2. Sitzung des Europäischen Rates (Brüssel, 22./23. März 2005)
Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht des Europäischen Rates und die Erklärung der Kommission zur Tagung des Europäischen Rates (Brüssel, 22./23. März 2005).
Das Wort hat zunächst der amtierende Ratspräsident, Herr Juncker, im Namen des Europäischen Rates.
Juncker,amtierender Ratspräsident. (FR) Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, meine Damen und Herren! Am 12. Januar habe ich Ihnen hier in diesem Saal das Programm der luxemburgischen Präsidentschaft für die kommenden sechs Monate vorgestellt.
Heute werde ich Ihnen gemäß der Tradition kurz die Ergebnisse der jüngsten Tagung des Europäischen Rates darlegen. Kurz, weil angesichts der überwältigenden Präsenz der Parlamentsmitglieder die Debatte möglicherweise nicht sehr in die Tiefe gehen wird. Ich werde sie auch nicht vertiefen und Ihnen lediglich mitteilen, dass wir uns nach heftigen Debatten, nach mannhaften und überwiegend männlich geprägten Auseinandersetzungen – obwohl in dieser stürmischen Debatte auch einige weibliche Stimmen zu hören waren –, auf die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geeinigt haben. Wir sind zu einem ausgewogenen Ergebnis gekommen, da es der Stabilität die ihr gebührende Bedeutung beimisst und da alles dafür getan wurde, dass bei der Anwendung der Stabilitätsregeln die Wachstumsmöglichkeiten, die es in Europa gibt und geben muss, nicht beeinträchtigt werden. Um dies zu erreichen, haben wir die Grundprinzipien nicht verändert, doch das Interpretationsmuster ergänzt, denn nunmehr gilt der Stabilitäts- und Wachstumspakt in allen Phasen des Konjunkturzyklus, und zwar in differenzierter Weise.
Diese Reform, zu der wir gelangt sind, ist das Ergebnis einer ausgezeichneten Zusammenarbeit – wie ich hier betonen möchte – zwischen der Kommission und dem Rat oder, genauer gesagt, zwischen dem Kollegium der Kommissare und der Ratspräsidentschaft, zwischen dem für Währungsangelegenheiten zuständigen Kommissar und dem Präsidenten des Rates der Finanzminister. Es war für mich ein wirkliches Vergnügen, Hand in Hand mit der Kommission arbeiten zu können.
Über die Reform des Paktes ist bereits alles gesagt worden, und vieles, was gesagt wurde, entspricht nicht ganz der Wahrheit. Diejenigen, die sagen, nach der Reform des Paktes sei jedes Defizit zulässig, und diejenigen, die behaupten, jetzt sei die Botschaft ergangen, dass Europa auf das unfruchtbare Gelände der Verschuldung ohne Ende abgleiten könnte, irren sich grundsätzlich. Weder die Grundbestimmungen des Vertrags noch die des Paktes sind verändert worden. Die Kriterien von 3 % und 60 % bleiben die Grundpfeiler eines Systems, das weiterhin auf klaren Regeln und eindeutigen Rechtsnormen beruht.
Ich möchte hier nochmals betonen: Sobald wir eine Überschreitung des Wertes von 3 % feststellen, wird die Kommission einen Bericht verfassen und der betroffene Mitgliedstaat wird einer strengen Beobachtung unterzogen. Ich möchte hier festhalten, dass – wie dies schon immer der Fall war – die Überschreitung des Grenzwertes, d. h. der 3 %, nicht automatisch die Einleitung eines Verstoßverfahrens nach sich zieht. Manche tun so, als sei dies eine Neuerung, doch da kennen sie den Maastrichter Vertrag schlecht, der diese Regel seit 1992 vorsieht. Die Rechte der Kommission sind bei der Reform des Paktes nicht beschnitten, sondern verstärkt worden. Folglich besteht kein Anlass zur Sorge, sondern es kommt jetzt darauf an, ernsthaft darauf zu achten, dass die neuen Regeln logisch angewendet werden, und wir werden alles tun, um in den kommenden Monaten sowie anlässlich der zu treffenden Entscheidungen zu beweisen, dass der Pakt nicht tot ist, sondern weiterhin angewendet wird und anwendbar bleibt.
Der zweite Tagesordnungspunkt des Europäischen Rates von Brüssel war die Zwischenbilanz der Lissabonner Strategie. Wie Sie sich erinnern werden, herrschte in unserer Aussprache am 12. Januar große Besorgnis darüber, dass der Rat das Grundgleichgewicht der Lissabonner Strategie verändern könnte. Nachdem die Kommission ihre Mitteilung zur Lissabonner Strategie am 2. Februar sowie ihre Mitteilung zur Sozialagenda vorgelegt hatte, ist es der Kommission und dem Rat, die auch hier zusammenarbeiteten, gelungen, das grundlegende Gleichgewicht der Lissabonner Strategie zu bewahren. Natürlich haben wir die Lissabon-Strategie durch die Konzentration auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit neu ausgerichtet, ohne jedoch dabei die soziale und die Umweltdimension aufzugeben.
Wie bereits vor einigen Monaten muss ich wiederum feststellen, dass die Europäer die Bedeutung der Lissabonner Strategie immer noch nicht zu ermessen vermögen, weil die Begriffe Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität, Wachstum nicht das Gefühl der Europäer ansprechen. Denn was die Europäer wollen, ist Arbeit, ist die Möglichkeit, ein Unternehmen zu gründen und die dazu notwendigen Finanzmittel aufzutreiben, offene Märkte, leistungsfähige Kommunikations- und Verkehrssysteme zu ihrer Verfügung zu haben. Sie möchten Berufs- und Familienleben besser miteinander vereinbaren können, sie möchten Schritt halten können mit den neuen Technologien und den Möglichkeiten des Internet. Sie möchten eine gute Bildung für ihre Kinder; sie wollen über hochqualitative Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und öffentliche Dienstleistungen verfügen können; sie möchten angemessene Renten haben und sich in einer gesunden Umwelt bewegen. Auf all dies zielt die Lissabonner Strategie ab, und um der Vorstellung, dass die Regierungen und die Kommission künftig aktiver und konsequenter bei der Anwendung der Entscheidungen zur Lissabonner Strategie vorgehen müssen, Glaubwürdigkeit zu verleihen, haben wir die durchzuführenden Schritte nach drei Schwerpunkten zusammengefasst, die zehn Bereiche umfassen und durch einhundert Einzelmaßnahmen verdeutlicht werden.
Die Zahl der Akteure der Lissabonner Strategie ist hoch: dazu gehören die Kommission, das Europäische Parlament, die nationalen Parlamente, die nationalen Regierungen sowie die kommunalen und regionalen Behörden. All diese Stellen und Behörden müssen sich die Lissabonner Strategie stärker zu Eigen machen. Dies sage ich insbesondere im Hinblick auf die nationalen Regierungen, denen aufgrund der Tatsache, dass sie ihren nationalen Parlamenten sowie der europäischen Öffentlichkeit gegenüber rechenschaftspflichtig sind, die Aufgabe zukommt, alles zu tun, um die einzelnen Elemente der Lissabonner Strategie voll zum Tragen zu bringen.
Nun ein Wort zu der Richtlinie, die den Namen eines ehemaligen Kommissars trägt. Am 12. Januar habe ich vor Ihnen erklärt, dass die Präsidentschaft Ja zur Öffnung der Dienstleistungsmärkte und Nein zum Sozialdumping sagen würde, dass sie dafür eintritt, dass alle Risiken des Sozialdumpings aus diesem Richtlinienvorschlag beseitigt werden. Dies hat der Europäische Rat vom März bestätigt, indem er die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten aufforderte, an dem Richtlinienvorschlag die erforderlichen tief greifenden Änderungen vorzunehmen, damit alle sich aus dem europäischen Sozialmodell ergebenden Anforderungen eingehalten werden.
In diesem Punkt wie auch in anderen möchte ich den Eindruck oder gar den aus Unwissenheit entstehenden Verdacht entschieden zurückweisen, dass die gegenwärtige Kommission die treibende Kraft eines neoliberalen Europas sei. Dies war ganz und gar nicht mein Eindruck, als ich mit den einzelnen Kollegen der Kommission insbesondere über die Richtlinie zur Öffnung der Dienstleistungsmärkte zu diskutieren hatte. Es handelt sich um einen Richtlinienvorschlag, der die Frucht der Arbeit der alten Kommission ist. Die neue Kommission wird gemeinsam mit den anderen europäischen Organen die Veränderungen daran vornehmen, die das europäische Sozialmodell erfordert.
Wir wollen, Herr Präsident, ein Missverständnis aufklären, das in den letzten Jahren entstanden ist, weil wir mit dem, was wir getan haben, aufzeigen wollten, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Strategie der nachhaltigen Entwicklung und der von Lissabon. Es ist falsch, zu behaupten, die nachhaltige Entwicklung stelle die dritte Säule der Lissabonner Strategie dar, denn die nachhaltige Entwicklung ist ein Querschnittskonzept, das alle anderen Politiken betrifft und das somit für alles gilt, was unter die Lissabonner Strategie fällt, wie die Umwelt, die Fischerei, die Landwirtschaft, die öffentlichen Finanzen, die soziale Sicherheit. Die nachhaltige Entwicklung ist somit ein, wie es im Englischen heißt, over arching principle, das bei der Umsetzung sämtlicher Politiken, die sich die Europäische Union vorgenommen hat, zu beachten ist. Die Präsidentschaft wird daher die Initiative ergreifen und vom Europäischen Rat im Juni eine Erklärung über die Leitprinzipien der nachhaltigen Entwicklung verabschieden lassen, die als Grundlage für die Erneuerung der vom Europäischen Rat von Göteborg 2001 angenommenen Strategie der nachhaltigen Entwicklung dienen soll.
Wir haben auf der Grundlage einer Entscheidung der Umweltminister sämtliche Politiken geprüft, die man vor Augen haben muss, wenn es um das Thema des Klimawandels geht. Wie Sie feststellen konnten, hat der Europäische Rat das Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls begrüßt und insbesondere dessen Ratifizierung durch die Russische Föderation. Jetzt muss eine mittel- und langfristige Strategie der Union zum Kampf gegen den Klimawandel erarbeitet werden, die in Übereinstimmung mit dem Ziel stehen muss, das Ansteigen der durchschnittlichen globalen Oberflächentemperatur auf zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Periode zu begrenzen. Mit Blick auf die dafür weltweit erforderliche Reduzierung der Emissionen müssen in den kommenden Jahren von allen Ländern gemeinsame Anstrengungen unternommen werden. Nach Auffassung der Union müssten für die Gruppe der entwickelten Länder bis 2020 Reduzierungspfade in der Größenordnung von 15 bis 30 % gegenüber den von Kyoto vorgesehenen Ausgangswerten ins Auge gefasst werden; langfristig sollten nach den Schlussfolgerungen des Rates der Umweltminister bis zum Jahr 2050 Verringerungen in der Größenordnung von 60 bis 80 % erzielt werden.
Wir haben auf dem Europäischen Rat von Brüssel zudem eine Reihe von Themen im Zusammenhang mit den Außenbeziehungen erörtert. Sie haben mit kaum verhohlener Freude zur Kenntnis genommen, was wir zur Reform der Vereinten Nationen festgestellt haben. Wir haben die Ratstagung zum Anlass genommen, um auf das schmerzhafte Thema des Libanon einzugehen, dieses Landes, das von einem Unglück nach dem anderen heimgesucht wird und das die Solidarität der Europäer verdient. Folglich haben wir Syrien aufgefordert, rasch die eingegangenen Verpflichtungen einzulösen und alle seine Truppen sowie Geheimdienstleute aus dem Libanon abzuziehen.
Herr Präsident, ich wäre gern noch ausführlicher gewesen, doch dies kann ich am Ende der Aussprache tun, wenn es denn eine solche geben wird.
(Beifall)
Barroso,Präsident der Kommission.(PT) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, verehrte Abgeordnete! Ich freue mich, heute hier zu sein, um mit Ihnen die Auswertung der Kommission zu den Ergebnissen des Frühjahrsgipfels des Europäischen Rats zu erörtern und dabei zu erläutern, wie die Kommission die wichtigen Entscheidungen, die auf dem Gipfel getroffen wurden, umzusetzen gedenkt.
Ich habe die Schlussfolgerungen des Frühjahrsgipfels generell positiv aufgenommen. Sie waren von besonderer Bedeutung, da dieser Rat zu einem so wichtigen Zeitpunkt stattfand und die EU unter Beweis stellen musste, dass sie in der Lage ist, sich den wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, mit denen Europa derzeit konfrontiert ist, zu stellen.
Ich meine, dass wir auf diese Herausforderung zufrieden stellend reagiert haben und die Kommission die erforderlichen Impulse und politischen Orientierungen gegeben hat. Ich muss diese Gelegenheit nutzen und die Bemühungen und das Geschick von Ratspräsident Juncker und der luxemburgischen Präsidentschaft insgesamt während dieses Prozesses lobend herausstellen. An dieser Stelle möchte ich Sie auf einen Gedanken aufmerksam machen, der diesen Rat betrifft und den ich sowohl heute als auch für die Zukunft der Union für wesentlich halte: die Konvergenz der Hauptinstitutionen.
Die erste Ziffer der Schlussfolgerungen enthält eine klare Äußerung zu den strategischen Zielen der Kommission für den Zeitraum 2005-2009, die ich selbst vorgeschlagen habe: „Die Staats- und Regierungschefs haben diese Ausführungen zur Kenntnis genommen; sie begrüßen, dass zwischen dem Rat, dem Europäischem Parlament und der Kommission große Übereinstimmung über die Prioritäten der Union insbesondere hinsichtlich der Rechtsetzungstätigkeit für die kommenden Jahre besteht“. Mit dieser Einstellung werden wir die Schwierigkeiten, denen die Union in der Zukunft gegenüber stehen wird, meistern.
Ganz konkret möchte ich darauf hinweisen, dass die während des Gipfels gefassten Beschlüsse zum Stabilitäts- und Wachstumspakt und zur Neubelebung der Lissabon-Strategie die Mitgliedstaaten in die Lage versetzen werden, ihre Bemühungen um die Erreichung einer Dreieinigkeit beim Juni-Gipfel zu verstärken und hoffentlich eine Einigung über die künftige Finanzielle Vorausschau der Union zu erzielen.
Ich möchte jetzt etwas ausführlicher auf die drei Hauptthemen eingehen, die, wie Sie wissen, auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rates erörtert wurden.
Da wäre zunächst der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Wie wir alle wissen, ist der Konsens über den Pakt im November 2003 zusammengebrochen. Ein neuer Konsens über ein vernünftiges finanzpolitisches Regelwerk ist erzielt worden. Die Kommission hat in dieser Hinsicht einen sehr wichtigen Beitrag geleistet. Sie hat in ihrem Bericht über öffentliche Finanzen 2004 Diskussionen in die Wege geleitet und im September 2004 eine Mitteilung zur Stärkung und Klärung des Stabilitäts- und Wachstumspakts angenommen. Seitdem hat die Kommission aktiv zur Debatte über die Reform des Pakts beigetragen und den Ratsvorsitz in dessen Bemühungen um einen Konsens unterstützt, ohne jedoch unseren Haushaltsrahmen im Kern zu verändern.
Die Zustimmung des Europäischen Rates war ein sehr positives Ergebnis, mit dem der Pakt wieder Glaubwürdigkeit zurückgewann und die Rechte der Kommission erhalten blieben. Mit dieser Zustimmung werden die Grundsätze des Vertrages gewahrt. Das Haushaltsdefizit der Mitgliedstaaten darf nicht höher als 3 % des BIP liegen, und die Staatsverschuldung ist weiterhin auf 60 % begrenzt. Um übermäßige Defizite zu vermeiden, dürfen diese Grenzwerte nur vorübergehend und unter besonderen Umständen überschritten werden.
Neu dabei ist, dass Mitgliedstaaten zu mehr Disziplin angehalten werden. Sie müssen ihre Anstrengungen verstärken, Defizite in Wachstumsphasen abzubauen, während für wirtschaftlich schwierige Zeiten ein gewisses Maß an Flexibilität eingeführt wurde.
Die Kommission beabsichtigt, ihre Vorschläge zur Änderung der einschlägigen Bestimmungen noch vor Ende dieses Monats vorzulegen, damit die Reform bis Juni abgeschlossen werden kann. Es ist im Interesse aller, dass wir bei der Reform des Paktes rasche Fortschritte erzielen, um hinsichtlich der öffentlichen Finanzen und der Haushaltsentwicklungen eine größere Transparenz und Vorhersehbarkeit zu bieten.
Es handelt sich hier um einen ehrgeizigen Zeitplan, der jedoch zweifellos eingehalten werden kann, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten: die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament und die Europäische Zentralbank. Ich bin mir sicher, dass ich auf Ihre Mitarbeit zählen kann, um diese Ziele zu erreichen. Die Kommission wird das Nötige tun, um dieses gemeinsame Projekt zum Erfolg zu führen, und sie ist bereit, hierzu eng mit Ihnen zusammenzuarbeiten, wie im gemeinsamen Entschließungsantrag gefordert wurde. Um seine Wirkung zu entfalten, ist der Pakt auf die breitestmögliche politische Unterstützung angewiesen, weshalb eine breite Unterstützung innerhalb des Parlaments außerordentlich wichtig ist.
(FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Dank der sehr aktiven Rolle der Präsidentschaft ist von der jüngsten Tagung des Europäischen Rates der notwendige Impuls für das ehrgeizige Vorhaben von Lissabon ausgegangen. Wir haben diese Strategie wieder auf die Gleise gebracht, indem wir eindeutige Ziele – Wachstum und Beschäftigung –, wirkungsvolle und gezielte Maßnahmen sowie vereinfachte Instrumente selbstverständlich unter Berücksichtigung der ständigen Ziele der Union wie insbesondere der nachhaltigen Entwicklung festgelegt haben. Die Kommission ist äußerst zufrieden mit diesem Ergebnis, denn ihre Vorschläge dienten als Grundlage für die Beratungen und die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates.
Persönlich freue ich mich darüber, dass die Staats- und Regierungschefs unser Konzept so einmütig bestätigt und bekräftigt haben. Dies zeigt deutlich, welche impulsgebende Rolle die Kommission mit Unterstützung des Europäischen Parlaments – hierbei ist auf seine bedeutsame Entschließung hinzuweisen – bei Aufgaben spielen kann, die zugegebenermaßen zum großen Teil in die Zuständigkeit der nationalen Regierungen fallen.
