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Ausführliche Sitzungsberichte
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Montag, 21. Februar 2005 - Straßburg Ausgabe im ABl.
1. Wiederaufnahme der Sitzungsperiode
 2. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
 3. Mitteilungen des Präsidenten
 4. Prüfung von Mandaten (siehe Protokoll)
 5. Zusammensetzung der Ausschüsse und Delegationen (siehe Protokoll)
 6. Vorlage von Dokumenten (siehe Protokoll)
 7. Übermittlung von Abkommenstexten durch den Rat (siehe Protokoll)
 8. Petitionen (siehe Protokoll)
 9. Schriftliche Erklärungen (Artikel 116) (siehe Protokoll)
 10. Weiterbehandlung der Standpunkte und Entschließungen des Parlaments (siehe Protokoll)
 11. Arbeitsplan
 12. Ausführungen von einer Minute zu wichtigen politischen Fragen
 13. Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2005 (Fortsetzung der Aussprache)
 14. Weltsozialforum, Weltwirtschaftsforum
 15. Strafregister / Strafjustiz
 16. Wettbewerbspolitik 2003
 17. Beihilfen als Ausgleich für öffentliche Dienstleistungen
 18. Tagesordnung der nächsten Sitzung (siehe Protokoll)
 19. Schluss der Sitzung


  

VORSITZ: JOSEP BORRELL FONTELLES
Präsident

(Die Sitzung wird um 17.05 Uhr eröffnet.)

 
1. Wiederaufnahme der Sitzungsperiode
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  Der Präsident. Ich erkläre die am Donnerstag, also am 27. Januar, unterbrochene Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments für wieder aufgenommen.

 

2. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll

3. Mitteilungen des Präsidenten
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  Der Präsident. Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist für den Präsidenten wichtig, zwei Erklärungen zu zwei Ereignissen abzugeben, und zwar zu einem, das bereits stattgefunden hat, und zu einem anderen, das noch eintreten wird und uns direkt betrifft.

Wie Ihnen bekannt ist, fand das erste der geplanten Referenden zur Ratifizierung der Europäischen Verfassung gestern in Spanien statt. Wie Sie ebenfalls wissen, haben 76,7 % für die Verfassung gestimmt.

(Beifall)

Ich möchte Sie daran erinnern, dass sich dieses Haus vor einem Monat mit 74 % der Stimmen für die Europäische Verfassung aussprach; das Votum der Spanierinnen und Spanier entsprach somit annähernd der Zustimmung des Parlaments zu diesem Projekt und fiel genau genommen noch etwas deutlicher aus. Man könnte sagen, dass die Abstimmung am Sonntag in Spanien ein ähnliches Resultat erbrachte wie die Abstimmung in Straßburg, nachdem dieses Parlament die Entschließung zu dieser Frage erörtert hatte.

Die Beteiligung lag leicht unter jener der letzten Europawahlen in Spanien und kam auch dem Durchschnitt aller 25 Staaten der Union sehr nahe. Im Großen und Ganzen bewegen sich die Ergebnisse des Referendums in Spanien und der Abstimmung im Europäischen Parlament in der gleichen Größenordnung, und in meiner Eigenschaft als Präsident des Parlaments und auch als spanischer Staatsbürger bin ich deshalb über das Resultat sehr erfreut. Gleich nach seiner Bekanntgabe gratulierte ich dem spanischen Ministerpräsidenten und allen politischen Gruppen, die an diesem Prozess mitgewirkt hatten.

Die zweite Mitteilung betrifft den Besuch des Präsidenten der USA in Brüssel. Der Besuch von Präsident Bush in dieser Woche wird als Treffen mit den europäischen Institutionen gestaltet. Er kommt nach Europa, doch er kommt unter anderem, um sich mit der Europäischen Union, d. h. mit den Institutionen der Union, zu treffen.

Als Präsident des Europäischen Parlaments und mit Unterstützung aller Fraktionen sind wir zu der Auffassung gelangt, dass unsere Institution (das Europäische Parlament) bei diesen Treffen nicht fehlen darf; wir glauben, dass die Stärke der Institutionen der Union und das Erscheinungsbild der Europäischen Union, insbesondere im Hinblick auf die Beziehungen zu Drittländern und namentlich auf die transatlantischen Beziehungen, mit dem guten Funktionieren des institutionellen Dreiecks aus Rat, Kommission und Parlament verknüpft ist.

Dazu habe ich Gespräche mit dem amtierenden Ratspräsidenten, Herrn Juncker, geführt und die Konferenz der Präsidenten über den Ablauf dieser Gespräche ständig unterrichtet, und nach dem Schriftwechsel in der letzten Woche und nach Anhörung des Standpunkts der Fraktionen sowie nach einem Telefongespräch mit dem Präsidenten der Kommission, Herrn Barroso, kann ich Ihnen sagen, dass der Präsident des Europäischen Parlaments, natürlich im Namen dieser Institution, an dem Treffen teilnehmen wird, das die 25 Staats- und Regierungschefs morgen mit Herrn Bush in Brüssel durchführen werden.

Es handelt sich dabei nicht um eine Tagung des Europäischen Rates im eigentlichen Sinne, aber dennoch möchte ich dem amtierenden Ratspräsidenten, Herrn Juncker, und Herrn Barroso dafür danken, dass sie die Ansicht teilten, der Präsident des Europäischen Parlaments solle an diesem Treffen teilnehmen, und ich möchte meine Anerkennung und Dankbarkeit aussprechen für die Bemühungen, die sie unternommen haben, um diese Teilnahme zu bewirken und auf diese Weise das institutionelle Dreieck der Europäischen Union, das ich gerade erwähnt habe, zu stärken. Aus diesem Grund werde ich nicht hier in Straßburg sein können.

Möchten Sie etwas dazu sagen, Herr Pöttering?

 
  
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  Poettering (PPE-DE). Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mit Freude und großer Zustimmung gehört, was Sie gerade zum Besuch des amerikanischen Präsidenten in Brüssel gesagt haben. Unsere Fraktion hat immer mit aller Entschiedenheit unterstützt, dass der Präsident des Europäischen Parlaments dort anwesend sein muss, in welcher Form auch immer man ein solches Treffen institutionell durchführt.

Ich appelliere an den Europäischen Rat und die Regierungen, dass es in Zukunft nicht noch einmal eine solche Diskussion geben möge, wie wir sie in den vergangenen Tagen und Wochen hatten. Ich möchte dem Ratspräsidenten, Herrn Jean-Claude Juncker, ausdrücklich dafür danken, dass dieses Ergebnis möglich war, aber eine solche Diskussion sollte sich nicht wiederholen. Das Parlament gehört selbstverständlich dazu, wenn die Europäischen Institutionen von einem Präsidenten – in diesem Fall dem amerikanischen Präsidenten – besucht werden.

Ich wünsche Ihnen morgen einen guten Aufenthalt in Brüssel, Herr Präsident. Das Europäische Parlament steht im Mittelpunkt der europäischen Entwicklung, und deswegen ist es gut, dass Sie morgen dort anwesend sind.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. Vielen Dank, Herr Pöttering. Also steht fest: Ende gut, alles gut. Unabhängig von den Einzelheiten des Prozesses werden morgen die drei Institutionen anwesend sein, und ich möchte hier ganz deutlich machen, dass der amtierende Ratspräsident und der Präsident der Kommission stets die Ansicht teilten, dass dies notwendig ist. Wenn es dabei irgendwelche Missklänge gab, so gingen sie keinesfalls von ihnen aus.

 

4. Prüfung von Mandaten (siehe Protokoll)

5. Zusammensetzung der Ausschüsse und Delegationen (siehe Protokoll)

6. Vorlage von Dokumenten (siehe Protokoll)

7. Übermittlung von Abkommenstexten durch den Rat (siehe Protokoll)

8. Petitionen (siehe Protokoll)

9. Schriftliche Erklärungen (Artikel 116) (siehe Protokoll)

10. Weiterbehandlung der Standpunkte und Entschließungen des Parlaments (siehe Protokoll)

11. Arbeitsplan
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Festlegung des Arbeitsplans.

Der endgültige Entwurf des Arbeitsplans für diese Tagung, wie er von der Konferenz der Präsidenten auf ihrer Sitzung vom 17. Februar gemäß Artikel 130 und 131 der Geschäftsordnung aufgestellt wurde, ist verteilt worden.

Für Montag und Dienstag wurden keine Änderungen beantragt.

Zum Mittwoch:

Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten hat vorgeschlagen, den Punkt zur Lage im Libanon nach der Ermordung des ehemaligen Premierministers Hariri den Erklärungen des Rates und der Kommission zu den Beziehungen der EU zum Mittelmeerraum hinzuzufügen.

 
  
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  Poettering (PPE-DE). Herr Präsident! Ich weiß nicht, ob ich richtig verstanden habe, was Sie rein formell gerade vorgetragen haben. Unsere Fraktion wäre damit einverstanden, wenn die Situation im Libanon in die Debatte über den Mittelmeerraum am Mittwochmorgen einbezogen wird und wir uns inzwischen eine geeignete Form überlegen, wie wir dann im März, vielleicht auf der Grundlage einer mündlichen Anfrage an Rat und Kommission, etwas ausführlicher über dieses Thema sprechen können. Das wäre für uns ein Weg, um die gegenwärtige Tagesordnung so belassen zu können, wie sie ist, und wir würden dann im März ausführlicher auf dieses Thema zurückkommen.

Ich war jetzt etwas überrascht, dass ich aufgerufen wurde. Aber ich hoffe, dass mein Beitrag zur Lösung eines kleinen Problems beitragen kann.

 
  
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  Der Präsident. Dann verstehe ich es so, dass der Antrag zurückgezogen ist.

 
  
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  Swoboda (PSE). Wenn der Antrag nun diese Form hat, sind wir auch mit dieser Lösung durchaus einverstanden. Es geht ja nicht darum, dass wir uns in die Sachen des Libanon einmischen wollten, aber wir wollen, dass der Libanon vollständig selbständig und unabhängig über sein Schicksal entscheiden kann. Das heißt, wir lassen die Tagesordnung wie sie ist, und nehmen uns vor, für die März-Tagung einen eigenen Tagesordnungspunkt dafür anzusetzen.

 
  
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  Der Präsident. Einverstanden, wir werden das in dem Tagesordnungspunkt behandeln, der zu diesem Thema schon vorgesehen ist. Es handelt sich nicht darum, einen neuen speziellen Punkt in die Tagesordnung aufzunehmen.

Die Sozialdemokratische Fraktion hat zudem beantragt, die Reihenfolge der mündlichen Anfragen zum Ablauf des WTO-Abkommens über Textilwaren und Bekleidung und zu Maßnahmen gegen Hunger und Armut zu verändern. Es geht nicht darum, eine der beiden zurückzuziehen, vielmehr soll die Reihenfolge der mündlichen Anfragen einfach umgekehrt werden.

 
  
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  Swoboda (PSE). Herr Präsident! Der Vorschlag lautet so, wie Sie es dargestellt haben. Da braucht es keiner besonderen Begründung.

 
  
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  Der Präsident. Da niemand mehr das Wort ergreifen möchte, kommen wir zur Abstimmung.

(Das Parlament nimmt den Antrag an.)

Die Fraktionen haben sich darauf geeinigt, eine Zeitspanne bis 18.00 Uhr festzulegen, damit alle Punkte der Tagungsordnung vom Mittwoch, bei denen der Rat zugegen sein sollte, vor diesem Zeitpunkt behandelt werden können.

Für die Sitzung am Donnerstag ist keine Änderung vorgeschlagen worden.

(Das Parlament nimmt den so geänderten Arbeitsplan an.)

 
  
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  Posselt (PPE-DE). Herr Präsident! Ich weiß nicht, ob ich etwas falsch verstanden habe. Sie sagten, der Rat muss bis 18.00 Uhr erledigt sein. Bezieht sich das auch auf die Fragestunde? Am Mittwoch haben wir die Fragestunde mit dem Rat, und da muss der Rat ja anwesend sein.

 
  
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  Der Präsident. Der Rat wird zur Fragestunde und zu allen Themen, bei denen dies notwendig ist, anwesend sein und folglich auch für Anfragen an den Rat zur Verfügung stehen.

Wir haben zwei Dringlichkeitsanträge erhalten: einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2792/1999 hinsichtlich einer spezifischen Maßnahme zugunsten der Überführung von Schiffen in die 2004 vom Tsunami betroffenen Länder.

Angesichts der dringenden Probleme im Fischereisektor in den im Dezember vom Tsunami heimgesuchten Ländern schafft dieser Vorschlag einen wichtigen legislativen Rahmen, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, die Genehmigung für die Überlassung kleiner Fischereifahrzeuge an die betroffenen Fischereigemeinden zu erteilen.

Der zweite Antrag betrifft den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Anwendung spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in der Republik Côte d'Ivoire.

Die Dringlichkeit ist begründet, da es sehr wichtig ist, dass diese Verordnung so schnell wie möglich angenommen wird, um einen Transfer von Finanzmitteln und wirtschaftlichen Ressourcen, die eingefroren werden sollen, zu verhindern.

Das Parlament wird sich morgen zu Beginn der Sitzung über diese beiden Dringlichkeitsanträge äußern. Ich teile Ihnen dies mit, damit Sie morgen entsprechend vorbereitet sind, um einen Beschluss zu dieser Frage zu fassen.

 

12. Ausführungen von einer Minute zu wichtigen politischen Fragen
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  Pęk (IND/DEM). (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe das Wort ergriffen, weil ich über den Zustand der Demokratie in der Europäischen Union äußerst besorgt bin. Uns wird gesagt, dass es als großer Erfolg angesehen werden kann, wenn ein kleiner Teil bzw. kaum mehr als ein Viertel der stimmberechtigten Bürger in einem Referendum, der wichtigsten öffentlichen Form kollektiver Willensbekundung, mit „Ja“ stimmt. Es kommt jetzt auch ans Licht, dass man sich während der Kampagne Propagandatricks bediente, als beispielsweise spanischen Bürgern gesagt wurde, eine Stimme gegen die Europäische Verfassung sei eine Stimme gegen Europa, was schlicht gelogen ist. Besonders besorgt sind wir darüber, dass für die Kampagne zugunsten eines „Ja“ öffentliche Gelder ausgegeben werden, wie auch über die Pläne, noch mehr dafür auszugeben. Letztlich ist das eine Täuschung der europäischen Bürger. Wir fordern Gleichheit vor dem Gesetz!

 
  
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  Tabajdi (PSE). (HU) Der gemeinschaftliche Getreidemarkt befindet sich in einem kritischen Zustand. Auf Antrag Österreichs und mit Unterstützung der Tschechischen Republik, der Slowakei, Italiens, Polens, Ungarns und Frankreichs hat der Rat Landwirtschaft und Fischerei auf seiner letzten Sitzung seine Besorgnis über die schwer wiegende Lage zum Ausdruck gebracht, der die europäischen Getreideproduzenten gegenüberstehen. In den 25 Mitgliedstaaten sind dieses Jahr 52 Millionen Tonnen überschüssiges Getreide produziert worden, wovon 7 Millionen Tonnen zur gemeinschaftlichen Intervention angeboten wurden. Die Hälfte davon, über 3 Tonnen, wurden von Ungarn angeboten.

Auf dem gemeinschaftlichen Getreidemarkt haben sich drei Probleme herausgebildet. Zum einen stellt die ungünstige Entwicklung des Kursverhältnisses zwischen Euro und Dollar ein Problem dar. Zweitens bedeutet die Ausschreibungspraxis für Länder ohne Meeresküste, also für die Tschechische Republik, Österreich, die Slowakei und Ungarn, einen Wettbewerbsnachteil. Und schließlich mein dritter Punkt: Der Abbau der Exportbeihilfen führt zu weiteren Problemen. Ich möchte Kommissarin Frau Fischer Boel bitten, wirksame Schritte zur Lösung der Probleme auf dem Getreidemarkt zu unternehmen.

 
  
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  Yañez-Barnuevo García (PSE). – (ES) Herr Präsident, ich stimme Ihren Worten zu und möchte dem Präsidenten dieses Parlaments dafür danken, was er über das Referendum sagte, das gestern in meinem Land stattgefunden hat. Es war eine Lektion in Demokratie. Der Tag verlief ohne Zwischenfälle. Alle, die für ein Ja waren, alle, die für ein Nein waren und alle, die für Stimmenthaltung waren, nahmen mit vollem Einsatz teil.

Deshalb kann niemand unserem Land Lektionen in Demokratie erteilen, denn jeder konnte ungehindert agieren. Zudem warb ein wichtiger Hörfunksender, der sich im Besitz führender Kreise der katholischen Kirche befindet, unablässig für das Nein, und die Ergebnisse liegen nun auf dem Tisch, aber niemand hinderte ihn daran, diese Position zu vertreten, die so legitim wie jede andere war.

 
  
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  Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Vor einigen Tagen hat die Präsidentin des griechischen Parlaments in einer Ansprache an den neuen Präsidenten der Griechischen Republik gesagt, dass Griechenland in Anbetracht des Referendums – das heißt in Anbetracht der Zustimmung zur Verfassung – einen Teil seiner nationalen Grenzen und seiner nationalen Souveränität abtreten müsse. Das ist verheerend. Die griechische Bevölkerung muss darüber informiert werden, warum sie zugunsten der Prosperität Europas Land und Souveränität abgeben soll. So jedenfalls wurde es verstanden. Jetzt muss ein Weg gefunden werden, zumindest die Befürchtungen der griechischen Bevölkerung zu beschwichtigen. Wir wollen, dass Europa gedeiht, jedoch natürlich nicht auf Kosten der nationalen Grenzen unseres Landes und auf Kosten der nationalen Souveränität. Unsere Aufgabe ist es sicherzustellen, dass Griechenland, wenn die Verfassung angenommen wird, kein Land verlieren wird, wie es – ich wiederhole – die Präsidentin des griechischen Parlaments gesagt hat.

Was das Referendum in Spanien betrifft, so haben 33 % der spanischen Bevölkerung dafür gestimmt. Die Wahlbeteiligung war äußerst gering ...

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Mote (NI).(EN) Herr Präsident! Jede kriminelle Organisation in Europa muss Freudensprünge gemacht haben, als die Europäische Zentralbank kürzlich beschloss, den Druck von 500-Euro-Banknoten zu verdoppeln. Allein in diesem Jahr werden weitere 190 Millionen dieser Banknoten mit dem weltweit höchsten Wert in Umlauf gelangen, und ein Koffer dieser Banknoten ist siebenmal mehr wert als ein mit 100-Dollar-Scheinen gefüllter Koffer.

In der elektronischen Welt von heute benötigen die Banken keine Banknoten mit hohem Nennwert: Diese nützen nur Verbrechern. Warum sonst sind 10 % aller bei ihrer Einführung ausgegebenen Euroscheine plötzlich nach Russland verschwunden? Warum ist dies noch immer die Vorzugswährung der russischen Mafia? Warum hat Hussein die heimlichen Ölverkäufe des Irak für Euro getätigt, als er Sanktionen umgehen wollte? Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der gefälschten 500-Euro-Banknoten um…

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Papastamkos (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Wir hoffen, die Vereinigung Europas bedeutet, zumindest im Hinblick auf seine Wirtschafts- und Währungsunion, dass Schranken beseitigt werden, dass im Wirtschaftsbereich Grenzen beseitigt werden. Dies ist die Quintessenz des gemeinsamen Marktes und des europäischen Binnenmarktes. Die griechische Europa-Skepsis richtet sich genau darauf, was die Europäische Union ist; eine EU, die nicht mit demselben Tempo darauf hingearbeitet hat, ihre politische Union zu vervollkommnen und sich eine echte, glaubwürdige europäische Verteidigungsidentität zu schaffen. In dieser Weise äußerte sich die Präsidentin des griechischen Parlaments, die damit das Offensichtliche festgestellt hat, nämlich dass die Wirtschaftsgrenzen beseitigt worden sind und es jetzt einen einheitlichen, homogenen Wirtschaftsraum gibt.

 
  
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  Corbett (PSE). (EN) Herr Präsident! Seit dieses Parlament vor einem Monat mit überwältigender Mehrheit für die Annahme der europäischen Verfassung gestimmt hat, versuchen einige der Abgeordneten, die sich in der Minderheit befanden, den Standpunkt des Europäischen Parlaments zu unterlaufen und zu diskreditieren.

Sie schwenkten während der Abstimmung in diesem Saal Transparente; sie haben versucht, den offiziellen Beginn der Informationskampagne des Europäischen Parlaments zu stören; sie haben die Behauptung aufgestellt, es sei für dieses Parlaments irgendwie nicht zulässig, seine Sichtweise und seine Schlussfolgerungen der Öffentlichkeit vorzustellen. Selbst wenn wir von nationalen Parlamenten eingeladen wurden, um unsere Einschätzung der Verfassung darzulegen, haben sie ihnen geschrieben und sich beschwert, dass wir solche Einladungen angenommen haben.

Heute behaupten sie, das Ergebnis der spanischen Volksabstimmung wäre nicht ganz rechtmäßig. Natürlich war die Wahlbeteiligung gering – doch das Referendum war nicht umstritten und erhielt eine überwältigende und breite Unterstützung. Doch das Entscheidende ist, dass eine breite Mehrheit zugestimmt hat, und ich bin mir sicher, dass sich das in anderen Ländern wiederholen wird.

(Beifall)

 
  
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  Leinen (PSE). Herr Präsident! Dieses Parlament sollte das Referendum in Spanien und auch das klare Ja der spanischen Bevölkerung zur Verfassung ausdrücklich begrüßen. Meines Erachtens sollten wir der spanischen Regierung, aber auch allen Beteiligten, danken, dass sie die Öffentlichkeit informiert und mobilisiert hat und insbesondere die Zivilgesellschaft in diese Kampagne einbezogen hat.

Ich selbst war mit anderen Kollegen mehrere Tage in Spanien und habe gesehen, wie offen, wie demokratisch, wie friedlich das Ganze vor sich ging – wirklich ein Ausdruck europäischer Demokratie. Was hier von dem Kollegen aus Polen gesagt wurde, ist völlig absurd und sicherlich die Meinung einer kleinen Minderheit hier im Parlament.

Aber die Wahlbeteiligung zeigt auch, dass noch mehr Information notwendig ist. Herr Präsident, wir sollten die Regierungen und auch die Kommission auffordern, endlich eine offensive Informationspolitik über die Inhalte der Verfassung zu führen. Wir haben hier nicht mehr Zeit zu verlieren, da ja die nächsten Referenden schon anstehen.

 
  
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  Krupa (IND/DEM). (PL) Vielen Dank. Angesichts des katastrophalen Zustands der Gesundheitsdienste in Polen und der Hungerstreiks medizinischen Personals möchte ich zunächst dazu auffordern, Gesundheitsdienste nicht länger unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten und medizinische Dienstleistungen aus der Dienstleistungsrichtlinie herauszunehmen. Ebenso möchte ich darauf hinweisen, dass für Gesundheitsdienste öffentliche Mittel notwendig sind, insbesondere für Krankenhäuser, da diese mit über 6 Milliarden Zloty in Polen verschuldet sind. Nach liberalen Änderungen des Zivilgesetzbuchs haben Schuldeneintreiber über 2 Milliarden Zloty eingezogen, was dazu geführt hat, dass Angestellte ihre Gehälter nicht bekommen haben. Die Beschlagnahmung dieser mageren Löhne stellt eine Verletzung moralischer Grundsätze und der sozialen Gerechtigkeit dar. Es ist auch eine Verletzung vieler Rechtsakte, darunter der Grundrechtecharta der EU und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ich würde gern wissen, ob die Kommission die Einführung einer Verordnung beabsichtigt, die es ermöglicht, dass finanzielle Unterstützung...

(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)

 
  
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  Pahor, Borut (PSE).(SL) Herr Präsident! Unlängst ist der Eindruck entstanden, dass bestimmte Gegensätze und Spaltungen der Vergangenheit wieder aufgelebt sind, von denen wir gehofft hatten, dass sie nie wiederkehren und die Beziehungen zwischen Völkern im vereinten Europa belasten würden. Mit der Erklärung des 10. Februars zum Tag der Erinnerung an die tragischen Ereignisse nach dem Zweiten Weltkrieg gedenkt die Italienische Republik des Leidens ihrer Landsleute, und das ist ihr gutes Recht. Doch sollte das demokratische Italien hierbei nicht das Leid vergessen, das von dem faschistischen Regime über andere Völker, darunter auch Slowenien, gebracht wurde. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich dem Aufruf der demokratischen Kräfte beiderseits der Grenze anzuschließen, dieses Trauma unserer noch nicht so fernen Geschichte zu überwinden, indem wir die ganze Wahrheit sagen. Die Wahrheit, so schmerzlich sie auch sein mag, ist der einzige Weg, um in Zukunft ähnliche Dinge zu verhindern. Sie ist auch die einzige Grundlage für Koexistenz und Versöhnung. Wenn das Aussöhnungstreffen der Präsidenten der drei benachbarten Länder dazu beitragen kann, dann begrüße ich es auch. Das Aufleben nationalistischer Vorurteile zu überwinden liegt im Wesen des Europagedankens. Dies ist auch eine der Grundlagen und eines der Motive der europäischen Kohäsion und Integration.

 
  
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  Mitchell (PPE-DE). (EN) Herr Präsident! Die kürzliche Tsunami-Katastrophe hat die Welt erschüttert, und der ungeheure Verlust an Menschenleben ist nahezu unvorstellbar. Solche Katastrophen sind jedoch nicht allein auf Südostasien beschränkt. Zum schlimmsten europäischen Tsunami in der Geschichtsschreibung kam es am 1. November 1755, als ein mächtiges Erdbeben vor der portugiesischen Atlantikküste die Wellen über Lissabon hereinbrechen ließ. Allein an diesem Tag starben in der Hauptstadt 30 000 Menschen, und das Ereignis signalisierte den Niedergang der Stadt, die bis dahin die viertgrößte Stadt Europas sowie eine der reichsten gewesen war. Die Wellen trafen auch mit voller Wucht die Küsten Belgiens, Großbritanniens, Frankreichs, Irlands und der Niederlande.

20 Mitgliedstaaten der EU haben eine Küste. Wäre es, da es in der Vergangenheit zu Erdbeben und darauf folgenden Tsunamis gekommen ist, nicht klug, wenn die Kommission einen Benchmarking-Prozess festlegen würde, um Strategien für die Warnung vor solchen Katastrophen zu erleichtern?

 
  
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  Ludford (ALDE). (EN) Herr Präsident! Das Parlament ist konsequent gegen die illegale Internierung in Guantanamo Bay vorgegangen. Die meisten der EU-Bürger sind inzwischen freigelassen worden – mit Sicherheit alle neun britischen Staatsbürger –, doch befinden sich dort noch ungefähr ein Dutzend Menschen, die ihren ordentlichen Wohnsitz in einem EU-Land haben, beispielsweise als Flüchtlinge.

Dazu gehören fünf Personen aus dem Vereinigten Königreich, deren Namen uns bekannt sind: Bisher al-Rawi, Jamil al-Banna, Jamal Abdullah, Shaker Aamer und Omar Deghayes. Berichten zufolge kommt es zu erniedrigender und unmenschlicher Behandlung, sogar zu Folter. Omar Deghayes behauptet, dass er aufgrund des Einsatzes von Pfefferspray auf einem Auge blind ist. Vor 20 Jahren kam er als Flüchtling aus Libyen, wo sein Vater vom Gaddafi-Regime ermordet wurde. Libysche Beamte haben ihn besucht und ihm mit einer Abschiebung nach Libyen und dem Tod gedroht.

Dazu kam es offensichtlich mit dem geheimen Einverständnis der US-Regierung. In der Tat hat sie ein Flugzeug nach Tripolis geschickt, um die Beamten abzuholen. Das muss auch mit dem geheimen Einverständnis der britischen Regierung geschehen sein. Sie darf sich nicht hinter dem Wiener Übereinkommen verstecken. Sie hat eine moralische und – ich behaupte – rechtliche Verpflichtung, einzugreifen und diese Menschen entweder freizulassen oder vor Gericht zu stellen. Anderenfalls sind die Ansprüche der EU, sie verfolge eine Menschenrechtspolitik, nicht sehr überzeugend.

 
  
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  Rosati (PSE). (PL) Herr Präsident! Im September 2004 hat die Russische Föderation den Lebensmitteleinfuhren aus Polen Beschränkungen auferlegt. Polnische Firmen, die Fleisch und Molkereiprodukte exportieren, wurden zudem verpflichtet, sich besonderen Inspektionen durch russische Veterinär- und Pflanzenschutzbehörden zu unterziehen. Von insgesamt 74 inspizierten Molkereibetrieben wurde nur zweien gestattet, ihre Erzeugnisse nach Russland auszuführen. Obwohl seit Abschluss der Inspektionen fast vier Monate vergangen sind, hat Russland noch immer keine Liste der Firmen an Polen übermittelt, die nach positiv verlaufener Inspektion ihre Erzeugnisse exportieren dürfen. Damit steht fest, dass polnische Firmen auf dem russischen Markt benachteiligt werden. Im Januar wurde Polen versichert, das die Europäische Kommission einschreiten würde, um die Verfahren zu beschleunigen, damit polnischen Firmen der Zugang zum russischen Markt ermöglicht wird. Ich würde gern wissen, welche Maßnahmen die Kommission in diesem Zusammenhang getroffen hat, was diese Maßnahmen bewirkt haben und wann diese diskriminierenden Praktiken der Russischen Föderation ein Ende haben.

 
  
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  Batten (IND/DEM). (EN) Herr Präsident! Zur vorgeschlagenen europäischen Verfassung sagte Präsident Bush, dass er davon fasziniert sei, wie die Souveränität der Staaten in ein größeres Ganzes integriert werden kann. Er kann sich diese Faszination erlauben: Bei diesem Integrationsprozess werden nicht die Freiheit und die Demokratie seines Landes demontiert und abgeschafft.

Jedoch nimmt er Artikel 16 der Verfassung ernst, der die Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik verpflichtet. Zu Recht hat er davor gewarnt, dass dies die NATO unterminiert – und seit 1949 hat die NATO den Frieden in Europa gesichert, nicht die Europäische Union.

Die Briten müssen wissen, dass die vorgeschlagene gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Großbritannien daran hindern wird, je wieder unabhängig zu handeln, sei es militärisch oder politisch, mit oder ohne Bündnis mit den USA. Das ist ein weiterer guter Grund für das britische Volk, die europäische Verfassung abzulehnen, wenn es die Gelegenheit dazu erhält.

 
  
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  Czarnecki, Ryszard (NI). (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Das Europäische Parlament beging kürzlich den 50. Jahrestag des europäischen Fußballdachverbandes UEFA. Auf der heutigen Sitzung möchte ich meine nachdrückliche Unterstützung für das jüngste Projekt der UEFA zum Ausdruck bringen, mit dem dafür gesorgt werden soll, dass reiche und arme Vereine in der alten wie auch neuen EU, ja in ganz Europa, die gleichen Chancen haben. Das Projekt sieht die schrittweise Einführung von Quoten für im eigenen Verein trainierte Spieler vor, die in einem Jahr bei mindestens zwei und später schließlich bei vier Spielern liegen soll. Damit sollen Vereine gezwungen werden, mit jungen Spielern zu arbeiten, und reiche Vereine daran gehindert werden, talentierte Spieler einfach aufzukaufen. Es wird auch Quoten für Spieler aus dem Heimatland des Vereins geben, wodurch der nationale Fußball gefördert werden soll. In der Praxis werden diese Quoten auch Versuche der reichsten Klubs unterbinden, Fußballarmeen angeheuerter „Galácticos“ oder Superstars aufzustellen. Die Vorschläge der UEFA stehen im Einklang mit dem Solidaritätsprinzip, auf das sich die Europäische Union gründet. Es lohnt sich, für dieses Solidaritätsprinzip einen anderen Grundsatz der EU zu opfern, der in jedem Fall häufig verletzt wird, nämlich den Grundsatz der Freizügigkeit von Arbeitnehmern.

 
  
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  Iturgaiz Angulo (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte kurz auf etwas zurückkommen, das der Präsident zu Beginn dieser Sitzung sagte. Wie Sie alle wissen, wird George Bush, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, morgen der Europäischen Kommission im Berlaymont-Gebäude in Brüssel einen historischen Besuch abstatten. Wir müssen die Anstrengungen und die Schritte würdigen, die der Präsident der Kommission, Herr Durão Barroso, unternommen hat, damit Herr Bush den Präsidenten dieses Europäischen Parlaments, nämlich Sie, Herr Borrell, während dieses Besuchs empfängt. Und wir danken Herrn Barroso dafür.

Wir in unserer Fraktion hoffen natürlich, dass dieses Treffen ein Erfolg wird und auch dazu beiträgt, die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den Vereinigten Staaten von Amerika zu verbessern.

 
  
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  Pittella (PSE). (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Da die Barroso-Kommission mittlerweile seit mehreren Monaten im Amt ist und all ihre Mitarbeiter ernannt hat, darunter auch die Sprecher, ist es wirklich schwer zu glauben, dass es ihnen noch nicht gelungen ist, einen italienischen Sprecher zu finden. Wie ist das möglich? Welche Schritte hat Herr Barroso nach all den parlamentarischen Anfragen, dem Drängen von Kommissar Frattini und dem Antrag des gesamten Corps der akkreditierten italienischen Journalisten bei der Kommission und der anderen europäischen Organe eingeleitet?

Dieser Disput ist keine Glaubensfrage und noch viel weniger eine Rückkehr zum nutzlosen Nationalismus. Wir sind stolz auf unsere Sprache: Die ganze Welt beneidet uns um unseren Dante Alighieri. Aus genau diesem Grund können wir nicht verstehen, warum kein italienischsprachiger Sprecher ernannt worden ist.

 
  
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  Hegyi (PSE). (EN) Herr Präsident! Letzte Woche habe ich an der „Berlinale“, dem 54. Berliner Filmfestival teilgenommen. Die meisten unserer Mitgliedstaaten waren mit neuen Produktionen vertreten - entweder im Wettbewerb oder in anderen Sektionen des Festivals. Es war erstaunlich zu sehen, wie viele talentierte Filmemacher wir in Europa haben, doch noch weitaus ermutigender war es zu sehen, wie viele Menschen an Nicht-Hollywood-Filmen aus Europa und anderen Teilen der Welt interessiert waren. Beim Publikum waren die europäischen Filme begehrter als die amerikanischen.

Die ganze Veranstaltung hat mir gezeigt, dass ein großes Interesse am europäischen Kino besteht, auch wenn unsere Kinoproduktionen nicht so gut vermarktet werden wie die amerikanischen Filme. Die europäische Medien- und Kinopolitik muss dringend verbessert werden. Der Schutz unseres filmischen Erbes und die Produktion neuer Filme haben mehr Unterstützung verdient, sowohl in finanzieller als auch in rechtlicher Hinsicht.

 
  
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  Figueiredo (GUE/NGL).(PT) Die seit Monaten anhaltende Trockenheit in Portugal hat eine schwere Krise heraufbeschworen, und zwar sowohl bei den Herbst-Winter-Kulturen und Futtermitteln als auch im Hinblick auf die schlechten Aussichten für die Frühlings- und Sommerkulturen. Hinzu kommt das Auftreten der Blauzungenkrankheit, das Quarantäne- und Isolierungsmaßnahmen sowie das Verbot von Tiertransporten nach sich zog, wodurch sich die Probleme des Viehabsatzes noch verschärft haben. Die Produzenten und Landwirte sind gezwungen, die Haltungsdauer erheblich zu verlängern und zusätzliche Mittel für Futter aufzuwenden, wodurch sich finanzielle Schwierigkeiten ergeben, denen viele von ihnen nicht gewachsen sind. Deshalb ersuche ich Sie, Herr Präsident, die Kommission darüber zu unterrichten, dass sich die portugiesische Landwirtschaft in einer prekären Lage befindet und es erforderlich scheint, die Auszahlung der Beihilfen für die Viehhaltung und die pflanzliche Erzeugung vorzuziehen. Die durch die Trockenheit bedingte Verknappung der Weideflächen verursacht ebenfalls Probleme, und deshalb muss die Beweidung von Flächen genehmigt werden, die nach dem Gemeinschaftsrecht eigentlich nicht dafür in Frage kommen, um das Viehsterben einzudämmen.

 
  
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  Schlyter (Verts/ALE). (SV) Herr Präsident! In dieser Woche ist es drei Jahre her, dass Ingrid Betancourt von der FARC-Guerilla in Kolumbien entführt wurde. Ingrid Betancourt, Sprecherin meiner kolumbianischen Schwesterpartei und Kandidatin für das Amt des Präsidenten, wurde am 23. Februar 2002 entführt, als sie sich um eine Verhandlungslösung im Konflikt zwischen der Regierung und FARC bemühte.

Die kolumbianische Regierung muss den Einsatz militärischer Mittel beenden und stattdessen ein humanitäres Abkommen mit der FARC unterzeichnen, das sich an der Genfer Konvention ausrichtet, damit Ingrid und 3000 weitere Gefangene freigelassen werden können. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Präsident, wenn Sie im Namen des Parlaments unsere Beunruhigung über die Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien übermitteln könnten.

 
  
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  Patrie (PSE). (FR) Herr Präsident, ich hätte gern die Anwesenheit von Kommissar Barroso, der später zu uns stoßen wird, dazu genutzt, ihn zu den jüngsten Äußerungen der für Regionalpolitik zuständigen Kommissarin in der Presse zu befragen. Frau Hübner hat doch tatsächlich die Auffassung geäußert, dass Unternehmensverlagerungen innerhalb von Europa erleichtert werden müssten, damit europäische Unternehmen ihre Kosten senken können. Könnte uns Herr Barroso, da wir ja gerade die politischen Prioritäten der Union für das Jahr 2005 erörtern, mitteilen, ob er diesen Ansatz unterstützt?

Aus den jüngsten Eurostat-Daten geht hervor, dass die höchsten Arbeitslosenquoten der Europäischen Union in den Beitrittsländern zu verzeichnen sind. Damit erklärt sich natürlich die von Frau Hübner vorgeschlagene Strategie. Ihre Äußerungen spiegeln die Realität eines erweiterten Europas wider, das sich nicht auf neue Haushaltsmittel stützen kann. Die Kommissarin schlägt uns vor, ein Problem durch ein anderes zu ersetzen. Gehört Herr Barroso ebenfalls zu den Verfechtern eines institutionalisierten Sozial- und Steuerdumpings innerhalb der Union?

 
  
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  Piotrowski (IND/DEM). (PL) Danke, Herr Präsident! Mit Blick auf den bevorstehenden Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs möchte ich das Hohe Haus auf neuerliche Versuche der Verfälschung und Manipulierung der Geschichte für kurzfristige politische Ziele aufmerksam machen. Dies zeigt sich in den jüngsten Äußerungen des russischen Außenministers zu der schändlichen Konferenz von Jalta. Auf ihr wurden der europäische Kontinent in zwei Einflusssphären aufgeteilt und dabei viele Völker Mittel- und Osteuropas, deren Vertreter heute hier im Parlament sitzen, für fast ein halbes Jahrhundert in die Unterdrückung durch ein unmenschliches, totalitäres System geführt. Grundursache des Ganzen war der deutsch-sowjetische Pakt vom August 1939, wobei die Verantwortung für den Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht allein bei Deutschland liegt, sondern auch bei Russland als Erben der Sowjetunion. Doch während Deutschland seinen Willen bekundet hat, sich seiner tragischen Vergangenheit zu stellen, fehlt Russland noch der Mut dazu. Ich hoffe, dass das Europäische Parlament diesen Entschließungsantrag unterstützt, der unter anderem das Abkommen von Jalta verurteilt. Dies wäre eine symbolische Geste der Wiedergutmachung gegenüber den Völkern jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs.

 
  
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  Herrero-Tejedor (PPE-DE).(ES) Herr Präsident, Spanien ist dem Referendum zur europäischen Verfassung mit Geringschätzung, mit der niedrigsten Beteiligung unserer Geschichte begegnet. Das war zum Teil so, weil in den Medien keine ausreichend pluralistische Debatte stattfand. Wenn wir Leidenschaft wollen, dann brauchen wir Kontroverse. Und die Zukunft sieht nicht gerade verheißungsvoll aus.

Die Regierung meines Landes treibt ein Gesetz voran, das es einem Freund der Sozialisten, Jesús de Polanco, erlauben wird, die Hälfte des gesamten Hörfunks in Spanien zu kontrollieren. Zudem besitzt dieser Herr bereits das Monopol am Satellitenfernsehen, und jetzt strebt er nach einem weiteren Stück des analogen Werbekuchens. Meine Damen und Herren der Linken, gegen Polanco ist Berlusconi ein Waisenknabe. Wenn wir uns nicht für die Pluralität in den Medien einsetzen, werden wir uns sehr bald in einer Situation befinden, in der die Informationsstrategie der Europäischen Union nicht mehr in diesem Parlament erörtert wird: Sie wird in einem Nobelrestaurant von vier Männern entschieden, die in der Lage sind, 450 Millionen Europäerinnen und Europäern ein Einheitsdenken aufzuzwingen.

 
  
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  Isler Béguin (Verts/ALE). (FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf den Fall von Frau Aissata Bint-Karamoko lenken und das Europäische Parlament um seine Unterstützung bitten. Frau Karamoko hat vor nunmehr drei Jahren in Frankreich einen Antrag auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gestellt. Sie ist im siebten Monat schwanger, an Hepatitis erkrankt und befindet sich derzeit im Krankenhaus hier in Straßburg. Die französische Regierung legt eine völlig unangemessene Verhaltensweise an den Tag und will Frau Karamoko in ihr Heimatland Mauretanien abschieben, womit sie das Grundrecht auf medizinische Behandlung innerhalb der Europäischen Union mit Füßen tritt.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie im Namen der Achtung der Menschenrechte und kraft unserer Grundrechtecharta auf, der französischen Regierung zu verstehen zu geben, dass sie die Menschenrechte und Grundrechte achten und Frau Karamoko eine Behandlung hier in Frankreich und vor allem eine Niederkunft unter den bestmöglichen Bedingungen gestatten muss.

 
  
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  Rogalski (IND/DEM). (PL) Herr Präsident! Ich hoffe, dass sich das Hohe Haus von seiner Verzückung über die „Orange Revolution“ in der Ukraine erholt hat und nun die Zeit gekommen ist, um den Tatsachen ins Auge zu sehen. Juschtschenkos Koalition „Unsere Ukraine“ hat ein Überprüfungsgesetz vorgelegt, in dem eine der Bestimmungen festlegt, dass jeder, der die ukrainische Aufstandsarmee – kurz UPA – kritisiert, kein öffentliches Amt bekleiden darf. Die UPA ist zu einem Symbol des Patriotismus geworden, doch war sie während des Zweiten Weltkriegs dafür berüchtigt, dass sie Polen, Juden und Russen ermordete. Diese Überprüfungsbestimmung ist ein Angriff auf nationale Minderheiten in der Ukraine, die mehrheitlich Polen sind. Diese Polen stehen der UPA kritisch gegenüber, weil sie sie für eine kriminelle Organisation halten. Unterstützt wird der Vorschlag jedoch vom Kongress der Ukrainischen Nationalisten und seinem parlamentarischen Ableger, der UNA, deren Mitglieder teilweise als Söldner in Tschetschenien kämpften. Die Nationalisten haben Kontakte zur neofaschistischen NPD in Deutschland geknüpft und ihre Waffenbrüderschaft während des Zweiten Weltkriegs beschworen. Nationale Minderheiten in der Ukraine sind in Gefahr, sie haben Angst und bitten um Hilfe.

