bedeutung dieses Vorschlags nicht angemessen. Ich möchte Sie aber gleichzeitig um das Wort bitten, um mich gegen diese Rücküberweisung ohne Debatte auszusprechen.
Der Präsident. Das spiegelt genau das Dilemma wider, in das mich die Fraktionen gebracht haben. Wenn ich der Logik von Herrn Schulz folge, er aber unterliegt und somit der Bericht Wuermeling zum ersten Tagesordnungspunkt wird, dann würde das den für heute geplanten Arbeitsablauf völlig durcheinander bringen. Ich werde diesem Vorschlag nicht folgen. Wenn aber die Kollegen, während wir mit unserer Tagesordnung fortfahren, zu einer Einigung gelangen und nach dem ersten Tagesordnungspunkt mit einem einvernehmlichen Vorschlag zu mir kommen, dann werde ich diesen dem Parlament unterbreiten, und wir können ihn dann entsprechend behandeln. Wenn kein Konsens erzielt werden kann, werden wir so vorgehen, wie ich bereits sagte.
Für weitere Änderungen der Tagesordnung: siehe Protokoll.
4. Ausführungen zu wichtigen politischen Fragen
Cohn-Bendit (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Gestern waren Sie in Berlin – so wie ich. Sie haben dem Deutschen Bundestag einen offiziellen Besuch abgestattet. Begleitet wurden Sie von Vertretern der PPE-DE- und der PSE-Fraktion. Haben Sie vergessen, Herr Präsident, dass es noch andere Fraktionen in diesem Parlament gibt, die Sie auch hätten begleiten können? Warum haben Sie nur die beiden größten Fraktionen mitgenommen? Ich verstehe das nicht und würde Sie gerne um eine Antwort bitten.
Der Präsident. Gestern und am Montag war ich im Namen dieses Parlaments zu einem offiziellen Besuch in Berlin und im Bundestag. Gestern Nachmittag habe ich mit jeder Fraktion des Deutschen Bundestages gesprochen, darunter mit den Grünen und den Liberalen, den Sozialdemokraten und der CDU-CSU. Ich habe keine Fraktion von hier aufgefordert, mich zu begleiten, jedoch hat das Protokoll des Bundestages freundlicherweise die Kollegen hier über meinen Besuch in Kenntnis gesetzt. Diejenigen deutschen Kollegen, die an einem Besuchspunkt teilnehmen wollten, konnten dies nach Belieben tun. Natürlich waren sie ebenso wie Sie, Herr Cohn-Bendit, nicht dazu verpflichtet. Die Entscheidung lag bei Ihnen und den anderen, nicht bei mir.
Ich habe als Präsident einen Besuch abgestattet, der jedoch all denen offen stand, die den Wunsch hatten, sich anzuschließen. Die Kollegen, die an einzelnen Besuchspunkten oder den Treffen mit den verschiedenen Fraktionen teilgenommen haben, waren sehr willkommen. Sie waren nicht dazu verpflichtet teilzunehmen, und sie haben nicht den Präsidenten auf der Reise begleitet.
Berthu (NI). – (FR) Herr Präsident, ich möchte die Kommission um Auskünfte zu der soeben veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage bitten, bei der Israel an erster Stelle der den Weltfrieden bedrohenden Staaten steht, noch vor Iran, Nordkorea und den Vereinigten Staaten, die alle drei den gleichen Platz einnehmen.
Erstens, wie ist es möglich, dass man einen Fragebogen erstellt, der eine Liste von Friedensbedrohungen unter Einschluss Israels und der USA, nicht aber des internationalen Terrorismus – von palästinensischer oder sonstiger Seite enthält? Vor allem aber, wie ist es möglich, eine Liste von Staaten zu erstellen, die angeblich den Frieden bedrohen, und dabei Schurkenstaaten und demokratische Staaten zu vermischen? Erschreckend finde ich, dass die mentale Konfusion der Befrager nur mit der der Befragten vergleichbar ist, die keinen Unterschied gemacht haben und die anscheinend die Anwendung von Gewalt in jedem Falle verurteilen, unabhängig davon, ob es sich um die Aggression eines Schurkenstaats oder des internationalen Terrorismus handelt oder um die legitime Verteidigung eines demokratischen Staates. Diese moralische Abrüstung betrachte ich als die schrecklichste Information für die Zukunft Europas, die dieser Meinungsumfrage zu entnehmen ist.
Tajani (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, auch ich schließe mich der von etlichen Kollegen innerhalb und auch außerhalb dieses Hohen Hauses bekundeten Sorge über die Meinungsumfrage an sich und die Art und Weise ihrer Durchführung an. Ich hoffe, dass die Fraktionen und die Kommission uns einige nähere Erläuterungen geben können, denn wenn Europa etwas zu sagen haben, wenn es eine führende Rolle in der internationalen Politik spielen soll, muss es zweifellos mit mehr Bedachtsamkeit vorgehen. Wenn Fragen gestellt werden, sollte man wissen, wie und warum sie gestellt werden, und vor allem wäre es richtig und angezeigt, sobald die Ergebnisse vorliegen, diese nicht zuerst den Medien – noch dazu bestimmten Medien – bekannt zu geben, sondern dem Europäischen Parlament und der Öffentlichkeit insgesamt.
Herr Präsident, darüber hinaus möchte ich kurz auf einen schweren Anschlag aufmerksam machen, der gestern in meinem Heimatland Italien gegen eine Kaserne der Karabinieri verübt worden ist. Die Spur führt in anarcho-aufständische Kreise, wobei auch eine Verbindung zu Vorkommnissen in Spanien besteht, wo einige italienische Terroristen oder Pseudoterroristen in Haft sitzen. Ich glaube, wir Europäer sollten uns alle wappnen, denn die terroristische Bedrohung ist nicht zu unterschätzen, auch wenn die Ergebnisse von Polizeiaktionen, wie die Maßnahmen der italienischen Polizei, die einige gefährliche Mörder – oder zumindest des Mordes an Marco Biagi und Massimo D'Antona Angeklagte – verhaftet hat, als positive Signale betrachtet werden können. Ich appelliere an dieses Parlament, gemeinsam all unsere Kräfte aufzubieten, um dieses Besorgnis erregende Phänomen in ganz Europa zu bekämpfen.
Dell'Alba (NI). – (IT) Herr Präsident, gestatten Sie mir, noch einmal kurz auf das Problem der Meinungsumfrage des Eurobarometers zurückzukommen. Ich halte es für angezeigt, dass dieses Parlament hört, was die Kommission dazu zu sagen hat, anstatt es aus den Pressesälen oder von den Journalisten zu erfahren; es ist angezeigt, dass uns die Kommission – durch ihren Präsidenten Romano Prodi oder ein anderes Mitglied – entsprechend unserem Vorrecht die Gründe für das Zustandekommen dieser Umfrage darlegt, die – zu Recht – in sämtlichen Zeitungen wiedergegeben wurde und gewiss ein negatives, wenn nicht pessimistisches Bild von unserer Europäischen Union vermittelt hat.
Watson (ELDR). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte nicht auf den Inhalt dieser konkreten Meinungsumfrage eingehen, auch wenn es bei der Umfrage sicherlich klug gewesen wäre, danach zu fragen, was die Menschen über den palästinensischen Staat und die Palästinensische Befreiungsorganisation denken.
Es ist dennoch nicht schlecht, dass die Menschen wissen, was Europa denkt. Ich würde die Kommission generell dazu ermuntern, Informationen – dieser und anderer Art – über die Ansichten der Europäer zu veröffentlichen, um zu zeigen, wie wichtig Meinung auf unserem Kontinent ist.
(Beifall)
Schulz (PSE). – Herr Präsident! Zum gleichen Thema. Wir haben in unserer Fraktion natürlich auch die Auswirkungen dieser Veröffentlichungen und der Zahlen diskutiert. Ich will aber ganz grundsätzlich für unsere Fraktion begrüßen, dass Sie die Frage des Umgangs mit einer solchen Umfrage, das Zustandekommen der Fragen, zum Gegenstand einer Konferenz der Präsidenten machen wollen. Ich glaube, da gehört es auch zunächst einmal hin, denn es ist sehr schwierig, eine umfassende Diskussion im Plenum über eine Meinungsumfrage zu führen, deren Gesamtgrundlage und Gesamthintergrund ich zur Zeit nur in Bruchstücken aus der Presse kenne. Bevor ich mir da ein Urteil erlaube, würde ich sagen, ist es angebracht, dass man es einmal in Gänze sieht. Im Übrigen warne ich davor, dass man Meinungsumfragen nur dann gut findet, wenn einem die Ergebnisse gefallen. Das ist für jeden Politiker immer ein schwieriges Unterfangen – das sage ich als leidgeprüfter deutscher Sozialdemokrat in besonderer Weise. Wenn man sich Meinungsumfragen ansieht, kann einem bisweilen, egal welche Frage gestellt wird, eher schlecht werden.
Ob die Fragen solche Suggestivkraft haben, dass die Antworten, die jetzt gegeben wurden, uns gefallen oder nicht, kann man hier in diesem Plenum nicht diskutieren. Wer weiß denn, was bei einer anderen Fragestellung herausgekommen wäre. Ich rate deshalb dazu, hier keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen oder vorschnelle Bewertungen vorzunehmen, sondern das in der Konferenz der Präsidenten einmal auf die Tagesordnung zu setzen und mit der Kommission über die Frage zu diskutieren, wie das Eurobarometer insgesamt gehandhabt wird.
Gollnisch (NI). – (FR) Herr Präsident, ausgehend von den Beiträgen einiger unserer Kollegen, besonders von Herrn Berthu und Herrn Dell'Alba, würde ich sagen, es wäre vielleicht sinnvoll, die Meinungsumfragen abzuschaffen und die Leute nicht mehr nach ihrer Meinung zu fragen, denn wenn man sie danach fragt, besteht die Gefahr, dass sie sie auch sagen, und wenn diese dann im Gegensatz zu dem vorherrschenden Denken steht und politisch inkorrekt ist, so ist das sehr unangenehm für das europäische politische Establishment. Es gibt im Übrigen in der Demokratie auch eine Formalität in diesem Bereich, die man Wahlen nennt, und ich muss Ihnen sagen, die sind äußerst gefährlich. Sie könnten zum Beispiel auf alle Fälle der politischen Richtung, die ich vertrete, ab Juni mehr Gehör verschaffen. Ich frage mich, ob man nicht die Wahlen auch abschaffen sollte und vielleicht sogar die Völker Europas verändern, sobald sie beginnen unkorrekt zu denken oder ein Hindernis für den Fortschritt der europäischen Demokratie darstellen.
Cushnahan (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich bin kürzlich aus Sri Lanka zurückgekehrt, wo ich mein Engagement für den Friedensprozess auf Einladung der Beteiligten fortgesetzt habe. Wie einige Kollegen vielleicht wissen, sind die Friedensgespräche im April ausgesetzt worden. Besonders ermutigend fand ich bei meinem Besuch, dass die LTTE – oder die tamilischen Tiger, wie sie allgemein besser bekannt sind – ihre Vorschläge für eine autonome Interimsregierung veröffentlicht haben. Dies ist wirklich ein sehr bedeutender Schritt von ihrer Seite. Es ist das erste Mal, dass sie umfassende Vorschläge unterbreitet haben. Noch bemerkenswerter ist, dass der Chefsprecher der LTTE, Herr Tamilchelvan, erklärte, diese Interimsregierung sei nicht der Vorbote eines separaten Staates. Dies bereitete den Weg für eine erneute Aufnahme von Verhandlungen mit der Regierung, auch wenn zwischen den beiden Seiten eine große Kluft besteht.
Bedauerlicherweise hat Präsidentin Chandrika Kumaratunga, die der Oppositionspartei angehört, in den letzten 48 Stunden vier wichtige Minister entlassen, das Parlament aufgelöst und den Ausnahmezustand verhängt. Ich befürchte, dass dies den Friedensprozess gefährdet.
Angesichts der Tatsache, dass wir in diesem Parlament den Friedensprozess unterstützen und dass wir zusammen mit unseren internationalen Partnern viereinhalb Milliarden Dollar bereitgestellt haben, um ihn voranzutreiben, und eingedenk der Bedeutung des parteiübergreifenden Konsenses im irischen Friedensprozess möchte ich Sie bitten, Herr Präsident, die beiden wichtigsten Parteien in Sri Lanka zusammen mit den tamilischen Tigern eindringlich aufzufordern, einer Wiederaufnahme von Verhandlungen zuzustimmen, damit in diesem von Unruhen gebeutelten Land dauerhafter Frieden einziehen kann.
Deva (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, ich möchte auf die jüngste Krise in Sri Lanka eingehen. Herr Cushnahan hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Präsidentin zu einem Zeitpunkt, an dem es jetzt nach 23 Jahren Bürgerkrieg möglich ist, das Land zu befrieden, den Ausnahmezustand verhängt hat, kaum dass die Friedensvorschläge von den Rebellengruppen der tamilischen Tiger vorgelegt wurden.
Sie, Herr Präsident, Herr Poettering und weitere Mitglieder dieses Parlaments haben den Premierminister getroffen, der zu dieser Stunde bei Herrn Bush in Washington ist. Das Parlament sollte in Colombo wieder zusammengerufen werden. Es gibt weder eine Rechtfertigung für die Vertagung des Parlaments noch für die Verhängung des Ausnahmezustands noch für die Entsendung von Truppen auf die Straßen. Das Europäische Parlament kann zu Recht fordern, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Parlaments- und Regierungsgewalt in Sri Lanka wieder hergestellt werden.
(Beifall)
Karamanou (PSE). – (EL) Herr Präsident! Gestern las ich mit Erstaunen und Entsetzen, dass Amnesty International den Sudan anklagt, weil dort ein Sondergericht einen Sechzehnjährigen, der des bewaffneten Raubes beschuldigt wurde, zu einer so genannten Kreuzamputation verurteilt hat, das heißt, ihm sollen die rechte Hand und der linke Fuß abgetrennt werden. Amnesty International klagt das Justizsystem und die Strafgesetzgebung des Sudan, in denen Strafen wie Amputationen sowie Hinrichtungen durch Steinigung vorgesehen sind, an und hat einen Appell an die internationale Gemeinschaft gerichtet, um die Vollstreckung der Strafe an dem sechzehnjährigen Jungen zu verhindern.
Herr Präsident, ich denke, sowohl unser Parlament als auch Sie persönlich sollten die Initiative ergreifen und den Sudan daran erinnern, dass er das Abkommen von Cotonou über die Achtung der Menschenrechte unterzeichnet hat. Hier ist unser sofortiges Eingreifen nötig.
(Beifall)
Corrie (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, ich spreche zu dem gleichen Punkt, der eben vorgebracht wurde. Ich hoffe wirklich, dass Sie der sudanesischen Regierung schreiben und ihr nahe legen, diese barbarischen Bestrafungen unverzüglich einzustellen, und zwar nicht nur für dieses Vergehen, sondern für alle Vergehen. Das Gesetz der Sharia und diese grausamen, schrecklichen Strafen dürfen dort nicht weiter angewandt werden.
Alavanos (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Es gibt ein ernstes humanitäres Problem, bei dem Sie eingreifen müssen und, wie ich glaube, auch eingreifen werden.
Am 27. Juli 2003 ist das Containerschiff „Tasman Spirit“, das von einem einheimischen Lotsen geführt wurde, an der Hafeneinfahrt von Karachi auf Grund gelaufen. Dies verursachte eine schwere Umweltkatastrophe, bei der eine Menge Öl im Hafen ausgelaufen ist. Seitdem gestatten die pakistanischen Behörden den sieben Besatzungsmitgliedern nicht, Pakistan zu verlassen. Im Fall der „Prestige“ hielten sich die spanischen Behörden gemäß dem Verursacherprinzip an den Verantwortlichen, nämlich den Kapitän des Schiffes, nicht aber an die übrige Besatzung. Es sind weder der Koch noch die Reinigungskraft schuld. Im Fall der „Tasman Spirit“ jedoch werden sieben Seeleute festgehalten, von denen die meisten Griechen sind.
Am 17. August, nachdem das ganze Ausmaß der Katastrophe offenbar wurde, reiste zudem das Team eines Bergungsunternehmens nach Pakistan, dessen Leiter, Herr Nikos Papas, ebenfalls von den pakistanischen Behörden festgehalten wird, obwohl er nicht zur Besatzung der „Tasman Spirit“ gehört. Sie waren lediglich gekommen, um das Schiff zu bergen und die Katastrophe zu begrenzen.
Ich möchte Sie bitten zu intervenieren. Hierbei handelt es sich um eine Geiselnahme. Der pakistanische Minister befindet sich heute in Brüssel, er wird mit Herrn Solana und Herrn Patten speisen. Wir müssen bei diesem Thema eingreifen.
Thomas-Mauro (UEN). –(FR) Herr Präsident, ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf das Projekt Rosia Montana Gold Corporation lenken. Dieses Projekt, das die Ausbeutung einer Goldlagerstätte in Mittelrumänien betrifft, wirft drei Arten von Problemen auf. Ein soziales und humanes Problem, denn dieses Projekt, das derzeit realisiert wird, erfordert die Umsiedlung einer Bevölkerung von 2 000 Personen und den Abriss von 900 Häusern. Hinzu kommt ein Umweltproblem, denn dieses Projekt wird ein Schlämmbecken auf einer Größe von 400 Hektar umfassen, in dem sich die Rückstände des Zyanids ansammeln, welches für die intensive Erzaufbereitung benötigt wird. Diese Technik wurde bereits vor fast zwei Jahren in Baia Mare durch eine australische Firma angewandt und hat eine Umweltkatastrophe im Donautal ausgelöst. Ein weiteres Problem besteht in der Schädigung des historischen Erbes: nach etwa 15 Jahren Erzgewinnung wird das Tal, in dem sich auch archäologische Überreste aus der Römerzeit befinden, verschwunden sein und damit auch zahlreiche Kirchen, Friedhöfe und historische Denkmale.
Voraussetzung für die Ausführung des Projekts ist eine Umweltgenehmigung der rumänischen Regierung. Ist es angesichts der Tatsache, dass Rumänien an seine Verpflichtungen als Beitrittskandidat zur Europäischen Union gebunden ist, vertretbar, dass Abbaumethoden, die für Menschen und Umwelt gefährlich sind und die nur noch in der Dritten Welt Anwendung finden, in einem Land geduldet werden, das kurz vor dem Beitritt in die EU steht?
Ich bitte meine Kollegen Abgeordneten, die für Anfang Dezember einen Besuch vor Ort geplant haben, sich einen genauen Überblick über die dauerhaften Schäden zu verschaffen, die die Umsetzung eines solchen Projekts mit sich bringen würde.
Der Präsident. Das Parlament wird sich in der Tat im Rahmen einer Delegation dieser Sache annehmen. Die Konferenz der Präsidenten hat diesem Besuch zugestimmt.
Mussa (UEN). – (IT) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, seit dem 12. August, dem Tag, als Dr. Arjan Erkel entführt worden ist, haben wir nichts mehr von ihm gehört und wissen nichts über sein Schicksal. Er wurde in Mukalla in Dagestan entführt, und es wurde nichts für seine Freilassung unternommen. Ich meine, das Europäische Parlament und die Europäische Union sollten aktiv werden, nicht nur um etwas über ihn in Erfahrung zu bringen und seine Freilassung zu fordern, sondern auch, um die Organisationen zu schützen, die freiwillig in Gebieten tätig sind, wo das Gesundheitswesen in einem beklagenswerten Zustand ist.
Napoletano (PSE). – (IT) Herr Präsident, ich möchte in Erinnerung bringen, dass sich der italienische Ratsvorsitz am 2. Juli 2003 vor diesem Parlament verpflichtet hat, der Generalversammlung der Vereinten Nationen einen Resolutionsentwurf für ein Moratorium zur Vollstreckung der Todesstrafe zu unterbreiten. Diese Verpflichtung wurde am 23. Oktober mit einer von diesem Parlament einstimmig angenommenen Entschließung unterstützt. Heute erfahren wir aus der Presse, dass sich die italienische Regierung entschlossen hat, den Vereinten Nationen keinen Resolutionsentwurf vorzulegen. Ich bitte Sie, Herr Präsident, dem Vorsitz unsere Enttäuschung mitzuteilen und ihn zu ermahnen, sich an Ziffer 3 unserer Entschließung zu halten, die auf jeden Fall eine Debatte über die Ergebnisse und die Bewertung vorsieht. Obgleich diese nach meinem Dafürhalten sehr kritisch ausfallen dürften, ist dennoch eine Aussprache darüber geboten.
Der Präsident. Die italienische Präsidentschaft ist in der Tat anwesend, hat Ihre Bemerkungen gehört und hofft darauf, die Entschließung berücksichtigen zu können.
Die Aussprache zu diesem Punkt ist geschlossen.
5. Tagesordnung (Fortsetzung)
Wuermeling (PPE-DE) Berichterstatter. – Herr Präsident! Was meinen Bericht betrifft, soll die Vereinbarung so sein, dass wir alle damit einverstanden sind, dass der Bericht ohne weitere Debatte und auch ohne Abstimmung in den Ausschuss zurücküberwiesen wird. Allerdings kann ich bei dieser Gelegenheit kurz erläutern, was der Inhalt und die Zielsetzung dieses Berichts ist.
Dies ist einer der wenigen Vorschläge, die jeden Bürger in der Europäischen Union ganz unmittelbar in seinem tagtäglichen Leben betreffen, und zwar in einer sehr empfindlichen Materie, nämlich beim Geld: Wenn Sie mit einer Kreditkarte bezahlen, sind Sie von der Richtlinie betroffen, wenn Sie ein Auto leasen, wenn Sie einen Fernseher auf Kredit kaufen oder wenn Sie Ihre Kreditlinie auf dem Konto überziehen. Im Moment sind in der Europäischen Union Verträge in Höhe von etwa einer Billion Euro über Verbraucherkreditverträge in Kraft. Deswegen ist es von höchster Wichtigkeit, dass sich das Parlament mit aller Sorgfalt und großem Verantwortungsbewusstsein mit dieser Materie beschäftigt.
Wir haben als Ausschuss für Recht und Binnenmarkt den Eindruck, dass die Kommission mit ihrem Vorschlag der Bedeutung dieses Themas nicht gerecht wird. Es wurde nicht geprüft, in welchem Umfang der Vorschlag die Auswirkung hat, dass sozial Schwache überhaupt keinen Zugang mehr zu Krediten bekommen, denn die Anforderungen für die Bonitätsprüfung werden substanziell erhöht, und das könnte zur Folge haben, dass diejenigen, die den Kredit besonders brauchen, keinen mehr bekommen.
Es ist auch nicht geprüft worden, in welchem Umfang dieser Vorschlag dazu führt, dass sich die Zinsen auf Verbraucherkredite erhöhen. Bei der Chemikalienrichtlinie -umstritten genug – wissen wir zumindest, was das kosten soll. Das wissen wir bei dieser Richtlinie nicht. Es ist auch nicht geprüft worden, welche Auswirkung eigentlich die beabsichtigte Einschränkung von Verbraucherkrediten auf den Konsum in der Europäischen Union hat, denn immerhin werden 13% des Konsums durch Verbraucherkredite finanziert. Deshalb hat sich der Rechtsausschuss zu dem zugegebenermaßen außergewöhnlichen Schritt entschlossen, der Kommission zu empfehlen, diesen Vorschlag zurückzuziehen und noch einmal zu überarbeiten und unter Berücksichtigung aller dieser Punkte – und in meinem Bericht sind 30 weitere aufgeführt – das Ganze noch einmal zu überdenken und neu zu diskutieren.
Ich verstehe, dass einige Kollegen sagen, nachdem die Kommission – auch Herr Prodi brieflich, Herr Byrne x-mal – erklärt hat, dass sie auf gar keinen Fall bereit ist, diesen Vorschlag zurückzuziehen, es wenig Sinn macht, über das Ganze im Plenum noch einmal abzustimmen. Es stellt sich in der Tat auch die Frage, ob es Sinn macht, unter den gegebenen Umständen die Kommission noch einmal mit der Ausarbeitung eines Vorschlags zu betrauen. Ich persönlich habe wenig Vertrauen darin, dass die zuständigen Stellen dort etwas liefern, mit dem wir besser zurechtkommen. Gestatten Sie mir diese persönliche Bemerkung.
In Anbetracht der Umstände, dass die Kommission sich ohnehin weigert, den Vorschlag zu überarbeiten, bin ich damit einverstanden, dass wir uns daranmachen, diese Richtlinie komplett neu zu schreiben. Ich sehe das zwar eigentlich nicht als Aufgabe dieses Parlaments an – wir sollen politische Entscheidungen treffen und nicht einzelne Artikel formulieren -; wenn jedoch die Kommission sich in diesem Punkt so uneinsichtig zeigt, ist es unsere verfassungsmäßige Pflicht. Dieser werden wir genügen, und dann werden wir dafür sorgen, dass es in Europa ein modernes, flexibles und die Wettbewerbsfähigkeit förderndes Verbraucherkreditrecht gibt. Vielen Dank.
(Beifall)
Der Präsident. Der Vorschlag ist also, den Bericht ohne Aussprache an den Ausschuss zurückzuüberweisen.
(Das Parlament stimmt dem Vorschlag zu.)
Ich möchte Ihnen, Herr Wuermeling, und allen Kollegen für ihren Beitrag zur Lösung dieser Frage danken.
6. Umfassender Monitoringbericht und Strategiepapier der Kommission über die Fortschritte der Bewerberländer auf dem Weg zum Beitritt
Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Mitteilung der Kommission über den umfassenden Monitoringbericht und das Strategiepapier der Kommission über die Fortschritte der Bewerberländer auf dem Weg zum Beitritt.
Wie ich schon zuvor erwähnte, befinden sich heute viele hochrangige Gäste auf der Ehrentribüne, um dieses Thema zu verfolgen. Sie sind herzlich willkommen. Es freut mich, dass uns heute der Präsident der Kommission, Herr Prodi, und Kommissar Verheugen Gesellschaft leisten. Aus meinen umfangreichen Kontakten im Zuge der Vorbereitung dieser Aussprache weiß ich, dass Kommissar Verheugen sich fest vorgenommen hat, dass diese Berichte vom Kollegium der Kommissionsmitglieder angenommen werden, nachdem er sie diesem Plenum vorgestellt hat.
Ich bedauere, dass Sie aufgrund der Tatsache, dass das ordnungsgemäße Verfahren nicht eingehalten wurde, was anderen als Kommissar Verheugen zuzuschreiben ist, bereits in den vergangenen Tagen vieles von dem, was Sie heute hören werden, in den Zeitungen gelesen haben. So wurde gestern in einigen französischen Zeitungen ausführlich darüber berichtet. Das ist keine Kritik an Kommissar Verheugen, denn ich weiß, dass er entschlossen war, die Verfahren, so wie sie zwischen Parlament und Kommission vereinbart wurden, einzuhalten. Ich bedauere, dass wir heute Nachmittag nicht zum ersten Mal Dinge hören werden, die eigentlich Bestandteil des wichtigen Informationsaustausches zwischen unseren Organen sein sollten, wie er Jahr für Jahr stattfindet.
Prodi,Präsident der Kommission. – (IT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, sehr geehrte Vertreter der Beitrittsländer! Das Ziel, dem meine Kommission absolute, ja höchste Priorität eingeräumt hat, ist im Begriff, Realität zu werden. In knapp sechs Monaten werden wir die größte Erweiterung in der Geschichte der Union erleben.
Die Anwesenheit der Vertreter jener Länder hier in diesem Hohen Haus, die im nächsten Jahr der Union beitreten werden, führt uns die Bedeutung dieses Ereignisses greifbar vor Augen. Als Erstes möchte ich den Regierungen und Völkern, die Sie vertreten, meine Bewunderung ausdrücken. Sie haben in den letzen Jahren Außerordentliches vollbracht, um die Rechtsordnungen und Verwaltungssysteme an den Besitzstand der Union anzugleichen. Diese Reformen beweisen Ihren starken Wunsch nach Freiheit und Demokratie. Sie haben in der Tat eine friedliche Revolution durchgeführt, die Sie hoch erhobenen Hauptes und voller Stolz über den zurückgelegten Weg in die Union führt.
Im vorigen Jahr hatte ich vor Abschluss der Beitrittsverhandlungen angekündigt, dass die Kommission etwa sechs Monate vor dem offiziellen Beitrittstermin einen Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen der neuen Mitgliedstaaten vorlegen werde. Heute nun bin ich hier, zusammen mit Kommissar Verheugen – dem ich für seine außerordentliche geleistete Arbeit danke –, um Ihnen diesen Bericht darzulegen. Der umfassende Monitoring-Bericht, den die Kommission heute Morgen angenommen hat, ist das Ergebnis langwieriger und umsichtiger Bemühungen der Dienststellen der Kommission, welche die Vorbereitungen der Kandidatenländer jahrelang begleitet und unterstützt haben. Er beruht auf den zehn, von den Dienststellen für jedes einzelne Land erstellten Berichten, die Ihnen ebenfalls zur Verfügung stehen. Diese Berichte legen sämtliche Ergebnisse dar, die die Kommission in den verschiedenen Bereichen des Besitzstandes zusammengetragen hat, und sind zudem die letzten Fortschrittsberichte, welche sie über die Beitrittsländer ausarbeitet, auch wenn wir in den nächsten Monaten die noch offenen Fragen weiterhin überwachen werden. Das bedeutet, dass wir die Heranführungsphase definitiv hinter uns gelassen haben. Von heute an nimmt die Kommission ihre übliche institutionelle Aufgabe als Hüterin der Verträge auch gegenüber den neuen Mitgliedstaaten wahr.
Ich werde Herrn Kommissar Verheugen sogleich bitten, Ihnen die Schlussfolgerungen des umfassenden Monitoringberichts im Einzelnen zu erläutern, doch zuvor möchte ich einige allgemeine Betrachtungen anstellen. Offizielles Beitrittsdatum für die zehn neuen EU-Staaten ist zwar der 1. Mai 2004, doch hat die Aussicht auf die Erweiterung bereits positive Wirkungen gezeitigt. Die Europäische Union wird immer mehr zum Vorbild für die gesellschaftliche und politische Entwicklung vieler Länder. Kein anderer – ich wiederhole, kein anderer – Protagonist auf der internationalen Bühne kann eine solche Anziehungskraft für sich in Anspruch nehmen. Der Grund dafür ist offensichtlich. Der Union ist es gelungen, sehr hohe Ideale zu verwirklichen, wie Frieden, der unser Fundament bildet; Demokratie, die wir in allen Bereichen unserer Politik verteidigen; größere Chancen für wirtschaftlichen Aufschwung und Solidarität mit benachteiligten Regionen und Gruppen. Klar ist auch, warum unser Modell heute so erfolgreich ist. Allein wäre jedes Land ein Spielball größerer und stärkerer politischer und wirtschaftlicher Mächte; vereint können wir jedoch den Prozess unter Wahrung der Demokratie und der menschlichen Dimension steuern.
Ich bin überzeugt, dass der Beitritt der neuen Mitgliedstaaten im nächsten Jahr zu keinen größeren Problemen bei der Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstandes für den Binnenmarkt und die anderen Politikbereiche der EU führen wird. Natürlich sind noch einige Schwierigkeiten zu beseitigen – die im Übrigen klar in dem Bericht genannt werden –, und manche von ihnen sind sogar von erheblicher Bedeutung, doch bin ich voller Zuversicht, dass alle Länder diese letzten Hindernisse überwinden werden. Die zehn Regierungen sind sich voll darüber im Klaren, dass ihnen durch eine Lücke in einem bestimmten Bereich die Beitrittsvorteile in diesem Bereich, sowohl was die finanziellen Transferleistungen als auch den Marktzugang betrifft, vorenthalten würden. Sollte es nach dem Beitritt noch Probleme geben, wird die Kommission wie immer ihre Pflicht tun und geeignete Maßnahmen ergreifen. Gleichwohl – ich sage es noch einmal – sehe ich keine großen Hindernisse für den Abschluss dieses Prozesses.
Wir sind nämlich imstande, alle Probleme, die wir aufgezeigt haben, in den Griff zu bekommen, und wir besitzen die Mittel dafür. Im Übrigen liegt es im Interesse aller, diese Erweiterung zügig und reibungslos aufzufangen, denn vor der Union liegen etliche andere Probleme bzw. etliche andere Ziele, darunter die Regierungskonferenz und das gute Funktionieren der Organe in der erweiterten Union; die Strategie von Lissabon; die neue Finanzielle Vorausschau; die Vollendung des Erweiterungsprozesses und die Politik des Rings von Freunden – die Politik des Wider Europe. Das werden die wirklichen Herausforderungen für die auf 25 Mitlieder erweiterte Union sein.
Eine unserer Aufgaben wird demnach darin bestehen, den Erweiterungsprozesse, der, wie ich schon oft gesagt habe, ein kontinuierlicher, integrativer und unumkehrbarer Prozess ist, zu vollenden. Unser Ziel ist es, das Beitrittsverfahren für Bulgarien und Rumänien 2007 abzuschließen. Auch dieses Jahr wurden in beiden Ländern erhebliche Fortschritte verzeichnet, worüber Ihnen Kommissar Verheugen ebenfalls gleich berichten wird. Die Beitrittsverhandlungen mit Bulgarien und Rumänien kommen gut voran, und es ist Zeit, über eine Strategie nachzudenken, die zu ihrem Abschluss führt. Diese Verhandlungen müssen nach denselben Grundsätzen fortgesetzt werden, die für alle anderen Länder gelten, insbesondere nach dem so genannten Grundsatz der eigenen Leistung. Anfang 2004 wird die Kommission dem Rat einen Finanzrahmen für den Beitritt Bulgariens und Rumäniens vorlegen, um dem Abschluss der Verhandlungen den Weg zu bereiten. Alle sind sich darin einig, dass diese Verhandlungen nicht von den Ergebnissen der Gespräche über die neue Finanzielle Vorausschau oder über künftige Reformen abhängig gemacht werden dürfen – wir haben diese Probleme stets voneinander getrennt –, und um dies zu verhindern, muss der für die zehn Beitrittsländer entwickelte Finanzrahmen als Modell herangezogen werden. In dieser Frage baue ich auf die Unterstützung des Europäischen Parlaments, das ich voll in diese weitere Phase des Prozesses einbeziehen möchte.
Für die Türkei wird das kommende Jahr entscheidend sein. Das wird nämlich einer der letzten Beschlüsse sein, den meine Kommission während ihre Amtszeit zu fassen hat. Wir müssen bewerten, inwieweit die Türkei die Kriterien von Kopenhagen erfüllt hat, und eine Empfehlung für den Beginn der Beitrittsverhandlungen geben. Hierzu möchte ich etwas Wichtiges klarstellen: es wird diese Kommission sein, die im Herbst 2004 den regelmäßigen Bericht und die Empfehlung für die Türkei vorlegen wird. Dazu habe ich mich voriges Jahr in Kopenhagen verpflichtet, und daran werden wir uns halten.
Wir haben in den letzten 12 Monaten die Entwicklungen in der Türkei sehr aufmerksam verfolgt. Es wurde ein gewaltiger Fortschritt erzielt, der von der Entschlossenheit der türkischen Regierung zeugt, nichts unversucht zu lassen, um die politischen Kriterien von Kopenhagen zu erfüllen. Und wir werden die Bereiche, in denen weitere Fortschritte vonnöten sind, sorgfältig beobachten: das betrifft sowohl die Gesetzgebung als auch die praktische Verwirklichung der neuen Rechte und Freiheiten, die der türkischen Regierung durch die Reformen beschert werden. Schließlich möchte ich bekräftigen, dass die Kommission auf den Beitritt eines vereinten Zyperns zur Union hofft; wir hoffen das immer noch. Selbstverständlich liegen die Bemühungen um eine rasche Lösung der Zypern-Frage auch im Interesse der Türkei, weil diese Frage dann nicht mehr zu den Faktoren gehören würde, die ihre Bestrebungen behindern können. Es ist möglich, das Problem auf der Grundlage des Vorschlags des Generalsekretärs der Vereinten Nationen bis zum 1. Mai 2004 zu lösen. Alle beteiligten Parteien müssen dazu beitragen, und die Kommission ist bereit, in jeder denkbaren Form Unterstützung zu leisten.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Bevor ich mit meinen Ausführungen schließe, möchte ich auf die Balkanregion zu sprechen kommen. Kroatien hat bereits seinen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt, und die Kommission ist gegenwärtig dabei, die Antworten, die Zagreb – in ungeheurer Fülle – auf den Anfang Sommer übermittelten Fragenkatalog vorgelegt hat, zu prüfen. Andere Länder der Region beabsichtigen, dem Beispiel Kroatiens demnächst zu folgen. Wir müssen fähig sein, diesen Ländern mit Verstand und Weitblick zu antworten und ihnen ganz klar zu sagen, dass der Beitritt eine konkrete Perspektive ist und wir mit ihnen diesen gemeinsamen Weg einschlagen müssen, auch wenn die strengen Kriterien, die wir stets zugrunde gelegt haben, bestehen bleiben.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Geschichte hat der Vision der Gründungsväter Europas Recht gegeben: aus den sechs Ländern der Nachkriegszeit sind heute 25 – freie und starke Länder – geworden, und morgen werden es zweifellos mehr als 30 sein. In wenigen Monaten werden zehn neue Mitglieder zu unserer Familie gehören. Mit ihrer Begeisterung können wir unsere Union verschönern und ihr neue Horizonte eröffnen. Wir werden sie auch vergrößern müssen, und gemeinsam, wenn wir alle zusammenarbeiten, werden wir die Werte, auf die sie sich gründet, besser verteidigen und durchsetzen können.
Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich nun Herrn Kommissar Verheugen das Wort erteilen, dem ich nochmals für seine außergewöhnliche Intelligenz und Hingabe, mit der er sich dieser Arbeit gewidmet hat, meinen Dank ausspreche.
(Beifall)
Verheugen,Kommission. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir vor einem Jahr die Verhandlungen mit den zehn beitretenden Ländern abgeschlossen haben, taten wir das auf der Grundlage einer Prognose. Die Prognose war, dass diese zehn Länder rechtzeitig zum Beitritt vollständig beitrittsreif sein würden, d. h. alle in den Verhandlungen eingegangenen Verpflichtungen erfüllt haben würden. Das ist der Grund, warum wir das Monitoring haben, nämlich um festzustellen, ob diese Prognose richtig war oder nicht. Der abschließende Monitoringbericht, den die Kommission heute verabschiedet hat, ist der letzte. Wir hatten bereits zwei Vorläuferberichte, die sehr positive Wirkungen erzielt haben, und, meine Damen und Herren, wir müssen natürlich damit rechnen, dass die Medien sich nach dieser Debatte heute im Parlament auf die Punkte konzentrieren werden, bei denen wir sagen: Da ist etwas noch nicht in Ordnung.
Deshalb erscheint es mir notwendig, einmal die Perspektive aufzuzeigen, aus der das gesehen werden sollte. Zunächst einmal gilt, dass wir den größten Teil des gemeinschaftlichen Besitzstandes nicht noch einmal überprüfen mussten, weil während des Verhandlungsprozesses bereits sichtbar war, dass alle Erfordernisse erfüllt sind. Das haben uns gar nicht noch einmal angesehen. Wir haben uns nur die Bereiche noch einmal angesehen, in denen während der Verhandlungen Fragen offen geblieben waren und Verpflichtungen übernommen worden sind. Diesen Teil des acquis haben wir in 140 Sektoren von durchaus unterschiedlichem Gewicht eingeteilt. Einige dieser Sektoren umfassen mehrere hundert Rechtsakte, einige nur einen einzigen – nur um einmal das Volumen zu zeigen.
Das war ein gigantisches Werk. Wir hatten also insgesamt 1 400 solche Sektoren zu überprüfen. Das ist ein Gemeinschaftswerk der gesamten Kommission, das viele, viele hundert Mitarbeiter über die letzten Monate in Anspruch genommen hat, aber ich erhebe auch den Anspruch, dass diese Arbeit sehr substanziell ist und dass wir einen Überblick haben, wie es ihn niemals zuvor bei früheren Erweiterungen gegeben hat. Ich muss Ihnen sagen, so etwas ist in der Geschichte der Union noch nie gemacht worden, und es ist wichtig, das zu wissen, um richtig bewerten zu können, was dabei herausgekommen ist.
In diesen 1 400 Sektoren, die wir geprüft haben, hat sich herausgestellt, dass sich die Vorbereitungen in 70 % aller Fälle vollständig im Zeitplan befinden und keinerlei Anmerkungen zu machen sind. In weiteren 27 % der Fälle haben wir festgestellt, dass noch einzelne Dinge zu erledigen sind, aber es gibt insgesamt keinen Grund zur Beunruhigung. Dieser Prozess ist im Gang, und unsere Prognose ist, dass alles am 1. Mai 2004 da sein wird.
Dann sind 3 % übrig geblieben. Das sind präzise 39 Fälle von 1 400, in denen wir schwerwiegende Versäumnisse festgestellt haben, Verzögerungen, die nur noch mit Mühe aufgeholt werden können. Das sind die Fälle, in denen wir den künftigen Mitgliedsländern sagen: Hier sind absolut dringliche und entscheidende Maßnahmen zu treffen, um die Voraussetzungen noch vor dem 1. Mai 2004 zu schaffen, damit auch in diesem Bereich alles in Ordnung ist.
Die 39 problematischen Bereiche verteilen sich auf zehn Länder. Ich würde davon abraten, hier ein ranking zu versuchen. Die Tatsache, dass Polen neun solcher Bereiche hat, bedeutet nicht, dass Polen schlechter ist als andere. Es erklärt sich einfach dadurch, dass ein Großteil von Problemen nur in Polen existiert, weil die anderen Länder aufgrund ihrer Größe bestimmte Probleme gar nicht haben. Ich denke, dass das Ergebnis insgesamt sehr ausgewogen ist. Es betrifft auch nur noch einige wenige Kapitel des acquis und unsere Einschätzung ist die, dass überall die Probleme noch vor dem 1. Mai 2004 gelöst werden können. Wenn nicht – und das ist jetzt der entscheidende Punkt – wird die Kommission rechtzeitig vor dem 1. Mai die notwendigen Maßnahmen ergreifen, und wir haben eine ganze Palette von Möglichkeiten.
Wir können die Sicherheitsmaßnahmen anwenden, die sowieso im Vertrag bereits enthalten sind. Wir können die spezifischen Sicherheitsmaßnahmen anwenden, die der Beitrittsvertrag vorsieht, wir können normale Vertragsverletzungsverfahren anwenden, wir können verwaltungsmäßige Eingriffe vornehmen. Wir haben also eine breite Palette, und wir haben uns heute in der Kommission darauf verständigt, dass jedes Mitglied der Kommission in seinem Verantwortungsbereich darüber wacht, dass diese noch offenen Fragen weiter behandelt werden und gegebenenfalls rechtzeitig vor dem 1. Mai die notwendigen Maßnahmen vorschlägt.
Ich selber rechne nicht damit, dass es notwendig werden wird, weil es in den meisten Fällen so ist, dass die Probleme, falls sie nicht gelöst werden, negative Folgen nur für die neuen Mitgliedsländer haben, aber nicht für die Gemeinschaft als solche. Es gab z. B. die Frage: Sind die Strukturen da, um die Zahlungen im Bereich der Landwirtschaft vollständig durchführen zu können? Wenn die Verwaltungsstrukturen dazu nicht ausreichen, ist das Ergebnis, dass das Geld nicht fließt, d. h. die Regierung, die sich ein solches Versäumnis zuschulden kommen lässt, gerät zu Hause unter erheblichen Druck, weil ihre Bauern keine Direktzahlungen bekommen. Deshalb ist meine Prognose die, dass alle diese Fälle selbstverständlich vor dem 1. Mai 2004 geregelt werden.
Ich weiß, dass der Bereich der Lebensmittelsicherheit auch hier in diesem Hause mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet wird, und darum sage ich Ihnen, auch in diesem Bereich gibt es noch einige Probleme, und wir bleiben dabei, dass keinerlei Lebensmittel, die unseren Standards – d. h. Hygienevorschriften – nicht entsprechen, auf den Binnenmarkt kommen dürfen. Deshalb werden in Bezug auf Lebensmittelsicherheit die notwendigen Maßnahmen spätestens im Februar getroffen werden, um sicherzustellen, dass keine Produkte auf den Binnenmarkt kommen, die den Standards nicht entsprechen. Die Zahl ist allerdings relativ gering – und man sollte jetzt nicht etwa glauben, dass, wenn einige Betriebe in einigen Ländern die Standards nicht erreichen, das Land insgesamt auf diesem Gebiet eine schlechte Leistung gezeigt hat.
Wenn ich das zusammenfasse, kommen wir zu dem Ergebnis, dass Institutionen und Politiken nach dem 1. Mai 2004 weiter funktionieren werden, dass nennenswerte Störungen nicht zu erwarten sind und dass Probleme, die man selbstverständlich nicht vollständig ausschließen kann, in jeder Hinsicht beherrschbar sind. Es ist also ein gutes Ergebnis. Die Kommission hat das auch ausdrücklich gewürdigt und Präsident Prodi hat ja gerade die besondere Leistung der Regierungen, der Parlamente und der Völker dieser Länder hervorgehoben, und ich schließe mich dem uneingeschränkt an.
Lassen Sie mich damit zu Bulgarien, Rumänien und der Türkei kommen. Ich kann mich relativ kurz fassen. Was Bulgarien und Rumänien angeht, so haben beide Länder bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Bei Bulgarien möchte ich insbesondere hervorheben, dass es nun endlich gelungen ist, auch die Justizreform voranzubringen. Das war ein wesentliches Problem bei der Beurteilung Bulgariens.
Im Falle Rumäniens möchte ich hervorheben, dass Rumänien eine Aufwertung in Bezug auf das Kriterium Marktwirtschaft erfahren hat. Die Kommission sagt nun, dass Rumänien als eine Marktwirtschaft betrachtet werden kann, sofern der Reformprozess unverändert weitergeht, was wir unterstellen. Das heißt also, damit wird gewürdigt, dass Rumänien bereits wirklich bedeutende wirtschaftliche Reformen erreicht hat und makroökonomisch eine bemerkenswerte Stabilität zeigt.
Zum weiteren Vorgehen in Bezug auf Rumänien und Bulgarien rät die Kommission davon ab, die Prozesse voneinander abzukoppeln. Wir halten an dem Ziel fest, beide Länder im Jahre 2007 gemeinsam in die Europäische Union zu führen. Allerdings bleibt der Grundsatz, dass kein Land auf ein anderes warten muss, bestehen. Wenn sich also während des weiteren Prozesses herausstellen sollte, dass der Fortschritt unterschiedlich schnell ist, wird man auch zu unterschiedlichen Zeiten die Verhandlungen abschließen können.
Beide Länder möchten sehr gerne die Verhandlungen noch während der Amtszeit der jetzigen Kommission abschließen. Das können wir als eine Art Kompliment betrachten. Gleichwohl sind wir sehr vorsichtig, diesbezüglich eine Aussage zu machen. Ich wäre auch dankbar, wenn das Parlament uns darin folgen könnte, jetzt keine Daten festzulegen, sondern sich darauf zu beschränken zu sagen: Das Beitrittsdatum 2007 wird bestätigt. Dazu ist es notwendig, den Beitrittsvertrag vor Ende 2005 abzuschließen. Das gibt uns ein Zeitfenster für den Abschluss der Verhandlungen zwischen jetzt und etwa dem Sommer 2005. Sie können dann abgeschlossen werden, wenn ein Land tatsächlich fertig ist. Insgesamt betrachte ich das Bild als positiv.
Ich möchte aber ausdrücklich diese beiden Länder noch einmal ermuntern, sich deutlich um eine bessere politische und wirtschaftliche governance zu bemühen. Das betrifft insbesondere die Korruption und die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Das ist auch wichtig für das Investitionsklima in beiden Ländern und für ihre Attraktivität als Investitionsstandort.
Bei der Türkei haben wir uns bemüht, nichts zu präjudizieren, und man kann jetzt darüber spekulieren, ob der Bericht, den die Kommission heute vorgelegt hat, eine Aussage über die Entscheidung enthält, die im nächsten Jahr zu treffen ist, oder nicht. Wir haben uns strikt bemüht, das nicht zu tun, sondern die Türkei fair und objektiv zu behandeln, und das bedeutet, dass bestätigt und anerkannt werden muss, dass Tempo und Qualität des Reformprozesses im politischen und im wirtschaftlichen Bereich in bemerkenswerter Weise zugenommen haben. Es bedeutet aber auch, dass man wahrheitsgemäß darauf hinweisen muss, dass sehr vieles noch nicht unseren Standards und unseren Forderungen entspricht, und dieses Dinge müssen ausgesprochen werden. Es hat keinen Sinn, irgend etwas zu verschweigen. Ich habe gemerkt, dass die Türkei etwas überrascht reagiert hat: Eine Folge der bedauerlichen – ich muss das auch aus meiner Sicht sagen –, absolut bedauerlichen Indiskretion ist es ja, dass ich die Reaktionen aus den Kandidatenländern schon kenne, bevor die Berichte überhaupt verabschiedet sind, und die türkische Reaktion ist eher erstaunt. Sie hatten wohl mit einer deutlich positiveren Einschätzung gerechnet.
Deshalb will ich noch einmal sehr deutlich sagen: Wir erkennen voll und ganz an, was in der Türkei auf den Weg gebracht worden ist, wir müssen die Türkei aber darauf hinweisen, dass in einigen, die Grundrechte betreffenden Fragen noch Probleme bestehen, dass noch Probleme bei der Übernahme der Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs bestehen und dass wir insbesondere große Probleme bei der Realisierung der bereits beschlossenen Reformen sehen. Hier gibt es ein beachtliches Implementierungsdefizit, das die Regierung auch erkannt hat und gegen das sie etwas tun will.
Präsident Prodi hatte eben bereits auf das Zypern-Problem hingewiesen. Ich muss das auch noch einmal tun, weil ich Sie darüber informieren möchte, dass die Kommission heute einen Schritt getan hat, der neu ist und möglicherweise auch zu Kontroversen führt. Wir haben in unserem Strategiepapier eine Verbindung zwischen den türkischen Beitrittswünschen und der Zypern-Frage hergestellt.
Ich muss das jedoch etwas näher erklären – auch im Hinblick auf die Reaktionen in der Türkei –, damit das nicht falsch verstanden wird: Dies ist keine Bedingung! Wir müssen uns ja strikt an die Schlussfolgerungen von Helsinki halten, in denen es ausdrücklich heißt, dass es sich hier nicht um eine Bedingung handelt. Es ist die Feststellung einer Tatsache. Wir stellen schlicht die Tatsache fest, dass im Falle des Ausbleibens einer Lösung der Zypern-Frage ein schwerwiegendes Hindernis für die europäischen Ambitionen der Türkei entsteht. Das ist eine Tatsachenfeststellung – weiter nichts. Aber, natürlich verschweige ich nicht, dass die Feststellung einer solchen Tatsache in einem solchen Strategiedokument eine politische Bedeutung hat. Und ich sage Ihnen auch, diese politische Botschaft, diese politische Bedeutung ist gewollt. Die Kommission wollte deutlich machen, dass sie einen solchen politischen Zusammenhang sieht und damit die Türkei ermutigen, ihrerseits noch stärker initiativ zu werden, um die Zypern-Frage auf der Grundlage des Plans der Vereinten Nationen zu lösen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass sich nach den Wahlen im türkischen Teil Zyperns ein Fenster der Gelegenheit öffnen wird und dass unmittelbar danach der Druck auf alle Beteiligten erhöht werden muss, um Bewegung in die Situation zu bringen, die seit einiger Zeit festgefahren ist. Ich denke sogar, dass es der jetzigen türkischen Regierung hilft, wenn eine solche Botschaft aus Europa an sie gerichtet wird, weil sie damit ein starkes Argument denjenigen gegenüber hat, die in der Türkei gerade in der Zypern-Frage bisher weitere Fortschritte verhindert haben.
Das wollte ich Ihnen gerne noch erläutern, weil es sicherlich in den nächsten Tagen zu einer breiten internationalen Diskussion dieser Frage kommen wird. Wir haben immer gesagt, dass der Beitrittsprozess ein Katalysator für die Lösung der Zypern-Frage sein soll, und ich finde, wir müssen alle Chancen nutzen, die es auf diesem Gebiet gibt, um den anachronistischen Zustand zu überwinden, dass es in einem künftigen Mitgliedsland der Europäischen Union einen Stacheldrahtzaun gibt und dass UNO-Soldaten dort eingesetzt sind, um die beiden Volksgruppen voreinander zu schützen. Das dürfen wir als Europäer einfach nicht hinnehmen, das ist für uns unwürdig …
(Beifall)
… und deshalb hat die Kommission sich zu diesem Schritt entschlossen. Lassen Sie mich zum Schluss – weil es das letzte Mal ist, dass die Kommission dem Parlament solche umfassenden Berichte vorlegen kann – Ihnen allen noch einmal sehr, sehr herzlich danken für eine jederzeit konstruktive, fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
(Beifall)
Der Präsident. Ich danke der Kommission für diese Berichte. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen daran erinnern, dass wir jetzt keine eingehende Aussprache führen. Die Berichte werden an den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik gehen, die Berichterstatter werden ihre eigenen Berichte vorbereiten, und die Aussprache wird später erfolgen.
Poettering (PPE-DE). – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können uns alle darüber freuen, dass wir so weit sind wie wir sind, und ich möchte der Kommission, Herrn Kommissionspräsident Prodi, Herrn Verheugen, ein herzliches Wort des Dankes sagen. Auf dieser Basis, in aller Kürze: Sie haben die Veröffentlichungen angesprochen. Ich finde es unerträglich, dass bestimmte Dinge in den Zeitungen stehen, aber das Europäische Parlament die entsprechenden Dokumente nicht bekommt. Worauf führen Sie, Herr Kommissar Verheugen, diesen Zustand zurück?
(Beifall)
Zweite Frage. Ich möchte Sie ermutigen, darauf hinzuwirken, dass die Beitrittsländer das, was vereinbart worden ist, auch in die Tat umsetzen, aber ich möchte Sie auch fragen: Müssen wir nicht mit gutem Beispiel vorangehen, was zum Beispiel die Stabilitätspolitik anbelangt? Müssen wir nicht auch auf unserer Seite alles tun, damit die Verträge eingehalten werden, um ein gutes Beispiel für unsere zukünftigen Partner in der Europäischen Union zu geben?
Der dritte Punkt betrifft die Türkei: Wir freuen uns alle sehr darüber, dass die Türkei diesen Weg nimmt, den sie nimmt. Sie sind unsere Freunde, unsere Partner, aber muss man nicht auch einen Unterschied zwischen dem, was theoretisch, und dem, was dann praktisch umgesetzt wird, machen? Denken Sie darüber nach, dass es zur Frage der Mitgliedschaft der Türkei auch eine andere Form der Beziehung, beispielsweise durch eine privilegierte Partnerschaft geben könnte. Die Mehrheit unserer Fraktion ist für eine gute, starke, nachbarschaftliche Beziehung auf der Grundlage einer privilegierten Partnerschaft.
(Beifall)
Verheugen,Kommission. Herr Abgeordneter! Sie können gar nicht zorniger sein als ich selber, was diese Frage der Indiskretionen angeht. Ich sage einmal in allem Ernst, es ist vielleicht eine Schwäche des Gemeinschaftsverfahrens, dass wir zu viele sensible Dokumente bekommen müssen, bevor die Kommission entscheiden kann. Die Indiskretionen treten regelmäßig dann auf, wenn die Papiere mein eigenes Kabinett verlassen. Ich wusste, dass das passieren würde. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, als wir am vergangenen Freitag um 18.00 Uhr die Papiere versenden mussten, um die Regeln der Kommission einzuhalten, dass mein Wochenende sozusagen gelaufen war. Und so war es auch! Ich habe heute Morgen der Kommission gesagt, dass ich die Kommission nicht darüber informieren möchte, wie viel politische Interventionen ich in den letzten Tagen erlebt habe – von Regierungschefs und Außenministern, aus allen möglichen Himmelsrichtungen –, weil ich nicht den Eindruck erwecken möchte, dass die Kommission solchen Interventionen nachgibt. Das wirkliche Problem bei diesen Indiskretionen ist ja, dass die Handlungsfähigkeit der Kommission dadurch eingeschränkt wird. Wir konnten heute überhaupt keine Änderungen mehr vornehmen, weil ja jeder hätte vergleichen können, was heute passiert ist und was ich aber eigentlich vorher wollte. Das ist tief traurig, Herr Poettering, ich kann es Ihnen nicht erklären. Es ist pflichtwidriges Verhalten Einzelner. Versuche in der Vergangenheit, aufzuklären, wer das war, sind regelmäßig gescheitert, und ich habe die Hoffnung verloren, dass solche Versuche zum Erfolg führen. Ich kann das Parlament um Entschuldigung bitten für dieses offensichtliche Fehlverhalten von Mitarbeitern, die ich aber nicht namentlich kenne, aber ich hoffe, Sie verzeihen es.