Inhaltlich sind unsere Botschaften gut aufgenommen worden. Die Gespräche zwischen den Staats- und Regierungschefs ließen ein wirkliches Engagement von Seiten der Mitgliedstaaten erkennen. Ausgehend von der Tagung des Europäischen Rates vom Dezember, auf der über den Bericht Kok beraten wurde, haben die Mitgliedstaaten jetzt beschlossen, die Lissabon-Strategie neu zu beleben. Sie müssen nunmehr nationale Koordinatoren ernennen und bis Jahresende Reformprogramme vorbereiten, in denen die für mehr Wachstum und Beschäftigung zu ergreifenden Maßnahmen genau aufgeführt sind.
Die Neuausrichtung der Strategie auf Wachstum und Beschäftigung im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung fand breite Unterstützung. Es gilt, sämtliche nationalen und gemeinschaftlichen Mittel in den drei Dimensionen Wirtschaft, Soziales und Umwelt zu mobilisieren, um diese Ziele zu erreichen. Der Europäische Rat hat die erforderliche Klarstellung zu den Zielen von Lissabon und zu der Verbindung mit der Strategie der nachhaltigen Entwicklung vorgenommen. Die als eine notwendige Verbesserung der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten akzeptierte neue Politikgestaltung stellte ebenfalls einen wichtigen Aspekt dar, denn sie ermöglichte, die Glaubwürdigkeit der neuen Lissabon-Strategie ernsthaft zu testen und zu ermitteln, ob die Mitgliedstaaten wirklich bereit waren, ein konsequenteres System der Politikgestaltung zu akzeptieren. Die Antwort war positiv.
Die Hauptelemente dieses Systems werden die integrierten Leitlinien sowie die Ende 2005 vorzulegenden nationalen Programme sein. Nach Auffassung der Kommission kommt es jetzt darauf an, diese Arbeit fortzuführen und Folgemaßnahmen für die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zu bekräftigen. Für die kommenden Monate sehe ich vier Hauptetappen.
Die erste Etappe besteht in der Annahme der von Vizepräsident Verheugen und den Kommissaren Aluminia und Spidla gestern Nachmittag in Ihrem Haus vorgestellten integrierten Leitlinien durch die Kommission am 12. April. Es handelt sich um einen wichtigen Akt, mit dem die Kommission die Neuausrichtung auf Wachstum und Beschäftigung bekräftigt und den Mitgliedstaaten einen einheitlichen kohärenten Aktionsrahmen für die Vorbereitung ihrer jeweiligen Programme vorgibt. Auf der Tagung des Europäischen Rates im Juni wird dieser dann politisch bestätigt.
Unser Ansatz führt aus drei Gründen zu einem wirklichen Mehrwert. Erstens ermöglicht er eine Verstärkung der Kohärenz der im makroökonomischen und beschäftigungspolitischen Bereich durchzuführenden Maßnahmen und Reformen. Wir nehmen eine notwendige Klarstellung im Hinblick auf den Prozess des wirtschaftlichen Handelns vor und wahren das notwendige Gleichgewicht zwischen operativer Strategie und politischer Außenwirkung. Zweitens leitet er die Vorbereitung des ersten Elements des neuen dreijährigen Zyklus von Lissabon ein. Des Weiteren bietet es den politischen und strategischen Rahmen, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten ihre nationalen Aktionsprogramme gestalten müssen.
Die zweite Etappe dieses Prozesses besteht in der Vorlage eines gemeinschaftlichen Lissabon-Programms. Der Europäische Rat hat die Kommission aufgefordert, als Gegenstück zu den nationalen Programmen ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm vorzulegen. In dieses Programm, das bis zum Sommer erstellt werden soll, werden die Aktionen einfließen, die bereits in dem Begleitdokument zu unserer Mitteilung über die Revision der Lissabon-Strategie vom 2. Februar enthalten waren. Die Kommission wird dieses Gemeinschaftsprogramm zügig mit einer Reihe von wichtigen Initiativen umsetzen, die wir vorgeschlagen haben und die vom Europäischen Rat bestätigt worden sind, wie die Reform der staatlichen Beihilfen, das Europäische Technologieinstitut, die Initiative i2010.
Die dritte Etappe besteht in einer Mitteilung in Form einer methodischen Anleitung für die nationalen Berichte. Die vierte Etappe schließlich besteht in der Vorbereitung und Analyse der nationalen Programme, was für das zweite Halbjahr vorgesehen ist. Wie wir gesehen haben und wie wir feststellen können, handelte es sich nicht um eine bloße politische Erklärung, sondern der Europäische Rat wollte eine wirkliche Neuanpassung, mit deren praktischer Umsetzung bereits begonnen wurde.
Am Rande der Diskussion über die Strategie von Lissabon hat der Europäische Rat erneut bekräftigt, wie wichtig ein Dienstleistungsbinnenmarkt für das zentrale Ziel von Wachstum und Beschäftigung ist. Dabei hat er unterstrichen, dass dieser das europäische Sozialmodell bewahren muss. Der Europäische Rat forderte, dass im Rahmen des Rechtsetzungsprozesses in Verbindung mit der Richtlinie alle Anstrengungen unternommen werden, damit ein breiter Konsens herbeigeführt werden kann, der allen Zielen gerecht wird. Ich möchte nochmals unterstreichen, wie ich das schon am 2. Februar getan habe, dass die Kommission es für möglich hält, diesen Konsens herbeizuführen. Dabei hat Ihr Parlament natürlich eine zentrale Rolle zu spielen.
Das dritte wichtige Thema auf dieser Tagung des Europäischen Rates war die nachhaltige Entwicklung. Ich begrüße es, dass in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates die Wichtigkeit der Strategie der nachhaltigen Entwicklung hervorgehoben wird, wobei gleichzeitig klargestellt wird, dass die Lissabon-Strategie zu dem umfassenderen Ziel der nachhaltigen Entwicklung beiträgt.
In diesem Zusammenhang sollte ebenfalls festgehalten werden, dass der Europäische Rat die Bedeutung der Problematik des Klimawandels anerkannt und insbesondere bekräftigt hat, dass der Anstieg der globalen Oberflächentemperatur im Jahresmittel auf einen Wert von höchstens 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden muss. Ich stelle im Übrigen mit Genugtuung fest, dass die Mitteilung der Kommission „Strategie für eine erfolgreiche Bekämpfung der globalen Klimaänderung“ eine positive Aufnahme gefunden hat und die Kommission ersucht wurde, ihre Kosten-Nutzen-Analyse der Strategie zur Verringerung der CO2-Emissionen fortzuführen. Diese wird der Union helfen, eine mittel- und langfristige Strategie zu erarbeiten, die auf eine Reduzierung der Emissionen bis 2020 von 15 bis 30 % für die industrialisierten Länder abzielt. Die Kommission beabsichtigt, ihr Wirken im Rahmen der zweiten Phase des europäischen Programms zum Klimawandel fortzuführen.
Ferner begrüße ich es, dass der Europäische Rat ein starkes Signal gesetzt hat, indem er den Willen der Union hervorhob, den internationalen Verhandlungen durch die Sondierung der Möglichkeiten für eine Regelung für die Zeit nach 2012 neue Impulse zu verleihen. Der Europäische Rat ist übereingekommen, im Juni eine Erklärung über die Leitprinzipien der nachhaltigen Entwicklung anzunehmen, und hat vor, über die Revision der Strategie der nachhaltigen Entwicklung in der zweiten Hälfte dieses Jahres zu beraten. Auch hierzu wird die Kommission sachdienliche Vorschläge unterbereiten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Sie werden mir zustimmen, dass die Ergebnisse der Frühjahrstagung des Europäischen Rates eine ausgezeichnete Grundlage darstellen, um innerhalb des umfassenderen Rahmens der nachhaltigen Entwicklung für einen wirtschaftlichen Neuaufschwung in der Union zu arbeiten. Allerdings bleibt noch viel zu tun, um die Orientierungen und Entscheidungen des Europäischen Rates umsetzen zu können. Dafür ist eine Mobilisierung aller Betroffenen erforderlich, und ich kann Ihnen versichern, dass die Kommission voll und ganz bereit ist, ihren Beitrag rasch zu leisten. Ich zähle auf ihre Mitwirkung und Ihre aktive Unterstützung.
Ich möchte schließen, wie ich begonnen habe, indem ich die Übereinstimmung zwischen den Organen, die Übereinstimmung zu den mittelfristigen Zielen hervorhebe. Meiner Meinung nach muss dieser Geist der Übereinstimmung, der im Übrigen gestern zu spüren war, als ich vor dem Nichtständigen Ausschuss zu den politischen Herausforderungen und Haushaltsmitteln der erweiterten Union 2007-2013 sprach, in der vor uns liegenden Periode kraftvoll zum Ausdruck kommen. Auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rates konnten bedeutende Fortschritte erzielt werden: die Neubelebung der Lissabon-Strategie, die Revision des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Jetzt gilt es, die Finanzielle Vorausschau erfolgreich festzulegen. Dazu ist die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Ihrem Parlament wesentlich ebenso wie natürlich die in Kooperation mit dem Europäischen Rat zu leistende Arbeit.
(Beifall)
Poettering, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EVP-ED-Fraktion begrüßt die Ergebnisse des Frühjahrsgipfels im Hinblick auf die Lissabon-Strategie. Wir sind der Ansicht, dass die Sprache, die dort gefunden wurde, jetzt angemessen ist. Gleichzeitig sind die Ziele ehrgeizig, aber auch realistisch.
Wir sind mit Rat und Kommission der Meinung, dass es unser Ziel sein muss, die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union zu verbessern, dass es unser Ziel sein muss, mehr Wachstum zu erreichen, und dass wir auf diesem Wege durch eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit und ein stärkeres Wachstum auch mehr Arbeitsplätze schaffen müssen. Dabei ist es die gemeinsame Aufgabe von Kommission, Rat und Parlament, auch unsere europäische Gesetzgebung so zu gestalten, dass wir diesem Ziel gerecht werden. Das gilt insbesondere für die gesamte Gesetzgebung im Bereich von REACH, also der Chemikaliengesetzgebung, wo wir als Parlament und als Rat eine gewaltige Aufgabe in der Gesetzgebung zu erfüllen haben. Ich fordere die Kommission auf, in diesem Zusammenhang ebenfalls ihren Beitrag zu leisten.
Im Rahmen der Lissabon-Strategie begrüßen wir sehr deutlich, dass es jetzt nicht nur eine gute Zusammenarbeit zwischen Kommission, Rat und Parlament gibt, sondern insbesondere auch mit den nationalen Parlamenten. Der Präsident des Europäischen Parlaments hat die – meiner Meinung nach – sehr gute Initiative angeregt, dass wir hier im Europäischen Parlament mit nationalen Kolleginnen und Kollegen über die Lissabon-Strategie beraten haben. Das ist für die Sache – für die Lissabon-Strategie -, aber auch für die Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten gut, und das sollte ein Beispiel auch für andere Politikbereiche sein.
Was die Stabilität der europäischen Währung angeht, so hätte die große Mehrheit unserer Fraktion es begrüßt, wenn wir bei den bisherigen Regeln geblieben wären. Wir betonen sehr nachdrücklich, dass das Vertrauen in die Stabilität der europäischen Währung die Grundlage des Vertrauens für die Europäer untereinander und für den europäischen Einigungsprozess ist.
Aber man muss anerkennen – und ich richte mich hier insbesondere an den Präsidenten des Europäischen Rates mit seiner Erfahrung (ich glaube, er war ja hier der einzige, der in Maastricht dabei war und die Unterschrift geleistet hat) –, dass gesichert ist, dass an den Kriterien von 3% und 60% keine Abstriche gemacht wurden. Deswegen ist auch die Interpretation nicht richtig, man könnte auf 4% gehen, vielleicht sogar darüber. Nein! Die ausdrückliche Beschlusslage ist, dass die Verschuldung, wenn sie denn über 3% liegt, nahe bei 3% liegen sollte, und dass dies kein Freibrief und kein Alibi für eine unbegrenzte Neuverschuldung ist.
Ich fordere im Namen unserer Fraktion die Kommission auf, dass sie ihre Rolle als Hüterin des Rechts und der Stabilität in Zukunft weiter entschlossen wahrnimmt.
Was die Frage Kroatien angeht, ist unsere Fraktion der Meinung, dass man Kroatien nicht fair behandelt. Aber wir begrüßen die Anstrengungen insbesondere des Präsidenten des Europäischen Rates, der sich darum bemüht, dass am Ende nicht nur der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag darüber entscheidet bzw. die Vorentscheidung dadurch trifft, ob die Verhandlungen beginnen, sondern dass eine Kommission eingerichtet wird, die die Lage in Kroatien beurteilt. Ich empfehle, dass wir mit den Arbeiten schnell beginnen, damit auch die Verhandlungen mit Kroatien aufgenommen werden können.
Ich unterstütze nachdrücklich, was zu Kyoto gesagt worden ist. Wir stehen auf der Seite all derer, die die Reduzierung der Emissionen entschlossen vorantreiben. In unserer gemeinsamen Entschließung – der Kompromissentschließung des Parlaments – äußern wir uns in Ziffer 35 auch zu dem Waffenembargo im Hinblick auf China. Wir sagen den Staats- und Regierungschefs, dass wir als Europäisches Parlament – ich denke, dass wir uns darin einig bleiben, aber wir jedenfalls als Fraktion – einer Aufhebung des Waffenembargos aus Menschenrechts- und aus anderen Gründen nicht unsere Zustimmung geben werden.
(Beifall)
Die Priorität der Prioritäten in den nächsten Wochen ist die Verabschiedung der Europäischen Verfassung. Wir bitten alle Handelnden, ihren Beitrag zu leisten, damit wir bei dem Referendum in Frankreich und in den Niederlanden eine Mehrheit bekommen, damit wir auch eine gute Grundlage für alle weiteren Referenden haben, denn die Verfassung ist die Priorität der Prioritäten, und wir brauchen die Europäische Verfassung für die europäische Zukunft.
(Beifall)
Schulz, im Namen der PSE-Fraktion.– Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrtes leeres Haus! Ich habe meinem Kollegen Poettering mit Spannung zugehört. Wir als Sozialdemokratische Fraktion waren hoch interessiert zu hören, wie er es denn nun verkraftet, dass eine Reihe von christdemokratischen Regierungschefs eine andere Meinung vertreten als die überwiegende Mehrheit der EVP-Fraktion in diesem Hause. Er hat sich relativ elegante Formulierungen zurecht gelegt, um diesen Bruch in der konservativen Parteienfamilie, zwischen dem Block in der Parlamentsfraktion, die ja nicht homogen, sondern sehr heterogen ist, und den Regierungschefs zu kaschieren.
Worum geht es denn? Herr Poettering hat mit Lissabon begonnen und hat die Lissabon-Strategie nachdrücklich begrüßt. Da sind wir uns absolut einig. Es trifft zu, dass auf diesem Gipfel Signale gegeben wurden, was Lissabon und die Umsetzung der Lissabon-Ziele angeht, das haben der Kommissions- und der Ratspräsident richtig berichtet. Das ist es auch, was wir uns gewünscht haben, was positiv von diesem Gipfel zu vermelden ist und was Mut macht. Da sind wir uns absolut einig.
In der Kombination zwischen der Reform des Stabilitätspakts und der Notwendigkeit der Flexibilisierung, die dadurch auch für die nationalen Regierungen entsteht, und den definierten Zielen des Lissabon-Prozesses werden der Gipfel und sein Ergebnis erst richtig verständlich, Herr Kollege Poettering. Denn diejenigen, die in die Lissabon-Ziele investieren wollen und sollen, müssen auch in der Lage sein, als Staaten in diese Ziele zu investieren.
In der Kombination zwischen den notwendigen Flexibilisierungsinstrumenten, die jetzt in diesem Pakt enthalten sind, und den beschriebenen Zielen des Lissabon-Prozesses in der Kombination beider Beschlüsse liegt der besondere Reiz des Ergebnisses dieses Gipfels. Deshalb können wir als Sozialdemokratische Fraktion den Resultaten nachdrücklich zustimmen, und das kommt auch in unserer Entschließung zum Ausdruck, die wir heute mit breiter Unterstützung verabschieden werden – ich nehme an, dass jetzt auch die Skeptiker in der EVP-Fraktion den Formulierungen zum Stabilitäts- und Wachstumspakt, die fast identisch sind mit dem, was wir vor diesem Gipfel gefordert haben, zustimmen werden. Das hoffen wir, und das freut uns in besonderer Weise.
Ich habe mit gleicher Aufmerksamkeit gehört, Herr Kollege Poettering, wie Sie sich, was ich durchaus nachvollziehen kann, für eine schnelle Aufnahme von Verhandlungen mit Kroatien ausgesprochen haben. Wir werden heute Mittag sehen, wie belastbar die Aussagen der EVP-Fraktion sind, wenn es darum geht, zu Abschlüssen bei den Beitrittsverhandlungen zu kommen. Wenn allerdings diejenigen, die sich jetzt in Kroatien Hoffnungen auf die Belastbarkeit Ihrer Aussagen machen, heute Mittag möglicherweise in ähnlicher Weise behandelt werden wie Bulgarien und Rumänien, dann sollten wir in Zagreb vorab Bescheid sagen, dass man sich doch noch mal mit Herrn Poettering unterhalten sollte.
(Beifall)
Die Sozialdemokratische Fraktion begrüßt nachdrücklich, dass die Schlussfolgerungen des Rates insbesondere in einem weiteren Bereich Hoffnung machen. Wir haben, was die Rolle Europas in der Welt angeht, in den letzten Jahren unser Schwergewicht als Sozialdemokraten – in unseren Forderungen – auf nachhaltige Entwicklung und auf die Klimaveränderung gelegt. Die Beschlüsse, die jetzt gefasst wurden – der Herr Kommissionspräsident ist darauf noch einmal zurückgekommen – sind richtungweisend. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern – ich komme zurück auf Ihre richtigen Bemerkungen hinsichtlich des Referendums in Frankreich – sagen: Kein Land dieser Welt und europäisches Land, auch kein hochindustrialisiertes, wird die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts alleine bewältigen können. Das geht für Europa nur in der Gemeinschaft: in der ökonomischen, in der monetären, in der sozialen Gemeinschaft und in der Gemeinschaft, die Europa als Kraft, als Gemeinschaft für die nachhaltige Entwicklung und für die Reduzierung der Umweltgefahren entwickeln kann. Das sind globale Herausforderungen, denen kein Frankreich, kein Deutschland, kein Großbritannien, kein Belgien, kein Portugal alleine begegnen kann. Europa hat als Kontinent und die EU als politische Organisationsform dieses Kontinents die Aufgabe, diesen Risiken entgegenzutreten. Das war eine nicht zu unterschätzende Botschaft dieses Frühjahrsgipfels. Auch dafür sind die Sozialdemokraten in diesem Haus dankbar, und deshalb können wir unserem Entschließungsantrag in der frohen Erwartung einer breiten Unterstützung auch der EVP und der Liberalen guten Gewissens zustimmen.