 
  
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  Allister (NI).(EN) Herr Präsident! Bei seiner letzten Sitzung verurteilte dieses Parlament auf angemessene Art und Weise die Gräueltaten der Nazis, deren Inbegriff Auschwitz ist. Daher betrachte ich es als eine Schande, dass das Staatsoberhaupt eines EU-Mitgliedstaats – die irische Präsidentin McAleese – gerade den 60. Jahrestag wählte, um einen bösartigen und rachsüchtigen Angriff auf die Mehrheitsgesellschaft in Nordirland zu starten, indem sie den Hass der Nazis auf die Juden in empörender Weise der Haltung der Protestanten gegenüber den Katholiken gleichsetzte.

Nichts ist mit dem Nazi-Holocaust gleichzusetzen. Im Namen der friedensliebenden Mehrheit in Nordirland möchte ich in diesem internationalen Forum die Gelegenheit ergreifen, gegen diesen abscheulichen Angriff auf diejenigen, die ich vertrete, Einspruch zu erheben und ihn zurückzuweisen. Verweise auf den Kampf gegen den Faschismus klingen besonders schlimm aus dem Munde einer Präsidentin, deren Vorgänger beim Tod Hitlers ihr Beileid zum Ausdruck gebracht haben.

 
  
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  Medina Ortega (PSE). – (ES) Herr Präsident, ich war verwundert über die Bemerkungen von Herrn Luis Herrero-Tejedor. Er vermittelt den Eindruck, als ob er aus einem vollkommen anderen Land käme, da er scheinbar vergessen hat, dass die Regierung der Volkspartei acht Jahre lang die gesamten öffentlichen und privaten Medien kontrollierte.

Die sozialistische Regierung versucht gegenwärtig, die Demokratie wiederherzustellen, indem sie in den Medien die Pluralität einführt, die von der letzten Regierung der Volkspartei nicht gewährleistet war.

Abschließend dazu: Wollen Sie, Herr Herrero-Tejedor, mit Ihrer Äußerung andeuten, dass Ihr Kollege, Herr Berlusconi, die Medien in Italien kontrolliert?

(Beifall)

 
  
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  Drčar Murko (ALDE). (SL) Vielen Dank, Herr Präsident! Gemeinsam mit anderen Abgeordneten hat Herr Cashman in einem Schreiben an Herrn Barroso darauf hingewiesen, ich zitiere: „…dass Politiker in Slowenien anscheinend öffentlich die Diskriminierung von Minderheiten fördern…“, Zitat Ende, und vorgeschlagen, dass die Kommission mit der slowenischen Regierung eine Untersuchung hierzu einleitet. Als liberale Abgeordnete aus Slowenien möchte ich das Parlament darüber hinaus darauf hinweisen, dass sich die derzeitige slowenische Regierung ausdrücklich geweigert hat, die Entscheidung des slowenischen Verfassungsgerichts umzusetzen, wonach 18 305 Staatsbürgern des ehemaligen Jugoslawien ihre Häuser und Wohnungen zurückerhalten müssen, die ihnen 1992 unrechtmäßig genommen wurden. Hier geht es also nicht nur um die Diskriminierung von Minderheiten, sondern auch um die Verletzung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien.

 
  
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  Der Präsident. Das Wort hat Herr Herrero-Tejedor zur Geschäftsordnung.

 
  
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  Herrero-Tejedor (PPE-DE). – (ES) Zu einer persönlichen Bemerkung, Herr Präsident. Über mich wurde eine Anspielung gemacht, und ich würde gern mein Recht auf Erwiderung wahrnehmen, und sei es auch nur für dreißig Sekunden.

 
  
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  Der Präsident. Auf welchen Artikel der Geschäftsordnung berufen Sie sich?

 
  
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  Herrero-Tejedor (PPE-DE). – (ES) Auf Artikel 27 B.

 
  
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  Der Präsident. Sagten Sie Artikel 27 B?

 
  
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  Herrero-Tejedor (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, ich gehe davon aus, dass Sie die Geschäftsordnung besser kenne als ich. Vielleicht hat mich mein Gedächtnis getäuscht…

 
  
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  Der Präsident. Herr Herrero, Artikel 27 B betrifft die Arbeit der Delegationen. Was hat das mit persönlichen Bemerkungen zu tun?

 
  
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  Herrero-Tejedor (PPE-DE). – (ES) Es ist eindeutig nicht dieser Artikel, Herr Präsident, aber ...

 
  
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  Der Präsident. Auf welchen Artikel berufen Sie sich?

 
  
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  Herrero-Tejedor (PPE-DE). – (ES) Auf den Artikel, der das Recht festschreibt, auf persönliche Bemerkungen zu antworten, Herr Präsident, welcher Artikel dies auch sein mag. Ich habe dieses Recht, und ich erwarte, dass Sie mir seine Ausübung garantieren, Herr Präsident.

 
  
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  Der Präsident. Ich habe Sie nur gefragt, auf welchen Artikel Sie sich berufen, und Sie nannten einen Artikel, der nichts mit dem zu tun hat, worüber wir gerade sprechen. Herr Herrero-Tejedor, nicht ich bin für Ihre Worte verantwortlich, sondern Sie selbst. Ich nehme an, dass Sie sich auf Artikel 145 beziehen. Stimmt das, Herr Tejedor?

 
  
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  Herrero-Tejedor (PPE-DE). – (ES) Es ist Artikel 145, Herr Borrell Fontell.

 
  
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  Der Präsident. Sie haben dreißig Sekunden.

 
  
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  Herrero-Tejedor (PPE-DE). (ES) Ich möchte Herrn Medina lediglich sagen, dass Herr Berlusconi tatsächlich eine gewisse Kontrolle über die Medien in Italien ausübt, was meine Partei und besonders ich scharf kritisiert haben. Und deshalb fordere ich, im Falle Spaniens die gleichen Maßstäbe anzulegen.

Wollten Sie mit der Äußerung, dass die Volkspartei die gesamten privaten Medien kontrollierte, zum Ausdruck bringen, dass sie auch sämtliche Medien von Herrn Polanco kontrollierte, Herr Medina? Wollen Sie die Abgeordneten zum Narren halten? Du meine Güte!

 
  
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  Der Präsident. Herr Herrero-Tejedor, ich habe Ihnen das Wort erteilt, um unnütze Diskussionen zu vermeiden, aber ich muss Sie darauf hinweisen, dass sich Artikel 145 auf Anschuldigungen gegen einen Abgeordneten auf persönlicher Ebene bezieht. Das war hier keineswegs der Fall, dennoch habe ich Ihnen das Wort erteilt, um Ihnen gegenüber nicht den Eindruck zu erwecken, dass wir die Geschäftsordnung parteiisch auslegen.

 
  
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  De Rossa (PSE). (EN) Herr Präsident! Ich habe das Regelwerk nicht vor mir liegen, doch möchte ich der Äußerung von Herrn Allister zu Nordirland lediglich einige klarstellende Worte hinzufügen. Er hat Präsidentin McAleese von der irischen Republik wegen Bemerkungen kritisiert, die sie über die protestantische Gesellschaft in Nordirland gemacht hat. Ich möchte darauf verweisen, dass sich Präsidentin McAleese innerhalb weniger Stunden nach dieser Äußerung ausgiebig und vorbehaltlos dafür entschuldigt hat. Sie hatte eine solche Interpretation nicht beabsichtigt, und ich würde es begrüßen, wenn dies im Protokoll des Parlaments vermerkt werden könnte.

 
  
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  Der Präsident. In Ordnung, Herr de Rossa, das werden wir tun. Für die Zukunft jedoch sollten alle Abgeordneten im Allgemeinen die Geschäftsordnung ausreichend kennen, um zu wissen, dass der fragliche Artikel den Abgeordneten erlaubt, auf persönliche Bemerkungen zu antworten, nicht auf Äußerungen eines Abgeordneten im Rahmen einer Debatte über Themen, die sich auf Dritte beziehen.

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass der Vorsitz künftig nur dann das Wort erteilen wird, wenn ein Abgeordneter von einer Äußerung betroffen wurde, die sich auf ihn persönlich bezieht.

 

13. Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2005 (Fortsetzung der Aussprache)
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über das Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2005, eine Aussprache, die am 26. Januar 2005 in Brüssel begonnen wurde.

Das Wort hat Herr Barroso.

 
  
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  Barroso, Präsident der Kommission. (PT) Herr Präsident, verehrte Abgeordnete des Europäischen Parlaments, meine Damen und Herren! Bevor ich mich im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2005 an alle wende, möchte ich Ihnen ganz kurz meine Freude über die Ergebnisse des gestrigen Referendums zur Europäischen Verfassung in Spanien mitteilen; und das werde ich in Spanisch tun.

(ES) Das spanische Volk hat Ja zur europäischen Verfassung gesagt, ein klares und vernehmliches Ja.

(Beifall)

Ich möchte Ihnen die Genugtuung der Europäischen Kommission über dieses Ergebnis zum Ausdruck bringen. Spanien hat zu einem in seiner Vielfalt vereinten Europa Ja gesagt. Ich möchte allen danken, die mit so großem Einsatz am Prozess des Referendums mitgewirkt haben, insbesondere allen Mitgliedern dieses Parlaments, die mit ihrer Stimme und Überzeugung dazu beigetragen haben, dieses wichtige Ergebnis zu erreichen. In diesem Zusammenhang habe ich gestern den spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero angerufen, um ihm zu gratulieren und ihm für das große Engagement zu danken, das seine Regierung während der Kampagne zum Referendum gezeigt hat.

Diese klare und vorbehaltlose Zustimmung öffnet den Weg für die anderen europäischen Bürger, die ebenfalls aufgerufen sind, in den kommenden Monaten ihre Meinung zur europäischen Verfassung zu äußern.

Dies war ein sehr wichtiger Schritt auf dem Wege zur Ratifizierung der europäischen Verfassung, die die Kommission als das einzige Instrument betrachtet, das uns Europäer in die Lage versetzen wird, unsere Vorstellungen von Frieden, Wohlstand, Solidarität und Sicherheit in Europa noch fester zu verankern.

(EN) Herr Präsident! Vor einem Monat habe ich die von der Kommission vorgeschlagenen strategischen Ziele vorgestellt, die als Leitfaden für die europäischen Maßnahmen bis zum Ende des Jahrzehnts gedacht sind. Dabei handelt es sich um einen politischen Fahrplan, der auf drei Säulen beruht: Wohlstand, Solidarität und Sicherheit. Diese verstärken sich gegenseitig und richten sich an die konkreten und größten Bedenken der Bürger Europas. Außerdem habe ich das erste Ergebnis der strategischen Ziele vorgestellt: das Gesetzgebungsprogramm für dieses Jahr. Gestatten Sie mir, Ihnen einige der wichtigsten Punkte ins Gedächtnis zurückzurufen.

Erstens ist dieses Programm in politischer Hinsicht stärker fokussiert. Die vorgeschlagenen Initiativen sind um die drei strategischen Ziele und deren externe Dimension herum strukturiert und stellen eine erste konkrete Umsetzung des von der Kommission verfolgten ausgewogenen Ansatzes dar. Dies bezieht sich sowohl auf neue Initiativen als auch auf Bereiche, in denen wir die Verstärkung einer bestehenden Maßnahme vorschlagen.

Zweitens setzt die Kommission alles daran, ihr Arbeitsprogramm zu erfüllen. Darum möchte die Kommission bis zum Ende dieses Jahres eine Liste mit knapp über 100 vorrangigen Initiativen annehmen.

Schließlich wollen wir nicht nur rechtzeitige, sondern auch bessere Ergebnisse liefern. Wir möchten die Grundsätze einer besseren Rechtsetzung ernst nehmen. Dazu gehört die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Rechtsetzung; die Achtung der Grundsätze der Proportionalität, der Subsidiarität und des Mehrwerts sowie die breite Anwendung der Wirkungskontrolle.

Zusätzlich zu diesem Arbeitsprogramm habe ich angekündigt, dass die Kommission das Parlament regelmäßig über ihre Planungsagenda für in Vorbereitung befindliche Legislativvorschläge informieren wird. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass dieser Informationskanal nun funktioniert.

Zwischenzeitlich hat die Kommission weiter an der Umsetzung ihrer Vorschläge gearbeitet. Am 2. Februar habe ich Ihnen unsere Vorschläge für eine Halbzeitbewertung der Lissabon-Strategie vorgelegt. Durch Konzentration auf Wachstum und Beschäftigung sollen die Bedingungen für einen angemessenen Lebensstandard, soziale Gerechtigkeit für alle und eine nachhaltige Umweltpolitik geschaffen werden. Am 6. Januar und am 2. Februar fand ein erster Gedankenaustausch statt.

Ich war erfreut zu hören, dass die Vorschläge der Kommission im Allgemeinen vielen der Erwartungen und Anliegen der Abgeordneten dieses Hauses entsprochen haben. Ich begrüße die ausführlichen Entschließungsanträge, die heute von den Fraktionen zum Arbeitsprogramm eingereicht wurden. Wenn wir über Partnerschaft, Dialog und Konsultation sprechen, dann wissen wir, dass wir nicht immer in allem einer Meinung sein werden. Wie in jeder Partnerschaft kommt es darauf an, klare Standpunkte auf dem Tisch liegen zu haben und zusammen an der Erreichung der gemeinsamen Ziele zu arbeiten.

Ich möchte kurz auf einige der wichtigen Punkte eingehen, die in den Anmerkungen und Entschließungsanträgen angesprochen wurden.

Erstens zählen Taten mehr als Worte. Die Europäische Union hat die Aufgabe, ihre Träume wahr werden zu lassen. Sie muss Wohlstand, Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit sowohl innerhalb der Gemeinschaft als auch über deren Grenzen hinaus befördern. Die Kommission hat sich voll und ganz dieser Aufgabe verschrieben. Mit der Umsetzung unseres Arbeitsprogramms für 2005 arbeiten wir bereits auf dieses Ziel hin: Wir befinden uns auf dem richtigen Weg.

Zweitens müssen Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Zusammenhalt Hand in Hand gehen. Wir wissen alle, dass es schwierig ist, das richtige Gleichgewicht zu finden. Ich möchte, dass die Kommission in dieser Hinsicht eine Hilfe ist. Dazu ist es erforderlich, Ihren Ansichten und Beiträgen aufmerksam zuzuhören.

Nehmen Sie z. B. die REACH-Initiative. Ich kann Ihnen versichern, dass wir die zum Ausdruck gebrachten Bedenken angemessen berücksichtigt haben. Wir stimmen alle darin überein, dass wir die Sicherheit des Einzelnen und die Umwelt angemessen schützen müssen. Andererseits sollten wir auch auf die Angst zu sprechen kommen, dass bestimmte Elemente des Vorschlags eine der europäischen Schlüsselindustrien in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnten, ohne den Bereichen Gesundheit und Umwelt einen echten Mehrwert hinzuzufügen. Während des Legislativprozesses werden wir auch weiterhin Möglichkeiten prüfen, wie wir das Gleichgewicht zwischen Regulierung und Wettbewerbsfähigkeit weiter verbessern können.

Was den Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie betrifft, verfolgen wir auch hier ein Ziel, das allgemeine Unterstützung erfordert – die Vollendung des Dienstleistungsbinnenmarkts bis 2010. Wiederum kann ich Ihnen versichern, dass wir die zum Ausdruck gebrachten Bedenken angemessen berücksichtigt haben. Ich bin voll und ganz davon überzeugt, dass wir uns über das Legislativverfahren auf ein Instrument einigen werden, mit dem das versteckte Potenzial des Binnenmarkts ohne die Gefährdung des legitimen Allgemeininteresses erschlossen werden kann.

Lassen Sie uns dies auf einer fundierten Grundlage bewerkstelligen und die Mythen zerstreuen. Unsere Vorschläge stellen weder die Verantwortung der Mitgliedstaaten in Frage, wenn es um die Organisierung und Finanzierung der für die gesellschaftlichen Bedürfnisse erforderlichen grundlegenden gemeinwirtschaftlichen Leistungen geht, noch unterminieren sie die in der Richtlinie festgelegten Regelungen zur Entsendung von Arbeitnehmern.

Abschließend möchte ich den Stabilitäts- und Wachstumspakt erwähnen. Die Kommission hat sich verpflichtet, zur Verbesserung des Pakts beizutragen und sicherzustellen, dass er in vollem Einklang mit dem Vertrag steht. Die von der Kommission vorgeschlagenen Verbesserungen sollen seine wirtschaftliche Logik erhöhen und die Umsetzung verbessern. Wir möchten stärkere Anreize bieten, in „guten Zeiten“ „gute Politiken“ zu fördern. Wir wollen eine bessere Definition der mittelfristigen finanzpolitischen Ziele erreichen, indem Elemente wie die Verschuldung und die Anfangskosten der Strukturreformen berücksichtigt werden. Wir wollen nicht wünschenswerte Sparauflagen in Phasen der Konjunkturabschwächung vermeiden, denn letztendlich soll mit unseren Haushaltsplänen durch zielgerichtete Ausgaben für wachstumsorientierte Sektoren und Investitionen in die Zukunft der Wohlstand erhöht werden.

Hier geht es nicht um theoretische Fragen – hier geht es um die Lebensqualität, die Chance der Menschen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen und die Vorteile ihrer Ersparnisse und Renten zu genießen. Hier geht es um die Chance der jetzigen und der künftigen Generationen, ein so ausgefülltes Leben zu führen, wie sie es rechtmäßig erwarten können.

Als Teil dieses ausgewogenen Ansatzes hat die Kommission mit ihrem jüngst angenommenen Vorschlag zu einer revidierten sozialpolitischen Agenda für den Zeitraum bis 2010 Fortschritte erzielt. Dies zeigt das volle Engagement der Kommission für die Modernisierung und Weiterentwicklung der europäischen Sozialsysteme, die Lösung der Probleme der sozialen Ausgrenzung und der Armut sowie die Erreichung des Ziels von mehr und besseren Arbeitsplätzen.

Bei der Liberalisierung der Märkte dürfen der Einzelne nicht vergessen werden. Deshalb haben wir vergangene Woche zwei neue Vorschläge zur Stärkung der Fluggastrechte angenommen. Damit komme ich zu einem der wichtigsten Punkte: Die Europäische Union muss ausreichende finanzielle Mittel erhalten, damit sie handlungsfähig bleibt. Kern der Zielsetzungen der Union ist und bleibt die Kohäsionspolitik. Ohne Solidarität können wir niemals eins werden. Sie stellt eine wesentliche Ergänzung der Wettbewerbsfähigkeit und der Lissabon-Strategie dar – die Erhöhung des Wohlstands in den rückständigeren Regionen der Union wird der gesamten Union zum Vorteil gereichen.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir jetzt 25 Mitgliedstaaten sind. Die neuen Mitgliedstaaten warten auf greifbare Belege für unsere Solidarität. Deshalb sind unsere Vorschläge für eine neue Generation von Kohäsionspolitiken für die nächste Finanzielle Vorausschau von entscheidender Bedeutung für die Union – sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Wir können uns keine Abschwächung unserer Verpflichtungen auf diesem Gebiet leisten.

Ferner bereitet die Kommission gegenwärtig ihr drittes Vorschlagspaket für die nächste Finanzielle Vorausschau vor, das auf einer gründlichen Untersuchung seines europäischen Mehrwerts beruht, indem den Bürgern Möglichkeiten geboten werden, die die nationalen Ansätze ergänzen oder bestehende Lücken schließen. Zu diesem Arsenal an Instrumenten werden Vorschläge zum Siebten Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung, zum Verbraucherschutz und zur öffentlichen Gesundheit, zur Energie – einschließlich erneuerbare Energiequellen, zur Wettbewerbsfähigkeit und zur Innovation mit Blick auf Freiheit, Sicherheit und Recht gehören.

Die Kommission macht ihre Arbeit, doch hängt die Umsetzung dieser Vorschläge sehr stark von den erzielten Vereinbarungen zur im Juni erwarteten Finanziellen Vorausschau ab. Wie ich bereits sagte, weiß ich nicht, wie die Kommission ihren Beitrag zu einem Europa leisten kann, das mit weniger Mitteln mehr auf die Beine stellen möchte.

(FR) Meine Damen und Herren Abgeordneten, die nachhaltige Entwicklung und die Frage des Klimawandels sind feste Bestandteile der Arbeitspläne der Kommission. Wir freuen uns zwar über das In-Kraft-Treten des Kyoto-Protokolls, können aber nicht dabei stehen bleiben. Am 9. Februar haben wir eine Mitteilung zur nachhaltigen Entwicklung und eine weitere mit dem Titel „Strategie für eine erfolgreiche Bekämpfung der globalen Klimaänderung“ angenommen. Mit diesen Vorschlägen werden die Vorschläge zur Halbzeitüberprüfung der Lissabon-Strategie ergänzt. Neben dem wirtschaftlichen Grundpfeiler stellen die Strategie der nachhaltigen Entwicklung und die neue Sozialagenda zwei weitere zusätzliche Pfeiler unserer Strategie für die kommenden fünf Jahre dar.

Natürlich müssen wir unseren Blick auch über unsere Grenzen richten. In diesem Jahr haben wir Gelegenheit, eine Bilanz unserer bisherigen Fortschritte bei der Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele zu ziehen. Die Situation ist ohne Zweifel enttäuschend. Die Europäische Union kann und muss einen größeren Beitrag zur Verwirklichung der Millenniumsziele leisten. Im kommenden Monat werden wir unseren Beitrag zur laufenden Überprüfung veröffentlichen. Bei der Umsetzung der Verpflichtungen von Monterrey bedarf es mehr Schwung und Fantasie. In diesem Zusammenhang wird Afrika im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen, und wir wollen neue spezifische Initiativen zugunsten von Afrika vorschlagen.

Multilateralismus und eine verstärkte Nachbarschaftspolitik bilden weitere Schwerpunkte für die Kommission. Zu den zentralen Zielsetzungen gehören ferner ein erneuerter Beitrag zum Friedensprozess im Nahen Osten und eine Stärkung der transatlantischen Beziehungen. Wenn wir morgen mit Präsident Bush zusammentreffen, dann sind wir uns mit ihm darüber einig, dass wir alle einen wirksamen Multilateralismus anstreben und uns um Frieden und humanitäre Hilfe in den bedürftigen Ländern bemühen.

Wir alle sind der Überzeugung, dass unser Einsatz im Dienste der Unionsbürger unser tägliches Handeln legitimiert. Eine der Hauptaufgaben der Kommission besteht darin, mehr Bürgernähe herzustellen; dafür schlagen wir ein spezifisches Programm im Rahmen der Finanziellen Vorausschau vor. Durch das Angebot einfacher und transparenter Informationen über die Aufgaben der Europäischen Union wird es den Bürgern leichter fallen, diese nachvollziehen und sich eine Meinung zu bilden. Dieser Aufgabe haben sich alle Kommissionsmitglieder und an erster Stelle Vizepräsidentin Margot Wallström verschrieben, da es sich hier um ihren besonderen Zuständigkeitsbereich handelt.

Erlauben Sie mir abschließend, Ihnen zu sagen, wie die Kommission, deren Präsident zu sein ich die Ehre habe, diese gemeinsamen Aufgaben und Sorgen anzugehen gedenkt. Wir betrachten eine Partnerschaft insbesondere zwischen den europäischen Institutionen als geeignete Methode. Ich möchte an dieser Stelle wiederholen, worauf ich bereits bei mehreren Gelegenheiten in diesem Parlament verwiesen habe: ich möchte eine positive Partnerschaft zwischen der Kommission und dem Europäischen Parlament entwickeln. Mit Freude habe ich im Verlauf der Aussprache vom 26. Januar festgestellt, dass Ratspräsident Juncker und zahlreiche Abgeordnete dieses Hauses sich darin einig sind, dass die Zusammenarbeit zur Verwirklichung der strategischen Zielsetzungen der Kommission von großer Bedeutung ist. Dies wäre ein noch nie da gewesener Schritt im Sinne eines kohärenten Vorgehens der Gemeinschaft.

Schließlich ist die Kommission im Geiste der vorgeschlagenen Partnerschaft gewillt, sehr eng mit dem Parlament zusammenzuarbeiten. Die Vizepräsidentin Margot Wallström wird morgen auf der Konferenz der Ausschussvorsitzenden an einem Dialog teilnehmen, den die Kommission zu einer dauerhaften und regelmäßigen Einrichtung machen will und der sich mit für uns prioritären Fragen befasst, sowohl was die Programmplanung als auch die Festlegung der politischen Schwerpunkte betrifft.

Kurz gesagt, Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, wünsche ich mir, dass das Arbeitsprogramm für 2005 die erste Etappe einer Partnerschaft für die Erneuerung Europas darstellt, die ich ihnen vorschlage. Nun freue ich mich auf Ihre inhaltlichen Anmerkungen und Vorschläge.

 
  
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  Grossetête (PPE-DE), im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, wir sind sehr erfreut, dass Kommissionspräsident Barroso bei uns sein kann und wir gemeinsam mit ihm das Programm für 2005 prüfen können, das verspätet vorgelegt wurde, doch wir wissen warum.

Herr Barroso, wir wissen, dass Sie alles tun, um zu mehr Effizienz beizutragen. Ihr Programm ist ehrgeizig, und wir haben Vertrauen in Sie, ein Vertrauen, das wir Ihnen erneut aussprechen wollen, denn Sie waren für uns da: Sie haben die Initiative ergriffen, die Dienstleistungsrichtlinie zu überarbeiten, um unseren Belangen Rechnung zu tragen. Dasselbe trifft auf REACH zu, wie Sie uns soeben erläutert haben.

Wir müssen uns daher auf das Wesentliche konzentrieren: Wachstum und Beschäftigung. Weniger und bessere Rechtsetzung soll unsere Arbeit bestimmen. Mir ist bewusst, dass wir uns in dieser Frage einig sind. Im Übrigen haben Sie von Maßnahmen gesprochen. In den USA steigt das Produktivitätsniveau doppelt so schnell wie in Europa und der durchschnittliche Investitionszuwachs liegt in den USA bei jährlich 5,4 % gegenüber 1,7 % in Europa.

Unsere Mitbürger erwarten natürlich konkrete Veränderungen, die einfach in Worte zu fassen sind: eine Ende der Angst vor Unternehmensverlagerungen oder Arbeitslosigkeit und ein Anstieg der Kaufkraft. Wir erwarten daher voller Ungeduld Ihr Rahmenprogramm für Wettbewerb und Innovation, das genaue Zielsetzungen und Fristen enthält.

Zur Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung bedarf es einer Förderung von Innovation und Forschung und vor allem der besseren Vereinbarkeit von Umwelt- und Industriepolitik. Diese beiden Politikbereiche sind nicht unvereinbar, ganz im Gegenteil, sie ergänzen sich. Umweltbelange stellen keine Hindernisse oder Einschränkungen dar, sondern Vorteile und Chancen für unsere Wirtschaft. Europa muss daher die Möglichkeiten von ökologischen Innovationen und Spitzentechnologien nutzen, um die Nachfrage nach Produkten mit hoher Wertschöpfung zu erfüllen, die von unseren Wettbewerbern nicht befriedigt werden kann.

Dank strenger Umweltnormen betreibt die Europäische Union Innovationsförderung und verbessert die Wettbewerbssituation ihrer Industrie. Ich denke an die Entwicklung erneuerbarer Energien, darunter Wind- und Sonnenenergie, an Biokraftstoffe, umweltfreundliche Verkehrssysteme, alles Sektoren, in denen sich unseren Industrien ein großes Beschäftigungs- und Ausfuhrpotenzial eröffnet. Herr Kommissionspräsident, mit Interesse verfolgen wir Ihre Vorschläge in diesem Bereich, insbesondere die Verordnung über Maßnahmen gegen Luftverschmutzung.

Grundlage für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und eine Wiederbelebung des Wachstums sind vor allem gesunde Unternehmen, aber auch gesunde Männer und Frauen als Akteure unserer Wirtschaft. Wir freuen uns darüber, dass Ihr Programm einen Abschnitt enthält, der sich mit Gesundheit und Verbraucherpolitik befasst. Europa muss auch für mögliche Gefahren gerüstet sein, die von den großen Geißeln ausgehen, und neue Epidemien und Antibiotikaresistenzen bekämpfen. Wir erwarten daher mit großem Interesse den Richtlinienvorschlag zur Einführung von Maßnahmen der Gemeinschaft im Kampf gegen die Vogelgrippe. Wir müssen schnell und angemessen handeln.

Was die demographische Entwicklung in Europa anbelangt, müssen auf das Grünbuch unverzüglich konkrete Maßnahmen folgen: lebenslanges Lernen, Erhalt unserer Gesundheitssysteme, Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen. Mit Blick auf die Politik der Solidarität ist es richtig, dass die neuen Mitgliedstaaten in den Genuss dieser Programme kommen, aber vergessen Sie nicht, dass die dafür bereitgestellten Mittel auch das Bild der Europäischen Union in allen Mitgliedstaaten bestimmen. Daher müssen alle Länder uneingeschränkten Zugang zu diesen Strukturbeihilfen haben.

Wir fordern zudem eine wirksamere Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten, auch wenn wir in diesem Zusammenhang noch auf die Ergebnisse des in der Verfassung vorgesehenen Mitentscheidungsverfahrens warten. Uns ist bewusst, dass all dies zu einer besseren Mobilität der Europäer beitragen soll. Darüber hinaus müssen wir ganz besonders die Mobilität der Jugend unterstützen, indem wir Hochschulaustauschprogramme fördern und jungen Menschen die Möglichkeit eröffnen, Nutzen aus den wertvollen Erfahrungen der Berufsausbildungsgänge zu ziehen.

Wir sind ehrgeizig, Sie sind es auch. Wir möchten die Arbeitsbedingungen entwickeln und verbessern, um konkrete Maßnahmen ergreifen und die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben verbessern zu können. Auf diese Weise können wir die Zielvorgaben erfüllen, die sich die Union setzen muss, und die gesamte europäische Gesellschaft voranbringen. Die Europäische Kommission muss ihre Initiativrolle mit Weitblick erfüllen.

Im politischen Bereich messen wir den Europa-Mittelmeer-Beziehungen große Bedeutung bei. Die Europa-Mittelmeer-Politik muss mehr Gewicht erhalten und im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen. Ebenso müssen wir uns mit unseren Grenzen, den Grenzen Europas befassen.

Abschließend möchte ich Ihnen, Herr Kommissionspräsident, sagen, dass der politische Wille in einer Finanziellen Vorausschau zum Ausdruck kommen muss, die ihrerseits richtig bewertet werden muss. Die Mitgliedstaaten können nicht mehr von Europa verlangen und weniger geben. Demnach benötigen wir gegenwärtig politische Energie, um unseren Leistungsmotor in Gang zu bringen, der für die Beschäftigung von wesentlicher Bedeutung ist. Sie verfügen über diese Energie. Wir sind an Ihrer Seite, Herr Präsident, im Geiste der positiven Partnerschaft, von der Sie gesprochen haben.

 
  
  

VORSITZ: KAUFMANN
Vizepräsidentin

 
  
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  Schulz (PSE), im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die Rede, die wir gerade gehört haben, war keine Rede der PPE, es war eine Rede der französischen Gaullisten. Frau Grossetête, ich lade Sie herzlich ein, sich mit den Inhalten Ihrer Rede uns anzuschließen, dann werden wir schnell Mehrheiten für eine sozial verantwortliche Politik in der Europäischen Union bekommen. Ich habe das tiefe Erschrecken in den Augen meines Kollegen Pöttering gesehen, und ich habe das auch mit Freude zur Kenntnis genommen.

Herr Präsident Barroso! Ich freue mich, dass Sie trotz der schwierigen terminlichen Situation, in der Sie sind, den Weg zu uns gefunden haben. Ich will das ausdrücklich sagen! Wir wissen alle, dass Sie in London noch Schwierigkeiten mit dem Flug hatten. Dass Sie hier sind, ist ein gutes Zeichen für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und dem Europäischen Parlament. Dies will ich hier ausdrücklich erwähnen. Damit habe ich Ihnen aber auch schon genug Freude gemacht, denn ich muss die eine oder andere Bemerkung machen, von der ich glaube, dass sie Sie nicht so fröhlich stimmen wird.

Ich will nicht mehr auf die Frage zurückkommen, ob es richtig war, dass Sie in einem Werbespot für die PSD in Portugal aufgetreten sind. Das ist jetzt vorbei. Aber ich möchte ernsthaft folgenden Vorschlag unterbreiten: Was die Verhandlungen zum Rahmenabkommen angeht, müssen wir uns entscheiden. Es gibt eine Regelung im Rahmenabkommen zwischen Parlament und Kommission, die klar ist. Den Kommissaren ist es nicht untersagt, sich in ihren Heimatländern politisch zu betätigen. Sie müssen dies – so sieht dieses Rahmenabkommen vor – mit dem Präsidenten der Kommission besprechen. Und der Präsident der Kommission gibt im Rahmen der Notwendigkeiten sein Einverständnis oder äußert seine Skepsis.

Es gibt aber keine Regel für den Präsidenten, wobei dieser natürlich eigentlich ein Vorbild sein müsste. Ich persönlich habe überhaupt kein Problem damit, dass Kommissarinnen oder Kommissare, oder Sie als Kommissionspräsident, eine politische Linie haben und dies auch nach außen klar machen. Ich weiß ja eh, wo Sie politisch stehen. Sie brauchen ja nicht heuchlerisch rumzulaufen und so zu tun, als hätten Sie sich ab Ihrer Wahl zum Kommissionspräsident zum politischen Neutrum verwandelt. Also, stehen Sie zu Ihrer Meinung, ich finde das gut, dann aber alle, der Präsident wie die Kommissare, oder alle nicht. Aber mal ja und mal nein, das geht nicht. Deshalb schlage ich vor, dass wir diese Frage im Rahmenabkommen klären.

Eine zweite Bemerkung, Herr Präsident! Ich hatte in der letzten Diskussion, die wir über Ihr Arbeitsprogramm führten, im Namen unser Fraktion gesagt: Das Glas ist halb voll. Dies, weil wir positive Zeichen sehen hinsichtlich der Forderungen, die wir als Sozialdemokraten an Sie und Ihre Kommission stellen.

Dann schlage ich einige Tage später die Financial Times auf und sehe ein Interview mit Ihnen, das in eine absolut andere Richtung geht als die, die Sie in Ihrer Rede hier im Parlament vorgetragen hatten: Economy is in the front seat. Nein! Social coherence is in the front seat – jedenfalls für uns Sozialdemokraten, Herr Präsident, und aus dieser Forderung werden wir Sie nicht entlassen. Sie präsentieren Ihr Arbeitsprogramm mit sozialdemokratischen Elementen, geben aber dann in der Financial Times ein Interview, das genau in die entgegengesetzte Richtung geht. Später legt Herr Spidla ein Papier vor, mit dem wir Sozialdemokraten wunderbar leben können, doch dann bekommen wir wieder Äußerungen von Frau Hübner in der Presse zu lesen, die wir absolut nicht akzeptieren können.

Sie sind zwar im Berlaymont angekommen, Herr Präsident, aber ich habe den Eindruck, immer wenn Sie auf dem Schuman-Kreisel sind, wissen Sie nicht mehr, welche Ausfahrt Sie nehmen sollen. Deshalb mache ich Ihnen einen Vorschlag: Fahren Sie in Richtung unserer sozialdemokratischen Vorschläge, denn das Problem der Europäischen Union liegt darin, dass, wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern nicht klarmachen, dass diese Union ihnen soziale Sicherheit bietet, sondern es länger zulassen, dass die Bürger den Eindruck haben, das, was in Brüssel geschieht, zerstöre die soziale Sicherheit, dies uns mehr Risiken als Chancen bringt. Solange wir das zulassen, werden sich die Bürger von Europa abwenden.

Dies hat damit zu tun, dass der neoliberale Ansatz – vielleicht nicht bei Ihnen, Herr Barroso, aber bei vielen Ihrer Kommissare, und was noch viel schlimmer ist, bei ganz vielen Ihrer Beamten in der Kommission – als alltägliche Selbstverständlichkeit dargestellt wird; dass Europa nur dann gut ist, wenn es dereguliert, flexibilisiert wird und in sozialer Hinsicht immer nur nach unten geht. Solange dies in Ihrer Kommission die Hauptintonation ist, solange wird sich die Atmosphäre nicht zugunsten der EU wenden. Wir Sozialdemokraten sind nicht gewählt worden, um eine neoliberale Politik, wie sie die Bolkestein-Richtlinie vorsah, zu unterstützen, sondern um die zwei Seiten der Medaille, über die wir schon lange diskutieren, auch zu garantieren. Auf der einen Seite brauchen wir Wettbewerb und Flexibilität, aber diese Steigerung von Wettbewerb und Flexibilität muss der anderen Seite dienen, nämlich der sozialen Stabilität.

Deshalb bitte ich Sie, bleiben Sie bei dem, was Sie in Ihren strategischen Leitlinien vorgetragen haben, und bei dem, was Sie uns gemeinsam mit Margot Wallström und Günther Verheugen in der Lissabon-Strategie vorgestellt haben, wo nämlich genau das formuliert ist. Flexibilisierung, mehr Wettbewerb: ja; aber immer unter Wahrung der sozialen Strukturen, die Europas Errungenschaft sind. Wenn Sie unsere Entschließung lesen, werden Sie sehen, dass wir zu einer sehr konstruktiven Zusammenarbeit mit Ihnen bereit sind, aber nur dann, wenn Sie auch Ihrerseits bereit sind, mit Ihrer Kommission das soziale Europa zu verwirklichen. Dann reichen wir Ihnen gerne die Hand.

(Beifall)

 
  
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  Duff (ALDE), im Namen der ALDE-Fraktion. (EN) Herr Präsident! Es ist grotesk, dass die Sozialdemokraten der Ansicht sind, sozialer Fortschritt könnte ohne Wirtschaftswachstum und Strukturreformen erreicht werden. Auch ist es unglaublich naiv, dass Martin Schulz den Präsidenten der Kommission kritisiert, weil sich dieser an der Innenpolitik beteiligt: In unseren Diensten stehen keine Staatenlosen – ihrer politischen Wurzeln entrissene Politiker. Das einzige, was ich an dem Artikel in der Financial Times auszusetzen hab, ist Präsident Barrosos Bemerkung zu den „naiven Föderalisten“. Ich habe keine Ahnung, was er damit beabsichtigt hat.

Meine Fraktion begrüßt die eindeutigeren Schwerpunkte des Arbeitsprogramms und dass dieses auf einer klaren politischen Strategie fußt. Jedoch erstaunt mich auch das enorme Ausmaß des Programms. Natürlich müssen in verstärktem Ausmaß Prioritäten gesetzt werden. Für meine Fraktion hat die Vollendung des Binnenmarkts Vorrang, insbesondere im Bereich der Finanzdienstleistungen.

Dies wird eine Überarbeitung und vielleicht eine genauere Überprüfung der Hinterlassenschaft der Prodi-Kommission erfordern als es bisher geschehen ist, mit Sicherheit im Hinblick auf die Softwarepatentierung und auch den Zugang zu Hafendiensten. Uns geht es nicht nur um eine Verbesserung der Qualität des Entwurfs, sondern auch um eine gewisse Reduzierung seines Umfangs.

Abschließen möchte ich mit einem Appell für einen Fokus auf ein Programm, das eingeleitet wurde, aber noch lange nicht beendet ist, insbesondere was die finanziellen und handelspolitischen Regelungen mit Nordzypern betrifft. Wir dürfen die türkischen Zyprer nicht in der Kälte stehen lassen.

 
  
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  Beer (Verts/ALE), im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin, Herr Präsident Barroso! Sie haben gerade eine positive Komplizenschaft zwischen Kommission und Parlament angeboten. Für meine Fraktion, Die Grünen, möchte ich aus aktuellem Anlass zwei solche Möglichkeiten der Komplizenschaft benennen. Sie haben den aktuellen Anlass selbst genannt: Es sind die bevorstehenden Gespräche mit dem US-Präsidenten in Brüssel.

Ich denke, dass nach der Charme-Offensive von Condoleezza Rice in Europa sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen wird und zeigen muss – und zwar in der Iran-Frage –, ob wir nur ein gemeinsames Ziel haben und nach wie vor getrennte Wege gehen, oder ob wir es schaffen, multilaterale Schritte zu entwickeln, und die Gefahr eines Unilateralismus, wie wir ihn im Rahmen des Präventivschlages gegen den Irak erlebt haben, ausschalten können.

Ich möchte Sie im Namen meiner Fraktion ausdrücklich ermuntern und die Kommission eindringlich auffordern, alles Mögliche zu versuchen, um in den bevorstehenden Gesprächen die US-Regierung dazu zu bewegen, die europäische Verhandlungsstrategie der drei EU-Vertreter aktiv zu unterstützen.

Lassen Sie mich noch einmal die gemeinsamen Ziele sowohl der Amerikaner als auch der Europäer und der europäischen Mitgliedsländer nennen. Unser Ziel ist vollkommener Konsens. Wir müssen die weitere Verbreitung von Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten verhindern. Wir müssen die Entwicklung einer politischen Strategie für den gesamten Weiteren Nahen und Mittleren Osten auf der Grundlage der europäischen Sicherheitsstrategie vorantreiben. Wir müssen den Verzicht von Iran auf eine militärische Nutzung des Atomprogramms verbindlich festschreiben können, und wir brauchen die unbegrenzte Zutrittsmöglichkeit der IAEO, um sämtliche Anlagen von Iran zu inspizieren. Das sind die Voraussetzungen, um auch für Israel ein sicheres Umfeld zu schaffen.

Ich bin überzeugt davon, dass der richtige Weg der europäischen Verhandlungen eine viel größere Chance hat, positiv zu verlaufen, wenn wir den US-Präsidenten überzeugen können, nicht nur stand by zu sitzen, nicht nur verbal mit dem Säbel zu rasseln, die Frage des Präventivschlages nicht offen zu lassen, sondern eine aktive Überprüfung der geltenden Wirtschaftssanktionen gegenüber Iran auf die Tagesordnung zu setzen und auch über Sicherheitsgarantien für Iran zu reden.

Ich denke, dass wir in diesem Bereich weiterkommen, wenn wir auch unserem Grundsatz der Wahrung der Menschenrechte treu bleiben. Ich appelliere ausdrücklich an die Kommission, den Menschenrechtsdialog mit Iran nicht zurückzustellen, solange die Verhandlungen laufen, sondern diesen zu intensivieren. Ich sage das mit größtem Bedauern, zumal ich feststellen musste, dass ausgerechnet die deutsche Regierung, die ja unsere Verhandlungen auf Seiten der EU aktiv unterstützt, ein Abschiebeverfahren gegen eine 26jährige Frau in die Wege geleitet hat, die sich von ihrem iranischen Mann hat trennen lassen und die zum christlichen Glauben übergetreten ist. Eine Abschiebung nach Iran in dieser Situation – und wir haben uns zweimal mit Entschließungen dagegen gewandt – bedeutet die Gefahr von Steinigung, von Verfolgung, sogar von Tötung.

Ich glaube, dass eine solche gespaltene Politik es schwierig macht, aber wir müssen es schaffen, in Europa eine kohärente Menschenrechtspolitik mehrheitsfähig zu machen. Dann sind wir auch, was Iran betrifft, glaubwürdig. Ich möchte nicht, dass Iran erfolgreich versucht, die Europäer gegen die Amerikaner auszuspielen, denn wir haben die gleichen Zielsetzungen. Dies will ich noch mal unterstreichen.