Was die zweite Frage angeht, stimme ich Ihnen ebenfalls zu. Wenn wir die Zahl der identifizierten Probleme mit den neuen Mitgliedsländern einmal der Zahl der jährlichen Vertragsverletzungsverfahren gegen alte Mitgliedsländer gegenüberstellen würden, würden Sie ein erstaunliches Missverhältnis entdecken. Die Zahl der Vertragsverletzungen, die wir jedes Jahr in den bestehenden Mitgliedsländern monieren müssen, ist nämlich um ein Vielfaches höher als die Zahl der Probleme, die wir jetzt identifiziert haben. Ich bin völlig Ihrer Meinung, dass wir, wenn wir die Mitgliedsländer mit denselben Maßstäben messen dürften, mit denen wir jetzt noch die künftigen Mitglieder messen, an der einen oder anderen Stelle vielleicht überraschende Ergebnisse erzielen würden. Sei es in dem Bereich, den Sie angesprochen haben – makroökonomische Disziplin –, aber möglicherweise auch in anderen Bereichen.
Das, was Sie zum Thema Türkei gesagt haben, kenne ich. Das ist eine Auffassung, die ich respektiere. Sie wissen, dass die Kommission hier ein klares Mandat des Rates hat, dem sie folgen muss. Ich möchte nur die Gelegenheit nutzen, eine einzige Bemerkung zu machen, Herr Poettering. Die Grundsatzdiskussion, ob die Türkei Mitglied werden kann oder nicht, ist notwendig und muss geführt werden und wo, wenn nicht in diesem Parlament und wo, wenn nicht in der europäischen Öffentlichkeit. Da stimme ich vollkommen überein. Ich bitte nur darum, bei dieser Diskussion niemals aus dem Auge zu verlieren, dass wir ein direktes europäisches Interesse an einer Türkei haben, die eine voll entwickelte Demokratie ist, ein voll entwickelter Rechtsstaat, die Menschenrechte achtet und die Minderheiten schützt.
Wenn wir das immer im Auge behalten, dann habe ich eigentlich keine Angst davor, dass die Diskussion, die ja unvermeidlich ist und die wir führen müssen, irgendeinen Schaden anrichten könnte.
Titley (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte nur kurz feststellen, dass die undichten Stellen nicht dazu beitragen, dass die Kommission ihrem Wunsch gemäß an Entscheidungen über die Außen- und Sicherheitspolitik beteiligt wird. Ich begrüße, was die Kommission heute gesagt hat. Es gibt bemerkenswerte Fortschritte und ich begrüße auch die Zusicherung von Kommissar Verheugen, dass die Kommission Maßnahmen ergreifen wird, wenn in diesen 39 Bereichen keine Fortschritte erzielt werden.
Zum Ersten hat der Kommissar zu Beginn des Jahres Warnschreiben an die Bewerberländer verschickt. Wie lautete deren Antwort, und deutet ihre Antwort darauf hin, dass sie auch den Vorschlägen folgen werden, die er uns vorgelegt hat?
Zum Zweiten geht es um Rumänien, wo er sich etwas zögerlich ausdrückte. In welchem Maße wirkt sich die vorhergehende Bilanz Rumäniens, wo viel versprochen und wenig gehalten wurde, negativ aus, trotz der Fortschritte, die in den letzten zwei oder drei Jahren erzielt worden sind?
Und schließlich möchte ich den Kommissar zu den heimlichen Verhandlungen befragen, über die niemand mehr spricht, die parallelen Verhandlungen zur Erweiterung des Europäischen Wirtschaftsraums um die Beitrittsländer. Welche konkreten Fortschritte gibt es bei den EWR-Verhandlungen?
Verheugen,Kommission. Sehr geehrter Herr Abgeordneter! In der Tat haben die beiden Monitoring-Berichte, die wir in der ersten Hälfte dieses Jahres abgegeben haben, zu positiven Ergebnissen geführt. Wir haben damals ebenfalls die Problembereiche identifiziert und dann so genannte early warning letters verschickt. Zu meiner Schulzeit in Deutschland nannte man das einen „blauen Brief“. Im Englischen heißt das, glaube ich, red letter, und in diesen Briefen stand dann immer drin: Wenn man sich jetzt nicht auf den Hosenboden setzt, ist die Versetzung gefährdet. Das Ergebnis war sehr interessant. Fast die Hälfte aller Fälle, die wir identifiziert haben, ist in der Zwischenzeit bereits geregelt, taucht also im abschließenden Monitoring nicht mehr auf. Wir werden auch jetzt den Regierungen entsprechende Briefe schreiben, und ich weiß, dass in allen Fällen die Erkenntnisse der Kommission akzeptiert werden – niemand bestreitet das – und dass alle Regierungen kooperativ sind. Deshalb glaube ich auch, dass wir in der Lage sein werden, die Probleme zu lösen. Von einigen weiß ich zum Beispiel, dass die entsprechende Gesetzgebung bereits auf den Weg gebracht ist. Das Monitoring hat sich eindeutig als eine Methode erwiesen, die uns hilft, Fortschritte zu erzielen.
Was Ihre Beobachtung zu Rumänien betrifft, so kann ich dazu nur sagen, dass die erfreuliche politische und wirtschaftliche Stabilität in Rumänien, die wir in den letzten zwei Jahren erlebt haben, sich fortsetzt und dass vor dem Hintergrund dieser Stabilität Rumänien eigentlich sehr gute Voraussetzungen hat, das angestrebte Ziel zu erreichen.
Watson (ELDR). – (EN) Herr Präsident! Ich gratuliere dem Kommissar, dass er die Beitrittsländer so weit gebracht hat, dass bei den insgesamt 140 Elementen des Besitzstandes nicht einmal mehr 40 ernsthafte Bedenken anzumelden waren. Die meisten dieser Bedenken betreffen den Bereich der Gesundheits- und Lebensmittelvorschriften oder die öffentliche Verwaltung. Ohne die Bedenken herunterzuspielen: Ist der Kommissar zuversichtlich, dass diese Hindernisse bis zum nächsten Mai überwunden werden können?
Darüber hinaus tritt bei Bulgarien und Rumänien ein deutlicher Unterschied zutage. Ich möchte den Kommissar fragen, ob er das klare Signal geben wird, um das Sofia hinsichtlich der letzten Anforderungen der Union gebeten hat, und ob er in Bezug auf die beträchtlichen Fortschritte, die Rumänien noch unternehmen muss, den Rumänen gegenüber Härte zeigen wird.
Ich habe die Bemerkungen des Kommissars zur Türkei begrüßt. Die Reformen der Regierung von Ministerpräsident Erdogan sind echte Reformen und sind zu begrüßen. Sie müssen vollständig umgesetzt werden. Herr Kommissar, Sie verlangen zu Recht noch mehr, insbesondere was die politischen Rechte und Zypern betrifft. Doch lassen Sie uns die deutlichen Schritte anerkennen, die die Türkei nach vorn unternimmt, und ich hoffe, dass sich die Kommission dafür einsetzt, alle erdenklichen Ressourcen für die Zusammenarbeit mit der Türkei aufzubringen, um das Land auf dem Weg zur Mitgliedschaft zu unterstützen.
Verheugen,Kommission. Herr Abgeordneter! Ich bin – sagen wir einmal – gemäßigt optimistisch, dass alles erledigt werden wird. Ich bin voll optimistisch, dass der weitaus größte Teil erledigt werden wird. In dem einen oder anderen Fall sind Unfälle nicht ausgeschlossen, aber ich sage noch einmal: Alle Probleme, die entstehen können, sind isolierbar und werden nicht dazu führen, dass der Binnenmarkt als Ganzes oder die Agrarpolitik als Ganzes oder der Lebensmittelmarkt als Ganzes in irgendeiner Weise gefährdet ist.
Was Rumänien und Bulgarien angeht, so muss Rumänien ganz sicher noch große Fortschritte machen, hat aber in den letzten beiden Jahren erheblich aufgeholt, das ist keine Frage. Das finanzielle Signal für Bulgarien und Rumänien besteht darin, dass wir zugesagt haben, Anfang des nächsten Jahres, also während der irischen Präsidentschaft, das Finanzpaket vorzulegen, und zwar zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Jahr. Ich habe mit dem irischen Außenminister auch schon intensiv darüber gesprochen, wie es dann behandelt werden kann. Ich halte die politischen und technischen Schwierigkeiten des Finanzpaketes für Bulgarien und Rumänien für beherrschbar, und zwar deshalb, weil wir dieselben Methoden, dieselben Prinzipien und dieselben Grundsätze anwenden wollen, die wir auch schon für die Zehn angewandt haben. Wir machen kein neues Paket für Rumänien und Bulgarien, sondern schreiben sozusagen das fort, was wir für die Zehn schon gemacht haben. Das ist auch die einzige Möglichkeit, die wir haben, wenn der Auftrag heißt, dass das Finanzpaket für Rumänien und Bulgarien die nächste Finanzielle Vorausschau nicht präjudizieren soll, aber umgekehrt die nächste Finanzielle Vorausschau auch den Abschluss der Verhandlungen mit Rumänien und Bulgarien nicht präjudizieren sollte. Deshalb gibt es gar keinen anderen Weg für uns, als dieselbe Methode zu wählen, die wir für die Zehn schon gewählt haben. Darum halte ich das für nicht so wahnsinnig schwierig und will nicht ausschließen, dass wir im ersten Halbjahr des Jahres 2004 hier schon bemerkenswerte Fortschritte erzielen können.
Titley (PSE). – (EN) Herr Präsident, der Kommissar hat meine dritte Frage über den Beitritt dieser zehn Länder zum Europäischen Wirtschaftsraum nicht beantwortet. Vielleicht hat er absichtlich nicht geantwortet, vielleicht hat er es auch nur vergessen. Ich hätte gern eine Antwort.
Der Präsident. Der Kommissar wird in seiner nächsten Antwort darauf eingehen.
Oostlander (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident! Zunächst möchte ich Kommissar Verheugen herzlich gratulieren. In Deutschland gibt es einen „Kanzler der Einheit“, und jetzt gibt es auch einen „Kommissar für die Vereinigung Europas“. Dazu meine aufrichtigen Glückwünsche. Ich begrüße außerordentlich, dass Sie in Ihrem Bericht in Bezug auf die Türkei ganz eindeutig den politischen Kriterien Priorität beigemessen haben. Das ist ein wichtiger Punkt. Für die türkische Öffentlichkeit wurde damit offensichtlich ein wesentlicher Fortschritt erzielt. Dies sollten wir mit einem Gefühl der Dankbarkeit zur Kenntnis nehmen.
Zweitens muss ich Ihrem Bericht entnehmen, dass Sie über die konkret ergriffenen Maßnahmen recht enttäuscht sind. Auch ich bin, gelinde gesagt, enttäuscht. Ich ging davon aus, dass mehr getan würde, als es – jedenfalls Ihrem Bericht zufolge – tatsächlich der Fall war, insbesondere was die Stellung der Armee anbelangt. Dabei handelt es sich hier um Bereiche von erheblicher Tragweite. Ihr Optimismus im Hinblick auf die der EU am 1. Mai 2004 beitretenden zehn Länder bezieht sich auf weniger weitreichende Aspekte, die noch geregelt werden können. Der große Schritt auf dem Weg zum demokratischen Rechtsstaat – der in der Praxis erst noch vollzogen werden muss – ist meines Erachtens von solcher Dimension, dass seine Vollendung schon in einem Jahr wohl kaum erwartet werden kann. Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, Herr Kommissar, aber würde somit der Termin Dezember 2004 nicht entweder das Datum markieren, zu dem wir unsere politische Wertegemeinschaft nicht mehr ernst nehmen, oder der Zeitpunkt sein, zu dem das Fallbeil auf die Mitgliedschaft der Türkei fallen wird? In diesem Sinne, denke ich, erfüllt uns dieser Termin mit zunehmender Besorgnis. Sollten wir uns deshalb nicht lieber auf ein Programm konzentrieren, um die Türkei auf dem Weg zu einem demokratischen Rechtsstaat zu begleiten und weiter voranzubringen?
Verheugen,Kommission. Herr Präsident! Zum Thema Europäischer Wirtschaftsraum, Herr Abgeordneter Titley: Ich appelliere an Liechtenstein, im Interesse des Funktionierens des Europäischen Wirtschaftsraums, die Unterschrift unter den Vertrag nicht mit Problemen zu verbinden, die aus der europäischen Vergangenheit herrühren, sondern über diese Probleme den Dialog mit der Tschechischen Republik zu suchen. Wir sind im Augenblick sehr intensiv darum bemüht, dem Fürstentum Liechtenstein und der Tschechischen Republik einen Weg zu zeigen, wie man aus dieser Schwierigkeit herauskommen kann. Ich kann Ihnen noch keine Erfolgsprognose geben, aber wir sind bemüht, und wir tun unser Bestes, aber man weiß natürlich nie.
Zu Herrn Oostlander: Ja, ich stimme Ihnen zu. Gerade im Bereich des Militärs hätten wir uns auch mehr Fortschritte in der Türkei gewünscht. Es gibt zwei Punkte, die mich besonders besorgt machen. Der eine ist, dass wir immer noch türkisches Militär in Aufsichtsbehörden haben, die wichtige Teile des Zivillebens kontrollieren, wie beispielsweise den nationalen Erziehungsrat oder den nationalen Rundfunk- und Fernsehrat. Dort hat das Militär nichts verloren. Es ist auch so, dass immer noch große Teile des türkischen Verteidigungshaushalts nicht der Kontrolle des Parlaments unterliegen, und das ist ein ganz klares Kriterium: Wenn ein Haushalt außerhalb der Kontrolle des Parlamentes liegt, fehlt ein Stück Demokratie. Das ist gar keine Frage.
Ich glaube nicht, dass wir für die Türkei neue benchmarks brauchen oder eine neue deadline oder was auch immer. Die Türkei entscheidet selbst darüber, ob die Beurteilung am Ende positiv sein wird oder nicht. Es liegt in ihrer Hand, die Reformen so voranzutreiben, und wie Herr Poettering völlig zu Recht gesagt hat, auch so in die Praxis umzusetzen, dass wir das Urteil abgeben können: Die politischen Beitrittsvoraussetzungen sind erfüllt. Die roadmap ist klar: Entscheidung am Ende des nächsten Jahres. Die Kommission wird diesen Auftrag ernstlich, fair und objektiv erfüllen und vor dieser Verantwortung nicht zurückschrecken.
Maes (Verts/ALE). – (NL) Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Im Namen meiner Fraktion möchte ich mich den Glückwünschen an die Adresse des Kommissars und all derer, die ihm behilflich waren, anschließen, aber es bleibt noch ein Punkt, der uns mit Sorge erfüllt.
In mehreren Beitrittsländern gibt es einige Sektoren, in denen verstärkte Anstrengungen erforderlich sind, und oft handelt es sich gerade um die eigentlich politischen Bereiche. Ich beziehe mich beispielsweise auf Diskriminierungen auf dem Gebiet der Sozialpolitik und der Beschäftigung, auf das Asylrecht und die Justiz. Dabei denke ich an konkrete Probleme, die bei unseren Unionsbürgern, und vermutlich auch bei den Bürgern in diesen Ländern, heftigen Anstoß erregen. Die Rede ist von solchen Phänomenen wie Diskriminierung der Roma, Kinderprostitution und Menschenhandel. Wenn diesen Problemen nicht in dem Sinne vorrangige Aufmerksamkeit geschenkt wird, dass sie vor dem Beitritt in Ordnung gebracht werden müssen, über welche Druckmittel werden wir danach verfügen? In diesem Zusammenhang verweise ich Sie auf Ihre eigenen Worte, nämlich dass diese Länder dann beigetreten sein werden, und wie Sie selbst in Ihrer Einleitung sagen, werden Sie auf diese neuen Mitgliedstaaten recht wenig Einfluss haben.
Verheugen,Kommission. Sie haben sehr wunde Punkte angesprochen, Frau Abgeordnete, und Sie kriegen eine sehr deutliche Antwort von mir. Erstens, was die politische, wirtschaftliche und soziale Integration von Minderheiten angeht, gibt es nicht nur das Roma-Problem in Europa. Ich könnte Ihnen in einer Reihe von Mitgliedsländern Gruppen nennen, bei denen die Diskriminierung ähnlich stark ist, nur damit der record hier richtig ist. Also es sind nicht nur die Südosteuropäer, die Probleme mit der Integration der Roma haben, es sind auch sehr bewährte alte Mitgliedsländer, die Probleme mit der Integration nationaler Minderheiten haben. Was die Roma angeht, so wissen Sie, dass dies absoluter Schwerpunkt unserer Vorbeitrittsbemühungen war und ist, und dass wir keinem Land die Beitrittsreife attestieren, das nicht eine glaubwürdige Strategie zur Integration der Roma beschlossen hat und auch umsetzt. Ich habe aber mehrfach in diesem Parlament gesagt, dass es eine absolute Illusion wäre zu glauben, dass das Problem der Diskriminierung und der Roma vor den Beitritten in dem Sinne gelöst werden kann, dass es keine Diskriminierung mehr gibt. Meine Damen und Herren, das ist eine Aufgabe für mindestens noch eine ganze Generation. Was wir sinnvollerweise erreichen können, ist eben, dass eine Politik beschlossen und umgesetzt wird, die die Diskriminierung abbaut, und ich denke, das haben wir.
Was die anderen Probleme wie Prostitution, Frauenhandel und Mädchenhandel angeht, so weisen wir immer wieder nachdrücklich darauf hin, dass das natürlich in all diesen Ländern verboten ist. Wir können hier nicht sagen, dass es ein Defizit in der Gesetzgebung gibt. Hier kann es sich um Vollzugsdefizite handeln. Aber lassen Sie mich noch eines sagen, weil gerade in der letzten Zeit insbesondere die mir sehr wohl bekannten Probleme in dem tschechisch/deutschen und tschechisch/österreichischen Grenzstreifen bekannt geworden sind. Wenn wir über Prostitution und gar über Kinderprostitution reden, dann hat das immer zwei Seiten. Es gibt diejenigen, die sich anbieten oder sogar gewaltsam angeboten werden, es gibt aber auch diejenigen, die nachfragen. Ich bin immer dafür gewesen, habe es immer gesagt, dass man das Problem von beiden Seiten angehen muss. Ich glaube nicht, dass wir es lösen können, wenn wir es nur von der Seite dieser unglücklichen Frauen, Mädchen und Kinder angehen, die für diese sexuellen Abenteuer, oder was immer es ist, missbraucht werden. Man muss es auch von der Seite derjenigen angehen, die dort als Kunden auftreten, die die Nachfrage erzeugen und damit eben auch ein Angebot.
Modrow (GUE/NGL). – Herr Kommissar! Ich verstehe Ihren Ärger mit den Medien. Ich habe drei Fragen. Die Erste: In Polen wird in den Medien verkündet, es lägen 51 Mängelrügen vor, und im Parlament wird gesagt: die eiserne Hand muss her. Vielleicht sollten Sie die eiserne Hand auch in Ihrem Bereich nehmen, aber wenn die eiserne Hand sich gegen die Menschen richtet, dann wird es hart und nicht nur die Beamten sind betroffen. Ich habe den Eindruck, die sozialen Lasten werden in Polen größer; der Wind bläst der Regierung ins Gesicht.
Zweite Frage: Wie beachten Sie die regionalen Prozesse in den Beitrittsländern? In Prag drei Prozent Arbeitslosigkeit, im deindustrialisierten Bereich in Nordmehren etwa dreißig Prozent. Die dritte Frage: Wir wollen gute Partnerschaft. Wir haben gerade über die Roma gesprochen. Wenn wir eine gute Partnerschaft mit Russland haben wollen, dann muss das Problem der russischen Minderheiten in den baltischen Republiken seriöser, ernster und nicht mit politischen Vorbehalten und Diskriminierung betrieben werden, sondern wirklich so, dass es zu einer Lösung kommt.
Verheugen,Kommission. Herr Präsident! Herr Abgeordneter, es tut mir leid, dass ich Ihre erste Frage oder Ihren ersten Vorwurf nicht verstanden habe. Ich weiß nicht, auf was Sie Bezug genommen haben mit 51 Fällen und eisernen Besen. Weder kenne ich die Zahl noch kenne ich die Wortwahl. Was Polen angeht, ist meine Auffassung die, dass Polen sich als befähigt erwiesen hat, die Beitrittsbedingungen zu erfüllen und den acquis umzusetzen, und die polnische Regierung arbeitet intensiv an den identifizierten Problemen, aber es sind keine 51, sondern neun.
Was die regionalen Entwicklungsunterschiede angeht, so ist dies ein Thema, das die Kommission sehr ernst nimmt und worüber wir auch regelmäßig berichten, und wir beziehen diese regionalen Entwicklungsunterschiede ja in die Planung der Strukturfonds ein, die ab nächstem Jahr in all diesen Ländern eingesetzt werden und im Wesentlichen helfen sollen, diese regionalen Disparitäten abzubauen.
Im Falle der russischen Minderheit in den baltischen Ländern, Herr Abgeordneter, teile ich Ihre Auffassung nicht, dass dieses Thema unseriös behandelt wird. Ganz im Gegenteil: Ich denke, dass die Europäische Kommission das Thema sehr seriös behandelt, dass es aber in der russischen Duma nationalistische Kräfte gibt, die das Thema unseriös behandeln. Wenn Sie wollen, kann ich in Einzelheiten gehen. Wir haben, was die Lage der russischen Minderheit angeht, streng darauf geachtet, dass Estland und Lettland die entsprechenden Standards erfüllen. Das tun sie. Das bedeutet nicht, dass es nicht noch Raum für Verbesserungen gäbe. Das habe ich bei Gesprächen in der vergangenen Woche in Moskau mit Präsident Putin und Außenminister Ivanov und anderen führenden Vertretern auch zum Ausdruck gebracht, dass wir in der Lage und bereit sind, an weiteren Verbesserungen mitzuwirken, dass aber insgesamt die Standards, die es in Europa in Bezug auf Minderheiten gibt, in beiden Ländern erfüllt sind.
Rothe (PSE). – Herr Präsident, Herr Kommissar! Zunächst einmal riesige Anerkennung für die große geleistete Arbeit. Dann aber eine konkrete Frage zum Zusammenhang Zypern und Türkei. Ich begrüße es außerordentlich, dass im Fortschrittsbericht klargestellt wird, dass die Nichtlösung der Zypern-Frage ein Hindernis ist. Ich denke, es ist auch außerordentlich schwer vorstellbar, dass wir mit einem Land Verhandlungen beginnen, das gleichzeitig – und das ist die völkerrechtliche Situation ab Mai nächsten Jahres – ein Teil des EU-Territoriums besetzt hält.
Vor diesem Hintergrund eine konkrete Frage: Derzeit werden massenweise Pässe des illegalen nordzyprischen Staates an türkische Bürger gegeben, was zum einen zu einer Veränderung der demographischen Situation führt und zum anderen einen Sieg der Opposition verhindern soll, und das ist der aktuelle Hintergrund. Auch wenn wir diese Wahl nicht anerkennen, wissen wir, dass das Ergebnis einen großen Einfluss auf das Weitere haben wird. Ich denke, es wird auch für die Türkei außerordentlich wichtig sein. Deshalb die konkrete Frage an Sie: Gibt es hier Möglichkeiten, sehen Sie Möglichkeiten, auf die Türkei einzuwirken und klar zu machen, dass wir eine Beendigung wünschen?
Verheugen,Kommission. Herr Präsident, Frau Abgeordnete! In der Tat handelt es sich um Wahlen zu einem Parlament in einem Land, das wir nicht anerkennen. Nichtsdestotrotz haben diese Wahlen eine politische Bedeutung, gerade in diesem Jahr. Ich habe mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass türkische Gesprächspartner mir versichert haben, die Türkei werde nicht zulassen, dass auf diese Wahlen ein Schatten fällt. Das, was Sie schildern, und was mir auch von vielen anderen Seiten geschildert worden ist, bedeutet aber, dass bereits ein Schatten über dieser Wahl liegt. Das ist ja ganz eindeutig ein Versuch, Wählerlisten zu manipulieren, damit ein erwünschtes Wahlergebnis zustande kommt. Die Möglichkeiten, darauf Einfluss zu nehmen, sind außerordentlich begrenzt.
Nach meiner Kenntnis gibt es sowohl unabhängige Medien als auch unabhängige Nichtregierungsorganisationen, die diese Wahlen beobachten und regelmäßig darüber berichten werden, so dass eine europäische öffentliche Meinung entsteht, die Druck erzeugt. Das ist, Herr Präsident, einer der Fälle, wo das Europäische Parlament mehr tun kann als die Kommission, und ich wäre dankbar, wenn das Europäische Parlament diese Möglichkeit auch nutzen würde. Ich weiß, dass Sie es selber schon getan haben.
Gawronski (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Wie der Kommissar sagte, hat Polen, da es das größte Beitrittsland ist, logischerweise die meisten Probleme und bereitet die größten Sorgen. Könnte man sagen, wie es viele Menschen in Polen tun, dass – zumindest in einigen Fällen – das Problem in Bezug auf das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem in Brüssel liegt, wo es bei den Ausgaben zur Erfüllung der letzten Anforderungen für das System Verzögerungen gibt? Könnte man das so sagen?
Verheugen,Kommission. Herr Präsident! Sie überfordern mich, weil ich natürlich keine Auskunft darüber geben kann, wie in jedem einzelnen Fall die technische Beratung verlaufen ist, zumal es sich um ein sehr spezifisches Verfahren handelt. Was ich im Falle dieses Systems weiß, ist, dass das Problem seit etwa anderthalb Jahren bekannt ist, und die polnische Landwirtschaftsverwaltung zuerst sehr zögerlich reagiert und dann Strategiewechsel beschlossen hat, die zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung geführt haben. Wenn Sie Hinweise darauf haben, dass es eine falsche Beratung gegeben hat, oder falsche Hinweise durch Mitarbeiter der Kommission, lassen Sie mich das bitte wissen, dann würde ich der Sache gerne nachgehen. Bekannt ist mir das nicht.
Ich will aber eines gerne einräumen: Was wir hier erlebt haben, ist ein weiterer Beweis dafür, dass in manchen Bereichen unsere Verwaltungsstrukturen so unglaublich kompliziert sind, dass es ein beitretendes Land selbst bei gutem Willen nicht in relativ kurzer Zeit schaffen kann, diese Anforderungen zu erfüllen. Das gilt ganz besonders für den Bereich der Landwirtschaft.
Wir haben ja auch erlebt, dass sich das Sapard-Programm von allen Vorbeitrittsprogrammen als das schwierigste erwiesen hat, weil es die stärksten Anforderungen an die neuen Mitglieder stellt und weil es eben von allen Systemen das komplizierteste und das mit den meisten Auflagen verbundene ist. Ich will gerne einräumen, dass wir es mit einem ungeheuer komplizierten System zu tun haben, aber es wäre eine völlig andere Diskussion, darüber zu reden, wer dafür verantwortlich ist, dass wir in diesem Bereich so komplizierte Strukturen haben oder haben müssen.
Queiró (UEN). – (PT) Herr Präsident! In meinem Beitrag werde ich mich konkret zu Ungarn, dem Land, das ich als Berichterstatter dieses Europäischen Parlaments begleitet habe, äußern. Ich möchte in Ergänzung zu den Schlussfolgerungen, die ich bereits Gelegenheit hatte zu lesen, einiges klarstellen, doch zuvor das hohe Niveau der Angleichung der Rechtsvorschriften und nationalen Organe Ungarns an den gemeinschaftlichen Besitzstand hervorheben, was ich natürlich mit Freude festgestellt habe.
Die erste Frage, die ich stellen möchte, bezieht sich auf das so genannte Status law, das Statutengesetz, das Gesetz über die in den Nachbarstaaten ansässigen Ungarn: Wie schätzen Sie, Herr Kommissar, die derzeitige Situation ein? Sind Sie wirklich der Meinung, dass die Verpflichtung eingehalten wurde, vor Änderungen an diesem Gesetz die Nachbarländer zu konsultieren? Die zweite Frage betrifft den Kampf gegen die Korruption und die organisierte Kriminalität, auf die einzugehen Sie bereits in einem anderen Zusammenhang die Gelegenheit hatten: Wie bewerten Sie das Verhalten der ungarischen Behörden bei der Untersuchung und Unterdrückung der jüngst in diesem Land aufgedeckten und Ihnen bekannten gewaltigen Finanzskandale? Was meinen Sie konkret zur Kritik der ungarischen Regierung an der Finanzaufsichtsbehörde, die selbstverständlich unabhängig von der Regierung dieses Landes ist?
Verheugen,Kommission. Herr Abgeordneter! Ich glaube nicht, dass es klug wäre, wenn die Kommission jetzt die mit dem ungarischen Statusgesetz verbundenen Probleme wieder aktualisieren würde. Ich habe mich sehr lange Zeit bemüht, möglichst unauffällig allen beteiligten Ländern zu helfen, die daraus möglicherweise resultierenden Konflikte zu vermeiden. Wir sind inzwischen so weit, dass zwischen Rumänien und Ungarn Übereinstimmung besteht, und zwischen der Slowakei und Ungarn ist der Diskussionsprozess noch nicht abgeschlossen. Ich rate dringend davon ab, dass wir uns da einmischen. Das ist vielmehr eine Angelegenheit, die die beiden Staaten im Geiste guter Nachbarschaft miteinander bereden und behandeln sollten. Wenn unsere Hilfe gewünscht wird, dann steht diese Hilfe zur Verfügung. Im Augenblick ist es aber so, dass die beiden Länder miteinander reden, und ich denke, sie werden über kurz oder lang zu einem Ergebnis kommen. Wenn nicht, dann gilt ab 1. Mai 2004 das europäische Gemeinschaftsrecht auch in dieser Frage, das ohnehin jede unterschiedliche Behandlung aufgrund der Nationalität ausschließt.
Die andere Frage ist eine sehr komplizierte Frage vor dem Hintergrund innenpolitischer Auseinandersetzungen in Ungarn. Ich glaube nicht, dass wir es hier mit einem systematischen Problem zu tun haben, also mit einem Problem, bei dem wir sagen könnten: „Hier zeigt sich, dass Ungarn Bedingungen für den Beitritt nicht erfüllt hat“. Vielmehr haben wir es mit einer sehr massiven, sehr heftigen, auch sehr emotionalen innenpolitischen Auseinandersetzung zu tun. Ich glaube nicht, dass es mir zusteht, mich in eine solche Auseinandersetzung einzumischen und darüber ein Urteil abzugeben. Genauso wenig, wie ich mich in die innenpolitischen Auseinandersetzungen in bestehenden Mitgliedstaaten einmischen würde, sollten wir jetzt verstehen, dass unsere neuen Mitgliedsstaaten das Stadium hinter sich gelassen haben, wo sie sozusagen unter einer Art Überwachung standen. Ich fühle keinerlei Verantwortung mehr für innenpolitische Vorgänge in diesen Ländern. Sie zu beobachten und sie zu bewerten, das ist jetzt eine Angelegenheit des Europäischen Parlaments, das ist eine Angelegenheit des Rates, aber es ist sicherlich nicht eine Angelegenheit der Exekutive, das zu bewerten, was eine frei gewählte Regierung und ein frei gewähltes Parlament tun. Ich möchte Sie bitten zu verstehen, dass ich nicht damit anfangen möchte, dass sich die Kommission in Angelegenheiten der internen Politik eines künftigen Mitgliedslandes einmischt.
Swoboda (PSE). – Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich finde die Berichte sehr ausgewogen und sehr korrekt. Was Rumänien betrifft, möchte ich noch hinzufügen, dass wir sogar in der letzten Zeit sichtbare Maßnahmen gegen die Korruption gesehen haben, was ja positiv zu bewerten ist. Ein Problem bitte ich Sie, Herr Kommissar, genau zu beachten: Die Ausbreitung von Teilen der Kleinkriminalität in den Nachbarländern. Da gibt es große Probleme, und ich bitte Sie, Herr Kommissar, die Rumänen wirklich zu bitten, im eigenen Interesse etwas dagegen zu tun.
Was die Türkei betrifft, finde ich Ihren Bericht sehr ausgewogen – auch die Frage Zypern gut behandelt. Ich frage Sie, Herr Kommissar: Würden Sie sich mir anschließen und hier vielleicht auch alle Parteien in diesem Haus auffordern, aus der Türkei kein Wahlkampfthema für die nächsten Europawahlen zu machen, denn ich fürchte, dass es manche Kräfte gibt, die „Pro oder contra Türkei“ als das Wahlkampfthema für 2004 sehen? Ich hoffe, Sie stimmen mit mir überein, dass das nicht so sein sollte! Danke!
Der Präsident. Herr Kommissar, möchten Sie über die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament sprechen?
Verheugen,Kommission. Herr Präsident! Sie wollen mich aufs Glatteis führen, Herr Abgeordneter! Sie wissen, dass es allen Parteien dieses Parlaments vollkommen unbenommen sein muss, jedes europäische Problem zu thematisieren. Ich habe das mehrfach gesagt: Ich kann und will niemanden daran hindern, eine für die Zukunft Europas so grundsätzlich wichtige Frage wie den möglichen Beitritt der Türkei auch in Wahlen zu thematisieren. Ja, wo denn sonst, wenn nicht gegenüber den Wählerinnen und Wählern vor einer Wahl? Mein demokratisches Grundverständnis ist eben so, dass die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, dass über diese Frage mit ihnen gesprochen wird. Das ist für mich völlig klar, und ich würde niemanden deswegen kritisieren.
Ich kann nur das wiederholen, was ich schon gesagt habe, nämlich dass die Diskussion so geführt werden soll, dass nicht Schaden dabei entsteht und dass man dabei eben immer Bedacht darauf nimmt, was unser gemeinsames europäisches Interesse ist und den Menschen auch gesagt wird, dass wir etwas von der Türkei wollen. Wir wollen nämlich von der Türkei, dass sie in ihrer politischen, strategischen und geographischen Situation für uns Sicherheitsfunktionen übernimmt, politischer und wirtschaftlicher Art, die niemand sonst auf der ganzen Welt übernehmen kann. Wir brauchen die Türkei an unserer Seite! Das muss den Menschen auch gesagt werden.
Van Orden (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Was zunächst die Frage der Verfügbarkeit ihrer Berichte betrifft, so könnte die Kommission vielleicht dem Parlament gegenüber so höflich sein, eine vorläufige Fassung den Berichterstattern des Parlaments und nicht den Medien zu übermitteln.
Ich spreche als Berichterstatter für Bulgarien, ein Land, das einen Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2007 ansteuert. Ich hoffe, dass alle erforderlichen Schritte unternommen werden, um die Verhandlungen 2004 abzuschließen, idealerweise bis Mai 2004. Damit würde dem bulgarischen Volk eine sehr wichtige Botschaft übermittelt. Die Kommission stellt zwar richtigerweise fest, dass der Beitrittsprozess Bulgariens auf dem Grundsatz der eigenen Leistung beruht, jedoch hat sie auch gesagt, dass sie sich für einen gemeinsamen Beitrittsvertrag für Bulgarien und Rumänien bis Ende 2005 einsetzt. Für Bulgarien dürfte das nicht schwer sein, und ich hoffe, dass auch Rumänien dieses Ziel erreicht, doch würde ich ungern sehen, dass die Ambitionen Bulgariens in irgendeiner Weise durch langsamere Fortschritte bei seinem nördlichen Nachbarn gebremst werden.
Was schließlich Zypern betrifft, so stimme ich zu, dass für die beiden Gemeinschaften große Chancen auf eine umfassende Beilegung des Konflikts bestehen, allerdings erfordert dies guten Willen und Flexibilität auf beiden Seiten und in der Tat auch Druck der Kommission auf beide Seiten.
Verheugen,Kommission. Herr Abgeordneter! Ich will nur das wiederholen, was ich schon gesagt habe. Ich muss mich für Unregelmäßigkeiten und Pflichtversäumnisse entschuldigen, die mir nicht bekannte Bedienstete sich haben zu Schulden kommen lassen, aber die Tatsache, dass es Pflichtversäumnisse irgendwo gegeben hat, kann nicht dazu führen, dass ich auch meinerseits meine Pflicht verletze und die Regeln der Kommission missachte. Ich bitte Sie da wirklich um Verständnis. Wir haben das Dokument wenige Minuten nach der Verabschiedung durch die Kommission an alle Berichterstatter – auch an Sie – geschickt. Aber ich lade Sie ein, wie wir das im vergangenen Jahr auch schon öfter gemacht haben, die Forschritte im persönlichen Gespräch mit mir regelmäßig zu bewerten. Was Bulgarien und Rumänien angeht, stimme ich Ihnen zu. Das eine Land soll nicht auf das andere warten, das garantieren wir auch, aber im Augenblick gibt es keinerlei Notwendigkeit und keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass wir eine Abkopplung des einen Landes vom anderen in diesem Beitrittsprozess ins Auge fassen müssen.
Der Präsident. Ich möchte dem Kommissar für diese Berichte danken sowie auch allen Kolleginnen und Kollegen, die heute darauf eingegangen sind.
Die Aussprache zu diesem Punkt ist geschlossen.
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN (ARTIKEL 120)
Berthu (NI), schriftlich. – (FR) Der Bericht der Kommission über die Fortschritte der Bewerberländer auf dem Weg zum Beitritt enthält eine beeindruckende Reihe von Ermahnungen, die diesen Ländern zweifellos einen Vorgeschmack von dem disziplinarischen Europa geben werden. Dieses Ergebnis war jedoch unvermeidlich, nachdem man nicht die klügste Beitrittsmethode wählte, die wir bereits 1992 empfohlen haben, die darin bestand, eine große politische Konföderation zu bilden und dann die osteuropäischen Länder je nach ihren Interessen oder Fähigkeiten zu jeder einzelnen Gemeinschaftspolitik beitreten zu lassen.
Der Rat entschied sich auf Vorschlag der Kommission für die Variante des Beitritts in einem Schritt zu einem einheitlichen System, das notwendigerweise zu einem Superstaat führt, und wir werden jetzt die Konsequenzen zu tragen haben, denn das ist weder technisch noch politisch machbar.
Im Übrigen stellt man mit Erstaunen fest, dass das Kandidatenland, das am meisten kritisiert wird, oftmals wegen Lappalien, Polen ist, gerade das freieste und das streitlustigste Land bei der Regierungskonferenz.
Was Zypern betrifft, so beginnt die Kommission sich Fragen hinsichtlich der türkischen Besatzung zu stellen. Das ist höchste Zeit. Man muss von der Türkei den unverzüglichen Abzug ihrer Truppen fordern.
Souchet (NI), schriftlich. – (FR) Ich bedauere, dass die Presse vorgestern über Einzelheiten des Berichts unterrichtet wurde, den Sie heute Nachmittag den Abgeordneten vorlegen: diese Reihenfolge scheint mir nicht ganz mit der demokratischen Funktionsweise der Institutionen im Einklang zu stehen. Sie sagen uns, diese Schwäche sei schwer in den Griff zu bekommen: das beunruhigt mich. Weiterhin stelle ich fest, dass die Bilanz der Beitrittsvorbereitungen die Türkei ebenso behandelt wie die anderen Kandidaten, die zehn plus zwei, was entgegen Ihren Worten ein Vorgriff auf die Entscheidung zu sein scheint, die der Rat zu diesem Thema Ende 2004 treffen soll. Außerdem stelle ich fest, dass die zehn, obgleich sie der Union noch gar nicht beigetreten sind, bereits durch die Kommission mit Schutzklauseln bedroht und hart gerügt werden. Dabei zeigt die Kommission übrigens ein recht schizophrenes Verhalten, eine Mischung aus Alarmismus und Autosuggestion, dass alles zum Besten steht. Muss man wirklich so mit den Kandidatenländern umgehen? Oder offenbart dieses Unbehagen der Kommission nicht eher einen grundlegenden methodischen Fehler, der darin bestand, dass man es versäumt hat, die Spezifik jedes Landes im Erweiterungsprozess angemessen zu berücksichtigen, und der nachhaltige Auswirkungen haben dürfte?
VORSITZ: INGO FRIEDRICH Vizepräsident
7. Zwischenbericht über die Regierungskonferenz
Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission: Zwischenbericht über die Regierungskonferenz.
Antonione,Rat. – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Es ist mir eine Freude, diesem Hohen Haus den Zwischenbericht über den Verfassungsreformprozess der Europäischen Union zu erläutern.
Der italienische Ratsvorsitz ist davon überzeugt, dass es nur mit Unterstützung des Europäischen Parlaments gelingen wird, die zahlreichen Probleme, denen wir uns gegenübersehen, zu lösen und im Dezember zu einer politischen Einigung zu gelangen. Deshalb haben wir, gemäß einer traditionellen Position Italiens, alles daran gesetzt, die maximale Beteiligung des Europäischen Parlaments an den Arbeiten der Regierungskonferenz zu gewährleisten.
Der Konvent zur Zukunft Europas war ein innovatives Instrument, mit dem der gegenwärtige Prozess der Vertragsreform eingeleitet wurde. Der vom Konvent ausgearbeitete Vertragsentwurf ist mehr als das Ergebnis simpler Verhandlungen zwischen den Regierungen. Seine Gestaltung resultiert nämlich aus einer Reihe konstruktiver Beiträge sowie aus einer strukturierten, umfassenden, öffentlichen und transparenten Debatte über die Zukunft Europas. Erstmals in der Geschichte des europäischen Integrationsprozesses waren daran auch die nationalen Parlamente und die Vertreter der Bürgergesellschaft aktiv beteiligt. Der politische Wert dieses Erfolgs darf deshalb nicht durch die Arbeiten der Regierungskonferenz zunichte gemacht oder geschmälert werden. Diese hat vielmehr die Aufgabe, jene Teile des Vertrags, zu denen noch kein vollständiges Einvernehmen besteht, zu verbessern und zu vervollkommnen.Jede anders geartete Lösung würde als ein Versuch ausgelegt, die durch die Beratungen des europäischen Konvents eingeführte demokratische und transparente Methode herabzuwürdigen. Wenn das geschähe, würde dies einen Rückschritt bedeuten, der unseren Bürgern nur schwer verständlich gemacht werden könnte und ihnen gegenüber nur schwer zu rechtfertigen wäre.
Aus dieser Vorgabe leitet sich eines der Hauptziele des italienischen Vorsitzes ab: bereits im Dezember zu einer umfassenden politischen Einigung über den Verfassungstext zu gelangen. Auf diese Weise wird es möglich sein, die Unterzeichnung des Verfassungsvertrags – einer Verfassung für Europa, wie sie von Präsident Giscard d'Estaing bezeichnet wurde – im Zeitraum zwischen dem 1. Mai 2004, dem vorgesehenen Datum des Beitritts der zehn neuen Mitgliedstaaten, und den Wahlen zum neuen Europäischen Parlament vorzunehmen. Ein Hinziehen der Verfassungsverhandlungen über diese Termine hinaus würde zwei ernste Probleme aufwerfen, die die demokratische Legitimität und die demokratische Transparenz betreffen. Zum einen würde der vom Konvent erarbeitete Verfassungskorpus schrittweise ausgehöhlt; zum anderen würden die europäischen Bürger zu den Europawahlen abstimmen, ohne Kenntnis von den konstitutionellen Umrissen der zukünftigen Union zu haben.
Der italienische Ratsvorsitz wird sich auf keinen Fall dazu bringen lassen, einen Kompromiss auf niedrigerem Niveau auszuhandeln, der einen Rückschritt im Vergleich zu den Vorschlägen des Konvents bewirken würde, nur um einvernehmliche Lösungen für die noch strittigen Fragen zu finden. Unser Ziel ist, ein Ergebnis von hoher Qualität zu erreichen, das den Erwartungen der europäischen Öffentlichkeit gerecht wird und auf lange Sicht ein effizientes und demokratische Funktionieren der erweiterten Union zu gewährleisten vermag. Der Europäischen Union eine Verfassung zu geben ist eine Herausforderung nicht nur für einige Mitgliedstaaten oder für den italienischen Vorsitz, dem die Ehre zuteil wird, den Rat in dieser Phase zu führen. Es ist eine Herausforderung für alle. Es ist eine Verpflichtung gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern: wenn wir diese Herausforderung nicht meistern, wird dies eine Niederlage für das wiedervereinigte Europa sein; eine Niederlage für die Union als Stabilitäts- und Wohlstandsfaktor auf der internationalen Bühne. Eine Niederlage für uns alle.
Nach der Eröffnungsfeier vom 4. Oktober ging es bei den Beratungen der Regierungskonferenz zur Sache. Dabei erwiesen sich die institutionellen Fragen, wie vorauszusehen war, als die bei weitem kompliziertesten. Die bedeutendsten Probleme betreffen die Zusammensetzung der Kommission, die Wahlverfahren und Zuständigkeiten des Vorsitzenden des Europäischen Rates, den Status des Außenministers und die Berechnung der qualifizierten Mehrheit. Diese Themen wurden auf den in der ersten Oktoberhälfte durchgeführten Tagungen der Regierungskonferenz eingehend erörtert. Auf der Ministertagung vom 27. Oktober wurde die Palette der zu analysierenden Fragen um solche erweitert, die bei den vorangegangenen Treffen noch nicht oder nur am Rande behandelt worden sind. Insbesondere wurden die folgenden Themen erörtert: Vorsitz in den Ratsformationen; Ausweitung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit; nicht institutionelle Fragen, unter besonderer Bezugnahme auf Bestimmungen wirtschaftlicher und finanzieller Art.
Die Debatte hat bestätigt, dass unterschiedliche Positionen zwischen den Mitgliedstaaten bestehen und dass die in dem vom Konvent angenommenen Entwurf des Verfassungsvertrags enthaltenen Vorschläge im Wesentlichen ausgewogen sind. Es hat sich auch gezeigt, dass das erneute Entfachen der Diskussion über spezifische Aspekte des Verfassungstextes nur dazu führt, dass gegensätzliche Standpunkte wiederholt werden, und nicht dazu, das sich neue Formen des Konsenses abzeichnen.
Aus dem Ergebnis der Beratungen der Konferenz lassen sich folgende Schlüsse ziehen. Erstens besteht eine schrittweise Übereinstimmung der Ansichten über die künftigen Modalitäten für die Ausübung des Vorsitzes in den verschiedenen Ratsformationen, auch wenn diese Frage im Rahmen eines Gesamtvorschlags über alle institutionellen Strukturen der späteren erweiterten Union erneut geprüft werden muss. Die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten ist gegen die Schaffung eines Rates „Gesetzgebung“. Der italienische Vorsitz nimmt diese Ablehnung zur Kenntnis, wird jedoch sein Möglichstes versuchen, damit der Rat „Gesetzgebung“ zumindest als Perspektive, d. h. als mögliche Entwicklung des Fachrätesystems, im Vertrag enthalten bleibt.
Zweitens bestätigen sich die unterschiedlichen Standpunkte der Mitgliedstaaten zum Anwendungsbereich der Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit. Angesichts dieser Situation wird sich der Ratsvorsitz Gedanken darüber machen, wie nach einvernehmlichen Lösungen gesucht werden kann – vornehmlich in sensiblen und besonders wichtigen Bereichen wie Steuerpolitik, Eigenmittel, justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und polizeiliche Zusammenarbeit. Der Entwurf des Konvents wird jedenfalls die Hauptgrundlage für das Erzielen einer ausgewogenen und anspruchsvollen Übereinkunft bleiben.
Drittens weisen die Mitgliedstaaten auf eine eindeutig zu hohe Zahl anderer Themen hin, die nicht die Institutionen betreffen und den von den Staats- und Regierungschefs in Thessaloniki festgelegten und in Brüssel bestätigten Zeitrahmen der Regierungskonferenz offenkundig sprengen würden. Der Vorsitz wird diese Themengruppe auf der Grundlage eines selektiven Herangehens prüfen und die Bereiche ermitteln, zu denen sich eine alternative Übereinstimmung zum Entwurf des Konvents abzuzeichnen scheint, und jene, die der technischen und redaktionellen Klärung bedürfen. Danach obliegt es den Mitgliedsstaaten zu entscheiden, ob sie auf der Nennung von spezifischen Punkten oder Minderheitenansichten bestehen wollen, indem sie eventuell die Staats- und Regierungschefs mit der Frage befassen.
Gestützt auf den Entwurf des Konvents und die Arbeiten der Außenminister wird der Ratsvorsitz einen Gesamtvorschlag formulieren, der sich auf das institutionelle Paket und auf die Verteidigungspolitik konzentriert. Bei dem Vorschlag werden wir versuchen, die Erfordernisse sowohl der Beitritts- als auch der Bewerberländer zu berücksichtigen. Dieser Vorschlag wird sich jedoch auf den Entwurf des Konvents gründen und darauf abzielen, zumindest ebenso ehrgeizige und anspruchsvolle Kompromisse zu erzielen wie die Zielvorgaben des Konvents. Wir sind bereit, mögliche Anpassungen zu prüfen, doch Aushöhlungen und Rückschritte lehnen wir kategorisch ab.
Vom Ausgang dieser Verhandlungen wird höchstwahrscheinlich die Zukunft der europäischen Verfassung abhängen. Aus diesem Grund und in Anbetracht der Bedeutung dessen, was auf dem Spiel steht, müssen alle Akteure, die aufgerufen sind, den Grundstein für die Union des 21. Jahrhunderts zu legen, genügend Flexibilität beim Herangehen an die Verfassungsverhandlungen zeigen. Es gilt, Partikularinteressen aufzugeben und sich von der Logik des „Juste Retour“, kraft deren man für jedes Zugeständnis einen gleichwertigen Vorteil erhalten muss, zu trennen. Das ist – oder besser, wäre – ein Ansatz, der dem europäischen Integrationskonzept an sich zuwiderlaufen würde und bei systematischer Anwendung das Fundament der Union zu untergraben droht. Obwohl Fairness unabdingbare Voraussetzung für jeden Verfassungsvertrag ist, kann niemand die gegenwärtige Entwicklung des Integrationsprozesses aufhalten. Wer in diese Richtung gehen will, der wird die geschichtliche Verantwortung dafür übernehmen und vor den europäischen Partnern und vor allem vor seinen Bürgerinnen und Bürgern dafür gerade stehen müssen. Die Verabschiedung der neuen Verfassung wird ein Erfolg oder Misserfolg der ganzen Union sein. Zwischen dem nationalen und dem europäischen Interesse kann es keinen substanziellen Widerspruch geben.
(Beifall)
Barnier,Kommission. (FR) Herr Präsident, Herr Minister, meine Damen und Herren Abgeordneten! In dieser Sitzung, die unter dem Motto steht „Fortschritte“ der Regierungskonferenz, wobei die Betonung auf Fortschritte liegt, muss ich Ihnen ganz offen sagen, dass die Kommission beunruhigt ist. Am 24. September hatte ich vor Ihrem Hohen Haus den Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass diese Konferenz Fortschritte ermöglichen möge, dass sie einige Punkte zurechtrücken und verbessern und andere klären könnte, dass sie in den Verfassungsentwurf, an dem wir alle im Rahmen des Konvents gearbeitet haben – und ich glaube gut gearbeitet haben, noch mehr Sachwissen einbringen könnte.
Lassen Sie mich Ihnen sagen, dass die Expertenarbeit unter der Leitung von Herrn Jean-Claude Piris im Rat und unter Mitarbeit der juristischen Dienste des Parlaments und der Kommission positiv verläuft.
Auf politischer Ebene hingegen hat die Regierungskonferenz bis heute offen gesagt keinerlei Fortschritte gebracht. Im Gegenteil, heute habe ich den Eindruck, ebenso wie mein Kollege und Freund Antonio Vitorino und zweifellos auch Ihre Vertreter, Klaus Hänsch und Iñigo Méndez de Vigo, dass diese Regierungskonferenz zu Rückschritten führen könnte.
Wir müssen den Vorwänden, an denen einige Leute bereits arbeiten, schon heute den Wind aus den Segeln nehmen. Die Methode steht außer Frage, man musste den nationalen Regierungen Zeit lassen, sich gemeinsam mit den Ergebnissen des Konvents auseinander zu setzen. Dann kommt die Zeit, da sie entscheiden müssen.
Der italienische Ratsvorsitz wird nicht in Frage gestellt. Er hat, wie ich bezeugen kann, unermüdlich die Debatte angeregt, die Konvergenzpunkte herausgestellt. Er hat sich stets entschieden auf die Ergebnisse des Konvents gestützt. Herr Antonione hat vorhin den Punkt des Legislativrates angeschnitten, bei dem wir alle ein Zurückweichen festgestellt haben. Zu diesem Punkt haben Sie alle ebenso wie ich den Beweis dafür erhalten, was ich Ihnen bezüglich des italienischen Ratsvorsitzes gesagt habe, seiner Entschlossenheit, alles zu tun, um das Ergebnis des Konvents zu bewahren, es zu verbessern und nicht zuzulassen, dass es noch einmal aufgeschnürt wird. Ich möchte die Haltung und den Vorsitz des Ministerrates würdigen, der vor allem in den Händen von Minister Frattini lag.
Die Arbeit des Konvents steht außer Frage. Wir wissen, dass er nicht nur nützlich war, sondern auch voll genutzt werden kann. Der Konvent hat sein Mandat erfüllt und ist sogar noch darüber hinausgegangen, indem er den Regierungschefs einen vollständigen und kohärenten Text vorgelegt hat.
Schließlich steht auch die Rolle der Kommission und des Parlaments außer Frage. Wir wirken heute bei der Regierungskonferenz wie gestern beim Konvent zusammen und sind uns sehr oft, in den meisten Fällen, einig. Auf alle Fälle hat zwischen uns stets ein echter Dialog stattgefunden.
Nun will ich ganz offen sein: was bei der derzeitigen Stagnation der Regierungskonferenz in Frage steht, ist die Argumentation bestimmter Regierungen, die handeln wollen, als habe es nicht 18 Monate lang den Konvent gegeben, die alle Büchsen der Pandora, eine nach der anderen noch einmal öffnen wollen, die es ablehnen, heute das zu tun, was sie gestern im Konvent vielfach selbst gebilligt haben, beispielsweise hinsichtlich der Wirtschaftspolitik oder der Rolle des Europäischen Parlaments im Haushaltsverfahren der Union. Eine solche Haltung würde uns, sollte sie andauern, in die Sackgasse führen. Lassen Sie mich dafür nur zwei Beispiele anführen.
Das erste Beispiel: die qualifizierte Mehrheit. Alle Karten liegen auf dem Tisch. Alle Positionen sind bekannt. Wir wissen alle, dass wir uns, wenn wir eine Frage im Bereich der Einstimmigkeit belassen, ganz sicher alle zusammen zur kollektiven Ohnmacht verurteilen würden. Aus dieser Situation gibt es nur einen Ausweg, wenn so viele am Tisch sitzen – bald 25 und eines Tages 30 –, das ist der Übergang zur qualifizierten Mehrheit bei den meisten Themen. Man muss hier und jetzt entscheiden und ganz gewiss nicht – ganz gewiss nicht! – hinter die wenigen, nicht zu vernachlässigenden Fortschritte zurückweichen, die mit dem Text des Konvents erzielt wurden. Das zweite Beispiel: die Aktualisierung der gemeinsamen Politiken im dritten Teil der Verfassung. Wer würde denn glauben, dass man mit einigen Wochen mehr Regierungskonferenz zu einem perfekten, endgültigen, unveränderlichen Text gelangen könnte? Worauf es ankommt, weil die Zeiten sich ändern werden, weil die europäische und die internationale Gesellschaft sich ändern werden, ist die Fähigkeit, diese Politiken an die Bedürfnisse der Union, an die sich weiterentwickelnden Erfordernisse der Gesellschaft anzupassen. Worauf es ankommt, ist also, in gewisser Weise den Mechanismus der Revision des dritten Teils, zumindest in einigen Bereichen zu vereinfachen.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, lassen Sie mich hier im Namen der Kommission noch einmal sagen: die einzige Chance für eine kurze und entscheidungsfreudige Regierungskonferenz besteht darin, dass die Regierungen die großen Gleichgewichte der vom Konvent erarbeiteten Verfassung respektieren. Für alles Übrige hoffen wir, dass die nationalen Regierungen ihren Verantwortungen gerecht werden: der Verantwortung, in kurzer Zeit, wie Sie, Herr Minister, gesagt haben, in einer kleinen Zahl von Fragen zu entscheiden, über die lange debattiert wurde; der Verantwortung, die Flexibilität walten zu lassen und die Brücken einzubauen, die es der Verfassung ermöglichen, sich mit der Zeit weiterzuentwickeln. Wir sind an dem Punkt angelangt, da die Positionen aller Seiten bekannt sind. Nun müssen wir unter uns diskutieren und entscheiden, was etwas anderes ist, als einzelstaatliche Positionen nebeneinander zu stellen. Was die Kommission anbelangt, so ist sie dazu bereit – ich sage es in den gleichen Worten wie vor einem Monat: den Verfassungsentwurf in einer begrenzten Anzahl von Punkten zu verbessern, ohne das allgemeine Gleichgewicht in Frage zu stellen; alle Bestimmungen zu klären, um Missverständnisse oder Unklarheiten zum Zeitpunkt der Ratifizierung des Textes zu vermeiden; das zu vollenden, was ich eine juristische Feinarbeit nennen würde, die ihr durch den Konvent übertragen wurde.