(Beifall)
Watson,im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Oft scheinen es die kleineren Mitgliedstaaten zu sein, die Europa von den Problemen befreien müssen, die von ihren größeren Partnern geschaffen wurden. Herr Juncker, ich fürchte, es werden wieder einmal hohe Erwartungen in Sie gesetzt. Die Europäische Union steht jetzt vor großen Herausforderungen, bei denen nicht nur ihre Fähigkeit, den Hoffnungen und Bedürfnissen ihrer Bürger gerecht zu werden, sondern auch ihre Fähigkeit zum Zusammenhalt auf die Probe gestellt werden.
Die Herausforderung, mit der sich der Europäische Rat beschäftigte, bestand darin, unser Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln. Unsere Wirtschaft stagniert seit Einleitung der Lissabonner Strategie im Jahr 2000; es ist fast so, als ob ein „Millennium-Bug“ kontinentalen Ausmaßes unsere Wettbewerbsfähigkeit befallen und unsere Entschlossenheit zu schwierigen Entscheidungen gelähmt hätte.
Der Gipfel wurde angekündigt als Neubelebung der auf zehn Jahre angelegten Lissabonner Agenda, doch bei den Liberalen und Demokraten hinterließ er den Eindruck, als würden die europäischen Staats- und Regierungschefs schlafwandeln. Hinter der hochtrabenden Sprache der Schlussfolgerungen des Rates stehen keine durchdachten Überlegungen. Im Text wurden viele Worte verloren, aber er ließ wenig Taten erkennen. Forderungen, Unternehmen sollten neue Wettbewerbsfaktoren erschließen, Verbraucher sollten in den Genuss neuer Güter und Dienstleistungen kommen und Arbeitnehmer sollten neue Fähigkeiten erwerben können, gingen paradoxerweise einher mit einem Appell an die Kommission, ein Kernstück der Binnenmarktvorschriften, das Wachstum im Dienstleistungssektor ermöglicht, zu überarbeiten. Der Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie kann verbessert werden, doch wird das auf vernünftige Weise durch das Parlament und die entsprechenden Fachräte geschehen, und nicht durch Staatschefs, die sich in Szene setzen und nationalen Befindlichkeiten nachgeben.
In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates ist von einer Finanziellen Vorausschau die Rede, die die Union mit den angemessenen Mitteln ausstatten muss, damit sie ihre politischen Verpflichtungen – insbesondere die Prioritäten von Lissabon – erfüllen kann, doch fordern die Mitgliedstaaten im gleichen Atemzug noch einen restriktiven Haushalt, während sie im nächsten die Auslandsausgaben für sieben Jahren festmachen.
Die Liberalen und Demokraten in diesem Hause teilen nicht die Zufriedenheit von Herrn Barroso mit dem Frühjahrsgipfel. Herr Juncker, für diese „Mission Impossible“, diesen unausführbaren Auftrag, verdient Ihr Vorsitz unsere Anerkennung: Ihre legendäre Fähigkeit zur Kompromissfindung hat den Stabilitäts- und Wachstumspakt bzw. das, was von ihm übrig ist, gerettet. Aber seine vage Formulierung und seine Ausstiegsklauseln lassen orthodoxen Ökonomen Schauer über den Rücken laufen, und dass Herr Berlusconi seine neu entdeckte Flexibilität nutzt, um vor den Parlamentswahlen Steuererleichterungen anzubieten, zeigt, mit welcher Geringschätzung verantwortungslose Regierungschefs ihre Partner der Eurozone behandeln werden.
Was ist mit Europas Führung los? Wo ist der Sinn für gemeinsame Ziele? Ist es denn verwunderlich, dass Franzosen oder Briten wenig Begeisterung für einen neuen Vertrag zeigen, wenn zwei unserer dienstälteren Staatsmänner kläglich dabei versagt haben, ihren Landsleuten die Union zu erklären und zu verdeutlichen? Das Führungsvakuum auf nationaler und europäischer Ebene droht nicht nur den Verfassungsvertrag, sondern das gesamte Vorhaben zu kippen. Wird die Verfassung nicht ratifiziert, dann liegt die Schuld einzig und allein bei denjenigen Regierungschefs, die die längerfristige europäische Einheit kurzfristiger nationaler Popularität opfern.
Herr Ratspräsident, mir drängt sich der Schluss auf, dass Ihre Europäische Volkspartei unsere Union im Stich lässt. Es ist Ihnen nicht gelungen, Ihre Mehrheit im Rat zu nutzen, um zu Hause eine schlüssige Wirtschaftsstrategie aufzustellen. Sie schaffen es nicht, Ihre Anhänger hier zu mobilisieren, um unser Engagement gegenüber Bulgarien und Rumänien weiterzuführen, ganz zu schweigen von Ihrer Haltung gegenüber Kroatien, die wir gerade gehört haben. Wir blamieren uns im Ausland, wenn unsere Union ihre Skrupel opportunistisch über Bord wirft, um sich gegenüber totalitären Regimes in Russland oder China einen bevorzugten Handelsstatus zu sichern, wenn wir vor dem großen Leid im Sudan die Augen verschließen, wenn wir die Überreaktion der USA, die unsere Bürger ohne Anklage inhaftieren und ihren Luftraum für unsere Fluggesellschaften sperren, stillschweigend hinnehmen. Unter diesen Bedingungen erweist die Europäische Union ihren Bürgern einen schlechten Dienst. Europa braucht und verdient Besseres.
(Beifall)
Frassoni, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. - (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Endlich sind einmal, auch für die Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz, positive Aussagen in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates enthalten. Das geschieht nicht oft, und vielleicht hat Kommissionspräsident Barroso aus diesem Grund behauptet, die Grünen würden sich außerhalb oder gegen das System stellen. Ich glaube das nicht und hoffe, dass wir die Jahre und Monate bis zum Ende der Wahlperiode nutzen werden, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen.
Das sage ich auch deswegen, weil wir nicht besonders froh waren festzustellen, dass die Kommission gerade bei den vier Punkten dieses Gipfels, die wir als ziemlich positiv betrachtet haben, einen Rückzieher gemacht und eine andere Haltung eingenommen hat. Diese Punkte sind die Reform des Stabilitätspakts; konkrete, in Zahlen ausgedrückte Ziele im Hinblick auf das Kyoto-Protokoll, die nicht zu erwähnen die Kommission sich bedauerlicherweise entschlossen hat; die Neugewichtung der Strategie von Lissabon in Richtung ökologische und soziale Nachhaltigkeit, wenn auch in noch vager und ungenauer Form, und der wiedergefundene Wirklichkeitssinn in Bezug auf die Bolkestein-Richtlinie – auch wenn man sich, sogar in diesem Parlament, schwer damit tut zuzugeben, dass zunächst eine Richtlinie über die Dienstleistungen der Daseinsvorsorge ausgearbeitet werden muss, ehe die Bolkestein-Richtlinie angenommen werden kann.
Auch wir vertreten die Auffassung, dass die Reform des Stabilitätspakts richtig war und dadurch die allgemeine Wirtschaftslage und spezifischen nationalen Gegebenheiten besser berücksichtigt werden können. Diese positiven Aspekte werden jedoch weitgehend dadurch wieder aufgewogen, dass die Bestimmungen zur Qualität der Ausgaben zu verschwommen bleiben. Beispielsweise bis zu 700 Millionen Euro jährlich in den Bau des internationalen thermonuklearen Versuchsreaktors investieren zu wollen, obwohl selbst die größten Optimisten davon ausgehen, dass er – wenn überhaupt – nicht vor 2050 genutzt werden kann, zeugt davon, dass man weder die dringende Notwendigkeit der Umsetzung des Kyoto-Protokolls noch das Potenzial der erneuerbaren Energieträger erkannt hat und nicht in diesen letzteren Bereich investieren will. Wir halten das für einen schwerwiegenden Fehler.
Außerdem mussten wir bedauerlicherweise feststellen, das während der Tagung des Europäischen Rates völlig außer Acht gelassen wurde, dass die Schaffung eines gesunden makroökonomischen Umfelds eine Steuerreform beinhalten muss, die die Umweltverschmutzung statt der Arbeit belastet, und dass dies dazu beitragen könnte, reguläre Beschäftigungsverhältnisse attraktiver zu gestalten. Dies hat Jacques Delors schon 1992 erkannt, doch seither sind wir in dieser Frage keinen Schritt weiter gekommen.
Herr Barroso, Herr Verheugen, meines Erachtens sollten wir etwas aus der traurigen Parabel der Wirtschaft und Regierung Italiens lernen, die, als sie an die Macht kam, ein neues Wirtschaftswunder durch Steuererleichterungen und weniger umweltpolitische Regeln versprach, während unser Land heute in punkto Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit das Schlusslicht in Europa bildet. Wir meinen, Herr Barroso, dass die Europäische Union, auch um das Referendum über die EU-Verfassung in Frankreich zu gewinnen und die Bürger von einem zusätzlichen europäischen Nutzen zu überzeugen, selbst dafür Sorge tragen muss, dass die Initiative der Kommission im Rahmen der Lissabon-Strategie in neue Rechtsvorschriften mündet. Wir geben uns nicht damit zufrieden, dass sich die Kommission mit einer Koordinierungsrolle begnügen will. Das reicht uns nicht, denn das würde bedeuten, dass die einzige aus Europa kommende Botschaft für die französischen Wähler, aber nicht nur für sie, die Bolkestein-Richtlinie, die Patentierbarkeit von Software und das Laisser-faire im wirtschaftlichen und sozialen Bereich wären.
Das ist es nicht, was wir wollen! Unserer Auffassung nach muss unser Handeln in eine andere Richtung gehen, weshalb wir insbesondere den Vorsitz und Herrn Barroso auffordern, jenem Aspekt mehr Aufmerksamkeit zu widmen, den wir, aber auch die Kommission, als „ökologische Effizienz-Revolution“ bezeichnet haben. Gegenwärtig wachsen die Industrie bzw. die Unternehmen in diesem Bereich um 5 % jährlich, und wir meinen, dass wesentlich mehr in diesen Sektor investiert und auf ihn gesetzt werden muss. Schließlich stimme ich den Ausführungen von Herrn Watson zu, mit einer einzigen Ausnahme: meine Fraktion und ich glauben nicht, dass es uns hilft, die Bulgaren, die Rumänen und die Europäer von der Durchführbarkeit des Vorhabens zu überzeugen, wenn wir den Beitritt Bulgariens und Rumäniens beschleunigen oder forcieren und uns mit dem Rücken an die Wand stellen.
Figueiredo, im Namen der GUE/NGL-Fraktion.–(PT) Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, Herr Ratspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die jüngste Korrektur der von der Kommission angekündigten Wachstumserwartungen nach unten und die Kapitulation, die dies angesichts der bereits niedrigen Wachstumsraten 2004 darstellt, zeigt, dass die restriktive Haushalts- und Währungspolitik auf europäischer Ebene wie auch auf Ebene der Mitgliedstaaten die Binnennachfrage, öffentliche Investitionen und den Konjunkturaufschwung gebremst hat.
Dies hat negative Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit, Armut, soziale Ausgrenzung sowie auf die Zunahme von sozialen und territorialen Ungleichheiten, wie die 20 Millionen Arbeitslosen und die 70 Millionen Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, zeigen. Gleichzeitig konnten die Großkonzerne in der EU 2004 ihre Profite um 78 % steigern, und die Gewinne im Verhältnis zum BIP liegen in der Euro-Zone derzeit fast auf einem 25-Jahres-Hoch.
Wie kann jemand vor diesem Hintergrund die so genannte Neubelebung der Lissabon-Strategie akzeptieren, wenn sie auf Wettbewerbsfähigkeit und auf der Schaffung einer für die Unternehmen attraktiveren Arbeitnehmerschaft beruht, wenn sie den Schwerpunkt auf einen Ausbau der Liberalisierung in Bereichen wie Dienstleistungen, auf die Erhöhung der Flexibilität der Märkte, auf eine Einschränkung der Arbeitnehmerrechte und auf eine Erhöhung der Zahl der Niedriglohnsektoren legt, wenn sie auf die Beibehaltung von Richtlinienvorschlägen zur Arbeitszeitregelung und zur Schaffung eines Binnenmarktes für Dienstleistungen abzielt? Wir akzeptieren dies nicht.
Wie kann man hinnehmen, dass in den Schlussfolgerungen des Rates die soziale Eingliederung nur am Rande erwähnt wird und man sich nur auf in Armut lebende Kinder beschränkt, ohne ein interdisziplinäres und integriertes Programm zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung vorzulegen? Wie kann man hinnehmen, dass trotz der angekündigten Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts der Nachdruck nach wie vor auf dem Erreichen restriktiver, wenngleich etwas flexibler Ziele liegt, während der Abbau von öffentlichen, allen zugänglichen Sozialversicherungssystemen priorisiert wird, obgleich bekannt ist, dass öffentliche Investitionen und der Erhalt öffentlicher Sozialversicherungssysteme wesentliche Faktoren bei der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung sind?
Wir betonen deshalb eindringlich die Notwendigkeit, die Vorschläge für eine Arbeitszeitrichtlinie und eine Dienstleistungsrichtlinie zurückzuziehen und den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufzuheben und durch einen Wachstums- und Beschäftigungspakt zu ersetzen. Auf diese Weise kann der Schaffung von 22 Millionen hochwertiger, mit Rechten versehener Arbeitsplätze bis 2010 Priorität eingeräumt werden, um die beim Europäischen Rat von Lissabon gesetzten Ziele zu erreichen und Armut und soziale Ausgrenzung, wie 2000 in der Lissabon-Strategie beschlossen, zu halbieren.
Unseres Erachtens sollte die Bekämpfung von Einkommensungleichheiten, die Förderung gleicher Rechte und Chancen sowie wirklicher Konvergenz ganz oben auf der Wirtschafts- und Sozialagenda der EU stehen.
Clark,im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Nach allem, was Herr Juncker vor einem Monat in diesem Parlament und anderswo dahingehend äußerte, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt tot sei oder bestenfalls in seinem jetzigen Zustand weitertaumeln müsse, hören wir nun vom Europäischen Rat, dass er wieder lebt. Lazarus schlägt erneut zu. Aber der Pakt lebt nicht, er tut nur so. In einem Jahr wird man diesen faulen Pakt umgehen oder fallen lassen müssen, wie ich das letzte Mal vorschlug.
Bemerkenswert an der Tagung war allerdings etwas, das gar nicht zur Diskussion stand: der Haushaltsausgleich für das Vereinigte Königreich. Immerhin äußerte sich Herr Chirac nach der Tagung dazu und sagte zu Reportern, er sei nicht länger zu begründen und ein Relikt der Vergangenheit. Herr Barroso schloss sich diesen Bemerkungen an.
Vielleicht möchten Sie einmal begründen, dass das Vereinigte Königreich ohne den Ausgleich 14-mal soviel wie Frankreich und selbst ohne ihn noch das Zweieinhalbfache des französischen Beitrags an die EU zahlen müsste. Herr Barroso sagte auch, dass 70 % der Kommissionsausgaben in die Landwirtschaft flossen, als der Ausgleich vereinbart wurde, während dies nach den neuen Vorschlägen auf ein Drittel schrumpfen würde. Genaugenommen sehen diese Vorschläge vor, dass drei Viertel der künftigen Ausgaben der Landwirtschaft in armen Regionen zugute kommen. Hier liegen die Prioritäten der Kommission. Das ist für Großbritannien kein Trost, Ausgleich hin oder her. Unser Außenminister sagte, der Kommissionsvorschlag könnte eine Haushaltserhöhung von 35 % bedeuten, aber er sagte, unser Ausgleich bliebe Grund für ein Veto.
Wir haben in Großbritannien am 5. Mai Wahlen. Ich würde Ihnen davon abraten, am Tag danach in das Flugzeug von London nach Brüssel zu steigen. Sie könnten sich inmitten von Parteifunktionären und Ministern aller Richtungen wiederfinden, die hierher eilen, um einen Kompromiss zu suchen. Es wird ein Meilenstein auf dem Weg von Großbritanniens Ausstieg sein. Das wäre das geringere Übel, denn finanziell gesehen wird die EU dann für Großbritannien 14-mal so schlecht sein wie für Frankreich. Und das will etwas heißen, denn trotz der verzweifelten Bemühungen von Herrn Chirac zeigen die aktuellen Umfragen, dass die EU in Frankreich von Tag zu Tag unbeliebter wird.
Muscardini, im Namen der UEN-Fraktion. - (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es muss wirklich gesagt werden, dass die Regierungen endlich begriffen haben, dass der Stabilitätspakt nicht als Bremse oder gar als Hindernis für das Wirtschaftswachstum wirken muss.
Die Ergebnisse der Tagung des Europäischen Rates in Brüssel haben die Notwendigkeit einer flexibleren Gestaltung der Regeln verdeutlicht, die die Wirtschaft durch eine zu starre und schematische, letztendlich die Entwicklung vieler Mitgliedstaaten hemmende Auslegung des Stabilitätspakts paralysieren.
In Anbetracht der schlechter werdenden Weltwirtschaftslage und der neuen internationalen Situation musste sich Europa endlich entschließen, seine Unfähigkeit, Zukunftsvisionen zu entwickeln, mithilfe der notwendigen Flexibilität zu überwinden.
Es ist nicht mehr an ein auf der internationalen Bühne wettbewerbsfähiges Europa zu denken, wenn seine Wachstumsrate halb so hoch wie die der Vereinigten Staaten ist; es ist nicht mehr glaubhaft, dass die Stabilität als ein an sich positiver Wert die Verknöcherungen aufbrechen kann, die in den letzten zehn Jahren das Wachstum stagnieren ließen.