Einen Punkt des Konsens meiner Fraktion mit dem US-Präsidenten möchte ich hier auch zur Sprache bringen: Es ist die Frage der Aufrechterhaltung des Embargos gegen China. Wenn wir sagen, das Kriterium „Einhaltung der Menschenrechte“ ist Grundlage unserer europäischen Außenpolitik, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Menschenrechtssituation in China nach wie vor fatal ist, und aus diesem Grund hat dieses Parlament vor wenigen Wochen eine Entschließung verabschiedet und den Vorstoß der Kanzler Schröder und Chirac zurückgewiesen. Wir erwarten, dass dieses Embargo aufrecht bleibt und nicht Wirtschaftsinteressen zu Lasten der Menschenrechtslage in den Vordergrund gerückt werden.

 
  
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  Markov (GUE/NGL), im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Frau Präsidentin! Herr Kommissionspräsident, Kolleginnen und Kollegen! Selbst wenn das Thema der Aussprache „Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2005“ lautet, lässt sich diese Debatte natürlich nur in einen gesamtstrategischen Rahmen einordnen, welcher durch die Lissabon-Strategie geprägt ist und leider vorrangig auf die Stärkung des Wettbewerbs zielt – und dies in meinen Augen auch noch mit den falschen Mitteln.

Die operationellen Gewinne der Großkonzerne der Europäischen Union haben sich 2004 um 78 % gesteigert. Das Verhältnis zwischen Erlös und Bruttoinlandsprodukt ist fast an den höchsten Wert der letzten 25 Jahre herangerückt. Die Handels- und Währungsbilanzen sind in den letzten zwölf Monaten wieder von einem starken Plus gekennzeichnet.

Selbst in der Bundesrepublik Deutschland, wo die großen Unternehmen permanent weinerlich erklären, sie hätten keine Chance im Standortwettbewerb, haben 46 der 50 im Dax geführten Unternehmen in den ersten drei Quartalen Gewinnzuwächse von ungeahnter Größe eingefahren.

Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Die Debatten um Verlängerung der Arbeitszeit, egal in welcher Form, nehmen zu. Von den Arbeitnehmern wird Lohnzurückhaltung gefordert, was in Wirklichkeit ein Absinken des Realeinkommens darstellt. Sozialleistungen werden gekürzt bzw. drastisch verteuert, solidarisch aufgebaute Systeme immer mehr in Richtung Privatfinanzierung verlagert.

Dieses Agieren führt nicht zur Stärkung, sondern zu einer Schwächung der Nachfrage. Diese Tendenz halten wir für falsch! Jawohl, wir benötigen Wettbewerb – aber in Einklang mit den Göteborg-Kriterien, um die geringstmögliche Arbeitslosigkeit, hohen Verbraucherschutz, soziale Sicherheit der Bürger in einer gesunden Umwelt, soziale Kohäsion durch Solidarität und nachhaltige Entwicklung zu erreichen.

Deshalb können wir die Kommission nur auffordern: Stoppen Sie Ihre neoliberale Wirtschaftspolitik, ziehen Sie Ihre Richtlinien zu den Dienstleistungen im Binnenmarkt zurück, ebenso wie Ihre Arbeitszeitrichtlinie, und legen Sie stattdessen Richtlinien für verbesserten Arbeitsschutz oder für eine Harmonisierung von Sozialstandards vor! Schützen Sie den Klein- und Mittelstand, indem Sie die vom letzten Parlament verabschiedeten Richtlinien, z. B. für die Software-Patente, als Basis für einen neuen Vorschlag nehmen! Verändern Sie gemeinsam mit dem Rat den Stabilitätspakt, indem Ausgaben für Bildung und Ausbildung als Investition angerechnet und aus der Verschuldungsquote herausgerechnet werden! Setzen Sie sich für einen demokratischen und sozial gerechten Welthandel ein, indem Sie versuchen, die WTO zu reformieren und nach Hongkong nicht mit denselben Vorstellungen zu gehen, wie die alte Kommission dies in Cancún getan hat!

Setzen Sie sich nicht für eine Stärkung der militärischen Optionen ein, sondern ausschließlich für friedliche Lösungen! Setzen Sie sich für höheren Umweltschutz ein, wobei auch hier innerhalb der Europäischen Union durchaus noch Nachholbedarf besteht, wie z. B. auf dem Gebiet der biologischen Vielfalt, der Vermeidung und Verarbeitung von Abfall und der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen! Verstärken Sie Ihre Einflussnahme beim Klimaschutz, da sowohl die USA als auch China, Indien und Brasilien hier stärker eingebunden werden müssen!

Dies wäre der richtige Weg für die Europäische Union, und dies würde die nachhaltige Entwicklung fördern, und dies würde Arbeitsplätze schaffen – und nicht die Fortführung bzw. Verstärkung der alten, längst überholten Wege, die sich als falsch herausgestellt haben.

 
  
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  Batten (IND/DEM), im Namen der IND/DEM-Fraktion. (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte Herrn Barroso einen guten Abend wünschen, aber oh je, oh je! Jetzt geht das schon wieder los! Dieses Gesetzgebungsprogramm ist stark von der jährlichen Strategieplanung geprägt, die die letzte Kommission im Februar 2004 veröffentlicht hat. Zwar ist die Europäische Kommission die nicht gewählte Regierung der EU, doch welche andere Regierung der Welt hätte ihr Gesetzgebungsprogramm von ihrem Vorgänger erarbeiten lassen? Die Independence Party des Vereinigten Königreichs hat sich schon vorher beschwert, dass die Kommission nicht verantwortlich ist, doch das zeigt nur, wie undemokratisch die Dinge liegen. Wir werden mit Politiken überhäuft, die von Personen ausgearbeitet wurden, die noch nicht einmal mehr im Amt sind!

Am 26. Januar sprach Herr Barroso in Brüssel vor dem Parlament über dieses Programm, doch Herr Prodi und seine Mitarbeiter haben es zusammengestellt. Das zentrale politische Ziel der neuen Kommission besteht im Wirtschaftswachstum. Dies war auch das zentrale Ziel des Dokuments der alten Kommission, das vergangenen Februar erarbeitet wurde. In der Tat hat auch Herr Prodi dies zu einem seiner zentralen Ziele erklärt, als er 1999 sein Amt antrat. Das hat ja zu einer Menge Gutem geführt, da das Wachstum in der EU jetzt niedriger ist als damals. Zu seinem Glück ist Herr Prodi wieder sicher in Rom und kann nicht länger für sein Versagen zur Rechenschaft gezogen werden.

Im Dokument wird dargelegt, dass aufgrund der institutionellen Veränderungen im Jahr 2004 ein einfacheres Verfahren als üblich für die Prüfung der politischen Strategie durch das Europäische Parlament angenommen wurde. Das Verfahren wurde im vergangenen April abgeschlossen – mit anderen Worten, noch vor den Wahlen zum jetzigen Europäischen Parlament. Wir wissen alle, dass es sich bei diesem Parlament um einen Schwindel handelt, doch dies zeigt, wie sinnlos das Ganze ist.

Die Europhilen haben sich beschwert, dass das britische Volk nicht ausreichend über die EU-Verfassung informiert werden wird. Die Spanier haben gerade über die Verfassung abgestimmt, doch Tatsache ist, dass 90 % der Spanier – die nach Ansicht der Europhilen gut über die Verfassung informiert waren – der staatlichen spanischen Wahlorganisation mitgeteilt haben, sie wüssten nur wenig oder gar nichts über diese, und weniger als die Hälfte der Spanier, machte sich nicht einmal die Mühe, zur Urne zu gehen.

Die Bürger Europas sollten nicht über die unergründliche Verfassung informiert werden, sondern über den Berg an EU-Rechtsvorschriften, der dieses Jahr die EU-Institutionen durchlaufen wird – Rechtsvorschriften, die von einer nicht mehr bestehenden Kommission erdacht und von einem nicht mehr existierenden Parlament angenommen wurden, beide können von den Menschen, auf die sich das Programm auswirken wird, nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Jedoch wachen die europäischen Bürger – insbesondere die Briten – langsam auf und erkennen, was vor sich geht. Bald wird nicht nur die letzte Kommission und das letzte Parlament nicht mehr bestehen, sondern das gesamte EU-Projekt wird es nicht mehr geben – und je eher, desto besser!

 
  
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  Ryan (UEN), im Namen der UEN-Fraktion. (EN) Frau Präsidentin! Diesmal handelt es sich bei der größten Herausforderung, der die Europäische Union gegenübersteht, um eine wirtschaftliche. Das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und die EU-Regierungen werden eng zusammenarbeiten müssen, wenn die Ziele der Lissabon-Strategie verwirklicht werden sollen. Das wird keine leichte Aufgabe – wir dürfen die vor uns liegenden Herausforderungen nicht unterschätzen.

Eines der Themen, das besonders sorgfältig untersucht werden muss, ist das des Regelungsrahmens in Europa – in Europa benötigen wir weniger Regulierung, nicht mehr. Das kam ganz klar in einem Bericht in der heutigen Financial Times über eine Studie des Centres for the Study of Financial Innovation zum Ausdruck. Darin wurde deutlich gemacht, dass die meisten Menschen, die mit Bank- und Finanzdienstleistungen zu tun haben, der Ansicht sind, es bestünden viel zu viele Regelungen und dass das gelöst werden müsse, damit die Wirtschaft wettbewerbsfähiger wird.

Diesmal gehören zu den wichtigsten Prioritäten der Europäischen Union: die Vollendung des Aktionsrahmens für Finanzdienstleistungen, damit für mehr Wettbewerb unter den in den 25 EU-Mitgliedstaaten tätigen Finanzinstituten gesorgt wird, was auch beinhaltet, dass allen EU-Bürgern in den 25 Mitgliedstaaten Bankdienstleistungen zur Verfügung stehen; Erleichterungen bei der Fusionierung der europäischen Banken und die Modernisierung der Rechtsvorschriften zur Vermögensverwaltung, damit die Vermögensverwalter die Vermögensfonds grenzüberschreitend handhaben können; die Einführung neuer Rechtsvorschriften zur Verringerung der Kosten des Clearing und der Abwicklung von Geschäften im Wertpapierhandel sowie die Einführung eines verschärften Wettbewerbs im Versicherungssektor.

Die Europäische Union muss für einen stärkeren Dialog mit Amerika eintreten, um die Regelungen zu den Gepflogenheiten in der Rechnungslegung miteinander in Einklang zu bringen. Die Europäische Union arbeitet mit einem System, das als IAS bekannt ist, dem System der International Accountancy Standards. Derweil arbeiten die amerikanischen Unternehmen nach der GAAP-Rechnungslegung. Dieses Jahr werden 8 000 Unternehmen an europäischen Börsen zugelassen sein, die nach dem IAS-System arbeiten. Es ist einfach falsch, wenn sich Amerika und Europa zweier verschiedener Rechnungslegungsmodelle bedienen. Um dies abzustellen, muss ein wesentlich intensiverer Dialog stattfinden.

Die Europäische Union muss die neue Dienstleistungsrichtlinie umsetzen. Sie muss garantieren, dass die Vorteile aller Technologien den europäischen Gemeinden sowohl in den Städten als auch auf dem Land zur Verfügung stehen.

Herr Barroso, Ihre jüngsten Erklärungen zur Lissabon-Strategie und zum wirtschaftlichen Weg nach vorn für Europa waren sehr positiv, und ich wünsche Ihnen alles Gute. Ich hoffe, Sie sind erfolgreich – Europa braucht diesen Erfolg.

 
  
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  Kirkhope (PPE-DE). (EN) Herr Präsident! Dieses Programm gibt echte Hoffnung auf eine Wiederbelebung und auf neue Akzente der Agenda von Lissabon. Da jedoch der Frühjahrgipfel im nächsten Monat immer näher rückt, ist es von ausschlaggebender Bedeutung, dass sich die nationalen Regierungen zusammennehmen und die Wirtschaftsreformen vorantreiben, die für den zukünftigen, im Programm geplanten Wohlstand entscheidend sind.

In den letzten Wochen haben mich die Erklärungen des Kommissionspräsidenten und sein klares Ziel, im vor uns liegenden Zeitraum das Wachstum und den Wohlstand in den Mittelpunkt seiner Strategie zu stellen, beeindruckt. Allerdings kann mich das leere Geschwätz von Sozialdemokraten wie Herrn Schulz über neue Schwerpunkte innerhalb des Lissabon-Prozesses überhaupt nicht beeindrucken. Die europäische Linke bleibt weiterhin der alten Methode der unflexiblen Arbeitsmärkte, der hohen Lohnnebenkosten und anderer Wachstumshindernisse verhaftet.

Können sie nicht erkennen, dass sich Europa heute eben aufgrund des alten Sozialmodells in einer relativen Rezession befindet? Können sie nicht begreifen, dass die hohe Arbeitslosigkeit in so vielen Teilen Europas eben von diesen verstaubten Vorschlägen herrührt, an die sie sich auf dem Gebiet der Wirtschaft klammern? Nichts von dem, was Herr Schulz gerade gesagt hat, könnte auch nur einem der gegenwärtig fünf Millionen Arbeitslosen in seinem Land helfen. Darum fordern wir den Kommissionspräsidenten auch weiterhin eindringlich auf, das Reformtempo aufrechtzuerhalten, und wir fordern die Regierungen eindringlich auf, die Gründe für das Scheitern der Agenda von Lissabon in den ersten fünf Jahren zu beherzigen.

Wir wollen ein erneutes Engagement für die Vollendung des Binnenmarkts. Herr Barroso weiß, dass die Lösung für die mangelnde wirtschaftliche Dynamik vielfach bei den Mitgliedstaaten selbst liegt. Zusätzlich zu der von ihm ergriffenen Initiative möchte ich ihn jedoch dazu ermutigen, große Anstrengungen für eine Verringerung der Anzahl der von der Kommission vorgebrachten Legislativvorschläge zu unternehmen.

Die Kommission muss genauso effizient sein, wie sie es von unseren Unternehmen und Bürgern verlangt. Zu Recht spricht er von besserer Rechtsetzung, doch die Betonung muss auf weniger Rechtsetzung liegen, und – was ganz entscheidend ist - diese Rechtsvorschriften müssen einer vollständigen Bewertung ihrer Auswirkungen unterzogen werden. Die britischen konservativen Abgeordneten des Parlaments haben sich als Erstes für weniger Rechtsetzung und die Durchführung solcher Bewertungen eingesetzt. Ich freue mich darauf, und ich bin zuversichtlich, dass schon bald zu all diesen Themen im Zusammenhang mit der Dienstleistungsrichtlinie, die Herr Barroso glücklicherweise unterstützt, Fortschritte erzielt werden.

 
  
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  Swoboda (PSE). Frau Präsidentin, Herr Kommissionspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, Sie von der Kommission und wir vom Parlament – zumindest die große Mehrheit in diesem Parlament – wollen die Bürgerinnen und Bürger für das Projekt Europa gewinnen. Wenn wir das wollen, müssen wir den Bürgern auch Inhalte bieten und ihnen vermitteln, worum es bei diesen Inhalten geht.

Für uns steht das soziale Europa an der Spitze der Hierarchie. Aber ein soziales Europa heißt, dass wir Arbeitsplätze brauchen. Für Arbeitsplätze brauchen wir Wachstum, für Wachstum brauchen wir Investitionen, wir brauchen vor allem Ausbildung, Weiterbildung und lebensbegleitendes Lernen, und ja, Herr Kirkhope, wir brauchen auch erhöhte Flexibilität. Aber jeder, der Flexibilität will, weiß, dass Flexibilität und soziale Sicherheit – wie am nordischen Modell sichtbar – kein Widerspruch sind, sondern dass im Gegenteil die Bürgerinnen und Bürger sogar bereit sind, mehr Flexibilität zu akzeptieren, wenn es ein soziales Netz der Sicherheit gibt. Und wenn es z. B. auch massive Maßnahmen zur Weiterbildung gibt, die den Menschen helfen, diese Flexibilität auch sozial bewältigen zu können.

Wir brauchen aber auch funktionierende öffentliche Dienstleistungen. Da hat mich Ihre Aussage, Herr Präsident, nicht ganz befriedigt, denn die Frage der Dienstleistungen ist nicht nur etwas, was die Frage des Marktes betrifft. Unsere öffentlichen Dienstleistungen sind unsere eigene Identität – ob es die Post oder der Nahverkehr ist, sie gehören zur europäischen Identität und diese wollen die Bürgerinnen und Bürger auch entsprechend verteidigt haben. Daher ist es nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine zutiefst emotionale Sache.

Zuletzt noch eine Bemerkung: Ich finde das, was die Vizepräsidentin Wallström vor kurzem mit den Flugpassagierrechten gemacht hat, sehr gut. Wir müssen nämlich an die Öffentlichkeit treten und das, was wir in diesem Parlament, auch auf Vorschlag der Kommission, erreichen, den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln. Wir müssen ihnen sagen, dass wir für sie da sind, und daher bitte ich Sie, bei all den Gesetzgebungsmaßnahmen nicht nur an better regulations im technischen Sinn zu denken, sondern immer auch an den Bürger, für den wir diese Gesetze machen und dem wir sie vermitteln möchten. Wenn die Kommission und das Europäische Parlament dies in Zukunft gemeinsam machen könnten, werden wir viele, viele Bürgerinnen und Bürger für dieses Europa gewinnen.

 
  
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  Brok (PPE-DE). Frau Präsidentin, Herr Ratspräsident! Ich glaube, Sie haben es angesprochen: Dies ist ein guter Tag! Wir konnten das Ergebnis aus Spanien sehen, was uns alle in eine verbesserte Position bringt – nicht nur für die Kampagne des Referendums, sondern auch indem deutlich wird, dass sich eine große Nation mit einer großen Mehrheit für dieses politische Projekt entschieden hat. Hier haben wir auch einen Schritt für morgen, wenn Sie Präsident Bush sehen werden. Es ist uns allen klar geworden – und dies muss in unserer Politik zum Ausdruck kommen –, dass nur ein gemeinschaftliches Handeln uns zu einem Faktor macht. Und dieses Handeln ist wertvoll, denn anders kann ich es nicht verstehen, dass Condoleezza Rice erklärt hat, dass die Europäische Verfassung angenommen werden sollte. Dies ist auch ein völlig neuer Ton in der amerikanischen Politik. Gestatten Sie, Herr Präsident Barroso, dass ich mich auch noch einmal dafür bedanke, dass gerade Sie es mit möglich gemacht haben, dass unser Präsident morgen an den Treffen teilnehmen kann.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der damit zusammenhängt, nämlich die Frage der Nachbarschaftspolitik. Ich glaube, hier sind wir noch nicht ausreichend weit gekommen, und Präsident Juschtschenko wird am Mittwoch in diesem Parlament sein, damit wir einen neuen Weg zu dieser großartigen Herausforderung einer Demokratie in Osteuropa finden, damit wir Osteuropa zur Anbindung an die Europäische Union bringen. Das bedeutet, dass wir dringend mehr brauchen als die Nachbarschaftspolitik, weil sonst nur erhöhter Druck entsteht, zu schnell nur über Vollmitgliedschaft zu reden, die wir nicht sofort bewältigen können, weil dies zu einem Overstretching der Europäischen Union führen würde.

Wir müssen den Menschen in diesen Ländern eine Perspektive eröffnen, und deswegen ist es wirklich eine Überlegung wert, ob es nicht möglich ist, eine Option neben der Vollmitgliedschaft zu haben, die nicht ein Nein zur Vollmitgliedschaft bedeutet, sondern Perspektiven für später eröffnet, zugleich aber auch sofort etwas bringen kann, so wie dies in der Vergangenheit der Europäische Wirtschaftsraum war, aus dem Schweden, Finnland und Österreich in die Europäische Union gekommen sind.

Ich bitte die Kommission, hier wirklich eine Überlegung anzustellen, weil ich fürchte, dass wir ansonsten sehr schnell in eine schwierige Situation geraten. Denn es ist heute Nachmittag sehr deutlich geworden, dass wir diesen Ländern, die nicht nur Opfer des Zweiten Weltkrieges, sondern auch der späteren Diktatur waren, eine Perspektive geben, die Demokratie ermöglicht und uns gleichzeitig in einer Weise stärkt, dass diese Europäische Union handlungsfähig bleibt.

 
  
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  Goebbels (PSE). (FR) Herr Präsident, Herr Präsident Barroso, werte Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir einige persönliche Überlegungen zum Arbeitsprogramm der Kommission. Es handelt sich um eine schöne Bestandsaufnahme, wie sie einst der Dichter Jacques Prévert machte. Doch wie sagte Wim Kok im Zusammenhang mit dem Prozess von Lissabon: „Lisbonne is about everything and therefore about nothing“. Dies trifft auch ein wenig auf das Kommissionsprogramm zu: man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Jedes Kommissionsmitglied hat versucht, seinen eigenen Weihnachtsbaum zu schmücken und mit etwas persönlichem Lametta zu versehen.

Meine Kritik gilt nicht Ihnen, Herr Präsident. Hätten Sie sich auf das Wesentliche beschränkt, dann wären die Abgeordneten die Ersten gewesen, die Sie darauf hingewiesen hätten, dass Sie diese oder jene für sie ausgesprochen wichtige Frage außer Acht gelassen haben. Dennoch fordere ich Sie auf, ihre Bemühungen auf das Wesentliche zu konzentrieren. Europa muss sein Sozial- und Umweltmodell verteidigen. Wir sind uns alle einig, dass Europa Reformen und in einigen Bereichen mehr Flexibilität benötigt. Sie werden jedoch nicht mit der Unterstützung der europäischen Bürger rechnen können, wenn Sie für das stimmen, was die Rechte mit dem morgigen Votum über meinen Bericht anstrebt, nämlich weniger Steuern für Reiche und mehr Arbeit für die Arbeitnehmer. Das funktioniert nicht.

Der Ausschuss für Wirtschaftspolitik formuliert in seinem Jahresbericht 2005, dass für Europa ein makroökonomischer Rahmen zur Unterstützung von Stabilität und Wachstum unverzichtbar sei und die Regierungen die Früchte von Strukturreformen in Bezug auf Wachstum und Beschäftigung in vollem Umfang nur unter entsprechenden makroökonomischen Rahmenbedingungen ernten würden. Die Stabilität haben wir bereits, nun benötigen wir Wachstum, Herr Kommissionspräsident.

 
  
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  Roure (PSE). (FR) Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident! Wir wissen, dass das Legislativprogramm der Kommission den Weg ebnet, um die politischen Schwerpunkte des Rates in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Daher stellen wir mit Freude fest, dass der Umsetzung der europäischen Rechtsvorschriften Priorität eingeräumt wird, doch für die kommenden Jahre wünschen wir uns konkrete Verpflichtungen.

So steht die Stärkung der Sicherheit in Europa nach wie vor im Mittelpunkt. Dies darf jedoch auf keinen Fall zu Lasten der bürgerlichen Freiheiten gehen. Die Vorschläge für einen verbesserten Informationsaustausch und eine verstärkte operative Zusammenarbeit stellen einen Fortschritt für die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität dar, aber dem offenkundigen Gefühl der Unsicherheit der Europäer muss vor allem mit Hilfe einer aktiven Politik des Schutzes und der Förderung der Grundrechte begegnet werden. So müssen sich unsere Demokratien verteidigen und so werden sie auch gewinnen.

Wir fordern Initiativen im Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Einen Schwerpunkt bildet nach wie vor die Stärkung der justiziellen Zusammenarbeit, damit für die Unionsbürger überall in Europa dieselben Rechte und derselbe Zugang zum Recht garantiert werden können. Daher begrüßen wir ausdrücklich die Ausdehnung der justiziellen Zusammenarbeit auf einige Bereiche des Familienrechts. Wir fordern die Kommission auf, dieser Verpflichtung nachzukommen und Vorschläge gemäß dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in den Bereichen Bewertung und Verwendung von Beweisen sowie Verfahrensgarantien anzunehmen. Wir wollen, dass in Asyl- und Einwanderungsfragen ein geeigneterer Ansatz verfolgt wird, damit vor allem die Achtung der Rechte und eine Verteilung der Lasten und Zuständigkeiten möglich sind. Wir wünschen uns, dass legale Einwanderungsmöglichkeiten eröffnet werden, die den Belangen und Grundrechten der Einwanderer Rechnung tragen. Und schließlich fordern wir grundlegende Fortschritte bei der Festlegung der Mindestvorschriften für die Zu- und Aberkennung des Flüchtlingsstatus.

 
  
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  Lehne (PPE-DE). – Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn eine kurze Anmerkung zu den politischen Inhalten machen, die hier insbesondere vom Kollegen Schulz vorgetragen wurden.

Ich glaube – und das zeigt ja auch die Debatte die wir im Augenblick über die Lissabon-Strategie führen – dass die Lissabon-Strategie nun einmal mehrere Pfeiler hat. Es gibt gar keinen Zweifel, dass all diese Pfeiler vom Grundsatz her gleichberechtigt Bestandteil dieser Strategie sind. Aber auf der anderen Seite ist es eine Binsenweisheit, dass ohne eine funktionierende Wirtschaft auch keine vernünftige Sozialpolitik und keine vernünftige Umweltpolitik betrieben werden kann. Dies ist sozusagen die Voraussetzung dafür, dass man die anderen Wohltaten auch tatsächlich in der Politik umsetzen kann. Darum muss man die Prioritäten auch in der richtigen Reihenfolge setzen, ohne dabei die Säulen zu vergessen. Vielleicht noch am Rande bemerkt: Eine bessere Sozialpolitik als das Schaffen von Arbeitsplätzen gibt es nicht. Ich denke, dies ist auch eine Binsenwahrheit, die man an dieser Stelle einfach einmal aussprechen sollte.

Vielleicht noch ein anderer dezenter Hinweis, weil ja in diesem Zusammenhang immer wieder auf den Kommissionspräsidenten geschimpft wird. Die beiden verantwortlichen Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, die sowohl das Papier in Lissabon als auch das Programm, über das wir heute hier beraten, mit unterzeichnet haben, sind Sozialisten. Vielleicht ist ein solcher Hinweis am Rande auch noch einmal angebracht. Von daher sollte das in der Kommission eigentlich in besten Händen sein, und ich verstehe gar nicht, was diese immer wieder hochgezogene Diskussion über angebliche Unterschiede, die es gar nicht gibt, eigentlich ausmacht.

Ich habe noch ein besonderes Anliegen in diesem Zusammenhang, und das ist, dass die Kommission auch im Rahmen dieses Gesetzgebungsprogramms besondere Priorität auf die Umsetzung der interinstitutionellen Vereinbarung mit Rat und Parlament legen muss. Dies ist von entscheidender Bedeutung! Einer der Gründe, warum die Dinge in der Vergangenheit nicht so funktioniert haben, wie sie funktionieren sollten, ist der Mangel an impact assessment, an Gesetzesfolgenabschätzung, gewesen, und die unzureichende Art und Weise, in der die Konsultation von stake holders durchgeführt worden ist.

Ich bitte Sie, Herr Kommissionspräsident, und Sie, Frau Kommissionsvizepräsidentin, insbesondere auch in Ihrer Arbeit in den nächsten Monaten darauf zu achten, dass die interinstitutionelle Vereinbarung diesbezüglich konsequent umgesetzt wird. Damit steht und fällt in vielen Bereichen auch der Erfolg, den Sie und wir alle gemeinsam haben wollen.

(Beifall)

 
  
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  Gebhardt (PSE). Frau Präsidentin! Herr Barroso, Sie haben Ihre heutige Rede unter ein schönes Motto gestellt: Wohlstand, Solidarität und Sicherheit! Das weckt natürlich sehr hohe Erwartungen bei uns Abgeordneten, und ich muss sagen, mir ging es genauso wie Herrn Swoboda: Was Sie über die Dienstleistungsrichtlinie in diesem Zusammenhang gesagt haben, war dann doch recht dürftig. Wenn Sie wirklich wollen, dass wir für die Bürgerinnen und Bürger Wohlstand, Solidarität und Sicherheit erreichen, müssen Sie sehr viel tiefgreifender an diese Dienstleistungsrichtlinie herangehen, als Sie es heute angedeutet haben.

Wenn Sie die Partnerschaft mit uns, mit allen Institutionen, ernst meinen, dann werden Sie noch viel weiter gehen müssen. Und eines, was noch wichtiger ist, Herr Barroso, dürfen wir auf keinen Fall vergessen: Partnerschaft mit den Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union, und zwar mit allen 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Für sie machen wir Politik, und sonst für niemanden.

 
  
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  Silva Peneda (PPE-DE).(PT) In den letzten Wochen hat die Europäische Kommission Beschlüsse zu zwei wesentlichen Themen gefasst: die strategischen Leitlinien für ihr Mandat und die Reform der Lissabon-Strategie. Beide Beschlüsse machen deutlich, was für die Europäische Union unter den gegenwärtigen Umständen höchste Priorität hat: die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, warum darüber diskutiert wird, was Vorrang besitzt: das Wirtschaftswachstum oder die Beschäftigung. Für mich liegt die Antwort auf der Hand. Arbeitsplätze werden in den Unternehmen geschaffen. Unternehmen entstehen und entwickeln sich, wenn ein Klima des Vertrauens herrscht und die generelle Bereitschaft zur Schaffung eines investitionsfreundlichen Umfelds vorhanden ist.

Diese Lebenseinstellung, diese Kultur wird zur Realität, wenn die Voraussetzungen für die Umsetzung der richtigen Wirtschaftspolitik gegeben sind. Je mehr sich die Mitgliedstaaten für die Verwirklichung der notwendigen Reformen engagieren, desto schneller kann sich eine derartige Kultur durchsetzen. Das ist der einzige Weg, der es uns ermöglichen wird, das europäische Sozialmodell beizubehalten und fortzuentwickeln. Wirtschaftliche Dynamik darf nicht als Feind der sozialen Sicherung angesehen werden, sie ist vielmehr ihr engster Verbündeter.

Mich bewegt jedoch etwas anderes, nämlich die Festlegung der Prioritäten und die klare Abgrenzung der Verantwortlichkeiten. Genau genommen war es das Fehlen dieser Elemente, das die Reform der Lissabon-Strategie auslöste. Es liegt nun in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, den von der Kommission vorgeschlagenen Reformkurs durch konkrete politische Maßnahmen umzusetzen.

Es besteht die zwingende Notwendigkeit, Reformen durchzuführen, die zwar mehrheitlich nicht auf breite Zustimmung treffen, die Europa aber braucht. Diese Reformen werden nur erfolgreich sein, wenn sie erläutert werden, gegebenenfalls bis ins letzte Detail. Nur so können sie verstanden und angenommen werden.

Abschließend möchte ich bemerken, dass es sich nach meinem Dafürhalten lohnen würde, darüber nachzudenken, ob es nicht angebracht wäre, einmal die Büros zu verlassen und sich auf die Straße zu begeben, angefangen bei uns, den europäischen Abgeordneten.

 
  
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  Grabowska, Genowefa (PSE). (PL) Frau Präsidentin, Herr Kommissionspräsident! Wir sollten es begrüßen, dass die Kommission ihre Bemühungen auf drei Fragen konzentrieren möchte, nämlich Wirtschaftswachstum, soziale Fürsorge und Umweltschutz. Allerdings wird sich erst mit der Zeit zeigen, ob und wie diese lobenswerten Pläne tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden. Jegliche Unausgewogenheit, vor allem wenn Wirtschaftswachstum auf Kosten der sozialen Fürsorge und des Umweltschutzes erzielt werden soll, wäre eine Gefahr für Europa und seine Bürger und dabei insbesondere für die Bürger der neuen Mitgliedstaaten.

Die Europäische Kommission ist jedoch auch die Hüterin der Verträge und überwacht als solche die Anwendung der Rechtsvorschriften durch die Mitgliedstaaten. Ich rufe deshalb die Kommission dazu auf, diese Anwendung regelmäßig zu überwachen, insbesondere mit Blick auf die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung. Dieser Grundsatz, dessen Umsetzung bindend ist, hat im Zusammenhang mit der REACH-Verordnung und der Dienstleistungsrichtlinie bereits Bedenken ausgelöst. Befürchtet die Kommission nicht, dass die Versuche, Baudienstleistungen aus dieser Richtlinie herauszunehmen, von den neuen Mitgliedstaaten als Diskriminierung angesehen werden? Es gibt weitere Beispiele für solche Praktiken, weshalb ich Herrn Barroso auffordere, dafür zu sorgen, dass die Kommission die Anwendung von Rechtsvorschriften hinsichtlich des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung sehr genau überwacht.

 
  
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  Karas (PPE-DE). Herr Kommissionspräsident, meine Damen und Herren! Wenn ich mir die Debatte so anhöre, dann muss ich wiederholen, dass wir eine stärkere Europäisierung des Denkens benötigen und nicht mehr nationalisieren oder parteipolitisieren sollten. Wir benötigen mehr Optimismus und Vertrauen, Ernsthaftigkeit und Klarheit, Überprüfbarkeit und den politischen Willen, das umzusetzen, wozu wir uns in Sonntagsreden laufend verpflichten. Wir benötigen mehr leadership, mehr leadership der politisch Handelnden, mehr leaderhip der Regierenden, mehr leadership der Kommission.

Ich möchte dazu aufrufen, dass wir uns ein bisschen besinnen. Wir alle sind hier, um die vier Freiheiten umzusetzen und zu verwirklichen. Und alles, was der Umsetzung der vier Freiheiten dient, ist richtige Politik. Wir haben uns darauf zu besinnen, was wir mit der Verfassung beschlossen haben. Ich verstehe heute die Auseinandersetzung eigentlich nicht. In der Verfassung steht: Wir bekennen uns zur sozialen Marktwirtschaft. Wir sagen damit deutlich, dass der Markt nicht Selbstzweck ist, sondern Mittel zum Zweck, dass wir einen effizienten Markt benötigen, der seiner sozialen und ökologischen Verantwortung gerecht wird. Wir haben uns als Ziel die Vollbeschäftigung gesetzt, wir haben uns als Ziel die Nachhaltigkeit gesetzt. Warum vermitteln wir hier den Bürgern laufend den Eindruck, als würden wir das eine gegen das andere ausspielen?

Wir wollen nicht mehr tagespolitischen Populismus, sondern wir wollen eine stärkere Verantwortung gegenüber der Zukunft. Und daher sage ich Ihnen, Herr Kommissionspräsident, machen Sie vor jedem Vorschlag die Subsidiaritätsprüfung! Legen Sie dem Bürger dar, welchen Mehrwert die europäische Regelung hat! Definieren Sie den Mehrwert für Wachstum, Wettbewerb und Beschäftigung! Definieren Sie die betroffene Zielgruppe! Machen Sie die Motive, die Ziele und die Auswirkungen klar und sagen Sie, wer was bis wann zu tun hat, damit wir unserer parlamentarischen Kontrolle gerecht werden können!

 
  
  

VORSITZ: MIROSLAV OUZKÝ
Vizepräsident

 
  
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  Brejc, Mihael (PPE-DE). (SL) Danke, Herr Präsident! Die Kommission hat ein umfangreiches und ehrgeiziges Programm aufgestellt. Sie hat vorrangige Aufgaben festgelegt, denen ich zustimme und die ich unterstütze. Mich freut auch der Ehrgeiz, die Energie und natürlich der Enthusiasmus des Kommissionspräsidenten. Doch wenn wir wollen, dass Europa effizient wird, wenn wir wollen, dass Europa bürgernäher wird, wenn wir die Ziele erreichen möchten, dann müssen auch wir selbst effizienter handeln als bisher. Die Effizienz der Europäischen Union beruht wesentlich auf ihren Verwaltungssystemen, ihrer öffentlichen Verwaltung. Sie erwähnen sie auf Seite vier der strategischen Ziele, Herr Präsident. Das ist sehr erfreulich. Doch gleichzeitig erinnere ich daran, dass die Prodi-Kommission mit der Reform der öffentlichen Verwaltung in der Europäischen Union begonnen hatte. Der damalige Kommissar Kinnock war dafür verantwortlich. Ich bin mir zwar nicht bewusst, wie die ganze Sache letztlich ausging, ja, ob sie überhaupt irgendwann begonnen wurde, doch steht fest, dass die Bürger der Europäischen Union dies als einen großen bürokratischen Apparat ansehen, fern von den Menschen, als einen Apparat, der ziemlich viel kostet und der für jede Kleinigkeit, ganz zu schweigen von größeren Projekten, einen riesigen Verwaltungsaufwand erfordert. Deshalb erwarten wir alle, nicht nur wir hier im Europäischen Parlament, sondern auch unsere Wähler, ganz zu Recht von der neuen Kommission, dass sie im Rahmen der von Ihnen dargelegten vorrangigen Aufgaben die Energie, die Zeit und den Willen findet, sich mit ihrem eigenen Verwaltungssystem, ihrer eigenen Bürokratie zu beschäftigen. In dieser Hinsicht erwarte ich sehr klare Antworten. Und noch etwas: Gute Rechtsvorschriften sind schön und gut, aber wichtiger ist, dass wir gute Rechtvorschriften auch in die Praxis umsetzen. Vielen Dank!

 
  
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  Zaleski (PPE-DE). (PL) Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, Herr Vizepräsident der Kommission, meine Damen und Herren Abgeordneten! Meine Bemerkungen richten sich in erster Linie an Herrn Schulz.

Herr Schulz, nach unserem Gespräch über die Entschließung zu Auschwitz haben Sie Ihre Ansicht völlig geändert und so meinen ganzen Respekt gewonnen. Vielen Dank dafür! Aber jetzt möchte ich etwas zu Ihren kritischen Äußerungen gegenüber dem Papst sagen.

(PL) Meine Damen und Herren Abgeordneten! Was den Etat und die Finanzierung betrifft, die für das Treffen junger Menschen mit dem Papst in Köln vorgesehen sind, möchte ich klarstellen, dass ich, würde es jemand anderem gelingen, so viele junge Menschen für einen guten Zweck zusammenzubringen, auf jeden Fall dafür wäre, Mittel für das Treffen bereitzustellen. Ich würde dies tun, wenn die fragliche Person Herr Schulz oder der Vorsitzende irgendeiner anderen Fraktion oder Partei wäre, und ich würde dies nicht davon abhängig machen, ob eine Person Sozialist, Grüner, Katholik oder Anhänger irgendeiner anderen politischen Bewegung oder Religion wäre. Wenn die betreffende Veranstaltung zur sozialen und psychologischen Einheit und zur Schaffung eines gemeinsamen Europa beitragen würde, dann würde sie echten Respekt verdienen. Ich denke, Herr Schulz wird einräumen, dass dies der Fall ist, und ich sehe ihn in der Tat nicken. Dafür möchte ich ihm danken.

Ich möchte die Abgeordneten aus den zehn neuen Mitgliedstaaten, und nicht nur die aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten, sondern auch diejenigen, die Sozialisten, Grüne, Kommunisten oder fraktionslos sind, auch daran erinnern, dass es dem Papst und seinem Wirken zu verdanken ist, dass wir heute zusammen über ein gemeinsames Europa beraten können. Ohne ihn wären wir noch immer nicht in der Lage, eine solche Sitzung abzuhalten, und ich möchte Herrn Schulz daran erinnern, dass es überwiegend das Werk des Papstes war und Herr Kovács allenfalls eine kleine Rolle dabei spielte. Wenn den Abgeordneten das nicht bewusst ist oder sie es vergessen haben, möchte ich sie nachdrücklich daran erinnern und sie dazu auffordern, diesem Zuschuss zuzustimmen, der es ermöglichen wird, dass das Treffen in angemessener Weise stattfindet und dass es ein großer Erfolg wird. Ich danke Ihnen.

 
  
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  Casa (PPE-DE).(MT) Herr Präsident! Lassen Sie mich Herrn Barroso, dem Präsidenten der Kommission, zum Gesetzgebungsprogramm der Kommission und zu dem von ihm vorgestellten Programm gratulieren. Das heutige Europa ist auf 25 Mitgliedstaaten angewachsen, und ich bin einer der Abgeordneten, die aus einem der Länder stammen, die sich Europa erst kürzlich infolge der Erweiterung angeschlossen haben. Europa ist das, was es zu Recht sein sollte: ein Europa mit einer gewichtigen Stimme in globalen Entscheidungsprozessen, und wir müssen das fortführen, indem wir die Fundamente, die einst von Schuman, De Gasperi und Monnet gelegt wurden, weiter festigen und uns dabei auf Grundsätze stützen, die es der Europäischen Union ermöglicht haben, so weit zu kommen, wie es heute der Fall ist. Die Grundsätze der Subsidiarität und Solidarität müssen sich in der Arbeit der Europäischen Union permanent widerspiegeln.

Es ist unerlässlich, dass das Wirtschaftswachstum alle europäischen Regionen gleichmäßig erfasst. Europa hat die Pflicht, denjenigen, die aus welchen Gründen auch immer im Rückstand sind, beim Aufholen und bei der Expansion ihrer Wirtschaft zu helfen. Eine stärkere Wirtschaft kann durch engere Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten erzielt werden, und genau hierbei möchte ich die Kommission zur Umsetzung einer neuen Wirtschaftsstrategie beglückwünschen, mit der über sechs Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Die Lissabonner Strategie muss für uns alle, die wir in den europäischen Institutionen wirken, an absolut erster Stelle stehen.

Wir müssen es verstehen, diese Strategie in Arbeitsplätze und Wohlstand umzusetzen, was nur erreicht werden kann, wenn es uns gelingt, übermäßige Bürokratie zu beseitigen und ein starkes wirtschaftliches Umfeld zu schaffen. Wir in diesem Parlament müssen Initiativen fördern, die auf dem ganzen Kontinent Arbeit schaffen. Die Bürger Europas erwarten von uns, dass wir den Lebensstandard in Europa verbessern, weshalb wir unser Bestes geben müssen. Das vorgestellte Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm lässt die Vision der Kommission für die nächsten Jahre klar erkennen. Wenn sie eng mit dem Parlament zusammenarbeitet, werden alle europäischen Bürger, so glaube ich, von diesem neuen Programm profitieren.

 
  
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  Barroso, Präsident der Kommission. (FR) Herr Präsident, ich werde versuchen, auf einige konkrete Fragen zu antworten. Im Anschluss möchte ich auf eine allgemeinere politische Fragestellung eingehen, die mir für unsere künftige Arbeit von Bedeutung zu sein scheint.

Zunächst zu den konkreten Fragen, Herr Duff, Sie haben mich darauf hingewiesen, dass Sie das, was ich angeblich zum naiven Föderalismus gesagt haben soll, nicht richtig verstanden haben bzw. dass Sie diese Aussage nicht teilen. Ich möchte meine Aussage verdeutlichen, denn sie ist in dem Zusammenhang vielleicht nicht ganz klar gewesen. Wenn ich mich kritisch zum naiven Föderalismus äußere, dann gilt meine Kritik nicht dem Föderalismus an sich, ganz im Gegenteil. Ich hege großen Respekt für alle Föderalisten, für die Männer und Frauen, die unser großes europäisches Einigungswerk auf den Weg gebracht haben. Und ich bin nach wie vor der Ansicht, dass unser Europa auf dem Modell des Föderalismus beruhen muss. Im Übrigen handelt es sich bei der Gemeinschaftsmethode, oder zumindest bei der Methode, die wir gemeinhin so bezeichnen, um eine Form von Föderalismus. Meine Kritik galt also in Wirklichkeit dem naiven Föderalismus im Gegensatz zu einem Konzept, das ich als ausgeklügelteren, intelligenteren Föderalismus bezeichnen könnte, das heißt ein Konzept, das nicht darauf abzielt, unsere Europäische Union, eine immer enger werdende Union aller Europäer, auf Kosten der Legitimität der demokratischen Staaten zu errichten. Wir haben in unseren Ländern demokratische Staaten, demokratische Regierungen und demokratische Parlamente. Ich hatte die Ehre, in Genf mit einem großen Föderalisten wie Denis de Rougemont zusammenzuarbeiten, der bisweilen den Staat zum Schuldigen für alles Übel erklärte, als ob dieser selbst nicht auch eine demokratische Institution wäre. Ich befürworte die kontinuierliche Stärkung der Union, aber diese Stärkung darf nicht die Legitimität der demokratischen Staaten beeinträchtigen. Auf diesen feinen Unterschied möchte ich hinweisen, denn mir sind bereits kritische Stimmen zu dieser Bemerkung zu Ohren gekommen, die meine Gedanken und meine Einstellung zu Europa verfälscht wiedergegeben haben.