Diese Methode der Regierungskonferenz muss, wie mir scheint, ein letztes Mal ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Ich kann dies sagen, da ich seit Amsterdam bereits an drei Regierungskonferenzen teilgenommen habe. Von Jahr zu Jahr erwies sich diese Methode weniger in der Lage, die Union voranzubringen. Die Konferenz von Maastricht brachte deutlich ein gemeinsames Anliegen zum Ausdruck. Die von Amsterdam zeitigte ein nützliches, aber unvollständiges Ergebnis. Der Regierungskonferenz von Nizza gelang es schließlich in mühevoller Kleinarbeit, zum left over von Amsterdam einen komplizierten und zeitweiligen Kompromiss zu erzielen. Und heute steht nun diese Regierungskonferenz vor dem Risiko einer Sackgasse, während der Konvent das Wesentliche einer sehr großen und guten Arbeit geleistet hat.
Anlässlich der Verabschiedung des Verfassungsentwurfs sprachen einige in etwas poetischen Worten vom „Geist des Konvents“. In Wahrheit handelte es sich für diejenigen, die bei diesem Konvent dabei waren und die stolz darauf sind, daran teilgenommen zu haben – was für viele von Ihnen zutrifft –, ganz einfach um einen europäischen und nicht um einen internationalen Geist. Alles, was ich in diesem Stadium wünsche, ist, dass noch einmal etwas von diesem europäischen Geist durch die Arbeit der Regierungskonferenz wehen möge. Cicero hat einmal von einem besiegten Volk gesagt: sero sapiunt. Das heißt wörtlich, „sie waren klug, aber zu spät“. Den Regierungen des endlich vereinigten Europas wird und würde es nichts nützen, klug zu sein, wenn diese Regierungskonferenz vorüber ist.
(Beifall)
Méndez de Vigo (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, ich glaube, es ist hoch symbolisch, dass wir nach der Debatte über die Erweiterung, über die politische Wiedervereinigung des Kontinents diese Debatte über die politische Neuordnung des Kontinents führen, die mit der Annahme der europäischen Verfassung abgeschlossen werden muss. Mir scheint, dass beide Dinge miteinander verbunden sind. Und wie der italienische Ratsvorsitz ganz richtig feststellte, ist dies notwendig, damit wir die Wahlen des Jahres 2004 auf der Grundlage einer europäischen Verfassung abhalten können.
Herr Präsident, ich habe neulich von meinem Eindruck gesprochen, dass die Debatten der Regierungskonferenz eine gewisse Frustration hervorgerufen haben. Ich habe dies, wie auch Klaus Hänsch, damit erklärt, dass die derzeitigen Debatten eine Wiederholung der Debatten des Konvents seien. Es gab nicht Neues, und wie auch Michel Barnier schon sehr richtig sagte, war alles, was vorgebracht wurde, ein Rückschritt in Hinblick auf das Erreichte.
Ich muss auch sagen, dass dies Anlass zur Zufriedenheit geben müsste, denn letztlich bedeutet es, dass der Konvent eine gute Arbeit geleistet hat. Wenn die Regierungen uns nun das vorlegen, was sie uns damals schon einmal vorlegten, heißt dies, dass das, was wir damals unterstützten, die Lösung war, für die sich der stärkste Konsens fand.
Ich möchte ein Thema ansprechen, das Gegenstand der letzten Tagung auf Ministerebene war und das die Vertreter des Parlaments mit großer Sorge erfüllte. Ich spreche von der Absicht des ECOFIN-Ministerrats, eine Reihe von Vorschlägen vorzulegen, die letztlich bedeuten, den beim Konvent zum Titel VII der Verfassung über die Finanzen der Union erreichten Kompromiss gänzlich in Frage zu stellen. Dieser Kompromiss wurde in langwierigen Verhandlungen erreicht, an denen vier Arbeitsgruppen unter dem Vorsitz der Herren Amato, Hänsch, Christophersen und Méndez de Vigo beteiligt waren. Dieser Kompromiss stützte sich auf drei Schlüsselgedanken, die sich das Parlament in den letzten zehn Jahren auf seine Fahnen geschrieben hat: mehr Demokratie, mehr Effizienz und mehr Transparenz zu erreichen.
Diesem Kompromiss lagen zwei weitere Gedanken zugrunde. Erstens, dass bei den Einnahmen die Regierungen das letzte Wort haben sollten, da sie schließlich von den Bürgern der Union bereitgestellt werden. Und zweitens, dass in Hinblick auf die Ausgaben das Europäische Parlament das letzte Wort haben sollte, da es dieselben Unionsbürger vertritt.
Auf der Grundlage der Arbeiten dieser vier Arbeitsgruppen legten wir den Kompromissvorschlag vor, der aus drei Teilen besteht. Erstens sind da die Eigenmittel. Sie werden von den Regierungen beschlossen und den nationalen Parlamenten zur Genehmigung vorgelegt. Zweitens ist da die Finanzielle Vorausschau. Die Interinstitutionelle Vereinbarung wird in die Verfassung aufgenommen, und die Vorausschau wird ab der des Jahres 2006 mit qualifizierter Mehrheit des Rates und mit der Zustimmung des Europäischen Parlaments angenommen. Drittens, der Haushalt: Das letzte Wort hat das Parlament, was das Kapitel der Ausgaben angeht. Die Unterscheidung zwischen obligatorischen und nichtobligatorischen Ausgaben, die wir immer als absonderlich empfunden haben, wird aufgehoben. Diese Genehmigung wird jedoch durch Beschränkungen und Hindernisse erschwert, denn um das letzte Wort zu haben, muss das Parlament eine 3/5-Mehrheit aufweisen.
Mit all dem möchte ich sagen, dass uns eine Einigung aus drei Teilen vorliegt. Das Parlament – meine Kolleginnen und Kollegen wissen das sehr gut – ist natürlich der Ansicht, dass die Genehmigung der Eigenmittel durch die nationalen Parlamente der Vergangenheit angehört und dass auch der mehrjährige Finanzrahmen dem üblichen Legislativverfahren unterworfen sein sollte. Das heißt, dass wir, um des Kompromisses willen, nachgegeben haben, weil wir das Prinzip „bei den Einnahmen haben die Regierungen das letzte Wort, bei den Ausgaben das Parlament“ für sinnvoll hielten.
Ich möchte unterstreichen, dass das Parlament wegen des Kompromisses nachgegeben hat. Und daher halte ich es zum gegenwärtigen Zeitpunkt für absurd, dass dieser Kompromiss, der einer der Kernstücke des Verfassungstextes ist, nun in Frage gestellt und dass versucht wird, einige Elemente dieser drei Teile aufzuweichen. So absurd, dass dies meines Erachtens aus politischer Sicht für dieses Parlament völlig inakzeptabel ist. Für uns ist das eine Grenzlinie. Dies haben wir in der letzten Sitzung der Regierungskonferenz gesagt, und auch der italienische Ratsvorsitz hat es gebilligt. Während ich diese Ausführungen vorbereitete, Herr Präsident, erhielt ich eine Mitteilung der Agentur Ansa, der zufolge Herr Tremonti, amtierender Vorsitzender des ECOFIN-Rates, erklärt – ich werde es auf Italienisch vorlesen: „Per noi é fondamentale che il testo preparato dalla Convenzione sia approbato così comme é“. (Unseres Erachtens ist es wesentlich, dass der vom Konvent erarbeitete Text in dieser Form angenommen wird). Folgen wir also Herrn Tremonti, und behalten wir den Kompromiss in der Frage der Finanzen bei.
(Beifall)
Napolitano (PSE). – (IT) Herr Präsident, ich habe mir die Erklärungen des Ratspräsidenten, der allgemeine, meines Erachtens zustimmungsfähige Orientierungen dargelegt hat, aufmerksam angehört habe, möchte ich jedoch lieber einige konkrete Fragen herausgreifen, auch weil Herr Antonione um die Unterstützung des Europäischen Parlaments gebeten hat. Diese Unterstützung, die wir im Übrigen bereit sind zu gewähren, setzt nämlich die Auseinandersetzung mit den Standpunkten des Parlaments voraus.
Am 21. Oktober fand eine Sitzung des Ausschusses für konstitutionelle Fragen statt, an der auch der italienische Außenminister als Vertreter der Ratspräsidentschaft teilgenommen hat. Ich möchte das Augenmerk von Herrn Antonione und dieses Hohen Hauses nochmals auf zwei Punkte lenken. Erstens sind wir entschieden für die Beibehaltung des Hinweises auf den Rat „Gesetzgebung“ bzw. die Konzentration der Gesetzgebungsfunktion des Europäischen Parlaments im Rat, was ein wichtiges Element, eine bedeutsame Neuerung im Entwurf des Konvents darstellt. Nun teilt uns Herr Antonione mit, er habe zur Kenntnis genommen, dass die Mehrheit dagegen ist. Ich möchte erneut meine Bedenken auch in Bezug auf diese Vorgehensweise anmelden: man kann keine Entscheidungen treffen, indem einfach die Ja- und Nein-Stimmen gezählt werden. Bisweilen habe ich sogar den Eindruck, als rechne man mit 28 Regierungen, während doch nur 25 stimmberechtigt und die anderen drei lediglich Beobachter sind. Schließlich wurden im Konvent Analysen durchgeführt und Meinungen gegenübergestellt, es wurde nach Lösungen gesucht, das Für und Wider jeder Lösung abgewogen und am Ende ein Kompromiss geschlossen. Es geht nicht an, dass auf der Regierungskonferenz nur die Für- und Gegenstimmen gezählt werden. Ratspräsident Antonione hat die Verpflichtung übernommen – deren Bedeutung ich zu schätzen weiß –, diese Frage noch offen zu halten. Ich weiß zwar nicht richtig, zu welchem Ergebnis dies führen wird, doch bestehen wir darauf, das dieser Punkt nicht gestrichen wird.
Der zweite Punkt betrifft das Verfahren zur Revision der Verträge. Zwar hat Herr Antonione heute nicht darüber gesprochen, doch hat sich Herr Frattini gegenüber unserem Ausschuss dazu verpflichtet, die Ausarbeitung eines etwaigen italienischen Vorschlags zu prüfen, um weiter als der Text zu gehen, der nicht vom Konvent vereinbart wurde und daher auch für niemanden bindend ist. Wir laufen Gefahr, in die absurde Situation zu geraten, dass zu den vom Konvent per Kompromiss gelösten Fragen die Diskussion erneut von vorn begonnen wird, während über Fragen, zu denen der Konvent keine Einigung erzielen konnte, wie eben das Revisionsverfahren, nicht diskutiert werden kann. Mir ist nicht bekannt, ob der italienische Ratsvorsitz auch diese Frage in seinen für die dritte Novemberwoche angekündigten Gesamtvorschlag aufzunehmen gedenkt; wir bekräftigen jedoch, dass wir nach wir vor fest entschlossen sind, uns dafür einzusetzen.
Schließlich, Herr Antonione, ich habe das Problem, das Herr Méndez de Vigo angesprochen hatte, nicht erwähnt: es ist unannehmbar, dass von einzelnen Formationen des Ministerrats Änderungen am Text des Konvents vorgenommen werden.
(Beifall)
Duff (ELDR). – (EN) Herr Präsident! Das Gebaren des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister bereitet auch mir große Sorge. Gestern attackierte einer seiner wichtigsten Teilnehmer, der britische Schatzkanzler, die Vorschläge des Konvents, denn durch sie könne die Schaffung eines Bundesstaates mit einer zentralisierten Steuerpolitik drohen. Dieser Vorwurf ist völlig aus der Luft gegriffen und macht die bedauerliche Voreingenommenheit gegen die Arbeit des Konvents deutlich.
Dann versucht der ECOFIN-Rat, das Paket über das Finanzsystem auszuhöhlen. Mit seinen reaktionären Vorschlägen scheint er von qualifizierten Mehrheitsbeschlüssen zur dauerhaften Einstimmigkeit bei der Finanziellen Vorausschau übergehen und auch das Zustimmungsrecht des Parlaments abschaffen zu wollen. Sie wollen vom allgemeinen Recht zum Ratsrecht übergehen und das letzte Wort des Parlaments beim Haushalt beseitigen. Eine sichere Konsequenz davon wäre ein Anstieg der Gesamtausgaben des Haushaltsplans. Wenn die Union nicht in der Lage ist, schwierige und womöglich gierige Mitgliedstaaten zu überstimmen, wird sie zu langwierigen Streitigkeiten in der Öffentlichkeit gezwungen werden, die am Ende zu teuren Zugeständnissen führen.
In Wirklichkeit sind die Finanzminister darauf aus, die Rolle dieses Parlaments als Partner in der Haushaltsbehörde zu schwächen. Sie stellen die finanzielle Autokratie über die parlamentarische Demokratie. Die Haushaltsbefugnis ist eine Kernkompetenz, eine äußerst zentrale und seit langem existierende Befugnis der Parlamente aller unserer Mitgliedstaaten. Sollten die Vorschläge des ECOFIN-Rates auf der Regierungskonferenz durchkommen, dann verkommt dieses Parlament zu einer Farce. Die Autokraten werden sich gegen die Demokraten durchgesetzt haben.
(Beifall)
Kaufmann (GUE/NGL). – Herr Präsident! Ich muss als ehemaliges Mitglied des Konvents sagen, dass ich mich wirklich darüber wundere, was auf der Regierungskonferenz abläuft. Man muss sich nur mal den Vermerk des Vorsitzes, das Dokument 37, zur Hand nehmen. Was man da zu lesen bekommt, ist – finde ich – nicht zu fassen. Allein die bloße Auflistung der Änderungswünsche am Konventstext ist fast 20 Seiten lang. Wenn ich das sehe, dann kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass manche Regierungen den Konvent offensichtlich nicht ganz ernst genommen haben, denn wie ist es sonst zu erklären, dass die gleichen Regierungen, die den Konsens des Konvents unterstützt haben, jetzt diese Unmenge an Änderungen einfordern? Leider ist es ja so, dass in der Öffentlichkeit weitgehend nur über die Streitpunkte im institutionellen Bereich berichtet wird, über die Zahl der Kommissare, oder die Frage der Mehrheiten im Rat. Das sind zweifellos keine unwichtigen Fragen – ein Zurück aus Nizza darf es aus meiner Sicht hier nicht geben.
Ich will außerdem auch klar sagen: Ich erwarte, dass die Regierungskonferenz ebenso wie der Konvent entschieden alle Versuche zurückweist, einen Gottesbezug in den Verfassungsvertrag aufzunehmen. Das individuelle Recht auf Religionsfreiheit ist in Artikel 10 der Grundrechtecharta umfassend gewährleistet. Das ist auch gut und richtig, aber die Menschen in der Europäischen Union per Verfassung in Gläubige und Ungläubige einzuteilen – nein, das darf es auf keinen Fall geben!
Nicht hinnehmbar wären für mich auch jegliche Rückschritte hinsichtlich der Rechte des Europäischen Parlaments, insbesondere hinsichtlich der Haushaltsbefugnisse dieses Hauses. Wer hier die Axt anlegt, offenbart aus meiner Sicht doch ein bestimmtes Maß an gestörtem Verhältnis zu einem demokratischen Europa.
Ich habe mich im Konvent dafür engagiert, dass die Union sozialer wird, denn ein soziales Europa, ist das, was die Bürgerinnen und Bürger zu Recht erwarten. Gerade in dieser Hinsicht hat die Union aus meiner Sicht den größten Nachholbedarf. Ich staune schon, wenn in meinem Land von maßgeblichen Politikern behauptet wird, der Konventsentwurf sei, Zitat: „ordnungspolitisch gefährlich“, oder wenn aus Kreisen der Deutschen Bank verlautet, mit dem Konventsentwurf drohe der EU-Wirtschaftsordnung eine Dominanz sozialpolitischer Ziele.
Ich frage mich, was die Regierungskonferenz eigentlich in diesem Bereich tut. Wird sie derartige Angriffe auf Fortschritte des Entwurfs zurückweisen? Wie wird mit den Widersprüchen zwischen Teil III und Teil I verfahren werden? Es ist politisch und rechtlich zwingend, die wirtschafts- und währungspolitischen Bestimmungen von Teil III an die grundlegenden Bestimmungen von Teil I anzupassen. Ich garantiere Ihnen, niemand wird verstehen und schon gar nicht gutheißen, wenn im Verfassungstext zwei unterschiedliche Wirtschaftsphilosophien existieren: soziale Marktwirtschaft, ausgewogenes Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung einerseits und offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb und lediglich ein hohes Beschäftigungsniveau andererseits.
All diesen Fragen müsste das Parlament wesentlich stärkere Aufmerksamkeit widmen. Ich sage und richte das aber auch an die Adresse meiner eigenen Regierung. Statt Änderungsabstinenz zu üben, sollte sie sich auf der Regierungskonferenz vielmehr dafür einsetzen, dass die in Teil I verankerten sozialpolitischen Ziele eindeutig und unmissverständlich auch für den Teil III des Verfassungsvertrages gelten.
(Beifall)
VORSITZ: JAMES L. C. PROVAN Vizepräsident
Voggenhuber (Verts/ALE). – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Kaum eröffnet, bietet die Regierungskonferenz ein Bild, als hätte man in einer Fußgängerzone ein Bündel Geldscheine in die Menge geworfen. Alles balgt sich, um einen Schein zu ergattern; mit dem Konventsentwurf wird umgegangen, als gelte es, ein Stück Wild zu Tode zu hetzen, damit jeder für sich ein Stück herausreißen kann.
An dieser Stelle frage ich mich: Wer ist eigentlich der Verfassungsgeber Europas? Die Bürgerinnen und Bürger? Ihre direkt gewählten Vertretungen – die Parlamente – oder doch die Staatskanzleien und nationalen Regierungen? Eines Tages werden wir auch vor der Geschichte und den Menschen Europas diese Frage beantworten müssen. Die Regierungskonferenz beantwortet es auf ihre Weise. Sie sind die Verfassungsgeber Europas.
In Thessaloniki haben sie beteuert, sie werden die Büchse der Pandora nicht öffnen. Die Büchse der Pandora ist geöffnet, und man kann sie sehen, wie sie sich verbreiten, die alten Krankheiten Europas, der nationale Egoismus und die einseitigen Machtansprüche einzelner Institutionen. Woher kämen sie sonst, die Krankheiten und die Übel, die wir sehen?
Der Legislativrat, in der ersten Sitzung, ohne Debatte, beseitigt damit das Element der Gewaltenteilung und der Öffentlichkeit der Gesetzgebung. Die Finanzminister sind sich einig, weniger Rechte für das Parlament, weniger Öffentlichkeit, weniger Rechte für die Kommission. Sie sind die alleinigen Gesetzgeber. Sie haben die Budgethoheit hinter verschlossenen Türen, sie allein. Die qualifizierte Mehrheit – ein wesentlicher Fortschritt des Konventsentwurfs – wird in wesentlichen Bereichen in Frage gestellt. Die doppelte Mehrheit im Rat, eines der schönsten Prinzipien des Konvents: ein Gesetz ist angenommen mit der Mehrheit der Staaten und der Mehrheit der Bürger. Das ist verständlich, das ist legitim. Es wird angegriffen, es passt nicht in ihr Machtspiel. Ein anderer Fortschritt: EURATOM. Eine große Öffnung in Richtung einer Reform dieses obsoleten Vertrages soll zugemauert werden. Die Europäische Zentralbank, vom Konvent den europäischen Werten und Zielen verpflichtet, soll von einer Solidarität zu diesen Werten freigestellt werden. Ich könnte so fortfahren. Die Angriffe sind vehement. Das Prinzip ist: mehr Macht den Regierungen, weniger Demokratie, weniger Bürgerrechte, weniger Öffentlichkeit. Wir müssen darauf antworten. Wenn es die Parlamente nicht tun, wird die Verfassung Europas eine schlechte sein.
Ribeiro e Castro (UEN). – (PT) Herr Präsident, Herr Minister, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Nachrichten von der Regierungskonferenz deuten auf Meinungsverschiedenheiten und Schwierigkeiten hin. Für jeden freien und objektiven Beobachter ist dies keine Überraschung. Nur die, die die trügerische Vorstellung nähren, im Konvent sei ein Konsens erreicht worden, können Entsetzen vortäuschen. Wir alle wissen doch, dass die Ergebnisse des Konvents nirgends als demokratischer Konsens akzeptiert würden, wo die Grundsätze der Demokratie bekannt sind und geachtet werden, wo abgestimmt wird. Jetzt haben wir den gnadenlosen Gegenbeweis, festzustellen im Wesen der Regierungskonferenz selbst, der einzigen Instanz, die die Verträge erfüllt und demokratisch und juristisch legitimiert ist, Entscheidungen zu treffen. Deswegen sind die auf dem Holzweg, die die Regierungskonferenz gering schätzen wollten und immer noch darauf beharren.
Ich gratuliere der italienischen Präsidentschaft zu der Entschlossenheit, mit der sie ihre Arbeit geleistet hat. Schon jetzt ist vollkommen klar, dass bei möglichen Misserfolgen nicht sie die Schuld trägt, sondern diejenigen, die darauf bestehen, Dinge zu erzwingen, die legitimen Rechte der Mitgliedstaaten zu missachten und die Demokratie und den Rechtsstaat zu schwächen. Von all diesen möchte ich die überaus bedauerliche Eröffnungsansprache von Jacques Chirac hervorheben, dem Gerhard Schröder leider gefolgt ist. Man hat versucht, die Debatten der Regierungskonferenz mit finanzieller Erpressung zum Erliegen zu bringen und mithilfe von Gemeinschaftsmitteln einigen Mitgliedstaaten zu drohen. Das war der unglücklichste Start, den die Konferenz haben konnte, da ein überaus negativer Tenor vorgegeben wurde, der tatsächlich weit von den positiven Bemühungen und dem guten Willen der italienischen Präsidentschaft entfernt war. Ich weiß nicht, ob sich jemand eingeschüchtert fühlte, doch das Ganze muss entschieden verurteilt werden. So geht es nicht!
Andererseits scheint der deutsche Bundeskanzler etwas von seinen dogmatischen Anfangspositionen abzurücken, hat er doch vor einigen Tagen während eines Besuchs in Bratislava erkennen lassen, dass er bereit sein könnte, die lautstarken Forderungen nach einem Verfahren zur Bildung der Kommission zu akzeptieren, dem zufolge jeder Mitgliedstaat ein Kommissionsmitglied stellen kann. Ich begrüße diese Signale als Zeichen der Hoffnung und viel versprechende Gesten. So ist es richtig. Ich hoffe, diese Signale erweisen sich als wahrhaftig und strahlen auch auf andere Punkte auf unserer Tagesordnung aus: die Achtung des Subsidiaritätsprinzips, ausdrückliche Garantien für die Achtung des Primats des nationalen Verfassungsrechts, Transparenz der legislativen Arbeit des Rates, Anerkennung unseres christlichen Erbes in der Präambel, die Beibehaltung der rotierenden Präsidentschaft oder eine zufrieden stellende Lösung für verschiedene Probleme infolge der unangemessenen Dauer jeder Amtszeit, die Streichung von terminologischen Höhenflügen wie „Minister für Auswärtige Angelegenheiten“ oder „Verfassung für Europa“, die Streichung bzw. rigorose Begrenzung der Flexibilitäts- bzw. passerelle-Klauseln, damit das System der Revision der Verträge nicht ausgehebelt werden kann, usw.
Die Regierungskonferenz wird umso erfolgreicher sein, je mehr wir uns vom Diktat eines Kabinetts lösen, auch wenn es sich Präsidium nennt. Die Regierungskonferenz wird nur scheitern, wenn die Unnachgiebigkeit einiger so genannter Großer sie klein macht und dazu verleitet, die Gleichgewichte, die für das selbstlose Streben nach europäischer Integration so notwendig sind, zu missachten. Je mehr die Regierungskonferenz das heilige Gründungsprinzip, nämlich die Gleichberechtigung der Mitgliedstaaten, respektiert und danach handelt, je umsichtiger und realistischer sie die gegenwärtige öffentliche Meinung zur nationalen und europäischen Identität in ihre Arbeit einbezieht, desto größere Unterstützung wird sie erfahren.
Man sollte wohl den französischen Präsidenten daran erinnern, dass das Ergebnis seiner Diplomatie, seiner EU-Präsidentschaft eben der Vertrag von Nizza war. Vielleicht hilft es ihm und anderen, die übermäßige Nervosität abzustreifen, die sie häufig zeigen. Nizza ist der geltende Vertrag. Mehr noch: Es ist der Vertrag, der noch nicht einmal vollständig in Kraft ist. Es gibt also keine Eile, es gibt kein Drama, es gibt keine Gründe, um verzweifelt zu sein oder zu jammern. Nizza ist jener alternative Konsens, den viele heraufbeschwören und somit der einzige wirkliche Konsens, der Vertrag, den wir vorbereitet haben für die große Herausforderung, vor der wir jetzt stehen: die Erweiterung. Stellen wir also jetzt nicht den Zeitplan vor den Kern der Dinge. Die Reform der Verträge muss eine gute Reform, eine dauerhafte Reform sein, die jedem Zeit gibt, zu sprechen und gehört zu werden, um zu einer wirklichen Einigung zu gelangen, um eine wahrhafte, dauerhafte Einstimmigkeit herzustellen und zu verankern. Es darf also keine überhastete Reform geben, die zwangsläufig an der ersten Hürde scheitern würde, wie das derzeit ja beim Text des Konvents geschieht. Wir glauben, dass die Europäische Union nicht scheitern darf. Die Europäische Union darf keinesfalls scheitern.
Bonde (EDD). – (DA) Herr Präsident, das Ergebnis des EU-Konvents liegt jetzt zwar in Form schöner Bücher mit blauem Rücken vor, ist aber unlesbar. Es gibt kein Glossar. Wer trägt im Rat die Verantwortung für die Veröffentlichung dicker Bücher in allen Sprachen ohne Stichwörter, die es den Bürgern möglich machen würden, die Stellen zu finden, für die sie sich besonders interessieren. Als Steuerzahler zahlen wir Milliarden an die zahlreichen Informationsbüros der EU, die diese Mittel dann jedoch für Propaganda ausgeben, anstatt echte Informationen zur Verfügung zu stellen.
Es ist grotesk, dass lesbare Ausgaben des Verfassungsentwurfs in meinem Büro anstatt in den Institutionen hergestellt werden müssen, sodass Bürger und Politiker die Möglichkeit haben, den Inhalt zur Kenntnis zu nehmen. Wir haben am Rand Anmerkungen mit Querverweisen vorgenommen, damit man nicht vor und zurück blättern muss um nachzusehen, ob Einstimmigkeit oder qualifizierte Mehrheit gefordert wird. Wir haben sämtliche Schlüsselbegriffe unterstrichen, damit man den Entwurf schnell durchgehen kann, und wir haben ein umfangreiches alphabetisches Glossar erstellt, sodass man beispielsweise unter „Subsidiarität“, „Religion“ und „Verteidigung“ nachsehen und schnell die Stellen finden kann, wo sie erwähnt werden. Wir haben unsere Arbeit außerdem für alle Sprachen gratis ins Internet gestellt. Nicht alles ist schon in allen Sprachen fertig, aber die wichtigsten Teile sind vorhanden und können kostenlos von meiner Homepage unter der Adresse bonde.com heruntergeladen werden. Wir haben auch etwa 1 000 Definitionen mit den entsprechenden Links unter der Internetadresse euabc.com bereitgestellt, die jeder kostenlos auf seinen eigenen Computer herunterladen kann. Zukünftige Änderungen sind dann automatisch per E-Mail erhältlich.
Dies wäre Aufgabe des Rates gewesen. Stattdessen haben sie gegen eine Vereinbarung verstoßen, die sie mit uns im Democracy-Forum getroffen haben, und den Verfassungsentwurf ohne die Minderheitenposition abgedruckt. Wir hatten ein völlig eindeutiges Abkommen mit Giscard d’Estaing und John Kerr. Wir haben das Gesamtergebnis unterschrieben gegen die Zusage, dass die Minderheitenposition veröffentlicht wird, damit sich die Bürger der EU frei entscheiden können zwischen den Europa-Visionen der Mehrheit und der Minderheit.
Ich möchte den Rat jetzt bitten sicherzustellen, dass die Minderheitenposition zusammen mit dem Verfassungsentwurf gedruckt wird, und stelle dem Rat unsere leserfreundlichen Ausgaben gerne kostenlos zur Verfügung. Es ist merkwürdig, dass wir, die Gegner des Verfassungsentwurfs, seine Veröffentlichung bezahlen müssen, damit er auch gelesen werden kann.
Dell'Alba (NI). – (IT) Herr Präsident, Kommissar Barnier hat uns eine düstere Lagebeschreibung gegeben und damit die – von vielen geteilte – Sorge der Kommission über den Verlauf der Beratungen zum Ausdruck gebracht. Er hat gesagt, dies sei nicht die Schuld der Kommission, das sei gewiss nicht die Schuld des italienischen Ratsvorsitzes, nicht die Schuld des Konvents und noch weniger die des Europäischen Parlaments. Deshalb möchte ich wissen, wer denn nun eigentlich schuld ist. Ist es die Schuld Estlands? Polens? Von Herrn Aznar, der die Nizza-Methode und nicht die vom Konvent vorgeschlagene Methode bevorzugt? Herr Kommissar Barnier, sind wir nicht vielleicht alle ein wenig schuld, weil wir diese Frage mit so wenig Ehrgeiz angegangen sind, dass, nachdem die Türen geöffnet worden sind, nachdem die Möglichkeit bestand – angefangen bei der Kommission – zu sagen, der Konvent sei in diese oder jener Frage nicht gut gelaufen, sich offenkundig alle beeilten, genau das zu tun, was die Kommission als Erste mit einem Text getan hat, der, da er wahrscheinlich den kleinsten gemeinsamen Nenner verkörperte, sicher das Risiko mit sich brachte, dass, nachdem die Türen einmal geöffnet waren, sich alle darauf stürzen würden, um ihn im negativen Sinne zu verändern?
Die Wahrheit ist, dass wir die Gelegenheit von Nizza verpasst haben; wir haben die Gelegenheit von Amsterdam und meines Erachtens auch die von Maastricht verpasst; wir haben die Gelegenheit versäumt – die dieses Parlament einst gefordert hatte und dann vergaß – hervorzuheben, dass es zunächst der berühmten Vertiefung bedarf – zunächst der Vertiefung und dann der Erweiterung, erinnern Sie sich? –, und die heutige Debatte zeigt, wie weit wir von den Zielen, die zu Beginn der italienischen Ratspräsidentschaft verkündet und noch im September von diesem Parlament bekräftigt wurden, entfernt sind. Nun frage ich mich, ob der italienische Ratsvorsitz in Anbetracht dieser Entwicklungen die Situation nicht genau abwägen sollte. Zwar haben Sie einige Verpflichtungen übernommen, doch hatten Sie auch versprochen, das Moratorium vor die Vereinten Nationen zu bringen, während gestern mitgeteilt wurde, dass kein derartiger Schritt unternommen wird. Sie hatten sich verpflichtet, Ihre Ratspräsidentschaft mit der Erfüllung der gegenüber dem Konvent eingegangenen Verpflichtung abzuschließen, doch die italienische Ratspräsidentschaft hat auch Verpflichtungen gegenüber sich selbst und gegenüber der Geschichte Italiens als Gründungsland. Sollte das Ganze auf einen verwässerten Text hinauslaufen, wäre das Mindeste, was der italienische Vorsitz meines Erachtens tun müsste, zu verhindern, dass die Präsidentschaft mit einem stümperhaften Text zu Ende geht, einem Text, der den Interessen der Union mehr schaden würde als der, den man später vereinbaren könnte. Wenn die Dinge so liegen, wenn man keinen ehrgeizigen, wirksamen Entwurf vorlegen kann, der die großen Widerstände zu brechen vermag, einen föderalistischen Entwurf entsprechend der Linie, wie sie Altiero Spinelli vor etwa 20 Jahren in diesem Parlament vorgeschlagen hat, wenn man keine starke Vision besitzt, von der man sich leiten lassen kann, ist es klar, dass sich dann in den Detailfragen alle auf die Hinterbeine stellen.
Wir Radikalen werden am 13. und 14. eine Konferenz zu diesem Thema durchführen und hoffen, dass wir ausgehend von einem Überlegungsprozess, an dem sich dort und an anderer Stelle viele beteiligen können, zu einem Standpunkt zu gelangen vermögen, der das Parlament befähigt, einen Text abzulehnen, falls die Verhandlungen wirklich so schlecht laufen sollten.
Nassauer (PPE-DE). – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nur mit Unbehagen und Sorge kann man bisher zur Kenntnis nehmen, wie die Regierungskonferenz gearbeitet hat. Vergegenwärtigen wir uns: Da schafft es ein belächelter – jedenfalls nicht sehr ernst genommener – Konvent, über alle politischen, geographischen Grenzen hinweg, ungeachtet der Herkunft aus den verschiedensten Institutionen, einen überzeugenden, geschlossenen Verfassungsentwurf ohne eine einzige Abstimmung zu erarbeiten, und jetzt erleben wir, dass die Regierungskonferenz eben diesen Entwurf in Einzelheiten zerstückelt, zerfleddert, auseinander bröselt ohne den geringsten Hinweis dafür zu geben, wie sie zu einem positiven Ende kommen will.
Es ist doch bemerkenswert, dass alle Vorschläge, die in der Regierungskonferenz diskutiert werden, keinen Fortschritt darstellen, sondern einen Rückschritt im Vergleich zum Konventsentwurf. Die Regierungskonferenz agiert im Rückwärtsgang. Die Staats- und Regierungschefs sitzen im Bremserhäuschen der Europäischen Union. Nizza, meine Damen und Herren, lässt grüßen! Die erstaunlichste Äußerung haben in der Tat die Finanzminister zuwege gebracht. Sie wollen schlicht das Haushaltsrecht dieses Parlaments „gouvernementalisieren“. Sie wollen das Parlament von entscheidender Mitwirkung am Haushalt ausschließen. Wo haben diese Herrschaften denn ihre demokratische Grundschule gemacht?
(Beifall)
Wissen sie nicht, dass der Parlamentarismus Pfeiler der Demokratie und das Budgetrecht das Parlaments Pfeiler des Parlamentarismus ist? Nicht der Macht der Abgeordneten wegen, sondern um der demokratischen Kontrolle willen, die das Parlament öffentlich ausüben muss. Die Finanzminister offenbaren in diesem Vorschlag ein vordemokratisches Verständnis von Parlamentarismus. Übrigens, meine Damen und Herren, die kostenträchtigsten Wohltaten sind in dieser Europäischen Union immer in nicht öffentlich tagenden Ministerrunden verteilt worden, nicht in der öffentlichen Haushaltsdebatte dieses Parlaments. Deswegen muss das Budgetrecht beim Parlament bleiben!
Ich will einige wenige Erwartungen formulieren, die wir an die Regierungskonferenz haben, gerichtet an den Ratsvorsitz, dem wir Unterstützung geben wollen, für seine bisherige, sicherlich sehr positive Arbeit. Erstens: Wir erwarten, dass vor Ende dieses Jahres eine Einigung zustande kommt. Das ist technisch möglich. Es geht nicht um eine Vielzahl von Artikeln, über die man streiten müsste, sondern nur um wenige institutionelle Kernfragen. Zweitens: Die Regierungskonferenz muss Nizza hinter sich lassen. Die Staats- und Regierungschefs, die diese Union in die Sackgasse von Nizza hineingeführt haben, müssen sie nun auch wieder herausführen.
Drittens: Über die gelegentlich kleinkarierten, im Grunde legitimen nationalen Interessen hinweg, muss ein ausgewogenes Verhältnis zum Wohl der europäischen Gemeinschaft erarbeitet werden, d. h. die Staats- und Regierungschefs dürfen sich nicht nur dem Wohl ihres Mitgliedstaates verschreiben, sondern sie müssen sich auch gegenüber der Einigung Europas verantwortlich fühlen und erweisen, denn der Ratsschlüssel von Nizza ist nicht nur demokratisch unvertretbar, er ist auch keinem vernünftigen Menschen zu erklären. Ein neuer Vertrag muss auch verständlich sein, nur dann erreichen wir Transparenz und Bürgernähe, wonach wir streben!
(Beifall)
Corbett (PSE). – (EN) Herr Präsident! Dieses Parlament hat immer und immer wieder vor der Gefahr gewarnt, dass der Vertrag aufgeschnürt wird, indem erst dieses, dann jenes, dann ein weiteres Stück herausgenommen wird. Wir haben sogar die Kommission davor gewarnt, ihre durchaus vernünftigen Vorschläge weiterzuverfolgen, denn wenn man anfängt, einen Bruchteil des Verfassungsentwurfs rückgängig zu machen, dann wird der nächste Teil aufgedröselt, und das wird dann jemand anders zum Vorwand nehmen, um einen weiteren Vorschlag zu machen, und so weiter.
Bei der vergangenen Aussprache haben wir vor dem Vorschlag der spanischen und polnischen Regierung gewarnt, zu der in Nizza beschlossenen Formel für die Abstimmung im Rat zurückzukehren – ein ziemlich eigennütziger Vorschlag, wenn ich so sagen darf. Und nun sehen wir, dass die Dinge noch einen Schritt weiter gegangen sind, wenn eine Ratsformation plötzlich aufwacht – nach monatelangen Verhandlungen und Diskussionen über genau diese Themen und nach dem Abschluss des Konvents – und mitten in der Regierungskonferenz nun mitreden möchte und den Verfassungsentwurf umschreiben will. Und sie will nicht nur zu dem zurückkehren, was gegenwärtig im Vertrag steht, sondern zu etwas, was in Bezug auf die Befugnisse des Europäischen Parlaments schlimmer als die gegenwärtigen Verträge ist. Das ist einfach nicht hinnehmbar.
Darüber hinaus würde ich behaupten, dass die von ihnen vorgebrachten Punkte in vielen Fällen nicht einmal von ihren eigenen Regierungen zu Beginn der Regierungskonferenz als Themen herausgestellt wurden, über die sie in diesem Forum gerne beraten hätten. Es handelt sich um neue Punkte, und deshalb haben wir das Problem, dass unsere Regierungen – zumindest in einigen Fällen – den Eindruck erwecken könnten, in dieser Frage uneins zu sein.
Unter solchen Umständen möchte ich die Präsidentschaft auffordern, sich den Forderungen dieser Ratsformation zu widersetzen. Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Parlament auffordern, sich nach ihrer Rückkehr zu ihren eigenen Regierungen in die Debatten einzubringen, die wohl ohne Zweifel stattfinden, während wir über diese Themen sprechen. Ich möchte sie dazu ermuntern, ihre Regierungen zu etwas sinnvolleren Positionen zu bewegen und uns wieder zu der vernünftigeren Verhandlungslinie zurückzubringen, die die meisten Regierungen – zumindest die der ursprünglichen sechs Mitgliedstaaten und des Vereinigten Königreichs – zu Beginn der Regierungskonferenz zu verfolgen scheinen, dass nämlich dieser Verfassungsentwurf unversehrt durchkommen kann, allenfalls mit einigen wenigen technischen Anpassungen. Das sollte unser Ziel sein.
Alyssandrakis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Weder die Feierlichkeiten noch das Wort „Verfassung“ können das volksfeindliche Wesen des neuen Vertrages verbergen, welcher der Kette, die die Völker nach Maastricht, Amsterdam und Nizza fesselt, ein weiteres Glied hinzufügt. Der neue Vertrag soll die volksfeindliche, pro-monopolistische und imperialistische Politik der Europäischen Union sanktionieren, die die Macht zu Gunsten der bereits Starken umverteilt, die Ungleichheit zwischen den Mitgliedstaaten forciert, den Neoliberalismus und die Unterwerfung unter den Markt institutionalisiert, die Unterdrückungsmechanismen ergänzt und die Militarisierung der Europäischen Union bis zu dem Punkt vorantreibt, an dem sie die Doktrin der präventiven militärischen Aktion unter dem Vorwand des Terrorismus billigt.
Alle auf der Regierungskonferenz vorgebrachten Widerstände sind zweitrangig, denn niemand stellt die Militarisierung, die Unterdrückung und die Aufgabe von Souveränität in Frage. Die Meinungsverschiedenheiten beschränken sich auf die Frage, wie genau die Neuaufteilung der Macht erfolgen soll. Die Völker brauchen keine Europäische Verfassung. Sie brauchen keine Europäische Union. Wir sind sicher, dass sie sowohl durch Volksabstimmungen – wo diese stattfinden, denn das griechische Volk wurde nie gefragt und wird auch jetzt nicht gefragt – als auch in ihrem täglichen Kampf Widerstand leisten werden.
MacCormick (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Ich teile die bereits von vielen in diesem Parlament geäußerte Meinung. Ich muss sagen, dass ich während des Konvents, an dem ich als stellvertretendes Mitglied teilnehmen durfte, die von den Vertretern der britischen Regierung eingenommenen Positionen respektiert habe – auch wenn ich mit ihnen nicht immer einverstanden war. Sie haben ihren Standpunkt deutlich gemacht, sie haben manchmal unpopuläre Ansichten vertreten, doch insgesamt hatten sie eine bestimmte Basis, und wir haben einen Abschluss und Kompromisse erzielt.
Manchmal hätte ich mir gewünscht, dass sie eine andere Linie eingeschlagen hätten, dass sie zum Beispiel hinsichtlich der nur unzureichend umformulierten Abschnitte über Fischerei in Teil I und III einen deutlicheren Standpunkt vertreten hätten. Wie Herr Corbett mutigerweise anmerkte, wurde nichts gesagt, obwohl die Regierungen hätten Bedenken anmelden oder abweichende Ansichten zu Dingen äußern können, die bei den Konventsberatungen im Mittelpunkt standen. Sowohl Herr Duff als auch Herr Méndez de Vigo haben darauf hingewiesen, dass diese Fragen ausgiebig und hinreichend im Konvent diskutiert wurden. Und jetzt, bei der Kernfrage des Haushalts, sagt der ECOFIN-Rat, und mit ihm leider auch der britische Schatzkanzler, dass der gesamte Vorschlag des Konvents keinen Sinn ergibt und eine komplette Neuordnung erfolgen muss.
Das ist wohl ziemlich die unbefriedigendste Vorgehensweise, die man sich vorstellen kann. Ich kritisiere die britische Regierung – sie ist nicht die einzige Regierung, die Schuld trägt –, doch sollten wir alle beteiligten Regierungen aufrufen, nun in die Gänge zu kommen und diese Angelegenheit einigermaßen zügig auf der Grundlage des Konvents zum Abschluss zu bringen.
Ó Neachtain (UEN). – (EN) Herr Präsident! Wir alle sind uns einig, dass die Beschlussfassungsverfahren innerhalb der EU-Institutionen vereinfacht werden müssen, um die zehn neuen Länder zu berücksichtigen, die im kommenden Mai der Union beitreten werden.
Wir müssen die Art und Weise reformieren, in der wir in einer größeren Europäischen Gemeinschaft Entscheidungen treffen, jedoch müssen wir auch sicherstellen, dass im Zuge der Einführung des neuen Vertrages über die Europäische Union vitale nationale Interessen geschützt werden. Aus irischer Sicht habe ich beispielsweise bei einer Reihe von Fragen einige Bedenken.
Erstens ist die Beibehaltung einer wirksamen nationalen Kontrolle in der Steuerpolitik ein Thema, dem die irische Regierung und andere europäische Regierungen stets die größte Bedeutung beigemessen haben. In den auf dem Gipfel von Nizza geführten Verhandlungen zu dieser Frage wurde zugesichert, dass bei Beschlüssen über alle Steuerfragen auf EU-Ebene die Einstimmigkeit beibehalten wird. Ich denke, dass Steuerangelegenheiten am besten von nationalen Regierungen und lokalen Behörden geregelt werden und nicht von einer zentralisierten Europäischen Union.
Zweitens halte ich zwar eine wirksamere Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität für notwendig, bin jedoch beunruhigt über einen Vorschlag, mit dem die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit auf Strafrechtsfragen ausgedehnt werden soll. Ich halte das für einen untauglichen Vorschlag, denn er berücksichtigt nicht die unterschiedlichen Rechtstraditionen in den verschiedenen Mitgliedstaaten.
Drittens ist es im Bereich Sicherheit und Verteidigung wichtig, dass Irland keine neuen Verpflichtungen auferlegt werden, die unsere traditionelle Politik der militärischen Neutralität gefährden. Die irische Regierung und andere EU-Regierungen müssen auch im Hinblick auf die Beteiligung an künftigen Militäreinsätzen weiterhin auf nationaler Ebene entscheiden können.
Und zu guter Letzt möchte ich nachdrücklich dafür plädieren, dass die kleineren Mitgliedstaaten weiterhin das Recht behalten, ein Mitglied der Europäischen Kommission zu stellen.
Berthu (NI). – (FR) Herr Präsident, der Ratsvorsitzende sagte eingangs, die Vorschläge des Konvents dürften durch die Regierungskonferenz nicht abgeschwächt werden, da sie mit einer demokratischen Methode erzielt worden seien. Ich weiß nicht, um welche Demokratie es sich handelt, denn der Konvent besaß kein demokratisches Mandat für die Ausarbeitung einer Verfassung, er war nicht repräsentativ für die Öffentlichkeit und er nahm keine Abstimmungen vor. Das muss eine neue Demokratie mit europäischer Soße sein.
De facto haben die letzten Tagungen der Regierungskonferenz gezeigt, dass einige nationale Delegationen begannen, sich berechtigte Fragen zu stellen. Zunächst dürfte die Ausweitung der Mehrheitsabstimmung auf wesentliche Bereiche wie die Kontrollen an den Grenzen, die Steuerpolitik, die finanzielle Vorausschau, das Strafrecht, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse usw. nicht möglich sein oder zumindest nur im Austausch gegen ein Sicherheitsnetz, zum Beispiel ein Vetorecht für jede nationale Demokratie, das durch ihr einzelstaatliches Parlament oder durch Referendum ausgeübt wird. Ich spreche von einem praktikablen Vetorecht und nicht von einem disproportionierten Recht, wie das Sezessionsrecht, das natürlich in den täglichen Debatten der Union nicht praktikabel ist.
Im Übrigen kann man die Überleitungsklauseln, die es ermöglichen, die einstimmige Beschlussfassung in Mehrheitsverfahren umzuwandeln, ohne eine offizielle Revision vorzunehmen, d. h. ohne die feierliche Ratifizierung durch die Völker verlangen zu müssen, in der vorliegenden Form nicht hinnehmen. Diese Art von Bestimmung ist maßgeschneidert, um die Schaffung eines Europas zu begünstigen, das von vorgeblichen Eliten regiert wird und sich hinter dem Rücken der Völker immer mehr aufbläht. Wenn die Übergangsklauseln verabschiedet würden, und es gibt im Entwurf des Konvents sehr viele davon, dann wäre die nächste Revision der Verträge wahrscheinlich die letzte. Dann wird man nur noch die Zustimmung des Europäischen Rates brauchen und nicht mehr die der Völker. Das ist wirklich nicht hinnehmbar.
Kauppi (PPE-DE). – (FI) Herr Präsident, die Regierungskonferenz ist nicht einfach nur ein Forum zur pauschalen Bestätigung des Konvents gewesen, wie zu Beginn in Regierungskreisen befürchtet und hier in diesem Hause sehr gehofft wurde, und es hat den Anschein, dass sich diese Regierungskonferenz zu einer echten Regierungskonferenz entwickelt hat. Dennoch ist es wichtig, dass die Grundüberlegungen des Konvents während der Arbeit der Regierungskonferenz nicht verworfen werden.
Entscheidend für die Regierungskonferenz ist die Qualität der Ergebnisse und keinesfalls die Einhaltung des Zeitplans. Heute zeigt sich sehr deutlich, dass es praktische Probleme mit dem Zeitplan gibt. Für die Regierungskonferenz sind noch etwa fünf Wochen Zeit, und in den Sachfragen ist man nicht im erforderlichen Tempo vorangekommen. Auch die Punkte, in denen Einvernehmen erzielt worden ist, stellen gegenüber dem ausgewogenen Entwurf des Konvents. meist Verschlechterungen dar. Ich verweise hier zum Beispiel auf das Zugrabetragen des Legislativrates.
An dem Vorschlag des Konvents über die Stimmengewichtung muss festgehalten werden. Meines Erachtens handelt es sich sowohl für die großen als auch die kleinen Länder um einen fairen Kompromiss. Das komplizierte System der Stimmengewichtung gemäß dem Vertrag von Nizza muss aufgegeben werden, damit die Beschlussfassung der EU nicht gelähmt wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass man den hinsichtlich ihrer Bevölkerung großen Mitgliedstaaten im Konvent entgegengekommen ist, indem vereinbart wurde, dass ein Beschluss von drei Fünftel der EU-Bürgerinnen und Bürger getragen werden muss. Gleichzeitig wurde jedoch garantiert, dass die qualifizierte Minderheit, die erforderlich ist, um einen Beschluss zu stoppen, nicht dadurch erreicht werden kann, wenn ein paar Mitgliedstaaten, wie der Mittelmeerblock, eine Allianz bilden.
Die Vorschläge von Spanien und Polen zur Veränderung der Kräftegewichtung zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten sind kategorisch abzulehnen. Wenn schon zu einem Vorschlag des Konvents ein Kompromiss ausgehandelt werden muss, dann sollte eine andere Richtung eingeschlagen werden, also eine Richtung Modell 50-50, bei dem die Hälfte der Mitgliedstaaten und die Hälfte der Bevölkerung für einen Beschluss erforderlich ist.
Die Garantie eines eigenen stimmberechtigten Kommissionsmitglieds für jeden Mitgliedstaat wird sicher in Zukunft gegeben sein. Die Schreckensbilder und Behauptungen einer übermäßig großen und trägen Kommission sowie untätiger Kommissionsmitglieder sind sehr übertrieben. Ich bin sicher, dass sich für 25 Kommissionsmitglieder Aufgaben und sinnvolle Sachgebiete finden werden. Außerdem wird sich eine vernünftige Organisation der Arbeit und Aufgaben sowie die Schaffung einer Hierarchie verschiedener Positionen auf der Basis eines fairen Rotationssystems auf die praktische Arbeit auswirken, sofern dies erforderlich ist.
Wynn (PSE),Vorsitzender und Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Haushaltsausschusses. – (EN) Herr Präsident! Herr Méndez de Vigo rief mich letzte Woche an, um mich über die Vorschläge des ECOFIN-Rates zu informieren, und am Montag dieser Woche kam Herr Hänsch zu uns in den Ausschuss. Beide Male war ich nach dem, was sie uns sagten, absolut sprachlos. Ich kann nicht glauben, dass der Rat die ECOFIN-Vorschläge im Haushaltsbereich aufgreift. Als Brite kann ich sagen, dass ich in der Frage der Eigenmittel verstehe, warum er dies tut. Ob das aber richtig ist, steht auf einem anderen Blatt.
In den anderen beiden Fragen in Bezug auf die Finanzielle Vorausschau und das Haushaltsverfahren geht er wirklich einen Schritt zu weit. Ein solches Vorgehen würde dieses Parlament neutralisieren. Ein Haushaltsausschuss wäre nicht mehr notwendig, sollte dies auf der Regierungskonferenz vereinbart werden. Wir würden doch geradezu mit einer rostigen Schere kastriert werden. Wir brauchen diese Art so genannter „Dominanz“ des Rates nicht.
Das Parlament hat viel gegeben, um eine Einigung im Konvent zu erzielen – und der Rat behauptet, das Gleiche getan zu haben. Aber eine Sache, die wir gegeben haben, ist die Zustimmung zur Verankerung der Finanziellen Vorausschau im Verfassungsvertrag. Wenn wir jetzt aber die Interinstitutionelle Vereinbarung brechen, landen wir wieder beim Vertrag, der dem Parlament viel mehr Macht und Autorität einräumt. Dies haben wir um einer Einigung willen geopfert, was ein Entgegenkommen signalisiert und bedeuten würde, dass wir zusammenarbeiten. Was wir hier allerdings sehen, ist nicht Kooperation, sondern Nötigung durch den Rat. Das darf so nicht weitergehen, und es muss alles getan werden, damit dies verhindert wird.
(Beifall)
Nogueira Román (Verts/ALE). – (PT) Herr Präsident! Gestatten Sie mir zunächst zu sagen, dass ich als Bürger des spanischen Staates entschieden gegen alle Standpunkte bin, die José María Aznar während der Abstimmung im Rat vertreten hat. Zweitens möchte ich drei konkrete Probleme anführen, deren Lösung dazu beitragen würde, den Text des Verfassungsentwurfs zu verbessern, wenn wichtige Aspekte des politischen, kulturellen und institutionellen Charakters der Union betont werden, ohne die Grundausrichtung der Arbeit des Konvents zu verändern.
Das erste Problem ist die Notwendigkeit, die tatsächlichen Gegebenheiten unserer Völker wieder in die Definition der Union aufzunehmen, indem sie als ein Bund von Staaten, Völkern und Bürgern definiert wird. Am Ende des Entwurfs ist vom Schicksal der Völker und vom Wohlstand der Völker Europas als Ziele der Europäischen Union die Rede. Das zweite Problem ist die verfassungsmäßige Anerkennung des Bestehens konstitutioneller Nationalitäten, von Bundesstaaten usw. mit Exekutiv- und Legislativbefugnissen, also im Grunde Befugnissen eines Staates. Drittens geht es darum, klar und eindeutig zu bekräftigen, dass die Union eine soziale Union ist. Ich hoffe jedenfalls, dass die Verfassung der Union eines Tages die Nationen ohne Staat wie Galicien und Schottland und andere letzten Endes anerkennen wird, damit diese nicht gezwungen sind, um ihren Anspruch auf einen eigenen Staat zu kämpfen, der einzig gangbare Weg für sie, um in der Europäischen Union als Nationen vertreten sein zu können.
Randzio-Plath (PSE). – Herr Präsident! Der Entwurf einer Verfassung enthält zu Recht die Konstitutionalisierung des Lissabon-Prozesses, und es war auch wirklich eine Errungenschaft dieses Europäischen Parlaments, dass wir versucht haben, der Europäischen Union ein Profil zu geben, das Wirtschaftsreform, Wachstum, Vollbeschäftigung und sozialen Zusammenhalt zusammenbindet, und diese Zielbestimmung, auch die Werteorientierung des Vertragsentwurfs, geben das her. Bedauerlicherweise sind aber die Instrumente zur Durchsetzung dieser Ziele der Europäischen Union äußerst schwach ausgeprägt. Wir haben die Erwähnung der Methode der Koordinierung. Das ist richtig so, aber wir haben uns viel zu wenig Gedanken darüber gemacht, dass wir, gerade weil wir nicht nur eine Währungsunion, sondern auch eine Wirtschaftsunion und eine politische Union haben, die Interdependenz nicht nur der Volkswirtschaften, sondern auch der sozialen Umstände unserer Bürgerinnen und Bürger im Auge behalten müssen. Ich bedaure außerordentlich, dass wir in diesen ganzen Bereichen wenige Elemente finden, die die demokratische Legitimation von politischen Entscheidungen enthalten oder die demokratische Legitimation von Entscheidungen nach vorne bringen.
Das ist in Ansätzen schon ein Versäumnis im Konventsvertrag. Wenn ich aber höre, dass die Finanzminister die Regierungskonferenz auffordern, noch weniger zu tun als das, was im Entwurf enthalten ist, dann ist das ein Rückschritt, den wir als Europäisches Parlament nicht zulassen dürfen. Wir dürfen auch etwas anderes nicht zulassen. Wir wollen als Europäisches Parlament in den Bereichen des Mitentscheidungsverfahrens gerne zugeben, dass nicht alle technologischen Neuerungen auch von diesem Parlament entschieden werden müssen, sondern dass wir zu einer Sekundärgesetzgebung bereit sind, aber doch nur unter der Bedingung, dass Expertengremien hinter verschlossenen Türen in dieser Union nicht alles verschleiern und verändern können, und von daher muss Artikel 35 in seiner Gänze auch in dem Verfassungsvertrag sein, wie er die Regierungskonferenz verlässt. Das gehört auch zur Demokratisierung von Wirtschafts- und Währungspolitik.