Wir begrüßen es, dass der Europäische Rat weitgehendes Einvernehmen über die Reform des Paktes erzielt hat, und legen besonderes Gewicht auf die Einigung, die in Bezug auf die Tatsache zustande gekommen ist, dass Strukturreformen bei der Festlegung des Anpassungspfads berücksichtigt werden sollen, den die Mitgliedstaaten verfolgen müssen, um im Falle eines übermäßigen Defizits die Vorgaben des Paktes einzuhalten.
Das Rentensystem, der Bereich Forschung und Entwicklung, Bildung und große Struktur- und Infrastrukturvorhaben stellen Investitionsverpflichtungen dar, die rechnerisch nicht immer mit den in diesen Vorgaben enthaltenen Grenzwerten vereinbar sind.
Es versteht sich von selbst, dass der Pakt fair und konsequent für alle Länder gelten muss, die ihn unterschrieben haben, doch trifft es ebenso zu, dass die Wirtschaft der Union mit 25 Mitgliedstaaten, die sehr heterogen und unterschiedlich ist, einen erweiterten gemeinsamen Rahmen braucht, mit dem den Unterschieden besser Rechnung getragen werden kann, ohne die durch die Bezugsparameter vorgegebenen Ziele zu verleugnen.
Herrn Watson, dem ich sehr aufmerksam zugehört habe, möchte ich sagen, dass es keine Wirtschaftsstrategie gibt, weil keine politische Strategie existiert und weil wir angesichts der neuen Horizonte, die uns durch dieses Jahrhundert eröffnet werden, weiterhin die wirtschaftlichen und finanziellen Regeln des alten Jahrhunderts anwenden.
(Der Präsident bittet die Rednerin, zum Schluss zu kommen.)
Herr Präsident, andere Kolleginnen und Kollegen haben ihre Redezeit weit mehr überschritten; entweder müssen alle oder keiner dazu angehalten werden, die Regeln einzuhalten.
Der Präsident. Die Regeln sind für alle gleich, Frau Muscardini.
Czarnecki, Ryszard (NI).– (PL) Herr Präsident! Vom Europäischen Rat wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont, dass die Lissabon-Strategie seine wichtigste Priorität ist. Auch heute ist dies wieder bekräftigt worden. Das erinnert mich an einen Satz im Werk des Dichters Nikolai Gogol, in dem es in etwa heißt, dass die Alten noch nicht gestorben, die Jungen noch nicht geboren, sie alle aber eine Gefahr für die Lebenden sind. Die alte Strategie liegt in den letzten Zügen, die neue steckt noch in den Kinderschuhen, aber mit ihren unerfüllten Hoffnungen, ihren widersprüchlichen Prioritäten und all den leeren Worten sind beide eine Gefahr für die europäischen Bürger. Der Ratspräsident hat heute gesagt, dass den europäischen Bürgern die Strategie nicht gefällt, ohne dass sie sich überhaupt die Mühe machen, sie zu lesen. Aber daran sind nicht die Bürger schuld. Die Reaktion auf viele Vorschläge des Rates ist „Ja, aber...“, und das „aber“ wird nur noch verstärkt, wenn man sich die Vorschläge genauer ansieht. Das gilt unter anderem auch für das Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung. Mit diesem Programm soll der Weg für die Forschung in allen Teilen der alten und neuen Union frei gemacht werden. Es darf aber nicht zu einem Instrument werden, mit dem sich die reichsten Mitgliedstaaten sozusagen über die Hintertür ihre Mitgliedsbeiträge wieder in die eigenen Länder zurückzuholen können. In den jüngsten Dokumenten des Rates spielt die Wettbewerbsfähigkeit eine sehr wichtige Rolle. Auf dem Papier existiert der Wettbewerb, aber in der Praxis und in der Realität wurde die Dienstleistungsrichtlinie ausgehebelt, obwohl es in dieser Richtlinie einzig und allein darum geht, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und in die Praxis umzusetzen. Der Rat muss sich entscheiden, er kann nicht einerseits den Wettbewerb fordern, und ihn andererseits nicht zulassen. In Asien dürfte man sich darüber freuen, dass der wichtigste Konkurrent Europa immer schwächer wird. Statt Angst in der Union zu verbreiten, sollten endlich die notwendigen Schritte unternommen werden. Kleine Unternehmen in Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, der Slowakei und in Litauen müssen so behandelt werden wie die Unternehmen in der alten Union. Sie alle, meine Damen und Herren, wissen doch, dass dies nicht der Fall ist. Der Rat hat die Neuverteilung der Hilfen angesprochen, und ich befürchte, dass das in der Praxis eine Kürzung der Mittel für die neuen Mitgliedstaaten bedeuten könnte. Der Rat hat nichts getan, um diese Bedenken zu zerstreuen. Der Rat hat auf die Reform des Systems der Regionalbeihilfen verwiesen. Offen gesagt mache ich mir Sorgen, dass unter diesem Vorwand die Spaltung Europas in eine arme neue und in eine alte reiche Union weiter vertieft werden könnte. Die alte Union würde nur allzu gern den Grundsatz der Solidarität über Bord werfen, der doch eigentlich die europäischen Gemeinschaften stärken soll.
Lulling (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der gegebenen Umstände, dass ich nämlich nur über zwei Minuten Redezeit verfüge, werde ich mich ausschließlich mit dem Stabilitätspakt befassen. Das Bestehen einer politischen Einigung im Rat, bestimmte Aspekte des Pakts zu verändern, ist eine gute Nachricht. Die luxemburgische Präsidentschaft kann auf einen Erfolg verweisen, der nicht selbstverständlich war.
Allerdings führt diese Einigung über eine Reform zu einer recht paradoxen Situation, denn wenn der neue Pakt auch sehr sinnvolle Neuerungen aufweist, insbesondere was die präventive Komponente betrifft, so muss doch festgestellt werden, dass er nur eine gemischte Zustimmung hervorruft. Um die Vorbehalte auszuräumen, kommt es jetzt in erster Linie darauf an, die wesentliche Aufgabe der Wiederherstellung des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit eines zu lange geschmähten Paktes in Angriff zu nehmen.
Es bleiben zu viele Grauzonen, sodass erneute Interpretationsstreitigkeiten unausweichlich sind und jede Regierung glaubt, die Regeln nach ihrem Gutdünken auslegen zu können. Es verbleiben noch zu viele Zweifel, wie stark der Willen der Mitgliedstaaten ist, ein Regelwerk einzuhalten, das sie sich selbst gegeben haben. Es ist in erster Linie Aufgabe der Kommission, Herr Präsident, die erforderlichen Klarstellungen vorzunehmen, indem sie die vom Rat beschlossenen grundsätzlichen Änderungen in die Verordnungen von 1997 aufnimmt, welche das Grundgerüst des Paktes bilden.
Diese Vorschlagstätigkeit ist unter den gegebenen Umständen von besonderer Bedeutung, da Präzisierungen erforderlich sind. Ich werde mich auf zwei Beispiele dazu beschränken. Zu welchen konkreten Verpflichtungen wird die präventive Komponente des Paktes führen, die sozusagen die Gegenleistung für die in anderen Bereichen festgelegten Lockerungen darstellt? Wie kann in den Texten die nachdrücklich bekräftigte Forderung nach Einfachheit, Transparenz und Gerechtigkeit im Verfahren bei übermäßigen Defiziten mit der Kompliziertheit der sich abzeichnenden Mechanismen in Einklang gebracht werden?
Im Hinblick auf Vertrauen und Glaubwürdigkeit ist es natürlich an den Mitgliedstaaten, Rechenschaft abzulegen und konsequentes Handeln einzufordern. Selbst dem wohlwollendsten Beobachter wird nicht entgangen sein, dass die Debatten zur Reform des Paktes zumeist aus selbstgefälligen Plädoyers in eigener Sache bestanden und nicht aus von einem Mindestmaß an Objektivität geprägten Diskussionen. Ich muss sagen, dass diese verabscheuungswürdige Haltung ausgesprochen schädliche psychologische Auswirkungen gehabt hat, denn dadurch wurde nicht nur der Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten ernsthaft beschädigt, sondern auch die Grundlagen einer Rechtsgemeinschaft scheinen erschüttert worden zu sein.
VORSITZ: ANTONIOS TRAKATELLIS Vizepräsident
Goebbels (PSE). – (FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Der Frühjahrsgipfel war ein Erfolg. Die Präsidentschaft verdient unsere Glückwünsche, weil sie einen Kompromiss zum Stabilitätspakt durchgesetzt und die Lissabon-Strategie neu belebt hat.
Unsere Union befindet sich in einer seltsamen Lage. Wir sind der weltweit größte Exporteur und der größte Absatzmarkt für die übrige Welt. Unsere Union ist ein Hort des Friedens, eine attraktive politische Einheit, der immer mehr Länder beitreten wollen. Gleichzeitig betreiben wir eine Art Selbstgeißelung: Wir weiden uns am angekündigten Niedergang des Hauses Europa.
Dieser pessimistische Diskurs wird jedoch durch alle Fakten widerlegt. Von außen gesehen ist unser Europa ein Modell des Wohlstandes. Es vereint ein hohes Lebensniveau mit sozialen und Umweltstandards, die anderswo kaum übertroffen werden. Europa schafft Arbeitsplätze: 6,5 Millionen in vier Jahren. Allerdings ist die Arbeitslosenrate in einigen großen Ländern weiterhin zu hoch.
Ja, unser Wachstum ist geringer als das von China. Doch eine Ökonomie, die fast ein Viertel des Weltprodukts erzeugt, wächst langsamer als eine neue Ökonomie, die ein Jahrhundert Stagnation hinter sich hat. Mit einer Wachstumsrate von nur 2 % nimmt unsere Union jährlich in einem Umfang zu, der dem der gesamten Wirtschaft Taiwans entspricht.
Im vorherrschenden Diskurs wird behauptet, Europa bleibe in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität hinter den USA zurück. Eine genauere Analyse zeigt, dass die US-amerikanischen Produktivitätszuwächse hauptsächlich in bestimmten Dienstleistungssektoren erreicht werden, die wie der Großhandel, der Einzelhandel, der Immobiliensektor und die Finanzvermittlung keineswegs in direktem Wettbewerb mit den entsprechenden europäischen Sektoren stehen.
Hingegen weist Europa einen wirklichen Rückstand in der Halbleiter- und der Büromaschinenbranche auf. Erstaunlicherweise haben unsere Unternehmen produktive Vorteile im Bereich der Kommunikation und der Informatikdienste aufzuweisen. Europa übertrifft die amerikanischen Leistungen in 37 Wirtschaftszweigen von 56. Allerdings hat Europa einen Rückstand im Forschungsbereich, der jedoch vor allem auf das Konto des Privatsektors geht: Während 80 % der 1,2 Millionen US-Forscher im privaten Sektor arbeiten, sind nur 48 % der europäischen Forscher in diesem Sektor beschäftigt.
Auf all das kann und muss die neu ausgerichtete Lissabon-Strategie Antworten geben. Um erfolgreicher zu sein, braucht die Union einen günstigen gesamtwirtschaftlichen Rahmen. Der neu gestärkte Stabilitätspakt, der eine öffentliche Ausgabenpolitik in Abhängigkeit von den Wirtschaftszyklen ermöglicht und die Qualität der Investitionen fördert, wird eine Unterstützung für das Wachstum sein.
Die Stabilität ist zweifelsohne ein öffentliches Gut. Doch die Union und insbesondere die Eurozone haben noch niemals soviel Stabilität erlebt. Die Inflation ist kein Problem mehr, es gibt eine starke Währung und historisch niedrige Zinsen. Was uns fehlt, sind mehr Wachstum, mehr Binnennachfrage, vor allem in bestimmten größeren Ländern. Dass Großbritannien, Schweden und Dänemark mehr Wachstum als die Eurozone erzielen, obwohl sie mit höheren Zinssätzen konfrontiert sind, sollte die Europäische Zentralbank zum Nachdenken veranlassen.
Die Sozialdemokraten unterstützen jedenfalls den Ratspräsidenten – obwohl dieser ein eminentes Mitglied der Europäischen Volkspartei ist –, wenn er die Europäische Zentralbank daran erinnert, dass diese allein für die Währungspolitik zuständig ist, während die Führung der europäischen Wirtschaftspolitik in die Zuständigkeit der nationalen Regierungen fällt. Auch hier ist eine „Trennung von Staat und Kirche“ erforderlich.
(Beifall)
Klinz (ALDE).– Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beglückwünsche den luxemburgischen Ratspräsidenten zum Abschluss der Arbeiten zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts im vergangenen Monat. Der Pakt zeigt in seiner neuen Form eine Reihe positiver Aspekte.
Der präventive Aspekt des Pakts wird gestärkt, die Mitgliedstaaten haben einen Anreiz, gute Zeiten zu nutzen, um für schlechte Zeiten vorzusorgen. Dabei wird dem Schuldenstand der Länder erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt.
Die unterschiedliche wirtschaftliche Situation der einzelnen Mitgliedstaaten wird stärker als bisher berücksichtigt. Insofern besteht eine große Chance, in Zukunft bei Verstoß gegen das Defizit- und Schuldenkriterium an realistischen Problemlösungen zu arbeiten. Die Reform des Pakts soll helfen, die Abstimmung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten zu verbessern und gleichzeitig die Notwendigkeit einer nachhaltigen Finanzpolitik zu unterstreichen.
Ich bezweifle allerdings, ob diese positiven Aspekte ausreichen, um die Euro-Zone nach vorne zu bringen. Ich fürchte, dass das verloren gegangene Vertrauen der Bürger durch diese Reformen nicht zurückgewonnen wird. Der reformierte Pakt weist meines Erachtens zu viele Schwachstellen auf. In Zukunft muss die Europäische Zentralbank alleine dafür sorgen, dass der Euro stabil bleibt, da der Pakt als zweite Stabilitätssäule praktisch ausfällt.
Der vergrößerte Interpretationsspielraum und die nicht näher präzisierten besonderen Umstände werden manche Mitgliedstaaten in Versuchung führen, neue Schulden zu machen. Dies könnte die Europäische Zentralbank schon bald zwingen, die Zinsen anzuheben, und das ohnehin nur schwache Wachstum in der Eurozone gefährden.
Die Kommission ist meines Erachtens nicht gestärkt, sondern geschwächt aus dem Reformprozess hervorgegangen. Es erscheint mehr als fraglich, ob sie ihre Rolle als Wächterin des Pakts wirkungsvoll wird spielen können. Die konsequente Anbindung des vertraglich vorgesehenen Sanktionsmechanismus bei Vertragsverletzungen erscheint heute unwahrscheinlicher als jemals zuvor. Ich hoffe, dass es trotz dieser Bedenken gelingt, möglichen Schaden von der Euro-Zone abzuwenden.
Bei der Anpassung der Verordnungen 1466 und 1467 können und müssen unklare Formulierungen präzisiert werden. Die Allianz der Liberalen und Demokraten erwartet, dass das Europäische Parlament in den Prozess der Neufassung dieser Verordnungen und in die Überwachung der Einhaltung des Pakts zeitnah einbezogen wird.
Hudghton (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Gestern wurde in Schottland eine Meinungsumfrage veröffentlicht, die auch eine Frage zum Entwurf der EU-Verfassung enthielt. Für die Einführung der Verfassung sind 35 % der Schotten, dagegen sind 49 %.
Vor fünf Jahren hätte es eine viel positivere Reaktion aus Schottland gegeben. Historisch gesehen stand Schottland nämlich einem Engagement gegenüber unseren europäischen Partnern viel aufgeschlossener gegenüber als einige andere Teile des Vereinigten Königreichs. Doch trotz des ganzen Geredes über mehr Bürgernähe seit dem Sturz der Santer-Kommission hält man viele unserer Strategien und Richtlinien immer noch für unsensibel und ungeeignet für das wirkliche Leben in unseren Gemeinden, nicht zuletzt in Schottland, wo die Gemeinsame Fischereipolitik so katastrophal fehlgeschlagen ist. Aber ich glaube, die Dienstleistungsrichtlinie ist imstande, das Vertrauen der Öffentlichkeit noch weiter zu untergraben, und ich denke nicht, dass der Rat und die Kommission in dieser Frage bislang sehr viel Fingerspitzengefühl gezeigt haben.
Sie wird weithin als weiterer Angriff auf entscheidende öffentliche Dienstleistungen angesehen. Es ist schon viel über die möglichen Folgen des Herkunftslandprinzips gesagt worden, doch wenn wir uns die Realität genau ansehen, dann steckt noch viel mehr dahinter. Im Vereinigten Königreich zum Beispiel hat Schottland gegenüber England und Wales völlig eigene gesetzliche und ordnungspolitische Vorschriften, und so weiter. Ich würde es begrüßen, wenn nicht nur die Befindlichkeiten auf Ebene der Mitgliedstaaten, sondern auch der Unterschiede innerhalb der Mitgliedstaaten stärker anerkannt würden als bisher.
Adamou (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Obwohl der Ratspräsident bereits gegangen ist und der Kommissionspräsident in eine Unterhaltung vertieft ist, werde ich sagen, was ich zu sagen habe. Leider stellt Lissabon die Sozialpolitik an die zweite Stelle. Mit den Änderungen, die im Hinblick auf den Stabilitätspakt und die Lissabon-Strategie selbst vorgeschlagen worden sind, lässt sich die Lissabon-Strategie nicht in eine volksfreundliche Strategie umwandeln. Es ist paradox und absurd, davon zu sprechen, den produktivsten Wirtschaftsraum der Welt zu errichten, wenn wir auf der anderen Seite Kürzungen in den Haushalten vornehmenHau, also weniger Zusammenhalt haben wollen. Nur mit einer Reihe von radikalen Maßnahmen, die auch andere Ebenen umfassen, könnte Lissabon zu einer volksfreundlichen Strategie gemacht werden.