Die zweite Frage betrifft den Bereich Sicherheit und Recht. Wir haben viel von der Wirtschaft gesprochen, doch wir sollten nicht vergessen, dass wir über ein – im Übrigen ausgesprochen ehrgeiziges – Programm im Bereich Sicherheit und Recht verfügen, das von Vizepräsident Frattini umgesetzt werden soll. Darauf bezog sich eine der Fragen. Sicherheit, Recht und der Schutz der Grundrechte sind eine der Prioritäten der Kommission. Natürlich muss dem Bedürfnis der Bürger nach Sicherheit konkret Rechnung getragen werden. Daher werden wir 2005 dem Parlament insbesondere den Aktionsplan zur Umsetzung der in Den Haag angenommenen Strategie vorlegen, der Vorschläge zum Schutz der Opfer und vor allem der Frauen und Kinder vor organisierter Kriminalität enthält. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass das Programm eine neue Dimension von Maßnahmen umfasst: den Vorrang für den Schutz der Kinder. Wir vertreten die Auffassung – auch dies möchte ich hervorheben –, dass in diesem Bereich auf europäischer Ebene mehr unternommen werden kann. So können Vorschläge zur Förderung der gegenseitigen Anerkennung und des Vertrauens zwischen den Justizbehörden sowie ein Vorschlag für eine europäische Strategie im Bereich der legalen Einwanderung und der Bekämpfung des Menschenhandels erarbeitet werden. Sicherheit, Recht und der Schutz der Menschenrechte stellen eine wichtige Priorität dar, und ich möchte Ihnen versichern, dass die Kommission alles unternehmen wird, um diesem Erfordernis gerecht zu werden.

Einige von Ihnen, darunter Herr Karas, Herr Kirkhope, Herr Lehne, aber auf gewisse Weise auch Herr Goebbels, haben die Frage aufgeworfen, wie die Rechtsvorschriften zielgerichteter gestaltet werden können und ob sie verschärft oder eingeschränkt werden sollten. Und ich freue mich, dass dieses Anliegen im Europäischen Parlament, in der Kommission und im Rat gebührende Beachtung findet. Wenn ich von „besseren Rechtsvorschriften“ spreche, möchte ich damit nicht zwangsläufig sagen, dass wir weniger Rechtsvorschriften brauchen. In einigen Fällen sind, gerade weil wir eine Union sind, eine gewisse Harmonisierung und mehr Rechtsvorschriften notwendig, bisweilen sogar um die bestehenden Rechtsvorschriften zu harmonisieren oder zu vereinfachen. Doch ich möchte hervorheben, dass wir uns Sorgen über die Qualität der Rechtsvorschriften machen, und dies schlägt sich in unserem Programm nieder. Daher wird sich die Gewichtung der Faktoren wie Kosten, Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität, die wir bei der Folgenabschätzung berücksichtigen, wie ein roter Faden durch unsere gesamte Aktion ziehen.

Aus diesem Grund, und hier möchte ich ansatzweise auf die Anmerkungen des Herrn Abgeordneten Goebbels eingehen, mussten wir natürlich eine Liste mit unseren wichtigsten Zielsetzungen aufstellen. Dabei handelt es sich um ein Durchführungsprogramm für das laufende Jahr. Sie würden uns ohne Zweifel kritisieren, wenn ich nur vier oder fünf Schwerpunkte präsentieren würde. Die politische Linie ist eine Sache, und in diesem Zusammenhang handelt es sich um eindeutige und zielgerichtete Prioritäten, die wir im Zuge der Vorstellung der strategischen Zielsetzungen festgelegt haben. Eine andere Sache ist das konkrete Legislativ- und Arbeitsprogramm, das Sie kennen müssen, um unser Vorgehen kontrollieren zu können, denn die Kommission ist diesem Parlament zu Rechenschaft verpflichtet.

Zu einer weiteren konkreten Frage, dem Klimawandel, möchte ich Ihnen, Frau Beer, sagen, dass ich Präsident Bush morgen ganz sicher auf diese Frage ansprechen will und dass eines der Themen auf unserer Tagesordnung eine mögliche Zusammenarbeit mit den USA ist, auch mit Blick auf die Zeit nach Kyoto. Dies ist ein schwieriges Thema. Wir kennen die bisherigen Standpunkte der US-Regierung, aber meines Erachtens ist es angebracht, zu dieser Frage einen Dialog mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu führen. Ich werde vermutlich Gelegenheit haben, diese Frage gegenüber dem Präsidenten der Vereinigten Staaten anzusprechen.

Was gegenwärtig die Dienstleistungsrichtlinie anbelangt, möchte ich Ihnen sagen und ganz konkret auf die Frage von Herrn Swoboda antworten, dass ich Ihre Sorgen im Zusammenhang mit den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse teile. Ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen: die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, einige öffentliche Dienstleistungen gehören in einigen Staaten zu einer Art Tradition und Organisationskultur. Und eben daher versuchen wir, diesen Bedenken, die wir als legitim erachten, Rechnung zu tragen.

Aus diesem Grund hat meine Kommission die Initiative ergriffen, einige Aspekte der Dienstleistungsrichtlinie zu überarbeiten, und ich denke, dies verdient Ihre Anerkennung. Doch genau das Gegenteil muss ich von Ihnen hören, wenn Sie die Kommission als neoliberal bezeichnen, obwohl nicht sie es war, die diese Richtlinie vorgelegt hat. Wir bemühen uns ganz eindeutig um Ausgewogenheit, ohne dabei das Ziel außer Augen zu lassen, einen wirklichen Binnenmarkt für Dienstleistungen zu errichten, da dieser für die Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa von grundlegender Bedeutung ist. Dieses Ziel, das wir nicht aufgeben können und auf das wir uns bereits bis 2010 geeinigt haben, muss unter Wahrung des nötigen Gleichgewichts verfolgt werden. Diese grundlegende politische Frage möchte ich unseren sozialdemokratischen Freunden in Europa und insbesondere Herrn Schultz stellen, der sie aufgeworfen hat.

Sie müssen sich entscheiden: entweder wollen Sie sich der Kommission widersetzen oder Sie wollen mit ihr zusammenarbeiten. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass die Kommission mit dem Parlament im Geiste der Kooperation und der positiven Partnerschaft zusammenarbeiten möchte, insbesondere mit all denen, die Europa wirklich voranbringen wollen, was kein neoliberales Konzept ist.

Zu diesen Vorschlägen, die ich hier vorgebracht habe, wurde Einvernehmen erzielt. In der Kommission sind Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale vertreten. Die Lissabonner Agenda wurde der Kommission durch mich und Vizepräsident Verheugen vorgestellt, der Ihrer politischen Familie angehört. Das heute von mir dargelegte Programm wurde von mir und von Vizepräsidentin Wallström vorgestellt, die Ihrer politischen Familie angehört.

Wir wollen nicht dogmatisch sein; wir wollen diejenigen Europäer zusammenbringen, die Reformen zugunsten von Europa anstreben, doch wir wollen die Reformen nicht aufgeben. Wenn es innerhalb der Kommission möglich war, all diese Entscheidungen einstimmig zu treffen – obgleich es Gegenstimmen und Meinungsverschiedenheiten hätte geben können –, wenn Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Unabhängige einen Konsens erzielt haben, warum ist dies hier im Europäischen Parlament nicht möglich und warum können wir uns nicht auf ein ehrgeiziges Reformprogramm für unser Europa verständigen, in dem soziale und ökologische Belange berücksichtigt werden? Zeichnen Sie doch nicht ein Zerrbild unserer Kommission. Das ist nicht fair.

(Beifall)

Wenn Sie die Liste unserer Zielvorgaben betrachten, werden Sie darin eine Reihe konkreter Vorschläge im Sozial- und Umweltbereich finden. Uns ist sehr wohl bewusst, dass Wachstum heute ohne Berücksichtigung von Umweltbelangen nicht möglich ist. Ganz im Gegenteil sind wir der Ansicht, dass die Umwelt zum Wachstum und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa beiträgt. Bitte rennen Sie keine offenen Türen ein, denn wir sind uns in dieser Frage einig. Unser Ziel ist es, zu vermitteln, dass der Status quo heute keine Option mehr ist und dass Europa im Vergleich zu anderen Regionen der Welt mit gravierenden Wettbewerbsproblemen zu kämpfen hat und wir unser Sozialmodell anpassen und erneuern wollen, indem wir es festigen. Daher hat die Kommission einen Präsidenten, der sich für eine Reform einsetzt, aber auch Mitglieder aus den Reihen der Sozialdemokraten, der Liberalen, der Christdemokraten, der Unabhängigen, die ebenfalls allesamt diese Reform befürworten, bei der Ausgewogenheit und Verhältnismäßigkeit gewahrt werden sollen.

Ich möchte daher die Sozialdemokraten auffordern, sich nicht in Opposition zur Kommission zu begeben: ganz im Gegenteil sollen sie mit uns zusammenarbeiten, und zwar kritisch, wie alle Fraktionen. Frau Grossetête, die der größten politischen Familie im Europäischen Parlament angehört, hat uns ebenfalls Erwartungen und Forderungen übermittelt, und dafür möchte ich ihr danken.

Als Europäer, die Sie sind und der ich bin, möchte ich Sie nun darauf aufmerksam machen, dass wir nicht irgendeinem Moment in der Geschichte Europas beiwohnen. Gestern haben wir das Ergebnis des Referendums in Spanien erfahren, und wir sind darüber sehr erfreut, aber auch in Frankreich wird es ein Referendum geben. In Großbritannien wird ein Referendum durchgeführt; ich habe heute mit Premierminister Tony Blair in London darüber gesprochen. Was denken Sie, erwarten die Europäer nun? Sie erwarten, dass die Institutionen zusammenarbeiten; sie kennen ich in den Feinheiten der Debatte oder der politischen Strategien der Fraktionen nicht so recht aus. Sie wollen wissen, ob die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Rat an einem Strang ziehen, ob sie sich tatsächlich für ihre Belange interessieren oder nicht.

In dieser Zeit, in der wichtige Referenden abgehalten werden, wäre es mehr als ungünstig, wenn die Bürger bei ihrem Blick auf Europa auf der einen Seite die Kommission, auf der anderen einige wichtige Fraktionen wie Ihre große europäische Familie der Sozialdemokraten sehen und ein Bild der Uneinigkeit erblicken! Dies ist der Appell, den ich bereits persönlich an einige von Ihnen gerichtet habe und wiederholen möchte. Natürlich geben wir nicht unsere Ideen auf, denn sie bedeuten uns viel, doch über diese Ideen hinaus ist es möglich, einen dynamischen Konsens zugunsten der Reformen zu erzielen, die Europa benötigt. Dies ist meines Erachtens tatsächlich möglich.

(Beifall)

Die letzte Frage bezieht sich auf die von Ihnen, Herr Schulz, formulierte Kritik an meiner Erklärung zu meinem Heimatland. In diesem Zusammenhang habe ich, wie Sie bereits eingeräumt haben, nicht gegen meine Verpflichtungen verstoßen, weil aus dem Verhaltenskodex der Kommission eindeutig hervorgeht, dass ihre Mitglieder in Parteien und Gewerkschaften aktiv sein können. Ich habe mich also korrekt verhalten. Ich habe mich darauf beschränkt, meine Solidarität mit der Partei auszudrücken, deren Vorsitzender ich mehrere Jahre lang war. In meiner Heimat wäre es ein politisches Ereignis gewesen, wenn ich geschwiegen hätte! Ich möchte Sie also bitten, diese Frage nicht als persönlichen Angriff auf den von mir vertretenen Standpunkt zu formulieren, der völlig legitim war.

Sie haben die Möglichkeit einer Überarbeitung des Verhaltenskodexes in der Interinstitutionellen Vereinbarung angesprochen. Ich möchte hervorheben, dass ich eindeutig gegen diesen Gedanken bin, denn unser Verhaltenskodex legt fest, dass die Kommissionsmitglieder an einem Wahlkampf teilnehmen können, wenn sie die Erlaubnis des Kommissionspräsidenten einholen. Ihre Frage lautet nun: was macht der Kommissionspräsident? Ich gehe davon aus, dass der Kommissionspräsident, wenn er die Beteiligung von Kommissionsmitgliedern ablehnen oder zulassen kann, dies auch für sich selbst tun kann. Dies geht eindeutig aus Artikel 217 des Vertrags hervor, den ich auf Englisch vorlesen muss:

(EN) The members of the Commission shall carry out duties devolved upon them by the President under his authority.

(FR) Der Vertrag legt also eindeutig den Grundsatz der politischen Führung des Kollegiums durch den Präsidenten und den Grundsatz der Autorität des Präsidenten fest. Demnach stünde eine Einschränkung der Autorität des Präsidenten auf dem Wege einer institutionellen Vereinbarung im Widerspruch zum Vertrag in seiner derzeitigen Form, und mit einer Einschränkung der Autorität des Kommissionspräsidenten würde auch die Autorität der Kommission geschwächt.

Wir benötigen eine starke Kommission. Aus diesem Grund halte ich Ihren Vorschlag nicht für gut. Ich möchte die Aufmerksamkeit aller politischen Familien auf die Tatsache lenken, dass wir, das Europäische Parlament und die Kommission, uns gegenseitig stärken müssen. Wir sind die europäischen Institutionen im eigentlichen Sinne, wir können gemeinsam große Dinge vollbringen und müssen uns daher gegenseitig achten. Ich persönlich bin darum bemüht, in all meinen öffentlichen Erklärungen die Rolle des Europäischen Parlaments zu würdigen, und nicht nur in meinen Erklärungen. Von Ihnen erwarte ich dasselbe, denn vor uns stehen große Aufgaben, die wir gemeinsam bewältigen müssen, und gemeinsam können wir erfolgreich sein. Dies ist jedoch nicht möglich, wenn die Bedeutung der Kommission beschnitten wird, wenn man von den Kommissionsmitgliedern verlangt, dass sie als Beamte auftreten, gleichzeitig aber davon ausgeht, dass sie ihrer politischen Verantwortung gerecht werden, ihr Heimatland vertreten und ihre Meinung zum Ausdruck bringen, und all dies natürlich im Sinne Europas. Als Bürger ist es mein Recht, eine Meinung über meine Heimat zu äußern, ich habe wie alle Unionsbürger das Recht, auf der Grundlage meiner Überzeugungen zu wählen.

Als Kommissionspräsident nehme ich keine Diskriminierung vor. Übrigens habe ich auf Ihren Wunsch den Führer der Opposition empfangen, der in meiner Heimat Premierminister werden wird. Ich habe ihn einige Tage vor Wahlkampfbeginn empfangen, denn als Kommissionspräsident nutze ich meine Position nicht gegen eine Regierung, und ich mache keinen Unterschied zwischen linken und rechten Regierungen. Ich vertrete die Auffassung, dass die Kommission das Interesse der europäischen Allgemeinheit vertreten sollte.

Vor diesem Hintergrund sei gesagt, dass die Kommissionsmitglieder Politiker und Politikerinnen sind. Einigen in diesem Saal mag dies nicht gefallen. Doch als Bürger verfügen wir über Rechte, wir haben das Recht auf Meinungsäußerung, das ein Grundrecht ist. Daher kann ich Ihre diesbezügliche Kritik nicht akzeptieren. Ich möchte betonen, dass wir alle starke europäische Institutionen benötigen, und unsere Institution, die Kommission, muss stark sein und mit einem starken Parlament zusammenarbeiten, das sich mit Entschlossenheit um Veränderungen und Reformen bemüht und dabei das Gleichgewicht einhält, auf dem unser Europa gründet.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. Ich habe zum Abschluss der Aussprache sechs Entschließungsanträge gemäß Artikel 103 der Geschäftsordnung erhalten.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr statt.

 

14. Weltsozialforum, Weltwirtschaftsforum
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Erklärung der Kommission zum Weltsozialforum und zum Weltwirtschaftsforum.

 
  
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  Barroso, Präsident der Kommission. (EN) Herr Präsident! Vielleicht verstoße ich heute Abend gegen die Arbeitszeitrichtlinie!

In den kommenden Jahren werden wir vieles gemeinsam unternehmen und dadurch vielleicht die Welt, in der wir leben, mitgestalten. Dies ist eine einzigartige Chance, um ein einzigartiges Phänomen anzugehen. Die Folgen der Globalisierung sowohl in der Heimat als auch weltweit zu bewältigen, stellt eine noch nie da gewesene Herausforderung dar. Wenn wir es richtig anstellen, können wir Milliarden von Menschen eine vernünftige Chance im Leben bieten, indem wir extremer Armut sowie Krankheit und Hunger den Kampf ansagen, eine verantwortungsvolle Regierungsführung fördern und Entwicklung und Eingliederung unterstützen, wenn die Strukturen und finanziellen Mittel vorhanden sind, um dies zu bewerkstelligen. Gelingt uns das nicht, legen wir den Keim zu anhaltender Ungerechtigkeit, Teilung und Instabilität. Aus diesem Grund hat diese Kommission ein Programm vorgeschlagen, das für Europa genauso wichtig ist wie für unsere Partner auf der ganzen Welt. Es zielt darauf ab, Wohlstand zu verbreiten, Solidarität zu stärken und Sicherheit zu bieten.

Wir müssen nach innen wie auch nach außen reagieren. Innerhalb der Union müssen wir den Zusammenhalt vorantreiben und das Potenzial unserer jüngsten wie auch der künftigen Erweiterungen voll ausschöpfen. Im Rahmen unserer Sozialagenda müssen wir weiterhin Ausgrenzung und Armut bekämpfen; wir müssen mehr Menschen dabei helfen, in einer dynamischen und wachsenden Wirtschaft Arbeit zu finden; wir müssen Einstellungen und Verhaltensweisen ändern und uns für unser Ziel einer nachhaltigen Entwicklung einsetzen, indem wir ehrgeizige Maßnahmen ergreifen. Außerhalb der Union müssen wir die Millenniums-Entwicklungsziele mit neuem Elan und neuer Phantasie weiterverfolgen. Die Erzeugung dieses neuen Impulses ist ein wesentliches Ziel unserer laufenden Überprüfung der nachhaltigen Entwicklung und stellt sicher, dass unser innen- und außenpolitisches Vorgehen besser abgestimmt wird.

Die gemeinsamen Werte und Erfahrungen von uns Europäern können für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Milliarden Menschen rund um den Globus eine treibende Kraft sein. Unser einzigartiges Modell der Zusammenarbeit dient der regionalen Zusammenarbeit, beispielsweise der Entwicklung der Afrikanischen Union, als Vorbild. Es sorgt dafür, dass unsere Stimme gehört wird, wenn es um die Reform internationaler Institutionen geht.

In der letzten Woche trat das Kyoto-Protokoll in Kraft. Kyoto ist ein gutes Beispiel für unsere Fähigkeit, in die Gestaltung globaler Entwicklungen eine europäische Perspektive einzubringen. Mit Kyoto und den Millenniums-Entwicklungszielen offenbart sich auch deutlich das Dilemma, vor dem wir stehen. Wir müssen auf globaler Ebene wirksam vorgehen, jedoch müssen wir auch in den Ländern und der Zivilgesellschaft breite Unterstützung für unsere vorgeschlagenen Maßnahmen suchen.

Hier nimmt die neue Form der globalen Ordnungspolitik konkret Gestalt an. Sie manifestiert sich in unseren formellen Zusammenkünften im Rahmen der WTO, der Weltbank und der G8 ebenso wie in den eher informellen Treffen, die das Weltsozialforum oder das Weltwirtschaftsforum darstellen. Darum begrüße ich unsere heutige Aussprache.

Sowohl Porto Alegre als auch Davos stehen symbolhaft für den großen Nutzen, den die Globalisierung bringt: Wir können uns auf internationaler Ebene in einen kontinuierlichen Dialog darüber einbringen, was für eine Gesellschaft wir wollen. Durch diese Möglichkeit können mehr Menschen bei der Gestaltung unserer Zukunft mitbestimmen. Auch wenn solche Treffen nicht unbedingt einen politischen Zeitplan vorsehen, fungieren sie doch als Resonanzboden für ein breites Meinungsspektrum.

Lassen Sie mich auf die Ereignisse in Davos und Porto Alegre näher eingehen. Ich habe dieses Jahr an der Veranstaltung in Davos teilgenommen; ich hoffe, dass sich die Kommission nächstes Jahr den 150 000 Menschen anschließen wird, die am Weltsozialforum teilnehmen werden. In Davos hatte ich das Glück, mit Brasiliens Staatspräsident Lula, einem guten Freund von mir, ausführlich über Porto Alegre zu sprechen. Ich habe großen Respekt vor seiner Vision und seinem Engagement für eine funktionierende Globalisierung und den Abbau der globalen Ungleichheiten. Unsere Gespräche vermittelten mir einen Eindruck von der Stimmung in Porto Alegre. Was mich vor allem erstaunte, ist, wie sehr sich die Programme beider Veranstaltungen immer stärker annähern. Davos war keine Brutstätte des Neoliberalismus, ebenso wenig war Porto Alegre schlicht eine Anti-Davos-Demonstration.

Unsere Gespräche konzentrierten sich unter anderem auf die Armutsbekämpfung, die Lage in Afrika, die Rolle des Handels und der wirtschaftlichen Dynamik bei der Verbreitung von Wohlstand und Chancen, die Notwendigkeit einer nachhaltig gestalteten globalen Entwicklung und die Herausforderung der globalen Sicherheit. Aus dem, was ich hörte, konnte ich einige Lehren ziehen.

Erstens sollten wir nicht verkennen, dass das jeweilige Publikum – trotz der sich annähernden Programme – die behandelten Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. So ist die Zivilgesellschaft auf dem Weltwirtschaftsforum immer stärker vertreten, und das Teilnehmerspektrum des Weltsozialforums wird immer größer.

Aus Davos habe ich zwei Schlüsselbotschaften mitgenommen. Erstens müssen wir gemeinsam handeln, um globale Probleme, die von der Armut und Entwicklung bis hin zum Klimawandel reichen, zu lösen. Mit Stolz konnte ich feststellen, dass europäische Staatsoberhäupter wie Jacques Chirac, Tony Blair und Gerhard Schröder sich bereit zeigten, das Tempo vorzugeben. Sie ergriffen die Initiative und schlugen einige wichtige Ideen vor.

Zweitens müssen wir die wirtschaftliche Dynamik ankurbeln, um rund um den Globus Reformen in Gang zu setzen, und zwar nicht als Selbstzweck, sondern als bestes Mittel, um mehr Menschen die Chance auf ein würdiges Leben zu bieten. Wir können die Globalisierung in einen Vorteil umkehren. Eine europäische Führungsrolle ist gefordert, um die Herausforderungen der Globalisierung anzunehmen.

Europa kann letztlich eine Menge unternehmen, doch können wir sicher mehr erreichen, wenn wir es schaffen, mit anderen Partnern gemeinsam zu handeln, um globale Herausforderungen zu meistern. Dies ist die Botschaft, die ich morgen Präsident Bush übermitteln werde.

(FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir müssen Möglichkeiten finden, damit das Engagement der Teilnehmer am Weltwirtschaftsforum und am Weltsozialforum Früchte trägt. Europa muss sich um einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Ansichten von den möglichen Auswirkungen der Globalisierung bemühen. In diesem Zusammenhang möchte ich einige mögliche Antworten formulieren.

Zunächst ist die Europäische Union ein ehrgeiziger Akteur auf internationaler Ebene und soll dies auch bleiben. Sie verfügt über den größten Binnenmarkt. Ihr Bruttoinlandsprodukt ist das weltweit höchste, und sie ist der weltweit wichtigste Akteur im internationalen Handel. Wir, die Europäische Union, sind der größte Geber internationaler Hilfe, und wie die Tsunami-Katastrophe gezeigt hat, sind wir bereit, uns solidarisch zu zeigen. Insbesondere dank des Euro sind wir ein wichtiger Partner der internationalen finanziellen Beziehungen. Wir müssen unser Netzwerk bilateraler Beziehungen dafür einsetzen, Fortschritte zu erzielen, Veränderungen zu begünstigen und die Achtung der Grundrechte und Grundfreiheiten zu fördern.

Wenn wir erkennen, dass wir ein internationaler Akteur sind und das Ziel haben, eine zentrale Rolle zu spielen, dann folgt daraus, dass wir uns um einen wirksamen Multilateralismus bemühen müssen. Wir müssen weiterhin die Entwicklung einer Weltordnung unterstützen, die auf den geltenden Rechtsvorschriften basiert, die wiederum jedoch nicht ausschließlich den Interessen der reichen Länder des Westens dienen dürfen. Wir müssen unsere Solidarität unter Beweis stellen.

Deshalb bekunden wir unser Engagement gegenüber den Vereinten Nationen und unsere Entschlossenheit, nach kreativen internationalen Lösungen zu suchen, um die Zukunftsaussichten in Afrika zu verbessern – wie ich bereits gesagt habe, wird Afrika im Mittelpunkt unserer Tätigkeit stehen – sowie uns entschieden um einen schnellen Abschluss der Entwicklungsrunde von Doha bemühen wollen.

Schließlich muss die Europäische Union eine Vielzahl politischer Instrumente einsetzen, um das Schicksal unserer Nachbarn in der Welt zu verbessern. Wir müssen die neuen Möglichkeiten, die uns durch die Verfassung mit der Ernennung eines Außenministers und eines Europäischen Dienstes für die Außenvertretung geboten sein werden, bestmöglich nutzen.

Doch wir müssen unsere Aufmerksamkeit auch auf die Prioritäten lenken und konkrete Ergebnisse erzielen. Diese Ziele werden sich in den Initiativen widerspiegeln, die wir ergreifen werden, wie etwa die Reform der Leitlinien der Gemeinschaft für nachhaltige Entwicklung und die Überarbeitung der Millenniums-Entwicklungsziele. Sie sind bereits Teil der Partnerschaft der Europäischen Union für Wachstum und Beschäftigung, die ich zu Beginn des Monats ins Leben gerufen habe.

Ich möchte nun schließen, Herr Präsident, meine Damen und Herren. Die Europäische Union ist ein internationaler Akteur. Wir müssen der damit verbundenen Verantwortung gerecht werden, uns aktiv um die Ausarbeitung einer neuen Weltordnung bemühen und eine internationale Regierungsführung auf rechtsstaatlicher Grundlage unterstützen. Europa kann einen ganz spezifischen Beitrag leisten. Wir müssen die Europäische Union als zivile Kraft stärken. Wir müssen die weltweite Verbreitung der Konzepte von Frieden und Demokratie und der Grundsätze der Marktwirtschaft gewährleisten: die Grundsätze offener Gesellschaften. Wir verfügen über die erforderlichen Instrumente, um tatsächliche Veränderungen zu bewirken.

Dementsprechend muss die Europäische Union den Hoffnungen gerecht werden, die unsere Bürger wie auch unsere internationalen Partner in uns setzen, sei es in Davos oder in Porto Alegre.

 
  
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  Deva (PPE-DE), im Namen der PPE-DE-Fraktion. (EN) Herr Präsident! Vorhin hörten wir eine hervorragende Rede des Kommissionspräsidenten darüber, wie wir zusammenarbeiten und kooperieren müssen, um Europa zum wettbewerbsfähigsten und wirtschaftlich florierendsten Wirtschaftsraum auf dem Globus zu machen. Wir stehen vor Herausforderungen aus China, Indien, Brasilien und anderen Ländern. Wir haben den Fanfarenstoß des Präsidenten gehört, der uns aufforderte, die alten Muster über Bord zu werfen und neue zu entwickeln, um im Wettbewerb mithalten zu können.

In diesem Zusammenhang möchte ich sagen, dass auch wir das Weltwirtschaftsforum für einen riesigen Erfolg halten, da Vertreter aus Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft weltweit es geschafft haben, sich auf ein kohärentes Paket von Handlungsgrundsätzen zu einigen: Der Welthandel soll mit der nachhaltigen Entwicklung in Einklang gebracht werden. Viele davon - wie etwa die konkreten Maßnahmen zur Handelsliberalisierung und zur Beschleunigung der Hilfe für die ärmsten Länder werden einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele leisten. Ich möchte bei dieser Gelegenheit all denen gratulieren, die am Weltwirtschaftsforum beteiligt waren.

An dieser Stelle muss ich allerdings auch, und zwar weniger diplomatisch als der Kommissionspräsident, einige Bemerkungen zum Weltsozialforum machen, das sich vergleichsweise als eher enttäuschend erwies. Armutsverringerung ist das wichtigste der Millenniums-Entwicklungsziele, und da es für die Teilnehmer am Weltsozialforum eines der Hauptziele war, hätte man erwarten können, dass das Forum konkrete Empfehlungen hervorbringt, wie dies erreicht werden könnte.

Selbst Journalisten, die das Weltsozialforum im Allgemeinen begrüßten, mussten eingestehen, dass sein grundlegendes Ziel nicht darin bestand, ein einheitliches Papier mit konkreten Ideen hervorzubringen, weil man fürchtete, die Meinungsvielfalt zu ersticken, und dass die erarbeiteten Vorschläge viele Widersprüche enthalten. Wir im Europäischen Parlament achten die Vielfalt und möchten die Standpunkte der Sozialexperten der Welt als Teil unserer Zusage, die Millenniums-Entwicklungsziele zu erreichen, natürlich hören. Doch können wir freilich nicht beides gleichzeitig – das eine und sein ganzes Gegenteil. Deshalb möchte ich zu mehr einheitlichen Vorschlägen des Weltsozialforums in der Hoffnung aufrufen, dass dadurch diese Ziele schneller und ohne weitere Zeitverschwendung erreicht werden.

In dieser Hinsicht war ich auch enttäuscht darüber, dass wir als Europäisches Parlament, wie der Kommissionspräsident bereits sagte, nur mit sehr wenigen Personen auf dem Weltwirtschaftsforum vertreten waren, obwohl wir doch den größten Wirtschaftsraum bilden. Sind diejenigen, die diese Dinge veranstalten, nicht der Auffassung, dass die gewählten Vertreter der Menschen in Europa im Entscheidungsprozess des Weltwirtschaftsforums auch wichtig sind?

 
  
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  Désir (PSE), im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, zunächst möchte ich meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass eine Aussprache mit der Kommission, vertreten durch Sie persönlich, Herr Kommissionspräsident, in diesem Parlament am Tag nach dem Weltsozialforum und dem Weltwirtschaftsforum stattfinden kann. Meines Erachtens ist dies ein Zeichen der Anerkennung, die unser Haus dem Weltsozialforum entgegenbringt, das zum Zeitpunkt seiner Einrichtung von vielen als nutzlose Versammlung von Globalisierungsgegnern bezeichnet wurde.

In Wirklichkeit haben die Sozialforen und die sie tragenden Bewegungen die Globalisierungsdebatte völlig verändert. Zahlreiche Themen und positive Anregungen fanden Verbreitung, die heute in allen internationalen Instanzen und zunehmend sogar auf dem Weltwirtschaftsforum von Davos erörtert werden. Dabei denke ich an den Zugang zu globalen öffentlichen Gütern, die Einführung internationaler Steuern, den Schuldenerlass oder auch die Reform und notwendige Transparenz der internationalen Finanzinstitutionen.

Ein weiterer wichtiger Beitrag der Sozialforen bestand meines Erachtens darin, dass die Kritik an der ungezügelten Globalisierung und den damit einhergehenden wirtschaftlichen und sozialen Ungerechtigkeiten sowie ihren häufig zerstörerischen Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht des Planeten weder Teil der Illusion ist, dass nationale oder eigenständige Lösungen gefunden werden müssen, noch der Ablehnung des Konzepts der Globalisierung als solches, sondern der Überzeugung, dass die Globalisierung und ihre Regeln und Institutionen neu gestaltet werden müssen, um eine andere Globalisierung zu ermöglichen, eine Globalisierung der Solidarität, der demokratischen Errungenschaften, der Menschenrechte, eine Globalisierung, die das Recht aller Völker auf Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden sichert.

Für die Europäische Union bildet diese neue internationale Zivilgesellschaft einen wichtigen Ausgangspunkt, denn ihre Bestrebungen entsprechen den Zielen, die sich die Union selbst auf internationaler Ebene gesetzt hat. Dennoch reicht es nicht aus, sich über ihr Entstehen zu freuen, ihre Forderungen und ihre Bestrebungen müssen sich auch konkret in unseren Politiken und unseren Entscheidungen widerspiegeln. Wir müssen also zeigen, dass Europa tatsächlich um Veränderungen bemüht ist, wie Sie gesagt haben. Wir müssen unter Beweis stellen – und dies tun wir auch in einigen Bereichen, etwa beim Kyoto-Protokoll, das Sie genannt haben -, dass wir tatsächlich in der Lage sind, die internationale Politik zu verändern.

Im sozialen Bereich wie auf anderen Gebieten, beispielsweise in den Bereichen, die wir gerade erörtert haben, reichen Liebeserklärungen nicht aus, wir benötigen auch Liebesbeweise. Bisher sind 21 Mitgliedstaaten nach wie vor nicht ihrem Versprechen nachgekommen, die Entwicklungshilfe auf 0,7 % des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Wir sprechen heute von einer internationalen Steuer. Ich begrüße dies, und zahlreiche Mitgliedstaaten haben die New Yorker Erklärung vom September 2004 unterzeichnet, doch leider wird die Ablehnung einiger Länder als Vorwand dafür genutzt, keine Entscheidung zu treffen.

Ich mache Ihnen daher folgenden Vorschlag. Die Kommission soll im Namen der Union und falls erforderlich auf dem Wege der verstärkten Zusammenarbeit diejenigen Mitgliedstaaten unterstützen, die sich einsetzen wollen, damit sie nicht durch die Vorbehalte einiger Staaten daran gehindert werden, unverzüglich eine Steuer zugunsten der internationalen Entwicklungsfinanzierung einzuführen. Sie könnte dem Kampf gegen Aids dienen, denn aus einem aktuellen Ratsdokument geht hervor, dass in den am meisten betroffenen Entwicklungsländern ein Fünftel der Erwerbsbevölkerung verschwinden wird, wenn nicht bis 2010 etwas unternommen wird. Ergreifen Sie die Initiative, Herr Kommissionspräsident! Stellen Sie unter Beweis, dass Europa tatsächlich vom Wort zur Tat schreiten kann!

 
  
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  Koch-Mehrin (ALDE), im Namen der ALDE-Fraktion. – Meine Damen und Herren! Das Treffen des World Economic Forum in Davos war ein voller Erfolg. Die globale Elite aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft hat klargemacht, dass sie sich ihrer Verantwortung für die weltweiten Probleme voll bewusst ist, und dass sie bereit ist, zu handeln. Bono, der Sänger der irischen Band U2, hat dies ganz pragmatisch ausgedrückt: Er sagte, wenn man Geld will, wenn man Hilfe will, muss man mit denen reden, die helfen können und Geld geben können. Deswegen ist das Treffen in Davos so wichtig und so gut: Es kommen dort eben genau diese Leute zusammen. Das Gleiche kann man nicht unbedingt vom Weltsozialforum sagen, und auch bei den Ergebnissen, kann man – glaube ich – sehr viel kritischer sein.

Meine Damen und Herren! Die Kritiker hat es vielleicht überrascht, aber die Hauptthemen in Davos waren Afrika, die Probleme der weltweit sich vergrößernden Armut, die Frage, wie man die Globalisierung so gestalten kann, dass alle etwas davon haben und wie man es schaffen kann, dass es einen fairen Welthandel gibt. Wir Liberalen sind davon überzeugt: Freihandel ist die beste Entwicklungshilfe. Freihandel ist das, was den Ländern, die sich entwickeln wollen, hilft, und Freihandel ist auch das, was die entwickelten Länder dazu anspornt, immer wettbewerbsfähiger zu werden.

Hier sollte die EU Vorreiter werden. Sie sollte sich vor allem Freihandel auf die Agenda schreiben und das besonders in den Bereichen, wo es noch Handelsbarrieren gibt, nämlich in der Agrarpolitik. Wir Liberalen sind auch strikt gegen jedwede Einführung einer globalen Steuer auf Finanztransaktionen. Wir helfen nicht denjenigen, die arm sind dabei reicher zu werden, indem wir uns selbst ärmer machen. Es ist auch eine Illusion zu glauben, dass man Solidarität dadurch steigert, indem man neue Steuern einführt, also sozusagen denen eine Finanzstrafe auferlegt, die eigentlich helfen sollen.

Nein, das eigentliche Mittel, um Solidarität zu schaffen, ist ein weltweiter Bewusstseinswandel und eben die Bereitschaft, andere Hilfsmaßnahmen zu ergreifen. Wir unterstützen daher und halten es für sehr sinnvoll, dass das Thema Schuldenerlass eine so zentrale Rolle gespielt hat, und wir glauben, dass man jenen Ländern, die sich auf dem Weg hin zu einer Demokratisierung bewegen, und die sich dafür einsetzen, eine nachhaltige und auch freie Wirtschaft einzuführen, einen vollständigen Schuldenerlass ermöglichen sollte.

Langfristige Wirkung haben solche Hilfen aber nur dann, wenn sie nicht einmalige Aktionen bleiben. Deswegen noch einmal: Freihandel ist das, was die Entwicklungsländer und auch die entwickelten Länder am meisten brauchen können und was uns weiterbringen wird. Wenn wir wollen, dass der Welthandel fairer wird, dann sollten wir vor allem darauf setzen, dass er freier wird.

 
  
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  Aubert (Verts/ALE), im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, es versteht sich von selbst, dass ich mich meiner Vorrednerin praktisch in keinem Punkt anschließen kann, und wie viele der Abgeordneten dieses Hauses habe ich am Weltsozialforum in Porto Alegre teilgenommen. Wir wollen jetzt keinen Wettbewerb veranstalten, wer die Armut am besten bekämpfen kann, sondern den Tatsachen ins Gesicht sehen.

Einerseits war das Weltsozialforum in diesem Jahr mit der beachtlichen Zahl von 155 000 Teilnehmern aus 135 Ländern ein großer Erfolg und hat einen neuen Ton angeschlagen, denn zu zahlreichen Themen – Gesellschaft, Umwelt, Wirtschaft, Finanzen – wurden Netzwerke gebildet, die hart und sachlich an einer Reihe von Vorschlägen gearbeitet haben, die zwar noch nicht ausgereift aber sehr realistisch sind.

Andererseits besteht das Weltsozialforum nicht nur aus NRO, sondern auch aus zahlreichen Abgeordneten – dem Forum der Parlamentarier –, lokalen Volksvertretern, die über die Politik der Gemeinden und der Gebietskörperschaften gesprochen haben, mit deren Hilfe die vielfältigen globalen Herausforderungen bewältigt werden sollen, vor denen wir stehen. Auch die Jugend war zahlreich vertreten und hat sich dynamisch, enthusiastisch und tatkräftig gezeigt, und ich denke, eine solche Energie und Tatkraft kann man nicht einfach so vom Tisch wischen.

Das Weltsozialforum verfolgt in Wirklichkeit zwei Ziele. Erstens soll vermittelt werden, dass der Freihandel keine Antwort auf die sich immer weiter verschärfenden sozialen Ungleichheiten sein kann. Sie verschärfen sich nicht, weil aus heiterem Himmel ein Unglück geschieht, sondern weil die politischen Strategien, die seit einigen Jahren im Bereich der strukturellen Anpassung und des Abbaus der öffentlichen Ausgaben verfolgt werden, zu einer Zunahme der Ungleichheiten und der Armut, zu mehr Umweltschäden und einer größeren Zerstörung des Planeten insgesamt geführt haben.

Zweitens gilt es, eine Alternative zum gegenwärtigen Entwicklungsmodell vorzulegen und den Versuchen entgegenzutreten, das Ziel des internationalen Freihandels als Allheilmittel und Wunderlösung für alle Probleme zu präsentieren. Dies trifft eindeutig nicht zu. Alle Organisationen der Vereinten Nationen verweisen darauf, dass sich die aktuelle Lage verschlimmert hat.

Schließlich müssen wir, ganz gleich ob in Porto Alegre oder in Davos, konkret sein. Wir dürfen uns nicht mehr mit Worten, Meinungen, Bildern abspeisen lassen. Wir benötigen eindeutige und konkrete Verpflichtungen und einen Zeitrahmen. Herr Kommissionspräsident, dies erwarten wir auch von Ihnen: nicht nur gute Absichten, Millenniums-Entwicklungsziele, sondern ganz konkrete Vorschläge, denn Sie und Ihre Kommission sind mit uns zusammen in der Lage, Entscheidungen zu treffen.

 
  
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  Pflüger (GUE/NGL), im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Ich begrüße zuerst einmal diese Debatte, weil ich glaube, dass sie dringend notwendig ist. Allerdings habe ich sehr viel Wortgeklüngel gehört, insbesondere von Ihnen, Herr Barroso. Aber es liegt im Trend, Worte zu benutzen, die schön klingen, und dennoch die gleiche Politik zu machen wie bisher – das ist relativ typisch für das Weltwirtschaftsforum in Davos. Der bekannte Wissenschaftler Elmar Altvater hat das Weltwirtschaftsforum als das bezeichnet, als was ich es auch bezeichnen würde: eine große Showveranstaltung, bei der leider nicht sehr viel rauskommt.

Interessant ist aber, dass sich die Begriffe und die Themen dort geändert haben. Wir können so weit gehen, zu sagen: Die Kritiker bestimmen zunehmend auch die Agenda dieses Weltwirtschaftsforums. Diese Kritiker haben sich beim Weltsozialforum in Porto Alegre getroffen – 150 000 Menschen, die debattiert und gegen neoliberale und neoimperiale Politik protestiert haben.

Die Sozialforumsbewegung ist wesentlich, sowohl für die globalisierungskritische als auch für die Antikriegsbewegung. Es ist dort eine ganze Reihe von sehr konkreten Debatten geführt worden: Menschenrechte für alle, nicht nur für diejenigen in den westlichen Staaten, Verteidigung von Gemeingütern, gegen Sozialabbau, gegen Krieg, gegen Verschuldung – in diesem Zusammenhang: Wo ist endlich die Schuldenstreichung für die Staaten, die vom Tsunami betroffen sind? – und gegen Armut. Ökologische Fragen waren dort ebenfalls wesentlich auf der Tagesordnung. Ich habe zum Beispiel an einem Wasserforum teilgenommen.

Ich will eines klarstellen: Beim Weltsozialforum wurde nicht nur gegen die Politik der USA protestiert und deren Politik kritisiert, sondern auch Ihre Politik, die Politik der EU-Kommission und die Politik des EU-Rates. Das muss man sehr deutlich sagen. Dort verliert die Europäische Union immer mehr an Glaubwürdigkeit, weil sie inzwischen einen ähnlichen Weg wie die Vereinigten Staaten geht. Sie befindet sich quasi in den falschen Fußstapfen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltsozialforums haben eben nicht das Spiel gespielt, das wir hier vom EU-Rat, von der Kommission, aber auch von vielen Parlamentariern immer wieder erleben, nämlich mit dem Finger auf die USA zu zeigen und die eigene Politik schönzureden. Meine Frage ist: Ist so etwas wie die Bolkestein-Richtlinie ein Alternativangebot? Nein! Es ist ein neoliberales Konzept. Ist das, was wir im EU-Verfassungsvertrag lesen – die Festschreibung einer Aufrüstungsverpflichtung oder die offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb –, ein Alternativangebot? Nein!