Berès (PSE). – (FR) Herr Kommissar, gestatten Sie mir, das zu zitieren, was Sie in einem weniger formellen Gremium als diesem hier gesagt haben. Sie hatten angemerkt, man solle nicht von der Weihnachtsgans verlangen, dass sie das Fest vorbereitet. Doch das ist es, was wir gegenwärtig erleben. Die Regierungskonferenz ist an den Grenzen ihrer Macht angelangt. Für dieses Parlament besteht das Wesentliche heute darin, das im Rahmen des Konvents erreichte Gleichgewicht zu bewahren. Ich ziehe den Begriff „Gleichgewicht“ dem Terminus „Kompromiss“ vor. Wenn es einen Geist des Konvents gibt, einen europäischen Geist, der diese Regierungskonferenz beseelt, so hoffe ich, dass er es ermöglicht, die Phase des Zuhörens, in der wir uns heute befinden als die Phase zu identifizieren, die es ermöglicht zu prüfen, ob wir, wenn jeder bis ans Ende seiner individuellen Logik der Macht geht, in eine kollektive Entscheidungssackgasse geraten. Denn wenn dem so wäre, wenn diese Phase des Zuhörens nur dazu da ist, dass jeder bis ans Ende seiner Logik geht, um zu überprüfen, ob wir in eine Sackgasse geraten, dann können wir noch die Hoffnung bewahren.
Hingegen fürchte ich, wenn es uns nicht gelingt, diese Etappe hinter uns zu bringen, dass es Rückschritte geben könnte. Sie wissen, dass in meinem Land die Debatten immer lebhafter werden. In meiner Partei haben sich einige schon entschlossen, Ja zu sagen, andere haben sich schon entschlossen, Nein zu sagen und wieder andere warten noch ab. Es könnte also am Schluss einen Rückschritt geben, nicht nur gegenüber dem Text des Konvents, sondern auch gegenüber dem Vertrag von Nizza hinsichtlich des Bereichs der Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit, hinsichtlich der Befugnisse dieses Parlaments im Haushaltsbereich oder hinsichtlich der Einführung einer Schwelle von 66 % der Bevölkerung zur Definition der qualifizierten Mehrheit. Ehrlich gesagt, Herr Ratsvorsitzender, Herr Kommissar, was wir wünschen, ist, dass diese Regierungskonferenz sich auf die Themen konzentriert, die tatsächlich auf dem Tisch liegen, und das sind – wie der Vorsitzende Napolitano anmerkte – die, die der Konvent nicht behandelt hat, das ist der vierte Teil. In diesem Punkt fürchte ich den Status quo. Ein mutiges Vorgehen, das genau dem Gleichgewicht des Konventsvorschlages entsprechen würde, bestünde darin, die Überleitungsklausel für diese Revisionsklausel zu verwenden. Ich schlage Ihnen vor, das heißt beiden Seiten, die Möglichkeit zu prüfen, in Artikel IV-7.3 einen dritten Absatz einzufügen, der so lauten könnte – zumindest vom Inhalt her, die rechtliche Form müsste noch abgesegnet werden –: „Der Europäische Rat kann auf eigene Initiative oder auf Ersuchen des Europäischen Parlaments einstimmig beschließen, die Regierungskonferenz zu ermächtigen, durch Abstimmung mit überqualifizierter Mehrheit Änderungen an dem Verfassungsvertrag vorzunehmen, und seine Ratifizierung zu den gleichen Bedingungen vorzusehen“.
Leinen (PSE). – Herr Präsident! Die Regierungskonferenz ist dabei, den Erfolg des Konvents zu zerstören. Das war auch fast zu erwarten, weil tatsächlich diese Methode der nationalen und der sektoralen Egoismen etwas ganz anderes ist als die Arbeit im Konvent, die doch versucht hat, das europäische Interesse zu finden. Es ist nun sehr auffallend, dass die Regierungen Angriffe auf das Europäische Parlament und seine Rechte starten. Der Wegfall des Legislativrates ist der Wegfall eines Partners dieses Parlaments bei der Gesetzgebung. Ergo wird die Gesetzgebung geschwächt. Das Zurückführen der Budgetrechte dieses Parlaments ist ein Angriff auf die eigentliche Rechtfertigung von Parlamenten. Parlamente sind entstanden, um öffentliche Finanzen demokratisch zu kontrollieren, und wer diese Rechte, die Budgetrechte, dem Europäischen Parlament streitig macht, greift die Demokratie in der Europäischen Union an, und dagegen sollten sich nicht nur das Europäische Parlament, sondern alle unsere Kollegen in den nationalen Parlamenten zur Wehr setzen.
Die Sektorräte spielen eigentlich gar keine Rolle in der Regierungskonferenz, und der Versuch des Ecofin-Rates richtet sich nicht nur gegen den Konvent, sondern auch gegen den Gipfel von Thessaloniki. In Thessaloniki hat man gesagt, die Chefs und die Außenminister verhandeln, und nicht die Sektorräte, und ich kann die italienische Präsidentschaft nur auffordern, sich gegen diese Versuche zur Wehr zu setzen. Sie sollten das nicht zulassen und sollten die Sektorräte wirklich nicht respektieren, genauso wenig wie politische Vorschläge, die die juristischen Dienste machen. Technische Vorschläge ja, aber ich sehe, dass auch im Bereich der Verteidigungspolitik hier politische Vorschläge gemacht werden, zum Beispiel die Beistandsklausel zu kippen, die strukturierte Zusammenarbeit kippen. Das ist doch alles eine Substanzveränderung. Der Konvent hat eine gute Atmosphäre geschaffen. Die Regierungskonferenz ist dabei, eine schlechte Atmosphäre zu verbreiten, und das können wir für das wichtige Jahr 2004 nicht gebrauchen.
(Beifall)
Lage (PSE). – (PT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren Abgeordneten! Nur mit Ironie oder Humor – denn schon Rabelais nannte „Lachen das Eigenste des Menschen“ – können wir von Fortschritten bei der Arbeit der Regierungskonferenz sprechen. Korrekter wäre es wohl, von Rückschritten statt Fortschritten zu reden. Doch das Scheitern der Regierungskonferenz, der Europäischen Union eine Verfassung zu geben, die dieses Namens würdig ist, wäre mit Sicherheit eine große Enttäuschung für die europäischen Bürger, die sich ganz klar betrogen fühlen würden. Immerhin hat sich die übergroße Mehrheit der Europäer der Idee einer Verfassung angeschlossen, aufgrund ihrer Symbolkraft und ihrer mobilisierenden Rolle. So zeigt eine jüngste Erhebung in Portugal, dass 69 % der Portugiesen für die Verfassung und nur 9 % dagegen sind, und in anderen europäischen Ländern sieht es ja nicht viel anders aus.
Inzwischen liegt die Verfassung vor und kann ohne weiteres bis zum 5. Dezember angenommen und in Rom, der Ewigen Stadt, unterzeichnet werden. Alles, was die Mitgliedstaaten tun müssen, ist, den aus dem Konvent hervorgegangenen Entwurf zu übernehmen und die verhängnisvolle Idee aufzugeben, ihn umzuschreiben oder auseinander zu nehmen. In der Tat gibt es Staaten, die Europa scheinbar eine Absage erteilen wollen, die von ihrer Größe oder – im Gegensatz dazu – ihrer Kleinheit besessen sind. Andere fordern scheinbar lediglich Rechte und keine Pflichten, wieder andere sorgen sich mehr darum, Blockademinderheiten zu schaffen denn Mehrheiten für die Arbeit. Wenn dies eintritt und nationale Egoismen sich durchsetzen, welche Zukunft hätte der europäische Geist und der mit dem europäischen Aufbauwerk verbundene historische Idealismus? Das wäre ihr Todesstoß, ihr endgültiger Untergang.
Auch ich möchte, wie viele europäische Bürger, eine stärker föderale, sozialere Verfassung mit einer echten Gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik. Diese Verfassung muss, wie es sich für einen solchen Text gehört, ihre Legitimität von den Bürgern, durch ein Referendum erhalten. Ich akzeptiere und unterstütze jedoch den gegenwärtigen Text, der sowohl formell als auch inhaltlich einen gewaltigen Fortschritt darstellt und eine neue Ära des europäischen Konstitutionalismus einleitet. Deshalb sage ich: „Es lebe die Verfassung!“
Antonione,Rat. – (IT) Herr Präsident, zunächst möchte ich sämtlichen Mitgliedern des Europäischen Parlaments, die das Wort ergriffen haben, für ihren wertvollen Beitrag zur Gestaltung des neuen Verfassungsvertrags meinen Dank aussprechen.
Selbstverständlich können diese, bisweilen auch kritischen, Beiträge uns, die wir als amtierende Ratspräsidentschaft für die Durchführung der Beratungen der Regierungskonferenz verantwortlich sind, unsere Aufgabe nur erleichtern. Dennoch möchte ich versuchen, Sie hinsichtlich des scheinbar ausweglosen und schwierigen Verhältnisses zwischen der Regierungskonferenz und dem Europäischen Parlament zu beruhigen. Ich will nicht behaupten, es gäbe keine Probleme – in meiner einleitenden Erklärung habe ich einige davon hervorgehoben –, aber wir müssen auch begreifen, dass in dieser Phase der Diskussion innerhalb der Regierungskonferenz die Länder zwangsläufig versuchen, nicht zuletzt aus taktischen Gründen, während der Verhandlungen bestimmte Positionen aufrechtzuerhalten.
Ehrlich gesagt sollte jeder von uns, die wir ja ein Minimum an Verhandlungserfahrungen besitzen, wissen, dass dieses verhandlungstypische Feilschen oftmals bedeutet, dass es den Anschein haben kann, die Positionen seien bis zum letzten Moment weit voneinander entfernt. Ich denke, auch die an der Regierungskonferenz teilnehmenden geschätzten Mitglieder des Europäischen Parlaments können bestätigen, dass dort zumindest alle ihre Absicht bekundet haben, einen Weg zu finden, um den vom Europäischen Rat in Thessaloniki festgelegten Zeitplan, der die Unterzeichnung des neuen Verfassungsvertrags noch vor den nächsten Europawahlen ermöglichen soll, einzuhalten, und dass wirklich alle wünschen, keinen Kompromiss auf niedrigerem Niveau zu schließen. In diesem Sinne möchte ich Ihnen versichern, dass sich der italienische Ratsvorsitz verpflichtet, wirklich keine Situationen entstehen zu lassen, die am Ende zu einem unbefriedigenden Ergebnis führen könnten. Andererseits schlägt für den demokratischen Prozess, so umstritten er auch sein mag – insofern, als ihn viele in Frage gestellt haben –, ohnehin die Stunde der Wahrheit, denn wir alle wissen, dass das Endprodukt der Regierungskonferenz von den nationalen Parlamenten, vom Europäischen Parlament und in einigen Fällen sogar durch die Bürger im Rahmen eines Referendums geprüft wird, und das wird die wahrhafte und endgültige Feuerprobe für die Arbeiten der Regierungskonferenz sein.
Schon jetzt ein Scheitern zu prophezeien und zu behaupten, es gebe keine Fortschritte und man sei im Grunde genommen an einen toten Punkt angelangt, hilft uns deshalb nicht weiter und entspricht zudem nicht der Wahrheit. Es entspräche aus den Gründen nicht der Wahrheit, die ich soeben erwähnt habe: das sind taktische Elemente, die auch als solche gesehen werden müssen und nicht für etwas anderes gehalten werden dürfen, ganz einfach, weil es nicht darum geht, jedes Problem für sich zu lösen – denn dann könnte jedes Mal behauptet werden: „das wurde bereits erörtert und gelöst“ –, sondern vielmehr darum, zu begreifen, dass bei einem so extrem schwierigen Unterfangen nur Gesamtbetrachtungen angestellt werden können und demnach am Ende der Beratungen der Vorschlag, den wir als amtierende Ratspräsidentschaft vorlegen und der hoffentlich weitgehend angenommen werden kann und auch das höchste Niveau verkörpert, im Ganzen bewertet werden muss.
Ich möchte noch ganz kurz auf einige Punkte eingehen, die am häufigsten angesprochen wurden, denn selbstverständlich ist es mir, auch aus Zeitgründen, nicht möglich, allen zu antworten. Was den Rat „Gesetzgebung“, eine mehrfach in den Wortmeldungen angeschnittene Frage, anbelangt, so haben wir diese als amtierender Ratsvorsitz auf Ersuchen des Europäischen Parlaments und gemäß der von Herrn Frattini während der Anhörung des Ausschusses für konstitutionelle Fragen übernommenen Verpflichtung, an die der Ausschussvorsitzende, Herr Napolitano, erinnert hat, auf der ersten Tagung der Regierungskonferenz am 4. Oktober in Rom und dann erneut auf der letzten Tagung der Außenminister zur Sprache gebracht, obwohl wir eine eindeutige, breite politische Ablehnung dieses Vorschlags festgestellt hatten. Uns war kein Erfolg beschieden, doch wir wollten die Diskussion über diesen Punkt offen halten, weil wir der Ansicht sind, dass zum einen die Arbeit des Konvents und zum anderen die Forderungen des Europäischen Parlaments dergestalt sind, dass dieses Thema in irgendeiner Form in den endgültigen Vorschlag aufgenommen werden kann. Eine dementsprechende Verpflichtung hat Herr Frattini just am Ende der Beratungen der letzten Tagung der Regierungskonferenz übernommen.
Was die Verfahren der Revision des Verfassungsvertrags – ein Punkt, der nicht vom Konvent behandelt wurde – betrifft, so ist denen, die an den Arbeiten der Regierungskonferenz teilnehmen, wohl bekannt, dass der italienische Ratsvorsitz vorgeschlagen hat, auch darüber eine Debatte einzuleiten, wobei sich die Beratungen auch in diesem Fall bisweilen sowohl methodisch – weil das Thema nicht vorgesehen war – als auch inhaltlich, weil eine keineswegs unerhebliche Grundsatzdiskussion vom Zaun gebrochen wurde, recht schwierig gestalteten: es wird nämlich eine Debatte darüber eröffnet, ob es sich wirklich um eine Verfassung handelt. Nun fingen einige Länder an, zu sagen, dass, wenn von einer Verfassung gesprochen wird, das ein ganz anderes Problem ist und sie niemals irgendjemanden ein Mandat erteilt haben, über eine Verfassung zu verhandeln. Sie werden daher verstehen, dass es nicht gerade leicht ist, in all diesen Fragen voranzukommen, doch auch in dieser Hinsicht wollte Herr Frattini, der die Beratungen der Regierungskonferenz leitet, die Diskussion offen halten, indem er sagte, er hoffe auf die Möglichkeit einer Gesamtbetrachtung, um zu begreifen, dass je effizienter auf der Suche nach einer Lösung vorgegangen wird, die getroffenen Vereinbarungen erforderlichenfalls um so leichter geändert werden können. Auch diesbezüglich verpflichten wir uns, darauf zurückzukommen.
Zu der Frage, die Sie als eventuell vorrangig bezeichnet haben, und die gewiss sehr wichtig ist, nämlich der Beitrag des ECOFIN-Rates, kann ich schließlich nur wiederholen, was Herr Frattini gesagt hat, d. h. dass der italienische Ratsvorsitz keine wie auch immer gearteten Vorschläge irgendeiner Ratsformation akzeptiert, auch nicht, wenn sie vom ECOFIN-Rat stammen.
(Beifall)
Sie akzeptiert solche Vorschläge nicht, weil sie von der Sache her unannehmbar sind, weshalb ich mit allen Mitgliedern des EP übereinstimme, die diese Unannehmbarkeit mit dem Hinweis bekräftigt haben, dass wir uns diesen Grundsatz völlig zu Eigen gemacht haben. Falls jedoch irgendjemand, wie es bei den Beratungen des Konvents geschah, einige Punkte vorschlagen wird, die auch in der Presse als vom ECOFIN-Rat erörterte Punkte genannt worden sind, werden wir selbstverständlich nicht umhin können, uns damit zu befassen und sie zu erörtern. Ich kann ihnen jedoch versichern, dass es unser ausdrückliches Bestreben als italienischer Ratsvorsitz ist, die Rechte des Parlaments, nicht nur des Europäischen Parlaments, sondern des Parlaments im Allgemeinen, zu schützen. Wir diskutieren nämlich über die neue Verfassung oder über den neuen Verfassungsvertrag – nennen wir es wie wir wollen, doch in diesem Geiste leiten wir die Beratungen der Regierungskonferenz –, und es ist völlig klar, dass, wenn die Rolle des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente wegfällt oder auch nur schwindet, wir nicht nur dem bevorstehenden Verfassungsvertrag, sondern auch den Bürgern Europas keinen guten Dienst erweisen würden. Deshalb kann ich für den italienischen Ratsvorsitz die Verpflichtung übernehmen, dass wir uns bemühen werden, die Rechte, die wir als absolut verteidigungswürdig betrachten, zu schützen und dabei gleichzeitig die Wünsche anderer zu berücksichtigen.
(Beifall)
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
8. Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit den Ländern Asiens und Lateinamerikas
Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt der Bericht (A5-0312/2003) von Marieke Sanders-ten Holte im Namen des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit den Ländern Asiens und Lateinamerikas und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2258/96 des Rates (KOM(2002) 340 – C5-0368/2002 – 2002/0139(COD)).
Sanders-ten Holte (ELDR), Berichterstatterin. – (NL) In bestimmten Weltgegenden gerät die Tatsache, dass dieses Hohe Haus Mitgesetzgeber ist, bisweilen in Vergessenheit. Die derzeitige ALA-Verordnung wurde vor 10 Jahren als gemeinsame Verordnung für die asiatischen und lateinamerikanischen Länder angenommen. Obwohl das Parlament seither für zwei derart unterschiedliche Regionen nachdrücklich zwei gesonderte Verordnungen gefordert hat, wurde von der Kommission indes erneut ein einziger Vorschlag unterbreitet, mit dem sie die bestehende Verordnung aktualisieren möchte und darin gleichzeitig die Verordnung über die Hilfe für entwurzelte Bevölkerungsgruppen in den Ländern Asiens und Lateinamerikas, die Ende nächsten Jahres auslaufen wird, aufzunehmen gedenkt. Als habe es den Entschließungsantrag dieses Parlaments nie gegeben. Der Ausschuss für Entwicklung und Zusammenarbeit schlägt deshalb mit seinen Änderungsanträgen die Aufteilung der Verordnung in zwei gesonderte Verordnungen vor, und als Berichterstatterin lege ich großen Wert darauf, Ihnen seine Botschaft zu übermitteln. Selbstredend werden mit dem Rat noch eingehende Beratungen darüber zu führen sein, doch ist sich jeder darüber im Klaren, dass eine Unterscheidung getroffen werden muss.
Nun zum Inhalt. Die Kommission möchte für ihre Maßnahmen auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit in beiden Regionen einen „einfachen Rechtsrahmen“. In der Tat, es ist ein wahrlich sehr leichter Rahmen geworden. Wie es in den Millennium-Entwicklungszielen heißt, besteht das Hauptziel der Entwicklungszusammenarbeit in der Bekämpfung der Armut sowie letztendlich in ihrer Ausrottung. In dem Kommissionsvorschlag kann ich keinen präzisen Hinweis darauf finden, und auch andere Ziele wie Bildung, Gesundheitsfürsorge, Umwelt und Demokratisierung werden nicht darin genannt. Als Erstes fordere ich deshalb, dass 35 % der Ausgaben für die soziale Infrastruktur bereitgestellt werden müssen, wie wir dies regelmäßig seit 2001 im Haushaltsplan vorgesehen haben. Mindestens 20 % davon müssen für die medizinische Grundversorgung und die Grundausbildung zur Verfügung gestellt werden, denn diese Millennium-Ziele sind bis jetzt ziemlich schlecht weggekommen.
Zweitens stellt insbesondere die Bildung ein ganz wichtiges Instrument zur Bekämpfung der Armut dar. Alle haben Anspruch auf Bildung und müssen Zugang zu sämtlichen Bildungsformen erhalten, ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihres Alters. Eine unverhältnismäßig große Zahl der Armen in den Entwicklungsländern sind Frauen, aber gerade ihnen wird dieses Recht oft verwehrt. Sie sind die Wasserträgerinnen. Deshalb fordere ich nachdrücklich das Gender Mainstreaming sowie sogar besondere Aufmerksamkeit für Frauen und Mädchen, und zwar nicht nur in der Bildung und der Gesundheitsfürsorge, sondern auch im sozialen, wirtschaftlichen und vor allem politischen Bereich. Als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft muss den Frauen darin die Wahrnehmung einer aktiven Rolle ermöglicht werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Beteiligung der Entwicklungsländer. Die gescheiterten WTO-Verhandlungen in Cancún haben die Forderung der Entwicklungsländer nach voller Mitsprache nochmals deutlich unterstrichen. Da sie weder auf Regierungsebene noch auf den darunter liegenden Ebenen ein Mitspracherecht besitzen, müssen bei der Ausarbeitung der Strategiepapiere, Mehrjahresrichtprogramme und jährlichen Aktionspläne für Entwicklungszusammenarbeit unbedingt sämtliche Beteiligten konsultiert werden. Damit meine ich nicht nur die nationalen, regionalen und lokalen Behörden, sondern auch die Mitglieder der Parlamente in diesen Ländern, die Nichtregierungsorganisationen, die Privatwirtschaft sowie alle anderen zivilgesellschaftlichen Akteure. Sie können, da sie mit den Eigenbedürfnissen bestens vertraut sind, genau angeben, was benötigt wird. Das war auch eines der Hauptanliegen, das von denjenigen vor Ort an uns herangetragen wurde. Nur auf diese Weise kann bei den verschiedenen Politikbereichen und Aktionen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit eine Form des Eigentums für sämtliche Bevölkerungsschichten begründet werden. Dieses Hohe Haus ist, jetzt und in Zukunft, als Mitgesetzgeber an der europäischen Entwicklungspolitik zu beteiligen. Die Kommission muss daher die von mir genannten Strategiepapiere dem Parlament vorlegen. Mir erscheint es als eine Selbstverständlichkeit, dass in diesem Zusammenhang nicht nur eine Beschreibung der sektoralen und sektorübergreifenden Prioritäten sowie der spezifischen Ziele, sondern auch der erwarteten Ergebnisse auf der Grundlage geeigneter Leistungsindikatoren gegeben werden muss. Als Niederländerin und Liberale lege ich großen Wert darauf, dass das Geld der Steuerzahler sinnvoll und effektiv ausgegeben wird. Geprüft werden kann dies nur, wenn präzise Ziele und Leistungsindikatoren festgelegt werden.
Schließlich möchte ich hier nochmals betonen, dass die Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Asien und Lateinamerika einen modernen Rechtsrahmen erfordert, in dem sowohl die Armutsbekämpfung als auch der Kampf gegen Ungleichheit ihre Eigendynamik besitzen.
Meinen Kolleginnen und Kollegen möchte ich für ihre Zusammenarbeit herzlich danken. Wir haben hervorragende Diskussionen geführt, und wenngleich dabei nicht immer Einvernehmen erzielt worden ist, sind sie im Lichte unseres gemeinsamen Ziels meines Erachtens gleichwohl als außerordentlich wertvolle Gespräche zu betrachten.
Piscarreta (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Haushaltsausschusses. – (PT) Herr Präsident! Die Kommission hat einen Vorschlag über die Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit den Ländern Asiens und Lateinamerikas mit einer bestimmten Gültigkeitsdauer vorgelegt, obwohl der Finanzrahmen lediglich für den Zeitraum 2003-2006 festgelegt ist.
Dieser Vorschlag sieht eine generelle Steigerung der Zusammenarbeit mit diesen Regionen vor und benennt gemeinsame Regeln und Verfahren, die einzuhalten sind, wie etwa Verfahren für die Ausführung und Entscheidungsfindungsprozesse. Dieser Text ermöglicht der Kommission ein hohes Maß an Flexibilität, denn er enthält keine politischen oder operativen Leitlinien. In Bezug auf die verfügbaren Mittel empfiehlt die Kommission einen Finanzrahmen von insgesamt 3,793 Mrd. EUR für den Zeitraum 2003-2006, und zwar mit 60 % für Asien und 40 % für Lateinamerika.
Als Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Haushaltsausschusses habe ich einige Änderungsanträge eingebracht, die ich für maßgebend halte. Obwohl die Rubrik IV des Haushalts „Außenpolitik und Entwicklung“ mit erheblichen finanziellen Zwängen konfrontiert ist, sind die von der Kommission vorgelegten Beträge meines Erachtens mit dem Finanzvolumen vereinbar. Dennoch habe ich Wert darauf gelegt, dass man an der notwendigen Verbesserung in der Umsetzung der Zusammenarbeit festhält, insbesondere bei der Umsetzung der versprochenen Zuweisungen in tatsächliche Zahlungen für diese Regionen. Für beide stehen ja noch Zahlungen (RAL) in Höhe von 3,45 Mrd. EUR aus. Außerdem habe ich die Aufrundung des Gesamtbetrags auf 3,8 Mrd. EUR vorgeschlagen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der Haushalt 2003 inzwischen mit einem größeren Umfang als von der Kommission vorgeschlagen verabschiedet wurde.
Nicht zuletzt habe ich angeregt, dass es aus haushaltspolitischer Sicht besser wäre, für diese beiden Regionen keine Untergrenzen einzuführen, was die Flexibilität einschränken würde. Stattdessen sollte es in der Verordnung einen Gesamtfinanzierungsrahmen geben. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, dass die Europäische Union zur Beseitigung der Armut, zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und für die Einhaltung der Menschenrechte, der Minderheitenrechte und der Rechte der indigenen Bevölkerungen sowie zur Demokratie, zur verantwortungsvollen Staatsführung und zur Bekämpfung der Ungleichheiten beiträgt.
Ich möchte darüber hinaus erwähnen, dass der Haushaltsausschuss für die Einrichtung eines Solidaritätsfonds für diese Region gestimmt hat, was sich sicher als äußerst positive Initiative erweisen wird.
Fernández Martín (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, die Bestimmungen zur Regelung der Zusammenarbeit der Union mit den Ländern in Asien und Lateinamerika sind zehn Jahre alt. In zehn Jahren hat es in der Welt gewisse Veränderungen gegeben. In Asien haben einige Länder Fortschritte bei der Konsolidierung ihrer Demokratien gemacht und einen Aufschwung in ihrer Entwicklung erfahren. In anderen asiatischen Ländern hat sich die Lage in allen Bereichen des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens bedauerlicherweise verschlechtert.
In Lateinamerika befinden sich nach einem Jahrzehnt des Fortschritts bei der Entwicklung der Demokratie, den achtziger Jahren, und einem weiteren Jahrzehnt wirtschaftlicher Reformen die Gesellschaften aller Länder mit gewissen bemerkenswerten Ausnahmen in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise.
In beiden Regionen hat die Bekämpfung der Armut nicht nur keine nennenswerten Erfolge erbracht. Im Gegenteil, in Bangladesh und in Haiti, in Afghanistan und in Bolivien fallen immer mehr soziale Schichten der Armut zum Opfer. In einigen Städten, die heute tragischerweise für ihre Missstände bekannt sind, wie Kalkutta, besteht kein Anlass zu Optimismus. In anderen aber, wie in Tucumán, immerhin in Argentinien, sind Armut und Hunger – chronischer Hunger bei den Kindern – bisher unbekannt gewesen.
Deshalb halten wir den Vorschlag, den die Kommission uns mit dieser Verordnung vorlegt, für zeitgemäß und begrüßen ihn. Durch die Verordnung werden die bisher geltenden Bestimmungen geändert und aktualisiert. Das Parlament sprach sich in Ziffer 61 seiner Entschließung vom 15. November 2001 für eine Teilung des ursprünglichen Kommissionsvorschlags in einen Vorschlag für Asien und einen für Lateinamerika aus. Dies ist der einzige Einwand, den wir gegen den Vorschlag vorbringen, der heute erörtert wird. Es ist sicherlich kein geringer Einwand, aber ich möchte unterstreichen, dass wir den Vorschlag der Kommission grundsätzlich befürworten und unterstützen.
Wir befürworten die Ziele, die unserer Verpflichtung zur Bekämpfung der Armut Rechnung tragen, nicht nur in Hinblick auf die Finanzierung und Kofinanzierung von Vorhaben zur Förderung der Entwicklung, sondern mit dem Schwerpunkt auf der Bildung, dem Gesundheitswesen und der Stärkung der Zivilgesellschaft zur Festigung der Demokratie, der Transparenz und der guten Regierungsführung. Ohne dies wird weder die Demokratie gestärkt, noch kann die gewünschte Entwicklung ihre Ziele erreichen.
Wir befürworten den Finanzrahmen, die immer größere Rolle, die den Ländern, mit denen wir zusammenarbeiten, zukommt. Und wir befürworten die Schritte, die beim Prozess der Entkopplung der Hilfen in der Art unternommen werden, wie sie mit kürzlich angenommenen Verordnungen beabsichtigt wird.
All dies wollen wir mit unseren Änderungsanträgen erreichen. In einer formellen Frage vertreten wir einen anderen Standpunkt, den wir aufgrund unserer Philosophie und unserer Vorstellung von der europäischen Politik gegenüber solchen vorrangigen Regionen wie Asien und Lateinamerika, nicht aufgeben können.
Herr Patten, dies ist keine Frage des politischen Prestiges. Es geht auch nicht darum, einer Region den Vorrang vor einer anderen einzuräumen, wie einer unserer Kollegen dies in dieser Sitzung sagte.
Während der letzten Monate der parlamentarischen Verhandlungen haben wir mit vielen betroffenen Regierungen gesprochen, mit ihren Botschaftern hier in Brüssel, und vielen, vielen NRO, die sowohl in Asien als auch in Lateinamerika arbeiten. Alle, ich wiederhole, ausnahmslos alle haben uns erklärt, dass sie zwei Verordnungen vorziehen, eine für Asien und eine für Lateinamerika.
Wenn wir sagen, und auch die Kommission sagt, dass das Prinzip der Mitbeteiligung in unserer Zusammenarbeit ab der Festlegung der Programme gelten soll und nicht erst in der Phase der Verwaltung und der Durchführung eines Projekts, ist es nicht einsichtig, wenn wir jetzt das Gegenteil tun.
Heute, morgen bei der Abstimmung, kann ein Mitentscheidungsverfahren eingeleitet werden, bei dem das Parlament auf seine Befugnisse weder verzichten will noch kann. Wir sind der Ansicht, dass dabei ein Spielraum für Verhandlungen mit dem Rat besteht.
Abschließend möchte ich der Berichterstatterin, meiner Kollegin und Freundin Sanders-ten Holte, gratulieren. Sie hat gut gearbeitet. Sie hat alles versucht, und sie hat es sehr gut gemacht. Und ich danke Ihnen, Herr Patten, für Ihre Bereitschaft zum Dialog, in dem wir, so hoffe ich, in den kommenden Monaten Fortschritte erreichen können.
VORSITZ: ALJEJO VIDAL-QUADRAS ROCA Vizepräsident
Sauquillo Pérez del Arco (PSE). – (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar, als das Europäische Parlament 1988 als Haushaltsbehörde erreichte, dass die Mittel für die Zusammenarbeit mit Lateinamerika und Asien verschiedenen Haushaltslinien zugewiesen werden, wurde ein entscheidender Schritt bei der Regionalisierung der Außenbeziehungen der Gemeinschaft vollzogen. Diese Ausrichtung hat sich als diejenige durchgesetzt, die mit der Vorstellung von der Funktionalität und Besonderheit der Gemeinschaftspolitik am besten zu vereinbaren und die in Hinblick auf die Entwicklung die wirksamste ist.
Jetzt muss das Parlament bei der Ausübung seiner Rechtsetzungsbefugnisse zur Änderung der ALA-Verordnung Stellung nehmen, die die Zusammenarbeit mit beiden Regionen gemeinsam umfasst. In Übereinstimmung mit diesem Ansatz, für den die einstimmige Zustimmung des Parlaments zum Bericht Salafranca über eine umfassende Partnerschaft mit Lateinamerika im Ausschuss für Entwicklung und Zusammenarbeit, im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik und in den Delegationen für Mittelamerika und den Mercosur ein Beispiel ist, haben wir uns mit überwältigender Mehrheit für zwei getrennte Verordnungen ausgesprochen, eine für Asien und eine für Lateinamerika.
Morgen wird es eine Abstimmung geben, die für die beiden Regionen und für Europa so historisch und bedeutsam sein wird wie die seinerzeitige Abstimmung über die Aufteilung der Haushaltslinien. Die sozialistische Fraktion unterstützt das Bestehen zweier getrennter Verordnungen. Das entspricht einem langen Weg, dessen höchsten Punkt wir nun erreicht haben. Denn wir glauben, dass Lateinamerika und Asien es verdienen, zumindest genauso wie die anderen Entwicklungsregionen behandelt zu werden. In diesem Sinne haben Vertreter sowohl der Politik als auch der Zivilgesellschaft der beiden Regionen uns gegenüber ihren Wunsch bekundet, eigene Verordnungen und Programme zu haben. Wir unterstützen dies, weil wir davon überzeugt sind, dass die Vorteile für die Bevölkerung beider Regionen, das Hauptziel beider Verordnungen, viel größer sein werden als die Verwaltungsschwierigkeiten, die von der Kommission befürchtet werden. Diese Schwierigkeiten werden sich letztlich auf eine heilsame Teilung des jetzigen ALA-Ausschusses in zwei und auf eine Neuaufteilung des Personals beschränken. Und schließlich unterstützen wir diese Verordnungen auch, weil wir großen Respekt für unsere eigenen legislativen Aufgaben haben.
Das politische Signal, das wir der Bevölkerung Asiens und Lateinamerikas mit diesen beiden Verordnungen senden, ist besonders ermutigend in dieser Zeit der Erweiterung, der Ausdehnung Europas nach Osten und der Kürzung der Mittel für die Zusammenarbeit, um andere Aufgaben wahrzunehmen, die vielleicht dringender, aber nicht notwendiger sind.
Herr Präsident, ich möchte abschließend darauf hinweisen, dass die Änderungsanträge zum Inhalt der Verordnungen, zu denen ich Frau Sanders-ten Holte und das Sekretariat des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit sehr beglückwünsche, die Qualität unseres Beitrags zur Bekämpfung der Armut spürbar verbessern werden. Die politischen Signale, die in Regionen zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika ausgesendet werden, und die Notwendigkeit, die Maßnahmen der Europäischen Union auf dem asiatischen Kontinent zu verstärken, werden so bekräftigt.
Rod (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident, die Revision dieser Verordnung war ein harter Brocken. Zuerst schlug man uns ein Kooperationsabkommen vor, das offen gestanden eher einem Freihandelsabkommen ähnelte als einem Entwicklungsprogramm. Dieses Vorgehen hat uns nicht sonderlich erstaunt, denn es ordnet sich ein in die derzeitige europäische Politik, die darauf abzielt, die Logik der gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik zu verändern. Es ist uns jedoch gelungen, in den Mittelpunkt dieser Verordnung wieder die nachhaltige Entwicklung, verbunden mit sozialen und ökologischen Zielsetzungen, zu rücken. So sollen insbesondere 10 % der Mittel dieses Programms für die Bewahrung und die nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen und 35 % für die sozialen und gesundheitlichen Infrastrukturen aufgewendet werden. Zu den Grundprinzipien der europäischen Kooperationspolitik in diesen Regionen gehören ferner die Menschenrechte, besonders die Rechte der Frauen, die Minderheitenrechte, die Rechte der eingeborenen Bevölkerung und die Bekämpfung der Ungleichheit. Schließlich haben wir erreicht, dass die Zivilgesellschaft in die Festlegung der mehrjährigen Entwicklungspläne einbezogen wird. Die Armutsbekämpfung muss also das erste Ziel der nationalen Programme sein, die zwischen jedem einzelnen Land und der Kommission ausgehandelt werden. Da das Parlament nicht angehört wird, mussten diese vorgelagerten Schutzmechanismen eingebaut werden, und das haben wir im Ausschuss für Entwicklung und Zusammenarbeit getan.
Ich bitte Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, nicht aus institutionellen Gründen einen Text in Frage zu stellen, dem man endlich einen politischen Inhalt gegeben hat. Warum sollte man zwei Verordnungen verlangen, eine für Asien und eine für Lateinamerika, anstatt einer Verordnung, die in mehrere Kapitel unterteilt ist? Wir sollten besser darum kämpfen, dass die Hilfe insgesamt erhöht wird, als darum, welcher Kontinent mehr bekommt. Für mich ist es nicht von Belang, ob das Geld nach Asien oder nach Lateinamerika fließt, sofern es den Ärmsten zugute kommt. Und aus diesem Grunde wollen wir eine parlamentarische Kontrolle. Wir haben leider viel Energie aufgewendet und viel Zeit verloren für einen Disput, der mir angesichts der in Asien und in Lateinamerika bestehenden Herausforderungen recht belanglos vorkommt. Ich glaube, das Wesentliche besteht darin, für den Inhalt dieser Verordnungen zu kämpfen, den Inhalt, den wir heute diesen Kapiteln geben, denn das erwartet die Bevölkerung sowohl in Asien als auch in Lateinamerika gegenwärtig von uns.
Belder (EDD). – (NL) Zwar begrüße ich die Klarstellung des Ziels der Verordnung für Asien und Lateinamerika durch die Berichterstatterin, bezüglich der Armutsbekämpfung stellt sich jedoch die folgende Frage: Wo liegt der Mehrwert gegenüber der nationalen Entwicklungszusammenarbeit? Bei der Armutsbekämpfung besteht die Gefahr der Doppelarbeit, was die von den Mitgliedstaaten unternommenen Anstrengungen anbelangt. Der Zweck der Verordnung könnte mithin präziser formuliert werden. Hinsichtlich der Stärkung der Handelskapazität ist die Komplementarität offenkundig. Der komplementäre Aspekt betrifft die Entwicklungszusammenarbeit und ist auf die europäische Handelspolitik bezogen.
Zweitens ist der in dem Bericht vorgeschlagene biregionale Solidaritätsfonds nicht wünschenswert. Ein Fonds muss exakt definierte Ziele haben. Solidarität beinhaltet ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das in sozialen Kontexten Gestalt annimmt, durch Bürgernähe gekennzeichnet ist und auf innerem Engagement beruht: Man denke an die von Christus gelehrte Barmherzigkeit. In einem interkontinentalen Rahmen findet diese Hilfsbereitschaft jedoch ihren Ausdruck durch konkrete politische Maßnahmen sowie durch Kofinanzierungsorganisationen. Ein Solidaritätsfonds ist hier unangebracht.
Ich danke der Berichterstatterin – die übrigens meine Landsmännin ist –, dass sie sich für eine gute Sache eingesetzt hat.
Salafranca Sánchez-Neyra (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, ich glaube, Kommissar Patten weiß, dass ich mich immer bemüht habe, mich mit meiner Tätigkeit für die Kommission zu engagieren und sie zu unterstützen. Ich gehöre nicht zu den Abgeordneten, die die Kommission für eine Versammlung staatenloser Bürokraten hält, sondern ganz im Gegenteil, ich halte sie für eine Institution, die im europäischen Aufbauwerk eine Schlüsselrolle spielt.
Aber die Kommission weiß auch, dass diese Unterstützung und dieses Engagement nicht als Blankoscheck verstanden werden dürfen. Das Parlament hat ein Recht auf seine Meinung. Meines Erachtens würde das Parlament seinen Namen nicht verdienen, wenn es nicht verantwortungsvoll seine Aufgaben wahrnähme und die Kommission in demokratischer Weise überwachte und überprüfte, wenn es kein Parlament wäre, das debattiert, ablehnt, genehmigt und berichtigt.
Dies ist genau die Arbeit, um die es jetzt geht. Eine Arbeit, bei der das Parlament seine Aufgaben selbstsicher im Rahmen der Zuständigkeiten ausführt, die ihm die Verträge zuweisen, und überdies in einem Bereich, in dem das Mitentscheidungsverfahren angewendet wird.
Herr Präsident, man findet schwerlich einen Bericht, bei dem in diesem Hohen Haus ein größerer Konsens bestand. Ein Konsens, der in einem Vorschlag zum Ausdruck kommt, in dem eine Verordnung für Asien und eine Verordnung für Lateinamerika gefordert wird, in der Überzeugung, dass die Besonderheiten der beiden Regionen in einer gesonderten Verordnung für jede von ihnen besser berücksichtigt werden können; um Übereinstimmung mit den Haushaltsbestimmungen sicherzustellen, wie Frau Sauquillo sagte, und auch, damit Lateinamerika und Asien genauso behandelt werden wie andere Regionen, um somit jegliche Diskriminierung zu vermeiden.
Ich sagte, dass in diesem Hohen Haus ein Konsens erreicht wurde, der schwerlich noch einmal zustande kommen wird. Denn diesen Standpunkt vertrat das Plenum, ihn vertraten der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik, die zuständigen Delegationen und ebenso der federführende Ausschuss für Entwicklung und Zusammenarbeit. Und dies nicht mit knapper Mehrheit, sondern mit 26 Ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen, eine davon der Berichterstatterin.
Der andere Aspekt, den die Fraktion der Berichterstatterin mittels der Änderungsanträge in Frage stellt, ist die Einrichtung eines biregionalen Solidaritätsfonds. Dies überrascht, denn es handelt sich dabei um eine Initiative, die alle Fraktionen im Plenum bereits unterstützt haben, einschließlich der Fraktion der Berichterstatterin. Diese Initiative wurde aus ordnungspolitischer Sicht gebilligt, sie erfordert keine zusätzlichen Finanzmittel, sie wurde vom Haushaltsausschuss im Haushaltsplan 2004 genehmigt. Diese Initiative ist im Zusammenhang mit den Prioritäten des nächsten Gipfeltreffens Europäische Union/Lateinamerika zu sehen, das im nächsten Jahr in Mexiko stattfindet und zu dem wir keine besonderen Vorschläge auf den Tisch legen können.
Dies überrascht vor allem, weil es keine Initiative ist, mit der verhindert werden soll, dass die im Bereich der Koexistenz und der Demokratisierung erreichten Fortschritte wegen der heiklen sozialen Lage gefährdet werden, wie dies kürzlich der Fall Boliviens zeigte.
Am meisten aber überrascht, dass eines der verwendeten Argumente, das als gewichtiges Argument gegen den Vorschlag vorgebracht wird, der Standpunkt des Ministerrat ist, als ob die Europäische Kommission dem Ministerrat verantwortlich wäre und dessen Standpunkte ernster nehmen müsste als die des Parlaments.
Herr Präsident, dies ist ein sehr bezeichnender Fall, bei dem das Parlament einen Teil seiner Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, einen Teil seines Ansehens und seines Rufs als Institution.
Daher bitte ich Sie, Herr Kommissar, dass die Kommission den Vorschlag billigt, sollte ihn das Plenum morgen in der vom Entwicklungsausschuss gebilligten Form annehmen. Nicht als Demonstration der Selbstherrlichkeit, sondern als Demonstration der Kohärenz. Es geht auch nicht darum, die Autorität der Kommission zu untergraben, sondern ganz einfach um die normale Wahrnehmung der Zuständigkeiten, die dem Parlament gemäß dem in den Verträgen verankerten Gleichgewicht zwischen den Institutionen zugewiesen sind.
Scheele (PSE). – Herr Präsident! Ich möchte mich den vielen Glückwünschen an die Berichterstatterin anschließen. Sie hat heute einen sehr guten und einen sehr markanten Bericht präsentiert. Ich denke, dass der Bericht des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit die Verordnung – oder wie wir alle hoffen: die Verordnungen – inhaltlich besser gestaltet. Der Bericht der Kollegin Sanders-ten Holte zeigt klar auf, dass es nicht nur darum geht, in Zukunft in der Zusammenarbeit mit diesen beiden Weltregionen den Handel in die Entwicklungsstrategien mit einzubinden, sondern dass es notwendig ist, klar zu sagen, dass es um die Bekämpfung extremer Armut geht, dass man, wenn man es mit Entwicklungsstrategien ernst nimmt, hier die Zivilgesellschaft in den betreffenden Ländern einbeziehen muss.
Die Maßnahmen, die vom Ausschuss für Entwicklung und Zusammenarbeit gefordert werden und wo immer unterschieden wird, ob sie für Asien oder für Lateinamerika gelten, machen ganz deutlich, dass es notwendig ist, hier in Zukunft zwei Verordnungen zu haben. Man muss für die in den Anlagen angeführten Länder keine Expertin sein, die von diesen Verordnungen oder den Projekten, die gefördert werden, profitieren, damit man die enormen, die immensen Unterschiede der beiden Regionen und daher auch die Notwendigkeit für zwei Verordnungen erkennt.
Ich danke auch der Berichterstatterin, die eigentlich immer diese Meinung geteilt hat, dass sie hier so klar Position bezieht. Nach meinen Erfahrungen in anderen Bereichen und anderen Verhandlungen mit der Kommission glaube ich, dass, wenn wir morgen eine überzeugende Mehrheit hier im Parlament für zwei Verordnungen bekommen, dies ein guter Ausgangspunkt für Verhandlungen mit der Kommission sein wird und dass sich die Kommission in dieser wichtigen Frage bewegt.
(Beifall)
Wijkman (PPE-DE).(SV) Herr Präsident! Zunächst möchte ich meiner Meinung Ausdruck verleihen, dass der Vorschlag der Kommission einige gute Aspekte aufweist. Gleichzeitig möchte ich hervorheben, dass die Berichterstatterin, Frau Sanders-ten Holte, ausgezeichnete Arbeit geleistet hat. Unter ihrer Leitung konnten wir uns während der Behandlung im Ausschuss auf eine Reihe von Ergänzungen und Änderungen einigen, die die Vorschriften sowohl besser bündeln als auch mehr auf die Armutsproblematik ausrichten.
Besonders zufrieden bin ich mit dem Basissatz von ungefähr 10 % für Umweltmaßnahmen. Umweltfragen kommen in der Entwicklungsarbeit allzu häufig zu kurz. Wir sind mit einer Menge Problemen konfrontiert, die in Angriff genommen werden müssen, insbesondere in Asien. Das betrifft Verschmutzungen genauso wie auch den Schutz von natürlichen Ressourcen. Der Großteil der armen Landbevölkerung ist effektiv weitaus mehr abhängig von dem, was wir „the gross biomass product“ nennen, d. h. was die Natur zur Verfügung stellt, als vom „the gross domestic product“,d. h. was die Wirtschaft erzeugt.
Alsdann gibt es noch den Streitpunkt, ob es für Asien und Lateinamerika eine oder zwei Verordnungen geben soll. Mir ist klar, dass das Parlament zwei Verordnungen haben möchte. Meiner Meinung nach hat die Kommission jedoch sehr gute Argumente für ihren Vorschlag. Im Laufe der letzten Jahre sind etliche Maßnahmen ergriffen worden, um die Organisation der Entwicklungszusammenarbeit effizienter zu gestalten. Es wäre abstrus, dies nun durch zwei Verordnungen zu komplizieren und damit der gerade erfolgenden Vereinfachung der Verfahren entgegenzuarbeiten. Ich finde daher Frau Sanders-ten Holtes Vorschlag ausgezeichnet, eine Verordnung aufgeteilt in zwei gesonderte Kapitel auszuarbeiten.
Das Argument, dass die Länder angeblich so unterschiedlich seien, überzeugt mich nicht. Wir haben auch nur ein Rahmenwerk für die AKP-Zusammenarbeit und damit klappt es ganz hervorragend. Herr Salafranca Sánchez-Neyra mag von 26 Ja- und keiner Nein-Stimme reden. Wenn er jedoch einmal in den Gängen zuhören würde, bekäme er mit, dass sehr viele Kollegen momentan darüber tief beunruhigt sind, dass hier ein Konflikt entsteht. Daher möchte ich meine Kollegen auffordern, unabhängig davon, was die Fraktionsführungen sagen, gegen die Änderungsvorschläge zu stimmen, die auf zwei verschiedene Verordnungen abzielen.
Kinnock, Glenys (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte der Kommission und nochmals der Berichterstatterin für die hervorragende und oftmals schwierige Arbeit, die sie geleistet hat, Dank sagen.
Ich glaube, dass es Aufgabe dieses Parlaments sein muss, sich für einfachere Regeln und Verfahren einzusetzen und auch sicherzustellen, dass wir über die Notwendigkeit einer zügigen und effizienten Beschlussfassung bei der Programmplanung Einvernehmen erzielen. Dies muss im Mittelpunkt des ganzen Reformprozesses stehen, der nach wie vor unsere große Herausforderung ist. Und dennoch werden in dieser Debatte immer wieder Forderungen laut, dass die Verfahren, Programme und Fragen, mit denen sich die Kommission befassen muss, verkompliziert und erschwert werden sollen.
Darüber hinaus macht es, was mich betrifft, überhaupt keinen Sinn, bei einer technischen und rechtlichen Verordnung vorzuschlagen, dass sie in den Ländern, mit denen wir zusammenarbeiten, die Aufgabe von Länderstrategiepapieren oder die Aufgabe der nationalen Richtprogramme, mit denen wir arbeiten, übernehmen soll. Auch dies steht im völligen Widerspruch zu dem, wofür eine Verordnung mit einer finanziellen und einer rechtlichen Grundlage gedacht ist. Meiner Ansicht nach macht die Einführung zweier getrennter Verordnungen einfach keinen Sinn und würde die Anstrengungen untergraben, die wir zur Vereinfachung und klareren Gestaltung unserer Programme unternehmen.
Herr Salafranca sprach über Glaubwürdigkeit, und unsere Glaubwürdigkeit als Parlament steht hier auf dem Spiel, wenn wir die Angelegenheiten, mit denen wir uns befassen, nicht verstehen. Unsere Strategie muss es sein, mit Lateinamerika und Asien gut zusammenzuarbeiten und die gleichen Grundsätze anzuwenden, die Kern unserer Entwicklungsprogramme sind.
Ebenso wenig gibt es eine Rechtfertigung für irgendein Argument, das für einen Mitteltransfer von Asien nach Lateinamerika spricht, zumal wir doch um die äußerste Armut von 800 Millionen Menschen in Asien wissen. In der Mitteilung der Kommission über die Entwicklungspolitik im Jahre 2000 sind wir dazu aufgerufen worden, uns wieder verstärkt auf die Ausrottung der Armut zu konzentrieren. Deshalb ist es vollkommen unangebracht, wenn wir jetzt, im Jahre 2003, eine Verordnung verlangen, mit der zwei sehr gut zusammenspielende Teile einfach getrennt werden und sich unsere Bemühungen zur Beseitigung der Armut endlos verkomplizieren.
Ich fordere das Parlament nachdrücklich auf, realistisch und konstruktiv zu sein, damit unsere wichtige Arbeit in diesen beiden Regionen fortgesetzt und verstärkt werden kann.
Deva (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Zu Beginn möchte ich meinen spanischen Kolleginnen und Kollegen aller politischen Couleur für ihren Enthusiasmus hinsichtlich ihrer früheren Kolonien danken. Ich wünschte mir, dass auch mein Land manchmal für seine nationalen Interessen so eintreten würde, wie meine spanischen Kollegen es zu tun scheinen, ungeachtet der politischen Ansichten.
Wir haben gehört, wie Herr Rod fragte, warum es nicht zwei Verordnungen geben sollte, damit man das Geld dorthin schicken kann, wo die Armen sind. Nun, sie sind in Asien. Und es gibt 800 Millionen von ihnen. Wenn die zwei Verordnungen den Zweck haben, das Geld dorthin zu schicken, wo die Armen sind, warum schicken wir dann 247 Millionen Euro von Asien nach Lateinamerika? Ich weiß, dass das Europäische Parlament bekannt dafür ist, Dinge auf den Kopf zu stellen und dies ist ein außerordentliches Beispiel dafür, wie wir es wieder einmal geschafft haben.
Wir brauchen einfache Rechtsvorschriften, die wir verstehen können, die unsere Wähler verstehen können, damit wir eine Verbindung zu unserer Wählerschaft aufbauen können. Zwei ähnliche Verordnungen einzuführen, den ganzen Prozess zu durchlaufen, der enorme bürokratische Aufwand – und gleichzeitig die Kommission zu bitten, ihre Verfahren zu vereinfachen, zu dezentralisieren und so weiter, das ist so ein Widerspruch! Warum machen wir uns darüber überhaupt Gedanken? Verzeihen Sie, wenn ich das so sage, aber machen wir uns etwa darüber Gedanken, um nett zu den Spaniern zu sein? Ich muss sagen, dass ich meistens sehr nett zu Spaniern bin, doch bei diesem Anlass werde ich es nicht sein.
Patten,Kommission. (EN) Herr Präsident! Wie dem Parlament bekannt ist, zielt der Vorschlag der Kommission darauf ab, die geltende Verordnung betreffend Asien und Lateinamerika durch einen neuen, einfachen und modernen Rechtsrahmen zu ersetzen, der mit den grundlegenden Prinzipien für die Reform der Außenhilfe im Einklang steht. Dies ist im Falle anderer Regionen bereits geschehen. Nun ist es an der Zeit, dass unsere Partnerländer in Asien und Lateinamerika in den Genuss der Vorteile dieser Reform kommen.
Von Beginn an war klar, dass im Parlament einige Bedenken hinsichtlich der Grundlage und der Art und Beschaffenheit der neuen Verordnung entstehen würden. Ich habe mit der Diskussion über diese Bedenken und über diese Rechtsvorschrift mehr Zeit verbracht als für irgendeine andere Vorschrift, für die ich verantwortlich war seit ich Kommissar bin. Ich glaube nicht, dass ich jemals mehr Treffen, mehr Beratungen in der Kommission oder mehr Gespräche im Parlament hatte. Ich habe großen Respekt vor denjenigen meiner Gesprächspartner, die mit mir nicht einer Meinung waren. Der Herr Abgeordnete Salafranca weiß eine ganze Menge über dieses Thema, doch gefühls- und verstandesmäßig bin ich diesmal auf der Seite derer, die im späteren Verlauf der Aussprache das Wort hatten und auch eine ganze Menge über Entwicklungshilfe wissen: die Frau Abgeordnete Kinnock, der Herr Abgeordnete Whitehead und der Herr Abgeordnete und mein geschätzter Freund Nirj Deva. Lassen Sie mich nur einige der Hauptargumente ansprechen.
Zunächst hat man sich in einigen Kreisen dieses Parlaments nachdrücklich für zwei Verordnungen anstatt einer stark gemacht. Zweitens besteht, wie die Vielzahl der eingebrachten Änderungsanträge zeigt, auch ein starker Wunsch nach einer detaillierteren Verordnung. Ich möchte auf diese beiden Fragen eingehen und den Standpunkt der Kommission zur Form der Verordnung wiederholen. Die Kommission legt großen Wert darauf, dass es eine einfache und eine einzige Verordnung gibt.
Warum eine einfache Verordnung? Um die Grundprinzipien der Reform der Außenhilfe zu erfüllen, die Flexibilität erfordert, um die Zusammenarbeit im Wege von Länderstrategiepapieren auf die spezifischen Bedürfnisse unserer Partner auszurichten. Das ist die Politik, die das Parlament ausdrücklich unterstützt hat.
Warum eine einzige Verordnung? Um eine Anhäufung von Rechtsinstrumenten und die Vervielfachung von Verfahren und Ausschüssen zu vermeiden; kurz gesagt, um effektiver zu sein. Jedoch auch, um die Interinstitutionelle Vereinbarung über bessere Rechtssetzung zu erfüllen, die eine Vereinfachung und Verringerung des Umfangs der Rechtsvorschriften fordert. Jetzt müsste ich nur ein einziges Argument hören, warum zwei separate Verordnungen – zumal die Regeln und die Ziele für beide Regionen die gleichen sind – besser als eine sein sollen. Wie ich bereits bei zahlreichen Gelegenheiten gesagt habe, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass – wenn wir der Sichtweise einiger in diesem Parlament folgen und zwei Verordnungen unterstützen würden – dann auf den Straßen von La Paz oder gar vor den lateinamerikanischen Botschaften in Brüssel Freudentänze aufgeführt würden.
Verweise auf andere Regionen mit „eigenen“ Verordnungen – Tacis und CARDS beispielsweise – sind nach meinem Dafürhalten kaum überzeugend, da mit diesen Verordnungen andere Ziele verfolgt werden als die entwicklungspolitischen Ziele, wie sie in Artikel 177 des Vertrages aufgeführt sind und die gleichermaßen für Asien und Lateinamerika gelten. Ebenso wenig sind die Unterschiede zwischen den beiden Regionen eine Rechtfertigung für zwei Verordnungen, wie die Ähnlichkeit, ja sogar Einheitlichkeit der vorgeschlagenen Änderungen für die jeweilige Region zu bestätigen scheint.