Die Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke stellt sich dem insgesamt entgegen. Wir fordern die Einführung eines realen Sozialstaates in Europa mit dem Ziel, Vollbeschäftigung zu erreichen. Wir fordern die Einführung einer Strategie, die darauf gerichtet ist, einen hohen Lebensstandard zu gewährleisten, ohne dabei einer notwendigen Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zum Opfer zu fallen. Wir fordern die Abschaffung der so genannten flexiblen Arbeitszeiten, die das soziale Gefüge zersetzen. Wir fordern die Einführung einer tatsächlichen 35-Stundenwoche ohne Lohnkürzungen, wodurch mehr Menschen eine Beschäftigung erhalten würden. Wir sind gegen eine Strategie, die allein dem Großkapital und dem Privatsektor Wachstum beschert. Wir werden uns weiterhin darum bemühen, diejenigen, die in der Europäischen Kommission und im Rat das Sagen haben, dazu zu bewegen, endlich einen Standpunkt einzunehmen, der den buchhalterischen Ansatz zugunsten eines vorrangig auf den Menschen gerichteten Ansatzes aufgibt. Dies lässt sich nur erreichen, wenn am Stabilitätspakt und an der Lissabon-Strategie radikale Änderungen vorgenommen werden.
Blokland (IND/DEM).–(NL) Herr Präsident! Der Europäische Rat hat erklärt, die Dienstleistungsrichtlinie müsse eine sozialere Dimension erhalten. Es kann nämlich nicht der Sinn der Sache sein, dass Arbeitnehmer aus Mitgliedstaaten mit weniger strikten Arbeitsbedingungen ausgenutzt werden oder dass gegenüber Dienstleistern in Mitgliedstaaten, in denen strenge Arbeitsbedingungen gelten, ein unfairer Wettbewerb betrieben wird. Wenn bestehendes Arbeitsrecht nicht eingehalten wird, führt dies zu unerwünschten Situationen, und diese Besorgnis hat bei den Bürgern Unruhe ausgelöst. In der Richtlinie wird der Tatsache Rechnung getragen, dass nach den europäischen Vorschriften die Dienstleistungserbringer an das örtlich geltende Arbeitsrecht gebunden sind. Das setzt allerdings die effektive Durchsetzung dieses Arbeitsrechts voraus, da andernfalls Menschen sehr wohl ausgenutzt werden und ein unfairer Wettbewerb stattfindet. Bisher war die Durchsetzung in dem Richtlinienvorschlag unzureichend gewährleistet. Dem Vorschlag zufolge oblag sie nämlich nicht dem Bestimmungs-, sondern dem Herkunftsland, wodurch eine unhaltbare Situation entsteht. Von polnischen Behörden beispielsweise kann schwerlich verlangt werden, dass sie kontrollieren, ob polnische Arbeitnehmer in den Niederlanden ihre Tätigkeit gemäß den niederländischen Arbeitsbedingungen verrichten. Wir brauchen einen anderen Ansatz, um zu einem praktikablen System der Einhaltung der Arbeitsbedingungen in sämtlichen Mitgliedstaaten zu gelangen. Von dem Ursprungsland ist zumindest zu melden, dass sein Staatsbürger im Bestimmungsland einer Beschäftigung nachgehen wird. Der Informationsaustausch stellt infolgedessen einen ersten Schritt dar, um die Durchsetzung des Arbeitsrechts zu ermöglichen. Ich gehe davon aus, dass die Kommission diese Meldepflicht in die Richtlinie aufnehmen wird.
Von acht Umweltorganisationen wurde zu Recht auf die Folgen dieser Richtlinie für Natur, Umwelt und Gesundheit hingewiesen. Das im EU-Vertrag verankerte und auf das Ziel der nachhaltigen Entwicklung ausgerichtete Konzept der Integration ist offensichtlich vorübergehend in Vergessenheit geraten.
Summa summarum hat der Rat nicht klar zu erkennen gegeben, welche Richtung er einschlagen möchte und wie der Richtlinie eine sozialere und ökologischere Dimension verliehen werden kann, was letzten Endes das Ziel des Lissabon-Prozesses war. Tatsache ist, dass beim Rechtsetzungsprozess das Parlament am Zuge war und nicht der Rat. Dennoch hat der Rat die Richtlinie auf die Tagesordnung gesetzt, um speziellen Interessen einzelner Mitgliedstaaten entgegenzukommen, wodurch das institutionelle Gefüge ins Wanken geriet. Offenkundig ist angesichts der Diskussion in Frankreich im Zusammenhang mit der Europäischen Verfassung dem Rat gegenwärtig sehr daran gelegen, diese soziale Dimension stärker in den Vordergrund zu rücken, obgleich sich gegen diese Verfassung stichhaltigere Argumente anführen ließen.
Krasts,im Namen der UEN-Fraktion. – (LV) Herr Präsident! Wenn wir die Ergebnisse des Europäischen Rates bewerten, müssen wir bedauerlicherweise feststellen, dass die Diskussion über die Dienstleistungsrichtlinie im Vordergrund stand. Das Ergebnis der Aussprache über die Dienstleistungsrichtlinie, die von der Kommission in ihrer früheren Zusammensetzung als ihr Vermächtnis hinterlassen wurde, dämpft spürbar die Begeisterung für die Erreichbarkeit der Ziele der Lissabon-Strategie in der von der jetzigen Kommission korrigierten Form. Mithilfe der Richtlinie sollte der Wettbewerb in für den Wettbewerb offenen Sektoren gestärkt werden, um Verbraucher zu gewinnen und kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen, für die grenzüberschreitende Aktivitäten derzeit unmöglich sind. Die Richtlinie im vorgeschlagenen Wortlaut wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sie eine Gefahr für das europäische Sozialmodell darstelle. Überraschenderweise richtete sich ein Großteil der Kritik gegen die Anwendung des Herkunftslandprinzips auf die Erbringung von Dienstleistungen. Auf diesem Grundsatz beruhen aber sämtliche Binnenmarktvorschriften, und der Europäische Gerichtshof hat in seinen Entscheidungen konsequent daran festgehalten. Die Kommission verliert eines der wenigen ihr zur Verfügung stehenden Instrumente, das zudem gegenwärtig auch einer der wichtigsten Eckpfeiler der neu belebten Lissabon-Strategie ist. Eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist zwar verständlich, würde aber nur dann voll und ganz gerechtfertigt sein, wenn die Europäische Union ein homogenes Staatsgebilde wäre. Wie heißt es doch so schön: „Dem Hungrigen fällt es schwer, den Satten zu verstehen.“ Anders gesagt: Der in guten Zeiten angenommene Stabilitäts- und Wachstumspakt erweist sich in schwierigen Zeiten als unbequem. Bei Schönwetter mangelte es den Politikgestaltern am Willen, für Schlechtwettertage zu sparen, und in schlechten Zeiten fehlt es am Willen, Strukturreformen durchzuführen, sodass die Veränderung der Bestimmungen des Pakts als einzige Alternative verbleibt. Eine Reform des Pakts verschlechtert jedoch die Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten und hält sie nicht dazu an, diese in guten Zeiten zu verbessern. Mit den durch eine schwächere gemeinsame Währung und höheren Kreditzinsen bedingten Problemen werden aber alle Mitgliedstaaten zu kämpfen haben, einschließlich derjenigen, die sich in guten wie in schlechten Zeiten richtig verhalten haben. Die Beschlüsse des Europäischen Rates werden in jeder Hinsicht Folgewirkungen haben. Ich würde nur allzu gern darauf hoffen, dass sich die Einstellung zur Lissabon-Strategie von der Haltung des Rates in Bezug auf die Dienstleistungsrichtlinie unterscheidet, dass die positiven Aspekte der Lissabon-Strategie die erhofften Impulse bringen werden und dass mangelnde Haushaltsdisziplin und fehlende Strukturreformen das europäische Sozialmodell nicht gefährden werden.
Vanhecke (NI).–(NL) Herr Präsident! Unbestritten ist, dass der letzte Europäische Rat von einem externen Faktor dominiert wurde, nämlich von den in mehreren EU-Mitgliedstaaten anstehenden Referenden über die Europäische Verfassung. Im Rahmen dieser Volksabstimmungen ist der Beschluss zur Überarbeitung der Dienstleistungsrichtlinie zu sehen. Allerdings ist es überaus fraglich, ob diese Bolkestein-Richtlinie wirklich überarbeitet bzw. geändert wird, sobald die Volksabstimmungen vorüber sind. Fakt ist nämlich, dass EU-Entscheidungen fast systematisch über die Köpfe der Bürger hinweg getroffen werden und dass solche altmodischen Begriffe wie Wahrheit und Demokratie in der Vergangenheit mehr als einmal nicht ganz ernst genommen worden sind.
Zur Bolkestein-Richtlinie ist jedoch zu sagen, dass Doppeldeutigkeit ihr im Gesicht geschrieben steht. Selbst Europarechts-Experten sind grundlegend unterschiedlicher Auffassung darüber, wie sie in Wirklichkeit konkret ausgestaltet werden kann bzw. wird. Die sehr weit gefasst Definition des Begriffs „Dienstleistung“ zusammen mit dem Herkunftslandprinzip wird zweifellos tiefe Einschnitte in die Befugnisse und Zuständigkeiten der Staaten – und in einigen Fällen der Teilstaaten – bedeuten. Außerdem hat der Vorschlag unleugbare Auswirkungen auf die Befugnisse und Zuständigkeiten der Staaten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, der Gesundheitsfürsorge und des Bildungswesens – lauter Bereiche, in denen nach meiner bescheidenen Auffassung das Subsidiaritätsprinzip zur Anwendung gelangen sollte. Herrn Bolkestein zufolge gelten für die Dienstleistungserbringer nur die Vorschriften des Herkunftslandes. Mir ist völlig schleierhaft, wie man mit einer solchen Regelung Wettbewerbsverzerrungen oder gar Sozialdumping vermeiden kann, und ich frage mich auch, ob dem europäischen Verbraucher damit wirklich gedient ist.
Lassen Sie mich meine erheblichen Bedenken hinsichtlich der in die Hunderttausende gehenden Arbeitsplätze, die durch die Richtlinie in Europa angeblich geschaffen werden sollen, äußern. Ich warte – wie auch alle anderen - noch immer auf die Millionen neuer Arbeitsplätze, die uns bei der Einführung des Euro von denselben Wirtschaftswissenschaftlern in Aussicht gestellt worden sind. Ich sage nochmals, dass ich nicht das geringste Vertrauen in die vom Rat zugesagten subtilen Änderungen der Bolkestein-Richtlinie habe. Ich habe kein Vertrauen in das plötzliche Bekenntnis zu dem Grundsatz „das eigene Volk zuerst“, zu dem sich so viele Linkspolitiker aus Sorge um den Ausgang der Volksbefragungen zur Europäischen Verfassung bekehrt haben. Wie im Falle der Türkei ist die Politik der Europäischen Union oftmals eine Kette von Täuschungen und schamlosen Lügen, und ich fürchte, das Gleiche erleben wir jetzt wieder bei der Bolkestein-Richtlinie.
Grossetête (PPE-DE).–(FR) Herr Präsident, ich möchte zuerst dem amtierenden Ratspräsidenten zu der Rolle gratulieren, die er auf diesem Frühjahrsgipfel gespielt hat, um den notwendigen Konsens zwischen allen Mitgliedstaaten in einer für Europa äußerst kritischen Zeit zu erreichen.
Zum Stabilitäts- und Wachstumspakt würde ich sagen, dass er wichtig ist, weil er die notwendige Stabilität für die Einheitswährung garantiert. Doch Europa braucht Kriterien, aber keine Dogmen, und hier in diesem Haus haben neben mir noch viele andere mehr Flexibilität gefordert. Im Grunde brauchen wir eine wirtschaftliche Governance. Dieser Pakt ist auch ein Wachstumspakt. Warum sollten daher Länder benachteiligt werden, die mehr als andere für Forschung, für Verteidigung oder für Infrastrukturen ausgeben? Dies wäre widersinnig und stünde in völligem Widerspruch zur Lissabon-Strategie.
Hingegen muss eine unkontrollierte und ungerechtfertigte Erhöhung der Defizite und der Verschuldung strikt geahndet werden, und die nationalen Parlamente müssen ihre Aufgabe voll wahrnehmen, die Haushaltspolitik ihrer Regierungen zu kontrollieren, jener europäischen Regierungen, mit denen wir auch über die Zunahme der Zahl von Hochbetagten in unserer Bevölkerung nachdenken müssen. Es gibt immer mehr über Hundertjährige. Das können wir nur begrüßen, doch bringt dies einen Wandel in unserem sozialen wie auch wirtschaftlichen System mit sich.
Herr Ratspräsident, Herr Barroso, wir werden sehr aufmerksam darauf achten, welche Vorschläge Sie uns auf der Junitagung des Rates zur Strategie der nachhaltigen Entwicklung in Verbindung mit der durch den Lissabon-Prozess angestrebten wirtschaftlichen und sozialen Wiederbelebung vorlegen werden. Der Klimawandel stellt eine weitere Herausforderung für Europa dar. Ich möchte anmerken, dass ich über die Zusage erfreut bin, den Bau des Internationalen Thermonuklearen Versuchsreaktors (ITER) in Cadarache bis Ende 2005 in Angriff zu nehmen.
Wir müssen den europäischen Bürgern wieder Vertrauen geben, die erwarten, dass wir jedes Sozial- und Steuerdumping vermeiden. Dies bemühen wir uns im Europäischen Parlament im Hinblick auf die Dienstleistungsrichtlinie zu tun, und ich bin erstaunt, dass mein Vorredner Zweifel an der Rolle hegt, die das Parlament dabei spielen kann. Ich möchte daran erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Legislativgewalt vom Europäischen Parlament und dem Rat gemeinsam ausgeübt wird.
Was unserem Europa wirklich fehlt, ist Enthusiasmus und Selbstvertrauen. Es ist unser aller Aufgabe, Vertrauen aufzubauen und zu überzeugen, denn nur so können sich unsere Mitbürger die Verfassung zu Eigen machen, die ein Europa mit 25 Mitgliedern unbedingt braucht.
Swoboda (PSE).– Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten hat ein Ratsdokument – auch in diesem Haus – so positiven Anklang gefunden, und das kommt auch in unserer Entschließung zum Ausdruck. In der Tat sehe ich eine gewisse Konvergenz zwischen den Beschlüssen des Rates, den Beschlüssen und Ansichten der Kommission und der Mehrheit in diesem Haus. Es geht um ein soziales Europa im globalen Wettbewerb. Das ist deshalb zu unterstreichen, weil viele Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Jahren den Eindruck hatten, dass es zwar um mehr Wettbewerb geht, aber nicht um ein soziales Europa, bzw. dass das soziale Europa auf diesem Weg verloren geht. Ein Redner meinte heute, es liege an der politischen Führung in manchen Ländern, dass die Verfassung so negativ oder kritisch gesehen wird. Ich meine aber, dass es vielleicht auch daran liegt, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich mit diesem Europa nicht identifizieren konnten, weil sie gemeint haben, dass das Soziale vernachlässigt bzw. weggelassen wird.
Was dieser Rat – und da möchte ich der luxemburgischen Ratspräsidentschaft herzlich gratulieren – mit der Reform des Stabilitätspakts erreicht hat, ist kein Aufmachen der Tore für mehr Verschuldung, sondern eine Berücksichtigung der individuellen Situation einiger Länder und eine höhere Flexibilität. Das, was zum Dienstleistungsmarkt – zugegebenermaßen in globalen Dingen – gesagt wurde, betrifft die Öffnung eines gemeinsamen Marktes, aber kein soziales Dumping, wie dies Premierminister Juncker schon das letzte Mal erwähnt hat. Das ist auch unsere Linie. Ich freue mich – auch über das, was Kollegin Grossetête gesagt hat, und ich hoffe, dass das über das Datum des Referendums in Frankreich hinausgeht –, dass wir hier eine gemeinsame Linie finden, um für Europa eine Öffnung unter Berücksichtigung des sozialen Modells zu erreichen.
Was vielleicht zu wenig erwähnt wurde, ist der Pakt mit der Jugend. Es ist sehr wichtig, dass wir an unsere Jugend das Signal senden, dass ihr Europa ein Europa der Beschäftigung und ein soziales Europa sein soll. Die Rücksicht auf die sozialen Fragen schließt nicht aus, dass wir bei etlichen Reformen nach vorne gehen müssen.
Ein Punkt, den ich zum Abschluss noch erwähnen möchte, ist die Forschung und Entwicklung. Wir haben einen neuen Vorschlag für ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm. Ich hoffe, Herr Ratspräsident, dass es Ihnen, aber vor allem Ihren Nachfolgern gelingen wird, auch genügend Geld, Initiative und Kraft in dieses Forschungsprogramm zu investieren, denn wenn wir im Wettbewerb bestehen wollen, dann müssen wir die Forschung und Entwicklung vorantreiben.
(Beifall)
Ek (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Wir sind sehr besorgt über die gegenwärtige Wachstumsrate der europäischen Wirtschaft, die hohen Arbeitslosenquoten und all die sozialen und ökologischen Probleme, mit denen wir zu tun haben. Deshalb bin ich froh, dass das Parlament vor einigen Wochen eine Entschließung zum Lissabon-Prozess annahm und dass viele seiner Vorschläge auf dem Frühjahrsgipfel berücksichtigt wurden. Trotzdem bin ich immer noch sehr besorgt. Ich will einige Beispiele zur Rechtsetzung und zu bestimmten Politiken nennen.
Erstens ist es im Hinblick auf das Programm REACH sehr wichtig, dass wir zu einer Entscheidung gelangen. Das hat das Parlament immerhin vor einigen Wochen einstimmig erklärt. Unsicherheit kommt hier teuer zu stehen.
Zweitens ist das Parlament sich bei der Sozialdienstleistungsrichtlinie viel stärker über die Notwendigkeit dieser Richtlinie einig als der Rat. Wir brauchen hier eine klare Linie, denn die Arbeitslosenquote ist eine Katastrophe für die Menschen und die Wirtschaft.
Was die Politikbereiche anbetrifft, so reden wir über KMU und verfassen wunderbare Schriftstücke über sie und darüber, wie wichtig der Bürokratieabbau ist. Nun ist Risikokapital für die Arbeit von KMU von entscheidender Bedeutung. Doch während wir über die KMU, Arbeitslosigkeit usw. reden, gibt es infolge des Berichts Lamfalussy nun gleichzeitig 240 Unter-Arbeitsgruppen, die neue Rechtsvorschriften für die Finanzmärkte ausarbeiten. Das ist doch genau das Gegenteil von Bürokratieabbau und Beschaffung von genügend Risikokapital für KMU.