Die EU ist ein globaler Akteur, haben Sie gesagt, Herr Barroso. Doch was für ein globaler Akteur? Das ist die zentrale Frage. Wir müssen klar sagen: Freihandel ist eben nicht das Rezept für eine angemessene Reaktion auf diese Politik, die wir derzeit haben. Was vielmehr passieren muss ist eine echte Entschuldung. Was passieren muss, ist, dass diese neoliberale, diese wirtschaftsliberale Politik beendet wird und dass das Ganze auch nicht von einer Militarisierung der Europäischen Union begleitet wird.

Ich will mit einem Zitat schließen, das dort verabschiedet wurde. Es heißt dort: Wir verlangen einen sofortigen Rückzug der Besatzungstruppen aus dem Irak und unterstützen alle Anstrengungen, sie nach Hause zu bringen. „Wir unterstützen Anstrengungen, die Soldaten, Kriegsdienstverweigerer und Familien von Militärs gegen den Krieg zu mobilisieren. Wir unterstützen Gegenrekrutierungskampagnen und verlangen politisches Asyl für Deserteure.“ Das ist eine klare Aussage.

 
  
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  Mann, Thomas (PPE-DE). – Herr Präsident! Globalisierung ist im Idealfall ein Schlüssel zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und verbesserten Lebensbedingungen. Die Realität aber sagt nicht nur in diesen Tagen etwas anderes aus. Umso wichtiger ist es, dass sich das Weltwirtschaftsforum in Davos und das Weltsozialforum in Porto Alegre regelmäßig mit den Methoden und Auswirkungen der Globalisierung befassen. So hat das jüngste Weltsozialforum über 350 Vorschläge zur Globalisierung erarbeitet. Ich hoffe, dass sich dieser Dschungel lichtet und auf einige wenige, dafür umso bedeutsamere Empfehlungen reduziert wird. Effektives Handeln braucht glasklares Grundlagendenken.

Das Weltwirtschaftsforum schlug drei Prioritäten vor: Reduktion von Treibhausgasen, mehr Mittel für die ärmsten Länder und die Abschaffung der Handelsbarrieren im Rahmen der WTO. Mir fehlt die corporate social responsibility, also die Verantwortung von Unternehmen, die von ihnen selbst ausgehen soll. Nicht nur ökonomisches Gewicht zählt für die Unternehmen, sondern auch das Ausmaß ihres gesellschaftlichen Handelns. Die führenden transnationalen Konzerne haben einen größeren Umsatz als die Haushalte der UNO-Mitgliedstaaten zusammen.

Ach, hätte doch Herr Ackermann vom global player Deutsche Bank diese Empfehlung gelesen! Er hätte bei der Verkündung einer Rendite von 16 % mit Sicherheit nicht im gleichen Atemzug angekündigt, über 6 000 weitere Stellen auszuradieren. Seine Methode - smart sourcing - wird vom Betroffenen übersetzt als Profitsucht gepaart mit Verantwortungslosigkeit. Es hat alle Chancen, das Unwort des Jahres 2005 zu werden.

Zurück zum Positiven. Sowohl das Weltsozialforum als auch das Weltwirtschaftsforum sind wichtige Plattformen für inspirierende Debatten. Deshalb halte ich es für notwendig, dass in Zukunft nicht nur der Präsident des Europäischen Parlaments daran teilnimmt, sondern auch die Vertreter unserer Fachausschüsse. Globale Eliten benötigen mehr denn je die Vertreter des Volkes.

 
  
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  De Rossa (PSE).(EN) Herr Präsident! Ich war bestürzt über die Äußerungen von Präsident Barroso zum Ende der Aussprache über das Programm seiner Präsidentschaft – insbesondere über die Rechtfertigung seiner Einmischung in die portugiesische Politik. Herr Barroso, Sie sind kein portugiesischer Politiker mehr; Sie sind ein europäischer Politiker, der von diesem Parlament und vom Rat aller Mitgliedstaaten ausgewählt wurde, um Europa zu repräsentieren. Sie können nicht als portugiesischer Politiker in die Innenpolitik eingreifen; das ist nicht hinnehmbar. Solange Sie das nicht begreifen, werden Sie die Kommission schwächen. Kritik an dieser Haltung wird die Kommission nicht schwächen, Ihr Vorgehen jedoch sehr wohl.

Dies ist im Hinblick auf die Frage, die wir gegenwärtig im Zusammenhang mit dem Weltsozialforum erörtern, nicht ganz unbedeutend. Unzählige Menschen auf der ganzen Welt blicken auf Europa als die einzige transnationale, demokratische Institution, die in der Lage ist, jene Kräfte im Zaum zu halten, die vor ihren Augen die Welt zerstören. Wenn Sie die Kommission nicht als ein Organ ansehen, das aus der nationalen Politik und Parteienlandschaft soweit heraustreten kann, dass es die auf dem Weltsozialforum ausgedrückte Hoffnung entscheidend mitformuliert, dann verschwenden wir hier unsere Zeit. Ich appelliere an Sie, sich immer bewusst zu machen, dass Sie Europa vertreten, nicht Portugal.

Um das Beispiel Dienstleistungsrichtlinie zu nennen – Sie sagen, dass Sie dem europäischen Sozialmodell verpflichtet sind. Wir wollen Ihren Worten erst einmal glauben, aber wir werden sie nicht auf Dauer akzeptieren. Wir brauchen ein konkretes Beispiel für Ihre Verpflichtung. Der einzige Weg, wie Sie meines Erachtens Ihre Verpflichtung unter Beweis stellen können, ist, das Herkunftslandprinzip herauszunehmen, das einen direkten Angriff auf das Europäische Sozialmodell und einen direkten Angriff auf die Solidarität und den gemeinschaftlichen Ansatz zur Entwicklung eines Europäischen Binnenmarktes darstellt.

Ich will einen Dienstleistungsbinnenmarkt, aber ich werde das Herkunftslandprinzip nicht akzeptieren, mit dem das Niveau bei den Sozialdiensten gesenkt und das Vertrauen untergraben wird, das Millionen von Menschen außerhalb Europas dahingehend in uns setzen, dass wir bei der Schaffung einer besseren Welt eine führende Rolle spielen.

 
  
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  Kułakowski (ALDE). (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte Herrn Barroso für seine Rede vor dem Hohen Haus danken. Ohne auf Einzelheiten eingehen zu wollen, würde ich gern eine Frage herausgreifen, die ich für sehr wichtig, in politischer Hinsicht vielleicht sogar für die wichtigste halte.

Es sind zwei Foren abgehalten worden, ein Wirtschaftsforum in der wohlhabenden Stadt Davos und ein Sozialforum in der armen Stadt Porto Alegre. Beunruhigend dabei ist, dass auf dem Wirtschaftsforum sozialen Fragen nicht genug Beachtung geschenkt wurde und dass sich das „soziale“ Forum zu einem Instrument entwickelt, um das Wirtschaftsforum in Frage zu stellen und sogar abzulehnen. Auf der Suche nach Lösungen für die Probleme der modernen Welt zeichnen sich zwei Vorgehensweisen ab. Bei der ersten wird nach Möglichkeiten gesucht, wie die Wirtschaft entwickelt werden kann, während bei der zweiten nach Wegen gesucht wird, wie das Erreichen sozialer Ziele gewährleistet werden kann, obwohl beide Fragen eng miteinander verknüpft sind. Wirtschaftliche und soziale Fragen getrennt zu diskutieren ist ein gravierendes Missverständnis. Deshalb bin ich der Ansicht, dass es in Zukunft anstelle zweier globaler Initiativen, die miteinander konkurrieren, ein einziges weltweites Wirtschafts- und Sozialforum geben sollte. Hier nämlich können die Europäische Union und insbesondere das Europäische Parlament und die Europäische Kommission Einfluss nehmen, indem sie sich künftig für ein solches Forum einsetzen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 
  
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  Schlyter (Verts/ALE). (SV) Herr Präsident! Herr Kommissionspräsident Barroso, wenn Sie die Arbeitszeitrichtlinien verletzen müssen, dann können Sie sich ja damit trösten, dass es jedenfalls in bester Absicht geschieht, nämlich für die Diskussion der globalen Gerechtigkeit und der Rolle der Zivilgesellschaft.

In Porto Alegre war ich einer von 155 000 Delegierten aus 135 Ländern. Zur gleichen Zeit trafen sich in Davos 20 Staatschefs und 70 Minister. Aber hat man in Davos überhaupt zugehört? Von einem theoretischen europäischen Standpunkt aus mag man vielleicht glauben, dass freier Handel, Kapitalismus und Liberalisierung die Lösung für die Entwicklungsprobleme darstellen.

Diese Theorie entspricht jedoch nicht dem Alltag von Millionen Menschen. Daher ist es an der Zeit, dass wir die Theorien an die Wirklichkeit anpassen und nicht umgekehrt. Der Handel muss endlich zu einem Instrument für die Menschen werden und nicht umgekehrt. Wir müssen aufhören, die Liberalisierung der Wasserversorgung und anderer sensibler Sektoren als Gegenleistung dafür zu fordern, dass wir bestimmte Länder gut behandeln.

Herr Kommissionspräsident, wenn Sie Präsident Bush und die Regierungschefs der EU treffen, können Sie sie ja an ihr 30 Jahre altes Versprechen erinnern, 0,7 % für Entwicklungshilfe auszugeben. Diese Entwicklungshilfe wäre nicht einmal nötig, wenn mehr von den Gewinnen aus der Produktion in den Entwicklungsländern auch dort verbleiben würde.

Sie sind herzlich zum nächsten Weltsozialforum eingeladen, das irgendwo in Afrika stattfinden wird. Ich kann Ihnen einige fair gehandelte, aus umweltfreundlichen Materialien gefertigte Kleidungsstücke leihen, so dass Sie einen Tag lang inkognito als gewöhnlicher Delegierter teilnehmen und die Stimmung dort hautnah erleben können, ohne dass Sicherheitskräfte einschreiten. Gerade die Freude und dieser Geist der Zusammenarbeit ohne hierarchische Strukturen, die bei allen Teilnehmern am Weltsozialforum zu spüren sind, geben doch Hoffnung für die Zukunft.

 
  
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  Karas (PPE-DE). Herr Kommissionspräsident, meine Damen und Herren! Die Debatte, die wir zuerst geführt haben, hat mit der jetzigen Debatte leider etwas gemeinsam. Es scheint, dass die Konfrontation und nicht die Kooperation im Mittelpunkt steht. Ich hätte gerne, dass das Weltwirtschaftsforum und das Weltsozialforum zusammengelegt werden, damit wir miteinander reden, statt übereinander.

Herr Kommissionspräsident! Sie haben gesagt, die EU ist ein global player. Ich meine, wir müssen erst vom global payer zum global player werden. Der morgige Tag ist dabei ein wichtiger, und ich wünsche Ihnen dafür alles Gute. Die EU ist gefordert, die Europäische Union trägt Verantwortung. Wir sind mitverantwortlich und abhängig, wir sind Beteiligte und Betroffene. Unser Verständnis von Grundfreiheiten und Menschenrechten, unsere Ablehnung der Todesstrafe, unsere Ablehnung von Kinderarbeit, unsere Ablehnung jeglicher Diskriminierung, unser Bild vom Menschen kennt keine Staats- und keine kontinentalen Grenzen. In diesem Sinne haben wir Verantwortung auch für das, was in der Welt geschieht.

Die Globalisierung verlangt nicht nur nach einer europäischen Antwort, sondern sie verlangt nach einer Debatte über ein globales Ordnungsmodell. Wir benötigen eine globale Ethik. Wir benötigen globale Grundsätze des Handelns, trotz der unterschiedlichen Kulturen. Und daher meine ich, dass wir für den Multilateralismus einzustehen haben, dass wir die Initiative für den globalen Marshall-Plan unterstützen und eine EU-Initiative für eine UNO-Konferenz ergreifen sollten, dass dieses Haus an die Kirchen der Welt appellieren sollte, eine Weltkirchenkonferenz einzuberufen und sich auf gemeinsame Grundsätze des Handelns zu einigen, und ich meine, dass das europäische Ordnungsmodell der ökosozialen Marktwirtschaft zu einer EU-Marke in der Welt werden könnte und wir damit einen Beitrag leisten würden, die vorhandenen unfairen Spielregeln der Weltwirtschaft zu ändern.

(Beifall)

 
  
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  Ford (PSE).(EN) Herr Präsident! Das Weltsozialforum wurde ursprünglich als Kontrapunkt zum Weltwirtschaftsforum in Davos ins Leben gerufen und hatte den Zweck, soziale Fragen auf die Globalisierungsagenda zu setzen. Bei dieser fünften Zusammenkunft nehmen über 150 000 Vertreter aus 150 Ländern teil, und auf den hunderten von Treffen stellen sich erstmals auch Vertreter des IWF und der Weltbank ihren Kritikern.

Diese beiden Institutionen müssen sich vorwerfen lassen, den ärmsten Ländern der Welt neokonservativen Wirtschaftsfundamentalismus aufzuzwingen. Die Hilfen enthalten die Giftpille der Konditionalität, die sie zu einer Öffnung der Märkte für die Privatisierung staatlichen Vermögens nötigt, und die Zwangsjacke monetaristischer Politik. Dieses Vorgehen ist völlig realitätsfern. Sollen sie doch einmal ein Land mit einer schwachen Wirtschaft nennen, das sich geöffnet hat und bei der Entwicklung seiner Wirtschaft erfolgreich war.

Die beiden jüngsten hoch gepriesenen Erfolgsgeschichten sind Indien und China, von denen keines ihren Vorgaben gefolgt ist. Beide Länder haben ihre junge, wachsende Industrie geschützt, bis sie in der Lage waren, in den globalen Markt einzutreten. Doch selbst in Indien gibt es eine Kehrseite. Seine Wirtschaft boomt, doch den Armen geht es schlecht. Im Jahr 2003 gab es in Indien 11 000 neue Millionäre, während 8 Millionen Menschen arbeitslos waren und 50 Millionen von weniger als einem Dollar täglich leben mussten.

Was ist zu tun? In den kommenden zehn Jahren werden 45 Millionen Kinder an armutsbedingten Krankheiten sterben, in Afrika wird es 12 Millionen AIDS-Waisen geben, und 100 Millionen Kinder werden völlige Analphabeten bleiben. Die Weltbank behauptet, dass sie lediglich die Wünsche der 147 Staaten befolgt, denen sie gehört – eine verbale Trickserei. Afrikanische Länder zwingen sich nicht selbst Auflagen auf, die Lateinamerikaner tun dies ebenso wenig. Es sind die G8-Industriestaaten, die Entscheidungen treffen und sich dabei oft von ihrer Selbstsucht leiten lassen.

Und doch legt die Tatsache, dass der IWF und die Weltbank nun, wenn sie schon nichts unternehmen, so doch wenigstens darüber reden, die Vermutung nahe, dass Druck aus der Bürgergesellschaft etwas bewirken kann. Die Weltbank nimmt Programme zur Armutsbekämpfung in ihre Pläne auf und äußert ihre Besorgnis über Länder wie Tansania, die mehr Geld für den Schuldendienst aufwenden als jeweils für Gesundheit oder Bildung.

China und Indien können erzwingen, dass diese Themen auf die Tagesordnung gesetzt werden, und die Tatsache, dass die Europäische Union mehr Stimmen im IWF hat als die Vereinigten Staaten, deutet darauf hin, dass der Slogan des Weltsozialforums „Eine andere Welt ist möglich“ verwirklicht werden kann: mit genug Willenskraft und politischem Engagement. Es liegt nun an den NRO und der Bürgergesellschaft, den europäischen Politikern entsprechend den Rücken zu stärken.

 
  
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  Maaten (ALDE). (NL) Herr Präsident! Ich bin davon überzeugt, dass alle Teilnehmer der Konferenzen in Davos und Porto Alegre, ob sie nun vor dem Hintergrund der Schweizer Berge oder der brasilianischen Küste versammelt waren, gemeinsam nur ein Ziel verfolgten, nämlich die Bekämpfung von Armut und die wirtschaftliche Entwicklung. Es freut mich daher sehr zu sehen, dass in Davos und in Porto Alegre die wesentliche Bedeutung der Liberalisierung des Welthandels erkannt wurde. Wirtschaftswachstum ist der Grundstein der Entwicklung in den Entwicklungsländern, ob es um den Umgang mit dem Klimawandel oder um die Gewährleistung guter Bildung geht. Ich kann deshalb nicht genug betonen, dass die kommende Doha-Runde ein Erfolg werden muss und dass der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten dabei eine Schlüsselrolle zukommt. Wer es mit der Unterstützung der Entwicklungsländer ernst meint, darf seine Augen nicht gegenüber Fehlentwicklungen vor der eigenen Haustür verschließen. Die europäischen Zollbarrieren sind meines Erachtens ein Beispiel dafür, wie es nicht sein sollte. Neben den positiven Aspekten sind jedoch auch einige negative Punkte zu nennen. Die Plädoyers für eine Zusatzsteuer auf grenzüberschreitende Finanztransaktionen, die berühmte Tobin-Steuer, befremden mich, ebenso die Zusatzsteuern für multinationale Unternehmen. Ich verspreche mir nichts von derartigen Maßnahmen. Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Wer angibt, einen freieren Welthandel anzustreben, darf nicht im gleichen Atemzug neue Regeln auferlegen.

Abschließend möchte ich meiner Verwunderung über diejenigen zum Ausdruck bringen, die einen bedingungslosen Schuldenerlass für die Entwicklungsländer befürworten. Nach Auffassung meiner Fraktion ist es schlichtweg inakzeptabel, dass dies ohne Bedingungen erfolgt. Wir meinen, dass Länder, die sich aktiv und erfolgreich um Demokratie und verantwortungsvolle Staatsführung bemühen, auf Unterstützung zählen dürfen, aber ohne einen entsprechenden Einsatz sollte kein Schuldennachlass gewährt werden. Die Prioritäten der Liberalen sind ein freierer Welthandel und die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung. Das ist der Weg zur Bekämpfung der Armut, und das ist gleichzeitig die Basis für ein leistungsfähiges und bezahlbares soziales Netz. In der Folge können wir auch eine umweltfreundlichere Politik verfolgen. Es stellt sich nämlich die Frage: Versinken wir alle gemeinsam in teilnahmsloser Solidarität oder entscheiden wir uns für Dynamik, Erneuerung und Fortschritt? Ich begrüße das konsequente Eintreten des Präsidenten der Europäischen Kommission für den letzteren Weg. Das, Herr Barroso, ist eine politische Rolle und wir wollen ausdrücklich, dass Sie politisch handeln. Ich betrachte Ihre Haltung bei den portugiesischen Wahlen als sehr gerechtfertigt, und Ihre Abwesenheit wäre obendrein als totale Illoyalität gegenüber Ihrem portugiesischen Erbe ausgelegt worden. Ich finde Ihr Verhalten sehr begründet und bedauere nur, dass es sich für Ihre Partei nicht stärker ausgezahlt hat.

 
  
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  Kauppi (PPE-DE). (FI) Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, meine Damen und Herren! Ich hatte die Ehre, im Rahmen des Programms „Young Global Leaders“ beim Weltwirtschaftsforum dabei sein zu dürfen. Ich weiß, dass Sie, Herr Barroso, seinerzeit ein „Global Leader of Tomorrow“ waren, und derzeit sind mehrere Abgeordnete des Europäischen Parlaments an diesem Programm für die Jugend beteiligt.

Das Wirtschaftsforum war ein hervorragendes Zeichen dafür, dass die Weltwirtschaft bereit ist, Verantwortung für die globalen Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen, zu übernehmen. Am Eröffnungstag des Forums fand unter der Bezeichnung „Global Town Hall“ ein interaktiver Dialog statt. Es handelte sich dabei um ein Seminar, bei dem 700 Entscheidungsträger in Davos mit Hilfe von Meinungsumfragen Prioritätenlisten zu den Problemen der Welt aufgestellt und die daraus resultierenden Herausforderungen erörtert haben.

Betrachtet man einmal Alter, Geschlecht, Wohnort und Berufsspektrum der Teilnehmer, dann sind die Ergebnisse ziemlich überraschend. Was, würden wir beispielsweise annehmen, halten Männer im Alter zwischen 40 und 60 Jahren, vornehmlich aus der EU oder aus Nordamerika stammend, die Hälfte von ihnen Geschäftsführer von Unternehmen, für die größten Herausforderungen der Globalisierung? Etwa die Unternehmensrentabilität, die Flexibilität der Beschäftigung, eine Umsatzsteigerung oder das, was in China passiert? Nichts von alledem. Als größte Herausforderungen der Globalisierung nannte diese Gruppe die Beseitigung der Armut, die Verwirklichung einer gerechten Globalisierung und die Bewältigung des Klimawandels.

Die globale Verantwortung ist weit vorangekommen, wenn führende Wirtschaftsleute erklären, dass wir, um die Armut beseitigen zu können, die Grenzen unserer üblichen Denkweise überwinden, die Vorteile der Globalisierung auch in die ärmsten Regionen bringen und zur Bekämpfung des Klimawandels eine globale Führung errichten müssen. Es sei auch darauf hingewiesen, dass sich bei den Ansichten zwischen Europa und Nordamerika eine wirkliche Annäherung vollzieht.

Die Globalisierung ist offenbar doch nicht ein solch trennender Faktor wie man auf der linken Seite dieses Hauses glaubt. Würden die „Friends of the Earth“ eine ähnliche Tagung abhalten, dann stünden diese Themen ganz oben auf der Tagesordnung. Auch hat das Weltwirtschaftsforum konkrete Maßnahmen sowie einen Zeitplan vorgeschlagen, um den Herausforderungen zu begegnen. Ich bin mir sicher, dass es auch Initiativen in Verbindung mit dem Weltsozialforum gibt, zu denen wir übereinstimmende Auffassungen haben. Da beide die gleichen Ziele verfolgen, wäre es vernünftiger, gemeinsam statt einzeln auf deren Erreichung hinzuwirken. Dabei geben wir Ihnen in der Kommission unsere volle Unterstützung.

 
  
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  Arif (PSE). (FR) Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Eine Reihe von uns waren vor einigen Tagen in Porto Alegre, entweder als nationale Vertreter oder, was mir wichtiger erscheint, im Rahmen des Weltforums der Parlamentarier. Ich möchte daher zunächst meinen Kolleginnen und Kollegen, die in Porto Alegre waren, sowie insbesondere meinem Freund Harlem Désir für ihre jahrelangen Bemühungen danken, die es möglich machen, dass Europa an diesem großen Bürgertreffen teilnehmen kann.

Viele Kommentatoren und Akteure haben befürchtet, dass dieser Bewegung der Atem ausgeht. Dies war nicht der Fall. Die Globalisierungskritiker konnten ihre Aktion neu ausrichten und eine neue Organisationsform festlegen, die dazu geführt hat, dass dieses Weltsozialforum nicht mehr nur ein Ort ist, an dem Forderungen erhoben, sondern auch Vorschläge unterbreitet werden. Im Übrigen beweist die Tatsache, dass auf dem Wirtschaftsforum in Davos einige Themen behandelt werden, die von den Weltsozialforen ausgingen, dass die dort gestellten Fragen nach der Welt, die wir uns wünschen, uns alle betreffen.

Doch weder das Weltsozialforum noch das Wirtschaftsforum von Davos sind das politische Gremium, das in der Lage wäre, die Forderungen eigenständig in politische Entscheidungen umzusetzen. Aus diesem Grund muss sich eine Instanz wie das Europäische Parlament um die Verbreitung und Förderung einiger zentraler Zielsetzungen bemühen, wie beispielsweise den Schuldenerlass für arme Länder, die Erhöhung und Verbesserung der öffentlichen Entwicklungshilfe, die Einführung einer internationalen Steuer, die Reform der Regeln für den internationalen Handel, die Bekämpfung von Steuerflucht und Steuerparadiesen, den Schutz der öffentlichen Dienstleistungen.

Einige Staats- und Regierungschefs haben bereits Initiativen ergriffen. Weitere Vorschläge sollten im Rahmen der G8 vorgelegt werden. Dies alles ist im Jahr 2005, im Jahr der Zwischenüberprüfung der Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, zu begrüßen, sofern es sich nicht erneut um uneingelöste Versprechen handelt. Daher lancieren mehr als 100 Organisationen, NRO, Verbände und Gewerkschaften dieses Jahr eine internationale und europäische Mobilisierungs- und Umfragekampagne. Sie wird sich vor allem mit dem Thema Handel und Armut befassen und neben zahlreichen Initiativen wird als erstes zentrales Ereignis im April eine weltweite Aktionswoche für fairen Handel stattfinden.

Angesichts des derzeitigen Laufs der Dinge ist bereits klar, dass wir die Millenniums-Entwicklungsziele nicht verwirklichen werden. Es ist daher unsere Aufgabe, den einen oder anderen an die Einhaltung seiner schon vor langer Zeit eingegangenen Versprechen zu erinnern, indem wir diese Initiativen und die internationale Kampagne zur Armutsbekämpfung unterstützen und damit unsere Absicht unter Beweis stellen, die Reichtümer in einer demokratischen und friedlichen Welt gerechter zu verteilen. Die Politiker haben enttäuscht. Dies wird möglicherweise auch in Zukunft so sein, doch auf keinen Fall dürfen sie sich von der Idee verabschieden, dass sie selbst es sind, die für eine gerechtere Welt kämpfen und diese Idee in die Tat umsetzen müssen.

 
  
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  Barroso, Präsident der Kommission. (PT) Herr Präsident! Ich glaube, es war eine sehr interessante Debatte über Themen, die wichtig für unsere gemeinsame Zukunft sind. Ihre Redebeiträge, meine Damen und Herren Abgeordneten, bestätigen die Reichhaltigkeit der Diskussion und die Vielfalt der Standpunkte zum Thema Globalisierung.

Ich möchte an dieser Stelle einen Punkt hervorheben, der wohl auch im Redebeitrag von Herrn Désir angesprochen wurde und die Tatsache betrifft, dass trotz allem eine gewisse Annäherung in Sachen Globalisierung festzustellen ist. Ursprünglich gab es offenbar zwei extreme Positionen: eine, die in der Globalisierung lediglich negative Aspekte sieht, und eine andere, die ursprünglich in Porto Alegre zum Ausdruck kam und auf eine totale Ablehnung der Globalisierung hinausläuft.

Wir können heute im Forum von Davos ein deutlich sichtbares Bemühen der Unternehmen um soziale Verantwortung und die immer stärkere Orientierung auf eine Agenda für einen globalen Ordnungsrahmen feststellen. Erkennbar ist auch das Interesse an der Berücksichtigung bestimmter Kritikpunkte, die von so vielen Nichtregierungsorganisationen und von so vielen Hauptakteuren der Bewegung vorgebracht wurden, die sich ursprünglich sogar als Anti-Globalisierungsbewegung betrachtete.

Viele von denen, die anfangs in der Anti-Globalisierungsbewegung aktiv waren, haben beizeiten erkannt, dass die Globalisierung unvermeidlich ist. Die heute in der Welt vor sich gehende Globalisierung ist keine Entscheidung irgendeiner Ländergruppe. Sie ist auch keine Verschwörung einer Gruppe von Unternehmen. Die Globalisierung, die sich heute in der Welt vollzieht, hat vielmehr mit den Tendenzen des internationalen Handels und vor allem mit der technologischen Revolution zu tun, die keine Regierung wirklich kontrolliert. Deshalb taten viele dieser Akteure und Protagonisten meiner Meinung nach gut daran, nicht nur zu protestieren, sondern eine andere Form der Globalisierung anzustreben und sich um die Berücksichtigung einiger ihrer Kritikpunkte zu bemühen. In diese Richtung gehen wir. Ich begrüße das, denn meiner Auffassung nach können wir aus Davos und auch aus Porto Alegre lernen, auch wenn hier und dort Vorschläge gemacht wurden, die man nicht allzu ernst nehmen sollte. Es können aber aus dem einen oder anderen Prozess Lehren gezogen werden.

Was kann ich Ihnen zu Europa und zur Europäischen Kommission sagen? Nach meinem Dafürhalten müssen wir ganz konkret werden. Nach innen und nach außen. Sind wir im Inneren für den Zusammenhalt? Ich bin für den Zusammenhalt, die Kommission ist für den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt, und deshalb appelliere ich an Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten, mir zu helfen, der Kommission zu helfen, damit alle Regierungen der Europäischen Union auch für den Zusammenhalt eintreten und bereit sind zu helfen, beispielsweise bei der Finanziellen Vorausschau, die wir gerade erörtern, denn es gibt auch Armut in Europa. Armut herrscht nicht nur in den Ländern der südlichen Halbkugel. Wir haben jetzt in Europa – vor allem im Europa nach der Erweiterung – größere Ungleichheiten als vorher. Wir brauchen hier in Europa fortgeschrittenere Programme zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung. Wenn wir also eine in sich schlüssige Debatte über die Frage des Zusammenhalts führen wollen, müssen wir auch damit beginnen, den Zusammenhalt hier in Europa umzusetzen, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt. Dies ist Teil eines beschleunigten Vorgehens, das für die Union unabdingbar ist.

Dann geht es um den äußeren Aspekt: Was können die Europäische Kommission und die Europäische Union nach außen tun? Hier gibt es meiner Meinung nach zwei Bereiche, die nicht als antagonistisch oder gegensätzlich angesehen werden dürfen: der internationale Handel und die Entwicklungshilfe. Ich habe einige Stimmen gehört, die sich gegen den internationalen Handel richteten, weil er in gewisser Hinsicht Ausdruck des neoliberalen Modells sei. Lassen Sie mich noch einmal betonen, dass bei den Gesprächen, die ich mit führenden Vertretern der Entwicklungsländer führte, praktisch alle Länder zuerst Fragen des Handels ansprachen. Sie möchten einen größeren Zugang zu den Märkten der stärker entwickelten Länder erhalten. Deshalb müssen wir diesen Ländern auch im Handel helfen. Wir können also nicht sagen, dass ein unüberbrückbarer Widerspruch zwischen Handel und Hilfe besteht. Wir können und müssen ganz klar in beiden Bereichen mehr für die Entwicklungsländer tun. Wir können aber auch mehr von ihnen fordern, denn wenn die Europäische Union und die EU-Mitgliedstaaten wichtige Hilfe leisten – die Europäische Union ist weltweit der größte Geber von Entwicklungshilfe –, dann hat sie auch das Recht, von diesen Ländern eine verantwortungsvolle Staatsführung zu verlangen, und wir möchten wissen, ob das ihnen gegebene Geld korrekt und ordnungsgemäß verwendet wird und in diesen Ländern tatsächlich die für ihre bessere Integration in den internationalen Handel notwendigen Reformen stattfinden. Dies ist eine gemeinsame Verantwortung.

Ich kann Ihnen sagen, dass die Europäische Kommission noch weiter gehen möchte. Wir wollen einen ehrgeizigeren Beitrag zur Umsetzung der Millenniumsziele leisten. Nach Lage der Dinge werden uns lediglich durch die verfügbaren Mittel Grenzen gesetzt. Deshalb beabsichtigen wir, mit den Mitgliedstaaten und dem Parlament weiter zusammenzuarbeiten, damit wir uns für den Bereich Entwicklungshilfe ehrgeizigere Vorgaben setzen, wobei wir namentlich Afrika oberste Priorität einräumen, denn Afrika hat strukturelle Probleme, die andere Regionen teilweise bereits überwunden haben, vor allem durch ihre breitere Einbindung in den internationalen Handel. Ich möchte Ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen, dass die Kommission und ich ein entschlosseneres Vorgehen und ein stärkeres Engagement für die Ziele einer globalisierten Welt befürworten, in der es gerechter zugeht und die EU eine führende Rolle bei der Förderung eines verantwortungsvolleren Umgangs mit den Ressourcen unseres Planeten und bei der Schaffung einer gerechteren Gesellschaft im Weltmaßstab übernimmt.

Dies sind unsere Werte, für die wir zu kämpfen bereit sind.

 
  
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  Der Präsident. Ich habe zum Abschluss der Aussprache sechs Entschließungsanträge gemäß Artikel 103 der Geschäftsordnung erhalten.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr statt.

 

15. Strafregister / Strafjustiz
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die gemeinsame Aussprache über folgende Berichte:

– (A6-0020/2005) von Antonio Di Pietro im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres über den Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister (KOM(2004)0664 – C6-0163/2004 – 2004/0238(CNS));

– (A6-0036/2005) von António Costa im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres mit einem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zur Qualität der Strafjustiz und zur Harmonisierung des Strafrechts der Mitgliedstaaten (2005/2003(INI)).

 
  
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  Frattini, Vizepräsident der Kommission. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Namen der Kommission möchte ich einige Anmerkungen zu den beiden Berichten machen, also zum Bericht Costa und zum Bericht Di Pietro. Zwischen den beiden Berichten und den beiden Initiativen bestehen wichtige Verbindungen. Im ersten Bericht geht es um die Qualität der Strafjustiz und die Harmonisierung des Strafrechts, im zweiten, dem von Herrn Di Pietro, um einen Vorschlag über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister.

Meiner persönlichen Überzeugung nach, und auch die gesamte Kommission ist dieser Meinung, bildet die Qualität der Justiz ein grundsätzliches Element des großen, nunmehr in der Europäischen Verfassung verankerten Projekts der Schaffung eines echten europäischen Raums der Freiheit und des Rechts. Es liegt auf der Hand, dass die Qualität der Justiz auf dem Grundsatz beruht, demzufolge in einem Europa, in dem die Binnengrenzen immer mehr verschwinden, dafür gesorgt werden muss, dass die Entscheidungen von seinen Gerichten vor allem schnell und einfach durchgesetzt werden, da die Antwort, die die Menschen erwarten, von der Vertrauenswürdigkeit der Rechtssysteme abhängt.

Dieser Grundsatz setzt selbstverständlich einen anderen voraus, und zwar den Grundsatz, der von denjenigen verfochten wird, die an der „gegenseitigen Anerkennung“ arbeiten: Eine Entscheidung eines Richters aus einem Mitgliedstaat kann und muss vom Rechtssystem eines anderen Mitgliedstaats anerkannt werden. Darin besteht die wesentliche Voraussetzung für die Errichtung eines europäischen Raums des Rechts. Die Umsetzung eines solchen Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung erfordert jedoch viel gegenseitiges Vertrauen: Ohne das gegenseitige Vertrauen der Justiz, der Gerichte und der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten kann es keine gegenseitige Anerkennung geben. Deswegen enthält das Programm, auf dessen Durchführung sich die Kommission verpflichtet hat, einen spezifischen Verweis – der übrigens vom Europäischen Rat gefordert wurde – zur Qualität der Justiz, was bedeutet, dass Entscheidungen schnell und reibungslos durchgesetzt werden, was ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen zwischen den Rechtssystemen und der Justiz einschließt.

Der Berichterstatter, Herr Costa, schlägt vor, einen europäischen Mechanismus zur Bewertung der Qualität der Justiz einzurichten, der auf einer Charta über die Qualität der Strafjustiz beruht. Meines Erachtens ist dies ein interessanter Gedanke, da wir wissen, dass sich in anderen, weniger heiklen Bereichen ein Mechanismus zur parallelen Bewertung und zur Ergebniskontrolle von Maßnahmen als funktionsfähig erwiesen und dazu beigetragen hat, den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zu etablieren. Daher handelt es sich um einen interessanten Vorschlag des Berichterstatters.

Außerdem ist die Kommission der Meinung, dass es bei einem derart heiklen Thema, das u. a. die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten betrifft, vonnöten ist, umfassende Konsultationen durchzuführen und vor allem den Beteiligten zuzuhören. Die Kommission arbeitet unermüdlich an beiden Aspekten und wird das auch in Zukunft tun. Dabei hört sie erstens den beteiligten Gruppen zu, also den Richtern, den Vereinigungen und den Gremien, die in den Mitgliedstaaten die Justiz vertreten. Bis Ende 2005 wollen wir eine vorläufige Mitteilung zur justiziellen Ausbildung – also zur Ausbildung von Richtern – herausgeben und 2006 dann eine Mitteilung zur Bewertung der Qualität der Justiz. Daher beabsichtigen wir, die Linie zu verfolgen, die Herr Costa in seinem Bericht vorgeschlagen hat.

Mein letzter Gedanke zu diesem Thema lautet, dass sich kein Mechanismus zur Bewertung der Qualität der Justiz nachteilig auf die Unabhängigkeit der Justiz, sei es direkt oder indirekt, auswirken oder diese belasten darf. Es wäre schlimm, wenn der Grundsatz der Bewertung der Qualität der Justiz - die eine öffentliche Dienstleistung darstellt - letztendlich indirekt der Unabhängigkeit der Justiz schaden würde, einer entscheidenden Voraussetzung zur Versorgung der Öffentlichkeit mit einer qualitativ hochwertigen Dienstleistung. Eine Justiz, die nicht unabhängig ist, kann mit Sicherheit nicht von überragender Qualität sein. Deswegen wird es unser Ziel sein, eine hohe Qualität in der Justiz zu erreichen und uns dabei an die Prämisse zu halten, von der ich gerade gesprochen habe: Achtung der Unabhängigkeit unserer Rechtssysteme und Justiz.

Was den Bericht Di Pietro betrifft, so handelt es sich beim gegenseitigen Vertrauen, wie ich bereits gesagt habe, ohne jede Frage um ein wesentliches Element der Qualität der Justiz und ist dafür entscheidend, dass die gegenseitige Anerkennung der Entscheidungen und Verfahren ordnungsgemäß funktioniert. Daher ist klar, dass der Vorschlag für einen Beschluss über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister - ein Kommissionsvorschlag vom vergangenen Oktober - meines Erachtens ein gutes Beispiel für die wahre Bedeutung der Anwendung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens darstellt.

Sie erinnern sich bestimmt alle an den Fall Fourniret, den tragischen Fall von Pädophilie, der dazu beigetragen hat, dass Europa schneller reagiert. An diesem Fall wurde deutlich, wie mangelhaft der Austausch von Informationen aus dem Strafregister von Bürgern zwischen den Mitgliedstaaten war. Wir benötigen einschneidende Maßnahmen. Meiner Überzeugung nach ist der Text, der zurzeit geprüft wird und auf den sich Herr Di Pietro bezogen hat und wieder beziehen wird, nur ein erster Schritt – ein dringend notwendiger erster Schritt für die nahe Zukunft. Kein Zweifel, als nächsten Schritt erwägt die Kommission ein schnelleres Informatiksystem für den Austausch von Informationen, das natürlich vollständig mit den Vorschriften für den Schutz personenbezogener Daten in Einklang stehen muss. Selbstverständlich wird das Parlament demnächst weitere Gelegenheiten bekommen, seine Ansichten zur diesem weiter entwickelten Vorschlag zu äußern.

Auf jeden Fall müssen wir jetzt dafür Sorge tragen, dass das Strafregister im Herkunftsmitgliedstaat einer Person so gut wie möglich funktioniert, damit bei einer Informationsanfrage dem Register in diesem Herkunftsmitgliedstaat unverzüglich alle erforderlichen Auskünfte entnommen werden können.

Daher müssen die Beziehungen zwischen den nationalen Behörden, die für die Strafregister zuständig sind, verbessert werden, und die Kommission erwartet, dass auf lange Sicht weitere Verbesserungen erzielt werden können. Wie Ihnen allen bekannt ist, haben wir ein Weißbuch angenommen, in dem ein wesentlich wirksamerer Mechanismus zum Informationsaustausch vorgeschlagen wird. Wir werden uns die Antworten anhören, die auf die im Weißbuch gestellten Fragen gegeben werden.

Abschließend möchte ich sagen, dass die Kommission eng und ständig mit dem Parlament zusammenarbeiten wird, weil wir beim Austausch von Informationen das Verhältnis zwischen der erforderlichen Sicherheit, dem notwendigen Schutz des Rechts der Bürger auf Sicherheit und der Grundrechte der Menschen genau austarieren müssen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf den Schutz personenbezogener Daten verweisen, denn die Schaffung eines ausgewogenen Verhältnisses wird eine sehr gründliche Aussprache hier im Parlament erfordern.

 
  
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  Di Pietro (ALDE), Berichterstatter. – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Ich bin aufgerufen, meinen Bericht über den Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister zu erläutern. Dieser Vorschlag - wie Herr Frattini zu Recht dargelegt hat - stellt nur einen ersten Schritt dar, der dringend unternommen werden muss.

Das Ziel dieses Vorschlags für einen Beschluss wird natürlich von allen unterstützt werden. Die Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa - der ich angehöre - unterstützt ihn mit Sicherheit voll und ganz, ebenso wie der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, der den betreffenden Vorschlag des Rates beinahe einstimmig angenommen hat.

Mit dem Vorschlag wird das Ziel verfolgt, die Qualität der Justiz in Italien, in Europa und in allen Mitgliedstaaten zu verbessern. Bei der konkreten Maßnahme in dem Vorschlag für einen Beschluss handelt es sich darum, Möglichkeiten für den Austausch von Strafregisterinformationen zu schaffen. Genau genommen war ein solcher Austausch bereits im Übereinkommen von 1959 vorgesehen, doch technisch gesehen ist es schwierig, einen solchen Austausch zu bewerkstelligen und stets auf dem neuesten Stand zu halten, da zurzeit im Rahmen des Übereinkommens von 1959 Informationen nur einmal im Jahr ausgetauscht und Anfragen ohne eine vorher festgelegte Frist gestellt werden. Daher hat der Vorschlag des Rates den Vorteil, dass Informationen rascher zur Verfügung stehen, natürlich nur bis zu dem Moment, da das vom Kommissar erwähnte Computersystem die Informationen noch schneller, praktisch online liefert.

Ich möchte ein Missverständnis seitens derjenigen aufklären, die im Verhältnis zwischen Datenprüfung und Privatsphäre ein Problem sehen. Die Daten aus dem Strafregister sind für Kriminelle so etwas wie die Patientenunterlagen für die Kranken: Es handelt sich um sachbezogene Daten. Das Problem nun ist, wer solche Daten nutzen darf und wie sie verwendet werden sollen. Deswegen fordern wir, dass die Daten nur von Justizbehörden und im Austausch mit anderen Justizbehörden genutzt werden dürfen, und zwar nur bei letztinstanzlichen Verurteilungen. Deswegen war es richtig, dass der Rat die Begriffe „Strafregister“ und „letztinstanzliche Verurteilungen“ den Begriffen zuordnete, die vor solchen Beschlüssen definiert werden müssen.

Daher stimme ich den derzeit laufenden Arbeiten zu, die zu Ende geführt werden sollen, während wir auf die Beschlüsse im Nachgang zum Weißbuch erwarten, ebenso wie ich mit den Grundsätzen übereinstimme, die Sie gerade aufgezählt haben, Herr Kommissar. Sie führten aus, dass diese Beschlüsse bzw. allgemeiner gesagt die Empfehlungen, die das Parlament vorbereitet, auf zwei Grundsätzen beruhen sollten, denen wir uns meines Erachtens anschließen können und denen ich mich mit Sicherheit anschließe, so wie Sie auch. Der erste lautet, dass die Entscheidungen der Gerichte schnell durchgesetzt werden sollen. Der zweite Grundsatz lautet, wie Sie sagten, dass bei den Entscheidungen der Gerichte in den einzelnen Mitgliedstaaten gegenseitige Anerkennung und gegenseitiges Vertrauen bestehen sollten. Drittens wiesen Sie darauf hin, dass Bewertungen der Qualität der Arbeit der Gerichte die Unabhängigkeit der Justiz nicht beeinträchtigen dürften.