Doch lassen Sie uns nun zum Kern der Änderungsanträge und zu den vier wichtigsten Fragen übergehen, auf die sich meiner Ansicht nach unsere weiteren Diskussionen konzentrieren sollten.
Zunächst einmal gibt es das Gesamtziel der Bekämpfung und Beseitigung der Armut. Einige der Änderungsanträge stellen darauf ab, die Linderung und Beseitigung der Armut als vorrangiges Ziel hervorzuheben. Dem kann ich nur zustimmen. Es muss allerdings auch Raum geben für die breite Unterstützung der allgemeinen Beziehungen der Gemeinschaft zu Asien und Lateinamerika, wozu die Unterstützung beim Kapazitätenaufbau gehört, um so unseren Partnern bei ihrem Kampf gegen Terrorismus, illegale Einwanderung, Menschenhandel und internationale Kriminalität zu helfen.
Zum Zweiten gibt es da ein Thema, das beispielsweise in technischer Hinsicht von meinem geschätzten Freund, Herrn Deva, angesprochen wurde: die Frage der Verteilung der Finanzmittel zwischen Lateinamerika und Asien. Der Kommissionsvorschlag zielt darauf ab, für den Zeitraum 2004-2006 bei den Mittelzuweisungen für Asien und Lateinamerika die grobe 60:40-Gewichtung, die in den vergangenen Finanziellen Vorausschauen üblich war, beizubehalten. Diese Gewichtung ist durch die Ereignisse in Afghanistan und die internationalen Verpflichtungen, die dort von der Europäischen Union eingegangen wurden, etwas aus dem Lot geraten. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass in Asien nach wie vor die mit Abstand größte Armut der Welt herrscht – etwa 800 Millionen Menschen oder circa zwei Drittel der armen Weltbevölkerung leben von weniger als einem Dollar pro Tag. Ebenfalls ist zu beachten, dass die Unterstützung aus dem Gemeinschaftshaushalt für Asien 0,15 Euro pro Kopf beträgt, verglichen mit 0,45 Euro für Lateinamerika. So gesehen fände ich eine Mittelverschiebung von Asien nach Lateinamerika nur schwer nachvollziehbar. Sollte uns die Haushaltsbehörde natürlich mehr Geld für die Außenhilfe für Asien und Lateinamerika zur Verfügung stellen, würde ich dem Parlament mit großer Freude Vorschläge für die Verwendung machen, doch glaube ich nicht, dass Weihnachten dieses Jahr vorverlegt wird.
Drittens stellt sich die Frage eines Solidaritätsfonds für Lateinamerika. Eine Unterstützung von sektorspezifischen Programmen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Armutslinderung in den ärmsten Ländern und Regionen Lateinamerikas könnte durch die Programmplanungs- und Durchführungsinstrumente erreicht werden, die uns bereits zur Verfügung stehen. Einen Fonds einzurichten, sich um die Beteiligung anderer Finanzinstitutionen zu bemühen und sich auf die Regeln zu dessen Einrichtung und Verwaltung zu einigen, wäre nicht nur eine Verschwendung, sondern auch ein komplizierter und schwerfälliger Prozess. Die Kommission hat nicht die menschlichen Ressourcen für diese Aufgabe.
Viertens steht noch die Frage der sektoralen Zielvorgaben und der Richtwerte. Das Parlament schlägt vor, eine Reihe von sektoralen Zielvorgaben in die Verordnung aufzunehmen: 35 % für soziale Infrastrukturen, darunter 20 % für die Grundausbildung und die medizinische Grundversorgung; weitere 10 % für die Umwelt und bis zu 15 % für die Zivilgesellschaft. Dies alles ergibt knapp 60 % an Mittelzuweisungen, die „vorprogrammiert“ wären.
Wie die Mitglieder des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit wissen, ist die Einigung auf den derzeit geltenden Richtwert von 35 % für soziale Infrastrukturen vor zwei Jahren nach langen Diskussionen, an denen ich selbst beteiligt war, zwischen Vertretern der Kommission und des Entwicklungsausschusses erzielt worden. Ich habe nicht die Absicht, diese Diskussionen wieder aufzurollen, und die Kommission beabsichtigt in jedem Fall, diese Vereinbarung weiterhin strikt einzuhalten. Allerdings möchte ich betonen, dass die Aufnahme neuer Bedingungen, insbesondere der 20 % für die Grundausbildung, nicht im Einklang mit der Vereinbarung steht. Darüber hinaus widerspricht dies dem Grundsatz des Eigenanteils der Länder und dem eigentlichen Kern der Reform, zu dem auch gehört, dass die Programmplanung nicht mittels einer Verordnung im Voraus festgelegt werden kann.
Das Problem – zumindest hinsichtlich der vorgeschlagenen 35 % für soziale Infrastrukturen – ist eher ein theoretisches, da in den aktuellen Länderstrategiepapieren für Asien und Lateinamerika bereits 50 beziehungsweise 46 % für soziale Infrastrukturen vorgesehen worden sind.
Abschließend möchte ich der Berichterstatterin, Frau Sanders-ten Holte, für ihre mutigen Anstrengungen zur Überbrückung von Klüften sehr herzlich danken. Sie hat wirklich wunderbare Arbeit geleistet, und es wird Momente gegeben haben, in denen sie sich gewünscht hat, über eine andere Verordnung Bericht zu erstatten. Ich möchte das Parlament auffordern, die Vorschläge der Kommission zu unterstützen. In informellen Beratungen mit dem Rat – das sage ich hier nur informationshalber – hat sich eine deutliche Unterstützung des Kommissionsvorschlags und eine große Bereitschaft zur Fortsetzung dieser Strategie abgezeichnet. Vor allem die Interessen der bedürftigen Bevölkerung in Asien und Lateinamerika sollten uns dazu ermutigen, alles in unserer Macht Stehende zu tun, damit möglichst rasch ein hochwertiger neuer Rechtsrahmen für die Zusammenarbeit angenommen wird.
Salafranca Sánchez-Neyra (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, ich habe um das Wort gebeten, weil ich einige persönliche Bemerkungen gemäß Artikel 122 der Geschäftsordnung vorbringen möchte.
Ich möchte mich auf die Ausführungen von Herr Wijkman zur Abstimmung beziehen, in der der Vorschlag des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit mit 26 Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen angenommen wurde.
Herr Wijkman hat diese Ergebnisse nicht in Frage gestellt, aber erklärt, dass auf den Gängen wahrscheinlich ein anderer Standpunkt vertreten wurde. Ich habe den größten Respekt vor der Meinung von jedermann, Herr Präsident, aber in der Demokratie zählen nun einmal die Stimmen.
Was den Herrn Kommissar angeht, der sich auch auf meine Wenigkeit bezogen und erklärt hat, ihm sei kein überzeugendes Argument für die Notwendigkeit zweier Verordnungen vorgelegt worden, so möchte ich Herrn Patten – der ein guter Freund von mir ist – antworten, dass ich glaube, er hat die Lage hier nicht richtig verstanden. Meines Erachtens muss nicht die Kommission von der Stichhaltigkeit der Argumente überzeugt werden, sondern das Parlament. Denn ich erinnere Sie daran, Herr Kommissar, dass die Kommission dem Parlament gegenüber politisch verantwortlich ist und nicht das Parlament der Kommission. Dies ist ein Mitentscheidungsverfahren, bei dem davon ausgegangen wird, dass das Parlament etwas zu sagen hat.
Sauquillo Pérez del Arco (PSE). – (ES) Herr Präsident, ich war sehr enttäuscht von Herrn Devas Ausführungen, der unterstellt hat, wir kämpften nicht für die Beseitigung der Armut, sondern wir Spanier hätten andere Interessen.
Ich habe mich wirklich schlecht gefühlt und würde mich auch schlecht fühlen, wenn ich dies hier nicht äußern würde, denn wir arbeiten im Ausschuss für Entwicklung gemeinsam an der Bekämpfung der Armut, in Asien und in Lateinamerika.
Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die gemeinsame Aussprache über folgende Berichte:
- Bericht (A5-0358/2003) von Frau Prets im Namen des Ausschusses für Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport über den Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Unterstützung europaweit tätiger Jugendorganisationen (KOM(2003) 272 – C5-0257/2003 – 2003/0113(COD)).
- Bericht (A5-0357/2003) von Frau Pack im Namen des Ausschusses für Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport über den Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Unterstützung von europaweit tätigen Einrichtungen und zur Förderung von punktuellen Tätigkeiten im Bereich allgemeine und berufliche Bildung (KOM(2003) 273 – C5-0255/2003 – 2003/0114(COD)).
- Bericht (A5-0359/2003) von Frau Iivari im Namen des Ausschusses für Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport über den Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Unterstützung europaweit tätiger kultureller Einrichtungen (KOM(2003) 275 – C5-0262/2003 – 2003/0115(COD)).
Reding,Kommission. (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Jahr 2002 haben die drei europäischen Institutionen gemeinsam eine neue Haushaltsordnung erarbeitet, die nunmehr einen klaren Rahmen für die Finanzhilfen absteckt, mit denen wir zahlreiche führende europäische Organisationen in den Bereichen Kultur, Jugend und Bildung unterstützen. Künftig muss jeder Finanzierungsbeschluss durch eine rechtliche Grundlage gerechtfertigt sein. Diese Verpflichtung gilt insbesondere für Zuschüsse, die bislang aus Haushaltslinien finanziert wurden, welche aufgrund ihrer Stellung in der Haushaltsnomenklatur mit Verwaltungsausgaben gleichgesetzt wurden, die ohne Rechtsgrundlage getätigt werden können. Die durch die neue Haushaltsordnung eingeführte Änderung der Haushaltsnomenklatur setzt dieser Gleichsetzung mit Verwaltungsausgaben ein Ende und macht also rechtliche Grundlagen für die betreffenden Zuschüsse erforderlich. Diese neue Verpflichtung hat die Kommission veranlasst, im Frühjahr dieses Jahres sieben Vorschläge für neue Rechtsgrundlagen vorzulegen. Diese sieben Vorschläge, die sieben verschiedene Bereiche betrafen, waren von einer Mitteilung von Frau Schreyer begleitet, in der der gemeinsame Kontext zur Begründung ihrer Vorlage sowie die wesentlichen Elemente, um für die einzelnen Vorschläge eine vergleichbare Antwort auf die gemeinsamen Probleme dieser Tätigkeitsbereiche zu finden, dargelegt wurden.
Die heutige Abstimmung betrifft drei dieser sieben Rechtsgrundlagen, bei denen Eilbedürftigkeit bestand, zumal es sich um Texte handelt, die im Mitentscheidungsverfahren verabschiedet wurden. Ich bin Herrn Rocard dankbar dafür, dass er sich der Dringlichkeit bewusst war und es ermöglicht hat, dass der Ausschuss für Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport, dem er vorsteht, die Vorschläge der Kommission zügig beraten hat. Der Wechsel des Haushaltsansatzes kann immerhin ernste finanzielle Schwierigkeiten mit dramatischen Konsequenzen für das Europa der Kultur, der Jugend und der Bildung mit sich bringen, wenn die Mitgesetzgeber nicht in kürzester Zeit zu einer Einigung gelangen. Die Vorschläge, die Ihnen die Kommission vorgelegt hat, sollen einen harmonischen und kontinuierlichen Übergang von dem alten zu dem neuen System gewährleisten, und wir haben uns bemüht, Texte zu erarbeiten, die weitgehend die Umsetzungsmodalitäten von 2003 aufgreifen, um so die unerlässliche Kontinuität zu gewährleisten und die Vorteile, die die Berücksichtigung der neuen Haushaltsordnung uns hinsichtlich der korrekten Verwaltung öffentlicher Mittel bringen kann, nicht aufs Spiel zu setzen.
Unter diesem Blickwinkel sind die Vorschläge für Rechtsgrundlagen als eine technische Anpassung zu verstehen, wobei allerdings die Versuchung groß ist, diese Gelegenheit zu nutzen, um sie mit Neuerungen und Verbesserungen zu versehen. Nun ist aber das Bessere der Feind des Guten, vor allem wenn durch Hinzufügungen in den Augen des Rates das Ganze kompromittiert wird. In diesem Sinne wurden die Vorschläge der Kommission zurückhaltend formuliert, mit dem wesentlichen Ziel, die bisherigen Errungenschaften zu bewahren, indem sie mit einer Rechtsstruktur versehen werden, die der neuen Haushaltsordnung entspricht. Ich möchte Sie bitten, sich nicht allzu weit von den Vorschlägen der Kommission zu entfernen und allem den Vorrang zu geben, was die Verabschiedung dieser Rechtsgrundlagen in kürzestmöglicher Zeit ermöglicht.
Im Falle der Rechtsgrundlage „Kultur“ ist der Handlungsspielraum besonders eng, da der Rat hier einstimmig entscheiden muss. Doch ein gewisser Handlungsspielraum muss nicht nur bei der Kultur, sondern auch in den Bereichen Jugend und Bildung erhalten bleiben, die bekanntermaßen wesentlich für die Weiterentwicklung Europas sind. Alle Möglichkeiten für einen Kompromiss müssen ausgelotet werden, wenn sie es uns ermöglichen, diese Verfahren schnellstmöglich zu Ende zu bringen. Wenn wir keine Rechtsgrundlage haben, wird es uns ab 1. Januar 2004 schlichtweg unmöglich sein, all den Organisationen, die zum kreativen, kulturellen und intellektuellen Reichtum Europas beitragen, finanzielle Unterstützung zu gewähren. Mit anderen Worten, eine Einigung in erster Lesung ist unerlässlich, wenn diese Organisationen im Januar 2004 Geld erhalten sollen.
In den drei Fällen ist der Vorschlag der Kommission den Bestimmungen der Haushaltsordnung gefolgt, und auf der gleichen Grundlage möchte ich auch die Position der Kommission zu den Änderungen erläutern, die die drei Berichte enthalten. Ich beglückwünsche Frau Iivari, Frau Prets und Frau Pack zu der gewaltigen Arbeit, die sie für diese Aktion geleistet haben, deren entscheidender Charakter ihnen voll bewusst war. Wir stellen fest, dass die Laufzeit der Programme – fünf Jahre bei der Kultur und der Bildung und drei Jahre bei der Jugend – unterschiedlich eingeschätzt wurde. Wir akzeptieren gern Änderungsantrag 16, Kultur, der vorschlägt, die Laufzeit des Programms auf drei Jahre zu verkürzen, wenn da seine Annäherung zwischen den verschiedenen Institutionen ermöglicht, um die Verfahren zum Abschluss zu bringen. Wir lehnen allerdings Änderungsantrag 8, Jugend, ab und bestehen auf 2006 als Ende der Laufzeit, denn im Jahr 2007 möchten wir ein neues Programm Jugend einleiten, das die Beteiligung der Organisationen der jungen Europäer privilegiert. In allen drei Fällen steht die Frage des Budgets mit der Frage der Laufzeit in Zusammenhang. Änderungsantrag 17, Kultur, zur Reduzierung des Budgets wäre akzeptabel, wenn Änderungsantrag 16 zur Reduzierung der Laufzeit des Programms angenommen würde. Im Übrigen ist, wenn die Laufzeit nicht verändert wird, Änderungsantrag 11, Jugend, der eine Aufstockung des Budgets vorschlägt, akzeptabel, um den Herausforderungen der Erweiterung gewachsen zu sein. Im Bereich Bildung können wir eine Gruppe von Änderungsanträgen – 4, 6, 8, 9, 10, 11 –, die darauf abzielen, in Abhängigkeit von den Veränderungen im Rahmen des Haushaltsprozesses 2004 die Mittelausstattung und die maximalen und minimalen Prozentsätze dieser Ausstattung für jede Aktion des Programms zu verändern, teilweise oder dem Sinne nach akzeptieren.
Nach dem Leitmotiv der Haushaltsordnung besteht das mittelfristige Ziel in der Durchführung von Aufrufen zur Einreichung von Vorschlägen, die für alle offen sind, die heute nur zuweilen als Mittel verwendet werden, um Finanzhilfen zu gewähren, wobei das berühmte Earmarking die Ausnahme sein muss. Um den Übergang zu dem der Haushaltsordnung zugrunde liegenden Ansatz zu erleichtern, hat die Kommission ein gemischtes System bevorzugt, das Aufrufe zur Einreichung von Vorschlägen mit einem budgetären Earmarking für den Bereich 2 der Basis Kultur kombiniert. So akzeptieren wir den Änderungsantrag Kultur Nr. 18, müssen aber die Änderungsanträge Kultur 5, 15, 19, 20 und 23 ablehnen, die zu weit von der Situation entfernt sind, die wir zu generalisieren versuchen. Unter diesem Blickwinkel müssen die Kriterien klar sein oder besser geklärt werden. Wir sind also einverstanden mit Änderungsantrag 10, Jugend, jedoch nicht mit Änderungsantrag 1, Kultur, der sich mit seiner Neudefinition von Organisationen, die Ziele von allgemeinem europäischem Interesse verfolgen, zu weit von der Haushaltsordnung entfernt. Im gleichen Sinne können wir Änderungsantrag 5, Bildung, nicht akzeptieren, der die Internationale Föderation der Europa-Häuser (FIME) betrifft und der diese Organisation zu der Liste der unter Aktion 1 fallenden Organisationen hinzufügen will, denn einerseits spielt die FIME eine Rolle als Vermittler bei der Verteilung der Finanzhilfen, wodurch sie aus dem in der Haushaltsordnung beschriebenen Aktionsfeld herausfällt, und andererseits wurde im Zusammenhang mit dem Erbe aus der Vergangenheit eine Prüfung der durch die Kommission subventionierten Tätigkeiten in den letzten Jahren durchgeführt. Ich möchte jedoch präzisieren, dass die Kommission bereits ein phasing out der Tätigkeiten der bevorzugten Zusammenarbeit mit unabhängigen Netzen wie der FIME eingeleitet hat. Darüber hinaus wurden die FIME sowie die ihr angeschlossenen Europa-Häuser aufgefordert, auf die von der Kommission auf zentraler Ebene oder auf nationaler Ebene über die Vertretungen gestarteten Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen zu antworten.
Jeder Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen setzt eine Jury aus Sachverständigen voraus, die je nach Fall mit externen Sachverständigen oder Bediensteten der Kommission besetzt ist, um Objektivität und Transparenz zu gewährleisten. Einige Änderungsanträge nehmen in dieser Richtung Stellung und verlangen, dass das Parlament über den Inhalt der Aufrufe zur Einreichung von Vorschlägen vor ihrer Veröffentlichung durch die Kommission bzw. über das Prinzip, die Modalitäten und die Zusammensetzung der Jury informiert wird. Herr Präsident, die Kommission kann, wenngleich sie sich diesen Prinzipien anschließt, diese Änderungsanträge nicht akzeptieren, die nicht den Bestimmungen bezüglich der Beziehungen zwischen den Organen entsprechen, welche im Komitologiebeschluss festgelegt sind, bzw. mit den Ausführungsbefugnissen der Kommission kollidieren. Es handelt sich um die Änderungsanträge Kultur 11, 21, 22, Bildung 13, 14, 15, Jugend 15, 22, 23. Allerdings erklären wir unser Einverständnis mit Änderungsantrag 17, Jugend, der vorschlägt, das Parlament über die jährliche Umsetzung unsere Aktionen für die Jugend zu informieren.
Die Kommission erlegt natürlich denen, die eine europäische Finanzhilfe erhalten haben, die Verpflichtung auf, dies entsprechend publik zu machen. Wenngleich wir die Auffassung des Parlaments in diesem Punkt teilen, scheint es uns angemessener zu sein, diese Publizitätsverpflichtung in den Anhang aufzunehmen. Aus diesem Grunde akzeptiert die Kommission Änderungsantrag 12, Kultur, kann jedoch Änderungsantrag 3 nicht akzeptieren. Aus den gleichen Gründen akzeptieren wir Änderungsantrag Jugend 20 und lehnen Änderungsantrag 6 ab; akzeptieren wir Änderungsantrag Bildung 12 und lehnen Änderungsantrag 2 ab. Die Haushaltsordnung enthält die Regel der Degressivität bei den jährlich verlängerten Betriebsbeihilfen. Dieser Degressivitätsgrundsatz wird nicht überall gern gesehen und man hat von verschiedenen Seiten versucht, davon abzuweichen. Wir können die Änderungsanträge Kultur 13 und 14 nicht akzeptieren, mit denen der Degressivitätsgrundsatz abgeschafft werden soll. Die einzige in der Haushaltsordnung anerkannte Ausnahme betrifft den Fall, da die Begünstigten die Merkmale einer Organisation von allgemeinem europäischem Interesse im Sinne dieser Verordnung aufweisen. Drei Änderungsanträge Jugend, 5, 18, 19, wollen das Programm auf Jugendorganisationen beschränken, die solche Merkmale aufweisen, das können wir akzeptieren. Andere Änderungsanträge gehen hingegen sehr viel weiter in der entgegengesetzten Richtung, und wir können weder den Änderungsantrag Jugend 24 noch den Änderungsantrag Kultur 24 akzeptieren, die beide eine beträchtliche Erhöhung der Degressivitätsrate vorschlagen.
Lassen Sie mich rasch zu den Änderungsanträgen kommen, mit denen die Kommission einverstanden ist und die darauf abzielen, den Text entweder klarer zu machen oder zu vereinfachen oder die von der Kommission vorgeschlagene Linie zu verstärken: die Änderungsanträge Kultur 2, 4, 8; Bildung 1, 3, 7; Jugend 1, 2, 3, 5, 7, 12, 13, 16. Im Übrigen kann sich die Kommission mit der Rolle als Kulturbotschafter identifizieren, die im Änderungsantrag Kultur 9 vorgeschlagen wird. Ich habe mich – bitte entschuldigen Sie die Länge meines Beitrags – auf die kritischsten Änderungsanträge in den drei Berichten beschränkt. Ich bitte Sie, alles zu tun, damit die Förderung, die die Union dem Europa der Kultur, der Bildung und der Jugend gewährt, nicht unterbrochen wird. Eine Einigung zwischen den Mitgesetzgebern in dieser Etappe des Verfahrens wäre die entscheidende Voraussetzung dafür, dass das System Anfang 2004 neu in Gang kommt.
Prets (PSE), Berichterstatterin. – Herr Präsident, Frau Kommissarin! Sie haben richtig gesagt, dass der Zeitdruck da ist, dass wir uns anstrengen müssen, damit die Projekte anlaufen können und die Betroffenen auch zu ihren entsprechenden Mitteln kommen. Damit bin auch bei meinem ersten Kritikpunkt angelangt, denn die Zeit, die uns gelassen worden ist, ist sehr, sehr knapp. Wenn man gründlich und gut arbeiten will, braucht man die Zeit, sonst wird man überfahren und überrollt, und dann kommen Notlösungen heraus, mit denen zum Schluss niemand einverstanden ist und an denen niemand Freude hat. Ich möchte Sie bitten, dass solche Dinge und so wichtige Entscheidungen in Zukunft auch in einem entsprechenden Zeitrahmen umgesetzt werden können, denn das, was wir jetzt hier haben, ist die Faust im Nacken, mit der Folge, dass wir nachgeben müssen, weil wir wollen, dass die Organisationen zu ihren finanziellen Mitteln, zu ihren Förderungen kommen, aber wir sind mit vielem doch nicht ganz einverstanden.
Dass der Rechtsakt noch nicht vorliegt, ist bedauerlich und dies hat auch schon Auswirkungen. Es gibt schon fehlende Mittel, z. B. bei der Städtepartnerschaft, wo schon die erste Tranche nicht ausbezahlt werden kann; ebenso müssen die Informationskampagnen in den Mitgliedsländern ihre Mittel sehr, sehr zurückschrauben. Ich denke, dass es gerade in einer Zeit, wo wir vor der Erweiterung stehen, wo wir mehr Informationen denn je brauchen, hier sicher am falschen Platz Auswirkungen zeigt. Daher glaube ich, dass es dringend notwendig ist, Übergangslösungen anzubieten, damit die Programme fortlaufen können, wenn es Schwierigkeiten geben sollte, damit die europäischen Bürgerinnen und Bürger an ihren geplanten Aktivitäten nicht gehindert und gleichzeitig nicht das Vertrauen abgebaut wird, das ohnehin sehr, sehr schwer aufzubauen ist.
Was die drei zur Diskussion stehenden Berichte des Kulturausschusses anbelangt, so glaube ich, dass sie sehr wohl gemeinsam diskutiert und behandelt werden können, dass sie aber inhaltlich völlig unterschiedlich sind und daher auch nicht gleich abgehandelt werden können. So steckt hinter der vorgeschlagenen Harmonisierung der Aktionsprogramme hinsichtlich des Kofinanzierungsanteils des Degressivitätsgrundsatzes und nicht zuletzt der Angleichung der Laufzeit bis 2008 eine gute Absicht, sie ist aber in der Praxis absolut nicht umzusetzen.
Ich spreche mich auch gegen einen für alle drei Bereiche geltenden einheitlichen Kofinanzierungsanteil von 20 % aus. Manche Organisationen und ganz speziell der Bildungsbereich werden so minimal unterstützt, dass durch eine weitere Kürzung die Förderung eigentlich hinfällig wird, und es nicht notwendig ist, überhaupt den Bleistift in die Hand zu nehmen, um einen Antrag zu stellen. Für die Jugendorganisationen ist ein Prozentsatz von 20 % das Maximum, da es aufgrund fehlender Sponsoren sowieso für die Organisationen sehr schwierig ist, ihre Aktivitäten umzusetzen.
Was den Degressivitätsgrundsatz anbelangt, der mit 2,5 % ab dem dritten Laufjahr angesetzt ist, und der dann – oder die eingesparten Mittel – speziell neuen Projekten für die neuen Mitgliedsländern zugeführt werden soll: Ich glaube, das ist auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich bin überzeugt, dass es richtig ist, das Jugendaktionsprogramm in das neue Jugendprogramm ab 2007 zu integrieren, da es den jungen Menschen und den Jugendorganisationen sicherlich große Vorteile bringen wird. Die Unterstützung der europaweit tätigen Jugendorganisationen hat u. a. zum Ziel, den internationalen Dialog unter den Jugendlichen zu forcieren, Informationen über relevante Themen an ein größtmögliches Publikum weiterzuleiten oder nichtformale Bildungsmöglichkeiten anzubieten. Durch die Förderung der Organisationen durch die Europäische Union soll den Jugendlichen nicht nur die Mitarbeit an Jugendbelangen und deren Interessen angeboten werden, sondern alles, das gesamte breite Spektrum der europäischen Politik und auch der entsprechenden Dimension. Ich glaube, dass sie in alle Diskussionsphasen miteingebunden werden sollten.
Was den geographischen Geltungsbereich anbelangt, so denke ich, dass das Prinzip des wider Europe auch auf die Jugendorganisationen übertragen werden muss. Ich unterstütze die Teilnahme von Jugendorganisationen aus der Europäischen Union, den Mitgliedstaaten, auch aus den EFTA- und EWR-Ländern und den Balkanländern und bestimmten Ländern der Gemeinschaft unabhängiger Staaten. Ich denke aber, dass die Aktivitäten von Organisationen, die mit Partnern außerhalb der erwähnten Ländern stattfinden, auf keine Fall eingeschränkt werden sollten, sofern sie von der eigenen Regierung und den Organisationen unterstützt werden.
Um den administrativen Entscheidungen etwas die Spitze zu nehmen, sollte die Kommission den Antragstellern die Gelegenheit geben, Formalfehler innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens nach Einreichung des Antrages korrigieren zu können. Es sollten ebenfalls alle jene Organisationen, die Mittel aus dem Haushalt der EU erhalten haben, auf ihrer Homepage darauf hinweisen oder in ihren Jahresberichten darüber informieren. Das gilt für alle drei Programme, um einerseits einen Überblick über die Tätigkeit der Organisationen zu haben und andererseits den europäischen Mehrwert sichtbar zu machen.
Bildung, Jugend und Kultur sollten mehr Beachtung finden und nicht nur erwähnt werden oder Beiwerk für schöne Reden sein! Die Zukunft Europas liegt in einer aufgeschlossenen Jugend, die durch verstärkte Bildungseinrichtungen und Organisationen die Chance erhält, ein Europa des gemeinsamen sozialen Wohlstands aufzubauen, dessen Fundament eine Akzeptanz der verschiedenen Kulturen und der Dialog mit Kunst und Kultur ist!
(Beifall)
Pack (PPE-DE), Berichterstatterin. – Herr Präsident, Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen Basisrechtsakte haben, die es der Kommission erlauben, bei der Genehmigung und Verwaltung von Finanzhilfen nach klar definierten Grundsätzen vorzugehen. Die Anweisungsbefugte, also die Kommission, braucht solche Vorgaben, wenn sie sowohl der Haushaltsordnung als auch den Wünschen der Haushaltsbehörde, nämlich des Parlaments, gerecht werden will. Ich bedaure es aber außerordentlich, Frau Kommissarin, dass wir unter diesem Zeitdruck stehen, den wir nicht zu verantworten haben. Die Kommission hat Ende Mai diese Akte angenommen, und wir konnten uns nicht früher damit befassen, und ich finde, wir stehen jetzt zum wiederholten Male in schwierigen Dingen unter einem solchen Zeitdruck. Das wäre nicht nötig gewesen, denn schon vor der Verabschiedung der Haushaltsordnung war klar, dass die derzeitigen Finanzhilfen aus Teil A durch Mehrjahresprogramme ersetzt werden müssen, und darum ist es nicht zu verstehen, dass der Vorschlag so spät gekommen ist. Wir ziehen uns den Schuh nicht an, aber wir müssen es jetzt ausbaden. Wenn die Empfänger im Frühjahr des nächsten Jahres keine Zuschüsse bekommen, wer ist dann schuld? Die Kommission zeigt mit dem Finger auf uns, der Rat wahrscheinlich auch. Wir sind es aber nicht. Wir möchten gern sorgfältig arbeiten. Das ist uns diese Mal wieder nicht gelungen! Wir müssen also wirklich Wert darauf legen, dass das in Zukunft nicht wieder passiert, aber das sagen wir jedes Mal, und ich muss es halt jetzt wieder sagen.
Wir haben drei Berichte, die Frau Prets schon genannt hat, und ich kann mich in Vielem dem anschließen, was sie gesagt hat. Alle drei Berichte beinhalten Institutionen und Verbände, die im weitesten Sinne als Kulturbotschafter für Europa tätig sind und die Förderung und Wahrnehmung des gemeinsamen kulturellen Erbes in Europa pflegen. Alle diese Organisationen haben schon seit Jahren die Unterstützung des Parlaments. Einige von ihnen sind sogar durch dieses Haus gegründet worden. Das wissen natürlich diejenigen nicht, die jetzt erst neu dazugekommen sind, zum Beispiel das Jugendorchester, zum Beispiel das Europakolleg, zum Beispiel das Hochschulinstitut in Florenz, zum Beispiel die Rechtsakademie in Trier, zum Beispiel das Europäische Büro für weniger verbreitete Sprachen, das Zentrum für Informations- und Dokumentationsnetze Mercator, das Europäische Jugendforum.
Diese Organisationen haben bisher wirklich ihre Aufgabe zur Information, zur Integration Europas erfüllt. Dazu gehört auch etwas, das wir nicht geschaffen haben, für dessen Existenz ich aber dankbar bin, und wofür Sie alle eigentlich dankbar sein sollten: Das Netzwerk der FIME, das seit 50 Jahren in 118 Häusern in 32 europäischen Ländern für die Integration Europas arbeitet. Deswegen kann ich Ihre Einlassung nicht nachvollziehen, die Sie leider machen mussten – ich nehme an, Sie sind auch dazu gezwungen worden durch die, die Sie heute mit völlig falschen Tatsachen gebrieft haben. Ich bin der Ansicht, dass man sagen muss, dass die FIME ordentlich arbeitet, dass die FIME im Frühjahr dieses Jahres ein hervorragendes Audit hatte, dass die FIME vor drei Wochen wieder ein Audit hat über sich ergehen lassen, das aber nur in der Aufforderung bestand, alle Akten, die sie hat – 300 Aktenordner – nach Brüssel zu schaffen, damit sie dort gesichtet werden können. Die FIME hat angeboten, dass alles in der FIME ordentlich betrachtet werden kann, so wie sie es in einem Vertrag mit der Kommission niedergelegt haben. Das hat dann dazu geführt, dass die GD Presse sagt: Das ist alles nicht ordentlich. Ich kann nur sagen, was von denen berichtet wurde, ist nicht ordentlich. Die FIME hat im letzten Haushaltsjahr von uns 2,2 Millionen Euro zugesagt bekommen. „Zero“ hat sie von diesem Geld in diesem Jahr bekommen, Null, und nur deswegen, weil es ein Haus bei der FIME gibt, nämlich Avignon, das in Höhe von 200 000 Euro fraude betrieben hat. Diese 200 000 Euro hätte man getrost von den 2,4 Mio. abziehen können, dann hätte die FIME arbeiten können. Wenn die Kommission solche Maßstäbe wie in diesem Falle an die FIME an sich selber anlegte, dann wäre sie schon lange nicht mehr im Amt.
(Beifall)
Ich musste das sagen, weil ich einfach aufgebracht bin. Leider Gottes ist mein Widerpart jetzt Frau Reding, die nichts dafür kann. Sie hat das wiederholt, was man ihr aufgeschrieben hat, und ich kann nur sagen, das, was sie aufgeschrieben bekommen hat, entspricht nicht den Tatsachen. Es ist auch gerichtlich nachprüfbar.
Unsere Gruppenmeinung zum Thema earmarking: Wir sind für das earmarking. Wir werden dafür stimmen. Wir sind gegen die Degressivität. Wir werden also auch dementsprechend stimmen. Ich möchte jetzt noch einmal in Bezug auf das earmarking sagen: Ich bin froh, dass die Kommission den Vorschlag gemacht hat, das earmarking beizuhalten. Sie hat es sicher auch deswegen gemacht, weil sie weiß, dass wir als Abgeordnete näher an den Bürgern sind als die Funktionäre, die hier in Brüssel sitzen, und sie wissen, dass wir wissen, was vielleicht politisch und auch kulturpolitisch in diesen einzelnen Fällen relevant ist. Es kann nicht sein, dass es eine Höherwertigkeit des règlement financier gegenüber einer Basisrechtsakte und gegenüber dieser Haushaltsbehörde gibt. Das kann nicht sein, und deswegen – das hat auch unser juristischer Dienst gesagt – bin ich der Auffassung, earmarking ist rechtens. Ich hoffe, wir werden das gemeinsam so durchbringen, weil ich glaube, dass wir dann unserem gemeinsamen Anliegen, die Bürger zu Europa zu bringen, die Seele Europas wirklich zu treffen, näher kommen als mit dem, was andere hier vorgeschlagen haben.
(Beifall)
Iivari (PSE) , Berichterstatterin.– (FI) Herr Präsident, verehrte Frau Reding, leider kann ich meinen Bericht über die Unterstützung europaweit tätiger Organisationen auf dem Gebiet der Kultur nicht wirklich verteidigen. Meine wichtigsten Vorschläge sind bei der Abstimmung im Ausschuss knapp durchgefallen. Ich hoffe, dass das Parlament in der Lage ist, die Situation bei der morgigen Abstimmung zu korrigieren, insbesondere da der Vorschlag des Ausschusses über die Fortsetzung der Zweckbindung bei der Finanzierung der Kulturorganisationen nach der Stellungnahme der Rechtsabteilung des Parlaments eindeutig im Widerspruch zur Haushaltsordnung steht. Ich bin erschüttert, dass sogar der Haushaltsausschuss bestrebt ist, entgegen der Haushaltsordnung zu handeln. Bisher habe ich in verschiedenen Zusammenhängen die Tätigkeit der Union gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern damit verteidigt, dass sie auf dem Gesetz und nicht auf dem Recht des Stärksten beruht. Jetzt weiß ich nicht, was ich sagen soll.
Der Kommissionsvorschlag über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Unterstützung der auf kulturellem Gebiet tätigen Organisationen ist aus einer Notwendigkeit heraus entstanden bzw. wurde durch den Übergang zu einem maßnahmebezogenen Haushalt erforderlich. Die europäischen Kulturorganisationen, die früher aus der die Verwaltungsausgaben betreffenden Haushaltslinie A finanziert wurden, brauchen eine Rechtsgrundlage, damit die Finanzierung fortgesetzt werden kann. Die Veränderung gibt uns die einmalige Gelegenheit, ein Aktionsprogramm für ein Netzwerk europaweit tätiger Organisationen auf kulturellem Gebiet zu schaffen, in dem die Kriterien der Finanzierung festgeschrieben und die Förderung durch die EU durch den in Titel VI der Haushaltsordnung festgelegten Modus organisiert werden können. Dabei werden unter anderem die Prinzipien von Transparenz und Gleichbehandlung hervorgehoben.
Der zur Behandlung vorliegende Kommissionsvorschlag umfasst nicht nur die europaweit tätigen Organisationen im kulturellen Bereich, die früher aus der Haushaltslinie A-3042 finanziert wurden, sondern auch das europäische Büro für weniger verbreitete Sprachen und die Mercator-Netzwerkzentren der Haushaltslinie A-3015 sowie die Förderungen aus der Haushaltslinie A-3035 für die Erhaltung nationalsozialistischer Konzentrationslager als historische Gedenkstätten. In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass die Probleme des Berichts nicht diese Punkte betreffen. Für die Finanzierung des Europäischen Büros für weniger verbreitete Sprachen und für Konzentrationslager ist es vielmehr von entscheidender Bedeutung, dass die Rechtsgrundlage Anfang des Jahres auf den Weg gebracht werden kann. Hier wurde über Eile gesprochen, aber nach meinem Dafürhalten können wir, wenn wir nur wollen, auch schneller zu Ergebnissen gelangen.
Die Meinungsverschiedenheiten bezüglich der im Kulturbereich tätigen Organisationen beziehen sich auf drei Punkte. Erstens stehen sich das Antragsverfahren und die vom Parlament vorgenommene Zweckbindung gegenüber. Zweitens geht es um die Dauer des Programms. Da der Rat für Bildung, Jugend und Kultur, der einstimmig entscheiden muss, meines Wissens definitiv der Auffassung ist, die Laufzeit des Programms bis 2006 und nicht bis 2008 auszudehnen, habe ich einen entsprechenden Änderungsantrag eingereicht. Meiner Meinung nach ist es eine sehr gute Idee, die Finanzierung der Organisationen aus dem Kulturbereich an das in Vorbereitung befindliche neue Kulturprogramm zu koppeln. Das dritte Problem hängt mit der Degressivität der Fördermittel zusammen. Auch hierbei bin ich anderer Meinung als die Mehrheit im Ausschuss. Eine kleine und schrittweise Verringerung ist meines Erachtens akzeptabel, damit auch für neue Organisationen Raum geschaffen werden kann. Wir dürfen die EU-Erweiterung nicht vergessen.
Außerdem enthalten die von mir eingereichten Änderungsanträge den Vorschlag, dass aufgrund des Zeitmangels die Liste, die der Haushaltsausschuss beschlossen hat, im nächsten Jahr abgeschlossen werden kann. Damit wird die notwendige Kontinuität garantiert. Das Antragsverfahren für das Jahr 2005 könnte dann pünktlich Anfang nächsten Jahres beginnen. Ich schlage auch die Möglichkeit einer mehrjährigen Finanzierung sowie eine Ergänzung zu den Förderkriterien vor, um zum Beispiel die Finanzierung europäischer Orchester zu sichern. Auch diese Vorschläge sind bei der Abstimmung im Ausschuss gekippt worden, obwohl sie eindeutig dem Interesse der Kulturorganisationen dienen.
Die Behandlung des Vorschlags war bisher in vielerlei Hinsicht eine den Horizont erweiternde, aber nicht in jeder Hinsicht erbauliche Erfahrung. Als ich das offene Antragsverfahren verteidigt habe, wollte ich die derzeitige, zum Teil willkürliche und zufällige Praxis zu einer offenen machen, die auf eindeutigen Spielregeln beruht. Heute stehen auf unserer Liste Organisationen, die es de facto nicht mehr gibt.
Wir dürfen auch die interinstitutionelle Arbeitsteilung nicht vergessen. Die Kommission unterbreitet einen Vorschlag und setzt den Willen des Gesetzgebers um. Das Parlament ist der Gesetzgeber und sollte meines Erachtens nicht versuchen, die Exekutive zu sein. Wenn der EU-Verfassungsentwurf das Parlament zum ersten Gesetzgeber macht, muss das Parlament selbst diese Rolle respektieren.
Dührkop Dührkop (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Haushaltsausschusses. – (ES) Herr Präsident, als Verfasserin der Stellungnahme des Haushaltsausschusses zu den drei Vorschlägen, mit denen wir uns heute beschäftigen, möchte ich zuerst einmal darauf hinweisen, wie sehr die Anwendung von Artikel 162a der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments – verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Ausschüssen – meines Erachtens wieder einmal ihren Sinn verloren hat.
Niemand bezweifelt, dass die Aspekte der Kofinanzierung und der Degressivität in den Zuständigkeitsbereich des Haushaltsausschusses fallen. Dennoch hat der Ausschuss für Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport über den Änderungsantrag des Haushaltsausschusses zu diesen beiden Aspekten abgestimmt und ihn abgelehnt. Er hat dies damit begründet, dass sie im Widerspruch zu den anderen Teilen des Berichts stünden.
Hier liegt das Problem. Und dies gilt nicht nur für die drei Berichte, die wir heute erörtern, sondern für die verstärkte Zusammenarbeit im Allgemeinen. Mit diesem Verfahren soll die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ausschüssen erleichtert und die Rolle des mitberatenden Ausschusses gestärkt werden. Wenn aber von Anfang an nicht genügend Zeit vorhanden ist, um diese Zusammenarbeit zu erleichtern, und wenn es überdies ausreicht, dass im federführenden Ausschuss ein einziger Änderungsantrag eingereicht wird, der im Widerspruch zum Vorschlag des mitberatenden Ausschusses steht, wird Artikel 162a automatisch negiert.
Genau dies ist im Ausschuss für Kultur mit der Stellungnahme des Haushaltsausschusses passiert. Mit anderen Worten, nach Artikel 162a wurde automatisch Artikel 162 angewendet, d. h. eine normale Stellungnahme abgegeben.
Ich bin davon überzeugt, dass der Haken in Artikel 162a selbst liegt. In seiner derzeitigen Formulierung führt er nur zu unnötigen Konflikten zwischen den Ausschüssen, anstatt ihre Zusammenarbeit zu fördern.
Daher halte ich es für die Zukunft für unverzichtbar, dass der Ausschuss für konstitutionelle Fragen diesen Artikel in Hinblick auf eine Revision oder die vollständige Streichung überprüft.
Nun zurück zu den Vorschlägen. Ich möchte mich auf zwei Aspekte konzentrieren: die Kofinanzierung und die Degressivität, die am meisten Probleme bereitet haben. Es handelt sich dabei um zwei grundlegende Aspekte im allgemeinen System der Gewährung von Zuschüssen, denn sie sehen die Mitverantwortung des Begünstigten für die ordnungsgemäße Verwendung der Zuschüsse vor und gewährleisten auch, dass die Organisationen nicht nur und ausschließlich von den Zuschüssen der Gemeinschaft abhängen, um arbeiten zu können. Dadurch wird ihre künftige Einrichtung gefördert.
Die Degressivität ermöglicht es, dass das auf diesem Wege zurückerhaltene Geld in diesem Fall für die Unterstützung neuer Organisationen, vor allem in den Beitrittsländern, verwendet werden kann. Daher sieht die Kommission in ihren Vorschlägen Kofinanzierung und Degressivität bei der Gewährung aller dieser Zuschüsse vor.
Ich muss jedoch meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, dass die Kommission in diesen drei Vorschlägen, die in den Zuständigkeitsbereich derselben Generaldirektion fallen, sowohl bei der Kofinanzierung als auch bei der Degressivität verschiedene Prozentsätze verwendet. In Artikel 109 der Haushaltsordnung heißt es nämlich, dass die Gleichbehandlung einer der Grundsätze bei der Vergabe von Zuschüssen sein muss. Daher ist es nicht gerechtfertigt, dass Organisationen, die das gleiche Ziel haben, aber in unterschiedlichen Bereichen tätig sind, unterschiedlich behandelt werden.
Der Änderungsantrag, den der Haushaltsausschuss annahm, sah vor, dass alle Einrichtungen, die einen Zuschuss im Rahmen eines der sieben Programme erhalten – gemäß den verschiedenen festgelegten Gruppen von Organisationen, die festgelegt wurden – die gleichen Rechte und Pflichten in Hinblick auf die Kofinanzierung und die Degressivität haben.
Im Falle der Kofinanzierung ging es überdies nicht darum, feste Prozentsätze, sondern Mindestwerte festzulegen, anhand derer die Exekutivagentur die Prozentsätze entsprechend den realen Bedürfnissen und Möglichkeiten jeder Organisation anwenden kann.
Ich möchte unterstreichen, dass es nicht darum ging, eine Harmonisierung anzustreben, sondern den Grundsatz der Gleichbehandlung anzuwenden.
Der Ausschuss für Kultur seinerseits streicht die Degressivität in seinen drei Vorschlägen, in der Überzeugung, dass alle für eine Förderung in Frage kommenden Einrichtungen Ziele von allgemeinem europäischen Interesse verfolgen im Sinne der in Artikel 113 Absatz 2 der Haushaltsordnung vorgesehenen Ausnahmeregelung.
Meines Erachtens geht diese Auslegung zu weit, und ich muss daher bezweifeln, dass alle diese Einrichtungen wirklich Ziele von allgemeinem europäischen Interesse verfolgen.
Der Ausschuss für Kultur scheint die Beibehaltung der Degressivität seitens des Haushaltsausschusses als eine Art Bestrafung dieser Einrichtungen interpretiert zu haben, während sie eigentlich – gemeinsam mit der Kofinanzierung, wie ich bereits sagte – ihre künftige Einrichtung begünstigt. Denn es steht nirgendwo geschrieben, dass diese Zuschüsse ad aeternum gewährt werden.
Anderenfalls könnten sich die Organisationen an dem Tag, da diese Quelle der Zuschüsse aus dem einen oder anderen Grund versiegt, in einer schwierigen Lage befinden.
Wie ich in meinen Ausführungen zu den Zuschüssen auf der letzten Plenartagung bereits sagte, hat sich die Zeitknappheit sehr nachteilig auf das ganze Verfahren ausgewirkt. Die Kommission stand bei der Vorlage ihrer Vorschläge unter Zeitdruck, und auch das Parlament war im Hinblick auf die geänderten Vorschläge, die wir heute vorlegen, diesem Druck ausgesetzt.
Jeder, der sich mit ihnen befasst hat, wird bemerkt haben, dass sie mehr als einen Widerspruch enthalten. Ich nehme an, dass wir alle an dieser Situation Schuld tragen und gleichzeitig ihre Opfer sind. Was mich jedoch am meisten beunruhigt, ist die Frage, inwieweit das Europäische Parlament in seiner Position aus der morgigen Abstimmung gestärkt hervorgeht. Denn was nun vor uns allen liegt, ist ein schwieriges Vermittlungsverfahren mit dem Rat. Dieser scheint nämlich nicht bereit zu sein, in den Punkten, die er für grundlegend hält – so die Vorabzuweisung, die Kofinanzierung und die Degressivität oder die finanzielle Ausstattung der Programme – Zugeständnisse zu machen.
(Die Sitzung wird um 20.22 Uhr unterbrochen und um 21.00 Uhr wieder aufgenommen.)
Sanders-ten Holte (ELDR). –(NL) Zunächst möchte ich den Berichterstattern für die solide Arbeit, die sie geleistet haben, danken. Im Augenblick sind sie zwar nicht anwesend, sie werden es aber im Protokoll nachlesen können.
Als Liberale begrüße ich die Tatsache, dass die Kommission für die Unterstützung in den Bereichen Kultur, Bildung, Ausbildung und Jugend einen Vorschlag für eine Rechtsgrundlage unterbreitet hat. Die bisherigen Verfahrensweisen boten nicht immer eine Gewähr für Transparenz und Qualität, die jedoch zwei notwendige Voraussetzungen sind, wenn Europa zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden soll. Die Kommission muss dies bei ihren diversen Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen berücksichtigen. Für die Gewährung von Finanzhilfen zugunsten von Organisationen und Projekten bedarf es präziser Kriterien, und diese müssen in transparenter Weise veröffentlicht werden, damit die Antragsteller wissen, woran sie sind. Die Auswahl von Organisationen und Projekten muss mit größter Sorgfalt getroffen und darf nicht der Kommission selbst überlassen werden. Deshalb habe ich mich dafür ausgesprochen, dass unabhängige Sachverständige herangezogen werden. In den Niederlanden haben wir einen Kulturrat. Dies ist ein Beratungsorgan, das dem Minister wohl fundierte Ratschläge erteilt, die von diesem befolgt werden, sofern keine triftigen Gründe für eine Nichtbefolgung vorliegen.
Ich kann mir vorstellen, dass ein derartiges Organ auch für die Auswahl europaweit tätiger kultureller Einrichtungen eingesetzt werden könnte. Ein solches Verfahren wäre weitaus transparenter als unsere gegenwärtige Vorgehensweise. Jetzt geht es jedoch um die Frage, ob Mittel bereitgestellt werden sollen oder nicht. Normalerweise ist meine Fraktion nicht für die Bereitstellung von Mitteln, die ausgewählten Organisationen müssen jedoch mit einer gewissen Kontinuität rechnen können. Ich habe mich auch in meiner Fraktion dafür ausgesprochen. Die Möglichkeit des Abschlusses mehrjähriger Partnerschaftsrahmenvereinbarungen halte ich für einen vernünftigen Weg, um einen Zugang zu erhalten, wir müssen jedoch darüber wachen, dass diese Beihilfen nicht bis in alle Ewigkeit gewährt werden. Meine Fraktion befürwortet infolgedessen die Einführung des Degressivitätsgrundsatzes, der ab dem dritten Jahr gelten soll. Mit einer jährlichen Degressivität in Höhe von 2,5 %, wie sie von der Kommission vorgeschlagen wird, können meinen Berechnungen zufolge die Organisationen noch etwa für weitere 40 Jahre finanziell unterstützt werden. Das aber würde für uns, und selbst für unsere Enkelkinder, eine schwere Hypothek bedeuten. Wir Liberalen schlagen deshalb 10 % vor. Auf diese Weise können die Organisationen mit 13 Jahren EU-Unterstützung rechnen. Damit wird auch die Möglichkeit der Unterstützung neuer Organisationen geschaffen, was im Lichte der Erweiterung keinesfalls außer Acht gelassen werden darf. Kontinuität verbunden mit der Möglichkeit für Innovation, das ist meine Devise.
Leider stehen wir nächstes Jahr insofern vor einem Problem, als die Laufzeit der Aktionsprogramme am 1. Januar 2004, mithin in wenigen Wochen, beginnen soll und noch keine organisatorischen Vorbereitungen getroffen worden sind. Die Einrichtungen, die bisher eine Finanzhilfe erhalten haben, laufen Gefahr, 2004 im Stich gelassen zu werden. Die Liberalen möchten dies verhindern, und deshalb muss eine Übergangsregelung getroffen werden.
Abschließend möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass nicht nur die Bewilligungsverfahren transparent sein müssen, sondern auch die Abwicklung zügig und effizient erfolgen muss. Ich möchte hier wiederholen, was ich schon öfter gesagt habe: Dies ist wichtig und gilt für alle drei Aktionsprogramme.
Alavanos (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Zunächst möchte ich die drei Berichterstatterinnen und insbesondere Frau Pack beglückwünschen, denn kurz vor Beginn unserer Sitzung hat sie bewiesen, dass sich hinter ihrer harten politischen Stimme eine süße melodische Stimme verbirgt, was von großer Bedeutung ist.
Ich möchte sagen, dass diese Reform mit der Hinzufügung der gesetzlichen Bestimmungen notwendig war, wichtig ist und ein besseres Arbeiten ermöglicht. Lassen Sie mich dennoch einige Bedenken äußern.
Sie betreffen bestimmte ständige Einrichtungen, die Gemeinschaftsmittel erhalten, sowie das Auswahlverfahren für die nicht ständigen Einrichtungen. Meines Erachtens laufen wir Gefahr, Institutionen zu schaffen, die den Gemeinschaftshaushalt aufbrauchen, sowie die Arbeit, die von ihnen ausgeführt werden könnte, zu erschweren. Andererseits denke ich, dass wir, wenn wir ein wichtiges Entscheidungsfeld bezüglich dieser nicht ständigen Einrichtungen der Haushaltsbehörde überlassen, der Transparenz und den für die Auswahl der Begünstigten geeigneten Kriterien schaden.
Besondere Bedenken möchte ich hinsichtlich des Jugendprogramms anmelden. Ich fürchte, dass das Europäische Jugendforum sehr weit entfernt ist von der jungen Generation und von den Einrichtungen, die Verbindung zur wirklichen Welt der Jugend haben. Ich befürchte auch, dass die Kriterien für die Selektion der Träger, nach denen beispielsweise ein Träger ausgewählt werden kann, der im Bereich der Jugend ein Ziel von allgemeinem europäischen Interesse oder ein Ziel, das einen Teil der Politik der Europäischen Union bildet, verfolgt, sich überaus nachteilig für die Jugend auswirken. Wir sollten Zweifel und Fragen über die Politik der Europäischen Union akzeptieren und fördern.
Perry, Roy (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, ich schätze sehr, dass die Kommissarin auf Zehenspitzen über ein Minenfeld geht und sozusagen auf Eierschalen läuft und sicherlich ihr Bestes tut, damit wir etwas von den erstklassigen Programmen retten, die wir über viele Jahre hinweg organisiert haben. Wir alle in diesem Haus und im Ausschuss für Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport wissen, dass die Arbeit der Europäischen Union nicht nur innerhalb der Institutionen, sondern auch von den Menschen draußen ausgeführt werden muss.
Glücklicherweise gibt es viele achtbare, hart arbeitende Organisationen, die einen großen Beitrag zur Förderung der Europäischen Union und zur Zusammenarbeit leisten. Dies gilt insbesondere für die Europäischen Räte, das Europäische Jugendorchester, das Europäische Jugendparlament und das Modellparlament für Jugendliche. Diese Organisationen wurden über viele Jahre hinweg von der Europäischen Union und dem Parlament unterstützt, indem ihnen das Parlament Fördermittel gewährte. Es ist einfach kaum zu glauben, dass wir im Jahr der Erweiterung und der Annahme der neuen Verfassung – ganz zu schweigen von den Europawahlen – überhaupt darüber nachdenken, die Zuschüsse für diese symbolischen Institutionen zu verringern oder gar zu streichen.
Frau Dührkop, wir können immer Wege finden, um Geld für Beamte, Preisrichter und Verwaltungsverfahren auszugeben. Wir müssen eine Lösung finden, um die Menschen mit Mitteln auszustatten, die damit wirklich etwas bewirken werden.
Für ein Orchester, das mit Musikern aus den besten europäischen Konservatorien besetzt wird, ist ein hohes Maß an Organisation und vorausschauender Planung erforderlich. Doch wie kann man Konzerthallen buchen, wenn noch nicht einmal feststeht, dass auch das Geld dafür vorhanden sein wird? Mit einigen dieser Verfahren werden diese Bemühungen ganz einfach zunichte gemacht werden. Wenn die Europäische Union nicht in der Lage ist, Unterstützung zu leisten oder dies einfach nicht tun wird, weshalb sollte dies dann irgendeine andere Organisation tun?
Was die Politik der Degressivität angeht, so stimme ich normalerweise mit Frau Sanders-ten Holte überein, doch die Degressivität beweist einfach, dass es den Menschen, die sich diese Politik ausgedacht haben, an Visionen mangelt – das gänzliche Fehlen einer Vision in krassem Gegensatz zu der Vision der Gründungsväter Europas.
Wyn (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident, ich möchte die Abwesenheit von zwei anderen Abgeordneten meiner Fraktion, Frau Ahern und Frau Echerer, entschuldigen, die heute Abend nicht hier sein können. Ich möchte Frau Sanders-Ten Holte meinen Dank aussprechen, doch hauptsächlich möchte ich Frau Prets gratulieren, auch wenn sie heute nicht anwesend ist, denn sie hat hinsichtlich dieses Berichts hervorragende Arbeit geleistet und großes Verständnis für die Bedürfnisse und Ziele von Jugend-NRO gezeigt.