Der zweite Politikbereich ist Energie. Wir wissen, dass wir Umweltprobleme, Probleme mit der Arbeitslosigkeit und Probleme mit der Regionalentwicklung haben und dass wir die Herstellung von Biomasse, Fernwärme und Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung benötigen. Doch es gibt keine Zusammenarbeit zwischen Agrarpolitik, Energiepolitik und Industriepolitik. Diese Zusammenarbeit ist notwendig, sie ist äußerst wichtig.
Das Parlament und ich denke auch die Kommission sind entschlossen, doch der Rat ist nicht entschlossen genug. Sie müssen mehr Entschlossenheit zeigen, Herr Juncker.
Turmes (Verts/ALE).– Herr Präsident! Die Grünen wollen kein Europa, das unsere sozialen und umweltpolitischen Errungenschaften, einen Teil unserer europäischen Identität, leichtsinnig aufs Spiel setzt. Das wollen auch die europäischen Bürger nicht. Wir begrüßen daher die klare Sprache der Luxemburger EU-Ratspräsidentschaft und ihren Einsatz für den Dreiklang Wirtschaft, Umwelt und Soziales.
Die Abschlusserklärung des Frühjahrsgipfels ist ein gutes Stück Europa, und sie hat die Barroso-Kommission auf ihrem neoliberalen Kurs klar in ihre Schranken verwiesen. Doch nach den feierlichen Erklärungen müssen jetzt konkrete Taten folgen, und zwar in zwei Bereichen: Im Umweltschutz brauchen wir endlich eine europäische Kraftanstrengung für den Klimaschutz; das muss sich sowohl in den Finanzperspektiven als auch bei der Europäischen Investitionsbank widerspiegeln. Investitionen in den öffentlichen Transport, Investitionen in die Sanierung von Gebäuden, Investitionen in Wärmenetze reduzieren Klimaschäden und unsere Abhängigkeit von Öl. Auf dem Gipfel wurde wenig vom Problem des Öls und seiner Bremswirkung auf das europäische Wachstum gesprochen.
In der Sozialpolitik bedeutet dies, dass wir endlich eine Richtlinie zum Schutz öffentlicher Dienstleistungen brauchen. Es sollte eine der Prioritäten in den verbleibenden Monaten des Luxemburger Ratsvorsitzes sein, dass wir auch diese Richtlinie zu öffentlichen Dienstleistungen auf den Weg bekommen, weil andernfalls der Geist von Bolkestein weiter über Europa hängen wird.
Wagenknecht (GUE/NGL).– Herr Präsident! Ein Haus auf morschen Fundamenten macht man nicht dadurch winterfest, dass man das Dach ausbessert. Der Stabilitätspakt gehört nicht reformiert, er gehört abgeschafft. Zumal die jetzt vorgesehene Berücksichtigung so genannter Strukturreformen deutlich zeigt, worum es schon immer ging: nicht um Preisstabilität, nicht um solide Staatsfinanzen, sondern um ein Rechtfertigungsinstrument zum Durchpeitschen neoliberaler Liberalisierungs- und Privatisierungspläne. Pläne, deren Umsetzung die Profite der europäischen Konzerne bereits 2004 um 78% in die Höhe getrieben hat. Aber die, die profitieren, sind offenbar längst nicht zufrieden.
Die vorgelegte Dienstleistungsrichtlinie ist ein neuer Versuch, das europäische Sozialmodell endgültig ad acta zu legen. Statt Harmonisierung der Standards auf oberem Niveau: ein grenzenloser Dumpingwettlauf zur Angleichung auf niedrigstem Niveau; statt bedarfsgerechter Daseinsvorsorge: Kommerzialisierung aller Bereiche menschlichen Lebens. Das ist offenbar die Vision für Europa, die den think tanks der großen Konzerne, der Konzernlobby, vorschwebt.
70 000 Menschen haben im März in Brüssel gegen das neoliberale Brachialprojekt demonstriert. Sie werden darauf achten, ob die Kritik des Rates nur das anstehende Verfassungsreferendum in Frankreich im Blick hatte oder ob ernsthafte Taten folgen.
Piotrowski (IND/DEM).– (PL) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf seiner jüngsten Tagung hat der Europäische Rat eingeräumt, dass die Halbzeitbilanz der Strategie von Lissabon äußerst dürftig ausfällt. Genau genommen ist die Strategie auf der ganzen Linie gescheitert. Ich möchte das Haus daran erinnern, dass die Union das angestrebte Wirtschaftswachstum von 3 % nicht erreicht hat. Außerdem ist es nicht gelungen, den Abstand zwischen der EU und den USA beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung aufzuholen, dieser Abstand ist sogar noch größer geworden. Die Ausgaben für den Schlüsselbereich Forschung und Entwicklung konnten nur geringfügig gesteigert werden, und das Beschäftigungswachstum in den zentralen Bereichen der Strategie von Lissabon ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Innerhalb der Union bestehen noch immer erhebliche Hindernisse für den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen.
Die Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes wäre eine Voraussetzung für das nachhaltige und ausgewogene Wachstum, von dem wir derzeit meilenweit entfernt sind. Ich habe absichtlich „wäre“ gesagt, da die Freiheit der wirtschaftlichen Tätigkeit trotz der entsprechenden Bestimmungen, die seit langem im Vertrag festgelegt sind, in der Praxis nicht besteht. Der Liberalisierungsprozess stößt bei den staatlichen Stellen und den Wirtschaftsverbänden in den Ländern der alten Union auf massiven Widerstand. Von den Liberalisierungsgegnern wird behauptet, die Qualität der Dienstleistungen von Unternehmen in den neuen Ländern sei geringer und diese Unternehmen betrieben Sozialdumping. Gleichzeitig diskriminieren die Liberalisierungsgegner ihre eigenen Bürger, indem sie sie zwingen, ungerechtfertigt hohe Preise für die von ihnen benötigten Dienstleistungen zu bezahlen.
Ein weiterer entscheidender Impuls für das Wirtschaftswachstum wäre es aus meiner Sicht, wenn wir die Kohäsionspolitik, die bisher nicht viel mehr als ein Schlagwort ist, wirklich umsetzen würden. Wenn wir die Strategie von Lissabon noch retten wollen, müssen sich der Rat, die Kommission und vor allem die EU-Beamten wieder darauf besinnen, was der Grundsatz der Solidarität wirklich bedeutet und wie ein freier Markt tatsächlich funktioniert.
Dillen (NI).–(NL) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist erstaunlich, wie bevorstehende Wahlen Politiker bisweilen zu einem Kurswechsel veranlassen und sie sogar dazu bringen können, ihre eigenen Grundsätze zu verleugnen. Nicht ganz ohne Schadenfreude beobachte ich beispielsweise die wirklich traurige Seifenoper, die in Reaktion auf die Bolkestein-Richtlinie in Europa aufgeführt wird. Vor dem 1. Mai 2004 hörten wir nämlich niemanden die Liberalisierung der Dienstleistungen beanstanden, denn die Pläne des niederländischen Kommissars entsprachen ganz einfach der europäischen Logik, dass es Dienstleistungserbringern ebenfalls möglich sein muss, in der EU Freizügigkeit zu genießen. Um jedoch Präsident Chirac gefällig zu sein und sicherzustellen, dass er bei dem Referendum über die Verfassung am 29. Mai keine schmachvolle Niederlage erleidet, heißt es jetzt, die Richtlinie – die seinerzeit von den Sozialisten Lamy und Busquin selbstredend befürwortet wurde – werde nachgebessert, wenn nicht gänzlich überarbeitet. Jetzt stellt sich heraus, dass die Richtlinie vorerst auf Eis gelegt wird, um dem „Nein“-Lager in Frankreich keine weiteren Trümpfe in die Hand zu spielen.
Die Europäische Linke hat erkannt, dass durch soziales Dumping die Arbeitsplätze der eigenen Bevölkerung gefährdet werden. Sie hat ferner wiederentdeckt, wie wichtig die Verteidigung der nationalen und souveränen Interessen ist. Die den Traditionen der „Front Populaire“ aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wieder treu gewordene französische Linke hat den ehedem von ihr verabscheuten Grundsatz „das eigene Volk zuerst“ wiederentdeckt und lehnt das in der Richtlinie enthaltene Herkunftslandprinzip ab. Ob diese Heuchelei ausreicht, um einen überwältigenden Sieg des „Nein“ am 29. Mai zu verhindern, bleibt natürlich dahingestellt. Im Gegensatz zu dem, was die Koryphäen in der Kommission denken mögen, sind die Wähler nicht dumm. Ein ähnliches Szenario bietet sich in Deutschland; so steht in der heutigen Ausgabe der „Herald Tribune“, der sozialdemokratische Bundeskanzler wolle aufgrund seiner Besorgnis um die nächsten Monat in Nordrhein-Westfalen stattfindenden Wahlen strikte Maßnahmen ergreifen, durch die verhindert werden soll, dass billige Arbeitskräfte aus Osteuropa den Deutschen ihre Arbeitsplätze wegnehmen. Wer hätte solches bei diesem ehemaligen internationalistischen Marxisten jemals für möglich gehalten? Wir können ihn dazu nur beglückwünschen.
Thyssen (PPE-DE).–(NL) Jede Generation steht vor eigenen Herausforderungen. In den 80er-Jahren lehrte man uns, wie wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern können, und in den 90er-Jahren ging es um die Sanierung der Staatsfinanzen. Angesichts der nun immer aggressiver werdenden internationalen Konkurrenz, einer in einem ständigen Wandel begriffenen Welt und der Überalterung der Bevölkerung stellt sich uns als weitere Aufgabe die Sicherung unseres Sozialmodells, wofür mehr Wirtschaftswachstum die primäre Voraussetzung ist. Dass diesen Herausforderungen mit bloßen Erklärungen und uneingelösten Versprechen nicht begegnet werden kann, ist mittlerweile allen bewusst. Die Menschen sind enttäuscht, sie wollen Taten und Ergebnisse sehen. Nach dem EU-Gipfel lässt sich sagen, dass ein interinstitutioneller Konsens über die Neubelebung des Lissabon-Prozesses besteht und man sich dazu gewissermaßen verpflichtet hat, weshalb die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates einen hoffnungsvollen Neubeginn darstellen und dem Vorsitz Anerkennung gebührt. So sollten wir es den Menschen vermitteln, und zwar, wie der Ratsvorsitzende empfohlen hat, in einer Sprache, die die ihrige ist. Selbstredend hoffen wir, dass die neuen Regelungen zum Stabilitätspakt ein überzeugender Beleg für die Botschaft des Ratsvorsitzenden an uns sein werden und wir uns auf eindeutige Kriterien und ausreichende Durchsetzbarkeit verlassen können. Wir sind ferner erfreut, dass in den Schlussfolgerungen die Bedeutung der kleinen und mittelgroßen Unternehmen unterstrichen wurde, und hoffen, es möge nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen bleiben.
Zur Dienstleistungsrichtlinie ist festzustellen, dass zwar eine bedeutende Schlacht in Sachen Kommunikation, aber deswegen noch kein Krieg verloren worden ist. Als Mitgesetzgeber werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, um den freien Dienstleistungsverkehr zu ermöglichen, und wir werden dafür Sorge tragen, dass dies in einer Weise geschieht, die der Aufgabe unserer Generation entspricht, nämlich das Sozialmodell mit seinen drei Dimensionen sicherzustellen. Herr Präsident, der Lenkungsausschuss des Parlaments für die Lissabon-Strategie hat gestern beschlossen, er werde auf Hochtouren arbeiten, und dem Ratsvorsitz, der Kommission sowie den Kolleginnen und Kollegen in diesem Parlament wie auch in den nationalen Parlamenten kann ich versichern, dass wir weiter fest entschlossen sind, die gesetzten Ziele zu erreichen, und dass man sich auf unsere Mitarbeit verlassen kann.
Rasmussen (PSE).–(DA) Herr Präsident, ich sehe, dass Herr Watson nicht im Saal ist, was ich bedaure. Ich muss mich von Herrn Watsons Kritik an Herrn Juncker, dem Ratspräsidenten der Europäischen Union, klar distanzieren. Selbstverständlich ist nicht Herr Juncker daran Schuld, dass Frankreich zurzeit eine so unpopuläre Regierung hat, die nicht imstande ist, die französische Bevölkerung zu überzeugen, für den Vertrag zu stimmen. Die Wahrheit ist natürlich, dass Herr Juncker selbst über den Europäischen Rat im März dieses Jahres versichert hat, die Übrigen von uns seien in der Lage, der französischen Bevölkerung zu erläutern, dass wir nunmehr einen vernünftigen Stabilitäts- und Wachstumspakt haben, dass die Gleichgewichte im Prozess von Lissabon wiederhergestellt sind und wir nunmehr den nächsten Schritt tun können, wie Herr Almunia, das für Wirtschaft und Finanzen zuständige Kommissionsmitglied, sagte, nämlich dass wir durch die Anwendung der beiden Instrumente im Verein mit makroökonomischen Initiativen faktisch in der Lage seien, mehr und neue Arbeitsplätze in Europa zu schaffen.
Herrn Watson, der Fraktion der Europäischen Volksparte (Christdemokraten) und der europäischen Demokraten und anderen, ob sie in diesem Saal anwesend sind oder nicht, möchte ich sagen, es geht hier um eine Verantwortung, die von ihnen und uns sowie vom Präsidenten der Kommission, Herrn Barroso, von der gesamten Kommission und von Herrn Juncker und dem Rat gleichermaßen geteilt wird. Wir müssen der französischen Bevölkerung zeigen: Diese Europäische Union hat in diesem Augenblick eine Hauptaufgabe, dazu beizutragen, mehr, neue und bessere Arbeitsplätze zu schaffen. Frankreich kann nicht allein mehr, neue und bessere Arbeitsplätze schaffen. Frankreich und das französische Volk brauchen einen neuen Verfassungsvertrag, und diese neue europäische Struktur gibt uns, zusammen mit einem politischen Herangehen, das nunmehr vom Europäischen Rat im März festgelegt worden ist und das hoffentlich vom Europäischen Rat im Juni weitergeführt wird, einige gesunde Argumente an die Hand, um in unserer Arbeit an Europa weitere Fortschritte zu erzielen. Europa ist nicht Gegenstand eines täglichen Spektakels oder größerer Revolutionen. Es ist Gegenstand harter, sinnvoller und zweckgerichteter Arbeit, und das ist etwas, wozu ich Herrn Juncker heute gratulieren möchte.
Letta (ALDE).- (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Einigung zum Stabilitätspakt hat zwar ihre positiven Seiten, doch bestehen nach wie vor große Bedenken. Vor allem bedarf es unbedingt einer Stärkung und keiner Schwächung der Rolle der Kommission bei der Handhabung des Paktes, sowohl hinsichtlich der Haushaltskonten als auch der Investitionen, d. h. der Stabilität und des Wachstums.
Zweitens muss klar sein, dass der überarbeitete Pakt dem Wachstum. d. h. dem Wirtschafts- und nicht dem Verschuldungswachstum, gewidmet sein muss: Beides darf nicht miteinander verknüpft werden, wie es einige nationale Regierungen wie z. B. die italienische scheinbar zu tun beabsichtigen. Deshalb fordern wir von den Organen der Union, dass sie gefährliche Renationalisierungsmaßnahmen zu verhindern versuchen und entschlossen auf die Stärkung des Gemeinschaftssinns hinwirken. Die Zukunft der Union wird nämlich sonst in Gefahr sein, wenn sowohl bei der Anwendung des Paktes wie auch der anderen bedeutenden politischen Strategien, in erster Linie der besonders wichtigen Lissabon-Strategie, nicht die Gemeinschaftsmethode beibehalten wird.
Musacchio (GUE/NGL).- (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 19. März fand in Brüssel eine machtvolle Demonstration der Gewerkschaften und der Friedensbewegung gegen die Bolkestein-Richtlinie, gegen Freihandel und Krieg sowie für ein soziales Europa statt.
Angesichts der paradoxen Situation, in der wir uns befinden und die durch eine starke Währung, eine schwache Wirtschaft und eine krisengeschüttelte Gesellschaft gekennzeichnet ist; angesichts der Krise des Maastricht-Konstrukts und der Lissabon-Strategie ist unseres Erachtens aus dieser Demonstration – an der Zehntausende von Arbeitnehmern aus ganz Europa, und ich betone ganz Europa, einschließlich der neuen Länder im Osten, teilgenommen haben – die ganz klar Forderung nach einer notwendigen Wende hervorgegangen. Und zwar ungeachtet der Vorstellung einiger von einem Europa der zwei Ebenen, d. h. des innereuropäischen Dumpings bzw. der Bolkestein-Richtlinie. Die Demonstration ließ indessen die Forderung nach einer Harmonisierung der Rechte – selbstverständlich nach oben - erkennen.
Wir brauchen demzufolge ein Europa, das die Bolkestein-Richtlinie – die verhängnisvolle Richtlinie über die Arbeitszeit – ablehnt und imstande ist, den Käfig des monetaristischen Freihandels von links aufzubrechen sowie qualitativ hochwertige Investitionen, Rechte, Entwicklung, Arbeit und Umweltschutz zu fördern anstatt zu beschränken: ein Europa, das sich in ein soziales Europa – das einzig mögliche Europa – zu verwandeln vermag.
Wir wollen versuchen, dieses Bestreben durch unsere Vorschläge in diesem Hohen Haus umzusetzen und die große Begeisterung, die die Straßen von Brüssel belebt hat und die unsererseits nicht ohne Echo bleiben darf, in dieses Parlament hinein zu tragen.
Karas (PPE-DE).– Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, meine Damen und Herren! Ich muss schon sagen, wir sind bei der Bewertung der Ergebnisse der Treffen der Staats- und Regierungschefs schon sehr bescheiden geworden. Wir würden viel größeres Vertrauen und mehr Glaubwürdigkeit bei den Bürgern genießen, wenn die Handlungen der Regierungen der Mitgliedstaaten den Beschlüssen konsequenter entsprechen würden. Wir beschäftigen uns momentan bei Gipfeln mit den Korrekturen der Beschlüsse anstatt mit der Einhaltung und der Fortführung des Vereinbarten. Der Ratspräsident ist wahrscheinlich der einzige, der in dieser Phase überhaupt gemeinsame Beschlüsse zustande bringt. Wir freuen uns schon über jede Art von Einigung, weil ansonsten das Scheitern droht.
Ich bitte Sie, mit mir kurz zurückzublicken: Für mich besteht das Problem, vor dem wir stehen, im Widerspruch zwischen den europäischen Verträgen und dem politischen Handeln.