Dieser Ansicht, Herr Kommissar, schließe ich mich uneingeschränkt an, und deswegen möchte ich Sie auffordern, die Kommission in dieser Hinsicht zu konkreteren Maßnahmen zu drängen. Insbesondere möchte ich Sie auffordern, uns darzulegen, was Sie, abgesehen davon, dass Sie zuhören wollen, unternehmen werden, wenn ein Mitgliedstaat kein Vertrauen in die Gerichte an den Tag legt, wenn z. B. ein Mitgliedstaat den europäischen Haftbefehl noch nicht umgesetzt hat.

Deswegen fordern wir ausdrücklich, dass die Kommission, wenn die Sprache auf Themen in diesem Zusammenhang kommt, Druck auf die Mitgliedstaaten ausübt, die bei der Umsetzung in Verzug sind, anderenfalls könnte man denken, dass diese Mitgliedstaaten kein Vertrauen in die Entscheidungen anderer Gerichte und anderer Mitgliedstaaten haben und dass sie überhaupt nicht vorhaben, die Entscheidungen der Gerichte unverzüglich umzusetzen.

Gleichermaßen sind wir der Ansicht, dass Sie mit Recht sagen, die Unabhängigkeit der Justiz müsse geachtet werden, doch möchten wir auch wissen, was die Kommission für den Fall vorschlägt, wenn selbst Regierungsmitglieder in einem bestimmten Mitgliedstaat die Justiz nicht achten und so weit gehen, die Gerichte in ihren eigenen Räumen zu verhöhnen. In diesem Fall bin ich der Ansicht, dass die Kommission auch die Pflicht hat, Richtlinien und Empfehlungen herauszugeben, damit unsere Anstrengungen zur Verbesserung der Qualität der Justiz in Europa und in den Mitgliedstaaten nicht von einem bestimmten Mitgliedstaat aus Gründen, die speziell dort angesiedelt sind, zum Scheitern gebracht werden.

 
  
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  Costa, António (PSE), Berichterstatter. – (PT) Herr Präsident, Herr Vizepräsident der Kommission, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Aufbau des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist eine der interessantesten Herausforderungen, vor denen die Europäische Union heute steht, wobei die im Haager-Programm festgeschriebene Kernaufgabe darin besteht, im gesamten Hoheitsgebiet der Union für hohe Qualitätsstandards der Justiz zu sorgen, ohne die Vielfalt der in den 25 Mitgliedstaaten bestehenden Rechtssysteme zu beeinträchtigen.

Gemäß dem Haager Programm ist wie bereits in Tampere die gegenseitige Anerkennung der Dreh- und Angelpunkt des Aufbaus eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, wie uns Kommissar Frattini soeben in Erinnerung rief. Voraussetzung für die gegenseitige Anerkennung ist aber gegenseitiges Vertrauen. Und wie unser Kollege Di Pietro gerade hervorgehoben hat, ist gegenseitiges Vertrauen keine Glaubensfrage. Gegenseitiges Vertrauen muss aufgebaut werden und effektiv vorhanden sein. Wir müssen einräumen, dass dieses gegenseitige Vertrauen zwischen unseren 25 Mitgliedstaaten, zwischen den Justizbehörden unserer 25 Mitgliedstaaten nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist. Dieses gegenseitige Vertrauen muss gestärkt werden. Deshalb schlage ich in diesem Initiativbericht zunächst einen Mechanismus der gegenseitigen Evaluierung der Mitgliedstaaten vor. Natürlich muss ein derartiger Mechanismus die Unabhängigkeit der Justiz respektieren und die nationalen Parlamente sowie die Verwaltungsorgane der Richterschaft einbeziehen, damit wir eine umfassende Bewertung der verschiedenen Standpunkte zur Qualität der Strafjustiz in den einzelnen Mitgliedstaaten erhalten.

Zweitens halte ich es für wesentlich, dass diese Bewertung objektiv erfolgt, und damit dies auch so ist, schlage ich die Schaffung einer Qualitätscharta für die Strafjustiz vor. Diese Qualitätscharta sollte auf der Auslegung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten in der Europäischen Erklärung der Menschenrechte, in der Charta der Grundrechte und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften aber auch der Empfehlungen sowohl der Vereinten Nationen als auch des Europarats basieren. Diese Qualitätscharta muss ein objektiver Bezugsrahmen sein, der eine Bewertung der verschiedenen Strafjustizsysteme der einzelnen Mitgliedstaaten ermöglicht, damit wir die erfolgreichsten Konzepte verbreiten, Benchmarking praktizieren und hohe Qualitätsstandards für alle europäischen Bürger an jedem Ort des Hoheitsgebiets der Union gewährleisten können.

Wir alle wissen jedoch, dass neben der gegenseitigen Anerkennung ein Mindestmaß an Harmonisierung notwendig ist. Der Rat legte das Kriterium in Bezug auf die Harmonisierung des materiellen Strafrechts fest. In unserem Bericht schlagen wir vor, dass wir uns dem Vorschlag des Rates anschließen sollten. Der Rat forderte die Kommission auf, schon jetzt die Harmonisierung der Liste der im Verfassungsvertrag genannten Straftaten vorzubereiten, damit zum Zeitpunkt seines In-Kraft-Tretens die Vorbereitungsarbeiten abgeschlossen sind und der Rat zusammen mit dem Parlament rasch die vom neuen Vertrag geforderten Harmonisierungsvorschriften beschließen kann.

Beim Verfahrensrecht müssen wir unserer Auffassung nach selektiv vorgehen, aber auch ein möglichst breites Feld abdecken. Deshalb schlagen wir vier zentrale Bereiche vor. Erstens einen Bereich, zu dem die Kommission uns mitgeteilt hat, dass sie bereits daran arbeitet – die Harmonisierung der Beweisermittlung und -würdigung. Zweitens die Harmonisierung, die die Vollstreckung von Haftstrafen wie auch von ergangenen Zwangsmaßnahmen ermöglicht. Drittens, gleiche Mindestrechte für die Häftlinge in allen Mitgliedstaaten und schließlich die Berücksichtigung von Wiederholungsdelikten bei Tatbeständen, die bereits Gegenstand von Harmonisierungsmaßnahmen sind.

Mit diesem Bericht fordert das Parlament den Rat und die Kommission auf, ihre Arbeiten zu beschleunigen, damit wir alle unseren Beitrag zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts mit einer höheren Qualität der Strafjustiz in Europa leisten können.

 
  
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  Brejc, Mihael (PPE-DE). (SL) Vielen Dank, Herr Präsident! In den politischen Dokumenten der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten, so zum Beispiel in den Dokumenten des Kongresses und anderen Dokumenten unserer Partei im Europäischen Parlament, heben wir die Bedeutung der Sicherheit der Menschen und ihres Eigentums hervor; das haben wir schließlich unseren Wählern versprochen. Auf der anderen Seite sind wir jedoch mit einer Zunahme immer schlimmerer Formen der Kriminalität und terroristischer Akte konfrontiert.

Es ist völlig klar, dass kein einzelner Mitgliedstaat der Europäischen Union mehr allein für seine Sicherheit sorgen kann. Wir brauchen Zusammenarbeit und gemeinsames Handeln, und wir müssen alle diese Aktivitäten, die unsere Sicherheit erhöhen, ermitteln und vorantreiben. In diesem Sinne unterstützt meine Fraktion den Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister sowie den Bericht des Berichterstatters, Herrn Di Pietro.

Dennoch verwundert es uns, dass die Kommission erst zwischen 2008 und 2010 ein neues Computersystem für den Datenaustausch einführen will. Ich habe den Eindruck, dass der Austausch von Daten eher eine politische denn eine technische Frage ist, denn wenn ein ernsthafter politischer Wille besteht, sollte die Kommission den Aufbau eines geeigneten Informationssystems beschleunigen; schließlich ist jedem klar, dass wir im Informationszeitalter leben und dass der Aufbau eines geeigneten Informationssystems keine so komplizierte Angelegenheit sein kann. Offensichtlich wird dies durch andere, schwerer wiegende Fragen unterbunden, wie etwa Fragen des Vertrauens oder der Qualität einzelner Machtzweige. Insofern lege ich der Kommission nahe, dass sie den Aufbau des Informationssystems wirklich beschleunigt. Vielen Dank.

 
  
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  Roure (PSE). (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Das größte Anliegen der europäischen Bürger ist, dass ihnen die Europäische Union einen hohen Lebensstandard und den Schutz ihrer Rechte garantiert. Wir müssen daher sicherstellen, dass alle Unionsbürger über dieselben Rechte, ein Rechtssystem derselben Qualität und gleichberechtigten Zugang zum Recht verfügen, ganz gleich in welchem Teil Europas sie sich aufhalten. In diesem Zusammenhang spielt die Verstärkung der justiziellen Zusammenarbeit im Bereich des Straf- und Zivilrechts eine entscheidende Rolle. Zudem können kriminelle Organisationen angesichts der Freizügigkeit in der Union von der Öffnung der Binnengrenzen der Europäischen Union profitieren, indem sie sich den Mangel an Koordinierung im Bereich der Justiz in Europa zunutze machen und auf diese Weise einer Strafverfolgung entgehen. Gegenwärtig gilt es daher, die erforderlichen Mechanismen zu schaffen, um den neuen Aufgaben der justiziellen Zusammenarbeit in Europa gerecht werden zu können.

Mit dem Austausch von Informationen aus dem Strafregister verfügen die europäischen Richter über konkrete Mechanismen, um die Verfahren zu beschleunigen und Straftäter nicht ungestraft davonkommen zu lassen. Wie Sie gesagt haben, ist es beispielsweise möglich, bekannte Fälle von Kindesmissbrauch schneller zu unterbinden. Derartige Mechanismen und praktische Methoden müssen geschaffen werden, um das gegenseitige Vertrauen in die europäischen Rechtssysteme zu stärken, das wir dringend benötigen. Der gegenwärtige Mangel an Vertrauen stellt in der Tat ein grundlegendes Hemmnis für eine gegenseitige Anerkennung der gängigen Verfahren und die gebotene Angleichung der Rechtssysteme dar. Im Übrigen schließe ich mich meinem Kollegen António Costa an, der die Kommission aufgefordert hat, unter Berücksichtigung der Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen und der Mindestangleichung Vorschläge vorzulegen.

Schließlich möchte ich die Gelegenheit nutzen, Herr Kommissar, um die Ausdehnung der justiziellen Zusammenarbeit auf einige Bereiche des Familienrechts zu begrüßen, die im Gesetzgebungsprogramm 2005 vorgesehen ist. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass wir unsere Bemühungen in dieser Richtung fortsetzen.

 
  
  

VORSITZ: INGO FRIEDRICH
Vizepräsident

 
  
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  Duquesne (ALDE). (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich dem Berichterstatter, Herrn Costa, für seinen Bericht und die darin enthaltenen ausgezeichneten Schlussfolgerungen danken, denen der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres im Übrigen fast einmütig zugestimmt hat.

Meines Erachtens sendet das Parlament mit diesem Bericht ein deutliches Signal an die Kommission und den Rat. Er zeugt von unserem Willen, für alle Unionsbürger, ja quasi für alle Personen, die sich auf dem Hoheitsgebiet der Europäischen Union aufhalten, eine größere Qualität der Justiz sicherzustellen und dies insbesondere dank der Charta über die Qualität der Strafjustiz und des vorgeschlagenen Bewertungssystems. Die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen der einzelnen Mitgliedstaaten setzt gegenseitiges Vertrauen der Staaten in ihre jeweiligen Justizsysteme voraus. Deswegen müssen gemeinsame und besser abgestimmte grundlegende Normen festgelegt werden, mit denen die Vielfalt der Rechtssysteme bewahrt werden kann. Herr Costa hat diese genannt.

Doch es geht nicht nur um die Verfahren. Es steht sicherlich nicht im Widerspruch zur erforderlichen Unabhängigkeit der Richter, dass gewährleistet und geprüft wird, ob sie über eine gute Ausbildung verfügen, offen, objektiv, zugänglich, effizient, pflichtbewusst und in der Lage sind, die bestehenden Instrumente bestmöglich zu nutzen. Die Transparenz der Justiz muss verbessert und den Bürgern muss ein besserer Eindruck von den Arbeitsmethoden der Richter vermittelt werden, die bisweilen an Ansehen und Vertrauen verloren haben.

Schließlich müssen wir unbedingt gewährleisten, dass unsere Empfehlungen auch umgesetzt werden. Wir brauchen Taten und nicht nur gute Absichten, Herr Kommissar. Daher muss dringend ein Begleitausschuss ins Leben gerufen werden, der sich aus Experten, Richtern, Angehörigen von Rechtsberufen, Nutzern der Justiz und Vertretern der nationalen Parlamente zusammensetzt und dessen Aufgabe darin besteht, zu bewerten, wie unsere Empfehlungen umgesetzt werden. Wenn wir es schaffen, diese Empfehlungen in die Tat umzusetzen, dann werden wir aus der Europäischen Union tatsächlich einen Rechtsstaat machen können. Es handelt sich um grundlegende Fragen der Funktionsweise unserer Demokratien, der Einhaltung des Rechts und der Achtung der Rechte der Bürger.

Was den hervorragenden Bericht von Herrn Di Pietro anbelangt, so schließe ich mich uneingeschränkt seiner Analyse und seinen Vorschlägen an, möchte jedoch betonen, dass der Vorschlag bescheiden ist, sich auf den gegenwärtigen, aus dem Jahre 1959 stammenden Rechtsrahmen bezieht und daher nicht den Anforderungen des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister entspricht. Ich denke, dies sollte eine Reaktion auf die durch den Fall Fourniret ausgelösten Emotionen sein. Wie Kommissar Frattini angekündigt hat, warten wir voller Ungeduld auf allgemeinere Vorschläge, die für eine wirksamere Bekämpfung von Terrorismus, schweren Verbrechen und Kriminalität im Allgemeinen dringend erforderlich sind. Die bisherigen kleinen Fortschritte entbinden uns nicht von der Pflicht, rasch noch weiter voranzukommen.

 
  
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  Buitenweg (Verts/ALE). (NL) Herr Präsident! Heute Abend diskutieren wir erneut über das Zauberwort „gegenseitige Anerkennung“ als Grundstein der europäischen justiziellen Zusammenarbeit. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Mitgliedstaaten wirksam zusammenarbeiten, dass sie über ihre eigenen Grenzen hinweg schauen können und wissen, wie es woanders zugeht, dass sie sich auf einige grundlegende Standards einigen, beispielsweise im Strafprozessrecht, und vor allem am gegenseitigen Vertrauen arbeiten und an den Gründen, aus denen sie einander tatsächlich vertrauen können. Der Vorschlag von Herrn Costa ist von besonderer Bedeutung für den Aufbau von Vertrauen in die Effektivität und ordnungsgemäße Handhabung der Rechtsprechung, während der Schwerpunkt des Berichts von Kollege Di Pietro auf der Verbesserung der Zusammenarbeit in Sachen Informationen liegt. Meine Fraktion unterstützt beide Berichte ohne Einschränkung, und ich möchte Ihnen für die gute Arbeit, die Sie geleistet haben, und die angenehme Zusammenarbeit herzlich danken. Allerdings reichen diese kleinen Schritte nach vorn nicht aus. Es sind zahlreiche neue Vorschläge in Vorbereitung, die wenigstens auf dem Papier kleine Schritte nach vorn darstellen, doch leider treten nach meiner Erfahrung die Mitgliedstaaten häufig auf die Bremse. Für sie scheint die Idee der gegenseitigen Anerkennung vor allem ein Weg zu sein, auf nationaler Ebene nichts verändern zu müssen. Wir alle neigen dazu, uns nur für unser eigenes Revier zu interessieren, und die anderen müssen die entsprechenden Entscheidungen respektieren. Ich kann Ihnen sagen, dass meine Fraktion keine Angst hat, sich über die Grenzen hinweg umzuschauen, auch wenn wir angesichts dieser enormen Masse an neuen Regeln ein wenig zögern, denn derartige Mengen beeinträchtigen häufig die Transparenz, die Verteidigungsmöglichkeiten der Menschen, die immer wieder mit Veränderungen konfrontiert werden, und auch die Klarheit unseres Handelns. Meine Fraktion befürwortet einen europäischen Staatsanwalt; wir sind für ein europäisches Strafprozessrecht, für europaweite Rechte für Angeklagte und Opfer, für den Austausch von Informationen und vor allem auch für den Einsatz erheblicher Finanzmittel, um alle Polizei- und Justizbeamten gründlich mit Fragen der europäischen Zusammenarbeit vertraut zu machen. Denn letztlich muss sie am Arbeitsplatz und nicht hier in die Praxis umgesetzt werden. Ich hoffe, wir alle entschließen uns zu einem größeren Kraftakt, und dazu gehört auch eine Finanzspritze, um dafür zu sorgen, dass jeder über diese Fragen Bescheid weiß.

 
  
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  Krarup (GUE/NGL).(DA) Herr Präsident! Beide Berichte sind Ausdruck der wohlbekannten Bestrebungen, die Macht der EU-Institutionen auf Kosten der Mitgliedstaaten und somit letztlich auch der Demokratie auszuweiten.

Zum Bericht von Herrn Di Pietro kann ich nur sagen, dass er eine Frage betrifft, die in den Aufgabenbereich des Europarates und nicht der EU gehört.

Der Bericht von Herrn Costa ist voll von wohlklingendem Idealismus, doch Ideale und gute Absichten leiden unglücklicherweise daran, dass ihnen im Allgemeinen eine reale Grundlage fehlt. Zunächst einmal möchte ich auf die Tatsache hinweisen, dass in einigen Mitgliedstaaten die Strafverfahrens- und Strafvollzugssysteme oft grobe Verletzungen grundlegender Menschenrechte darstellen. Sollte nicht die Wirklichkeit über leere Ideale dominieren? Der Bericht verfolgt den einzigen Zweck, das gegenseitige Vertrauen in den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung rechtlicher Entscheidungen des anderen Mitgliedstaats zu fördern. Nun gut, doch was, wenn ein polnischer, griechischer oder italienischer Richter, Ankläger oder eine Strafvollzugsbehörde nicht vertrauenswürdig ist? Worauf es ankommt, ist doch das, was in Wirklichkeit geschieht. Das zweite Ziel des Berichts besteht darin, die Mitgliedstaaten zu zwingen, bestimmte Handlungen nach Artikel 271 der Verfassung zu ahnden. Hätte man hier Realitätssinn walten lassen und Kriminologen gefragt, hätte man eine klare Antwort bekommen. Was wir hier sehen, ist schlimmstenfalls Barbarei und bestenfalls Willkür.

 
  
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  Borghezio (IND/DEM).(IT) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben über die Qualität der Justiz gesprochen und den Bericht geprüft, der offenbar auf dem Versuch beruht, die Bestimmungen des Vertrags, insbesondere Artikel III-271 zur Bewertung besonders schwerer Kriminalität, wie z. B. im Zusammenhang mit dem Terrorismus, voranzubringen.

Dann ist es nur recht und billig zu fragen, ob wir uns mit dieser ziemlich optimistischen Vision der Qualität der Justiz und der gegenseitigen Anerkennung der Justiz nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Gerade beim heiklen Thema des Terrorismus kommt es häufig zu schwer wiegenden Ereignissen, wie z. B. im Falle der Entscheidung Nr. 2849104 von Dr. Forleo, Untersuchungsrichterin in Mailand, zum Thema des Terrorismus. Bei der Entscheidung, die sich auf die Aktivitäten von Personen bezieht, die des Terrorismus angeklagt sind (deren Namen sowohl auf der Liste der Vereinten Nationen als auch auf der Liste der EU zu finden sind), trifft die Richterin eine seltsame Unterscheidung zwischen Terroristen und Guerillas, die sie sich selbst ausgedacht hat. Die betreffende Richterin schreibt eigens, dass „gewalttätige oder Guerilla-Aktivitäten, selbst wenn sie von anderen Streitkräften als den regulären Streitkräften durchgeführt werden, nicht einmal im Rahmen des Völkerrechts verfolgt werden können, es sein denn es liegt eine Verletzung des humanitären Völkerrechts vor.“

Wir haben es mit Gemeinschaftsvorschriften zum Terrorismus zu tun, die ihrer Bedeutung beraubt wurden. Wir sehen uns Verrat an der zivilisierten Position gegenüber, die Europa – und auch dieses Parlament – dem Terrorismus gegenüber angenommen hat. Die Angelegenheit ist sehr ernst, und ich empfinde es als meine Pflicht, sie zu verurteilen.

 
  
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  Libicki (UEN). (PL) Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Präsident, meine Damen und Herren, als in den neuen Mitgliedstaaten, darunter auch meiner Heimat Polen, über den Beitritt zur Europäischen Union debattiert wurde, betrafen die von uns vorgebrachten entscheidenden Argumente nicht nur das Wirtschaftswachstum und die nationale Sicherheit, sondern auch die persönliche Sicherheit. Diese Frage ist wichtiger denn je, denn die Kriminalität nimmt in ganz Europa zu, leider auch in den neuen Mitgliedstaaten, weshalb radikale Maßnahmen ergriffen werden müssen, um diesen kontinuierlichen Anstieg zu stoppen. Es sind unzählige neue Formen der Kriminalität entstanden, so etwa das mittlerweile weithin bekannte Problem der Internet-Kriminalität, und all diese Entwicklungen bedeuten, dass neue Regelungen erforderlich sind. Sie bedeuten auch, dass ein Harmonisierungsbedarf besteht, und darum begrüßen wir sowohl den Bericht von Herrn Di Pietro über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister als auch den Bericht von Herrn Costa über die Qualität der Strafjustiz in der Europäischen Union.

Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die Harmonisierung des Strafrechts oder irgendeines anderen Rechtsgebiets nicht einfach bedeuten darf, dass alles nivelliert wird oder Unterschiede auf Kosten nationaler Traditionen, Bräuche und Bedürfnisse ausgemerzt werden. Diese bilden schließlich die Grundlage des nationalen Rechts, und wenn eine Harmonisierung in allzu mechanischer Weise stattfindet, könnten lokale Traditionen verletzt werden. Auf keinen Fall sollten Länder ihre Rechtsvorschriften mit Gesetzen und Bräuchen anderer Länder in Einklang bringen müssen, wo Kriminelle besonders fürsorglich behandelt werden, wo sie schrittweise zu Opfern gemacht werden, während die Opfer in Vergessenheit geraten, und wo Kriminelle genau genommen mehr Schutz als Opfer erwarten können.

Dies hat insbesondere mit der Frage zu tun, ob Festgenommenen das Recht zugestanden werden sollte, von einem Psychiater untersucht zu werden, der die Aufgabe hätte, unverzüglich das Verhalten des Festgenommenen zu beurteilen und ihn gegebenenfalls von der Schuld freizusprechen. In einem späteren Stadium des Strafverfahrens mag dies durchaus angemessen sein, doch muss das nicht gleich zu Beginn geschehen. Es darf nicht dazu führen, dass Kriminelle mehr Rechte genießen als Opfer, auch wenn dies in der modernen Gesetzgebung und Gerichtspraxis leider zunehmend üblich wird. Es ist nicht hinnehmbar, dass das Opfer als jemand angesehen wird, dessen Opferrolle bereits als unumstößlich feststeht, während gleichzeitig der Kriminelle als eine Art neues Opfer angesehen wird, das es zu retten gilt, weil dies einfach nicht stimmt. Der Kriminelle sollte immer ein Krimineller bleiben, und das Opfer immer ein Opfer.

Der Austausch von Informationen aus dem Strafregister ist ein weiteres Thema, über das man sich Gedanken machen sollte. Man sollte nicht vergessen, dass die Zeitdauer, nach der eine ergangene Strafe als verbüßt gilt, von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variiert, und es sollten Schritte unternommen werden, um Situationen zu vermeiden, in denen jemand in einem Mitgliedstaat als strafrechtlich verurteilt gilt, obwohl dies in einem anderen Mitgliedstaat nicht mehr der Fall ist.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich bin fertig, Sie brauchen mich also nicht zur Ordnung zu rufen.

 
  
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  Claeys (NI). (NL) Herr Präsident! In der Begründung ihres Vorschlags weist die Kommission darauf hin, dass die jüngsten tragischen Fälle von Pädophilie erhebliche Mängel beim Austausch von Daten über strafrechtliche Verurteilungen zwischen den Mitgliedstaaten ans Licht gebracht haben. Kommissar Frattini nannte soeben den Fall Fourniret. Ein französischer Pädophiler, der in seinem eigenen Land verurteilt wurde, konnte in Belgien ungestört sein Unwesen treiben, da die französischen Behörden es nicht für nötig gehalten hatten, die entsprechenden Stellen über ihn zu informieren. Der jetzt zur Diskussion vorliegende Vorschlag ist überfällig. Er ist letztlich eine Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen aus dem Jahr 1959. Außerdem ist der Vorschlag unzureichend und gibt auf eine große Zahl von Problemen keine Antwort. Die Mitgliedstaaten müssen ihre Strafregister schneller aktualisieren und zur Verfügung stellen. Des Weiteren müssen sie Informationen, um die sie von anderen Mitgliedstaaten ersucht werden, zügiger bereitstellen und dabei Standardformulare verwenden. Dies sind einige Schritte in die richtige Richtung, aber die Einführung eines vollwertigen automatisierten Systems zum Datenaustausch steht natürlich noch aus. Die Kommission muss in dieser Sache nun so rasch wie möglich tätig werden, vor allem, wenn sie behauptet, das System sei erst in einigen Jahren einsatzbereit – an sich ein schlechtes Zeichen. Es gibt natürlich zahlreiche juristische Auswirkungen, die noch ausführlich besprochen werden müssen. Nach der Abstimmung über den vorliegenden Vorschlag darf dieses Parlament keinesfalls den Eindruck erwecken, die Probleme im Zusammenhang mit dem Informationsaustausch seien aus dem Weg geräumt. Die Kommission zeigt mit einem treffenden Beispiel, dass dies offensichtlich nicht der Fall ist. Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, den Staat, in dem ein Verurteilter wohnhaft ist, zu informieren, wenn dies nicht der Staat ist, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Mit anderen Worten, diese Maßnahmen würden es dem bereits genannten Fourniret ermöglichen, erneut durch die Maschen des Netzes zu schlüpfen.

 
  
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  Kudrycka (PPE-DE). (PL) Herr Präsident! Sowohl im Programm von Tampere als auch später im Haager Programm wurde die gegenseitige Anerkennung von Urteilen in Strafsachen als eines der Ziele der Europäischen Union im Bereich des Strafrechts herausgestellt. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine wirksame justizielle Zusammenarbeit erforderlich, die auf gegenseitigem Vertrauen basiert, da in Ermangelung einer solchen Zusammenarbeit Kriminelle in anderen Ländern untertauchen könnten, um sich der Verantwortung für ihre Taten zu entziehen. Dies wiederum führt verstärkt zu einem Gefühl der Straflosigkeit, was erhöhte Kriminalitätsraten in Europa zur Folge hat. Genau aus diesem Grund begrüßt meine Fraktion den Bericht Costa, der Empfehlungen an die Europäische Kommission enthält, die die Festlegung einer Qualitätscharta der Strafjustiz betreffen, da die Grundrechte, die von der vorgeschlagenen Charta Verteidigern, Opfern und Rechtsanwälten zugestanden werden, gleichzeitig als Kriterium für eine gegenseitige Bewertung der Qualität der Justiz herangezogen werden können. Obwohl eine spezifische Rechtsgrundlage für eine solche Bewertung nicht vor In-Kraft-Treten des Verfassungsvertrags geschaffen wird, glaube ich, dass eine allgemeine Rechtsgrundlage bereits im Vertrag von Maastricht gefunden werden kann. Meiner Ansicht nach wäre es daher sinnvoll, wenn die Europäische Kommission den Empfehlungen des Berichts nachkommt und sich daran setzt, die Kriterien und Methoden zu entwickeln, die bei der Durchführung solcher Bewertungen verwendet werden sollen. Diese Aufgabe wird dadurch etwas erschwert, dass die unterschiedlichen Rechtssysteme, die in den verschiedenen Mitgliedstaaten gelten und die auf unterschiedliche Rechtstraditionen und -kulturen zurückgehen, wie auch die unterschiedlichen Gerichtssysteme berücksichtigt werden müssen. Die Methoden zur Durchführung solcher Bewertungen sollten auch glaubwürdige Schlussfolgerungen auf der Grundlage verlässlicher Analysen ermöglichen. Es sei ferner angemerkt, dass die gegenseitige justizielle Bewertung durch weitere Maßnahmen unterstützt werden sollte, um beispielsweise sicherzustellen, dass die Unabhängigkeit der Justiz von politischer Einflussnahme nicht nur gewahrt bleibt, sondern auch gestärkt wird. Vielen Dank.

 
  
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  Lambrinidis (PSE). – (EL) Herr Präsident! Die Strafjustiz in Europa muss zwar unabhängig sein, darf aber nicht frei von Bewertungs- und Kontrollmechanismen agieren. Die europäischen Bürger sollten Vertrauen in das Strafrechtssystem haben, sie sollten darauf vertrauen können, dass ihre Grundrechte gewahrt werden und dass an jedem Gericht der Europäischen Union Transparenz und Qualität gewährleistet sind.

In Griechenland haben wir vor kurzem eine sehr schlimme Erfahrung gemacht: die Aufdeckung von Bestechungs- und Korruptionsfällen in unserem Rechtssystem. Diese Enthüllungen haben das Vertrauen der griechischen Bürger zu ihrem Rechtssystem ernsthaft erschüttert. Und auch wenn die griechische Justiz jetzt in ihrem Haus Ordnung schafft, ist das nicht genug. Wie andere europäische Länder, die mit ähnlichen Korruptionsfällen in ihrem Rechtssystem konfrontiert gewesen sind, bestätigen können, ist das äußerst schwierig. Wir sind deshalb aufgerufen, auf europäischer Ebene Unterstützung zu leisten. Wie aber kann Europa Unterstützung leisten? Mit einer Bewertung der spezifischen Verfahren sowie mit bewährten Praktiken. Und worin besteht das Problem? Jeder, der die Bedeutung dieser Evaluierung anzweifelt, gibt stillschweigend seine Zustimmung. Auch wenn ein Mitgliedstaat der Ansicht ist, sein Strafrechtssystem sei so hervorragend, dass er nicht von anderen lernen müsse, dann sollte er wenigstens die anderen dabei unterstützen, von ihm zu lernen. Und sofern die Richter sich an die Qualitätscharta halten, wird es keine Probleme bezüglich ihrer in diesem Vorschlag geforderten Unabhängigkeit geben.

 
  
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  Drčar Murko (ALDE). (SL) Vielen Dank. Aus dem großen Umfang, den die Bestimmungen zur Angleichung nationaler Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Strafrechts, des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts im Verfassungsvertrag für Europa einnehmen, können wir schlussfolgern, dass der Plan für einen einheitlichen Strafrechtsraum immer klarere Züge annimmt. Seine Festschreibung im Verfassungsvertrag ist die Folge legislativer Entwicklungen seit 1990, und nicht ihr Beginn und beruht insbesondere auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Mit Blick auf die unterschiedlichen Verfassungsordnungen und Strafrechtstraditionen muss sich dieses Vertrauen auf bestimmte vergleichbare Mindestkriterien stützen.

Wir begrüßen diese Orientierung, doch haben Parlamentarier auch die Pflicht, die Methoden der Rechtsangleichung genau zu überwachen, vor allem, wenn es dringend geboten ist, den Schutz grundlegender Menschenrechte zu verstärken. Würden wir nicht auf ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Elementen achten, wäre das Strafrecht zwar erfolgreich vereinheitlicht, aber nicht zwangsläufig demokratisch legitimiert. Das Strafrecht ist auch ein Gradmesser für die Qualität der Demokratie. Vielen Dank.

 
  
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  Allister (NI).(EN) Herr Präsident! Mit dem durchaus vernünftigen Informationsaustausch über strafrechtliche Verurteilungen zwischen Mitgliedstaaten habe ich keine Schwierigkeiten, doch nur die politisch Blinden werden die Vorschläge im Bericht Costa nicht als Teil des Harmonisierungsprozesses erkennen, der gegenwärtig europaweit im Strafrechtssystem stattfindet. Das ist nämlich eine Vorwegnahme der EU-Verfassung, in der diese Harmonisierung eine Schlüsselrolle spielt.

Ich selbst lehne ein Strafrechtssystem nach kontinentalem Muster ab, da dies auch einen Angriff auf wesentliche Bausteine unseres unverwechselbaren und historischen britischen Rechtssystems bedeutet, wozu nicht zuletzt Geschworenenverfahren, Habeas-Corpus-Verfahren und die Trennung der Justiz vom Ermittlungsverfahren zählen.

Dieser Bericht Costa ist trotz seiner plausiblen Formulierung Teil dieses Harmonisierungsprozesses, mit dem ein einheitliches Strafrechtssystem geschaffen werden soll. Das dient meiner Ansicht nach nicht den Interessen des britischen Volkes, weshalb ich den Bericht ablehnen werde.

 
  
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  Wieland (PPE-DE). Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben manchmal Fälle, wo Kommission oder Rat oder Parlament – oder zwei davon, oder alle drei – dem Bürger oder einer relevanten Gruppe weit vorauseilen. Wir sind dann zu schnell und zu ambitioniert und haben müde Menschen mitzunehmen. Auf diesem Feld, über das wir uns heute Abend unterhalten, werden wir alle in Haftung genommen, weil die Ergebnisse zählen, die wir erzielen, oder besser, die Ergebnisse zählen, die wir nicht erzielen. Herr Kommissar, wir hinken auf diesem Feld nicht nur der Lebenswirklichkeit der Kriminalität hinterher – denn längst ist nicht mehr nur die organisierte Kriminalität grenzüberschreitend –, sondern wir hinken auch der Kriminalität der Einzelnen hinterher.

Wir hinken auch mit beidem dem Willen der Bürger hinterher, der einen Anspruch darauf und den politischen Willen hat, dass der Kriminalität des 21. Jahrhunderts nicht mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts begegnet wird; und man hat leider manchmal den Eindruck, dass Informationen per Depesche angefordert werden und per Depesche auch geliefert werden. Wir brauchen einen verbesserten Informationsfluss. Dieser hat auch nichts mit reduziertem Datenschutz zu tun, wie von vielen befürchtet wird, denn Daten über bestimmte Bereiche qualifizierter Kriminalität, die in Kehl begangen wurde, sind in Offenburg genauso bedeutsam wie in Straßburg. Solche Daten auszutauschen hat alles mit dem Anspruch des Bürgers auf Schutz und nichts mit dem Anspruch des Täters auf Schutz der Privatsphäre zu tun.

Es geht hier auch nicht um das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, sondern es geht schlicht um das Vertrauen des Bürgers in diesen Kontinent, um das Vertrauen, wie gut oder wie schlecht wir diese Frage regeln. Wenn es eine conclusio daraus gibt, dann die, dass wir fragen – wie eine große deutsche Zeitung es getan hat –, ob die Bürger ein einheitliches Strafrecht wollen, und die Antwort ist Ja.

Die conclusio aus diesem Bericht heißt, jeder sollte klar sagen, ob er wirkliche Verbesserungen will oder ob er sie nicht will. Er sollte sich jedenfalls nicht hinter Software-Problemen verstecken.

 
  
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  Fava (PSE).(IT) Herr Präsident, Herr Frattini, meine Damen und Herren! Ich möchte den Berichten Di Pietro und Costa, denen ich voll und ganz zustimme, nichts hinzufügen. Stattdessen möchte ich mich zu einem Widerspruch äußern, dem wir uns heute Abend stellen müssen.

Jeder weiß, dass nur eine verstärkte justizielle Zusammenarbeit einen wesentlichen Beitrag zum Kampf gegen Terrorismus und das organisierte Verbrechen leisten kann, und das beinhaltet die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, den Austausch von Informationen und die Harmonisierung von Garantien bei Gerichtsverfahren. Jedoch wissen wir auch, dass viele Mitgliedstaaten alles in ihrer Macht Stehende tun, um eine solche justizielle Zusammenarbeit zu behindern. Deswegen besteht unseres Erachtens Ihr Mandat auch darin, sich dem Rat gegenüber stark zu machen und dafür zu sorgen, dass sich alle Gemeinschaftsorgane fest an dieses Ziel halten.

Um das durchführen zu können, was in der Europäischen Verfassung vorgesehen und vorgeschrieben ist, und was wir nicht unerfüllt lassen wollen, ist ein stärkerer politischer Wille notwendig. Eben um der Konsultation und der justiziellen Zusammenarbeit willen fordern wir Sie, Herr Frattini, eindringlich auf, sich höflich aber bestimmt beim italienischen Parlament und bei der italienischen Regierung einzuschalten, denn Sie haben ja selbst dieser Regierung einmal angehört. Italien ist das einzige Land, das den europäischen Haftbefehl nicht umgesetzt hat. Bis gestern hat es sich dabei ja vielleicht noch um nicht mehr als eine schwer wiegende Angelegenheit gehandelt, heute aber, da werden Sie mir zustimmen, ist es völlig absurd, solche eine Situation vorzufinden.

 
  
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  Ek (ALDE). (SV) Herr Präsident! Bei dieser Aussprache geht es um Vertrauen. Dennoch gibt es in jedem Mitgliedstaat, in jedem Gefängnis und in jedem Strafvollzug Menschen, die das Gefühl haben, dass sie keinen fairen Prozess erhalten haben, weil sie die Landessprache nicht beherrschten, weil die Beweisführung nicht korrekt war oder weil sie von der Polizei oder in der Haft brutal behandelt wurden. Und das, obwohl wir in den Artikeln 6 und 13 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und vielleicht vor allem in Vorschriften des Gemeinschaftsrechts Regelungen dafür haben.

Wenn die Bürger die vier Freiheiten nutzen sollen, muss es auch Vorschriften für die Sicherheit nicht nur von Waren und Kapital, sondern auch von Personen geben. Damit jemand seine Rechte geltend machen kann, müssen nach den gegenwärtigen Regelungen die nationalen Rechtsmittel erschöpft sein. Ein Gericht kann während eines Prozesses ein Gutachten anfordern, eine Privatperson aber kann dies nicht. Wir müssen also für den einzelnen Bürger die Möglichkeit einführen, persönliche Nachforschungen oder einen besonderen Vertreter zu beantragen, damit er die gleichen Rechte wie die Gerichte hat. Erst dann können wir von Vertrauen sprechen.

 
  
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  Coelho (PPE-DE).(PT) Herr Präsident, Herr Vizepräsident Frattini, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor uns liegt ein Stück gemeinsamer Arbeit, wenn wir die Qualitäts- und Effektivitätsstandards der Justiz verbessern wollen, ohne außer Acht zu lassen, dass materiell- wie verfahrensrechtlich die Unabhängigkeit des Rechtssystems und der Schutz der Grundrechte der Bürger den Grundstein unserer europäischen Themen bilden. Um jegliche Zweifel auszuräumen, möchte ich den Abgeordneten António Costa erneut zu dem hervorragenden Bericht beglückwünschen, den er uns vorgelegt hat, wonach den europäischen Bürgern das Recht auf Zugang zu den Gerichten garantiert werden muss, sowohl durch die Union – durch die Gewährleistung einer vergleichbaren Behandlung unabhängig von dem Mitgliedstaat, in dem sie sich befinden, als auch durch die Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit ihren entsprechenden Zuständigkeiten, indem verhindert wird, dass zwischen den einzelnen Rechtssystemen bestehende Unterschiede, ein Hindernis darstellen, um ein hohes Rechts- und Schutzniveau im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erreichen.

Ich stimme mit dem Berichterstatter darin überein, dass es von grundlegender Bedeutung ist, das gegenseitige Vertrauen zu stärken, um die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsentscheidungen zu ermöglichen und damit zur allmählichen Herausbildung einer europäischen Rechtskultur beizutragen. Ich unterstütze die Idee, eine Europäische Charta der Strafjustiz zu beschließen, die bei der Bewertung der Funktionsweise der Rechtssysteme in der Union von entscheidender Bedeutung sein wird, und dass ein Mechanismus zur gegenseitigen, objektiven und unparteiischen Bewertung der Qualität der Justiz auf der Grundlage vergleichbarer statistischer Daten geschaffen wird, der schnellstmöglich in Gang gesetzt werden und nicht nur das Europäische Parlament, sondern auch die nationalen Parlamente einbeziehen sollte.

Ich beglückwünsche auch den Abgeordneten Antonio Di Pietro zu seinem Bericht und seinen Vorschlägen zur Kürzung der Fristen und zu den Bedingungen des Zugangs zu personengebundenen Daten. In der Tat ist das bestehende System des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister nicht effizient. Es ist unbedingt notwendig, ein computergestütztes System für den Austausch von Informationen zwischen den Mitgliedstaaten einzurichten, das einen schnellen Zugang zu dieser Art von Informationen im gesamten Hoheitsgebiet der Union ermöglicht. Darüber hinaus begrüße ich die neuen Ideen, die Herr Vizepräsident Frattini zu diesem Thema dargelegt hat.

 
  
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  Moraes (PSE).(EN) Herr Präsident! Dies ist ein wichtiger Bericht, denn er legt den Schwerpunkt auf zwei Schlüsselbereiche, die zuvor nicht ausreichend betont wurden. Herr António Costa hat einen wichtigen Schritt nach vorn gemacht, indem er darauf hinwies, dass es auf die Qualität der Justiz und nicht bloß auf die gegenseitige Anerkennung ankommt. Wenn irgendjemand in diesem Hause daran zweifelt, dann sollte er sich die Kopenhagener Kriterien ansehen. Die Qualität der Justiz in vielen Beitrittsländern und die Notwendigkeit, sie zu verbessern, hat beim Beitritt zur Europäischen Union eine wesentliche Rolle gespielt.

Die bisherigen 15 Mitgliedstaaten sollten auch nicht selbstzufrieden behaupten, sie hätten auf alles die richtige Antwort und in ihrer Justiz die höchste Qualitätsstufe. Sehen Sie sich an, wie wir mit Minderheiten und besonders schutzbedürftigen Personen umgehen. Daran wird das System letztlich zu messen sein.

Die Qualitätscharta der Strafjustiz in Europa sollte nichts sein, wovor die Mitgliedstaaten Angst haben. Sie sollten sie begrüßen, denn dies ist für unsere Bürger einer der am deutlichsten zu erkennenden Bereiche der Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Sie sehen es in den Medien, sie wollen Lösungen auf europäischer Ebene sehen, und sie möchten sich in einer Europäischen Union, die Unschuldigen rasch Gerechtigkeit und Schutz widerfahren lässt, sicher fühlen.

 
  
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  Varvitsiotis (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Ich werde mich darauf beschränken, ein paar Gedanken zu dem Bericht von Herrn Pietro zu äußern, den ich voll und ganz unterstütze.

Der Bericht des Berichterstatters enthält positive Punkte, denn er konkretisiert einerseits die Fristen und weist andererseits auf die Notwendigkeit hin, im Falle von dringenden Anträgen das entsprechende Verfahren zu beschleunigen und es auf 48 Stunden zu reduzieren.

Dem Kommissar gegenüber möchte ich jedoch betonen, dass die Punkte, die in den Berichten von Herrn Di Pietro und Herrn Costa angesprochen werden, zwar in die richtige Richtung weisen, sie allerdings nicht als mutige Schritte angesehen werden können.