In einer immer individualistischer werdenden Gesellschaft spielen die Jugend-NRO bei der Einbeziehung von jungen Menschen in die zivile Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Wie die Organisation Youth Forum Jeunesse in ihrem jüngsten Politikpapier erklärte, fungieren Jugend-NRO als soziale Mittler, die junge Menschen zu selbstverantwortlichem Handeln befähigen; sie bieten ein Umfeld für nicht formales Lernen und sind daher besonders gut geeignet, den jungen Menschen demokratische Entscheidungsverfahren, interkulturelles Verständnis, Selbstmotivation, Projektmanagement, Beilegung von Konflikten, Ausbau von Fähigkeiten und vieles mehr beizubringen.
Die Arbeit von Jugend-NRO hängt natürlich in hohem Maße von Zuschüssen ab. Daher begrüße ich, dass alle möglichen Jugendorganisationen, einschließlich Youth Forum Jeunesse und andere internationale Jugend-NRO, dem Prinzip der Degressivität nicht unterworfen wurden, was ab dem dritten Jahr eine Verringerung von 2,5 % ihrer Mittel bedeutet hätte.
Die Gewährleistung eines regelmäßigen Budgets für diese NRO ist das beste Mittel, um ihre Aktivitäten zu unterstützen und ihre Wirksamkeit und Bemühungen zu erhöhen, eine Generation von jungen Menschen hervorzubringen, die sich stärker am sozialen Leben beteiligt. Ich unterstütze auch den Vorschlag, das Verfahren der Mittelbeantragung benutzerfreundlicher zu gestalten. Im Moment ist es viel zu kompliziert. Daher stimme ich dem Änderungsantrag 16 von Frau Pack uneingeschränkt zu, wonach Antragsteller nach der Einreichung ihrer Unterlagen Fehler korrigieren dürfen. Dadurch dürfte die Zahl der Anträge abnehmen, die aus technischen Gründen abgelehnt werden.
Zudem hoffe ich sehr, dass der hervorragende Bericht von Frau Pack eine breite Mehrheit finden wird, um eine Rechtsgrundlage für die wirksame finanzielle Unterstützung von internationalen Jugend-NRO zu gewährleisten.
Hyland (UEN). – (EN) Herr Präsident, in dem Aktionsprogramm zur allgemeinen und beruflichen Bildung spiegelt sich die Notwendigkeit wider, eine angemessene Rechtsgrundlage für die Gewährung von Zuschüssen für europaweit tätige Einrichtungen in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung zu schaffen. Meines Erachtens sollte das Programm Bemühungen dahingehend unterstützen, die Kenntnisse junger Menschen über das politische System zu erweitern und eigentlich auch die Gemeinschaftskunde zu fördern und auszubauen, obwohl ich mir der Tatsache bewusst bin, dass Schulen von diesen Sonderprogrammen nicht erfasst werden. Ich würde gern die Meinung der Kommissarin über die Betonung dieses Aspekts hören, der heute in der irischen Gesellschaft eine besonders wichtige Rolle spielt.
Das Mehrjahresprogramm wird sich auf den Zeitraum 2004-2008 erstrecken und wurde – wie wir wissen – mit 129,62 Millionen EUR veranschlagt. Wäre ein kürzerer Zeitrahmen günstiger, um eine frühere Überprüfung durchzuführen und erweiterungsbedingte Entwicklungen zu berücksichtigen? Ich unterstützte nachdrücklich Bemühungen, diese Angelegenheit mit einem zufrieden stellenden Ergebnis abzuschließen, damit das neue Programm nicht noch weiter aufgeschoben wird. Die Kommission nahm die Vorschläge erst im Mai 2003 an, und wenn wir realistisch sind, ist mit den ersten Fördermitteln erst gegen Ende des Sommers 2004 zu rechnen.
Ich teile die Ansichten der Berichterstatterin über die Frage der Transparenz. Ich meine, dass jeder Empfänger von EU-Mitteln an herausragender Stelle – wie Websites, Jahresberichte und sogar auf Briefbögen – auf diesen Umstand hinweisen sollte.
Wynn (PSE). – (EN) Herr Präsident, ich möchte nicht die Aussagen anderer Abgeordneter, insbesondere meiner Kollegin, Frau Dührkop, wiederholen, doch ich möchte eine Warnung bezüglich zwei der Ihnen vorliegenden Berichte aussprechen.
Im Laufe dieses Monats wird der Haushaltsausschuss eine Konzertierungssitzung mit dem Rat in Bezug auf mehrere Angelegenheiten abhalten, wozu auch die Erzielung einer allgemeinen Einigung bei Bereichen gehört, für die ein Mitentscheidungsverfahren vorgesehen ist. Es handelt sich insgesamt um sieben Gebiete, wovon drei auf der Tagesordnung der Plenarsitzung in dieser Woche stehen. Der Haushaltsausschuss hat sich – insbesondere durch die gewissenhafte Arbeit von Frau Dührkop – um die Erzielung einer Einigung hinsichtlich dieser Berichte bemüht. Jetzt haben wir jedoch festgestellt, dass uns zwei der Berichte vor ernsthafte Probleme stellen. Wenn die Änderungsanträge 19 für den Bericht Prets und 14 für den Bericht Ilvari Zustimmung finden, werden wir bei der Konzertierung auf große Schwierigkeiten stoßen. Eigentlich bin ich mir sicher, dass der Rat und die Kommission erklären werden, dass die Berichte in Wirklichkeit gegen die Finanzverordnung verstoßen.
Wenn das Parlament diese zwei Änderungsanträge ablehnen würde, dann wäre uns damit schon viel geholfen. Ich muss Sie hiermit warnen, dass ich als Vorsitzender des Haushaltsausschusses die Annahme dieser zwei Änderungsanträge als einen Verstoß gegen Artikel 63a ansehen würde. Anders ausgedrückt, wir werden die Finanzverordnung und die Auswirkungen auf den Haushaltsplan in Betracht ziehen. Ich werde mich während der Abstimmung zu Wort melden und das Parlament ersuchen, einen mündlichen Änderungsantrag zu unterstützen um sicherzustellen, dass diese beiden Berichte mit der Finanzverordnung in Einklang stehen. Bei der Konzertierung werden wir hoffentlich nicht nur über 5 von 7, sondern über alle Berichte einen Konsens erreichen.
Zabell (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, Frau Kommissarin, auch ich möchte die drei Berichterstatterinnen, Frau Pack, Frau Prets und Frau Iivari, zu den Berichten, die wir heute Abend erörtern, beglückwünschen. Zunächst möchte ich auf den Bericht über das Jugendprogramm zu sprechen kommen. Ich halte ihn für sehr positiv, da u. a. vorgeschlagen wird, die Institutionen der Europäischen Union den Jugendlichen näher zu bringen. Meines Erachtens ist das sehr richtig, denn wir dürfen nicht vergessen, dass sie die Zukunft Europas sind und sie uns am besten kennen müssen.
Ferner ist es sehr wichtig, dass alle Mitglieder dieses Hohen Hauses und alle, die in den anderen europäischen Institutionen arbeiten, die Ansichten dieser jungen Menschen kennen, denn es ist ganz wichtig, dass diese Ansichten bekannt sind, wenn Beschlüsse gefasst werden. Und den Programmen für die Jugend Stabilität und Kontinuität zu geben, natürlich unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips, ist eine Voraussetzung für ihr reibungsloses Funktionieren.
Zu dem Bericht über allgemeine und berufliche Bildung möchte ich sagen, dass ich das ständige Streben nach Qualität der Bildung und Ausbildung uneingeschränkt unterschreibe. Ich halte es für ausgezeichnet, dies auf europäischer Ebene zu fördern. Ich möchte jedoch allgemein zu den drei Berichten hinzufügen, dass wir der Bildung, der Jugend und der Kultur mehr Bedeutung beimessen müssen, denn auch wenn wir hier immer sagen, dass dies Themen von höchster Wichtigkeit sind, spiegelt sich dies am Ende nicht in den Haushaltsplänen der Europäischen Union wider. Und wenn dies nicht in den Haushaltsplänen zum Ausdruck kommt, werden unsere Wähler uns kaum glauben, wenn wir es sagen.
Alyssandrakis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident, Frau Kommissarin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das von uns untersuchte Thema scheint auf den ersten Blick rein technischer Natur zu sein, dahinter verbirgt sich jedoch eine sehr ernste politische Dimension, da es um die Finanzierung von Einrichtungen geht, die gemäß der in den Begründungen aller drei Berichte wiederholten Formulierung „den europäischen Gedanken fördern“ und in drei entscheidenden Bereichen tätig sind: Jugend, Bildung und Kultur. Aber warum sollen für einen Zeitraum von fünf Jahren circa 40 Mio. Euro jährlich ausgegeben werden, um den so genannten europäischen Gedanken zu unterstützen? Weil offenbar die Werbung und die Öffentlichkeitsarbeit sowohl der Dienststellen der Europäischen Union als auch der Mitgliedstaaten nicht ausreichen, um die Völker von den Vorzügen der Union zu überzeugen. Und weil zudem die finanziellen Mittel in diesen drei Bereichen, dem Bildungsaustausch und den spezifischen Programmen für die Jugend und die Kultur, unzureichend sind.
Die täglichen Erfahrungen der Arbeitnehmer, die Arbeitslosigkeit, die Einsparungen, die Angriffe auf ihre Errungenschaften und die Kommerzialisierung auf allen Gebieten beweisen genau das Gegenteil. Also wird ein vielseitiger Propagandamechanismus geschaffen, mit dem unabhängige Organisationen und Einrichtungen vereinnahmt und aufgekauft werden sollen.
Ohne die Arbeit einiger dieser Organisationen herabsetzen zu wollen, möchten wir konkret bestimmte charakteristische Finanzierungsfälle nennen, wie den des Europäischen Jugendforums, der einen Versuch darstellt, direkten Einfluss auf die Jugendbewegung zu nehmen, mit dem Ziel, eine Radikalisierung der Jugendlichen zu verhindern. Hinsichtlich der Aktivitäten im Bildungsbereich möchten wir hervorheben, dass dort die Lehre über die europäische Integration an den Universitäten sowie Einrichtungen finanziell gefördert werden, die die Politik der Europäischen Union unterstützen, und dass nationale Richter Weiterbildung im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht erhalten.
Die Kommunistische Partei Griechenlands ist kategorisch gegen die Schaffung von Propagandamechanismen, die den volksfeindlichen Charakter der Europäischen Union zu verschleiern versuchen. Aus diesem Grund werden wir gegen alle drei Vorschläge stimmen, ohne in die Diskussion über die Einzelheiten einzutreten.
Hieronymi (PPE-DE). – Herr Präsident! Auch ich danke den Berichterstatterinnen und möchte mich auf eine Frage konzentrieren, und zwar auf den Bereich Kultur und den Bericht von Frau Pack. Es ist selbstverständlich, dass wir uns nachdrücklich für eine transparente und sichere Rechtsgrundlage einsetzen, aber wir haben uns hier die Frage zu stellen, inwieweit mit diesem Verfahren tatsächlich noch gemeinsame europäische Kulturpolitik möglich wird, oder aber konzentrieren wir uns ausschließlich auf ein Verfahren und bei den Bürgern kommt es gar nicht mehr entsprechend an?
Ich nehme als Beispiel das Aktionsprogramm zur Unterstützung europaweit tätiger kultureller Einrichtungen. Hier gibt es zwei Finanzierungsstrukturen, zwei Regelungen, und zwar einmal für die so genannten ständigen Organisationen, und für den zweiten Bereich, wo es über den Weg des Aufrufs geht. Dass wir so viel wie möglich neue Initiativen aus den vorhandenen Haushaltsansätzen fördern wollen, ist überhaupt keine Frage, Nur, der Weg, der hier vorgeschlagen und der insbesondere vom Rat in der ersten Lesung beschlossen worden ist, ermöglicht es überhaupt nicht mehr, europäische Initiativen, die tatsächlich diese Förderung als ständige Träger verdienen, auch in die Förderung mit einzubeziehen. Es gibt – es wird im Bericht genannt – das Europäische Büro für weniger verbreitete Sprachen, das ein solcher ständiger Träger sein soll, aber das kann doch nicht der einzige sein, der europaweit den Anspruch und das Recht haben soll, ein solcher ständiger Träger zu sein.
Das Europäische Jugendorchester, das Institut in Florenz, das Institut in Trier, das Kolleg in Brügge. Was wollen Sie denn da für eine Ausschreibung durchführen? Wie viele europäische Jugendorchester soll es denn geben, um hier eine ausreichende Förderung sicherzustellen? Im Zweifelsfall müssen wir gemeinsam mit der Kommission in ein streitiges Verfahren mit dem Rat gehen, um hier wirklich diese Fördermöglichkeit zu erhalten.
Reding,Kommission. (FR) Herr Präsident, ich habe mir geduldig alles angehört, was hier gesagt wurde. Lassen Sie mich jedoch zu den Realitäten zurückkehren. Welches sind die Realitäten? Mit dem Votum des Europäischen Parlaments wurde eine neue Haushaltsordnung verabschiedet. Und diese neue Haushaltsordnung hat Konsequenzen. Das Parlament war sich, als es die neue Haushaltsordnung verabschiedet hat, bewusst, dass das Konsequenzen haben würde. Eine der Konsequenzen ist nun, dass es unmöglich ist, bestimmte Organisationen so weiter zu finanzieren wie in der Vergangenheit. Da liegt das Problem. Man musste also eine Lösung finden. Die einfachste Lösung wäre gewesen zu sagen: wir wenden die Haushaltsordnung an und machen die Tür zu, aus und vorbei. Die Kommission hat aber, weil ihr die Organisationen für Jugend, Bildung und Kultur am Herzen liegen, nicht den einfachen Weg gewählt. Sie hat den schwierigen Weg gewählt. Das heißt, dass man trotz der neuen Haushaltsordnung versucht, die Finanzierung dieser Organisationen fortzusetzen. Und wir haben das getan, weil der vorliegende Vorschlag es ermöglicht, das College in Brügge, das Hochschulinstitut in Florenz, die Law Academy in Trier, das Europäische Institut für öffentliche Verwaltung in Maastricht, das Zentrum für Menschenrechte in Venedig, die Jean-Monnet-Lehrstühle usw. weiter zu finanzieren. Er ermöglicht auch die Finanzierung – ich will gar nicht die ganze Liste verlesen –, der Orchester, der Chorale Academy, der Europa Cantate, der Yehudi Menuhin Foundation, der Youth Academy Foundation, der Europa Nostra, der Villages d'artistes, der Europalia, des Euroballet, der Pegasus Foundation, der Boniface Memorial Foundation, es gibt Dutzende dieser Art. Er ermöglicht auch die Weiterfinanzierung der Youth Forums und der Jugendorganisationen.
Entschuldigen Sie, Herr Präsident, aber wenn ich höre, dass all das nicht mehr finanziert würde, frage ich mich, was ich in den letzten Monaten getan habe, um trotz einer Haushaltsordnung, die die Finanzierung nicht mehr erlaubt, die Finanzierung fortzusetzen. Ich finde es undankbar, Herr Präsident, wenn das Parlament uns sagt, es habe den Vorschlag zu spät erhalten. Das Parlament hat den Vorschlag im Mai erhalten, jetzt ist November. Warum hat das Parlament den Vorschlag erst im Mai erhalten – es hätte ihn doch schon ein oder zwei Monate früher haben können? Weil während dieser Monate die Kommission das Unmögliche unternommen hat, um die kulturellen Organisationen, die Bildungsorganisationen, die Jugendorganisationen zu erhalten und um auf das Europäische Parlament zuzugehen, um den Begünstigten zu helfen, die das Parlament zu Recht ausgewählt hat um von einem System zu einem anderen überzugehen, ohne dass es zu einer Unterbrechung kommt. Das haben wir in den Monaten bis Mai getan.
Was bleibt nun noch zu tun, Herr Präsident? Das Parlament muss eine Einigung mit dem Rat erzielen, denn alle unsere Juristischen Dienste haben uns gesagt, dass das Earmarking, zum Beispiel, die Idee des Parlaments, nicht praktikabel ist. Dank der Kommission, dank ihrer Hartnäckigkeit und ihrer Zielstrebigkeit bei der Suche nach einer Zwischenlösung konnte das Earmarking des Parlaments bewahrt werden. Die neue Haushaltsordnung sieht kein Earmarking vor. Also, werte Abgeordnete, bleiben wir doch auf dem Boden! Wenn wir soviel Zeit gebraucht haben, dann um Lösungen für eine unmögliche Situation zu finden, Lösungen im Interesse unserer Organisationen in den Bereichen Kultur, Bildung und Jugend.
Jetzt muss das Parlament über die Änderungsanträge abstimmen. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat es ganz klar gesagt: entweder es verabschiedet Änderungsanträge, die geeignet sind, im Mitentscheidungsverfahren eine Einigung mit dem Rat zu finden, und ab Januar werden alle Organisationen, für die wir uns engagieren, Geld erhalten, oder man verabschiedet Änderungsanträge, die niemals die Zustimmung finden werden, und dann werden die Organisationen, die ich genannt habe, und es gibt Dutzende und Aberdutzende, im Januar kein Geld erhalten.
Ich habe alles getan, um eine Lösung zu ermöglichen. Ich hoffe, dass das Parlament und ebenfalls der Rat alles tun werden, damit wir ab Januar 2004 eine praktikable Lösung haben.
Dührkop Dührkop (PSE). – (ES) Herr Präsident, gestatten Sie eine Frage an die Kommission, auch wenn dies eigentlich nicht in der Geschäftsordnung vorgesehen ist?
Der Präsident. Ich gebe Ihnen ausnahmsweise fünfzehn Sekunden, um Ihre Frage zu stellen.
Dührkop Dührkop (PSE). – (ES) Herr Präsident, Frau Kommissarin, im Vorschlag der Kommission sind Übergangsmaßnahmen zu den drei Vorschlägen vorgesehen, die wir gerade behandeln. Auch wenn keine Einigung mit dem Rat erreicht wird, können Sie mir erklären, warum die Gefahr besteht, dass einige Organisationen keine Finanzmittel erhalten?
Reding,Kommission. (FR) Herr Präsident, das Risiko ist klar. Ich möchte der verehrten Abgeordneten sagen, wenn keine Einigung im Mitentscheidungsverfahren erzielt wird, wenn sich alles hinzieht, wenn man erneut beginnen muss, über alle Details zu diskutieren, dann wird keine Entscheidung bis Januar 2004 fallen. Vielleicht gibt es dann eine Entscheidung im Frühjahr oder im Sommer, ich weiß es nicht. Und während dieser ganzen Zeit können die betreffenden Organisationen kein Geld erhalten, weil ohne rechtliche Grundlagen niemand eine Zahlungsanweisung unterschreiben wird. Das ist ganz klar, das wäre ungesetzlich, und niemand wird die Verantwortung auf sich nehmen, etwas Ungesetzliches zu tun.
Der Präsident. Die gemeinsame Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 11.00 Uhr statt.
11. Frauen in der neuen Informationsgesellschaft
Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht (A5-279/2003) von Frau Karamanou im Namen des Ausschusses für die Rechte der Frau und Chancengleichheit über Frauen in der neuen Informationsgesellschaft (2003/2047(INI)).
Karamanou (PSE), Berichterstatterin. – (EL) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Wie Sie sicher wissen, entwickeln sich der fehlende Zugang zu den neuen Technologien und der digitale Analphabetismus immer mehr zu neuen Formen der sozialen Ausgrenzung, durch die die Frauen direkt gefährdet sind. Die bislang erhobenen Daten zeigen enorme Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern sowohl in der Ausbildung als auch auf dem Arbeitsmarkt. In dem von mir im Namen des Ausschusses für die Rechte der Frau und Chancengleichheit verfassten Bericht werden zu Beginn die Ursachen genannt, wie die sozialen Klischees und kulturellen Vorurteile, die die Wahlmöglichkeiten der Mädchen einschränken und Hindernisse für ihre beruflichen Entwicklung schaffen, was durch die unrationelle Nutzung der Humanressourcen generell zu negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft führt.
Im Laufe des letzten Jahrzehnts sind bekanntlich drei Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden, von denen 1 600 000 durch Frauen besetzt wurden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass über 60 % der neu entstandenen Arbeitsplätze im Hochtechnologiebereich angesiedelt sind, wo die Frauen insbesondere bei den hochspezialisierten Berufen sowie auf der Entscheidungsebene unterrepräsentiert sind. Somit verschlimmert die wirtschaftliche Entwicklung im Bereich der modernen Technologien unter den gegenwärtigen Bedingungen die strukturellen Schwächen und vertieft die Unterschiede zwischen Männern und Frauen.
Der Arbeitsmarkt ist immer noch nach Geschlechtern gespalten, wobei die Männer bei den neuen Technologien und die Frauen bei den schlechter bezahlten Stellen, die eine geringere Ausbildung erfordern und weniger Sicherheit bieten, dominieren. Frauen sind nicht nur in der europäischen Forschung stark unterrepräsentiert, sondern auch im wissenschaftlichen Bereich nur teilweise oder überhaupt nicht vertreten. Auffallend sind auch ihre ungleiche Vertretung auf allen Ebenen der wissenschaftlichen Hierarchie sowie ihre geringeren Möglichkeiten, Zuschüsse für Forschungsarbeiten zu erhalten. Von den 500 000 Forschern, die in der europäischen Industrie arbeiten, sind nur 50 000 Frauen. Im öffentlichen Sektor (Universitäten und Forschungszentren) schwankt der Anteil zwischen einem Viertel und einem Drittel, während in den verantwortlichen Positionen der Anteil der Frauen bei weniger als 12% liegt. In der industriellen Forschung ist die Lage noch schlechter, und im Sektor der neuen Technologien scheint es am allerschlimmsten zu sein. Der bessere Zugang von Frauen zur Forschung würde sicher zur Bereicherung der wissenschaftlichen Methoden, Themen und Objekte beitragen. Auch im Bereich der Massenmedien sind die Vertretung sowie die Beteiligung von Journalistinnen an leitenden Positionen unzureichend, während den Themen der Diskriminierung von Frauen keine Beachtung geschenkt und in den Medien häufig ein Image von Frauen gezeigt wird, das mit der Realität nichts zu tun hat.
Gleichzeitig wird das Internet weiterhin durch die Männer beherrscht, und es wendet sich auch hauptsächlich an diese, was zu Diskriminierungen führt. Studien belegen Unterschiede in der Art und Weise, wie Frauen und Männer die Internetdienste nutzen. Außerdem liegen besorgniserregende Daten in Bezug auf den niedrigen Prozentsatz von weiblichen Internetnutzern in den Beitrittsländern vor.
Um den Frauenanteil an Ausbildungs- und Fortbildungsprogrammen in den neuen Technologien zu erhöhen, schlägt mein Bericht die frühzeitige Einbeziehung von Computern und Internet in die Unterrichtsprogramme der Grundschulen vor, damit die Mädchen dazu ermuntert werden, sich mit naturwissenschaftlichen Wissensgebieten zu beschäftigen. Studien zeigen, dass ein früher Kontakt mit Wissenschaft und Technik die Einstellung der Frauen ändern könnte, bevor die Klischees beginnen, ihr Verhalten zu beeinflussen. Die Strategie von Lissabon und die beschäftigungspolitischen Leitlinien müssen umgesetzt werden, um eine weitere geschlechtsspezifische Aufspaltung des Arbeitsmarkts zu verhindern, wo sich die Frauen auf bestimmte Berufe mit geringen Anforderungen, niedrigem Gehalt und minimalen Entwicklungsperspektiven konzentrieren.
Deshalb müssen sowohl die Kommission als auch die Mitgliedstaaten durch die umfassende Nutzung der Strukturfonds, speziell des Sozialfonds, Verpflichtungen für Ausbildungsmaßnahmen im Bereich der neuen Technologien übernehmen, insbesondere mit Blick auf die Ein- bzw. Wiedereingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt sowie stets im Rahmen der Ziele von Lissabon.
Zugleich müssen Gleichstellungspolitiken und -maßnahmen durchgeführt werden, die konkret auf die Bereiche Berufsausbildung, lebenslanges Lernen, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und gerechte Verteilung der familiären Pflichten zwischen Männern und Frauen abzielen und die stärkere Beteiligung der Frauen an der Informationsgesellschaft ermöglichen. Besonderes Augenmerk ist auf die Inhalte der Massenmedien zu richten, um ein positives Image der Frauen zu fördern, wie beispielsweise die hervorragenden Leistungen der Frauen auf allen Ebenen der Ausbildung. Wir fordern die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die volle und gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an den Medien, einschließlich den Bereichen der Verwaltung, der Planung, des Managements, der Ausbildung und der Präsentation voranzutreiben.
Parallel dazu müssen Politiken angenommen werden, die die Arbeitsbedingungen in neuen Bereichen wie der Telearbeit verbessern. Besondere Aufmerksamkeit sollte dem verbesserten Zugang der Frauen zum Internet und zu den neuen Technologien gewidmet werden. Dies erfordert die Schaffung einer erweiterten Infrastruktur und technologischen Ausrüstung in ländlichen und semiurbanen Gebieten, die bislang nicht ausreichend bedient werden, und zwar insbesondere in den ärmeren Regionen und den Beitrittsländern. Alle Politiken der Europäischen Union müssen eine Strategie zur Sicherung der grundlegenden Infrastruktur fördern, die Zugang, Ausrüstung und Anschluss für jedes Haus, jede Schule, jedes öffentliche Gebäude und die Bibliotheken umfasst. Um die soziale Ausgrenzung zu bekämpfen, müssen vorrangig die Gruppen von Frauen und Mädchen berücksichtigt werden, die besonders gefährdet sind: Wanderarbeitnehmerinnen, Behinderte, Mittellose, alleinerziehende Mütter, Landwirtinnen, usw. Darüber hinaus sollte die Kommission ergänzende Daten über strukturelle Unterschiede im Bereich der Informatik sammeln, um die tatsächliche Beteiligung der Frauen, ihre Vertretung und die Tendenzen auf dem Arbeitsmarkt untersuchen zu können.
Der Ausschuss für die Rechte der Frau und Chancengleichheit betont, dass die Geschlechterdimension im Bereich der neuen Technologien bislang vollständig ignoriert wurde. Deshalb fordern wir im Rahmen der im Dezember 2003 in Genf stattfindenden UN-Gipfelkonferenz über die Informationsgesellschaft die Kommission und den Rat auf, konkrete Strategievorschläge zu unterbreiten und sich für die Aufnahme horizontaler Politiken zur Geschlechtergleichstellung einzusetzen. Die digitale Wirtschaft bietet Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen für die Frauen, wobei sich die Herausforderungen von denen für die Männer unterscheiden und auf ihren Rollen und ihrer Stellung in der Familie und der Gesellschaft beruhen.
Die Integration der Geschlechterdimension in die Entwicklung der neuen Technologien wirft nicht nur die Frage des Zugangs, der quantitativen Beteiligung und der gleichberechtigten Vertretung der Frauen, sondern auch eine tiefere Frage auf. Sie bietet die Gelegenheit zu einer kritischen Bewertung der Kultur der Informationsgesellschaft mit ihren Werten, den Entwicklungsstrategien, den Zielen und der Einbeziehung der Humanressourcen. Ich hoffe, mein Bericht trägt zu einem öffentlichen Dialog darüber bei, welche Art von Informationsgesellschaft wir uns wünschen.
Reding,Kommission. (FR) Herr Präsident, zunächst möchte ich Frau Karamanou für ihre Mitarbeit an diesem Bericht über die Frauen in der neuen Informationsgesellschaft danken. Wir wissen, dass die Globalisierung und die Informations- und Kommunikationstechnologien alle Bereiche des gesellschaftlichen und beruflichen Lebens in Europa radikal verändert haben. Heute nutzen mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer in ihrem Beruf Computer, 40 % der Europäer nutzen das Internet und in den letzten fünf Jahren machten die Sektoren der Spitzentechnologie mehr als 60 % aller neu geschaffenen Arbeitsplätze in der Union aus. Wenn man diese Zahlen liest, ist eines klar: diejenigen, die keine entsprechende Ausbildung für die neuen Technologien erhalten haben, werden nicht zu den Arbeitnehmern gehören, die gebraucht werden.
Auf dem Gebiet der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen wurden Fortschritte erzielt. Frauen nutzen den Computer fast ebenso häufig wie Männer: sie machen 46 % gegenüber 54 % der Männer aus. Beim Internet ist die Situation ähnlich. Aber bei den benachteiligten Gruppen vergrößert sich der Abstand zwischen Männern und Frauen.
Die neuen Technologien bieten neue Möglichkeiten für Beschäftigung und Berufstätigkeit, nicht zu vergessen die Telearbeit, die zumindest theoretisch Frauen und Männern die Möglichkeit bieten kann, Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren. Die Frauen sind zwar zunehmend an Telearbeit interessiert, nutzen sie aber noch wenig. Hier bedarf es also noch einiger Anstrengungen.
Zwei Drittel aller Arbeitsplätze in den Sektoren der neuen Technologien sind mit Männern besetzt, nur 15 % der Fachkräfte in diesen Sektoren sind Frauen. Im Bildungsbereich sind die Zahlen auch nicht anders. In einigen Ländern absolvieren weniger als 30 % der Frauen ein Hochschulstudium im Bereich der neuen Technologien. Frauen haben 19 % der Doktortitel auf dem Gebiet der Informatik erworben. Der Prozentsatz der Existenzgründerinnen ist noch niedriger. In den Unternehmen nimmt der Anteil der Frauen im Sektor der neuen Informationstechnik ab, je höher man in der Hierarchie der Entscheidungsträger steigt. Ich glaube, das gilt in gewissem Maße für alle Sektoren.
In diesem Zusammenhang haben die Strategie von Lissabon sowie die Agenda für europäische Sozialpolitik und die Beschäftigungsstrategie eine wichtige Rolle bei der Förderung des Zugangs der Frauen zur Informationsgesellschaft gespielt, nicht zu vergessen die Anstrengungen, die die Bildungsminister auf nationaler und auf europäischer Ebene unternommen haben. Ebenso fördert die Rahmenstrategie auf dem Gebiet der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen die Fähigkeit zur beruflichen Eingliederung und den Zugang der Frauen zu Arbeitsplätzen im Bereich der neuen Technologien. Einige andere Programme zur Gemeinschaftsfinanzierung fördern ebenfalls die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen, und die Sozialpartner spielen eine Schlüsselrolle bei der Förderung der Einbeziehung der Frauen in die Informationsgesellschaft. Es ist klar, dass, um Ergebnisse zu erzielen, all diese Politiken weiter ausgebaut werden müssen. Dabei kommt der Kommission eine Schlüsselrolle zu, aber alle Beteiligten auf allen Ebenen müssen die Chance der neuen Wissensgesellschaft ergreifen, um sich dafür einzusetzen, dass Männer und Frauen gleichberechtigt vertreten sind.
Aus meiner Sicht müssen sich die künftigen Aktivitäten auf drei Schwerpunkte konzentrieren. Den ersten Schwerpunkt bildet die Berücksichtigung der Frauen in allen sozialen Situationen und an jedem Ort. Zweitens ist das Schwergewicht auf die allgemeine und berufliche Bildung zu legen. Drittens gilt es, die Beschäftigungsquote der Frauen zu verbessern und den Prozentsatz der Existenzgründerinnen im Bereich der neuen Technologien zu steigern. Wie ich einleitend sagte, ist es unerlässlich, den Frauen, denen die Ausgrenzung aus der Informationsgesellschaft droht, besondere Aufmerksamkeit zu schenken: älteren Frauen, arbeitslosen Frauen, einkommensschwachen Frauen, Einwanderinnen, behinderten Frauen und vor allem Frauen, die keinen entsprechenden Schulabschluss haben. In den Städten, auf regionaler und lokaler Ebene müssen die erforderlichen Infrastrukturen geschaffen werden. Mit Hilfe der Verbesserung des Zugangs zu Breitbandanschlüssen lässt sich die Ausgrenzung sowohl im städtischen Bereich als auch in ländlichen Gebieten vermeiden. Jedoch beschränkt sich der Zugang zu den neuen Technologien in allen Bereichen nicht darauf, den Frauen bei der Jobsuche behilflich zu sein. Dank neuer Arbeitsmethoden und neuer Formen der Arbeitsorganisation werden auf diese Weise auch die Voraussetzungen für Veränderungen bei den derzeitigen Arbeitsplätzen geschaffen. Die Telearbeit habe ich bereits genannt, man könnte auch die Qualität der Arbeit und die berufliche Befriedigung verbessern und schließlich mehr Frauen eine Erwerbstätigkeit ermöglichen. Eine Erhöhung der Teilnahme der Frauen am Arbeitsmarkt ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Ziele von Lissabon zu erreichen, und eine deutliche Steigerung der Zahl von Unternehmensgründungen könnte das Bild tatsächlich ändern. Wir müssen die Rolle der Frauen hinsichtlich des Eigentums, der Überwachung und des Managements in den IKT-Sektoren und im Medienbereich erleichtern, indem wir Existenzgründerinnen die notwendige Unterstützung gewähren, Projekte finanzieren und zur Umsetzung von Aktionsplänen besonders in den wissensintensiven Sektoren beitragen, indem wir Sensibilisierungskampagnen unterstützen, die Frauen nach Abschluss ihrer Ausbildung zur Wahrnehmung von Beschäftigungsmöglichkeiten im Sektor der neuen Technologien ermutigen. Wir müssen Voraussetzungen schaffen, die die volle Einbeziehung aller Frauen ermöglichen, einschließlich Mütter von Kleinkindern, ältere Frauen, behinderte Frauen. Um zur Gleichstellung von Männern und Frauen zu gelangen, ist es unerlässlich, die Vertretung der Frauen am Markt zu verbessern, aber das ist nicht ausreichend. Sie müssen auch eine wichtige Rolle auf der Entscheidungsebene und in der Gesellschaft generell spielen. Auf dem Gebiet der neuen Technologien wird ein echter Wandel hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter erst wirksam werden, wenn die Frauen auch Führungspositionen in diesem Sektor innehaben.
All dies basiert auf Partnerschaft und konkreten Aktionen. Die Erhöhung der Beteiligung der Frau an der Informationsgesellschaft ist eine kollektive Herausforderung. Die Kommission, das Europäische Parlament, die Regierungen, die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, die Gewerkschaften und die Arbeitgeber tragen alle diese Verantwortung. Die Kommission wünscht sich, dass sie auch von allen wahrgenommen wird.
Kratsa-Tsagaropoulou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Das heute Abend von uns diskutierte Thema stellt nicht nur einfach einen Aspekt des modernen Berufslebens der Frauen dar, sondern ist auch besonders wichtig für die Entwicklung der Europäischen Union, die Erreichung der Ziele von Lissabon und selbstverständlich auch für die Zukunft der Frauen selbst.
Die ganze Welt entwickelt sich zu einer Informationsgesellschaft, und unsere Erfahrung zeigt, dass die Staaten, die Regionen und die Bürger, die mit diesen Möglichkeiten am besten vertraut sind, größere Chancen auf Beschäftigung und Fortkommen haben. Und zwar weil die neuen Technologien nicht von sich aus einen Bereich des Marktes darstellen, in dem eine ständige Erhöhung der Zahl der Arbeitsplätze zu verzeichnen ist, sondern auch die Entwicklung anderer Bereiche beeinflussen. Die Europäische Union liegt hinsichtlich der Forschung und der Nutzung der neuen Technologien hinter den Vereinigten Staaten von Amerika zurück. Aber auch innerhalb der Europäischen Union gibt es Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, den Regionen und leider auch zwischen den beiden Geschlechtern, wie dies sowohl die Berichterstatterin als auch die Kommissarin betont haben.
Sehr positiv ist die Initiative der Kollegin Anna Karamanou zu bewerten, einen Bericht zu diesem Thema auszuarbeiten, der uns gestattet, unser Bewusstsein für dieses Problem und für die Notwendigkeit zu schärfen, entsprechende effektive Maßnahmen im Rahmen einer angemessenen Zusammenarbeit auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene zu ergreifen. Die Vorschläge der Berichterstatterin berühren ein breites Spektrum von Politiken zur Förderung der Teilnahme der Frauen an der Welt der neuen Technologien, Politiken, die den Arbeitsplatz, die Geschäftswelt und die Ausbildung betreffen, und es wird richtig gesagt, dass für das Erreichen dieses Ziels die Frauen an der Planung und Beschlussfassung für die entsprechenden Politiken teilhaben müssen.
Ich möchte noch besonders auf die Förderung von Internetverbindungen für Hausfrauen hinweisen, da so das Leben für die Frauen selbst leichter wird. Im Gemeinschaftsdurchschnitt ist der Unterschied heute spürbar: 48 % der Männer und 38 % der Frauen haben einen eigenen Hausanschluss. Unsere Erfahrung lehrt uns, dass der Zugang der Frauen auf vielfältige Weise nutzbringend für die Gesellschaft sein kann. Und da dieses Jahr das Jahr der Menschen mit Behinderungen ist, möchte ich besonders die Initiativen der Mütter zur Behandlung der Gesundheitsprobleme ihrer Kinder erwähnen.
Heutzutage können wir im Internet Webseiten finden, auf denen Mütter Erfahrungen austauschen und auf beeindruckende Weise Lösungen vorantreiben. Ich nehme als Beispiel die „Dyspraxia Foundation“, die 1987 durch zwei englische Mütter, Stella White und Marion Owen, gegründet wurde. Sie sind es wert, namentlich erwähnt zu werden. Heute ist diese Initiative ein Bezugspunkt für Mütter und ein Beispiel zur Nachahmung in verschiedenen europäischen Ländern und anderswo, in Kanada und Japan, wo Mütter entsprechende Webseiten mit positiven und konkreten Ergebnissen für die Anwendung neuer Methoden zur Behandlung von körperlichen und seelischen Gesundheitsproblemen ihrer Kinder einrichten.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 11.00 Uhr statt.
12. Verbindungsbeamte für Einwanderungsfragen
Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht (A5-0344/2003) von Frau Roure im Namen des Ausschusses für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten über die Initiative der Hellenischen Republik zur Annahme der Verordnung des Rates zur Schaffung eines Netzes von Verbindungsbeamten für Einwanderungsfragen (9870/2003 – C5-0260/2003 – 2003/0817(CNS)).
Roure (PSE), Berichterstatterin. – (FR) Herr Präsident, der Europäische Rat von Thessaloniki am 19. und 20. Juni dieses Jahres forderte in seinen Schlussfolgerungen, dass die Arbeiten beschleunigt werden müssen, um bis Ende 2003 ein Rechtsinstrument zu verabschieden, mit dessen Hilfe offiziell ein Netz von Verbindungsbeamten für Einwanderungsfragen geschaffen werden soll. Die Idee besteht darin, dass alle diese Verbindungsbeamten für Einwanderungsfragen der Mitgliedstaaten, die im gleichen Drittland tätig sind, wirksam innerhalb eines Netzes zusammenarbeiten, um dazu beizutragen, schrittweise einen koordinierten und integrierten Grenzschutz an den Außengrenzen zu erreichen. Die durch Griechenland vorgeschlagene Verordnung soll einen Rahmen schaffen, um diese informelle Zusammenarbeit zwischen den Verbindungsbeamten zu gestalten und zu verstärken.
Ideal wäre es, über Verbindungsbeamte der Gemeinschaft für Einwanderungsfragen zu verfügen, die eigene Funktionen haben und durch die Union ausgebildet und bezahlt werden, aber leider fehlt es hierfür bislang sowohl an Kompetenzen als auch an Mitteln, und manche Staaten sind noch zu zögerlich. Die Frage der Verbindungsbeamten berührt ja die Außenvertretung der Mitgliedstaaten, und da widerstrebt einigen jede Einschränkung ihrer einzelstaatlichen Befugnisse. Als Übergangslösung sehe ich in diesem neuen Vorschlag für eine Verordnung einen Schritt in Richtung auf mehr Transparenz. Die Verbindungsbeamten sollen im Wesentlichen drei Aufgaben zu erfüllen haben. Diese Beamten sollen zur Vorbeugung der illegalen Einwanderung und zur Bekämpfung der Schleuser beitragen, bei der Rückführung der illegalen Einwanderer mithelfen und zur Steuerung der legalen Einwanderung beitragen. Dieser letzte Punkt bleibt allerdings noch unklar, da die Form, in der diese Steuerung erfolgen könnte, in keinem Artikel der Verordnung präzisiert wird. Dessen ungeachtet halte ich das für einen wesentlichen Punkt. Hier ist also noch eine Lücke zu schließen. Entgegen dem, was uns manche Leute glauben machen wollen, ist der Ausländer nicht gefährlich, sondern er ist gefährdet. Wer sein Heimatland, seine Bindungen verlässt, um in die Europäische Union einzuwandern, hat hierfür wichtige, vielfach lebenswichtige Gründe. Jeder von uns täte unter den gleichen wirtschaftlichen, sozialen, psychologischen und emotionalen Bedingungen sicherlich das Gleiche. Ich halte es also für wesentlich, in den betreffenden Ländern Informationen über die Wege der legalen Zuwanderung zu verbreiten. Und hierfür scheint es erforderlich zu sein, dass wir uns über unsere Einwanderungspolitik im Klaren sind, was derzeit nicht wirklich der Fall ist. Für wesentlich halte ich auch, dass die Bevölkerung vor dem Risiko gewarnt wird, skrupellosen Schleusern in die Hände zu fallen oder in die Fänge eines Menschenhändlerringes zu geraten.
Damit jedoch diese Maßnahmen wirklich wirksam werden, appelliere ich an die Mitgliedstaaten, darüber zu wachen, dass sie nicht länger selbst eine gewisse Illegalität erzeugen. Hierfür müssten sie meines Erachtens in zwei Richtungen wirksam werden. Zunächst auf der Ebene des Status der Zeitarbeiter. Aus Studien über die Schwarzarbeit in der europäischen Landwirtschaft geht hervor, dass nicht gemeldete Überstunden, die Entwicklung illegaler und vielfach an die Sklaverei grenzende Formen der Rekrutierung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft in den Mitgliedstaaten zunehmen. Vielfach üben die großen Handelsketten Druck auf die Erzeuger aus, die dann Arbeitslose und Illegale anheuern. Es ist undenkbar, Verträge zu akzeptieren, die den Arbeitnehmer in eine Zone der Rechtlosigkeit drängen. Ich möchte unterstreichen, dass die Verschärfung der Rechtstexte sehr häufig die Wirkung hat, dass die Zahl der legalen Arbeitskräfte zurückgeht und die der Illegalen steigt, deren Zustrom dadurch in keiner Weise verhindert wird. Andererseits muss unbedingt die Gleichsetzung von Einwanderung und organisiertem Verbrechen vermieden werden. Die illegalen Einwanderer sind keine Verbrecher. Es sind Menschen, die nicht das Glück hatten, am richtigen Ort geboren zu werden. Man muss also die Aufgaben der Verbindungsbeamten, der Verbindungsbeamten für Einwanderungsfragen, der Flughafenverbindungsbeamten, der Berater für Personaldokumente, der technischen Berater und der Konsulardienststellen, die alle mit Fragen der Einwanderung befasst sind, klarer voneinander abgrenzen. Ebenso scheint es angebracht zu sein, das Tätigkeitsfeld abzustecken und die Aufgaben der Verbindungsbeamten exakt zu definieren. Anzustreben ist eine zumindest teilweise Harmonisierung der Ausbildung, die diese Beamten aufweisen müssen. Einige Verbindungsbeamte, die im Rahmen eines von der dänischen Präsidentschaft erstellten Berichts befragt wurden, sehen hierin eine Voraussetzung für die Entwicklung eines echten Netzwerks. Diese Ausbildung könnte normalerweise in Form von Seminaren und Workshops vermittelt werden, was den unbestreitbaren Vorteil hätte, dass sich persönliche Kontakte herausbilden, die das Kernstück eines Netzwerks bilden.
Lassen Sie mich abschließend unterstreichen, dass die Zuwanderung in keinem Falle als eine Bedrohung gesehen werden darf. Die illegalen Einwanderer dürfen keinesfalls als Verbrecher betrachtet werden. Sie sind Opfer, denn sie hatten das Pech, in einem Land des Leidens geboren zu werden; sie sind Opfer, denn sie sind verzweifelt und suchen Mitgefühl. Wenn die Europäische Union nicht in der Lage ist, das zu begreifen, kann man am Fortschritt und an der zivilisierten Welt verzweifeln.
Vitorino, Kommission. (PT) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Kommission hat in ihrer Mitteilung über eine Politik zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung vom November 2001 im Rahmen des Kapitels über die Maßnahmen vor der Ankunft an der Außengrenze der Union die Notwendigkeit zur Errichtung eines Netzes von Verbindungsbeamten für Einwanderungsfragen angeführt.
Nach Auffassung der Kommission muss dieses Netz den notwendigen Informationsaustausch zwischen den Verbindungsbeamten für Einwanderungsfragen und die Koordinierung sicherstellen, die die Mitgliedstaaten mit Drittstaaten aufbauen müssen, um im Bereich der europäischen Einwanderungspolitik zusammenarbeiten zu können. Auf die Notwendigkeit eines solchen Netzes weisen auch die vom Rat beschlossenen Aktionspläne gegen illegale Einwanderung und für die Verwaltung der Außengrenzen sowie die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Sevilla und Thessaloniki hin.
Deshalb begrüßt die Kommission die Initiative der griechischen Regierung zur Unterbreitung dieses Vorschlags. Wie die Berichterstatterin hervorgehoben hat, sind auch wir der Auffassung, dass einige der in dieser Initiative enthaltenen Vorschriften – insbesondere in Bezug auf die Regelung des Informationsaustausches zwischen den Verbindungsbeamten – bisweilen zu vage sind. Gleichwohl halten wir den Text insgesamt für eine gute Arbeitsgrundlage für eine systematischere und besser abgestimmte Zusammenarbeit mit Drittländern im Bereich der Einwanderung.
Diese Koordinierung wird künftig mit den neuen Anforderungen, die in Kürze zur Politik der Ausstellung von Visa in Drittstaaten beschlossen werden, noch an Bedeutung gewinnen. Sobald diese Verordnung angenommen ist, müssen die für Drittstaaten tätigen Verbindungsbeamten effektive Netze der Zusammenarbeit auf lokaler bzw. regionaler Ebene bilden, die auf dem positiven Vorgänger aufbauen, nämlich dem Netz, das auf dem Westbalkan auf Initiative des Vereinigten Königreichs errichtet wurde und das bei der Regelung der Einwanderung aus dieser Region in die Staaten der Europäischen Union gute Dienste geleistet hat.
Souladakis (PSE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik. – (EL) Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Abgeordnete! Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik des Europäischen Parlaments hat den Vorschlag für eine Verordnung diskutiert, die eine auf dem Gipfel von Thessaloniki beschlossene Initiative der griechischen Republik zu dem wichtigen sozialen und politischen Thema der illegalen Einwanderung verwirklicht. Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten hat einstimmig verschiedene Änderungsanträge angenommen, von denen die meisten auch durch den Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten gebilligt wurden, und ich hoffe, dass das Europäische Parlament sie ebenfalls bestätigt, da sie die Verordnung verbessern. Zu diesem Thema wurde in der Europäischen Union bereits auf vorhergehenden Ratsgipfeln eine Reihe von Verfahren durchgeführt, jedoch keine Einigung erzielt, während unsere heutige Diskussion auf positive Weise einen politischen Erfolg der Europäischen Union bestätigt.
Die vorliegende Richtlinie ist, obwohl sie insgesamt kein endgültiges Ergebnis darstellt und keine umfassende politische Antwort auf das Thema bietet, ein erster wichtiger Schritt nach vorn. Auf gewisse Weise vergemeinschaftet sie diese Politik und schafft Perspektiven für weitere Verbesserungen. Die Änderungsanträge des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten werden, so hoffe ich, die Verordnung optimieren und sie durch die Sicherstellung der parlamentarischen Kontrolle sowie durch die Zusammenarbeit, die auf der Achtung der Rechtsordnung der Länder beruht, in denen diese Netze wirken, transparenter und demokratischer machen. Die Arbeit dieser Netze wird ein besseres Management der in diesem Bereich verfügbaren Mittel der Europäischen Union ermöglichen, die Beziehungen der Europäischen Union zu den über diese Netze verfügenden Ländern verbessern und die Außenpolitik der Europäischen Union erleichtern, indem sie sie bei diesem Thema eint und sie in diesen Ländern transparent macht und so unsere Beziehungen zu ihnen verbessert. Darüber hinaus kann die richtige Anwendung der vorliegenden Verordnung angesichts der Tatsache, dass parallel zur illegalen Einwanderung vielfältige andere rechtswidrige und kriminelle Aktivitäten durchgeführt werden, die grundlegende Menschenrechte missachten und die Menschenwürde verletzen, wie der Frauen- und Drogenhandel, der moderne Sklavenhandel usw., auch hier positive Dienste leisten.
Verehrte Abgeordnete! Wir sind ständig Zeugen, wie Tausende von Menschen an unseren Küsten und Grenzflüssen ertrinken, in Containern, an den Küsten des Mittelmeers oder des Kanals beziehungsweise in unwegsamen Bergen umkommen. Ich hoffe, dass die ordnungsgemäße Umsetzung dieser Verordnung gemeinsam mit anderen unterstützenden Politiken für die Entwicklung und Demokratisierung der Herkunftsländer der illegalen Einwanderer in signifikanter Weise das tiefgreifende soziale und politische Problem entschärft, das unsere Gesellschaften beeinflusst und den Boden für die Entstehung eines rassistischen und fremdenfeindlichen Klimas bereitet, eines Klimas, das die humanistischen und demokratischen Werte der europäischen politischen und sozialen Kultur beleidigt.
Oreja Arburúa (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, zunächst möchte ich die Berichterstatterin zu ihrer Arbeit beglückwünschen und ihr auch für die guten Beziehungen zum Berichterstatter meiner Fraktion danken. Sie hat viele der Änderungsanträge und Vorschläge berücksichtigt, die wir im Ausschuss vorgelegt haben.
Wie sie halte ich den Vorschlag für wichtig. Die Einrichtung dieses Netzes von Verbindungsbeamten ist wichtig, vor allem insofern, als wir beschlossen haben, dass die Kommunikation und die Kommunikationsstrategie in den Ländern, von denen die Einwanderung ausgeht, große Bedeutung hat. Wir haben hier oft darüber gesprochen. Dazu müssen Informationen über die Wege der legalen Einwanderung und über die Gefahren und Betrügereien im Zusammenhang mit der illegalen Einwanderung verbreitet werden.
Ich möchte daran erinnern, dass wir hier in diesem Parlament kürzlich eine Entschließung über die Informations- und Kommunikationsstrategie für die Europäische Union angenommen haben. In Erwägung N hieß es, dass die Einwanderungspolitik und die Achtung der Menschenrechte als eine Priorität innerhalb der Informationspolitik der Union betrachtet werden. Ferner wurde die Kommission aufgefordert, dass ihre Büros in den Ländern, von denen die Einwanderung ausgeht, auch als Stellen fungieren, die diese Länder über die Wege der legalen Einwanderung nach Europa und über die Gefahren der illegalen Einwanderung informieren.
Ich glaube daher, dass die Änderungsanträge, die hierzu in den Bericht der Berichterstatterin aufgenommen wurden, besonders wichtig sind und die Kommission verpflichten, in irgendeiner Form an den Sitzungen der Verbindungsbeamten teilzunehmen und es ihnen zu ermöglichen, die Bürger aus Ländern, von denen die Einwanderung ausgeht, über die Wege der legalen Einwanderung und die Gefahren der illegalen Einwanderung zu informieren.
Einen der Änderungsanträge, die der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten eingereicht hat, halte ich jedoch insofern für etwas übertrieben, als hier von einem ersten Schritt hin zur Einrichtung eines Außendienstes der Union die Rede ist. Die Verbindungsbeamten sind allerdings, wenn sie von den Kommissionsstellen in Hinblick auf die Information und Koordination unterstützt werden, zweifellos ein erster Schritt hin zur Begründung der gemeinschaftlichen Einwanderungspolitik, die wir alle wollen.
Auf diese Weise wollen wir erreichen, dass die Länder, von denen die Einwanderung ausgeht, Europa als eine einzige Region betrachten und dass die Informationsbüros der Kommission in gewissem Maße als Koordinatoren der Einwanderungspolitik wirken, die wir uns alle für die Europäische Union wünschen.
Schließlich halte ich es für wichtig – und dies geht an die Adresse des Herrn Kommissars – zu akzeptieren, dass die Länder, die keinen Vertreter in den Ländern haben, von denen die Einwanderung ausgeht, diese Aufgabe den Verbindungsbeamten aus einem anderen Land übertragen können, das eine Vertretung in diesem Land hat.
Coelho (PPE-DE). – (PT) Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier bereits bei verschiedenen Gelegenheiten unsere Sorge darüber geäußert, dass die Außengrenzen der Union eines der schwächsten Glieder im System des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sind. Wir unterstützen daher alle Initiativen, die zur dringend notwendigen Verstärkung der Kontrolle an den Außengrenzen der Union beitragen können. Wie Kommissar Vitorino bereits erwähnte, wurde die Errichtung eines Netzes von Verbindungsbeamten bereits auf dem Europäischen Rat von Sevilla gefordert, und in den Schlussfolgerungen von Thessaloniki hieß es, dass die Arbeiten zur Annahme eines Rechtsinstruments bis Ende 2003 beschleunigt werden müssen. Das ist der Grund für den Bericht, den wir heute hier untersuchen und den ich zum Anlass nehme, der Frau Abgeordneten Martine Roure zu der von ihr geleisteten Arbeit zu gratulieren.
Es gibt bereits eine informelle Zusammenarbeit zwischen den Verbindungsbeamten. Mit dieser Initiative soll diese Zusammenarbeit einen Rahmen erhalten, um sie zu formalisieren und zu verstärken. Dieses Netz von Beamten kann und muss zur Vorbeugung von illegaler Einwanderung und zum Kampf gegen dieses Phänomen beitragen, um bei der Rückführung der illegalen Einwanderer und beim Schutz vor der illegalen Einwanderung zu helfen.
Unser Ziel ist die Entwicklung einer proaktiven Politik für die legale Einwanderung, zugleich aber auch zur wirksamen Bekämpfung von illegaler Einwanderung und Menschenhandel. Erneut muss ich mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass der Menschenhandel in der dritten Säule verankert ist und deshalb nicht in den Geltungsbereich der vorliegenden Verordnung als eine Zuständigkeit der Verbindungsbeamten aufgenommen werden kann. Wieder stehen wir vor einer absurden Situation infolge der Aufteilung der Bereiche auf die drei Säulen, einer Aufteilung, die sich einmal mehr als unnütz und kontraproduktiv erweist.
Ich möchte ferner hervorheben, dass zur Vorbeugung von illegaler Einwanderung legale Wege der Einwanderung und zielgerichtete Informationskampagnen notwendig sind, die potenzielle Einwanderungskandidaten davon abhalten. Wir können und müssen weitere Tragödien verhindern, von denen uns einige ja noch gut im Gedächtnis sind.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 11.00 Uhr statt.
13. Verfahrensgarantien im Strafverfahren
Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht (A5-0361/2003) von Herrn Hernández Mollar im Namen des Ausschusses für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten über den Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat über Mindestnormen im Bereich der Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union (2003/2179(INI)).
Hernández Mollar (PPE-DE), Berichterstatter. – (ES) Herr Präsident, verehrte Kommissionsmitglieder, meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen die Wichtigkeit und die Bedeutung der Empfehlung hervorheben, die wir heute behandeln.
Was wir heute erörtern, ist die erste Initiative in Form eines Grünbuchs, anhand derer wir uns zusammen mit anderen Instrumenten mit dem künftigen Vorschlag eines Rahmenbeschlusses auseinandersetzen wollen, der, wie sein Titel sagt, die Mindestnormen im Bereich der Verfahrensgarantien für Verdächtige und Beschuldigte in Strafverfahren in der Europäischen Union regeln soll.
Die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Staaten der Europäischen Union sowohl im zivilrechtlichen als auch im strafrechtlichen Bereich hat ein Ausmaß erreicht, das vor einigen Jahren noch undenkbar war. Diese Zusammenarbeit wird ihren Höhepunkt erreichen, wenn Anfang 2004 der europäische Haftbefehl in Kraft tritt, sofern alles planmäßig läuft und trotz der Schwierigkeiten, die in einigen Mitgliedstaaten noch zu bestehen scheinen.
Daher nimmt zu einem Zeitpunkt, da die Schaffung eines europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts voranschreitet und die Besorgnis gegenüber dem Terrorismus, der organisierten Kriminalität und der illegalen Einwanderung wächst, die Zusammenarbeit zwischen den Polizei- und Justizbehörden der Mitgliedstaaten zu. Es ist unverzichtbar, dass wir die notwendigen Garantien nicht weiterhin vernachlässigen, die Verdächtigte und Beschuldigte in Strafverfahren haben müssen, damit ihr Recht auf ein gerechtes und unparteiisches Gerichtsverfahren jederzeit sichergestellt ist.