Nehmen wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt: Wir beschwören die Einhaltung, wir verneinen die Schwächung, aber die Verletzungen und Interpretationsspielräume nehmen zu. Die Blockaden werden organisiert, und die Kommission wird in ihren Sanktions- und Eingriffsmöglichkeiten behindert.
Kroatien: Wir beschließen, dass am 17. März die Verhandlungen mit Kroatien beginnen, aber verschieben den Verhandlungsprozess, obwohl die Bedingungen eingehalten werden.
Finanzielle Vorausschau: Wir wollen mit der Luxemburger Präsidentschaft eine Einigung, aber wir bekommen keine Signale, dass sich an der 1%-Haltung gegenüber dem Kommissionsvorschlag etwas ändert.
Bulgarien und Rumänien: Es liegt ein Fortschrittsbericht der Kommission vor, der deutlich macht, in welchen Punkten die Bedingungen noch nicht erfüllt werden, aber es gibt ein Datum für die Unterzeichnung der Verträge. Vom Parlament wird Zustimmung verlangt, aber gleichzeitig werden die Rechte des Parlaments am Montag ignoriert.
Lissabon: Wir wollen den Binnenmarkt und damit auch einen Binnenmarkt für Dienstleistungen, aber einige von uns führen die Bürger in die Irre, indem wir die Dienstleistungsrichtlinie auf das Herkunftslandprinzip reduzieren.
Ich appelliere an uns alle, aber vor allem an die Mitgliedstaaten: Wir müssen wieder berechenbarer werden, wir müssen Vertrauen in die Entscheidungen gewinnen, und wir müssen die Regeln einhalten, die wir uns selbst geben. Wir benötigen weniger Korrekturen des Bestehenden, stattdessen aber eine größere Ernsthaftigkeit bei der Einhaltung der Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs, der Verträge und Richtlinien.
(Beifall)
Rosati (PSE). – (PL) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Europäische Rat hat auf seiner letzten Tagung eine Reihe wichtiger Beschlüsse zur Änderung der Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts gefasst. Ich möchte meine Unterstützung für diese Änderungen zum Ausdruck bringen. Es ist unbestritten, dass durch diese Beschlüsse einige Bestimmungen des Pakts aufgeweicht werden und flexibler gehandhabt werden können, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Haushaltsdisziplin in den Mitgliedstaaten gelockert werden muss. Wir alle wissen, dass schon seit längerer Zeit systematisch gegen die Regeln des Pakts verstoßen wird. In jedem dritten Mitgliedstaat besteht derzeit ein übermäßiges Haushaltsdefizit. Das ist eine sehr bedrückende Situation, die sich in der ganzen Union nicht gerade positiv auf das Vertrauen auswirkt. Durch eine Änderung des Pakts und insbesondere die größere Flexibilität beim Einsatz der präventiven Elemente werden seine disziplinarischen Möglichkeiten erweitert. Weniger restriktive Regeln, die von allen ohne Ausnahme eingehalten werden, sind sehr viel sinnvoller als strengere Regeln, die missachtet und gebrochen werden.
Außerdem begrüße ich die Entscheidungen des Rates zur Neubelebung der Lissabon-Strategie und ich freue mich, dass bei diesen Entscheidungen die Erkenntnisse der Hochrangigen Gruppe unter dem Vorsitz von Wim Kok berücksichtigt worden sind. Die in der Agenda von Lissabon vorgesehenen Reformen müssen so schnell wie möglich umgesetzt werden, weil nur so ein höheres und nachhaltiges Wirtschaftswachstum erreicht, mehr Arbeitsplätze geschaffen und das europäische Sozialmodell bewahrt werden können. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass die Hauptverantwortung für die Durchführung der unverzichtbaren Strukturreformen nun bei den Mitgliedstaaten liegt. Die Regierungen und die Parlamente in den einzelnen Ländern müssen jetzt politischen Mut und politische Weitsicht beweisen. Sie müssen ihre Bürger davon überzeugen, dass die rasche und wirksame Umsetzung der Strategie von Lissabon langfristig in ihrem eigenen Interesse liegt. Die europäischen Organe können und müssen die Regierungen der Mitgliedstaaten bei diesem schwierigen Prozess unterstützen. Die Kommission muss zeigen, dass sie die Beschlüsse des Rates entschlossen umsetzt und sie muss eine transparente Überwachung der Fortschritte bei den Reformen in den einzelnen Mitgliedstaaten sicherstellen. Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten sollten weiterhin eng zusammenarbeiten.
Herr Präsident, ich schlage vor, ein ständiges Forum einzurichten, in dem sich Vertreter des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente regelmäßig treffen können, um konkrete Themen zu behandeln und um über die mit der Umsetzung der Lissabon-Strategie verbundenen Herausforderungen zu sprechen. Dies wird das Gefühl der Eigenverantwortlichkeit für die Umsetzung der Strategie auf parlamentarischer Ebene stärken und den Beteiligten deutlich machen, wie wichtig diese Strategie für die europäischen Gesellschaften ist.
in 't Veld (ALDE).–(NL) Die Zufriedenheit über diesen Gipfel halte ich für völlig unbegründet, denn er war ein beschämendes, durch einen politischen Kuhhandel gekennzeichnetes Schauspiel, und von denselben Politikern werden nunmehr bittere Krokodilstränen über den Zynismus der Bürger vergossen. Nach meinem Dafürhalten ist die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union wieder einmal schwer erschüttert worden.
Dieses Gipfeltreffen hätte die europäische Wirtschaft für das 21. Jahrhundert rüsten und zu größerer Haushaltsdisziplin sowie einem freien Dienstleistungsmarkt führen sollen, stattdessen bleiben wir jedoch dem alten Rezept der Staatsschulden und des Protektionismus verhaftet. Dies als soziale Politik zu bezeichnen, ist eine Schande. Einige behaupten, der Stabilitätspakt sei gerettet worden, für mich stellen jedoch die vagen Formulierungen, die Vorbehaltsklauseln und buchhalterischen Tricks pure Demagogie dar, ganz zu schweigen davon, wie die Dienstleistungsrichtlinie von den führenden Politikern behandelt wird. Ich möchte mir ein Beispiel an den neuen Mitgliedstaaten nehmen, die nicht wie wir an Selbstgefälligkeit leiden, sondern viel dynamischer sind und Reformen auf den Weg bringen.
Abschließend, Herr Präsident, hoffe ich, dass nach den verschiedenen Volksabstimmungen und Wahlen endlich wieder Weitsicht, Mut, Verantwortungsgefühl und politische Führung die Oberhand werden gewinnen können.
Montoro Romero (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, die europäische Wirtschaft durchlebt eine sehr schwierige Situation. Der jüngste europäische Gipfel findet zu einem Zeitpunkt statt, da die Vorhersage der Europäischen Kommission zum europäischen Wachstum nach unten korrigiert und damit nicht nur das Wachstum sondern auch die Schaffung von Beschäftigung einer Revision unterzogen wird.
Damit ist gemeint, dass die Arbeitslosenzahl im Europa des Jahres 2005 ansteigen und es eine wirtschaftliche Stagnation geben wird. Das ist negativ, und wir müssen darauf reagieren, indem wir klare Signale des Vertrauens an die Verbraucher und an die Investoren richten. Das Problem der europäischen Wirtschaft ist das fehlende Vertrauen, das von einer Wirtschaftspolitik ausgeht, die kein Vertrauen zu erzeugen vermag.
Die Agenda von Lissabon, der Stabilitätspakt und die Liberalisierung der Dienstleistungen sind Schlüsselelemente zur Stärkung dieses Vertrauens. Und hier haben wir im März eine Chance vertan. Wir haben es versäumt, uns für gesunde öffentliche Finanzen einzusetzen, und dafür gibt es Beispiele in Europa. Die Länder, die sich um die Sanierung ihrer Haushalte bemüht haben, sind jene, die wachsen und Arbeitsplätze in Europa schaffen. Die Länder, die die Strukturreformen der Agenda von Lissabon durchgeführt haben, sind auch tatsächlich diejenigen, die ein Wachstum zu verzeichnen haben und in der Europäischen Union Beschäftigung schaffen.
Wir können nicht über das europäische Sozialmodell sprechen, ohne auf diese Länder zu schauen, und wir dürfen keine Selbstzufriedenheit zeigen, denn in Wirklichkeit hat eine Revision des Stabilitätspakts stattgefunden, die auf den politischen Interessen großer Länder basiert, die kein Wachstum verzeichnen und die keine Arbeitsplätze schaffen, bestehen Zweifel am eigentlichen Charakter des Stabilitätspakts und fehlt das Vertrauen in die für die Europäische Union notwendigen Wirtschaftsreformen.
Dies ist die Gelegenheit für Sie, Herr Barroso, um Ihr Projekt für ein Europa des Wachstums und der Beschäftigung, das wir alle wollen, durchzusetzen.
VORSITZ: INGO FRIEDRICH Vizepräsident
Berès (PSE). – (FR) Herr Präsident, Herr amtierender Ratspräsident! Ich möchte auf eine Frage eingehen, die wir noch nicht angesprochen haben. Ich glaube nämlich, dass die Bedingungen, unter denen Sie in der Eurogruppe und dann im Rat Ecofin verhandeln mussten, zeigen, dass es wahrscheinlich ein Problem bei der Koordinierung der Befugnisse dieser beiden Gremien gibt. Sie haben weiterhin die 3 % und die 60 % angesprochen und darauf verwiesen, dass sie nicht verändert worden sind. Da haben Sie Recht, denn es wäre Ihnen sehr schwer gefallen, sie zu verändern, denn diese beiden Zahlen stehen in einem dem Vertrag beigefügten Protokoll, das wiederum in ein der Verfassung beigefügtes Protokoll aufgenommen worden ist.
Doch nun möchte ich auf das Wesen dieser Reform zurückkommen. Die ersten Punkte – und ich denke, dies ist noch nicht ausreichend angesprochen worden – sind diejenigen, die uns ermöglichen, Fortschritte bei der Harmonisierung der Grundlagen, auf denen jeder Mitgliedstaat künftig seinen Haushalt aufstellt, bei der Festlegung der zu berücksichtigenden makroökonomischen Perspektiven sowie bei der Verbesserung der statistischen Instrumente für die Bewertung der Ergebnisse dieses oder jenen Mitgliedstaates zu machen. Die Vorstellung, die nationalen Parlamente stärker einzubeziehen, entspricht dem Geist der Zeit. Doch im Hinblick auf die im Wesentlichen bei den Mitgliedstaaten verbleibenden Kompetenzen halte ich dies für die zweckmäßige Verfahrensweise, und sie entspricht auch dem Geist, in dem wir am 25. April im Europäischen Parlament mit den nationalen Parlamenten eine Debatte über die Bedeutung der Wirtschaftspolitik in Europa und in den Mitgliedstaaten führen werden.
Wenn ich diese Reform realistisch betrachte, dann gibt es auch Enttäuschungen. Jeder Mitgliedstaat ist mit seiner Forderung, seinen Sonderwünschen angekommen, und dann haben wir, wie so oft, eine Art Kuhhandel erlebt, bei dem jeder auf seinen Vorteil bedacht war, ohne dass am Ende der europäische Mehrwert und die wirkliche Perspektive eines Wachstums- und Beschäftigungsinstruments zum Tragen gekommen wären. In diesem Sinne müssen wir noch arbeiten. Ich weiß, Sie teilen das Bestreben, dass uns künftig eine wirkliche Koordinierung der Wirtschaftspolitiken endlich ermöglicht, alle die Vorteile zu nutzen, die uns der Übergang zum Euro hätte bringen müssen.
Eine letzte Bemerkung, wenn Sie gestatten, Herr Präsident, zu den Strukturreformen und damit zu den Renten. Diese sind im Grunde leider die großen Gewinner dieser Reform, denn sie sind weder in der präventiven Phase noch bei der Bewertung der Defizite zu berücksichtigen. Ich erinnere mich an Ihre Ausführungen im Ausschuss für Wirtschaft und Währung; dort schienen Sie nicht unbedingt die Meinung zu teilen, dass eine Rentenreform an buchhaltungstechnischen Kriterien ausgerichtet werden müsse.
Matsakis (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Für Stabilität und Wachstum braucht man eine gesunde Wirtschaft. Die EU-Wirtschaft erleidet täglich Schaden, manchmal mehrere Millionen Euro, wegen des Embargos der Türkei gegen EU-Schiffe. Dieses Embargo sollte theoretisch für Zypern gelten, doch in der Praxis richtet es sich gegen die gesamte EU. Warum das so ist, möchte ich mit folgendem Beispiel verdeutlichen. Einem deutschen Schiff unter französischer Flagge, das britische Waren für ein spanisches Unternehmen transportiert, wird das Anlaufen eines türkischen Hafens verwehrt, wenn sich herausstellt, dass ein Vorstandsmitglied des Unternehmens, das mit den Waren handelt, zuvor mit einem zyprischen Unternehmen Geschäftsbeziehungen unterhielt. Das ist rechtswidrig und absurd, und es gibt für den Rat und die Kommission keine Rechtfertigung, ein solch aggressives Verhalten eines Kandidatenlandes auch nur einen Tag länger zu tolerieren.
Ich möchte kurz eine weitere Frage aufwerfen. Vor zwei Tagen berichtete die Hurriyet, eine Tageszeitung mit hoher Auflage und Sprachrohr der türkischen Regierung, dass der Rat und die Kommission in geradezu verschwörerisch anmutender Weise zusammengearbeitet hätten, um vor allem die zyprische Regierung zu isolieren und zu destabilisieren und sie so dazu zu zwingen, einer unpopulären Lösung der Zypern-Frage zuzustimmen. Ich weiß, dass dieser Bericht Unsinn ist, aber er wurde für türkische Propagandazwecke missbraucht und hat bei meinen Wählern Besorgnis ausgelöst. Ich fordere Sie eindringlich auf, hier heute klarzustellen, dass dies vollkommen falsch und absurd ist.
Langen (PPE-DE).– Meine Herren Präsidenten! Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist viel gelobt worden. Aber ich bin der Überzeugung, dass es eine sehr schwierige Geburt war und das Ergebnis alles andere als zufriedenstellend ist. Ich will damit nicht die Leistung von Herrn Juncker und Herrn Barroso schmälern, die darin bestand, die nationalen Egoismen zusammenzufassen, aber das, was herausgekommen ist, ist ein mittelfristiger Sargnagel für die Stabilität des Euros. Wir merken das jetzt deshalb nicht, weil im Augenblick die USA und Japan eine weitaus höhere Verschuldung haben. Aber sobald dort die Verschuldung reduziert wird, wird der Euro in seiner Stabilität und in seinem Wechselkurs in Frage gestellt werden. Natürlich sind die Werte 3% und 60% eingehalten worden. Aber es ist überhaupt nicht mehr diskutiert worden, dass es in den Beschlüssen des Stabilitäts- und Wachstumspakts heißt, dass ein ausgeglichener Haushalt angestrebt werden soll. Die allererste Bewährungsprobe, als es um die beiden größten Staaten, Deutschland und Frankreich, ging, ist schon schief gegangen. Und wenn man sich schon in schwierigen Zeiten nicht an einen Pakt hält, mit welcher Begründung soll man es dann in guten Zeiten tun? Ich sehe das nicht als realistisches Konzept an. Allein die Differenz zwischen 0% und 3% macht im Euroraum 250 Milliarden Euro aus. Das sind die Mittel, die für Konjunkturzyklen, für Naturkatastrophen oder für internationale Verpflichtungen hätten eingesetzt werden können. Als es so weit war, waren sie verbraucht.
Deshalb glaube ich, dass auch der Verweis auf die Europäische Zentralbank nicht ausreicht, denn die Europäische Zentralbank ist zwar unabhängig, aber sie ist eine Tochtergesellschaft der nationalen Banken. Die Europäische Zentralbank hat einen Gouverneursrat, aber in diesem dominieren zu zwei Drittel die nationalen Notenbankchefs. Solange die Europäische Zentralbank nicht in der Lage ist, ihre eigenen Refinanzierungsgeschäfte daran zu orientieren, ob die Staatsanleihen des Euroraums ein gutes oder ein schlechtes Rating haben, wird sie nicht dazu beitragen können, dass der Euro auf Dauer die notwendige Stabilität erhält.
Andersson (PSE).–(SV) Herr Präsident! Ich begrüße den Ausgang des Frühjahrsgipfels des Europäischen Rates. Gestatten Sie mir, vier Aspekte hervorzugeben. Erstens besteht ein Gleichgewicht im Lissabon-Prozess, was auch eine gegenseitige Abhängigkeit der Pfeiler bedeutet. Zweitens erfährt das europäische Sozialmodell eine starke Betonung. Dies bedeutet nicht nur mehr Arbeitsplätze, sondern auch hoch qualifizierte Arbeitsplätze, verlässliche Systeme der sozialen Sicherheit, die modernisiert werden müssen, sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Drittens begrüße ich die Formulierungen zur Dienstleistungsrichtlinie. Meiner Ansicht nach gibt es einen wachsenden Konsens bezüglich der Dienstleistungsrichtlinie zwischen dem Rat und der – wie ich glaube – Mehrheit im Parlament. Wir brauchen eine Dienstleistungsrichtlinie, die jedoch nicht so aussehen darf wie der jetzige Entwurf. Wir müssen das europäische Sozialmodell erhalten, hohe Umweltanforderungen stellen und die umfassenden Verbraucherrechte beibehalten können. Ich glaube an die Möglichkeit, einen derartigen Vorschlag zu erarbeiten. Viertens ist die nachhaltige Entwicklung ein Thema, das durchgängig Berücksichtigung findet. Dabei geht es um die ökologisch nachhaltige Entwicklung, aber in gleichem Maße auch um eine wirtschaftlich und sozial nachhaltige Entwicklung.
Lassen Sie mich abschließend betonen, dass natürlich nicht alles negativ ist. Wir dürfen nicht pessimistisch sein. Wir haben die Ziele des Lissabon-Prozesses nicht vollständig erreicht, aber dennoch gibt es eine Reihe von Ländern, die zahlreiche Anforderungen erfüllen. Ich möchte hier keine Namen nennen, aber wenn man sich diese Länder genau anschaut, kann man sehen, dass sie Wachstum, hohe Beschäftigungsraten, umfassende Sozialsysteme und hohe Umweltanforderungen vereinen. Wir haben allen Grund, optimistisch in die Zukunft zu schauen.