Ich bin beispielsweise der Ansicht, dass die Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Strafurteilen unmittelbare Priorität haben sollte. Darüber hinaus halte ich es für erforderlich, die Begriffe „Verurteilung“ und „Strafregister“ eindeutig zu definieren sowie die Begriffe „Straftat“ und „Strafe“ anzupassen.

Ich bin davon überzeugt, dass die Integration der Europäischen Union nur verwirklicht werden kann, wenn wir bei der Vereinheitlichung der Regelungen im Bereich der Justiz rasch vorankommen. Die heutige Rede des Herrn Kommissars hat mich jedoch nicht davon überzeugt, dass die Kommission in dieser Richtung mit solch schnellen Schritten vorangehen wird, und das ist schade.

 
  
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  Cederschiöld (PPE-DE). (SV) Herr Präsident! Der gemeinsame Rechtsraum basiert auf der gegenseitigen Anerkennung. Wenn wir gerichtliche Entscheidungen gegenseitig anerkennen, müssen wir uns auf die Qualität der Rechtssysteme, eine gleichwertige Behandlung, effiziente ordentliche Verfahren, faire Prozesse mit Anwalt und bei Bedarf mit Dolmetscher verlassen können. Lassen Sie uns auf ein höheres Niveau der Rechtsqualität hin konkurrieren. Vielen Dank, Kollege Costa, für einen konstruktiven Bericht.

Ich komme jetzt zum Informationsaustausch, einem sensibleren Thema. Herr Di Pietro hat zwar den Vorschlag verbessert, aber ich möchte noch drei Punkte unterstreichen. Erstens, ehe ein Informationsaustausch erfolgt, muss der Datenschutz bei der Strafverfolgung erst von gleicher Qualität sein wie im Bereich des Binnenmarktes. Zweitens, der Europäische Datenschutzbeauftragte muss sich zu sensiblen Fragen äußern. Drittens, neben der Information der Mitgliedstaaten über die Verwendung der Daten muss auch der einzelne Bürger darüber informiert werden, welche Daten weitergegeben wurden.

Wir haben einen Kommissar bekommen, der, wie ich weiß, zuhört und diese Fragen versteht. Ich hoffe, Kommissar Frattini wird diese drei Elemente zukünftig zur Verstärkung des Datenschutzes einbeziehen, um sicherzustellen, dass wir bei der Strafverfolgung die gleiche Datenschutzqualität erreichen, wie wir sie beim Binnenmarkt ja bereits haben. Ich setze in dieser Beziehung wirklich große Hoffnungen auf die weiteren Bemühungen von Kommissar Frattini und möchte ihm für seine bereits geleistete Arbeit in diesem Bereich danken. Ich glaube, sie wird in diesem Bereich des Datenschutzes auch Früchte tragen.

 
  
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  Esteves (PPE-DE).(PT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren Abgeordneten! Das Thema Qualität der Strafjustiz und Harmonisierung des Strafrechts ist ein Kernthema des globalen Rechtsprojekts der Europäischen Union. Die Strafjustiz ist der Bereich der Menschenrechte, der am stärksten die Gemüter bewegt – es geht dabei um den Grundsatz der Gegenseitigkeit, die bestehenden Konflikte und die Tatsache, dass sie auf dem Grundsatz der Würde basiert. Damit berührt die Frage der Strafjustiz den moralischen Kernbestand einer europäischen politischen Kultur und macht eine aktive Politik zur Verbesserung der Qualität der Strafjustiz und zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten dringend erforderlich.

Die Schaffung einer Europäischen Verfassung, die eine verbindliche Charta der Grundrechte enthält und ein Wertesystem darstellt, das durch Einheit und Integration gekennzeichnet ist, erfordert eine höherwertige Justiz und die Harmonisierung des Strafrechts. Das Strafrecht ist eigentlich materielles Verfassungsrecht und fasst alle verfassungsmäßigen Grundrechte zusammen. Wenn keine Harmonisierung in diesem Bereich erfolgt, kommt der Grundsatz der Gleichheit der Bürger nicht zum Tragen, wird letztendlich die Verfassung nicht eingehalten. Deshalb darf die Harmonisierung des Strafrechtssystems nicht nur halbherzig erfolgen, darf sie nicht nur die Grundlage für eine gegenseitige Anerkennung von Gerichtsentscheidungen sein. Sie muss ein eigenständiges Ziel darstellen. Eine abgestimmte Politik stellt die Entscheidungsbefugnisse der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet nicht in Frage, gerade weil ihr eine Abstimmung vorausgeht.

Das Wertesystem der Europäischen Verfassung setzt zudem voraus, dass die Harmonisierung der Rechtsvorschriften das gesamte Strafrechtssystem umfasst. Sie darf nicht nur das Strafverfahren und den Strafvollzug betreffen, sondern muss auf die materiellrechtlichen Normen, die Festlegung von Tatbestandsmerkmalen und die Kriterien für die Festlegung des Strafmaßes ausgedehnt werden. Es sollte nicht nur um die Sicherheit gehen, sondern auch um die Humanisierung des Strafrechts.

Wenn Europa diesen Weg nicht beschreitet, wird das Rechtssystem seiner Verfassung letztendlich – um Kafkas satirische Metapher zu bemühen – ein System offener Türen sein, durch die aber niemand eintreten kann.

 
  
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  Frattini, Vizepräsident der Kommission. – (IT) Herr Präsident! Ich bin den Berichterstattern und den Abgeordneten, die gesprochen haben, dankbar, selbst für die Aufforderung an die Kommission, zu handeln und rasch zu handeln. Ich kann jetzt keine erschöpfenden Antworten geben, dafür ist die Zeit zu kurz, aber ich gebe einige Informationen, die für das Parlament von Nutzen sein könnten.

Bis Ende April wird die Kommission eine Mitteilung zur gegenseitigen Anerkennung und der Entwicklung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens vorlegen. Diese Mitteilung wird die meisten der von den beiden Berichten abgedeckten Themen, die wir heute behandeln, beinhalten und erwähnen und sich mit der Bewertung der Justiz, der Ausbildung von Richtern und der Harmonisierung mehrerer Verfahrensregeln befassen. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen auch mitteilen, dass wir zum Ende des Jahres ein Grünbuch über die Unschuldsvermutung herausgeben werden: Viele Abgeordnete dieses Parlaments haben betont, dass zwischen dem Recht auf Sicherheit und folglich dem Recht darauf, dass Straftaten unter Kontrolle gebracht werden, und den rechtlichen Garantien für die Angeklagten ein ausgewogenes Verhältnis herrschen muss.

Zu Beginn des Jahres 2006 werden wir ein zweites Grünbuch veröffentlichen, das das Sammeln von Beweismaterial zum Gegenstand hat und sicherlich von konkreter gefassten Initiativen zur Nutzung alternativer Strafen sowie einer interessanten – und hoffentlich äußerst nützlichen – Initiative gefolgt wird, d. h. einem im Laufe des Jahres 2005 zu erarbeitenden Rahmenbeschluss über alternative Maßnahmen im Falle zeitweiliger Inhaftierung. Ihnen ist bekannt, dass das Thema der zeitweiligen Inhaftierung bzw. der Untersuchungshaft zu denen Problemen gehört, bei denen das Recht des Bürgers auf Freiheit gegen das Recht das Staates zur Verfolgung von Straftaten abgewogen werden muss. Dies sind nur einige, meines Erachtens wichtige Beispiele für Initiativen, die die Kommission in den kommenden Monaten ergreifen wird.

Meine Damen und Herren, wenn die Mitgliedstaaten im Rat beim Austausch von Informationen aus dem Strafregister genauso mutig sind wie Sie es heute waren, dann werde ich zufrieden sein. Die Kommission würde beim Computersystem zum Austausch von Informationen sicherlich gerne schneller vorankommen. Vergangenen Monat haben wir auf der Tagung des Ministerrats in Luxemburg eine Debatte initiiert und wollen diese auch fortsetzen. Jedoch bestehen technische und auch politische Probleme, worauf einige von Ihnen verwiesen haben. Noch fehlt uns das entsprechende gegenseitige Vertrauen, um Daten über frühere Verurteilungen in eine elektronische Suchmaschine einzugeben, die technisch betrachtet sehr schnell aufgebaut werden könnte. Wie Herr Di Pietro richtig gesagt hat, ist dies nicht eine Frage neuer Daten, sondern von Daten zu Verurteilungen, die von den Richtern genutzt werden können. Daher werden wir im Falle von Auskunftsersuchen sehr vorsichtig sein, um den Gebrauch dieser Daten außerhalb der Begründung, wie sie die Justizbehörde, – der wir natürlich vertrauen müssen – gegeben hat, zu verhindern.

Abschließend möchte ich sagen, dass meines Erachtens zu diesem Thema ein geeinteres Europa vonnöten ist. Ein geeinteres Europa ist notwendig, weil wir unsere Strafrechtssysteme harmonisieren müssen, die leider äußerst unterschiedlich sind, und wir müssen uns der Rechtspositionen sicher sein, wenn – und das sollten wir besonders herausstellen – wir die Unabhängigkeit der Justiz achten. Vielleicht sollten wir uns über die Harmonisierung der Bestimmungen Gedanken machen: Die Bestimmungen zur Definition einer kriminellen Vereinigung und wie und warum der Kopf einer kriminellen Organisation bestraft werden kann, sind von Land zu Land viel zu unterschiedlich. Dementsprechend sollten wir uns über ein Thema Gedanken machen, nämlich eine etwas stärkere Harmonisierung der Strafrechtssysteme. Diese Aufgaben werden wir ohne Vorbehalt übernehmen. Und dann werden wir genau überwachen, wie gut sich die Mitgliedstaaten an diese Grundsätze halten.

In drei Tagen werde ich dem Rat der Justizminister die Kommissionsmitteilung zum europäischen Haftbefehl vorlegen und die Gelegenheit ergreifen, sehr deutlich zu sagen, dass Italien leider – zu meinem großen Bedauern – das einzige Land in Europa ist, das die notwendigen nationalen Rechtsvorschriften noch nicht angenommen hat und dass es auch einige Länder gibt, die die nationalen Rechtsvorschriften zwar angenommen haben, doch, wie ein Abgeordneter gesagt hat, versucht haben, Filter einzubauen, die dem europäischen Geist nicht entsprechen. Die Rechtsvorschriften zum Haftbefehl dienen dazu, die Umsetzung bestimmter Verfahren zu beschleunigen. Wenn wir diese beim Terrorismus und beim organisierten Verbrechen beschleunigen wollen, müssen alle Mitgliedstaaten Vertrauen in das System haben, und wir werden sorgfältig darauf achten, dass die europäischen Bestimmungen in vollem Umfang eingehalten werden.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.

 

16. Wettbewerbspolitik 2003
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt nun der Bericht von Jonathan Evans (A6-24/2005), im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung, über den XXXIII. Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik - 2003 (2004/2139(INI)).

 
  
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  Evans, Jonathan (PPE-DE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Es mag etwas seltsam anmuten, dass wir heute, zu Beginn des Jahres 2005, über den Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik für 2003 beraten. Das liegt aber nur daran, dass letztes Jahr Wahljahr war; bei der Debatte selbst geht es um viel allgemeinere Themen.

Für das Parlament ist es eine Gelegenheit, und auch durchaus angebracht, dem aus dem Amt geschiedenen Kommissar Mario Monti, der zur Zeit dieses Berichts Wettbewerbskommissar war, unseren großen Respekt zu erweisen. Zwangläufig stützen sich der Bericht selbst und die Stellungnahme des Parlaments auf das umfangreiche Programm zur Umgestaltung der Wettbewerbspolitik, für das Herr Monti so viel Lob erhalten hat.

Es handelt sich hier um eine Debatte, die mit der Industrie stattfinden musste, und zwar nicht nur in Bezug auf die Modernisierung der kartellrechtlichen Bestimmungen selbst. Die Industrie musste Sinn und Zweck dieser Reform erkennen. Das Ziel bestand darin, ein System abzuschaffen, das in sich unnötig bürokratisch war, damit so die Mittel der Kommission zum wirkungsvollen Durchgreifen gegen so genannte Hard-Core-Kartelle eingesetzt werden konnten. Darüber hinaus hat es eine Reform der Fusionsverordnung gegeben, eine Umstrukturierung der Taskforce zur Fusionskontrolle und die ersten Schritte zur Reform der staatlichen Beihilfen. Ich weiß, dass unsere neue Kommissarin diese Auffassung hinsichtlich des Erbes von Herrn Monti ebenfalls teilt, denn erst kürzlich sprach sie an der Bocconi-Universität und äußerte sich in ähnlicher Weise über die Leistungen von Herrn Monti.

Es führt auch kein Weg daran vorbei, dass wir unser Augenmerk nicht nur auf dieses Arbeitsprogramm und die daraus zu ziehenden Lehren richten, sondern auch darauf, wie sich dieses Arbeitsprogramm nun auf die Anstrengungen zur Verbesserung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit auswirkt. Wir versuchen nicht, die Regeln der Wettbewerbspolitik einfach nur so oder als eine Art bürokratische Übung zu ändern. Vielmehr besteht der Zweck darin, im Interesse der Verbraucher auf eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit Europas hinzuwirken und Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Genau darum geht es bei der Durchführung einer effizienten Wettbewerbspolitik.

Ich möchte kurz ein Wort zur neuen Kommissarin sagen, womit ich sie hoffentlich nicht in Verlegenheit bringe. Es haben mich viele zu meiner Meinung über den Wandel gefragt, den wir jetzt haben werden. Bis vor vier Wochen, so nehme ich an, haben wir uns das in einem gewissen Maß alle gefragt. Die Kommissarin ist im Laufe des letzten Monats sehr aktiv gewesen. Am 3. Februar sprach sie zum Ausschuss des Parlaments für Wirtschaft und Währung und legte ihr Programm für diese Funktion dar. Ich habe ihre Rede in Mailand an der Universität von Mario Monti bereits erwähnt, und am 17. Februar hielt Frau Kroes eine weitere Rede in Paris. Zusammengenommen zeigen diese Reden überaus deutlich, welch fortschrittliches Programm die Europäische Kommission nun verfolgen möchte.

Ich möchte der Kommission mein Lob dafür aussprechen, dass sie entschlossen ist, die Regeln zur Reform der staatlichen Beihilfen zu präzisieren. In unserem Bericht sehen wir dies als ein Gebiet an, auf dem unseres Erachtens seitens der Kommission weiterer Handlungsbedarf besteht. Damit meinen wir nicht, dass die Kommission nur untätig dasitzt und darauf wartet, dass sich irgendjemand über wettbewerbswidriges Verhalten in irgendeinem Wirtschaftszweig beschwert. Wir wollen sicherstellen, dass die ganze Art und Weise, in der die Wirtschaft innerhalb Europas funktioniert, so gestaltet ist, dass freier und fairer Wettbewerb gefördert und infolgedessen die Wettbewerbsfähigkeit Europas gestärkt wird.

Ein weiterer Bereich, in dem Herrn Monti besonderes Lob gebührt, ist schließlich noch seine Tätigkeit auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit. Wir können auch dann zusammenarbeiten, wenn wir konkurrieren. Ich erinnere mich noch gut an die Reaktion einiger Menschen in Amerika vor einigen Jahren auf die von Herrn Monti getroffene Entscheidung im Fall GE/Honeywell. Heute hatte ich die Ehre, der Rede von Präsident Bush beizuwohnen und danach zu beobachten, wie er Alex Schaub die Hand reichte, der zum Zeitpunkt jener Entscheidung Generaldirektor für Wettbewerb war. Dies ist ein Beispiel für internationale Zusammenarbeit. Ich muss dem scheidenden Kommissar mein Lob aussprechen, und ich sehe der Amtszeit der neu ernannten Kommissarin, Frau Kroes, erwartungsvoll entgegen.

 
  
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  Kroes, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Es ist mir eine große Freude, an meiner ersten Debatte mit Ihnen hier im Plenum teilzunehmen, und das Thema hätte nicht besser gewählt werden können. Es ist kein Zufall, dass das Arbeitspapier der Kommission heute als erstes auf der Tagesordnung stand. Der Präsident der Kommission unterstrich, wie wichtig das Arbeitsprogramm für diese Amtszeit der Kommission ist. Herr Frattini sprach als Erster und erläuterte, welche Priorität wir Strafsachen und Justiz einräumen. Jetzt ist es meine Aufgabe als Wettbewerbskommissarin, unseren Standpunkt zu dem zu erläutern, was im Bericht von Jonathan Evans steht.

Ich begrüße die Unterstützung des Europäischen Parlaments, und ich würdige die Unterstützung, die Sie in der Vergangenheit der Europäischen Kommission und insbesondere Herrn Monti, wie Sie zu Recht betonen, entgegengebracht haben. Es besteht kein Zweifel daran, dass mir Herr Monti ein großes Erbe hinterlassen hat. Die größte Ehre, die ich ihm erweisen kann, ist, seine Arbeit fortzusetzen und darauf aufzubauen.

Unter der Leitung von Präsident Barroso hat die Europäische Kommission kürzlich eine neue Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung vorgeschlagen. Der Wettbewerbspolitik kommt hier, wie Herr Evans ganz richtig erwähnte, eine entscheidende Rolle zu. Wettbewerb ist die treibende Kraft für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum, und dieses Wachstum benötigen wir dringend. Darauf haben heute Nachmittag Redner aus dem rechten wie auch dem linken Lager klar hingewiesen. Wenn wir die grundlegenden sozialen und umweltpolitischen Ziele erfüllen wollen, die den Kern unserer europäischen Werte bilden, dann ist Wirtschaftswachstum unerlässlich.

Es gibt drei Arten, wie Wettbewerbspolitik zu Partnerschaft beitragen kann.

Erstens: Im Laufe des Frühjahrs werden wir eine Debatte darüber einleiten, wie die Vorschriften über staatliche Beihilfen überarbeitet werden können, um dem Gesamtziel „weniger und besser“, womit gezieltere Beihilfen gemeint sind, gerecht zu werden. Beihilfen sollten dort konzentriert werden, wo der größte Mehrwert zu erzielen ist: Innovation, Forschung und Entwicklung, Risikokapital und Entwicklung derjenigen Regionen, die den größten Rückstand aufweisen.

Zweitens: Wir werden bei der Durchsetzung fair, aber entschieden vorgehen und bei den Kartellen hart bleiben. Das steht außer Frage und entspricht auch dem Vorgehen von Herrn Monti. Wie in dem Bericht hervorgehoben wird, ist es nicht hinnehmbar, dass die globalen Vorteile des Binnenmarktes von Kartellen und anderen unlauteren Geschäftspraktiken bei einer Handvoll Unternehmen untergraben werden.

Drittens: Wir werden neue Wege prüfen, wie der Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes angekurbelt werden kann, indem wir sektorale Untersuchungen und ein Wettbewerbs-Screening durchführen, um die verbleibenden, oftmals versteckten, regulatorischen und privaten Wettbewerbshemmnisse aufzudecken und anzugehen.

Bei der Umsetzung dieser Prioritäten werde ich die hilfreichen Bemerkungen des uns vorliegenden Berichts berücksichtigen. Ich kann Ihnen versichern, dass mir die Sicherstellung eines stetigen und konstruktiven Dialogs über Wettbewerbsfragen mit dem Hohen Haus sehr am Herzen liegt.

 
  
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  Hökmark (PPE-DE), im Namen der PPE-DE-Fraktion. (SV) Herr Präsident! Zunächst einmal möchte ich meine Wertschätzung für den Bericht von Herrn Evans und dessen Schlussfolgerungen ausdrücken. Ferner möchte ich auch Frau Kroes für ihren Beitrag meine Anerkennung aussprechen und unterstreichen, dass ich zu denjenigen gehöre, die weiteren Arbeiten von ihr mit großen Erwartungen entgegensehen.

Ich meine, wir sollten uns alle der Tatsache bewusst sein, dass derzeit der Wettbewerb die treibende Kraft in der Europäischen Union sowie bei der Entwicklung und Modernisierung unserer Gesellschaft ist. Als Folge der Globalisierung sind wir einem äußeren Wettbewerbsdruck ausgesetzt, während der innere Wettbewerb durch die Erweiterung und den Binnenmarkt zunimmt. Dies setzt in der europäischen Gesellschaft eine erhebliche Dynamik und Kraft frei, und das nicht nur in den Bereichen Entwicklung, Wachstum und neue Arbeitsplätze. Außerdem halte ich ihn in der Praxis für das kraftvollste Werkzeug der europäischen Integration, wenn es um die Verbreitung von Ideen, Waren und Dienstleistungen über Grenzen hinweg geht. Genau das geschieht jetzt, und ich glaube, es besteht die Gefahr, dass wir diese Vorgänge unterschätzen. Aus diesem Grunde möchte ich den Herrn Kommissar bitten zu versuchen, diese Dimension der Auswirkungen des Wettbewerbs in die künftigen Berichte der Kommission über die Wettbewerbspolitik mit einzubeziehen. Es geht ja nicht nur um die Wirtschaft, sondern auch um die europäische Zusammenarbeit in ihrer konkretesten Bedeutung.

Meiner Ansicht nach ist es unsere Aufgabe, die grundlegenden Voraussetzungen für Wettbewerb auf neue Gebiete auszudehnen. Das betrifft die Wissensgesellschaft, einschließlich der Bereiche Forschung, Bildung und Gesundheitswesen, und auch, wie Herr Evans in seinem Bericht ausführt, die Elektrizitäts- und Telekommunikationsmärkte. Ferner möchte ich die Aufmerksamkeit des Herrn Kommissars auf den Abschnitt des Berichts lenken, der sich mit der Bedeutung guter Wettbewerbsbedingungen für die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Hersteller beschäftigt sowie mit der Notwendigkeit, eine Analyse der Wettbewerbssituation im gesamten Binnenmarkt durchzuführen und nicht nur auf nationalen und lokalen Teilmärkten. Die Unternehmen der Zukunft werden einen großen heimischen Markt verlangen. Dem muss der Binnenmarkt dienen, und in diesem Sinne sollte der Wettbewerb entwickelt werden.

 
  
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  Ferreira, Elisa (PSE), im Namen der PSE-Fraktion. – (PT) Herr Präsident, Frau Kommissarin Neelie Kroes! Der Berichtsvorschlag von Jonathan Evans hat keine grundlegenden Meinungsverschiedenheiten hervorgerufen. Ich möchte zunächst dem Berichterstatter für den Geist der Zusammenarbeit danken, der den Konsens zu fast allen Änderungsanträgen, die ich als Schattenberichterstatterin und im Namen der Sozialdemokratischen Partei Europas eingebracht habe, ermöglicht hat.

Mit diesen Änderungen ist eine Reihe von Aspekten klarer geworden, vor allem, dass die Wettbewerbsfähigkeit von grundlegender Bedeutung für die Förderung des Wachstums in Europa ist. Das ist jedoch nur eines der Ziele der Lissabon-Strategie, und es ist so wichtig wie der Zusammenhalt und die Umwelt. Dann muss das Verhältnis zwischen der Wettbewerbspolitik und den staatlichen Beihilfen klargestellt werden. Drittens müssen die Vorschriften in den Abkommen über Technologietransfer und Beihilfen für Forschung und Entwicklung präzisiert werden, vor allem wenn es um kleine und mittlere Unternehmen geht. Viertens muss der Zusammenhang zwischen den mit dem Kyoto-Protokoll verbundenen Finanzmitteln, die sich auf Unternehmensebene auswirken, und der Wettbewerbspolitik klargestellt werden. Fünftens ist eine rasche Anpassung der neuen Mitgliedstaaten an die Wettbewerbspolitik von wesentlicher Bedeutung. Sechstens ist eine enge Verbindung zwischen der Wettbewerbspolitik und der Politik des internationalen Handels sowohl auf multilateraler Ebene im Rahmen der Welthandelsorganisation als auch auf bilateraler Ebene mit den wichtigsten Partnern, darunter China, begrüßenswert.

Das sind einige der Vorschläge, die akzeptiert wurden. Zu zwei Änderungsvorschlägen war kein Konsens möglich. Einer wird von Katerina Batzeli eingereicht, der andere bezieht sich auf den Satz, in dem der Berichterstatter vorschlägt, dass das Parlament, ich zitiere, „seine Besorgnis darüber bekundet, dass die Verwirklichung der umfassenden Liberalisierung der Gas- und Elektrizitätsmärkte in der EU permanent scheitert“.

Meiner Meinung nach ist die Liberalisierung kein Ziel an sich. Sie ist ein Mittel, damit die Verbraucher auf diesem Markt wie bei anderen lebensnotwendigen Gütern die bestmöglichen Bedingungen in punkto Preis, Qualität und Universalität vorfindet, denn die Verbraucher sind in allererster Linie Bürger. Die Liberalisierung muss in einem Rahmen vor sich gehen, in dem der Charakter von Strom und Gas als öffentliches Gut sichergestellt wird. Das ist der Sinn der von mir vorgeschlagenen Änderung.

Man muss heute vielleicht mehr als je zuvor daran erinnern, dass es sich bei der Europäischen Union um ein politisches Projekt handelt, wenn auch mit ökonomischer Basis. Sofern die Vorherrschaft des Marktes bedeutet, dass den Bürgern auf lange Sicht ihre Grundrechte entzogen...

(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)

 
  
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  Manolakou (GUE/NGL), im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (EL) Herr Präsident! Der Titel, der sich auf staatliche Beihilfen für öffentlichen Dienstleistungen bezieht, ist irreführend, denn es geht hierbei um die finanzielle Unterstützung von Unternehmen. Solange es staatliche Monopole gab, die öffentliche Dienstleistungen erbracht haben, dienten diese hauptsächlich den Interessen der Plutokratie. Inzwischen sind die meisten öffentlichen Dienstleistungen jedoch – und andere werden folgen – im Rahmen der kapitalistischen Umstrukturierungen dem Privatkapital überlassen worden, sodass es auch auf diese Weise seine Gewinne steigern kann. Folglich besteht für die Europäische Union das Hauptkriterium für staatliche Beihilfen nicht darin, die Bedürfnisse des Volkes abzudecken und dessen Probleme zu lösen, sondern darin, die Beihilfen in einer solchen Weise zu gewähren, die das Kapital keinesfalls benachteiligt und dessen Gewinne nicht beeinträchtigt.

Darüber hinaus bewegt sich der Vorschlag der Kommission im Rahmen der kapitalistischen Umstrukturierungen, die durch die Öffnung der Märkte, auf denen das Kapital noch mehr Gewinne abschöpfen kann, vorangetrieben werden. Die Aspekte, die der Vorschlag bezüglich der Freistellung von der Genehmigungspflicht für staatliche Beihilfen der Europäischen Union für kleine Unternehmen von allgemeinem Interesse, das heißt für Luft- und Schifffahrtunternehmen, behandelt, sind allerdings unerheblich. Sie genügen keinesfalls den gestiegenen Bedürfnissen des Volkes, und deshalb werden wir, die Abgeordneten der Kommunistischen Partei Griechenlands im Europäischen Parlament, gegen den Vorschlag stimmen.

 
  
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  Whittaker (IND/DEM), im Namen der IND/DEM-Fraktion. (EN) Herr Präsident! Wir alle erkennen, dass eine Förderung des Wettbewerbs im Interesse wirtschaftlicher Effizienz geboten ist, und Frau Kroes hat zugesagt, die Arbeit ihres Vorgängers fortzusetzen und unlautere staatliche Beihilfen und Kartelle, wo immer sie zu finden sind, aufzudecken.

Ich möchte einen Vorschlag unterbreiten, wie sie noch viel besser vorgehen könnte. Unser Berichterstatter, Herr Evans, stellt fest, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft eines der Kernziele der Lissabon-Agenda ist. Leider wird Wettbewerbsfähigkeit in der EU zu oft so ausgelegt, dass jedes Land und jedes Unternehmen den gleichen bürokratischen Belastungen oder den gleichen Ausgangsbedingungen unterliegen muss. Das ist eigentlich nicht das Gleiche wie Wettbewerb. Ich erlaube mir, die Bemerkungen von Herrn Hökmark noch weiterzuführen und schlage vor, dass die Kommission, wenn sie denn wirklich an einer Förderung von Wettbewerb interessiert ist, auch den regulatorischen Wettbewerb einbeziehen sollte.

Dadurch könnte noch viel mehr Effizienz erzielt werden. Lassen Sie den Staaten etwas Freiheit, um ihre eigene Agrarpolitik zu bestimmen und selbst zu entscheiden, wie sie für ihre Gesundheit und Sicherheit sorgen wollen. Erlauben Sie den Staaten, ihre eigenen Regeln für all die Bereiche festzulegen, die nicht direkt mit dem Handel oder anderen Fragen von gemeinsamem Interesse zu tun haben. Das ist vielleicht ein radikaler Vorschlag, aber damit würde ermöglicht, dass Wettbewerb aus den weniger stark regulierten Wirtschaftsräumen auch anderswo den Ansporn zu weniger Regulierung bieten würde und es wieder für alle aufwärts geht.

Für diejenigen EU-Regionen, die um eine Annäherung kämpfen, würde eine Befreiung von der Überregulierung sicherlich viel mehr bringen als noch so hohe Zuwendungen aus dem immer kleiner werdenden Topf der Struktur- und Kohäsionsfonds. Herr Barroso hat einige vorsichtige Bemerkungen zum Regulierungsabbau gemacht, doch ich fürchte, dass es dazu wohl nicht kommen wird. Könnte eine substanzielle Deregulierung erreicht werden, dann würde vielleicht all die Trauer über das Scheitern der Lissabon-Agenda in Freude umschlagen, da sich die EU-Volkswirtschaften dann wirklich langsam vom Krankenbett erheben würden.

 
  
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  Rutowicz (NI). (PL) Vielen Dank, Herr Präsident! Grundlage für Maßnahmen in Bezug auf den Waren- und Dienstleistungsmarkt ist ein kohärentes Vorgehen im Bereich der Wettbewerbspolitik. Der Bericht für 2003 zeigt, dass in dieser Hinsicht gute Fortschritte erzielt worden sind, aber noch Mängel bestehen. Neue Herausforderungen ergeben sich aus dem EU-Beitritt zehn neuer Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Regelungen im Wettbewerbsrecht. Ich möchte deshalb diese Gelegenheit nutzen, um auf einige Probleme hinzuweisen.

In mehreren Mitgliedstaaten sind die Märkte für bestimmte Dienstleistungen von Berufsverbänden oder -organisationen übernommen worden, die Hindernisse schaffen, indem sie die Wettbewerbsfähigkeit einschränken. Die Richtlinie muss auch die Voraussetzungen festlegen, unter denen finanzielle Unterstützung für öffentliche Dienstleistungen oder für die Produktion in öffentlichen Unternehmen gewährt wird, um dafür zu sorgen, dass eine solche Unterstützung nicht schließlich in langfristige Beihilfen ausartet, da dies der Wettbewerbsfähigkeit schaden würde. Ferner sollte es noch Bestimmungen geben, die ermöglichen, dass öffentliche Dienstleistungen auf städtischer oder kommunaler Ebene von allen wettbewerbsrechtlichen Anforderungen befreit werden, sofern dadurch lokale Probleme besser zu lösen sind. Vielen Dank.

 
  
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  Schwab (PPE-DE). – Herr Präsident, Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wettbewerbspolitik ist eine der Kernaufgaben der Europäischen Kommission im Bereich des Binnenmarktes. Wenn wir die Diskussion von vor einigen Stunden zum Vergleich nehmen, müssen wir feststellen, dass die Europäische Union im Bereich der Wettbewerbspolitik tatsächlich ein global player ist und Sie, liebe Frau Kroes, sind die Vertreterin für diese Arbeit, denn der Bericht der hier vorgelegt wurde und diskutiert wird, beruht ja auf der Arbeit der letzten Kommission. Ihnen wünsche ich in dieser Beziehung eine erfolgreiche Hand.

Die erfolgreiche Arbeit der Kommission hat seit Bestehen der Europäischen Gemeinschaften entscheidend dazu beigetragen, dass der Europäische Markt, von fairem Wettbewerb geprägt war, der allen Bürgerinnen und Bürgern Vorteile, d. h. Qualität und günstige Preise, beschert hat.

In diesem Kontext bewertet auch der vorliegende Bericht meines geschätzten Kollegen Evans die Arbeit der Wettbewerbsabteilung der Kommission im Jahr 2003. Die Entscheidungen in diesem Zeitraum sind allerdings noch unter der Verantwortung der alten Kommission getroffen worden. Deswegen geht es bei der Diskussion jetzt darum, im Rahmen des vorliegenden Berichts die umfangreichen Veränderungen im Europäischen Wettbewerbsrecht und in der europäischen Kommission auf ihre Wirksamkeit in den kommenden Jahren zu prüfen und zu bewerten.

Die Veränderungen, die da vorgenommen würden, sind sicherlich grundsätzlich geeignet, das hohe Niveau der europäischen Wettbewerbspolitik zu erhalten. Wie ich in meiner Anfrage bereits angedeutet habe, glaube ich jedoch, dass es einige Punkte gibt, in denen eine Nachbesserung sinnvoll wäre. Dies betrifft zum einen den Schutz der Kronzeugen im Wettbewerbsrecht, und zwar europaweit, die rechtliche Qualität der Netzwerkbekanntmachung und die Sicherstellung des Schutzes vor Doppelahndung im Kartellrecht.

Ungeachtet dieser Anliegen bietet aber der vorliegende Bericht eine hervorragende Grundlage dafür, die Arbeit in der kommenden Zeit in gewohnt erfolgreicher Weise fortzusetzen. Ich wünsche Ihnen bei den Entscheidungen, die Sie in den nächsten Monaten zu treffen haben, ein glückliches Händchen, damit diese Entscheidungen gerichtsfest sind. Auch wünsche ich Ihnen, dass Sie nach wie vor, wie dies die alte Kommission getan hat, Ihre Entscheidungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger treffen können. Denn eines ist das Wichtigste in der Wettbewerbspolitik: Vertrauen und Autorität. Beides wünsche ich Ihnen.

 
  
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  Batzeli (PSE). – (EL) Herr Präsident! Ich halte es für außerordentlich positiv, dass die Kommission in ihren Ausführungen zu den sektoriellen Entwicklungen unter anderem die Notwendigkeit betont, auf Gemeinschaftsebene weitere Anstrengungen im Mediensektor zu unternehmen, um sicherzustellen, dass durch die Liberalisierung der Medien Pluralität und wirtschaftliche Entwicklung gewährleistet werden kann.

Frau Kommissarin, Herr Evans, ich möchte Ihnen persönlich zur Ihrer Arbeit gratulieren, konkret zu der Arbeit, die Sie mit diesem Bericht geleistet haben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie darauf hinweisen, dass die Kommission angesichts der kulturellen Eigenheit des audiovisuellen Sektors, aufgrund derer dieser Sektor auch nicht als eine Branche im herkömmlichen Sinn behandelt werden darf, klar die Rolle definieren sollte, die den Hauptaktionären im Rahmen der Wettbewerbspolitik zukommt. Wir halten es für wichtig, dass die Kommission, indem sie stets den freien Zugang aller Menschen zum Bereich der audiovisuellen Medien sicherstellt, dafür Sorge trägt, dass sowohl auf nationaler als auch auf Gemeinschaftsebene Medienvielfalt gewährleistet ist.

Frau Kommissarin, die Kommission weist darauf hin, dass es sich, wie Sie dies auch in Ihrem Bericht ausführen, bei den Wettbewerbsvorschriften um Regelungen handelt, mit denen Probleme, die im Zusammenhang mit der Begründung und der Verstärkung der beherrschenden Marktstellung auftreten, gelöst werden sollen, um dadurch den Abschluss von Exklusivverträgen zu beschränken. Bedeutet dies dann, dass eine Politik angenommen werden soll, bei der die restriktiven Vorschriften gegenüber den Hauptaktionären als Mittel zur Überwachung der Wettbewerbspolitik im Mediensektor fungieren? Ich würde Sie bitten, uns darauf eine Antwort zu geben, damit unser Berichterstatter, Herr Evans, eventuell den von der Sozialdemokratischen Fraktion eingereichten Änderungsantrag in seinen Bericht mit aufnehmen kann.

 
  
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  Kroes, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte denjenigen danken, die mir ein positives Feedback gegeben haben. Natürlich habe ich auch denen zugehört, die etwas kritischer waren. Die Unterstützung der Idee durch Herrn Evans und das Vertrauen, das in seinem Bericht zum Ausdruck kommt, war ein guter Ausgangspunkt.

Meine Philosophie habe ich in meinen jüngsten Reden an der Bocconi-Universität und bei der OECD in Paris dargelegt, wo all die nationalen Behörden aus aller Welt vertreten waren, die im Bereich des Wettbewerbs tätig sind. Diese Reden und dieser Bericht zeigen meiner Meinung nach, dass wir auf einer Linie liegen. Uns allen ist klar, dass Wettbewerb das Mittel ist, um unsere Wirtschaft fit zu machen, was wir in Europa dringend brauchen. Uns fehlt es sowohl an Wirtschaftswachstum als auch an Produktivität. Wir benötigen dringend ein Wirtschaftswachstum, denn wir haben umwelt- und sozialpolitische Ziele, die wir ganz zu Recht für wesentlich in unserer Kultur halten.

Ich fand die von den Abgeordneten geäußerten Bemerkungen sehr interessant und anregend. Sie bilden den Ausgangspunkt für unseren Dialog. Wie ich zuvor schon sagte, würde ich mich sehr über eine Einladung in den EMAC-Ausschuss freuen, um dort dieses Thema zu erörtern.

Hinsichtlich des Wettbewerbs beim Technologietransfer gibt es in der Tat eine Möglichkeit, diesen im Rahmen unserer Wettbewerbspolitik zu gestalten. Das ist kein gesonderter Punkt, es ist alles in einer Politik zusammengefasst.

Was die Frage von Herrn Rutowicz zur Abgrenzung der Märkte in Fusionsfällen betrifft, so begrüßt die Kommission eine stärkere Integration der Märkte und fördert sie auch tatsächlich. Daran gibt es keinen Zweifel. Mit zunehmender Integration der Märkte werden sich auch die jeweiligen Monopolmärkte weiter öffnen. Dennoch wird es vorerst weiterhin viele nationale oder regionale Märkte geben, und dies muss bei Wettbewerbsanalysen, einschließlich Marktabgrenzung, berücksichtigt werden, damit der Wettbewerb und die Verbraucher nicht darunter leiden.

Frau Elisa Ferreira stellte eine Frage zur Liberalisierung von Gas und Strom. Ich halte es auch für wichtig, die Funktionsweise des Energiemarktes zu verbessern.

In enger Zusammenarbeit mit unseren Kollegen aus dem Energieressort prüfen wir den gegenwärtigen Status des Marktes. Wir prüfen das Verhalten etablierter Teilnehmer in bestimmten Märkten und beabsichtigen, sektorspezifische Untersuchungen durchzuführen. Die sektorspezifischen Untersuchungen werden wichtige Erkenntnisse darüber liefern, wie die Märkte funktionieren und wie sie verbessert werden können.

Es ist wichtig zu unterscheiden, welcher Art der Liberalisierung der Vorzug gegeben werden soll. Ich kann denjenigen, die der Liberalisierung positiv gegenüberstehen, nur zustimmen. In einigen Fällen, in denen Liberalisierung stattgefunden hat, gibt es in diesem Markt jedoch immer noch Aktivitäten, die wir nicht akzeptieren. Wenn so etwas geschieht, sollte man nicht sagen „Ich bin gegen Liberalisierung“. Wir haben die Pflicht herauszufinden, wie die Situation konkret aussieht und wer sich nicht korrekt verhält und unsere Erwartungen nicht erfüllt.

Herr Rutowicz hat einige Bemerkungen zur Reform der staatlichen Beihilfen gemacht. Die Schlussfolgerung der Prodi-Kommission, der sich später auch der Europäische Rat anschloss, lautete, dass es weniger, aber gezieltere Beihilfen geben sollte. Darüber hinaus kam man zu dem Schluss, dass wir mit der Erweiterung einen weiteren Grund hätten, den Gebieten, die bereits in den Genuss solcher Beihilfen gekommen waren, weniger, aber gezieltere Beihilfen zu gewähren. Wir müssen jetzt feststellen, dass wir mit den zehn neuen Mitgliedstaaten ein neues Gebiet haben, wo Verbesserungen vonnöten sind und wo Beihilfen eine große Hilfe sein könnten.

Mit einer gezielteren Ausrichtung und einem besseren Einsatz von Steuergeldern können wir Beihilfen dort konzentrieren, wo sie wirklich die größte Wirkung entfalten; wo sie zur Kohäsion beitragen; wo sie Innovation, Forschung und Entwicklung fördern, wie auch Risikokapital, damit kleine und mittlere Unternehmen auch als Innovationsmotor zur Ankurbelung der Wirtschaft beitragen können. Wir müssen sicherstellen, dass sie Zugang zu Risikokapital haben, weil sie ihre Ideen voranbringen müssen. Gezieltere staatliche Beihilfen führen zu besserer Wirtschaftsleistung und -lenkung und letztlich zu mehr und sichereren Arbeitsplätzen und einer besseren Verwendung von Steuergeldern. Zu Beginn des Frühjahrs werden wir Gelegenheit haben, den Aktionsplan zur Reform der staatlichen Beihilfen vorzulegen. Dieser Aktionsplan wird Maßnahmen zur Rationalisierung des Beihilferahmens enthalten.

Ich möchte den Verwaltungsaufwand und die Bürokratie erheblich abbauen und glaube, dass die Notifizierungsanforderungen für einfache Beihilfen mit geringen Auswirkungen zu den Dingen gehören, die wir abschaffen können, damit wir unsere Mittel eher darauf konzentrieren, die folgenschweren Subventionen zu prüfen, die problematischer sind.

Frau Ferreira sagte, dass der Titel irreführend sei. Ich denke, dass der Titel des Berichts genau das abdeckt, worauf wir uns wirklich konzentrieren.

Eine andere Frage betraf die audiovisuellen Medien. Die Erhaltung und Entwicklung des Medienpluralismus ist neben der Wahrung der kulturellen Vielfalt und dem freien Zugang der Unionsbürger zu allen Arten von Medienplattformen ein grundlegendes Ziel der Europäischen Union.

Die Anwendung wettbewerbspolitischer Instrumente im Mediensektor beschränkt sich darauf, die zugrunde liegende Marktstruktur und die wirtschaftlichen Auswirkungen des Verhaltens von Medienunternehmen anzugehen. Dennoch kann die Wettbewerbspolitik – und sie tut dies auch – einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung und Entwicklung des Medienpluralismus leisten, und zwar sowohl beim herkömmlichen Fernsehen als auch bei anderen Übertragungsmärkten und den neuen Medien.

Herr Schwab unterstrich, dass die Europäische Union ein Global Player ist und dass deshalb unbedingt dafür gesorgt werden muss, dass wir in punkto Preis, Qualität und auch Forschungsmöglichkeiten mit unseren globalen Konkurrenten mithalten können. Ein guter Ansatz wäre, sich speziell auf die Steigerung von Effizienz und Transparenz zu konzentrieren und auf eine weniger bürokratische Anlaufstelle hinzuarbeiten, um in den Genuss der Kronzeugenregelung zu kommen. Dies wird in dem neuen Papier, das ich vorbereite, erläutert, und darin wird es auch um die Förderung von mehr Effizienz und Transparenz gehen.