Der Zweck der Empfehlungen, die wir heute erörtern, besteht daher lediglich darin, einen gewissen Grad der Vereinheitlichung der Verfahrenspraktiken in den Mitgliedstaaten zu erreichen, auf der Grundlage der Rechte, die in der europäischen Menschenrechtskonvention, der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Straßburg und der Charta der Grundrechte der Union festgelegt sind sowie im Rahmen der juristischen und strafrechtlichen Konvergenz, die heute in der Europäischen Union erreicht ist. Und dies gestützt auf die gegenseitige Anerkennung, die der Europäische Rat von Tampere als Eckpfeiler der justiziellen Zusammenarbeit in der Union in Zivil- und Strafsachen bezeichnet hat.
Bei dieser wichtigen Tagung des Europäischen Rates wurden auch die Grundlagen dafür gelegt, dass wir heute Mindestnormen im Bereich der Verfahrensgarantien für Verdächtige und Beschuldigte in Strafverfahren innerhalb der Union erörtern können. Denn dort wurde die Notwendigkeit betont, sich mit den Aspekten des Verfahrensrechts zu beschäftigen, für die gemeinsame Mindeststandards geschaffen werden müssen, um die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung unter Wahrung der grundlegenden Rechtsprinzipien der Mitgliedstaaten zu erleichtern.
Im Grünbuch wird erläutert, warum die Vorschläge auf die fünf dort genannten Rechte beschränkt werden: Rechtsbeistand und Vertretung, Verdolmetschung und Übersetzung, Aufklärung über die Rechte, Schutz schutzbedürftiger Verdächtigter und Beschuldigter und konsularischer Beistand.
Ich frage mich, Herr Kommissar, Herr Präsident, ob es nicht auch nützlich gewesen wäre, die Arten von Straftaten zu berücksichtigen, die in allen oder den meisten Staaten begangen werden. Dadurch hätte die notwendige Vereinheitlichung der Verfahrenspraktiken in gewisser Weise ergänzt werden können.
Zulassung und Würdigung von Beweisen, das Abwesenheitsurteil und die Regelung für die Kaution sollen später behandelt werden. Ich möchte hier die Gelegenheit nutzen, um den Herrn Kommissar zu fragen, wie weit die Arbeiten in diesem Bereich gediehen sind. Einige Fraktionen waren entschlossen, diese Themen in die Empfehlung aufzunehmen, auch wenn dies nicht Gegenstand der Empfehlung ist.
Meines Erachtens ist der Ansatz, der mit dem Grünbuch verfolgt wurde, vernünftig. Denn es ist immer noch eine unbestreitbare Tatsache, dass die Strafgerichtsbarkeit das Kernstück der Souveränität der Staaten ist. Sie ist daher sehr wenig flexibel, wenn es um die Festlegung wesentlicher gemeinsamer Verfahren und Systeme geht. Und auch wenn man sehen muss, dass dieser Widerstand im Wesen jeder europäischen Gesellschaft und ihrer jeweilige Rechtskultur begründet ist, so ist doch das Strafverfahren auch ein System, das dem Staat Beschränkungen auferlegt, an dem die Qualität dieses Staates als Rechtsstaat und im Hinblick auf die Achtung des Bürgers gemessen wird, etwas, für das sich dieses Hohe Haus als höchsten Ausdruck seines Willens immer einsetzen muss.
Es steht daher außer Frage, dass dieser Vorschlag zum rechten Zeitpunkt kommt; es ist ein Vorschlag, der keinen Anlass zu der Annahme gibt, die bisher beschlossenen Instrumente – wie der europäische Haftbefehl – hätten die Garantien und grundlegenden Rechte unserer Bürger untergraben, ein Vorschlag, der es jedoch erforderlich macht, dass die Fortschritte in dieser Richtung durch eine gewisse Vereinheitlichung der Verfahrensgarantien ergänzt werden.
Abgesehen davon muss ich die beiden Änderungsanträge der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz und der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Liste ablehnen, die das In-Kraft-Treten des Haftbefehls vom In-Kraft-Treten des Rahmenbeschlusses über Verfahrensgarantien abhängig machen wollen. Ich lehne diese Änderungsanträge ab, weil der vorgesehene Termin für das In-Kraft-Treten des europäischen Haftbefehls der Januar 2004 ist und weil der Haftbefehl selbst sich auf das gegenseitige Vertrauen zwischen den unterschiedlichen Rechtssystemen der Mitgliedstaaten gründet. Dennoch ist es absolut notwendig, dass die Mindeststandards, die im Rahmenbeschluss vorgesehen sind, dringend und baldmöglichst eingeführt werden.
Damit wollte ich lediglich den strittigsten Punkt hervorheben, den Punkt, der zwischen einigen Fraktionen die größten Unstimmigkeiten hervorgerufen hat.
Ich möchte abschließend die Gelegenheit nutzen, den Fraktionen für die fast einmütige Unterstützung zu danken, die dieser Bericht im Ausschuss erhalten hat. Dies wird sich morgen, so hoffe ich, wiederholen.
Vitorino,Kommission.(EN) Herr Präsident, ich möchte dem Berichterstatter, Herrn Hernández Mollar, für seinen hervorragenden Bericht danken. Die Kommission teilt seine Ansicht, dass der Festsetzung von gemeinsamen Mindestnormen für Verfahrensgarantien wesentliche Bedeutung zukommt. Dies ist zur Wahrung des gegenseitigen Vertrauens unabdingbar, das die Grundlage für die Maßnahmen im Rahmen des Programms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung bildet, wobei zuerst über den Europäischen Haftbefehl politische Einigung erzielt wurde.
Gemeinsame Mindestnormen für Verfahrensgarantien sind notwendig um sicherzustellen, dass die Grundrechte der Bürger der Europäischen Union in den 25 Mitgliedstaaten gleichermaßen geachtet werden. Ein Vorschlag für einen Rahmenbeschluss ist von der Kommission als Follow-up-Maßnahme des Grünbuchs geplant, wenn unsere Kerngedanken hier im Parlament Zustimmung finden sollten.
Eine derartige Maßnahme wurde vom Europäischen Rat von Tampere ins Auge gefasst, und daher wird auch auf den Schutz der Rechte von Privatpersonen Bezug genommen. Diese Maßnahme geht eigentlich nicht über die bereits bestehenden Bestimmungen – die Europäische Menschenrechtskonvention und das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen – hinaus. Sie verdeutlicht, was auf EU-Ebene für ein faires Verfahren als wesentlich angesehen wird, und stellt ferner sicher, dass Maßnahmen zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung reibungsloser funktionieren, da die Mitgliedstaaten die Geltung angemessener Garantien in den anderen Mitgliedstaaten eher anerkennen werden.
Was den Vorschlag des Berichterstatters angeht, Bestimmungen über andere Grundrechte wie das Recht auf Freilassung auf Kaution oder Normen für die Zulässigkeit von Beweisen mit einzubeziehen, so erläutert die Kommission im Grünbuch, dass für diese beiden sehr wichtigen Gebiete jeweils einzelne Maßnahmen getroffen werden, um ihnen gerecht zu werden. Das Recht auf Freilassung auf Kaution, das sich auch auf Haftbedingungen erstreckt, ist Gegenstand einer Maßnahme im Rahmen des Programms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung und wird auf angemessenere Art und Weise als Einzelfrage behandelt werden.
Ich kann den Abgeordneten ferner mitteilen, dass die Kommission den Mitgliedstaaten einen Fragebogen zu diesen spezifischen Fragen vorgelegt hat. Wir haben die ersten Antworten erhalten und werden eine erste Auswertung dem Rat Justiz und Inneres vorlegen, der morgen früh hier in Brüssel zusammentreten wird. Eine Mitteilung über diese Angelegenheit ist im Arbeitsprogramm der Kommission für 2003 enthalten.
Im diesjährigen Arbeitsprogramm ist zudem ein Grünbuch über die Angleichung, Vollstreckung und Anerkennung von Strafmaßnahmen in der Europäischen Union vorgesehen. Dadurch soll in der gesamten Europäischen Union eine gleichberechtigte Behandlung von verhafteten Personen sichergestellt werden, so dass beispielsweise Personen, die nicht in ihrem Heimatstaat, sondern in einem anderen Mitgliedstaat verurteilt werden, aufgrund ihrer fremden Staatsbürgerschaft nicht diskriminiert werden.
Was den fairen Umgang mit Beweisen angeht, so ist dieses Gebiet zu umfangreich, als dass es in einem Grünbuch behandelt werden könnte, in dem – wie in dem vorliegenden – bereits verschiedene Rechte vorgeschlagen werden. Daher fasste die Kommission den Beschluss, diesem Thema mehr Zeit zu widmen und eine spezifische Studie durchzuführen, sobald die erste Arbeitsphase hinsichtlich der Verfahrensgarantien abgeschlossen ist. Die Kommission hat nun mit der Arbeit an einer Studie über Garantien hinsichtlich der Fairness beim Sammeln von und dem Umgang mit Beweisen begonnen. Dazu wird unter anderem Folgendes gehören: das Selbstbezichtigungsverbot, das Recht auf Anhörung von Zeugen, das Problem anonymer Zeugen, das Recht auf Offenlegung von entlastenden Beweisen, wie die Unschuldsvermutung zu verstehen ist, ob unter gewissen Umständen die Beweislast umgekehrt werden kann und viele andere Aspekte des Beweisrechts. Hierbei handelt es sich um eine der kompliziertesten Fragen des Strafrechts.
Hinsichtlich des Grundsatzes „ne bis in idem“ wird derzeit eine von dem früheren griechischen Ratsvorsitz vorgebrachte Initiative in den zuständigen Gremien des Rates erörtert, und der Rat Justiz und Inneres wird diese griechische Initiative morgen nochmals diskutieren.
In Bezug auf die Frage der Haftbedingungen in der Europäischen Union hat die Kommission kürzlich einen Fragebogen erstellt und an die zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten gesandt. Die Antworten auf diesen Fragebogen gehen nun bei uns ein und stellen eine nützliche Informationsquelle dar, die bei der Vorbereitung der beiden erwähnten Grünbücher über Untersuchungshaft und Angleichung, gegenseitige Anerkennung und Strafvollstreckung berücksichtigt wird.
Gargani (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Recht und Binnenmarkt. – (IT) Herr Präsident, ich ergreife das Wort, weil ich mich verpflichtet fühle, die Bedeutung dieses Grünbuchs hervorzuheben und dementsprechend Kommissar Vitorino zu dem Beitrag zu beglückwünschen, den er somit zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geleistet hat. Mein Dank gilt auch dem Kollegen Hernández Mollar, der die Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, die wir auf der Grundlage einer gründlichen Untersuchung, einer ausführlichen Debatte und eines hohen Verantwortungsbewusstseins abgegeben haben, übernommen hat. Er hat soeben wiederholt, dass es gilt, in Erwartung eines materiell-rechtlichen Strafrechts den Schwerpunkt auf das Strafverfahren zu legen, weil dieses die Gewähr für die Durchsetzung dessen bieten kann, was wir als Minimum an Zuverlässigkeit und als Mindestgarantie bezeichnen.
Ziel der Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt war es, die freiheitlichen Garantien für die Beschuldigten zu betonen und hervorzuheben. Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Institutionen danach beurteilt werden, ob die rechtliche Kultur, die Kultur des Rechts dominiert, und diese Garantien sind Voraussetzung und Merkmal eines fairen Verfahrens, von dem so viel gesprochen wird und das meines Erachtens in verfahrensrechtlicher Hinsicht unser Endziel sein muss.
Herr Kommissar Vitorino, das Grünbuch stellt einen Kurswechsel dar, einen radikalen Kurswechsel gegenüber den nicht gerade demokratischen Tendenzen, wonach einzig und allein die Untersuchungsbefugnisse, und zwar auch auf supranationaler Ebene, bevorzugt behandelt werden. Die europäische Staatsanwaltschaft zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft ist ein Beispiel für diese Beobachtung, auf die ich schon bei anderen Gelegenheiten und in anderen Aussprachen in diesem Hohen Haus deutlich hingewiesen habe.
Alle vorgesehenen Normen wurden bereits erwähnt, doch das Recht auf eine unmittelbare Verteidigung bzw. auf rechtlichen Beistand, die Garantie in Bezug auf eine verständliche Sprache und andere, ähnlich gelagerte Fragen machen die wesentlichen Elemente dieser Maßnahme aus, die ich nochmals hervorheben möchte. Nicht nur die Koordinierung und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch die gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen in Strafsachen sind meines Erachtens der Grundsatz, den wir bekräftigen müssen und für den sich der Ausschuss für Recht und Binnenmarkt einsetzt.
Herr Präsident, zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass der Schutz der Rechte auf ein höheres und nicht auf das niedrigste Niveau gebracht werden muss. Deshalb müssen wir die Garantien, die einige Staaten gewähren, berücksichtigen und die Haltung und das Vorgehen der Union im Ganzen nach diesem Niveau und diesen Rechten ausrichten. Das verlangen das Europa der Rechte und das Europa der Freiheiten.
Coelho (PPE-DE). – (PT) Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich den Berichterstatter, Herrn Hernández Mollar, zur Leistung, zur Qualität und zur großen Sachdienlichkeit des Berichts beglückwünschen, den er uns vorgelegt hat. Bei der Errichtung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts kommt es darauf, dass die Grundrechte der Bürger stets durchgehend geachtet und garantiert werden und dass die Grundsätze für ein faires Verfahren entsprechend festgeschrieben sind. Damit ist diese Initiative durch die Festlegung einer Reihe von Mindestnormen im Bereich der Verfahrensgarantien in Strafverfahren in den Mitgliedstaaten ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung zur Errichtung eines echten europäischen Raums des Rechts. Angestrebt wird die Sicherung eines unionsweit einheitlich hohen Schutzniveaus bei den Rechten von Personen, die einer Straftat verdächtigt, beschuldigt oder wegen einer Straftat angeklagt oder verurteilt werden.
Die Annahme dieser gemeinsamen Normen spielt eine entscheidende Rolle, um das Vertrauen der Bürger in die Justizbehörden und deren Vertrauen in die einzelnen Rechtssysteme der jeweils anderen Mitgliedstaaten zu stärken. Das gemeinschaftliche Rechtsinstrument, auf dem diese gemeinsamen Standards basieren werden, soll die Verfahrensgarantien im gesamten Hoheitsgebiet der Union verbessern, ohne jedoch das in den verschiedenen Mitgliedstaaten garantierte Schutzniveau zu verringern.
Herr Hernández Mollar hat ja bereits einige Bereiche genannt, doch ich möchte besonders den Rechtsbeistand, das Recht auf einen Dolmetscher und/oder Übersetzer, den Schutz besonders schutzbedürftiger Personen – Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, Analphabeten –, den konsularischen Beistand und den Hinweis auf bestehende Rechte hervorheben. Das Problem liegt bei diesen Standards oftmals nicht darin, dass es sie nicht gäbe, sondern eher in ihrer mangelhaften Umsetzung. Deshalb muss der Rahmenbeschluss auch Bestimmungen über die tatsächliche Umsetzung sowie Sanktionen und – neben den bereits genannten – weitere Grundrechte von Verdächtigten und Angeklagten beinhalten.
In diesem Rahmen wird die PPE selbstverständlich für den Bericht Hernández Mollar stimmen.
(Beifall)
Paciotti (PSE). – (IT) Herr Präsident, meines Erachtens stellt der in dem Bericht des Ausschussvorsitzenden Hernández Mollar enthaltene Entschließungsantrag eine wichtige Bereicherung des Grünbuchs der Kommission über die Verfahrensgarantien dar, wozu auch die zahlreichen, von allen Fraktionen eingereichten Änderungsanträge beigetragen haben. Deshalb danke ich dem Ausschussvorsitzenden Hernández Mollar für die geleistete Arbeit.
Wie ich schon sagte, stellt er eine wichtige Bereicherung dar, und zwar nicht nur, weil er nachdrücklich zur Annahme eines Rahmenbeschlusses über gemeinsame Mindestnormen auffordert und auch einen kritischen Hinweis auf die Kapitel enthält, die – wie die Kommission selbst einräumt – noch fehlen, um ein komplettes System gemeinsamer Mindestnormen zur Festlegung der europäischen Grundrechte in Bezug auf einen fairen Prozess zu schaffen. Die Liste dieser Rechte muss um Elemente betreffend die Regeln für die Zulassung und Würdigung von Beweisen, die Kriterien für die Untersuchungshaft, die Haftbedingungen an sich sowie das Recht auf Berufung, das vor allem für die persönliche Freiheit entscheidend ist, erweitert werden. Das Hauptverdienst des Entschließungsantrags besteht darin, dass er die bereits in dem Grünbuch behandelten Rechte hinsichtlich ihres spezifischen Inhalts weiter ausgestaltet: das Recht auf rechtlichen Beistand und Vertretung, die für die Bedürftigen kostenlos erfolgen und durch erfahrene Rechtsanwälte sichergestellt werden müssen; die Gewährleistung einer adäquaten und vollständigen Übersetzung für denjenigen, der eine andere Sprache spricht; das Recht auf konsularischen Beistand oder auf angemessenen Schutz für besonders schutzbedürftige Personen, vor allem – aber nicht nur – für Minderjährige. Innovativ und besonders interessant ist ferner der Vorschlag für einen „Letter of Rights“, d. h. ein detailliertes und in mehreren Sprachen verfasstes Informationsblatt über die Rechte des Verdächtigen und Beschuldigten, das den Betreffenden bei ihrem ersten Kontakt mit einem Vertreter der Strafverfolgungsbehörden auszuhändigen ist.
Wie wir wissen, sind alle Mitgliedstaaten gehalten, die Europäische Konvention über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten, und der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg trägt mit seiner ausgefeilten Rechtsprechung für deren Einhaltung Sorge; doch das genügt nicht. Die unverrückbare Unterschiedlichkeit der Systeme, Verfahren und rechtlichen Traditionen löst Besorgnisse aus, die sich negativ auf das Vertrauen auswirken, das die europäischen Bürger in die Justizsysteme der Mitgliedstaaten haben müssen, damit sich in einem Raum ohne Binnengrenzen die notwendige, auf der gegenseitigen Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen der verschiedenen Länder beruhende Zusammenarbeit entwickeln kann. Um gleichzeitig die Freiheit und die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten, ist es daher dringend geboten, gemeinsame Mindestnormen einzuführen, damit auf europäischer Ebene hohe Standards für Verfahrensgarantien festgelegt werden, die Europa all jenen – EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern – bieten muss, die mit seinen Justizsystemen in Berührung kommen.
Daher kann ich Ihnen mitteilen, dass meine Fraktion dem Bericht Hernández Mollar zustimmen wird.
Buitenweg (Verts/ALE). –(NL) Herr Präsident! Meine Fraktion ist über den Bericht hocherfreut, und wir möchten daher den Berichterstatter Hernández Mollar zu seiner Arbeit beglückwünschen. Auch der Kommission möchte ich zu ihren Anstrengungen auf diesem Gebiet gratulieren, und hoffentlich wird sie sowohl bei dem endgültigen Rahmenbeschluss über Mindestnormen für Verfahrensrechte von Tatverdächtigen als auch bei den anschließend zu fassenden Beschlüssen ein anspruchsvolles Niveau beibehalten. Ich hoffe aufrichtig, dass wir in naher Zukunft brauchbare Vorschläge erwarten dürfen, und zwar auch hinsichtlich der Ermittlungsmethoden, der Zulässigkeit und der Würdigung von Beweisen.
Europäische Übereinkommen über solche Fragen sind nach Ansicht meiner Fraktion insofern unbedingt erforderlich, als die Mitgliedstaaten in Tampere die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen sowie deren uneingeschränkte Vollstreckung beschlossen haben. Der schlagendste Beweis dafür ist der heute schon mehrfach erwähnte Europäische Haftbefehl. Dies bedeutet, dass die Mitgliedstaaten den gegenseitigen Ersuchen um Auslieferung gleichsam automatisch stattgeben, ohne zu überprüfen, ob der Beweis rechtmäßig erlangt wurde, oder sich zu vergewissern, dass der Verdächtige auf einen fairen Prozess nach den Normen des ausliefernden Staates rechnen kann; das Ganze geschieht nämlich auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens.
Herr Hernández Mollar, Sie sagten, diese Vertrauensbasis bestehe, nach meinem Dafürhalten ist dieses, insbesondere in einem politischen Kontext wünschenswerte, Vertrauen jedoch nicht in ausreichendem Maße vorhanden oder nicht genügend konsolidiert. Beispielsweise gab es – wenn ich die Situation aus der Sicht meines eigenen Landes betrachte – heftigen Protest gegen die auf eine einzige Zeugenaussage gestützte Verurteilung eines Niederländers in Österreich sowie gegen die lange Untersuchungshaft britischer und niederländischer Flugzeugbeobachter in Griechenland. Ähnliche Beispiele wird es auch in mehreren anderen Ländern geben. Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass wir zuerst Vereinbarungen über Mindestnormen für die Rechte Tatverdächtiger schließen, bevor unsere eigenen Bürger auf diese Weise, ohne dass präzise Bedingungen gestellt werden, ausgeliefert werden sollen. Deshalb mein nachdrücklicher Appell an Sie, nochmals über unseren Änderungsantrag nachzudenken.
Ich weiß, dass zahlreiche Mitgliedstaaten im Grunde Einwände erheben möchten und gewisse Bedenken gegen einen Rahmenbeschluss über gemeinsame Mindestnormen für das Verfahrensrecht hegen. Dies finde ich wirklich bedauerlich sowie unverständlich. Zwar mag der Grund darin liegen, dass sich Brüssel nicht unnötig einmischen soll, aber es ist doch völlig absurd, dass, nachdem sie selbst diesen Schritt eines Europäischen Haftbefehls, der eine sehr weitreichende Maßnahme auf dem Weg zur europäischen justiziellen Zusammenarbeit darstellt, vollzogen haben, nunmehr nicht zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Strafverfolgung und Bürgerrechten bereit sind, wozu Abkommen über Bürgerrechte auch auf europäischer Ebene geschlossen werden müssen. Mithin obliegt es uns EP-Abgeordneten sicherzustellen, dass diese Bürgerrechte nicht unter den Teppich gekehrt werden, sondern wieder eine Balance hergestellt wird.
Turco (NI). – (IT) Herr Präsident, kurz vor In-Kraft-Treten des europäischen Haftbefehls nimmt das Europäische Parlament Stellung zu einer Mitteilung der Europäischen Kommission über Verfahrensgarantien und Verteidigungsrechte. Der angekündigte Rahmenbeschluss wurde trotz Ihrer Bemühungen, Herr Kommissar, noch nicht formal vorgelegt, und der Rat war bei seinen ersten Debatten äußerst gespalten hinsichtlich der Notwendigkeit und des Inhalts einer Harmonisierung der Verteidigungsrechte. Vor diesem Hintergrund sollen wir entscheiden, und vor diesem Hintergrund möchte ich Sie auf den Standpunkt des italienischen Justizministers hinweisen, der, nachdem er persönlich im Rat dem europäischen Haftbefehl zugestimmt hatte, erklärte, er halte ihn – ich zitiere – „unter technischen Gesichtspunkten für verfassungswidrig und von der Sache her für völlig falsch“.
Für diese schwer wiegenden Behauptungen hätte es weder juristische noch politische Gründe geben können, wenn die Kommission und der Rat den Forderungen dieses Parlaments in Bezug auf die Harmonisierung der Verfahrensrechte Gehör geschenkt hätten. Leider ist es jedoch nun zu spät, und der europäische Haftbefehl wird in einem europäischen Kontext in Kraft treten, der durch Bedenken der Mitgliedstaaten und Verzögerungen bei der Umsetzung gekennzeichnet ist. Trotz der ausgezeichneten Arbeit des Ausschussvorsitzenden Hernández Mollar und nachdem sie auch die eindringlichen Worte des Vorsitzenden des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, Herrn Gargani, vernommen haben, werden die Abgeordneten der Radikalen ihr Votum deshalb von der Annahme der Änderungsanträge abhängig machen, in denen gefordert wird, dass der europäische Haftbefehl erst nach Annahme der Verfahrensgarantien in Kraft treten soll.
VORSITZ: ALEJO VIDAL-QUADRAS ROCA Vizepräsident
McKenna (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident, zuerst einmal gibt es eine Debatte über die Frage, ob die Europäische Union Fragen im Zusammenhang mit gemeinsamen Normen für das Verfahrensrecht erörtern sollte. In Wirklichkeit müssen wir jedoch auch erkennen, dass in letzter Zeit viele repressive Gesetze eingeführt wurden – eine der heute Abend erwähnten Maßnahmen ist der Europäische Haftbefehl –, und wir benötigen zumindest ein Gegengewicht, um die Rechte von Tatverdächtigen und Angeklagten in Strafverfahren sicherzustellen. Dies läuft einerseits darauf hinaus, dass beispielsweise bei den Ermittlungsmethoden gewisse Normen zu wahren sind. Ferner muss in vielen Mitgliedstaaten das Recht auf Freilassung auf Kaution gewährleistet werden: Meiner Ansicht nach sollte den Menschen dieses Recht zustehen.
Wie in vielen Redebeiträgen erwähnt wurde, wissen wir, dass es in vielen Fällen Probleme beim Zugang zu rechtlichen Vertretern vor und während der Verhandlung gibt. Wir müssen dafür sorgen, dass so etwas nicht vorkommt. Hier muss etwas für die Wahrung der Rechte von Tatverdächtigen getan werden, denn letztendlich handelt es sich hier um verdächtigte Personen: Sie wurden noch nicht verurteilt, und daher sollten ihre Rechte geschützt werden.
Wenn man bedenkt, dass in der letzten Zeit von der Europäischen Union viele repressive Gesetze ohne eine öffentliche Debatte oder eine wirkliche Beteiligung der Bürger der Mitgliedstaaten verabschiedet wurden, so können wir zumindest den Schutz der Rechte der Menschen sicherstellen. Das Gleiche gilt bei vielen Angeklagten für die Verdolmetschung und Übersetzung. So sieht die Lage in vielen Staaten aus, was auf die Einbringung von Gesetzen unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Terrorismus zurückzuführen ist. Viele dieser Tatverdächtigen haben kein Recht auf angemessene Verdolmetschung oder Übersetzung, und daher kann diesen Menschen auch nicht das Recht auf eine faire Verhandlung oder auf die Unschuldsvermutung gewährt werden.
Erst wenn wir in der Europäischen Union derartige Maßnahmen wirklich gewährleisten, können wir weitere repressive Gesetze einbringen. Wie Einige bereits hinsichtlich des Europäischen Haftbefehls erwähnten, so sollten daran Voraussetzungen geknüpft werden. Ich befürworte den Europäischen Haftbefehl eigentlich nicht, doch zumindest müssen Mindestnormen geschaffen werden, bevor weitere Gesetze von der Europäischen Union verabschiedet werden. In den vergangenen Monaten und Jahren hat die Union die Grundrechte der Menschen verletzt, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind. Die Unschuldsvermutung und das Recht auf eine faire Verhandlung sind von so grundlegender Bedeutung, dass sich jeder Bürger in einer Demokratie zu ihrer Inanspruchnahme berechtigt fühlt.
Vitorino,Kommission. (EN) Herr Präsident, ich werde mich kurz fassen. Zunächst möchte ich Herrn Hernández Mollar noch einmal zu seinem Bericht gratulieren und darauf hinweisen, dass sämtliche Arbeiten zum Beweisrecht im Laufe des Jahres 2004 durchgeführt werden. Dies geht deutlich aus unserem Gesetzesprogramm hervor, und das habe ich zudem gegenüber dem Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten zum Ausdruck gebracht als wir unseren Strukturdialog über die Prioritäten für das nächste Jahr führten.
Zugleich kann ich Ihnen mitteilen, dass das Grünbuch über die Kaution fertiggestellt wurde und von der Kommission erörtert werden muss. Meines Erachtens wird es in den ersten Monaten des Jahres 2004 verabschiedet werden.
Herr Turco, ich wage es mir nicht einmal vorzustellen, was geschehen wäre, wenn ich den Rahmenbeschluss vorgelegt hätte, ohne vorher die Meinung dieses Parlaments über das Grünbuch einzuholen: Immer schön der Reihe nach! Wenn Sie morgen für das Grünbuch stimmen, dann kann ich Ihnen versichern, Herr Turco, dass der Rahmenbeschluss in greifbare Nähe gerückt ist. Ich kann Ihnen versichern, dass wir nicht untätig waren, doch wenn unsere Ideen Ihre Zustimmung finden, dann kann das Rechtsinstrument dem Rat vorgelegt werden.
Schließlich möchte ich hier nicht zu so später Stunde mit Frau Buitenweg oder Frau McKenna ein Streitgespräch über den Europäischen Haftbefehl führen. Hierbei handelt es sich um einen alten Streitpunkt zwischen uns. Dennoch möchte ich ausdrücklich klarstellen, dass ich einen Europäischen Haftbefehl nicht als „repressives Gesetz“ bezeichnen würde. Ich werde solch einem Konzept nicht beipflichten, da Gesetze zur Stärkung der Strafverfolgung nicht einfach als repressive Gesetze angesehen werden können. Es mag zum Missbrauch der Gesetze kommen, und genau deshalb verabschieden wir ja diese Mindestnormen für Verfahrensgarantien. Daher haben wir uns auch ein ehrgeiziges Programm vorgenommen, um die Gesetze der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Verfahrensgarantien anzugleichen.
Ich hoffe, dass das Parlament morgen dem Bericht von Herrn Hernández Mollar zustimmen wird. Dies wird der Kommission helfen, einige der Einwände zu umgehen, die von einigen Mitgliedstaaten im Hinblick auf diese Initiative vorgebracht wurden.
Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht (A5-0360/2003) von Herrn Blak im Namen des Haushaltsausschusses über die Entlastung für das Haushaltsjahr 2001: 1. der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (C5-0102/2003 – 2003/2046(DEC)), 2. der Europäischen Umweltagentur (C5-0098/2003 – 2003/2044(DEC)) 3. des Übersetzungszentrums für die Einrichtungen der Europäischen Union (C5-0100/2003 – 2003/2045(DEC)), 4. der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (C5-0096/2003 – 2003/2043(DEC)) und 5. der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (C5-0094/2003 – 2003/2042(DEC)).
Blak (GUE/NGL), Berichterstatter. – (DA) Herr Präsident, es ist das erste Mal, dass wir diesen fünf Agenturen Entlastung erteilen sollen, und es ist eine neue Situation, an die sich beide Seiten erst gewöhnen müssen. Die Agenturen müssen sich in erster Linie gegenüber dem Parlament verantworten, was mit Verpflichtungen verbunden ist.
Ich habe mit mehreren Agenturen konstruktive Gespräche geführt. Ich hatte gute und lohnende Zusammenkünfte mit der Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz in Bilbao, dem Anti-Rassismus-Zentrum in Wien, der Umweltagentur in Kopenhagen und insbesondere mit der Stiftung für Berufsausbildung in Turin. All diese Agenturen verdienen ein besonderes Lob für ihre äußerst engagierte Arbeit. Ich möchte empfehlen, allen betroffenen Agenturen Entlastung zu erteilen. Im Zusammenhang mit diesen Agenturen gibt es keine großen und ungelösten Probleme.
Nur in Bezug auf die Umweltagentur gibt es ein ungelöstes Problem. Die Umweltagentur hat mehrere Verträge mit Firmen abgeschlossen, die auch Verträge mit Eurostat-Firmen hatten, die zurzeit von der Internen Revision der Kommission wegen eventueller Beteiligung am Eurostat-Skandal überprüft werden. Der abschließende Bericht der Internen Revision bestätigt, dass die Verträge der Umweltagentur mit diesen Firmen Anlass zu großer Sorge geben. Die Revision hat zugesagt, diese Angelegenheit näher zu untersuchen, wofür wir natürlich dankbar sind.
Allgemein gilt für alle Agenturen, dass sie sich in einer Übergangsphase befinden und sich an die neue Haushaltsordnung anpassen müssen. Die einzelnen Agenturen haben sich für unterschiedliche Modelle entschieden, aber allen ist gemeinsam, dass sie jetzt selbst für die Finanzkontrolle zuständig sind. Externe, unabhängige ex ante-Kontrollen der Agenturen wird es nicht mehr geben. Das ist vom Parlament als Teil der neuen Haushaltsordnung akzeptiert worden.
Ich mache mir allerdings Sorgen, dass die Kontrolle lückenhaft werden könnte. Die Interne Revision der Kommission hat absolut keine Ressourcen, um die einzelnen Transaktionen überprüfen zu können. Herr Muis hat dies in einer Sitzung des Haushaltskontrollausschusses ganz deutlich gesagt. Die Interne Revision hat keinerlei Ressourcen zur Überprüfung der Kontrollverfahren in den Agenturen.
Der Rechnungshof führt sehr wenige Kontrollen durch. Deshalb müssen wir uns unbedingt darauf verlassen können, dass die interne Kontrolle in den Agenturen gut funktioniert. Die zukünftigen Berichterstatter für die Entlastungen werden darüber befinden müssen, ob das System in der Praxis funktioniert. Ich möchte allerdings schon jetzt davor warnen. In den Agenturen wird es keine Kontrolleure geben. Ein interner Rechnungsprüfer, der die Funktion eines Beraters hat, ist am Anfang sehr hilfreich, wenn die Agenturen neue Systeme installieren müssen, aber auf Dauer ist ein Kontrolleur besser als ein Berater.
Das Parlament muss größeren Einfluss auf die Ernennung der Direktoren der Agenturen haben, und ich freue mich deshalb, die Kommission um einen Vorschlag zu bitten, der noch vor Dezember dieses Jahres vorzulegen ist. Das hat der Ausschuss einstimmig beschlossen.
Den Agenturen sind viele wichtige Aufgaben übertragen worden, und deshalb müssen wir auch dafür sorgen, dass sie von kompetenten Mitarbeitern geführt werden. Deshalb bin ich dafür, dass das Parlament über die Ernennung von Direktoren befragt wird. Ich gehe vielleicht nicht ganz so weit wie einige meiner Kollegen in diesem Parlament, die der Meinung sind, das Parlament müsse alle Direktoren einzeln genehmigen, weil wir die Agenturen dadurch zu hoch bewerten. Wir genehmigen nicht einmal die Kommissare einzeln, aber ich hätte absolut nichts dagegen, wenn z. B. der Vorschlag meines lieben Kollegen Herbert Bösch angenommen würde, dass wir unmittelbar in ihre Ernennung einbezogen werden. Ich möchte aber empfehlen, für den Änderungsantrag der liberalen Fraktion zu stimmen, in dem vorgeschlagen wird, dass das Parlament gehört werden soll, die Kommission aber die Entscheidungen trifft. Ich bin mir bewusst, dass meine Abgeordneten-Kollegen vielleicht etwas gegen diesen Änderungsantrag einzuwenden haben, weil sie glauben, dass die Kommission zu viel Macht bekommt, wenn sie selbst entscheiden darf, aber ich bin der Meinung, dass es in erster Linie Sache der Kommission ist, ihre eigenen Mitarbeiter zu ernennen.
Wir sollten uns nicht in zu viele interne Detailentscheidungen einmischen. Wir müssen unsere Energie stattdessen für die Kontrolle der Kommission verwenden, was ja unbedingt notwendig ist, wenn man die Entwicklung des Eurostat-Skandals betrachtet. Alle Kommissare lehnen jegliche politische Verantwortung ab und lasten sie dem System an.
Im Grunde müssen wir uns die Frage stellen, ob wir überhaupt in der Lage sind, diese Agenturen zu kontrollieren und ob wir sie eigentlich alle brauchen. Man hat versprochen, eine entsprechende Kosten-Nutzen-Analyse vorzulegen. Abschließend möchte ich sagen, dass die Stiftung für Berufsausbildung in Turin den Vorschlag gemacht hat, dass sie problemlos weitere Aufgaben übernehmen kann, was besser ist als neue Agenturen zu gründen. Wir sollten dies überlegen und dürfen hoffen, dass die Kommission uns Gehör schenkt.
Bolkestein,Kommission. (EN) Herr Präsident, die Kommission hat es sich zur Aufgabe gemacht, so weit als möglich den Ersuchen des Parlaments hinsichtlich immer wieder auftretender Fragen, wie beispielweise Vorschläge der Kommission zur Verbesserung der Funktion von Gemeinschaftseinrichtungen, nachzukommen. Dezentralen Gemeinschaftseinrichtungen obliegen gemäß ihren jeweiligen Gründungsverordnungen besondere Aufgaben. Änderungen und/oder Erweiterungen des Aufgabenbereichs können nur durch Änderung der begründenden Rechtsakte der Agentur vorgenommen werden, so dass Legislativverfahren zum Einsatz kommen müssten, die teilweise ein Mitentscheidungsverfahren erforderlich machen. Die Kommission erachtet die Zusammensetzung der Verwaltungsräte der Agenturen als eine übergreifende Frage, die im Anschluss an ihre Mitteilung über die Rahmenbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen angegangen werden sollte.
Angesichts der Erweiterung befürwortet die Mitteilung eine Verringerung der Größe des Verwaltungsrats, wobei sich in seiner Zusammensetzung ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Exekutivfunktionen auf Gemeinschaftsebene und den Fachkenntnissen der Vertreter der Mitgliedstaaten widerspiegeln sollte.
Die Kommission erwartet hinsichtlich dieses Vorschlags eine Reaktion vom Rat und Parlament, bevor sie sich für ihr endgültiges Vorgehen entscheidet. In dieser Mitteilung schlug die Kommission vor, dass ein Direktor je nach Fall vom Verwaltungsrat oder von der Kommission bestellt werden sollte. Zurzeit wird dieses Dokument vom Europäischen Parlament und Rat geprüft. Eine mögliche Maßnahme in diesem Bereich sollte unter Berücksichtigung der bevorstehenden Diskussionen mit diesen Einrichtungen unternommen werden. Was den Vorschlag über eine interne Auditstelle angeht, so wird der Interne Prüfer der Kommission gemäß der Haushaltsordnung genau dieselben Machtbefugnisse in den von der Gemeinschaft geförderten Agenturen wie in der Kommission haben.
Nur zwei Agenturen, die keine Fördermittel von der Kommission erhalten, sind davon nicht betroffen und zwar die in Angers und in Alicante.
Was den Vorschlag über die Heranziehung der Fachkenntnisse der Europäischen Stiftung für Berufsbildung im Hinblick auf Programme wie TEMPUS und ERASMUS MUNDUS betrifft, kann die Kommission nun gemäß der neuen allgemeinen Haushaltsordnung bestehende Agenturen mit der Leistung von technischer Unterstützung beauftragen.
Der Rückgriff auf eine Agentur entbindet die Kommission jedoch nicht von ihren vertragsgemäßen Verpflichtungen, insbesondere was die Ausführung des Haushaltsplans in Eigenverantwortung angeht. Sie muss daher den Aufgabenbereich der Einrichtung, die für die Leistung von technischer Unterstützung verantwortlich ist, eng eingrenzen können und wirkliche Kontrolle über ihre Tätigkeiten und insbesondere über ihre Entscheidungsgremien behalten. Die Entscheidungsgremien der dezentralisierten Agenturen bestehen aus Vertretern der Mitgliedstaaten: Die Kommission befindet sich in der Minderheit und es ist fragwürdig, ob sie somit die erforderliche Verantwortung und Kontrolle ausüben kann.
In Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Rahmenverordnung über Exekutivagenturen untersucht die Kommission derzeit die Schaffung einer engagierten Agentur zur Unterstützung der Durchsetzung von Gemeinschaftsprogrammen im Bereich Bildung und Kultur wie beispielsweise SOKRATES, LEONARDO DA VINCI, JUGEND usw.
Mit Hilfe von externen Fachleuten wird eine Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt, wobei auch Aufgaben und Mandat der Europäischen Stiftung für Berufsbildung berücksichtigt werden. Die Übertragung der technischen Unterstützung für all diese Programme wird von der Kommission im nächsten Jahr unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Analyse und insbesondere in Erwägung der Wirksamkeit, Effizienz, Kontrolle und Verantwortlichkeit entschieden.
Die Kommission wird sich bemühen, innerhalb einer angemessenen Frist all diese Fragen sowie die Entschließungen des Parlaments weiterzuverfolgen.
Jöns (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Verfasserin der Stellungnahme des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten freue ich mich, dass wir heute auch die Entlastung der Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz auf der Tagesordnung stehen haben. Damit wird unserer zentralen Forderung aus dem letzten Jahr Rechnung getragen, nämlich für alle dezentralen Agenturen ein individuelles Entlastungsverfahren vorzunehmen, um somit endlich zur Gleichbehandlung der Agenturen zu kommen. Natürlich spricht sich mein Ausschuss für die Entlastung der Agentur in Bilbao aus, ebenso wie dies der Ausschuss für Haushaltskontrolle tut. Wir schließen uns also ebenso dem Votum des Rechnungshofs, der Kommission und des Rats an.
Lassen Sie mich aber noch ein paar Sätze zu dieser 1997 ins Leben gerufenen Agentur sagen. Bilbao hat sich inzwischen zur treibenden Kraft im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz entwickelt. Als Beispiel sei hier nur auf die hervorragende Arbeit bei der Umsetzung des Sonderprogramms für kleine und mittlere Unternehmen in den Jahren 2001 und 2002 verwiesen. Dass hier Großartiges geleistet wurde, hat nicht zuletzt eine externe Evaluierung bestätigt. Deshalb war es auch nur konsequent, dass wir in unserer Entschließung zur Gemeinschaftsstrategie für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz 2002-2006 die Kommission im Oktober letzten Jahres aufgefordert haben, in Zukunft doch ein mehrjähriges Programm für kleine und mittlere Unternehmen aufzulegen. Klar ist natürlich, dass auch in Zukunft eine optimale Abstimmung zwischen den Agenturen in Bilbao und Dublin erfolgen muss. Auch wenn aus unserer Sicht kein Grund zu Kritik besteht: Wir begrüßen, dass beide Agenturen ein spezifisches Kooperationsabkommen abgeschlossen haben, um die Komplementarität zu verbessern und jegliche Gefahr einer Überschneidung ihrer Arbeit zu bannen. Aber gerade mit Blick auf die Erweiterung und eine mögliche Neubestimmung der Agenturenpolitik werden wir hier sehr wachsam bleiben.
Heaton-Harris (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, ich kann gar nicht beschreiben, wie begeistert ich bin, mich heute Abend hier im Namen der PPE-DE-Fraktion zu diesem Thema äußern zu können. Wie ich sehe, löst dieses Thema auch bei den anderen Abgeordneten und dem heute Abend so zahlreich erschienene Publikum enorme Begeisterung aus. Man muss sich wirklich fragen, ob mit diesen späten Sitzungen das Geld der europäischen Steuerzahler wirklich gut genutzt wird.
Ich werde alles versuchen, meinen kleinen Beitrag zu leisten und möchte mich zuerst bei dem Berichterstatter für all seine Arbeit bedanken. Ich begrüße die Tatsache, dass wir aufgrund der neuen Haushaltsordnung befugt sind, die Bücher dieser Agenturen zu überprüfen, und ich begrüße ferner ihre kooperative Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament in diesem Prozess.
Aufgrund dieser Autonomie von dem üblichen Verwaltungsrahmen der Kommission, kommt meines Erachtens der Wahl des Direktors eine entscheidende Bedeutung zu. Die Ernennung muss mittels eines transparenten Verfahrens und unter Mitwirkung des Europäischen Parlaments erfolgen. Das Parlament sollte eigentlich berechtigt sein, seine Zustimmung zu solchen Ernennungen zu geben, und daher wird die PPE-DE Fraktion gegen den Änderungsantrag der Fraktion der Liberalen stimmen. Er enthält zwar einige interessante Ideen über die Struktur der Anhörungen im Parlament, doch soll dem Europäischen Parlament nur ein beratender Status eingeräumt werden. Die PPE der PPE-DE-Fraktion spricht sich aus mehreren Gründen – die mir größtenteils unverständlich sind – für eine Entlastung der Agenturen aus, obwohl im Großen und Ganzen der Stand der Bücher der Kommission einfach haarsträubend ist – ich verwende hier einen umgangssprachlichen Ausdruck, um die Dolmetscher zu so später Stunde auf die Probe zu stellen.
Der größte Teil der PPE-Fraktion ist zwar für eine Entlastung, doch bestehen einige Bedenken, die wir mit Blick auf die Zukunft vorbringen möchten.
Wir möchten sicherstellen, dass immer die höchsten Verwaltungsnormen gelten werden, insbesondere was die Agenturen angeht, die voll mit OLAF zusammenarbeiten, indem sie bewährte Praktiken untereinander austauschen – da viele der Verwaltungsaufgaben sehr ähnlich sind – und indem sie dafür sorgen, dass ihre Verwaltungsräte ein wirksames Instrument zur Überwachung der Geschäftsführung und nicht nur eine bürokratische und kosmetische Geste darstellen. Einige Verwaltungsräte sind bereits zu groß, insbesondere der Rat der Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, und die Lage könnte durch die mit der Erweitung verbundenen Gefahren noch verschärft werden. Wenn die Verwaltungsräte zu groß werden, um ihre Verantwortlichkeiten in der Praxis wahrzunehmen, dann könnten die Agenturen von privaten Interessen beherrscht werden – was zum Beispiel bei Eurostat geschehen ist.
Wir möchten, dass die Menschen eng zusammenarbeiten, um doppelte Arbeit zu vermeiden – zum Beispiel die Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und die Stiftung für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen. Meiner Meinung nach sollte die Kommission darauf achten. Die höchsten Standards der Finanzverwaltung sollten gewährleistet werden, insbesondere indem die Kapazitäten für interne Auditdienste ausgebaut werden. Der Europäische Rechnungshof sollte mehr Überprüfungen durchführen.
Ich danke dem Berichterstatter für all seine Arbeit. Die Delegation der britischen Konservativen – die hoffentlich immer größer werdende DE – wird nicht für eine Entlastung stimmen, doch die PPE wird sich dafür aussprechen, und wir danken Ihnen für all Ihre Arbeit.
Bösch (PSE). – Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich im Namen meiner Fraktion meinem Kollegen Freddy Blak zu seinem Bericht gratulieren. Ich schließe mich dem an, was Kollege Heaton-Harris grundsätzlich gesagt hat. Aufgrund der neuen Haushaltsordnung werden erstmals die Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, die Umweltagentur, das Übersetzungszentrum, die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht und die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in das Entlastungsverfahren durch das Europäische Parlament mit einbezogen. Ich begrüße es ausdrücklich, dass nun alle Agenturen durch das Parlament entlastet werden, zeigen doch die letzten Fälle interner Unregelmäßigkeiten bei der Kommission deutlich auf, wie wichtig die laufende Überprüfung der Institutionen ist.
Diese zweifellos wichtige Neuerung kann jedoch nur der erste Schritt sein. Eine zweite Neuerung, ebenso wesentliche Forderung ist es, dem Parlament bei der Bestellung der Direktoren ein Mitspracherecht zu geben. Es ist ein Widerspruch, wenn das Parlament zwar den Bürgerbeauftragten, den Kommissionspräsidenten miternennt, dieses Recht bei den Agenturen aber nicht besteht. Wir wissen, dass es eine Tendenz gibt, dieses Agenturenwesen – man könnte auch sagen -unwesen – zu verbreiten. Es werden immer mehr. Offenbar sollen diese Agenturen eine eigene Rechtspersönlichkeit bekommen. Wir müssen also als Parlament, als Vertreter der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, darauf bestehen, dass wir bei diesen, bei den Bestellungsmodalitäten, ein Mitspracherecht haben. Ich habe mir die verschiedenen Agenturen ausdrucken lassen, die wir derzeit haben. Da gibt es eine first generation, da gehören Thessaloniki und Dublin dazu, dann gibt es eine second generation mit Kopenhagen, Turin und weiß ich wem allen, agencies not receiving a subsidy from new budget, das wurde schon angeführt von Ihnen, Alicante und Anger, Codecision EP and Council, Brussels, Brussels temporarly. Das sind all diese Agenturen wie European Foodsafety Authority, European Maritime Saftety Agency, wo man gesagt hat, wir machen was, aber wir wissen noch nicht, wo und wann und wie. Das ist ein Vergehen an den Steuerzahlern Europas. Das richtet sich nicht an Ihre Adresse, sondern wir wissen natürlich, dass irgendwann diese Agenturen an irgendeinem Ort ihre Tätigkeit werden aufnehmen müssen, und die Mitgliedstaaten haben lauthals verkündet, wir werden, aber wir wissen nicht wann, und wir wissen nicht wo, und wir wissen nicht um welchen Preis. Darum müssen wir uns kümmern, und die Sozialdemokraten in diesem Haus werden wie die Christdemokraten, wie der Kollege Heaton-Harris angesprochen hat, darauf bestehen, dass wir hier ein Mitspracherecht haben werden, und wir werden darauf viel Nachdruck legen und im übrigen nochmals Gratulation zum Bericht des Kollegen Freddy Blak.
Santos (PSE). – (PT) Herr Präsident! Auch ich bin darüber besorgt, dass das Interesse für eine Diskussion solcher Fragen so gering ist, frage mich jedoch, ob das mit der zeitlichen Planung unserer Aktivitäten oder unserer Herangehensweise an diese Themen zu tun hat. Letztlich steht hier ja im Grunde die Verwendung der Steuergelder auf dem Spiel.
Deshalb muss die Entlastung durch das Europäische Parlament für die Haushaltsausführung meiner Meinung nach immer eine sinnvolle politische Debatte ermöglichen. Glücklicherweise ist dies erst kürzlich in gewissem Umfang geschehen und hat damit zur Glaubwürdigkeit der Haushaltspolitik der Gemeinschaft beigetragen. Unsere Überprüfung der Haushaltsausführung dieser fünf Agenturen, die Gegenstand des vorliegenden Berichts ist, sollte im Zusammenhang mit diesen Zielen gesehen werden und ist auf die Umsetzung dieser Schwerpunkte gerichtet. Alle Vorschläge in diesem Bericht für eine positive Entscheidung zur Entlastung sind flankiert von Entschließungsanträgen des Parlaments, und genau mit diesen Entschließungsanträgen muss das Parlament seine politische Macht ausüben, indem es Empfehlungen formuliert beziehungsweise die Erwartung zum Ausdruck bringt, dass die Tätigkeit der Agenturen in die eine oder andere Richtung gehen soll, sowohl was die Notwendigkeit, die interne Arbeitsweise und die Kontrolle zu verbessern, als auch das Gebot anbelangt, die Effektivität ihrer Arbeit zu erhöhen.
Der Bericht enthält verschiedene Bemerkungen und Empfehlungen, die ich aus Zeitgründen nicht alle auflisten werde, und zollt den Worten und der Stellungnahme des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten zur Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz Anerkennung. Es gibt jedoch einen Aspekt allgemeiner Art, den ich für besonders erwähnenswert halte. Es geht um den Vorschlag im Bericht, die Zusammensetzung der Verwaltungsräte der Agenturen zu verändern, um ihnen eine größere Funktionalität zu verleihen. Dahinter verbergen sich finanzielle Argumente und in einigen Fällen operative Gründe, d. h. ab einer bestimmten Größe würden diese Gremien nicht mehr arbeitsfähig sein. Symptomatisch ist, dass diese Befürchtungen, wie der Kommissar soeben klarstellte, entstehen, wenn man sich mit Meilenschritten dem Prozess der politischen Aufnahme neuer Länder in die Familie der Gemeinschaft nähert. Ohne die Berechtigung dieser Sorgen zu leugnen, muss das Europäische Parlament sorgfältig über den wahren Charakter der Standpunkte nachdenken, die es vertreten wird, denn Entscheidungen aus rein wirtschaftlicher Sicht sind kaum annehmbar. Die Gewährleistung des Grundsatzes der Repräsentativität und der vollen Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten ist unter den derzeitigen Umständen auf jeden Fall unerlässlich.
Blak (GUE/NGL), Berichterstatter. – (DA) Herr Präsident, nur eine kurze Anmerkung. Ich war sehr froh über vieles, was der Kommissar gesagt hat, bin allerdings zutiefst enttäuscht darüber, dass nach der Debatte im Ausschuss hier eine Bombe gezündet wird, nämlich dass die Kommission eine neue Agentur für Ausbildung und Kultur einrichten will. Diese Aufgaben hätten die anderen Agenturen problemlos übernehmen können. Es bedeutet, dass nun ein Kuhhandel durchgeführt werden soll. Das hätte man im Ausschuss besprechen können, anstatt es heute hier bekannt zu geben, kurz vor der Gesamtentscheidung. Das ist enttäuschend. Wirklich enttäuschend.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 11.00 Uhr statt.
15. Besteuerung von Personenkraftwagen
Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht (A5-0265/2003) von Frau Honeyball im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über die Mitteilung der Kommission über die Besteuerung von Personenkraftwagen in der Europäischen Union (KOM(2002) 431 – C5-0573/2002 – 2002/2260(INI)).
Honeyball (PSE), Berichterstatterin. – (EN) Herr Präsident, ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um meinen Bericht über die Besteuerung von Personenkraftwagen vorzutragen, und möchte die Bedenken von Herrn Heaton-Harris über die späte Stunde und das unvermeidliche Fehlen eines Publikums hier wiederholen. Ich danke jedoch denjenigen, die noch geblieben sind.
Zunächst möchte ich eindeutig klarstellen, dass es in diesem Bericht nicht um Steuerharmonisierung, sondern um den Binnenmarkt geht. Mit ihm soll sichergestellt werden, dass der Binnenmarkt im Hinblick auf Personenkraftwagen fair funktioniert und dass die derzeitigen Hindernisse, die teilweise aufgrund der Höhe der erhobenen Steuer gegenwärtig bestehen, beseitigt werden, so dass der Binnenmarkt auf diesem konkreten Gebiet viel besser funktionieren kann als das im Moment der Fall ist.
Außerdem behandelt dieser Bericht den Umweltschutz. Dabei geht es eigentlich um die CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und die Frage, wie die Besteuerung zur Lösung dieses Problems und zur Verbesserung unserer Umwelt herangezogen werden kann.
Ich befasse mich zunächst mit den Binnenmarktfragen und insbesondere dem Problem der Zulassungssteuer für Personenkraftwagen, die meines Erachtens abgeschafft werden sollte. In diesem Bericht wird empfohlen, dass sie über einen langen Zeitraum hinweg stufenweise abgebaut werden sollte. Derzeit werden die Autopreise durch die unterschiedlich hohen Zulassungssteuern in den verschiedenen Mitgliedstaaten sehr stark verzerrt. In Finnland beispielsweise beläuft sich die Zulassungssteuer für neue Fahrzeuge auf über 700 EUR, in Portugal beträgt sie mehr als 2 000 EUR und im VK wird überhaupt keine Zulassungssteuer erhoben. Dies führt unweigerlich dazu, dass die Autoverkäufer die Preise unter Berücksichtigung der Zulassungssteuer in den verschiedenen Mitgliedstaaten variieren.
Um dieses Problem aus der Welt zu schaffen und den Binnenmarkt mit gleichen Bedingungen fairer zu gestalten muss diese Steuer stufenweise abgebaut werden. Dabei müssen wir jedoch darauf achten, dass die Mitgliedstaaten nicht aufgrund dieser Maßnahme Geld verlieren. Daher muss sie sorgfältig und stufenweise eingeführt und dafür gesorgt werden, dass sie wirklich steuer- und einnahmenneutral ausfällt und kein Land durch ihre Umsetzung schlechter gestellt ist. Diese Maßnahme ist machbar, wird aber natürlich ihre Zeit dauern. Niemand schlägt vor, dass sie morgen eingeführt werden soll, aber ich empfehle, dass der Prozess in Gang gesetzt wird, so dass wir beim Verkauf neuer Kraftwagen schließlich den stufenweisen Abbau der Zulassungssteuer erreichen werden.
Wir müssen die gleiche Frage im Hinblick auf Gebrauchtwagen und Wagen, die über Grenzen verbracht werden, stellen. Hierfür gelten die gleichen Grundsätze, obwohl auch hier eine Prüfung und stufenweise Einführung erfolgen muss. Wir planen dieselbe Maßnahme für diesen Bereich, so dass die gegenwärtigen Beschränkungen und Schwierigkeiten, auf die die Menschen innerhalb der EU bei der grenzüberschreitenden Verbringung von Kraftwagen und bei der erneuten Zulassung usw. stoßen, schließlich nach und nach ebenfalls beseitigt werden. Dadurch wird nicht nur der Binnenmarkt, sondern auch die Freizügigkeit von Menschen und Arbeit innerhalb der EU gefördert werden. Auf allen Ebenen würden sich Prozesse vollziehen, die wir begrüßen würden.
Was den Umweltaspekt dieses Berichts anbelangt, so bin ich von dieser Frage als eine Vertreterin Londons – eine der Großstädte in der EU – stark betroffen, da diese Stadt eindeutig ständig mit der Luftverschmutzung durch Autos zu kämpfen hat und immer nach Lösungen für dieses Problem sucht. Die Abgeordneten wissen vielleicht, dass es in Großbritannien eine Benzinsteuer gibt, um den CO2–Emissionen Rechnung zu tragen – eine Umweltsteuer, die sehr gut funktioniert. Diese Maßnahme kann durchgeführt werden, da es sich hier um eine Einzelsteuer handelt, die nur auf ein bestimmtes Produkt erhoben wird. Wenn wir diese Steuer in der gesamten EU einführen würden, so würde dies in hohem Maße zur Reduzierung der CO2–Emissionen beitragen und sich sehr positiv auf unsere Umwelt auswirken.
Dies sind meine zwei Empfehlungen in diesem Bericht. Meines Erachtens ist dies eine gute Sache: Es geht hier nicht um Steuerharmonisierung, sondern um den Binnenmarkt und unsere Umwelt.
Bolkestein,Kommission. (EN) Herr Präsident, das Nebeneinander von 15 verschiedenen Steuersystemen für Personenkraftwagen in der Europäischen Union hat zu Steuerhindernissen, Verzerrungen und Ineffizienzen geführt, so dass weder die europäischen Bürger noch die Automobilindustrie und der Handel die Vorteile des Binnenmarktes voll ausschöpfen können. Infolgedessen gehen bei der Kommission und beim Parlament jedes Jahr zahlreiche Anfragen und Ersuchen im Zusammenhang mit dieser Frage ein.
Am 9. November 2002 stellte die Kommission eine lang erwartete Mitteilung über die Besteuerung von Personenkraftwagen vor, die damals von allen Beteiligten wohlwollend aufgenommen wurde. Die Mitteilung zielte einerseits darauf ab, Handlungsmöglichkeiten auf Gemeinschaftsebene zu schaffen, so dass Steuerhindernisse bei der Verbringung von neuen und alten Personenkraftwagen beseitigt würden, die Staatshaushalte keine Einkommensverluste erleiden würden und die Gesamtbelastung der Bürger nicht erhöht werden würde. Andererseits waren darin auch einige politische Maßnahmen vorgesehen, mit denen die Steuersätze mehr an die luftverschmutzenden Emissionen von Personenkraftwagen gekoppelt werden sollten, was zur Erreichung der Umweltziele der Gemeinschaft gemäß dem Kyoto-Protokoll beitragen würde.
Die Kommission erachtete es für notwendig, mit den Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament und wichtigen Beteiligten diese Debatte einzuleiten, bevor sie Vorschläge über Personenkraftwagen vorstellen würde. Durch diesen pragmatischen Ansatz wurden die Mitgliedstaaten in eine günstigere Position hinsichtlich eines möglichen neuen Vorschlags versetzt, als dies 1998 beim früheren Vorschlag der Fall war, der beim Rat noch immer auf dem Tisch liegt. Die Kommission hofft, dass das Parlament die in der Mitteilung enthaltenen Maßnahmen uneingeschränkt unterstützen und damit die Position der Kommission während künftiger Erörterungen im Rat stärken wird.
Ich bin erfreut, dass der Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik und der Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr in ihren Stellungnahmen an den Ausschuss für Wirtschaft und Währung ihre uneingeschränkte Unterstützung zum Ausdruck brachten. Ich bedauere jedoch feststellen zu müssen, dass diese Unterstützung in der endgültigen Fassung des Berichts von Frau Honeyball nicht so deutlich zum Ausdruck kommt, wie dies vom ECON-Ausschuss beschlossen wurde.
Abschließend möchte ich dem Parlament und der Berichterstatterin Frau Honeyball für ihre Bemühungen um eine Konzertierung und Erzielung einer ausgewogenen Lösung danken, wobei sie der Komplexität der Frage der Besteuerung von Kraftfahrzeugen Rechnung getragen haben.
Lange (PSE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik. – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen, dass die CO2-Emmissionen aus dem Straßenverkehr bis 2010 um 31 % steigen und nicht, wie wir es in Kyoto vereinbart haben, um 8 % sinken werden. Deswegen haben wir vor sechs Jahren eine CO2-Strategie zur Reduktion der CO2-Emmissionen aus dem Verkehr verabredet. Erster Pfeiler: eine Selbstverpflichtung der Automobilindustrie zur Reduzierung auf 140 Gramm in 2008. Das schein zu funktionieren. Zweiter Pfeiler: eine Verbraucherinformation, ein Labelling für neue Automobile, das funktioniert noch nicht ganz, weil es noch nicht in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurde, und zum dritten: steuerliche Förderung von verbrauchsarmen Autos. Da muss ich feststellen, dass es nicht funktioniert, weil wir in der Tat einen Flickenteppich von verschiedenen Zulassungssteuern oder jährlichen Steuern in der Europäischen Union haben. Insofern möchte der Umweltausschuss – und ich denke das ganze Parlament – hier einen Rahmen für eine steuerliche Förderung von verbrauchsarmen Automobilen haben, damit auch dieser dritte Pfeiler der CO2-Strategie umgesetzt werden kann, und wir es wirklich schaffen, auch im Verkehrsbereich CO2 zu reduzieren, damit wir unser Kyoto-Ziel einhalten und der Treibhausgasemissionen und damit der Erderwärmung Herr werden können.
Aber auch unter Verbrauchergesichtspunkten glaube ich, ist es notwendig, dass wir hier einen Sinneswandel herbeiführen, weil wir in der Tat einen Flickenteppich in der Steuergesetzgebung haben. Da hilft es auch nicht, dass wir die Gruppenfreistellungsverordnung reformiert haben. Der Preisvorteil wird an die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht weitergegeben, weil der Effekt durch diesen Steuer-Flickenteppich in der Europäischen Union aufgefangen wird. Auch unter diesem Gesichtspunkt benötigen wir verstärkt Rahmenbedingungen für eine vernünftige Besteuerung von Kfz innerhalb der Europäischen Union, damit dieser Vorteil des Binnenmarktes auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern zugute kommt. In diesem Sinne unterstütze ich den Bericht von Frau Honeyball.
Vatanen (PPE-DE),Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr.– (FI) Herr Präsident, Herr Bolkestein, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Besteuerung von Personenkraftwagen ist, um Hamlet zu zitieren, nicht nur im Staate Dänemark etwas faul. Viele Mitgliedstaaten besteuern nach wie vor widerrechtlich Möbelwagen, was die Mobilität der Arbeitskräfte in Europa behindert. Aber auch dann, wenn ein Fahrzeug in einen anderen EU-Mitgliedstaat verkauft wird, gibt es wirklich viele Probleme. Bereits vor zehn Jahren stellte der europäische Gerichtshof in dem berühmten Rechtsstreit Nunes Tadeu fest, dass auch im Einzelfall die Kraftfahrzeugsteuer nicht höher sein darf als der Anteil der Kraftfahrzeugsteuer am Marktpreis eines entsprechenden Gebrauchtwagens.
Besonders in Finnland, und Sie, Herr Bolkestein, wissen das sehr gut, ist diese Forderung auf taube Ohren gestoßen. Vor ein paar Jahren habe ich einen alten Transporter vom Typ Citroen nach Finnland verbracht und dafür 17 000 Euro bezahlt, also dafür, dass ich mein eigenes Auto von einem Mitgliedstaat in ein anderes überführt habe. Später hat Finnland nach Forderung durch den Gerichtshof das Gesetz zur Besteuerung von Kraftfahrzeugen Anfang dieses Jahres geändert. Kürzlich erst habe ich mit einem Finnen telefoniert, der einen 1995 zugelassenen in Deutschland erworbenen Mercedes nach Finnland eingeführt hatte. In Deutschland zahlte er für den Wagen 7 000 Euro und in Finnland bezahlte er vor einem Monat 12 000 Euro an Steuern. Das heißt, dass man in Finnland zusätzlich 12 000 Euro für ein Auto zahlt, das man für 7 000 Euro gekauft hat. Dabei handelte es sich um einen acht Jahre alten Mercedes! So funktioniert der Binnenmarkt in Europa. Herr Bolkestein, wir haben in dieser Angelegenheit noch viel zu tun, bevor die Bürgerinnen und Bürger der EU sehen, dass die EU tatsächlich für sie, die privaten Europäer, arbeitet.
Generell befürworte ich den Ansatz der Kommission, dass die Zulassung- und Verbrauchssteuer dann zurückerstattet wird, wenn das Auto gekauft wird, um in ein anderes Land verbracht zu werden. Darüber hinaus darf auch bei Überführungsfahrzeugen die Steuer nicht über den Verwaltungskosten liegen, aber in Finnland zum Beispiel wird das ganz anders gehandhabt. Auf lange Sicht müssen wir uns auch von der Zulassungssteuer verabschieden. Nur so können wir garantieren, dass der Binnenmarkt funktioniert und die Menschen ein Auto kaufen, wo sie wollen, und mit den Füßen abstimmen können. Nur so können die Verbraucher die Regierung des jeweiligen Landes zwingen, ihre verknöcherten Systeme zu verändern. Stattdessen sollte die Verbrauchssteuer in der nationalen Zuständigkeit verbleiben, da sie die Funktion des Marktes nicht aus dem Gleichgewicht bringt.
Zu dem an sich sehr guten Bericht von Frau Honeyball möchte ich noch anmerken, dass ich in der Sicherheitsfrage anderer Meinung bin. Allerdings bräuchten wir unverzüglich Steuererleichterungen auf der Basis von Sicherheit. Die jährlich 40 000 Todesopfer in Europa sind eine unstrittige Grundlage.
Abschließend möchte ich feststellen, dass das Autofahren in Europa im Vergleich zu anderen Transportformen zu hoch besteuert wird. Zu einem Steuerparadies werden wir die EU sicher nicht machen, aber moderate Kosten für Personenkraftwagen müssten in Europa zulässig sein.
Santos (PSE). – (PT) Herr Präsident! Der Abbau von verwaltungstechnischen Hemmnissen für den freien Kraftfahrzeug- und Personenverkehr und die Herausarbeitung eines direkten Zusammenhangs zwischen der bei leichten Personenkraftwagen zur Anwendung kommenden jährlichen Kraftfahrzeugsteuer und der Auswirkung auf die Umwelt sind nur zwei Anliegen der europäischen Bürger, und es sind Anliegen, auf die die Kommission positiv reagieren möchte.
Der Pkw-Markt ist heute in der Europäischen Union in fünfzehn völlig unterschiedliche nationale Segmente zersplittert. Das hat Verzerrungen und Benachteiligungen zur Folge, die nicht nur die Bürger, sondern auch die Kraftfahrzeugindustrie selbst zu spüren bekommen. Die Hauptursache dieser Situation liegt vor allem in der unterschiedlichen Besteuerungspolitik in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Es wird nicht leicht sein, diese Politik in den kommenden Jahren vollständig zu harmonisieren (das ist ja auch heute nicht), zum Teil, weil wir wissen, dass es einigen Mitgliedstaaten, die Kraftfahrzeuge besteuern, weniger um deren schädlichen Umwelteinfluss als um die Höhe der Steuereinnahmen geht, die sie in ihre Haushalte überführen können.
Zudem muss unbedingt hervorgehoben werden, wie wichtig und nützlich dieser Bericht ist und wie ausgewogen und weitgehend richtig seine Vorschläge und Empfehlungen sind. Man hätte bei den Reformvorschlägen zur jährlichen Kraftfahrzeugssteuer noch weiter gehen können, indem man sie an den rascheren Abbau der Zulassungssteuer gekoppelt hätte, doch die völlige Abschaffung des Wettbewerbs in der Besteuerung von Kraftfahrzeugen zwischen den Mitgliedstaaten steht nicht zur Debatte: Es geht darum, die rasche Vollendung des Kraftfahrzeug-Binnenmarkts mit allen Vorteilen zu fördern, die er für die Bürger und Unternehmen und zur Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarkts bringt. Die in diesem Bericht vorgeschlagenen Lösungen sind im Großen und Ganzen auf dieses Ziel ausgerichtet, auch wenn sie die vom Parlament zum Ausdruck gebrachten Bedenken berücksichtigen und ihnen Vorrang einräumen, etwa der Sorge um den Ausstoß von umweltschädlichen Partikeln. Eine Harmonisierung in der Besteuerung von Kraftfahrzeugen ist ein komplexes Thema, das nicht unabhängig von anderen und verschiedenartigsten politischen Erwägungen geklärt werden kann. Diese Gemeinschaftsinitiative und die Unterstützung, die sie nach der Annahme der neuen Verordnung über den Vertrieb von Kraftfahrzeugen vom Parlament erhält, auch wenn sich diese Verordnung als für die Konvergenz der Basispreise von Kraftfahrzeugen ineffizient erwiesen hat, werden der Entwicklung dieses Prozesses eine neue Dynamik verleihen.
Olle Schmidt (ELDR).(SV) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich möchte Frau Honeyball für ihren sorgfältig erarbeiteten Bericht danken. Dass es sich um ein brisantes Thema handelt, wurde bei der Behandlung im Ausschuss klar. Bei einigen Kollegen reicht das Wort Steuer anscheinend aus, um aufgebracht zu reagieren. Da es hier jedoch um Koordinierung und nicht um Harmonisierung geht, besteht kein Grund zur Beunruhigung. Die Fraktion der Liberalen und Demokratischen Partei Europas ist der Auffassung, dass hinsichtlich der Steuergesetzgebung auf EU-Ebene Vorsicht angesagt ist, soviel ist klar. Wir können uns allerdings einige Ausnahmen vorstellen, wie die Umweltsteuern, die hier unter anderem indirekt vorgeschlagen werden.
Dabei geht es natürlich auch um Erleichterungen für den einzelnen Bürger, bessere Voraussetzungen für die Freizügigkeit und Kostenreduzierungen, wie in Herrn Vatanens Beispiel mit dem überaus teuren Auto in Finnland. Das Parlament sollte eigentlich gemeinsam darauf hinarbeiten, für den Einzelnen größere Mobilität zu schaffen und bürokratische Vorschriften auf dem Binnenmarkt abzubauen.
Gestatten Sie mir noch einige Worte zum Umweltaspekt. Wir wissen, dass der Güterkraftverkehr ursächlich für einen großen Teil der Kohlendioxidemissionen steht. Genauso bekannt ist, dass der Kraftverkehr und somit die Emissionsmenge zunehmen. So kann das nicht weitergehen, das haben wir selbst erklärt. Durch das Kyotoprotokoll haben die Mitgliedstaaten der EU zugesagt, die Emissionen wesentlich zu senken, nicht zu erhöhen. Somit ist es sicherlich eine gute Strategie, ein einfaches und eindeutiges Steuersystem zu schaffen, das sich positiv auf die Umwelt auswirken kann.
Als diejenigen, die die Vorschriften erarbeiten, haben wir große Möglichkeiten, auf das Verhalten sowohl von Produzenten als auch Verbrauchern Einfluss zu nehmen. Die Berücksichtigung von Umweltbelangen muss belohnt werden. Dabei geht es darum, Automobilhersteller, die schadstoffärmere Motoren herstellen, zu unterstützen sowie auch die Verbraucher, die von ihren alten schadstoffreichen Wagen auf schadstoffärmere umsteigen. Außerdem muss der umweltfreundlichste Kraftstoff gekauft werden. Überdies finde ich, sollte in erster Linie die Anwendung und nicht der Besitz besteuert werden.
Die Frage der Dieselbesteuerung ist ebenfalls interessant. Ein Dieselmotor hat im Vergleich zum Benzinmotor eine effektivere Verbrennung und stößt daher weniger Kohlendioxid aus. Der Dieselkraftstoff sollte daher steuerlich nicht benachteiligt werden, worauf hier auch hingewiesen worden ist. Das sind wichtige Gesichtspunkte.
Die ELDR-Fraktion hat einen Änderungsvorschlag eingereicht, der vom Ausschuss abgewiesen worden ist. Es geht dabei darum, Sicherheitsaspekte bei der Bewertung mit einbeziehen zu können, was Herr Vatanen schon angesprochen hat. Wir wissen, dass 45 000 Menschen jedes Jahr bei Straßenverkehrsunfällen in der EU ums Leben kommen. Hinzu kommen noch die Verletzten. All dies bedeutet unermessliches menschliches Leid und hohe Kosten für die Gesellschaft. Wenn es durch günstigere Besteuerung möglich ist, sicherere Autos herzustellen, dann ist das allemal einen Versuch wert. Ich hoffe daher, dass Sie Änderungsantrag 2 unterstützen können.
Mayol i Raynal (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich beglückwünsche die Kommission zu ihrer Initiative und meine Kollegin zu ihrem ausgezeichneten Bericht. Es ist wahr, dass die Besteuerung von Personenkraftwagen in der Union heute einem, wie man auf Katalanisch sagt, calaix de sastre, das heißt einem Sammelsurium gleicht. Der Bericht unterstreicht zu Recht, dass das Funktionieren des Binnenmarktes durch die Vielfalt, die Heterogenität und vielfach die Komplexität der Besteuerungssysteme beeinträchtigt wird. Die Kommission und der Bericht nehmen sich also zu Recht dieses Themas an, um die Wettbewerbsbedingungen zu verbessern. Es scheint wirklich sinnvoll zu sein, den Gebrauch der Kraftfahrzeuge und nicht ihren Erwerb zu besteuern. Deshalb hat die Kommission Recht, wenn sie vorschlägt, die Zulassungssteuer abzuschaffen und Steuern auf den Verkehr, die Kraftstoffe und die Nutzung bestimmter Straßeninfrastrukturen einzuführen bzw. zu erhöhen. Vorrang müssen dabei die Umweltkriterien haben, um die Kyoto-Ziele zu erreichen, was der Bericht zu Recht fordert.
Was hingegen die Dieselfahrzeuge betrifft, so pflichte ich meiner Kollegin bei, dass sie steuerlich begünstigt werden müssten. Studien zu diesem Thema haben ergeben, dass die Emissionen dieser Motoren wesentlich unter denen anderer Motoren liegen. Die logische Konsequenz des Verursacherprinzips ist, den geringer zu besteuern, der die Umwelt weniger verschmutzt. Jedoch darf man niemals vergessen, dass vom ökologischen Standpunkt her und auch aus geopolitischen Erwägungen das Endziel darin bestehen muss, die derzeitigen Kraftstoffe durch saubere und konfliktfreie Energieträger zu ersetzen. Deshalb sind alle Anstrengungen zu begrüßen, die in Richtung neuer Energien, wie des Wasserstoffs, unternommen werden.
Blokland (EDD). – (NL) Herr Präsident! Die Kosten für die Autofahrer und für die Automobilindustrie aufgrund der auf das Halten und die Nutzung eines Pkw erhobenen Steuern sind eine unumgängliche Tatsache der Alltagspraxis. Es gibt zu viele Arten von Steuern auf den Besitz, aber auch auf die Nutzung von Fahrzeugen.
Meiner Ansicht nach ist die Anwendung eines transparenten Systems von Abgaben vorzuziehen, die für verschiedene, aber klare Ziele erhoben werden. Beispielsweise Steuern auf die Haltung eines Fahrzeugs zur Finanzierung der Wartung von Straßen und Abgaben auf die Fahrzeugnutzung zur Behebung von Umweltschäden. Die Auswirkungen etwaiger Abgaben zur Reduzierung der Pkw-Nutzung und zur Förderung neuer umweltfreundlicher Technologie müssen evaluiert werden.
Damit spreche ich mich nicht für ein europäisches System zur Besteuerung von Personenkraftwagen aus, sondern für ein System, bei dem die Gründe für die Steuererhebung sowie die Ziele der Mitgliedstaaten mit dem Binnenmarkt übereinstimmen, ohne dabei die Interessen einer gesunden Umwelt aus dem Auge zu verlieren. Deshalb unterstütze ich den Bericht der Kollegin Honeyball. Abschließend möchte ich die Kommission um eine klare Beantwortung der Frage ersuchen, wie sie bei dem komplizierten Problem der Besteuerung der Mobilität weiter voranzukommen gedenkt.
Gestern, am Dienstag, hat der Ausschuss für Wirtschaft und Währung den Vorschlag für eine Harmonisierung der Verbrauchssteuer auf Dieselkraftstoff abgelehnt. Wie Sie wissen, wurden beide Vorschläge, die sich gegenseitig ergänzen, auf einer Anhörung diskutiert. Angesichts der Vorschläge für die Annäherung der Verbrauchssteuer auf Dieselkraftstoff und der Pkw-Besteuerung, welche Möglichkeiten sehen Sie, Herr Kommissar Bolkestein, mittels einer Interessenabwägung zwischen den Mitgliedstaaten einen Kompromiss zu erzielen, dem der Rat und das Parlament zustimmen könnten? Ich denke dabei insbesondere an das Erreichen eines Gemeinsamen Standpunkts über Steuergrundlagen und über die Zielsetzungen von Steuererhebungen.
Villiers (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, ich muss diese Konsensdebatte unterbrechen, da ich leider den Bericht von Frau Honeyball nicht unterstützen kann.
Trotz der Einwände des Kommissars liegt es auf der Hand, dass es in diesem Bericht um die Steuerharmonisierung geht: Es wird doch ein einheitliches System der Fahrzeugbesteuerung in der Europäischen Union angestrebt. Meiner Meinung nach ist dies für den grenzüberschreitenden Handel nicht erforderlich; es besteht keine Notwendigkeit. Ich vertrete ausdrücklich die Auffassung, dass die Frage der Besteuerung im Aufgabengebiet der Mitgliedstaaten verbleiben sollte. Für die europäischen Bürger ist es von grundlegender Bedeutung, dass sie die Personen, die ihre Steuern festsetzen, frei wählen können. Daher erfordert eine wahre demokratische Verantwortlichkeit bei der Besteuerung, dass Beschlüsse über unsere Steuern von den von uns gewählten Regierungen und nicht von der Europäischen Union gefasst werden.
Ich bin überrascht, dass Frau Honeyball einen Bericht über die Förderung der Steuerharmonisierung gerade an einem Tag so wohlwollend unterstützt, an dem überall im Daily Telegraph zu lesen ist, dass sich Gordon Brown gegen eine Steuerharmonisierung ausspricht. Unsere Regierung und unsere Abgeordneten der Labour-Partei im Europäischen Parlament sollten sicherstellen, dass sie eine konsequente Linie verfolgen, denn Richard Corbett sagte erst diese Woche: „Steuerharmonisierung? Was soll der ganze Zirkus?!“
Ich weise darauf hin, dass es hier um ein Verfassungsprinzip geht. Immer wieder besucht die Kommission das Parlament und behauptet, dass es sich hier nur um eine technische Angelegenheit handelt, dass es um den Binnenmarkt geht. Uns wird versichert, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen und dass unser demokratisches Recht auf Festsetzung unserer eigenen Steuern nicht beeinträchtigt würde. Letztendlich laufen diese Vorschläge darauf hinaus, dass die Mitgliedstaaten ihrer sehr realen und bedeutenden Machtbefugnisse zur Steuerfestsetzung entledigt und die demokratische Verantwortlichkeit von der Besteuerung entkoppelt wird, was für die Demokratie gefährlich und sicherlich für die Menschen inakzeptabel ist, die mich zu ihrem Vertreter in diesem Parlament gewählt haben.
Booth (EDD). – (EN) Herr Präsident, Frau Villiers wird sicherlich erstaunt sein, dass ich all ihren Aussagen zustimme. Ich war überrascht, dass gerade Frau Honeyball, eine Abgeordnete der Labour-Partei des VK im Europäischen Parlaments, eine Richtlinie der Kommission über die jährliche Kraftfahrzeugsteuer in der Europäischen Union und über die Struktur der Kfz-Zulassungssteuer fordert und dies mit der Vollendung des Binnenmarkts begründet, wenn gleichzeitig auf den Titelseiten der heutigen Zeitungen der Finanzminister des VK wie folgt zitiert wird: „Wir müssen alte falsche Annahmen ausdrücklich zurückweisen, dass ein Binnenmarkt unweigerlich zur Steuerharmonisierung, Steuerföderalismus und schließlich zu einem Föderalstaat führt.“
Ich frage mich, ob Frau Honeyball sich da mit Herrn Brown beraten hat? Ihr Standpunkt passt kaum zu Herrn Blairs „rote Linien“ hinsichtlich der Verfassung. Für die Besteuerungsfrage sollte weiterhin Einstimmigkeit gelten. Zudem weist Herr Brown auf die fehlende Beweglichkeit, Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit der anderen europäischen Staaten im Vergleich zur flexibleren und offeneren britischen Wirtschaft hin, da wir nämlich die Kontrolle über unsere eigene Besteuerung und Währung innehaben. Ironischerweise hebt Frau Honeyball in ihrem Bericht hervor, dass die jährliche Kraftfahrzeugsteuer, die die Nutzer von Privatkraftfahrzeugen entrichten, in den Zuständigkeitsbereich der nationalen Behörden fallen sollte, was meine uneingeschränkte Zustimmung findet.
Kurz gesagt, hierbei handelt es sich um einen wirren und verwirrenden Bericht und sein Ziel besteht meines Erachtens neben der Mitteilung der Kommission darin, fiskalpolitische Initiativen für die Durchsetzung der Steuerharmonisierung mit der Begründung zu nutzen, dies diene umweltpolitischen Zielen, obwohl dies außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der EU liegt. Meiner Meinung nach ist für die Besteuerung ausschließlich der jeweilige Mitgliedstaat verantwortlich.
Kauppi (PPE-DE). – (FI) Herr Präsident, es hat den Anschein, dass die Sympathiebekundungen der Fraktionen in dieser Angelegenheit deutlich auseinander gehen. Ich nämlich unterstütze den wertvollen Bericht von Frau Honeyball über die Besteuerung von Personenkraftwagen. Ich halte die Mitteilung der Kommission für begrüßenswert und hoffe, dass die Kommission die Besteuerung von Pkw in Europa schnell reformiert.
Wie mein Kollege Ari Vatanen bereits so kompetent ausgeführt hat, ist der derzeitige Zustand, bei dem ein so wichtiges langlebiges Konsumgut wie das Auto einen Gegenstand darstellt, der am schwierigsten auf dem Gebiet der Union zu bewegen ist, völlig untragbar. Es gibt immense Hindernisse bei der Überführung eines Autos von einem Mitgliedstaat in einen anderen, die nach wie vor auf unterschiedliche Rechtsvorschriften für die Besteuerung und unflexible Verwaltungspraktiken zurückgehen. Bei der Besteuerung von Pkw werden die Bürgerinnen und Bürger der Union völlig ungleich behandelt, je nach dem, in welchem Land sie leben.
Der Kommissionsvorschlag über die Abschaffung der Zulassungssteuer könnte die Lösung für die meisten Probleme im Zusammenhang mit der Besteuerung sein und sollte auch so schnell wie möglich umgesetzt werden. Dennoch sollte daran erinnert werden, dass das Europäische Parlament auch bei einer früheren Gelegenheit die Vorschläge der Kommission über die Abschaffung der Doppelbesteuerung unterstützt hat, aber der Rat hat sie noch nicht verabschiedet. Der Rat sollte sich ernsthaft damit befassen, was letztlich dem Interesse der Bürgerinnen und Bürger der Union in diesen Fragen dient.
Zweitens muss der Schwerpunkt bei der Besteuerung von Pkw von der Eigentumsfrage getrennt werden. In vielen nordischen Mitgliedstaaten, wie Finnland, ist die Anschaffung eines neuen gewöhnlichen Familienautos gerade wegen der Zulassung so furchtbar teuer. Infolgedessen findet man auf den Straßen unseres Landes unglaublich alte Autos, die in anderen Ländern der Union bereits als schrottreif gelten. Deshalb sollte auch aus Gründen der Verkehrssicherheit der Schwerpunkt bei der Besteuerung von Pkw mehr auf die Verbrauchssteuer verlagert werden.
Aber auch die Verbrauchssteuer sollte moderat gehalten werden, und die Gesamtbelastung der Besteuerung von Pkw darf nicht zu hoch ausfallen. Besonders wichtig ist das in dünn besiedelten Gebieten wie im Norden, Finnland und Schweden, wo das Auto oft das einzig mögliche Verkehrsmittel ist, wenn der öffentliche Verkehr eingeschränkt ist.
Aus dem gleichen Grund bin ich nicht für die Abschaffung der Steuererleichterungen bei Dieselkraftstoff. Die Abschaffung des Steuervorteils von Dieselkraftstoff würde erhebliche Kosten für lange Strecken in den Randgebieten der Union verursachen, die ohnehin schon zu leiden haben. Außerdem beweisen die neuesten Untersuchungen, dass die CO2-Emissionen von Dieselfahrzeugen erheblich unter denen von Benzinern liegen. Darauf hat auch Kollege Schmidt von der ELDR-Fraktion hingewiesen.
Die Emissionen von Personenkraftwagen sind jedoch eine wesentliche Quelle für den Treibhauseffekt, deshalb müssen wir uns dafür einsetzen, dass sich die Verbraucher dort, wo es möglich ist, für im Hinblick auf die Umwelt nachhaltige und günstige Produkte entscheiden. So müsste bei der Besteuerung von Kraftstoffen der Aspekt der Umweltfreundlichkeit berücksichtigt werden, indem die Besteuerung dieser Kraftstoffe gesenkt wird. Auch bei der Besteuerung der Pkw kann die Umweltfreundlichkeit entweder durch Senkung der möglichen Verbrauchssteuern oder durch Steuererleichterungen bei umweltfreundlichen Zusatzausrüstungen berücksichtigt werden.
Positiv stehe ich auch zum Vorschlag von Frau Honeyball über Steuererleichterungen bei Sicherheitsausrüstungen. Die Begünstigung von sicheren, umweltfreundlichen und aus der Sicht des Verbrauchers nachhaltigen Kraftfahrzeugen und die Förderung ihrer Nutzung auf dem Gebiet der Union ist zu begrüßen.
Doyle (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, ich befinde mich in dieser Debatte in einem Loyalitätskonflikt. Einerseits ist zweifelsohne die Vereinfachung der bestehenden Steuersysteme für Kraftfahrzeuge längst überfällig, um Hindernisse und Verzerrungen bei der Freizügigkeit von Personenkraftwagen im Binnenmarkt zu beseitigen. Der freie Automobilmarkt war eigentlich einer der meist gepriesenen Vorteile, die wir unseren Bürgern verlockend in Aussicht stellten als wir die Schaffung des Binnenmarkts in Angriff nahmen – in Irland jedenfalls.
Mein Land ist eines der zehn Mitgliedstaaten, die eine Zulassungssteuer für Kraftfahrzeuge erheben. Sie ist außerordentlich hoch: Finnland mag uns vielleicht noch übertreffen, aber wir gehören auf alle Fälle mit ihnen zu den Spitzenreitern. Dadurch zählen die Preise für Personenkraftwagen und sämtliche Straßenfahrzeuge mit zu den höchsten in der EU, was auch für die Einfuhr von Gebrauchtwagen gilt. Wir haben keine eigenen Automobilfabriken und nicht einmal Montagefabriken. Unsere Kraftfahrzeuge werden alle importiert, was nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt und sich negativ auf unsere Zahlungsbilanz auswirkt.
Obwohl wir in den vergangenen Jahren großzügige Fördermittel aus dem Strukturfonds erhalten haben, befindet sich unser Straßennetz in einem maroden Zustand, und in unseren Klein- und Großstädten gehören Staus zur Tagesordnung, da die Anzahl unserer Kraftfahrzeuge im vergangenen Jahrzehnt erheblich zugenommen hat und die Kurve weiterhin unbarmherzig ansteigt. Der Preis für Ochsen und die Anzahl neuer Autoverkäufe – ohne eine bestimmte Reihenfolge – dienten lange Zeit als Maßstäbe für die wirtschaftliche Leistung Irlands. Hinzu kommt, dass sich die CO2-Emissionen gemäß dem Kyoto-Protokoll gegenwärtig auf dem Stand von 1990 plus 22 % befinden – und damit bereits 10 % über den Zielvorgaben für 2010 liegen – und dass sich die Automobilpreise kaum oder gar nicht verringern werden, selbst wenn die Zulassungssteuer für Kraftfahrzeuge gesenkt oder abgeschafft wird, da die Automobilhersteller ihre Preise zum Ausgleich unserer hohen Steuersätze reduzieren mussten – und sie werden ihre Preise wieder anheben, wenn die Steuerbelastung abnimmt –, so dass sich insgesamt eine recht komplizierte Situation ergibt.
Andererseits nimmt das irische Finanzministerium mit der Zulassungssteuer für Kraftfahrzeuge jährlich über 800 Millionen EUR ein, was auf eine Erhöhung der normalen Einkommensteuer um 2 % hinausläuft und auf die Probleme hinweist, die die Verringerung oder Abschaffung der Zulassungssteuer mit sich bringen würde. Wenn sie durch zusätzliche Benzinsteuern ersetzt werden würde, dann wäre zum Ausgleich der Steuereinnahmen eine Erhöhung um 36 Cent pro Liter notwendig. Dies wäre wie auch jede entsprechende Erhöhung unserer bereits hohen jährlichen Kraftfahrzeugsteuer inflationär, so dass Fahrzeugeigentümer, die bereits die Kfz-Zulassungssteuer für ihre Fahrzeuge entrichtet haben, doppelt geschröpft werden würden.
Ich bin zwar gegen die Zahlung einer so hohen Zulassungssteuer für Kraftfahrzeuge in dem so genannten Binnenmarkt, doch ich erkenne an, dass es sich bei der Kfz-Zulassungssteuer um eine einmalige Zahlung handelt, die im Wert der Automobile kapitalisiert wird. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die mit ihr verbundenen Probleme einen großen Eingriff in die nationalen Steuersysteme rechtfertigen würden, so wie dies in der Mitteilung der Kommission erwogen wird.
Ich kenne zwar den Unterschied zwischen indirekten Steuern wie die Zulassungssteuer für Kraftfahrzeuge und direkten Steuern wie die Einkommens- und Körperschaftssteuer, doch die Mitgliedstaaten können ihre Angelegenheiten so regeln, dass Kraftfahrer ihren Beitrag zu den Kosten für die Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen, insbesondere den Kosten für den Straßen- und Schienenbau und die Instandhaltung unserer Straßen, leisten. Diese Regelung ist viel besser, als die Einkommenssteuer um 2 % anzuheben.
Vor dem Eingreifen der Kommission in die Steuersysteme der Mitgliedstaaten muss dringend gewarnt werden. Weitere Überlegungen auf diesem heiklen Gebiet stellen eine ernsthafte Gefahr für die fortwährende Akzeptanz des großen europäischen Projekts durch die immer euroskeptischer werdenden Bürger dar. Ich möchte den Kommissar darauf hinweisen, dass er sich auf eigene Gefahr in die Steuerangelegenheiten der Mitgliedstaaten einmischt.
Schließlich muss die Zukunft unseres Binnenmarktes in einem Besteuerungssystem für Kraftwagen liegen, das sichtbar an die CO2-Emissionen gekoppelt ist, jedoch nicht zentral vorgeschrieben wird. Die Höhe dieser Steuer sollte die umweltpolitischen, wirtschaftlichen und physischen Bedingungen eines jeden Mitgliedstaats voll und ganz widerspiegeln. Wir werden erst wirklich einen Binnenmarkt auf dem Gebiet der Personenkraftwagen und Straßenfahrzeuge haben, wenn wir alle auf der gleichen Straßenseite fahren, so dass alle Autos entweder mit Links- oder mit Rechtssteuerung ausgestattet sind. Doch diese Frage wird an einem anderen Tag zu klären sein.
Bolkestein,Kommission.(EN) Herr Präsident, politischer Realitätssinn hat die Kommission dazu gebracht, sich mit dem Rat, dem Europäischen Parlament und wichtigen Beteiligten Konsultationen über die Besteuerung von Personenkraftwagen zu beraten, bevor sie einen Gesetzesvorschlag in dieser Angelegenheit erarbeitet hat.
Wie ich sehe, hätten viele Abgeordnete einen ehrgeizigeren Bericht bevorzugt, insbesondere was die Maßnahmen zur Verhinderung der Zersplitterung des Binnenmarktes anbelangt.
Die Kommission wird die Schlussfolgerung dieses Berichts ernsthaft berücksichtigen, bevor sie Initiativen auf diesem Gebiet ergreift. Die Tatsache, dass heute Abend viele verschiedene Konzepte angesprochen wurden, weist auf die Schwierigkeiten hin, auf die wir bei der Erzielung eines einstimmigen Beschlusses im Rat zu solchen politischen Maßnahmen stoßen werden.
Hinsichtlich der Schlussfolgerungen dieses Berichts möchte die Kommission dem Europäischen Parlament ihren Dank für seine große Unterstützung bei den politischen Maßnahmen aussprechen, wie die erforderlichen Maßnahmen zur Abschaffung der Zulassungssteuer (Ziffer 16), zur Vornahme von Veränderungen zwecks Einführung eines umweltorientierten Steuersystems (Ziffern 12 und 13) und zur Anwendung von verschiedenen Steuersätzen zwecks Förderung von Personenkraftwagen mit einer CO2-Emission von weniger als 120 Gramm pro Kilometer (Ziffer 7). Zudem stimmt die Kommission generell mit vielen anderen Ziffern, wie beispielsweise 1, 4, 6, 10, 11, 14, 17, 18, 19 und 21 überein.
In Bezug auf die Ziffern 2, 3 und 15 teilt die Kommission nicht die Auffassung, dass bestehende Barrieren für die Freizügigkeit von Personenkraftwagen im Binnenmarkt nur auf Verwaltungspraktiken oder –verfahren zurückzuführen sind. Die Kommission ist der Meinung, dass in diesen Absätzen auf Steuerbarrieren und insbesondere auf die Doppelbesteuerung durch die Zulassungssteuern ausdrücklich hingewiesen werden muss, so wie dies in dem entsprechenden Teil der Begründung der Fall ist.
Im Hinblick auf Ziffer 5, in dem auf die jährliche Kraftfahrzeugsteuer Bezug genommen wird, teilt die Kommission nicht die Auffassung, dass diese Steuer das Funktionieren des Binnenmarktes nicht beeinträchtigt. Durch die unterschiedlichen Besteuerungsgrundlagen und beträchtlichen Abweichungen bei der Höhe der jährlichen Kraftfahrzeugsteuer können die Bürger dazu bewogen werden, ihr Kraftfahrzeug nicht in dem Land anzumelden, in dem sie ihren festen Wohnsitz haben, sondern in einem anderen Mitgliedstaat, so dass diese Steuer sehr wohl Auswirkungen auf den Binnenmarkt hat.
Hinsichtlich des Änderungsantrags 2 unterstützt die Kommission nicht den Vorschlag, die Sicherheit von Personenkraftwagen als Ziele aufzunehmen. Damit wäre die Gefahr verbunden, dass die möglichen Auswirkungen der Steuervorteile verwässert werden könnten. Zudem könnte durch andere Instrumente wie beispielsweise Geschwindigkeitskameras, Geldbußen, Aufklärung, getrennte Fahrradwege und so weiter das Problem der Autounfälle besser angegangen werden.
Ich habe mit großem Interesse die kurze heftige Auseinandersetzung zwischen einigen britischen Abgeordneten verfolgt, wobei ich an Frau Ministerin Dawn Primarolo denken musste, die vier Jahre lang schädliche Steuermaßnahmen aus der Welt schaffen wollte. Wenn man wirklich einen uneingeschränkten Steuerwettbewerb befürworten würde, weshalb sollte man sich dann für die Beseitigung so genannter schädlicher Steuermaßnahmen einsetzen? Wenn die Abgeordneten, die sich zu dieser Frage geäußert haben, das nächste Mal Frau Ministerin Primarolo treffen, dann könnten sie ihr ja vielleicht ihre Meinung sagen und sie darauf hinweisen, dass sie vier Jahre lang ihre Zeit mit der Bekämpfung des Steuerwettbewerbs verschwendet hat.
Abgesehen davon möchte ich dem Parlament und der Frau Berichterstatterin noch einmal für ihre Bemühungen und ihren befürwortenden Bericht danken.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 11.00 Uhr statt.(1)
Tagesordnung der nächsten Tagung: siehe Protokoll.
16. Anhang – Feierliche Sitzung
VORSITZ: PAT COX Präsident
(Die Sitzung wird um 15.00 Uhr eröffnet.)
Der Präsident. Ich freue mich, heute Nachmittag den Präsidenten der Republik Litauen, Herrn Rolandas Paksas, hier im Europäischen Parlament begrüßen zu dürfen.
(Beifall)
Es ist ein glücklicher Zufall, dass uns das Staatsoberhaupt eines Beitrittslandes gerade am heutigen Nachmittag mit einer Rede beehren wird, an dem uns die Europäische Kommission den Jahresbericht über den Stand des Beitritts zur Europäischen Union vorstellt. In dieser Hinsicht wurden in Litauen beachtliche Fortschritte erzielt. Es befand sich zwar nicht in der ersten Gruppe von Staaten, die ihre Reise in die Europäische Union antraten, doch im Laufe dieses Nachmittags werden wir einen Bericht darüber hören, wie bedeutend und erfolgreich diese Reise in sehr kurzer Zeit gewesen ist.
In Litauen zeichnete sich auch im Referendum eine überaus deutliche positive Unterstützung ab, was sich an der starken Wahlbeteiligung und einem außerordentlich hohen Prozentsatz von Wählern zeigte, die „ja“ zu einem europäischen Litauen sagten. Vor diesem Hintergrund ist es mir ein großes Vergnügen, nun Herrn Präsident Paksas zu bitten, sich an unser Parlament zu wenden.
(Beifall)
17. Ansprache von Herrn Paksas, Präsident der Republik Litauen
Herr Präsident, vielen Dank für Ihren herzlichen Empfang und die Einladung, hier an der Wiege der repräsentativen Demokratie der Europäischen Union eine Ansprache zu halten. Ich bin das erste Staatsoberhaupt Litauens, dem die Möglichkeit eingeräumt wurde, zum Europäischen Parlament zu sprechen. Unter den Abgeordneten befinden sich viele treue Freunde Litauens, die die Unabhängigkeit meines Landes unterstützt haben.
Erst kürzlich haben wir den Jahrestag der Entschließungen des Europäischen Parlaments begangen, wodurch die Welt an den Freiheitskampf Litauens und der Baltischen Staaten während des kalten Krieges erinnert wurde. Durch Ihre Unterstützung wurden wir ermutigt, als wir die erste Schritten in Richtung Mitgliedschaft in der Europäischen Union unternahmen, und ich danke Ihnen dafür. Mein persönlicher Dank gilt dem Präsidenten des Parlaments, Herrn Cox, der unter anderem ebenfalls zu dem erfolgreichen Referendum über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union beitrug.
Ich begrüße die Beobachter der Beitrittsländer hier im Europäischen Parlament. Sie vertreten zwar unterschiedliche Nationen und politische Parteien, doch sie haben es geschafft, sich problemlos in die Familie der Parlamentarier zu integrieren. Ich hoffe, dass auch unsere Staaten gleichermaßen erfolgreich der Familie der Mitgliedstaaten beitreten werden.
In der Kirche Saint Pierre-Le-Jeune in Straßburg befindet sich ein Fresko, das den Marsch der Nationen zum Christentum zeigt. Der Zug von 15 bekrönten Häuptern strebt ein gemeinsames Ziel an: das Kreuz. Er wird angeführt vom deutschen Kaiser (Germania), gefolgt von Gallia, Italia und Anglia. Den Abschluss dieses Zugs der Nationen bildet Litauen, das heißt der Großfürst von Litauen. Für uns ist diese Darstellung Europas aus dem 15. Jahrhundert ein wichtiges und symbolisches Bild. Metaphorisch gesehen bedeutet dies, dass sich Litauen vor hunderten von Jahren der Europäischen Union anschloss.
Während der 750-Jahr-Feier unseres Staates in diesem Sommer enthüllten wir ein Denkmal für den ersten und einzigen König von Litauen, König Mindaugas. Ich bin stolz auf seine vorausschauenden Fähigkeiten und würde ihn daher als den ersten Europäer Litauens bezeichnen. Der Großfürst von Litauen, Gediminas, trat in die Fußstapfen von Mindaugas und holte Handwerker aus ganz Europa nach Litauen.
Im Laufe der Geschichte Litauens war es uns bestimmt, zwei Besatzungen durchzustehen, wobei die erste über das gesamte 19. Jahrhundert hinausging und die zweite im vergangenen Jahrhundert 50 Jahre lang andauerte. Nach dem Zweiten Weltkrieg leisteten die Freiheitskämpfer in Litauen 12 Jahre lang Widerstand gegen die Besatzungsmächte. Der opferreiche Kampf trug dazu bei, im Bewusstsein der Menschen das Streben nach Freiheit zu bewahren.
Während der entscheidenden Momente in der Geschichte Litauens hat unserer Nation die Fähigkeit zur eigenen Mobilisierung geholfen. Im Januar 1991 verteidigten unbewaffnete Zivilisten erfolgreich die neugewonnene Unabhängigkeit gegenüber einem brutalen Angriff durch die Besatzungsmächte.
Im Frühjahr 2003 stimmten im Referendum 90 % der Wähler für die Mitgliedschaft Litauens in der Europäischen Union. Wir bewegen uns auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union mit der klaren Vision zu, dass sich Litauen als ein aktives und verantwortungsbewusstes Mitglied der europäischen Familie erweisen wird. Unser Ziel ist die Schaffung eines demokratischen Staates, was in der vom Parlament verabschiedeten Strategie für die Entwicklung des Landes verankert wurde. Externe und interne Sicherheit des Staates und das Wohl der Bürger sind die Eckpfeiler unserer Mitgliedschaft in der EU.
In den vergangenen Tagen wurde mir eine schmerzhafte Lektion erteilt, doch dies wird mir nur noch mehr Energie verleihen, für Fortschritt und Demokratie in Litauen zu sorgen. Auf keinen Fall sollte dadurch die erfolgreiche Einbindung in die euro-atlantischen Strukturen verlangsamt werden.
Unsere Pläne, zwischen 2005 und 2009 dem Schengener Abkommen und der Europäischen Währungsunion beizutreten, mögen zwar ehrgeizig erscheinen, doch sie bilden einen wichtigen Bestandteil unserer Agenda und werden umgesetzt werden.
Dieser neue Abschnitt der litauischen Geschichte eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, unsere nationalen Interessen zu fördern und durchzusetzen. Ich bin sicher, dass Litauen bereit ist, anderen Mitgliedstaaten ein effektiver und zuverlässiger Partner zu sein. Unser Land hat 2,5 Millionen Einwohner, seine Fläche ist doppelt so groß wie die Belgiens und wir verfügen über die besten Straßen in Osteuropa. Unser größtes Vermögen sind jedoch die litauischen Menschen, die bedauerlicherweise zu viel erleiden mussten. Obwohl der Erste Weltkrieg ein schwerer Schlag für Litauen war, gelang es uns, in den zwei Jahrzehnten zwischen den beiden Weltkriegen unsere Wirtschaft auf einen Stand zu bringen, der sich mit dem Dänemarks ebenbürtig erwies.
Gegenwärtig sind wir beispielgebend für die gesamte Region. Das Investitionsvolumen steigt derzeit rasch an. Auf den Privatsektor und die freie Wirtschaft entfallen über 80 % des BIP, das im vergangenen Jahr um 7 % angewachsen ist. Unser Ziel ist es, die Landreform im nächsten Jahr abzuschließen. Wir verfügen bereits über einige große landwirtschaftliche Betriebe, die produktiv arbeiten. In unserem Land vollzieht sich eine rasche Entwicklung der modernen Technik. Auf dem IT-Sektor war im Jahr 2002 ein Wachstum von 30 % zu verzeichnen.
Es stimmt jedoch nicht, dass man durch Vergleichen lernt, und ich gebe zu, dass sich Litauen und andere postkommunistische Staaten vor dem Hintergrund einer breiten Kluft in der Wirtschaftsentwicklung zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Europa auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union hinbewegen. Diese Kluft war bei früheren Erweiterungen noch nie so groß,, und dies kann auch durch Erklärungen oder Entschließungen nicht vertuscht werden. Diese Kluft spiegelt sich auch in den Übergangszeiten der Beitrittsverträge wider. Wir sehen zwar diesen Tatsachen ins Auge, doch wir werden uns nicht mit ihnen abfinden.
Unser Hauptziel ist es, die Kluft in der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen den alten und neuen Mitgliedstaaten zu überwinden. Je eher die neuen Mitgliedstaaten die alten einholen, desto so wettbewerbsfähiger und stärker wird Europa sein. Ohne die Unterstützung der gegenwärtigen Mitgliedstaaten würde dies zu lange dauern, und daher sind wir verpflichtet, die uns versprochene Hilfe zum größtmöglichen Nutzen unserer Menschen in Anspruch zu nehmen. Andererseits müssen wir die Vorteile des Binnenmarktes und die vier Freiheiten aktiv nutzen. Für die Freiheiten gelten keine Übergangszeiten, wobei jedoch die Freizügigkeit von Arbeitskräften eine Ausnahme bildet, und ich möchte den Ländern meinen Dank aussprechen, die in wenigen Monaten ihre Arbeitsmärkte für litauische Bürger öffnen werden.
Es wird keine Auswirkungen auf die Entwicklung des Binnenmarktes haben, wenn wir die Anbindung an das Telekommunikations-, Energie- und Transportnetz nicht schaffen sollten. Hier kommt den Investitionen in die Infrastruktur besondere Bedeutung zu. In diesem Bereich haben wir einige Fortschritte erzielt: Wir haben das Projekt VIA BALTICA umgesetzt, welches neben dem Elektrizitätsverbund zwischen Polen und Litauen in unsere Liste der Prioritätsprojekte aufgenommen wurde. Dies würde zu einem wichtigen Element der Strategie der Wirtschaftsentwicklung in der baltischen Region werden.
Es muss jetzt die Entscheidung gefällt werden, wie der Ostseeraum entwickelt werden soll, und ich zähle bei dieser Frage auf die Unterstützung des Europäischen Parlaments. Es wäre ein großer Fehler, wenn zwischen dem Kern und der Peripherie Europas eine Trennlinie gezogen würde – und ich meine dies nicht im geografischen Sinne, sondern im Hinblick auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung.
Ich bin sicher, dass die neuen Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Lissabonner Strategie beitragen können. Die Europäische Union ist und wird ein sehr wichtiger Faktor beim Aufbau eines litauischen Wohlfahrtsstaates sein. Daher müssen von der Europäischen Union Maßnahmen ergriffen werden, um nicht nur die wirtschaftliche Lücke zu schließen, sondern auch die Kluft in der sozialen Entwicklung zu überwinden. Litauen unterstützt einfache und transparente Grundsätze bei der Aufstellung des Haushaltsplans der EU.
Bei der Erörterung der neuen finanziellen Perspektive wird Litauen sicherstellen, dass seine Interessen berücksichtigt werden. Wir werden für ein Fünftel der neuen Außengrenzen der Europäischen Union zuständig sein, und wir haben auch die Region Kaliningrad als Nachbarn. Dasselbe gilt für die besonderen Merkmale der Landwirtschaft Litauens. Wenn wir die Möglichkeiten der regionalen Zusammenarbeit nutzen, könnte der Ostseeraum sicherlich zu einem Zentrum eines schnell wachsenden Wirtschaftsgebiets werden. Zudem könnte die Initiative der neuen Nachbarn zur Entwicklung dieser Region einen beträchtlichen Beitrag leisten. Auf Litauen wird ein Fünftel der Außengrenze der Europäischen Union entfallen. In meiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt werde ich alles dafür tun, dass diese Grenze sicher ist und eine transparente Überwachung erfolgt.
Wir werden unsere Erfahrungen im Umgang mit unseren Nachbarn an die alten Mitgliedstaaten weitergeben. Die Geschichte lehrt uns, dass eine Union ohne gute Nachbarn nicht stark sein kann. Die Europäische Union muss sich den Ländern östlich der neuen Grenzen öffnen. Sie sollte dies davon abhängig machen, inwieweit die neuen Mitglieder bereit sind, ihre Gesetzesrahmen auf die der Europäischen Union abzustimmen. Litauens größte Errungenschaft im vergangenen Jahrzehnt war der Aufbau guter nachbarschaftlicher Beziehungen in der Region.
Ich möchte besonders die Bedeutung Russlands als strategischer Partner der Europäischen Union betonen. In dieser Partnerschaft nimmt die Region Kaliningrad einen besonderen Platz ein. Es wurde zwar viel über die mögliche Strategie für die Region Kaliningrad geredet, doch bisher wurde sie noch nicht aufgestellt. Ich schlage vor, dass wir uns auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in der Region Kaliningrad konzentrieren, und wir sind bereit, unsere im Umgang mit Kaliningrad und auch mit der gesamten nordwestlichen Region Russlands gewonnenen Erfahrungen zu teilen. Zudem sollten wir weder die Ukraine noch die Länder des Südkaukasus vergessen. Ihnen muss in Aussicht gestellt werden, dass sie Verbindungen zur Europäischen Union aufbauen können. Ich habe mich hinsichtlich dieser Frage mit Präsident Cox und anderen leitenden Persönlichkeiten der Europäischen Union auf dem Schriftwege in Verbindung gesetzt.
Der Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents sieht ein gutes demokratisches und institutionelles Gleichgewicht vor, das für Litauen akzeptabel ist. Dieses Dokument muss jedoch noch geändert und präzisiert werden. Wir müssen Lösungen für heikle und offene Fragen finden und auch Diskussionen über Angelegenheiten einleiten, die nicht vom Konvent behandelt wurden. Die größte Herausforderung, der die Regierungskonferenz gegenübersteht, ist die Erzielung einer Einigung über die institutionelle Reform der Union. Wenn uns das nicht gelingt, wird die Europäische Union der 25 Mitgliedstaaten keine starke Führungsrolle übernehmen können.
Bei Europa geht es nicht nur um die Abstimmungen im Ministerrat oder gleichberechtigte Kommissare aus jedem Staat. Es geht auch um Kompromissbereitschaft. Es muss ein Gleichgewicht gefunden werden. Jeder Staat muss in der Union gleiche Rechte und Möglichkeiten haben. Der Suche nach einem Kompromiss, ein charakteristisches Merkmal der Europäischen Union, wird in der erweiterten Union besondere Bedeutung zukommen. Es ist wichtig, dass wir unsere Existenz auf gemeinsame Werte, Demokratie, Achtung der menschlichen Würde und Transparenz gründen. Wir müssen die jeweilige Kultur und Identität der Anderen achten. Dies alles wird langfristig den Erfolg der Europäischen Union sichern.
Eine Bezugnahme auf die christlichen Wurzeln in der Präambel der Verfassung würde eine einigende und symbolische Bedeutung haben, da das moderne Europa auf der Grundlage spezifischer Werte aufgebaut wurde.
Neben institutionellen Angelegenheiten steht die Regierungskonferenz einer wichtigen Erörterung von Fragen der gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik gegenüber. Wir müssen eine Doppelung der bestehenden NATO-Strukturen vermeiden. Durch die politischen Entwicklungen in der Welt und die Irakkrise ist deutlich geworden, dass Europa auf dem Gebiet der Außenpolitik zur Koordinierung seiner Handlungen fähig sein und mit einer Stimme sprechen muss. Es ist besonders wichtig, dass wir die Wirksamkeit und Unentbehrlichkeit der transatlantischen Verbindung wahren. Diese Grundsätze müssen in der künftigen Sicherheitsstrategie der Europäischen Union verankert werden.
Als ich im Februar 2003 als Präsident Litauens vereidigt wurde, stellte ich die strategischen Hauptziele des litauischen Staates vor. Ich versprach den litauischen Menschen, dass unser Land nicht nur Schutz in Europa sucht, sondern sich auch an der Entscheidung über das Schicksal Europas beteiligen wird. Zudem erklärte ich, dass Litauen mit der Eingliederung in Europa den Stabilitäts- und Sicherheitsraum ausweiten wird. Ich kann diese Worte heute bestätigen.
Abschließend möchte ich Sie an die Worte von Robert Schuman, dem Vater der Europäischen Union, in seinem Buch Für Europa erinnern. Er schrieb Folgendes: „Europa ist auf der Suche nach sich selbst. Es weiß, dass seine Zukunft in seinen Händen liegt. Nie mehr wird es seinem Ziel so nahe sein. Es sollte diese Schicksalsstunde nicht verpassen – sie ist seine einzige Chance auf Befreiung.“ Diese Worte fassen nicht nur die Ideen und philosophischen Vorstellungen zusammen, auf denen die Vereinigung Europas beruht, sondern tragen auch zum Verständnis des europäischen Geistes bei.
(Beifall)
Der Präsident. Ich möchte Herrn Präsident Paksas für seine Worte heute danken, die unsere immer enger werdenden Beziehungen und Verbindungen zu den künftigen Staaten der Europäischen Union untermauern.