Ich habe mich um die Beantwortung der vorgebrachten Fragen bemüht. Nochmals vielen Dank für diese Gelegenheit und nochmals danke an Herrn Evans und all diejenigen, die an der Erarbeitung dieses Berichts beteiligt waren. Die heutige Debatte ist erst der Anfang. Es ist sehr wichtig, die Diskussion weiterzuführen und dabei zu spüren, dass Sie mit uns in der Kommission auf der gleichen Linie liegen.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.

 

17. Beihilfen als Ausgleich für öffentliche Dienstleistungen
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt der Bericht von Frau Sophia in 't Veld über die Beihilfen als Ausgleich für öffentliche Dienstleistungen.

 
  
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  In 't Veld (ALDE), Berichterstatterin. (NL) Herr Präsident! Ich werde Ihnen zweifellos einen großen Gefallen tun, wenn ich sage, dass ich mich kurz fassen und Sie nicht länger als nötig mit meiner heiseren Stimme belästigen werde, denn leider muss ich als Liberale feststellen, dass zwischen mir und dem Grippevirus nicht unbedingt Chancengleichheit herrscht und ich in diesem Wettbewerb unterlegen bin. Der EU-Vertrag enthält zwei Ziele, die für diesen Bericht von Bedeutung sind. Zum einen gelten Vorschriften für Beihilfen, die das effiziente Funktionieren des Binnenmarkts gewährleisten sollen, und zum anderen besagt der Vertrag aber auch, dass diese Regeln das einwandfreie Funktionieren der öffentlichen Dienstleistungen nicht behindern dürfen. Der Binnenmarkt hat uns zahlreiche Vorteile gebracht, im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen wie auch auf anderen Gebieten. Wir stellen auch fest, dass wir alle sehr stark dem so genannten europäischen Sozialmodell mit einem guten Angebot an öffentlichen Dienstleistungen verhaftet sind, was uns übrigens ein großes Maß an Wettbewerbsfähigkeit verliehen hat. Die Vorschläge der Kommission sind sehr willkommen, und ich freue mich zu hören, dass die Worte von Frau Kroes im Grunde nur unterstreichen, was wir in unserem Bericht geschrieben haben, nämlich dass wir einerseits eine Reduzierung der Beihilfen und andererseits den Abbau unnötigen bürokratischen Aufwands anstreben und dass wir uns auf die Dinge konzentrieren, die wirklich den Binnenmarkt stören. Diese schaden nämlich unserer Wirtschaft und damit auch dem Fundament, auf dem die öffentlichen Dienstleistungen ruhen.

Ich möchte einige Kernpunkte kurz umreißen. Zunächst betone ich noch einmal, dass der Schwerpunkt auf dem Bürger als Nutzer der Dienstleistungen und als Steuerzahler liegen muss. Das mag als etwas Selbstverständliches erscheinen, aber in der Realität erhalten nur zu häufig politische, unternehmerische, institutionelle und allerlei andere Interessen Priorität, denen die Interessen des einzelnen Bürgers oft weichen müssen.

Der zweite Punkt ist die Definition der so genannten kleinen Erbringer von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Die Kommission hat angeregt, die kleinen Dienstleistungen von der Notifizierungspflicht für staatliche Beihilfen zu befreien und hat dabei mehr oder weniger vorgeschlagen, dabei denselben Schwellenwert anzuwenden wie für KMU, nämlich einen Jahresumsatz von maximal 50 Millionen Euro. Auch wenn der Ausschuss für Wirtschaft und Währung auf meinen Vorschlag hin dieser Anregung zunächst gefolgt ist, denke ich, dass wir die praktischen Auswirkungen in einigen Jahren prüfen müssen, denn wir haben keine Vorstellung davon, um wie viele Betriebe, wie viel staatliche Beihilfe insgesamt und wie viele Anmeldungen für staatliche Beihilfen es geht. Ich möchte daher genau wissen, welche Auswirkungen dieser Schwellenwert hat. Ein weiterer wichtiger Punkt für mich ist die Politikgestaltung auf gesicherter Informationsgrundlage. Seit Jahren führen wir hier im Parlament die alten Grabenkämpfe zwischen Links und Rechts über die Liberalisierung der öffentlichen Dienstleistungen. Ich halte es für wichtig, dass endlich einmal die Fakten auf den Tisch kommen. In dem Bericht fordern wir deshalb die Kommission dazu auf, in vier Jahren, wenn die Verlängerung dieser Entscheidung ansteht, einen aktuellen und detaillierten Bericht über die öffentlichen Dienstleistungen vorzulegen.

Ich möchte mit einem kleineren, eher technischen Punkt schließen. Eine Ziffer wurde in den Bericht aufgenommen, nachdem wir einen Änderungsantrag angenommen hatten, und dieser Ziffer zufolge scheint dieses Parlament vorzuschlagen, öffentliche Versorgungsaufträge seien grundsätzlich über ein Ausschreibungsverfahren zu vergeben. Das ist natürlich nicht beabsichtigt. Ich denke, viele Menschen – vielleicht nicht alle, aber viele – sind mit mir einer Meinung, dass dies an sich ein gutes Verfahren ist, das in vielen Fällen zu guten Ergebnissen führt, aber ich möchte das Missverständnis ausräumen, das Parlament werde beschließen, dass ab heute alle öffentlichen Dienstleistungen über ein solches Verfahren vergeben werden müssen. Leider wurden keine Änderungsanträge eingereicht, die dieses Missverständnis berichtigen, aber ich möchte dies der Kommission im heutigen Plenum auf jeden Fall klar zu verstehen geben.

 
  
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  Kroes, Mitglied der Kommission. (NL) Herr Präsident! Herzlichen Dank für die deutliche Erläuterung zum Bericht von Frau in ’t Veld. Die zur Sprache gebrachten Probleme sind außerordentlich bedeutsam, denn jetzt, da wir anhand der Revision der staatlichen Beihilfen prüfen, wie am besten das effektivste Ergebnis erreicht werden kann, sind es gerade die hier gemachten Anmerkungen, die zählen und deshalb hier in hohem Maße zutreffen.

Wie ich bereits in der Aussprache über den Bericht von Jonathan Evans gesagt habe, bin ich auch der Meinung, dass wir aus allen Blickwinkeln prüfen müssen, wie wir transparenter und effektiver vorgehen und dabei einen Abbau der Bürokratie und des Papierkriegs erreichen können, die niemandem dienen und zu zeitaufwendig sind. Wie Frau in ‘t Veld es so anschaulich gesagt hat, geht es hier letztlich um die Bürger, die Verbraucher und Steuerzahler, die wissen wollen, was mit ihrem Geld geschieht und mit welchem Ergebnis.

Wenn wir über Definitionen und vor allem über die Definition der kleinen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sprechen, ist es deshalb auf jeden Fall angebracht, nicht voreilig zu handeln und zu sagen, wir wissen für alle Ewigkeit, was darunter zu verstehen ist. Dies ist ein Gebiet, in dem wir Erfahrungen sammeln müssen, prüfen müssen, wie sich die Dinge entwickeln, welcher Umsatz in welcher Situation und wo entstehen würde und um welche Höhe an staatlichen Beihilfen es ginge. Welcher Umfang an Beihilfe ist letztlich nicht nur in Erwägung zu ziehen, sondern unbedingt zu berücksichtigen?

Darüber hinaus hat Frau in 't Veld ganz deutlich gesagt, sie befürworte eine Politikgestaltung auf gesicherter Informationsgrundlage. Wir müssen dies endlich in die Praxis umsetzen und uns fragen, ob es nicht eine gute Idee wäre – meines Erachtens ist es eine gute Idee, die ich gerne übernehmen werde –, in vier Jahren einen Bericht vorzulegen um die Auswirkungen des Ganzen zu zeigen und zu überprüfen, ob es die erwünschten Ergebnisse zeigt oder ob es vielleicht bessere Methoden gibt, unser Ziel zu erreichen.

Wenn man über staatliche Beihilfen spricht, so ist nicht beabsichtigt, jedenfalls nicht in unserer Diskussion, sie zu einer Dauerscheinung werden zu lassen. Das Ziel besteht darin, mit staatlichen Beihilfen einen Prozess in Gang zu setzen, der dazu führt, dass die Begünstigten eines Tages auf eigenen Füßen stehen. Um eine bekannte chinesische Redensart zu zitieren: Wenn man jemandem eine Angel schenkt, soll er damit auch Fische fangen.

Ich teile die Auffassung, dass dies ein gründlicher, auf Erfahrung basierender Bericht ist, in dem untersucht wird, ob staatliche Beihilfe funktioniert, wie sie funktioniert und ob dies die beste Methode ist. Wir stoßen jedoch auf das Gerichtsurteil im Fall Altmark und kommen zu dem vierten Kriterium. Ich gehe davon aus, dass die ersten drei Kriterien deutlich sind, und was das vierte Kriterium angeht, müssen wir feststellen, dass Ausschreibungsverfahren in allen Situationen möglich sind. In den Fällen, in denen ein Ausschreibungsverfahren möglich ist, liegt es auf der Hand, dass wir diese vier Kriterien anwenden müssen, in anderen Fällen muss man jedoch nach bestem Wissen unter den gegebenen Bedingungen die bestmögliche Entscheidung treffen, und wir müssen sagen, dass wir auf diesem Gebiet noch einige Erfahrungen sammeln müssen, um die beste Vorgehensweise zu ermitteln.

Ich möchte mich deshalb der Berichterstatterin anschließen und sagen, wir können tatsächlich die Erfahrungen gemeinsam machen und in einem Bericht vorlegen. Vier Jahre sind ein guter Zeitrahmen, in dem wir stichhaltige Angaben machen und in einer künftigen Aussprache hoffentlich erneut zu einigen Schlussfolgerungen gelangen können. Vielen Dank.

 
  
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  Purvis (PPE-DE), im Namen der PPE-DE-Fraktion.(EN) Herr Präsident! Meine Fraktion setzt sich für offene Märkte mit freiem und fairem Wettbewerb ein, da sie für Produkte von bester Qualität und Dienstleistungen zum besten Preis sorgen werden. Sie werden auch am ehesten die wirtschaftlichen Vorteile herbeiführen, die wir benötigen, wenn wir die Ziele von Lissabon erreichen und unsere sozialen und umweltpolitischen Ambitionen finanzieren wollen.

Ein anderer wichtiger Gesichtspunkt ist für unsere Fraktion die Subsidiarität: die Entscheidung sollte so bürgernah getroffen werden, wie es mit einem ordnungsgemäß funktionierenden Binnenmarkt noch vereinbar ist. Es ist nicht notwendig, dass Europa dort einschreitet, wo eine Entscheidung am besten auf nationaler oder lokaler Ebene getroffen werden kann. Deshalb freut es uns, dass es Frau in 't Veld in ihrem ausgezeichneten Bericht gelungen ist, diese beiden Prioritäten unterzubringen.

Die allgemeine Stoßrichtung lautet: fairer Wettbewerb auf freien Märkten. Ebenso wie sie würden wir ein transparentes Ausschreibungsverfahren stets vorziehen. Wenn Kommunalbehörden jedoch der Ansicht sind, dass sie für ihre Bürger etwas tun können, dann können sie dies, ohne es der Kommission melden zu müssen, solange sie die Regeln einhalten, die sicherstellen, dass mögliche Mitbewerber nicht geschädigt werden und dass es sich vor allem um kleine Firmen handelt, die vor Ort tätig sind.

Im Ausschuss wurde eine klare Entscheidung erzielt, mit der die Kommission nun einen starken Ansporn erhält. Darüber sind wir froh, und wir werden morgen die gleiche Linie vertreten. Wir wünschen Frau in 't Veld viel Erfolg mit ihrem Bericht.

 
  
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  Muscat (PSE), im Namen der PSE-Fraktion. – (MT) Vielen Dank, Herr Präsident! Lassen Sie mich zu Beginn Frau in 't Veld zu ihrem Bericht gratulieren, den ich als einen weiteren Schritt dahingehend ansehe, dass die Mitglieder dieser Union davon Abstand nehmen, jeden in das gleiche Korsett zu pressen, das auf lange Sicht niemandem passt. Stattdessen bewegen wir uns auf das Subsidiaritätsprinzip zu, das von uns verlangt, die Bedürfnisse der Länder und Regionen und auch Kommunen anzuerkennen. Ich denke, jeder, der für ein Gleichgewicht eintritt, wird einräumen, dass die Marktwirtschaft zahlreiche Vorteile bietet, obwohl wir gleichzeitig eingestehen müssen, dass immer wieder nicht zu duldende Mängeln auftreten und sich diejenigen, denen die Macht und Führungsgewalt anvertraut wurde, nicht vom Fleck rühren. Es gibt zweifellos Fälle von Missbrauch, doch gibt es auch zahlreiche andere Fälle, in denen staatliche Beihilfen, wenn sie denn vernünftig reguliert werden, zur sozialen Seele werden, die sich dort entfaltet, wo es das kalte Kalkül der Marktlogik nicht vermag. Der Erfolg dieses Europas und seiner Mitgliedstaaten lässt sich letztlich nicht allein an Wirtschaftszahlen messen. Eine gesunde Wirtschaft muss das Mittel sein, das uns dem eigentlichen Sinn und Zweck näher bringt, nämlich unseren Familien ein anständiges Leben und würdevolle Arbeit in einer besseren Umwelt zu ermöglichen. Natürlich muss jede Form der Beihilfegewährung in einem vereinbarten Rahmen erfolgen, der die Gegebenheiten in den verschiedenen Ländern berücksichtigt. In die Planung dieses Rahmens muss jeder einbezogen werden, und hier betone ich „jeder“ – Sozialpartner, Gewerkschaften, Verbraucher und der private Sektor. Und wenn wir gerade von Verbrauchern reden, so sollte auch an die Minderheiten unter den Verbrauchern und Steuerzahlern gedacht werden. Ich nenne ein Beispiel: Ein Änderungsantrag von mir, der erfreulicherweise in diesen Bericht aufgenommen wurde, vereinfacht Beihilfen für Luft- wie auch Seeverbindungen zwischen Inseln. Lassen Sie mich anhand eines Beispiels erläutern, warum das so ist. Damit die Bewohner der Insel Gozo zur Hauptinsel meines Landes Malta gelangen können, was einen 12-minütigen Hubschrauberflug erfordert, müssen sie bedingt durch die Marktwirtschaft gegenwärtig deutlich mehr zahlen, als sie für ein Flugticket für eine Reise von London nach Brüssel zahlen würden. Nun stellen Sie sich einmal vor, wie sich eine solche Region ohne eine gewisse staatliche Beihilfe entwickeln soll. Wir müssen noch weitergehen, als wir es bislang getan haben. Ich muss mir nur die Werften in meinem Land ansehen, die die Regierung schließen will und dafür die Verordnungen der Europäischen Union verantwortlich macht. Trotz der Verteufelung der Werftarbeiter haben diese Sektoren und Unternehmen unglaublich viel zu tun und mit Blick auf eine höhere technische Leistungsfähigkeit einen großen Beitrag zu leisten. Andere große Länder der Europäischen Union versteckten sich hinter dem Militär, um diesen Sektor zu subventionieren. Wir können das nicht. Es wird gesagt, dass diese Beihilfen gegen die Gesetze der Europäischen Union verstoßen. Ich sage: Dann lassen Sie uns die Gesetze ändern.

 
  
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  Klinz (ALDE), im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident, Frau Kommissarin, verehrte Kollegen! Zunächst möchte ich der Berichterstatterin für ihre hervorragende Arbeit danken. Sie hat ein äußerst anspruchsvolles Thema mit viel Sachverstand und Enthusiasmus behandelt und einen sehr transparenten Bericht vorgelegt. Für uns Liberale und Demokraten ist es selbstverständlich, dass der öffentliche Sektor die Erbringung gewisser Dienstleistungen sicherstellen muss. Das Geld der Steuerzahler muss aber sehr sorgfältig eingesetzt werden und nur dort, wo es für den Verbraucher einen echten Mehrwert erbringt. Daher ist eine klare Regelung erforderlich.

Grundsätzlich begrüßen wir, dass die Kommission versucht, einen Rahmen zu setzen, der dem Einsatz der Mittel Transparenz, Objektivität und Nachvollziehbarkeit gibt. Wir wollen eine Lösung, die sicherstellt, dass der Wettbewerb funktioniert und die Regelung der Daseinsvorsorge nicht zu Wettbewerbsverzerrung missbraucht wird. Die Vollendung des Binnenmarktes darf nicht durch eine ungebremste Ausschüttung von Beihilfen, noch dazu nach dem Gießkannenprinzip, erschwert werden.

Im Gegenteil, wir wollen für eine Lösung eintreten, die es ermöglicht, folgende Ziele zu erreichen: Die Definition der Daseinsvorsorge sollte in den Mitgliedstaaten erfolgen; auch wenn sie dann nicht gleich ist, muss sie doch vergleichbar sein. Hierin sehen wir keinen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip. Staatsbeihilfen müssen gezielt und fokussiert dort eingesetzt werden, wo sie helfen, Zukunft zu sichern. Ihr Einsatz sollte in Zukunft eher restriktiver als bisher erfolgen. Die Regelung darf die weitere Verwirklichung des Binnenmarkts nicht behindern. Wir verurteilen Versuche wie den des Bundeswirtschaftsministers in Deutschland, über Ausnahmen bei der Dienstleistungsrichtlinie eine mögliche Öffnung von Bereichen der Daseinsvorsorge zu verhindern.

Zum Schluss appelliere ich an die Kommission, die Anwendung des Regelwerks durch weitere Präzisierungen zu erleichtern. Die Kommission sollte benchmarks entwickeln und best practice-Beispiele als Referenzpunkte erarbeiten. Der best practice-Ansatz kann auf der Basis gelungener Beispiele anderen Mitgliedstaaten Anregungen geben.

 
  
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  Hudghton (Verts/ALE), im Namen der Verts/ALE-Fraktion. (EN) Herr Präsident! Meine Fraktion hat zahlreiche Änderungsanträge vorgelegt und mehrere gesonderte Abstimmungen zu diesem Bericht gefordert. Damit sollte den Abgeordneten Gelegenheit gegeben werden sicherzustellen, dass der Bericht ganz klar öffentliche Dienstleister fördert, vor allem im Gesundheitsbereich und bei der Bereitstellung von Sozialwohnungen.

Der Bericht stützt unsere Überzeugung, dass qualitativ hochwertigen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die allen zugänglich sind, große Bedeutung zukommt. Er erkennt auch den Gebietskörperschaften das Recht auf Selbstverwaltung zu. So weit, so gut. In Erwägung E heißt es allerdings, dass „der Binnenmarkt, die Liberalisierung und die Einhaltung der Wettbewerbsregeln insgesamt zu einem verbesserten Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, zu neuen Dienstleistungen mit größerer Auswahl, besserer Qualität und geringeren Kosten für die Verbraucher geführt haben“. Unserer Ansicht nach ist das doch recht fraglich, um es vorsichtig auszudrücken.

Der Bericht macht sich auch dafür stark, zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen keinen Unterschied zu machen und für alle Dienstleistungen von öffentlichem Interesse Ausschreibungen durchzuführen. Die Berichterstatterin schien anzunehmen, dass hier wohl ein Missverständnis vorlag, aber genau so kam es rüber. Dies würde bei internen Dienstleistungen innerhalb öffentlicher Stellen wie etwa lokalen Wohnungsämtern und Gesundheitsbehörden zu Problemen führen.

Meine Fraktion kann fehlende Klarheit in diesem Punkt nicht akzeptieren. Wir würden im Gegenteil sogar eine Regelung befürworten, bei der die Arten der lokalen Dienstleistungen, die die Entwicklung des Handels nicht beeinflussen und den Interessen der Europäischen Union nicht zuwiderlaufen, ausdrücklich von der Notifizierungspflicht freigestellt werden. Vorschriften für staatliche Beihilfen haben bei lokalen Behörden und anderen öffentlichen Dienstleistern oftmals zu Schwierigkeiten und Unsicherheiten geführt. Wir sollten Gewissheit haben, und wir hoffen, dass das Parlament morgen dafür stimmt.

 
  
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  Martin, Hans-Peter (NI). Herr Präsident! Der Bericht greift an der Schnittstelle der Akzeptanz zwischen einerseits zentraler Entscheidung in Brüssel und dem Ankommen und dem Leben vor Ort ein. Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass gerade im Bereich der Daseinsvorsorge und der Möglichkeit eines Ausgleichs für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen bisher wohl gepflegte Usancen in Frage gestellt werden, so dass bei ganz vielen Leuten das Gefühl bleibt: Um Gottes Willen, jetzt nehmen die mir auch noch das Letzte weg! Ich kann die Ausführungen insbesondere meines Vorredners Klinz von den Liberalen teilen, dass wir als Lösung von Seiten Brüssels vor allem auf Transparenz setzen müssen und dass bei der Subsidiarität die Gefahr besteht, dass die Kleinen es sich weiterhin richten und künstlich hohe Preise durchsetzen oder entsprechende Freunde begünstigen. Ich bin auch ganz davon überzeugt, dass wir ohne schnellere Bewertung von best practice-Modellen, also international Vergleichbarem, durch die Kommission in vier Jahren Gefahr laufen, einen negativen Abschluss- oder Zwischenbericht geben zu müssen.

Ein Zusatzpunkt noch: Nicht nachvollziehbar ist aus meiner Sicht die so weit reichende Ausnahme für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die sich ja in ihrer eigenen Praxis und Darstellungspraxis schon sehr stark in den privaten Bereich hineingedrängt haben. Ich sehe das, was die dort in vielen Bereichen machen, insbesondere etwa bei Online-Diensten, als zusätzliche Subventionierung.

 
  
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  Hoppenstedt (PPE-DE). Herr Präsident, Frau Kommissarin! Eines der wesentlichen Probleme im Zusammenhang mit der Anwendung des europäischen Beihilferechts auf die Erbringung von Leistungen von allgemeinem Interesse ist die Rechtssicherheit, man kann auch sagen die Rechtsunsicherheit. Für die Entscheidungsträger in den Verwaltungen vor Ort, in den Städten, Gemeinden und Kreisen, ist bis jetzt nicht immer klar, ob eine Ausgleichszahlung für die mit diesen Dienstleistungen verbundenen besonderen Lasten unter die Beihilfevorschriften fällt.

Müssen diese Leistungen also bei der Kommission angemeldet oder durch sie genehmigt werden? Unterlässt man eine solche Anmeldung, obwohl sie erforderlich gewesen wäre, hat dies ernste rechtliche Konsequenzen. Führt man, da man Zweifel hat, ein solches Anmeldeverfahren jedoch durch, obwohl es unnötig gewesen wäre, verstreicht während der Verfahrensdauer wertvolle Zeit. Dieser Rechtsunsicherheit soll jetzt entgegengewirkt werden. Ich begrüße und unterstütze dies ausdrücklich.

Grundlage ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Altmark Trans, wie schon erwähnt. Darauf fußend, entspricht die Kommission mit ihrem Vorschlag für die Freistellungsentscheidung unserer Forderung in der Entschließung zum Grünbuch zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 14. Januar 2004. Dieser Vorschlag ist Ausdruck einer Befürwortung von Kontrollpolitik, die sich auf die für einen funktionierenden Wettbewerb im Binnenmarkt wesentlichen Fälle konzentriert. Ausgleichzahlungen, durch die der Binnenmarkt in nur ganz unerheblichem Maße beeinträchtigt wird, werden von Beihilfekontrollverfahren freigestellt. Dies ist für die Akteure vor Ort ein entscheidender Gewinn an Rechtssicherheit.

Ausgleichsleistungen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, die den Binnenmarkt nur in geringem Umfang beeinträchtigen, sind ganz häufig die, die in ganz streng begrenztem, lokalen Umfeld gewährt werden. Sie sind daher ein typischer Anwendungsfall für die hier vorliegende Freistellungsentscheidung. Unter der Voraussetzung, dass die sonstigen Kriterien, wie eine klare Aufgabenumschreibung und die Einhaltung des Transparenzgrundsatzes gewahrt bleiben, müssen auch sie von dem angestrebten Mehr an Rechtssicherheit profitieren.

Die Berichterstatterin hat einen hervorragenden Bericht vorgelegt. Sie hat ihn im Ausschuss für Wirtschaft und Währung durch die Abstimmung stromlinienförmig machen lassen. Ich hoffe, dass wir das im Plenum genauso nachvollziehen.

 
  
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  Savary (PSE). (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Lange Zeit gehörte ich zu denen, die die Auffassung vertraten, dass es ausschließlich eine staatliche Bürokratie gebe. Doch in meiner Eigenschaft als Abgeordneter habe ich hier eine komplizierte Bürokratie des Marktes kennen gelernt: die staatlichen Beihilfen. Meines Erachtens ist das, was uns heute vorgeschlagen wird, ein grundlegender Fortschritt, nämlich - wie Sie im Rahmen der vorherigen Aussprache gesagt haben, Frau Kommissarin - kleine Beihilfen von der Notifizierungspflicht auszunehmen, weil davon ausgegangen wird, dass sie keine Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben. Dies ist meines Erachtens ein beachtlicher Fortschritt. Er muss gefestigt werden, und es wäre im Übrigen gut, diese Beihilfen letztendlich als Ausgleich für öffentliche Dienstleistungen und nicht mehr als staatliche Beihilfen zu bezeichnen. Damit könnte eine neue juristische Kategorie geschaffen werden.

Was den uns vorliegenden Bericht anbelangt, so gehöre ich zu denen, die meinen, dass einige Punkte noch näher definiert werden müssen. Insbesondere bin ich der Auffassung, dass nicht erneut wie im Ausschuss abgestimmt werden kann: Krankenhäuser und Sozialwohnungen gehören eindeutig in den Geltungsbereich. Dies reicht möglicherweise nicht aus. Ich schließe mich denen an, die eine Eigenproduktion der Gebietskörperschaften vorschlagen, die in anderen Texten gerade anerkannt wird, insbesondere in der Verordnung über Anforderungen des öffentlichen Dienstes für den Personenverkehr. Möglicherweise müssen wir die Mitteilung der Kommission über die sozialen Dienste abwarten, um sie vielleicht morgen auch in diesen Text aufzunehmen.

Schließlich bin ich der Auffassung, Frau Kommissarin, dass wir uns mit der Frage des vierten Altmark-Kriteriums befassen sollten. Dieses Kriterium ist derart kompliziert, dass damit in diesen Text – der eigentlich der Vereinfachung dienen soll – neue Hürden für die Gebietskörperschaften eingebaut werden. Wie Sie wissen, geht es um den Vergleich mit der angemessenen Rendite eines auf Gemeinschaftsebene beispielhaften Unternehmens. Dies lässt sich in der Praxis überhaupt nicht umsetzen. Daher sollte dieses vierte Kriterium zu gegebener Zeit abgeschafft werden, auch wenn das Risiko einer geringen Überkompensierung besteht, damit wir Ihr Ziel einer Vereinfachung endlich verfolgen und verwirklichen können.

 
  
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  Harkin (ALDE).(EN) Herr Präsident! Zuallererst möchte ich die Berichterstatterin beglückwünschen und sagen, dass ich diese Initiative begrüße, mit der das Verhältnis zwischen staatlichen Beihilfen auf der einen Seite und dem von den Mitgliedstaaten gewährten Ausgleich für die Kosten der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse auf der anderen Seite klargestellt wird. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sind von zentraler Bedeutung, um die Lebensqualität aller Bürger zu verbessern, und sie spielen oft eine wesentliche Rolle, um Investitionen in benachteiligte und ländliche Gebiete zu lenken und somit ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und den Zusammenhalt innerhalb der EU zu stärken.

So ist auf der nationalen Ebene etwa in Irland das Poststellennetz in Gefahr, und zwar vor allem die kleinen ländlichen Poststellen, die noch nicht auf EDV umgestellt sind und deshalb den Bürgern kein angemessenes Dienstleistungsniveau bieten können. Um das Poststellennetz aufrechtzuerhalten, werden gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen vonnöten sein, und dieser Vorschlag, begrenzte Ausgleichszahlungen von der Notifizierungspflicht bei der Kommission freizustellen, ist insofern überaus sinnvoll, als er auf nationaler und regionaler Ebene ausreichend Flexibilität bietet, ohne den Binnenmarkt zu verzerren. Zudem wird damit, wie die Berichterstatterin und die Kommissarin beide sagten, wirklich Bürokratie abgebaut.

 
  
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  De Vits (PSE). (NL) Herr Präsident! Ich stimme denen zu, die sagen, die Vorschläge der Kommission seien ein erster Schritt und der Bericht in ’t Veld sei fundiert und ein erster Ansatz. Derzeit ist die Rechtsunsicherheit für die lokalen Akteure zu groß. Wir überlassen im Moment die Entscheidung, was genau in Sachen staatlicher Beihilfen geschehen soll, dem Gerichtshof. Dies ist zwar ein Anfang, wir halten es aber für zu dürftig. Die Freistellung von Ausgleichszahlungen an Krankenhäuser und an für Sozialwohnungen zuständige Unternehmen ist ein erster Schritt, unserer Meinung nach müssen dieser Liste jedoch weitere Empfänger hinzugefügt werden. Wir, Frau Kommissarin, würden Pflegeeinrichtungen und Arbeitsvermittlungsdienste hinzufügen, die von der Notifizierungspflicht ausgenommen werden sollten. Was das vierte Kriterium im Altmark-Urteil angeht, so ist dies für uns völlig inakzeptabel und auch praktisch nicht machbar. Wie nämlich wird das durchschnittliche, gut geführte Unternehmen definiert? Was geschieht, wenn es kein privates Äquivalent gibt? Stellt der Verweis auf das durchschnittliche Privatunternehmen die dem öffentlichen Dienst übertragene Aufgabe nicht zu vereinfacht dar? Die Fiktion, ein gut geführtes Unternehmen zu sein, kann sich auch im Sinne von Entlassungen auswirken und soziale Verwerfungen nach sich ziehen. Ich fordere daher, dieses Kriterium zu streichen.

 
  
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  Hamon (PSE). (FR) Herr Präsident, Frau Berichterstatterin, Frau Kommissarin! Die Kommission sagt uns immer wieder, dass sie die Rahmenrichtlinie zu Diensten von allgemeinem Interesse nicht vorlegen könne, weil das Thema zu umfangreich sei und dem Subsidiaritätsgrundsatz unterliege.

Dennoch befasst sich die Kommission im Monti-Paket und im Vorschlag für eine Richtlinie über Dienstleistungen mit der Frage der öffentlichen Dienstleistungen. Nach und nach zeichnet sich eine Art impressionistisches Bild ihrer eigenen Vision der öffentlichen Dienstleistungen ab. Doch leider verfügt Herr Barroso nicht über den Pinselstrich eines Manet oder Renoir.

So handelt es sich bei jeder Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen zwangsläufig um eine staatliche Beihilfe und zwischen den Zeilen um eine Verzerrung des freien und unverfälschten Wettbewerbs, um eine Abweichung, der ein Ende gesetzt werden sollte. Und die Rechten in diesem Parlament gehen noch weiter: im Bericht von Frau in 't Veld wird die von der Kommission vorgeschlagene Freistellung von der Notifizierungspflicht für den sozialen Wohnungsbau und Krankenhäuser abgelehnt.

Ebenso würden, sollte das Parlament dies bestätigen, mit der Forderung nach einem Ausschreibungsverfahren vor jeder Vergabe einer Ausgleichsabgabe die direkt oder indirekt durch die öffentliche Hand verwalteten kleinen lokalen öffentlichen Dienstleistungen geschwächt.

Letzten Endes erleben wir nun nach dem Abbau der großen nationalen öffentlichen Dienstleistungen eine Schwächung der lokalen öffentlichen Dienstleistungen. Dieser Bericht in seiner gegenwärtigen Form kommt einem Betrug gleich: der Verbraucher soll angeblich glücklicher werden, indem er seiner Bürgerrechte im Zusammenhang mit den öffentlichen Dienstleistungen beraubt wird. Die portugiesischen Wähler haben dies ihrem ehemaligen Premierminister Barroso an diesem Wochenende glücklicherweise versagt.

 
  
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  Van den Burg (PSE). (NL) Herr Präsident! Sie haben richtig festgestellt, dass heute Abend zahlreiche Damen in unserer Fraktion anwesend sind, und ich weiß, dass dies die Frau Kommissarin freuen wird. Nach den scharfen Worten, die auch von unserer Seite dieses Hauses kamen, werde ich ebenfalls versuchen, Frau in 't Veld zu beglückwünschen und zu prüfen, wie wir letztlich Kompromisse in diesem Dossier erzielen können. Ich habe erfahren, dass sie Bereitschaft gezeigt hat, einige unserer Änderungsanträge zu berücksichtigen.

Beim ersten Punkt geht es, wie ich meine, um die innerbetriebliche Erbringung von Dienstleistungen. Hier möchten wir an dem festhalten, was wir im Bericht Herzog letztes Jahr gesagt haben. Wenn sie also entsprechende Änderungsanträge unterstützen könnte, würde uns dies ein ganzes Stück weiterhelfen.

Der zweite Punkt betrifft das öffentliche Auftragswesen und transparente Ausschreibungsverfahren und ist Gegenstand mehrerer von Herr Purvis vorgelegter Änderungsanträge sowie auch eines Änderungsantrags von Frau Wagenknecht, wonach ein solches Ausschreibungsverfahren nur erfolgen sollte, wenn es gesetzlich vorgeschrieben ist. Dies könnte eine Zwischenlösung sein, um etwas zu klären, was – wie Sie selbst sagen – nicht gut integriert wurde. Auf dieser Grundlage können wir dann die verschiedenen Texte – es handelt sich immer um vier verschiedene Texte – miteinander in Einklang bringen.

Den Abschluss bildet die Ausnahmeregelung für Krankenhäuser und für sozialen Wohnungsbau zuständige Unternehmen, die wir gleichfalls als eine eher willkürliche Auswahl betrachten. Wir möchten ebenso, dass diese Regelung auf transparente Weise untersucht wird und ihre Auswirkungen geprüft werden, wir möchten jedoch auch zum Ausdruck bringen, dass noch viel mehr geschehen muss und weitaus mehr Aufmerksamkeit darauf verwendet werden muss, wie die Kriterien bestimmt werden. Dies sollte unseres Erachtens nicht erst in vier Jahren geschehen, sondern jetzt, da die Dienstleistungsrichtlinie zur Diskussion steht, damit wir klare Kriterien erstellen können, die auf einer Rahmenrichtlinie zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse basieren, gerade wo es um eine Kombination aus privaten und öffentlichen Ausschreibungen geht. Ich würde diese Diskussion mit der Frau Kommissarin gerne zu gegebener Zeit weiterführen.

 
  
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  Kroes, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte mich bei Frau in 't Veld dafür entschuldigen, dass ich eingangs nicht erwähnt hatte, wie beeindruckt ich von ihrem Bericht war. Ich weiß, dass es eine schwierige Aufgabe war, aber sie war es wert. Der Beitrag, den dieser Bericht zu dieser Aussprache geleistet hat, ist wirklich wichtig, weshalb ich ihr gratuliere.

Einer der entscheidenden Beweggründe für den Kommissionsvorschlag ist die Verbesserung der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit. Eine der Bemerkungen heute Abend bezog sich auf die erforderliche Vorhersehbarkeit für diejenigen, die mit öffentlichen Dienstleistungen und Finanzierungskonzepten für öffentliche Dienstleistungen zu tun haben.

Wie ich bereits erwähnte, wollen wir auch die administrativen Belastungen senken, indem wir Verwaltungsaufwand und Bürokratie nicht nur auf europäischer, sondern auch auf nationaler und regionaler Ebene abbauen. Darum ist das Timing so wichtig.

Die Frage der wirksamen Funktionsweise der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ist für die Kommission, das Parlament, die Mitgliedstaaten und die Verbraucher – die Bürger der Europäischen Union – von großer Bedeutung. Entgegen gelegentlichen Behauptungen beeinträchtigen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft nicht das reibungslose Funktionieren dieser Dienste. Sie berühren nicht das Vorrecht und die Verantwortung der nationalen, regionalen oder lokalen Behörden, öffentliche Dienstleistungen zu definieren, zu organisieren, zu finanzieren und zu kontrollieren.

Ich halte sehr viel von der Idee, gelegentlich zu überprüfen, was wir tun. Wenn wir die Rechtssache Altmark betrachten, ist es nicht so schwierig, bei drei der vier Kriterien eine klare Entscheidung zu treffen. Deshalb kann ich mich der Meinung des Abgeordneten nicht anschließen, der erklärte, es sei schwierig, eine echte öffentliche Dienstleistung zu definieren. Genauso wenig ist es schwierig, einen Vertrag zu definieren oder die Parameter für den Ausgleich festzulegen. Wie Frau van den Burg sagte, könnte es Schwierigkeiten geben, wenn Ausschreibungen möglich sind. Wenn Schwierigkeiten auftreten, muss man die Kosten auf der Basis eines gut geführten Unternehmens kalkulieren. Was also das vierte Kriterium betrifft, so können wir, nachdem wir die Entscheidung in dieser Rechtssache nunmehr vier Jahre umsetzen, unsere Erfahrungen berücksichtigen. Wir wissen, dass Ausschreibungen für kleinere Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in Wirklichkeit nicht weit verbreitet sind. Im Fall Altmark stellt der gezahlte Ausgleich deshalb eine staatliche Beihilfe dar und muss notifiziert werden.

Die Politik der Kommission ist nicht darauf ausgerichtet, die Finanzierung von Unternehmen zu beschränken, die gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen haben. Dennoch stellen wir sicher, dass diese Finanzierung wirklich notwendig ist und nicht zu unzumutbaren Wettbewerbsverfälschungen führt. Die derzeitigen Vorschläge tragen dem neuen Umfeld Rechnung, das durch den Fall Altmark entstanden ist. Mit dem Entwurf einer Entscheidung der Kommission soll die Meldepflicht für kleine Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse abgebaut werden.

Im Vertrag ist festgelegt, dass das wirksame Funktionieren der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in die gemeinsame Zuständigkeit der Union und der Mitgliedstaaten fällt. Die Vorschläge, die Ihnen heute vorliegen, sind Teil der Bemühungen der Kommission, ihre Rolle bei der Erreichung dieses Ziels wahrzunehmen. Ich begrüße die Tatsache, dass Sie den Abbau unnötiger Bürokratie unterstützen, was ich auch berücksichtigen werde.

Der Entwurf einer Entscheidung nimmt kleine öffentliche Dienstleistungen von der Notifizierungspflicht aus und hält damit die Schwellenwerte für kleine und mittlere Unternehmen ein. Wie der Bericht von Frau in 't Veld aufzeigt, hält die Kommission dies für die sinnvollste Vorgehensweise.

Bei Krankenhäusern und Sozialwohnungen soll ebenfalls die Notifizierungspflicht entfallen. Dies wird recht deutlich gemacht und ist aufgrund der hohen Ausgleichsbeträge, die für solche öffentliche Dienstleistungen naturgemäß benötigt werden, gerechtfertigt.

Ich halte sehr viel von der Idee, dass die Kommission die Anwendung neuer Vorschriften nach einer bestimmten Zeit und nach der Durchführung einer Folgenabschätzung erneut prüfen sollte.

Um ihn anderen staatlichen Beihilferegelungen wie etwa den Leitlinien für Regionalbeihilfen und den Gruppenfreistellungen anzugleichen, schlagen wir vor, dass der Rahmen für sechs Jahre gelten und nach einer Überprüfung in diesem Fall für vier Jahre verlängert werden sollte. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte die Gültigkeit der Entscheidung nicht befristet werden, aber ich bin absolut damit einverstanden, dass eine Überprüfung erfolgen muss.

Es wurde ferner darauf hingewiesen, dass bei der Definition gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen eine eingehende Konsultation notwendig ist, insbesondere dort, wo Nutzer betroffen sind. Grundsätzlich stimmt die Kommission zu, jedoch ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten und ihrer regionalen und lokalen Behörden, öffentliche Dienstleistungen in der Praxis zu definieren. Die Kommission kann nur die Empfehlung aussprechen, dass die Mitgliedstaaten in dieser Frage eingehende Konsultationen durchführen.

Ich habe mich mit meinem Kollegen Barrot über den Vorschlag beraten, den Geltungsbereich der Entscheidung auszudehnen, die den Verkehr betrifft. Es gibt in diesem Bereich zahlreiche sektorspezifische Verordnungen, die eine Ausdehnung des Geltungsbereichs des gegenwärtigen Pakets erschweren. Allerdings ist meines Wissens ein separates Paket in Vorbereitung, und Ihre Bemerkungen zu Land- und Luftverkehrsverbindungen leisten sicherlich einen interessanten Beitrag zu diesem Paket.

Ein Benchmarking, vor allem ein Benchmarking von öffentlichen Dienstleistungen und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wäre schwer durchzuführen. Es könnte technisch nicht machbar sein, da öffentliche Dienstleistungen in verschiedenen EU-Ländern unterschiedlich strukturiert sind. Wenn man die Kosten – und vielleicht den begrenzten Nutzen – einer solchen Studie bedenkt, glaube ich nicht, dass es eine gute Idee ist.

Ich bin mir des Problems bewusst, das bei bestehenden Ausgleichszahlungen entsteht, wenn die geltenden Bedingungen nicht erfüllt werden. Mir ist klar, dass die Mitgliedstaaten eine gewisse Zeit benötigen, um ihre bestehenden Regelungen zu ändern. Wir werden uns überlegen, wie wir für eine Übergangsphase Rechtssicherheit gewährleisten können. Die Kriterien für die Altmark-Entscheidung müssen weiter entwickelt und klargestellt werden. In ihrem Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, das im Mai 2004 angenommen wurde, kündigte die Kommission an, im Jahr 2005 einen Text zu diesem Thema anzunehmen.

Frau De Vits fragte nach Sozial-, Gesundheits- und Betreuungsdiensten, und diese werden bereits vom Entwurf einer Entscheidung abgedeckt. Angesichts der Höhe der Ausgleichszahlungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen, die in der Regel für Betreuungsdienste gewährt werden, dürften die meisten von ihnen unterhalb der Schwellenwerte liegen, die in der Entscheidung für Ausgleichszahlungen festgelegt wurden, und sollten deshalb von der Notifizierungspflicht freigestellt werden.

Unter den von Frau De Vits vorgebrachten Punkten unterstützt die Kommission die Empfehlung, dass Ausschreibungen durchgeführt werden sollten, wo immer dies möglich ist, und in den meisten Fällen, in denen die Altmark-Kriterien erfüllt wurden, wird es keine staatliche Beihilfe geben. Wir wissen jedoch, dass Ausschreibungen in Wirklichkeit nicht sehr weit verbreitet sind, vor allem bei kleinen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Mit Frau van den Burg stimme ich dahingehend überein, dass wir gewonnene Erfahrungen berücksichtigen müssen. Wenn wir dies tun, bekommen wir eine bessere und klarere Vorstellung davon, wie wir hier vorgehen sollten. Ist eine Ausschreibung nicht möglich, sollte als Kostengrundlage ein gut geführtes Unternehmen – in diesem Fall ein Erbringer öffentlicher Dienstleistungen – herangezogen werden.

Ich danke nochmals Frau in 't Veld. Wir werden sicherlich auf dieses Thema zurückkommen, sobald wir über mehr Erfahrung verfügen.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

 

18. Tagesordnung der nächsten Sitzung (siehe Protokoll)

19. Schluss der Sitzung
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  Der Präsident. Ich danke den Dolmetschern, dass sie so lange hier waren, und den verbliebenen Abgeordneten, in der Mehrzahl Damen – in der Tat, wir haben mehr Damen als Männer im Saal.

(Die Sitzung wird um 23.10 Uhr geschlossen.)

 
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