Malmström (ALDE).–(SV) Herr Präsident! Ich muss leider feststellen, dass der Europäische Gipfel eine beeindruckende Darbietung schlechter Führungsarbeit war. Was tut der Rat in einer Zeit, in der die europäische Wirtschaft nichts so sehr benötigt wie Reformen, in der die Arbeitslosigkeit ansteigt – auch in Schweden, Herr Andersson – und in der die Euroskepsis sich ausbreitet? Anstatt sich für Europa einzusetzen und öffentlich die Führung zu übernehmen, ziehen sich die europäischen Politiker bei einer der wichtigsten Fragen des Lissabon-Prozesses – der Dienstleistungsrichtlinie - vollständig zurück.
Aus Angst vor den verschiedenen Volksbefragungen gibt man den Lügen und Märchen, die starke Linkskräfte über diese Richtlinie in Umlauf gebracht haben, neue Nahrung. Wenn diese Richtlinie in Kraft tritt, so wird behauptet, hat das Elend der europäischen Verbraucher und Arbeitnehmer kein Ende. Dennoch wissen Rat und Kommission, dass diese Richtlinie – die nichts mit der neuen Verfassung zu tun hat – von größter Bedeutung für das Wachstum, die Beschäftigung und die Verbraucher in Europa ist. Natürlich will niemand, dass sie zu Sozialdumping führt. Aber anstatt sich für die Richtlinie einzusetzen, die sie selbst bestellt haben, tragen die Politiker dazu bei, eine Menge falscher Vorstellungen anzuheizen, was das Misstrauen verstärkt. Wie sollen die Bürger an Europa glauben, wenn noch nicht einmal wir, die tagtäglich mit Europa arbeiten, das tun?
(Beifall)
Kirkhope (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Bei dem Gipfel im März sollte es um einen Neubeginn für die Lissabon-Agenda gehen, nur leider fürchte ich, dass er als so etwas wie ein fauler Kompromiss in die Geschichte eingehen wird. Ein offener Angriff auf die liberale Wirtschaftsordnung durch den französischen Präsidenten und andere war kein erhebender Anblick. Mit der Bemerkung zitiert zu werden, die Liberalisierung der europäischen Wirtschaftsräume sei der neue Kommunismus unseres Zeitalters, ist, wenn sie denn stimmt, ein ziemlich starkes Stück. Jeder Versuch, unsere Dienstleistungsrichtlinie zu untergraben, ist leider ein klares Zeichen, dass die Antireformkräfte in Europa weiterhin aktiv sind.
Präsident Barroso sagte kürzlich, dass einige Leute glaubten, die Europäische Kommission sei dazu da, die alten „15“ vor den neuen „10“ zu schützen. Das ist sie nicht. Er hat vollkommen Recht: Die Dienstleistungsrichtlinie ist ein wesentlicher Baustein einer erfolgreichen, dynamischen Wirtschaft. Diejenigen, die die Weiterentwicklung des Binnenmarktes untergraben wollen, erweisen den Millionen Arbeitslosen in ihren Ländern keinen guten Dienst. Im Gegenteil: Wie sich in den neuen Mitgliedstaaten doch deutlich gezeigt hat, sind es die liberalisierungsfreundlichen Volkswirtschaften, die bei der Schaffung von Arbeitsplätzen Erfolg haben.
Das so genannte europäische Sozialmodell hat in manchen Ländern so sehr an Bedeutung gewonnen, dass es fast unmöglich scheint, echte Reformen durchzuführen. Ich fürchte, dass dieses Modell, so groß seine Vorteile in früheren Zeiten auch gewesen sein mögen, mittlerweile zu einer Art Achillesferse für unsere Wirtschaft geworden ist. Es hat die hohe Arbeitslosigkeit fortschreiten lassen – 19 Millionen nach dem letzten Stand. Es hat eine unternehmensfeindliche Kultur begünstigt, und an jedem Tag, den wir ohne Reformen verstreichen lassen, steigt die Wettbewerbsfähigkeit Chinas, der Vereinigten Staaten und Indiens, und zwar zu unserem Nachteil.
Wie ich Herrn Barroso gegenüber erwähnt habe, glaube ich, dass er es mit seinem Einsatz für die erforderlichen Reformen sehr ernst meint, doch er wurde von anderen übel im Stich gelassen, von Regierungschefs, auch unserem britischen Premierminister, deren Kurzsichtigkeit es für Herrn Barroso nun viel schwieriger gemacht hat, Fortschritte zu erzielen.
Es gibt einige gute Schlussfolgerungen des Rates, wie etwa die zum Kyoto-Protokoll und zur nachhaltigen Entwicklung, doch fürchte ich, dass die ungeschickte Taktik einiger Regierungschefs, die unsere Wirtschaftsreform blockieren wollen und mit einem immer unglaubwürdigeren Stabilitäts- und Wachstumspakt ihre Spielchen treiben, uns allen eine rechtzeitige Mahnung ist, dass unsere Interessen kurzfristigen politischen Interessen zum Opfer fallen könnten, wenn wir nicht wachsam sind.
Sacconi (PSE).- (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Unsere Debatten wiederholen sich oft, deshalb möchte ich mit einer Meldung beginnen, die ich gestern gelesen habe und die mich sehr betroffen gemacht hat. Vor einigen Tagen fand in Huang-Kan-Tun im Süden Chinas ein Aufstand der Bevölkerung statt, der leider aufgrund seiner brutalen Niederschlagung durch die Polizei auch zwei Todesopfer gefordert hat. Bei dieser Revolte hatten sich alle Bewohner besagten Ortes gegen einen erst jüngst errichteten Chemiebetrieb aufgelehnt, der innerhalb kürzester Zeit gravierende Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzungen verursacht hatte.
Was will ich mit dieser Nachricht sagen? Ich will damit ausdrücken, dass im Zuge der industriellen Entwicklung nun auch innerhalb dieser neuen Wirtschaftsmächte neue umweltpolitische, ökologische, gesundheitsbezogene und soziale Forderungen aufkommen. Das zeigt uns klar und deutlich, worin unsere Aufgabe bei der zukünftigen internationalen Arbeitsteilung besteht: Wir müssen Technologien entwickeln und verkaufen, die diesen Ländern ein Wachstum ermöglichen, ohne dass sie die Fehler, die wir früher z. B. in Bezug auf die Umweltverschmutzung und den Sozialabbau gemacht haben, wiederholen. Unter diesen Gesichtspunkten erscheint mir das Ergebnis des Gipfels positiv, denn er hat die Lissabon-Strategie auf der Grundlage der wechselseitigen Abhängigkeit ihrer drei Säulen wirklich wiederbelebt, der weltweiten Rolle der Europäischen Union als führende Kraft der nachhaltigen Entwicklung neue Impulse verliehen und ein Kyoto-2-Protokoll in Aussicht genommen, das gerade in dieser Hinsicht sehr ehrgeizig und wichtig ist.
Besonders förderlich finde ich die politische Reform der Lissabonner Strategie bzw. ihrer Handhabung nach dem Grundsatz, dass jeder seiner Rolle voll gerecht werden muss: Mitgliedstaaten, Gemeinschaft, örtliche Gemeinschaften, Europäische Union usw. Auch das Europäische Parlament muss seinen Part übernehmen, was klar und deutlich ausgesprochen wurde. Das wird uns am besten gelingen, Herr Präsident, wenn, wie Sie es sich wünschen, die Zusammenarbeit fortgeführt wird, die sich in letzter Zeit zwischen den Organen im Hinblick auf die uns obliegende Aufgabe – fortgeschrittene Rechtsvorschriften – auszuarbeiten abgezeichnet hat. Ich meine, einer der Hauptbereiche, in denen wir uns dieser Herausforderung stellen müssen, wird die REACH-Richtlinie sein. Ich bin mir sicher, dass es in den kommenden Monaten zu der erhofften Zusammenarbeit kommen wird, um dieses Ergebnis zu erreichen.
Sterckx (ALDE).–(NL) Als Vorsitzender der Delegation dieses Parlaments für die Beziehungen zur Volksrepublik China möchte ich dem Ratsvorsitzenden etwas zur Aufhebung des Waffenembargos sagen. Ich stelle fest, dass der Rat, obwohl eine große Mehrheit dieses Parlaments dagegen ist, bei seiner Absicht bleibt, die Aufhebung durchzusetzen. Ich habe sogar Verständnis dafür, wenn die Chinesen eine politische Geste verlangen und erklären, in einer strategischen Partnerschaft wie der unsrigen seien solche Embargos unangebracht. Wenn wir jedoch zu einer politischen Geste bereit sind, müssen wir dafür auch eine politische Gegenleistung fordern, die vorerst noch nicht erbracht wird. Im Gegenteil, das letzten Monat in China verabschiedete Anti-Separationsgesetz stellt das falsche Signal dar. Ende dieses Monats wird eine Delegation des chinesischen Volkskongresses in unserem Parlament die damit verfolgte Absicht genau erläutern, und ich werde ihrer Erklärung aufmerksam zuhören. Auch im Zusammenhang mit individuellen Menschenrechten sollten wir ein Entgegenkommen verlangen, denn in letzter Zeit gab es in China zu wenig Beweise für Verbesserungen auf diesem Gebiet. Deshalb mein Appell an Sie, Herr Ratspräsident, wenn der Rat zu einer politischen Geste bereit ist, dann sollten Sie von der chinesischen Regierung auch Gegenleistungen verlangen. Hoffentlich wird der Rat diese im Parlament mit großer Mehrheit unterstützte Linie im Rat ebenfalls verfolgen.
Saryusz-Wolski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Das Ergebnis des Frühjahrsgipfels macht den bedauerlichen Rückschritt deutlich, den die Europäische Union vollzogen hat. Nun wird es noch schwieriger werden, berechtigte wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Die Zielmarke scheint in weitere Ferne zu rücken. Die Lockerung der Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts ist äußerst besorgniserregend. Es ist ein sehr kurzsichtiger Ansatz, eine Art manueller Kontrolle einzuführen und die Regeln des Pakts nur auf bestimmte Länder anzuwenden, nicht aber auf andere, die bedenkenlos gegen seine Bestimmungen verstoßen. Welche Signalwirkung hat dies für die Mitgliedstaaten, die schmerzhafte Reformen durchgeführt haben, damit sie die Haushaltsdisziplin sicherstellen und die Konvergenzkriterien einhalten können? Was ist das für ein Beispiel, das wir den neuen Mitgliedstaaten damit geben?
Es ist bedauerlich, dass die Lissabon-Strategie nach wie vor nur auf dem Papier existiert. Die Mitgliedstaaten und die Union als Ganzes müssen ihren Worten Taten folgen lassen und diese wohlklingenden Erklärungen mit konkreten und konsequenten Maßnahmen unterstützen. Niemand wird den Schlussfolgerungen des Ratsvorsitzes widersprechen, dass die Vollendung des Binnenmarkts für den freien Dienstleistungsverkehr die Ziele der Gemeinschaft im Hinblick auf das Wirtschaftswachstum, die Beschäftigung und die Wettbewerbsfähigkeit unterstützen wird. Die Dienstleistungsrichtlinie gehört zu den wichtigsten Elementen der Lissabon-Strategie. Konsequente Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarkts sind die beste Unterstützung für die Strategie von Lissabon. Alle diese Ziele können schneller und wirksamer erreicht werden, wenn die Dienstleistungsrichtlinie, über die zur Zeit diskutiert wird, in ihrer ursprünglichen Form verwirklicht und nicht verwässert, aufgeweicht und auf die lange Bank geschoben wird. Wir müssen die freie und uneingeschränkte Erbringung von Dienstleistungen im gesamten Hoheitsgebiet der Union sicherstellen. Bei der Gestaltung dieser Richtlinie müssen wir dafür sorgen, dass der gesunde Menschenverstand an erster Stelle steht und auf alle unnötigen Einschränkungen verzichtet wird.
Die Union braucht starke wirtschaftliche Impulse, damit sie ihre Ziele für die Wirtschaft erreichen kann. Ein solcher Impuls war der Beitritt von zehn neuen Mitgliedstaaten bei der Erweiterung im Mai vergangenen Jahres. Wir sind nun aufgerufen, noch weiter zu gehen. Wir müssen für die Interessen zukünftiger Generationen eintreten und dürfen uns nicht nur von den gegenwärtigen politischen Erfordernissen, von Wahlen und Volksabstimmungen leiten lassen. Die Bürger der Mitgliedstaaten erwarten von uns, dass wir unsere Pflicht erfüllen. Mit schönen Worten allein können wir die bestehende Realität, die durch die fehlende Bereitschaft zur Veränderung, zur Öffnung der Märkte, aber auch durch die Aufweichung der makroökonomischen Disziplin gekennzeichnet ist, nicht verändern oder zum Verschwinden bringen. Wir müssen den Mut finden, uns den Herausforderungen der Zukunft zu stellen!
Van den Burg (PSE).–(NL) Am Schluss der Aussprache das Wort zu ergreifen hat den Vorteil, auf eine Reihe von Punkten, die zur Sprache gebracht worden sind, näher eingehen zu können, und das möchte ich nun durch den Hinweis auf drei falsche Auffassungen tun, von denen die Debatte beherrscht wurde. Die erste betrifft die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Hierbei ging es nicht lediglich um einen Kuhhandel zwischen jenen Mitgliedstaaten, die sich mit der Erfüllung der Normen des Pakts schwer taten; diskutiert wurde auch über Wirtschaftspolitik und über das, was der Pakt im Rahmen der makroökonomischen Politik in wirtschaftlicher Hinsicht erbringen sollte. In der Berichterstattung der Medien ist dies vielleicht nicht so richtig vermittelt worden, der luxemburgische Vorsitz hat dem aber sehr wohl Beachtung geschenkt. Hoffentlich ist die Kommission in der Lage, unter diesem mehr makroökonomischen Gesichtspunkt die Reform des Pakts als Instrument zur Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Politik der EU zu nutzen.
Ein zweiter Punkt betrifft die integrierte Behandlung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik und der beschäftigungspolitischen Leitlinien sowie die mikroökonomische Politik, wie sie gestern von der Kommission vorgestellt wurde. Selbstredend fügt sich all dies in den Rahmen der Lissabon-Strategie, und meine Fraktion spricht sich dafür aus, diese Prozess zu straffen und uns für einen integrierten Ansatz zu entscheiden. Allerdings gilt es, die Schaffung einer Art Hierarchie der Verfahren zu vermeiden und zu verhindern, dass sich eine bestimmte Ratsformation, ein bestimmtes Kommissionsmitglied oder ein bestimmter Ausschuss bzw. eine bestimmte integrierte Struktur im Parlament in den Vordergrund stellt. Wir wollen keinen Superkommissar, keinen Superrat und auch keinen Sonderausschuss, die sich mit nichts anderem beschäftigen.
Der dritte Punkt bezieht sich auf die Dienstleistungsrichtlinie. In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals betonen, dass es bei dem Widerstand dagegen nicht um die Verhinderung des freien Verkehrs von Dienstleistungen und von Arbeitskräften, sondern um die Bedingungen geht, unter denen dieser Verkehr stattfinden muss. Die Kommission hat ihre Hausaufgaben nicht gut gemacht, und wir sollten uns dessen bewusst sein, dass die Arbeitskräftemigration mit dem freien Dienstleistungsverkehr untrennbar verbunden ist und dass in dieser Hinsicht weitaus mehr getan werden muss als es bislang der Fall war, auch unabhängig von dieser Dienstleistungsrichtlinie.
Radwan (PPE-DE).– Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, Herr Ratspräsident! Es ist vollbracht! Wir hatten den Gipfel, der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde – wie manche sagen – reformiert, bzw. – wie andere sagen – abgeschafft, die Dienstleistungsrichtlinie wurde unter Beschuss genommen. Der Prosperität und dem Aufschwung Europas steht wohl nichts mehr im Wege. Jetzt werden wir es schaffen! Das könnte eine Botschaft sein.
Ich bin Ihnen dankbar, Herr Kommissionspräsident, dass Sie zu Beginn Ihrer Rede gesagt haben, man habe die Diskussion um den Stabilitätspakt angefangen, weil der Konsens über die Einhaltung der bisherigen Regeln aufgekündigt wurde. Damit sei man gezwungen worden, etwas Neues zu machen. Dann stellte sich die Frage, wie man dort hinkommt. Es wurde zwischendurch auch von Lügnern gesprochen. Ich fühle mich auf jeden Fall bei der Beurteilung des Stabilitäts- und Wachstumspakts im Reigen der Europäischen Zentralbank und der Deutschen Bundesbank nicht unwohl. Wenn man sich dann auch noch vor Augen führt, dass manche Staaten in Bezug auf die Weiterentwicklung damit gedroht haben, bisher geltendes Recht nicht länger anzuwenden, dann frage ich mich: Ist das die neue Geschichte? Werden wir in Europa künftig so entsprechende Entscheidungen herbeiführen?
Zur Lissabon-Strategie möchte ich sagen: Ich hoffe auf eine starke Kommission. Ich bin mir bewusst, Herr Kommissionspräsident, dass Sie es schwerer haben als Jacques Delors, eine Vision zu verwirklichen, denn Jacques Delors hatte andere Regierungschefs an seiner Seite. Damals gab es Mitterrand und Kohl, die den europäischen Fortschritt aktiv unterstützt haben. Wichtig ist, dass die Kommission sich auf das konzentriert, was Europa leisten kann, und nicht allzu viel Papier produziert. Für den Rat ist es wichtig, dass die Mitgliedstaaten sich zu dem verpflichten, was sie selbst regelmäßig vereinbaren und ihre Hausaufgaben machen, damit wir auch ans Ziel kommen.
Zur Dienstleistungsrichtlinie möchte ich nur eines sagen: Wir werden heute Mittag voraussichtlich über Rumänien und Bulgarien abstimmen. Denjenigen, die beim Rat gegen diese Richtlinie Sturm gelaufen sind, möchte ich nur mitgeben: Bei den 10 Staaten haben wir Probleme hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit, weil diese nicht in die Beitrittsverträge aufgenommen wurde. Diesen Fehler sollten wir jetzt nicht wiederholen und andere stellvertretend dafür prügeln, sondern die Dienstleistungsfreiheit sollte in dem Konzept Bulgarien und Rumänien entsprechend dem Willen derer, die dafür sind, korrigiert werden. Sonst stehen wir vor dem gleichen Problem.
Bersani (PSE).- (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Beschlüsse des Frühjahrsgipfels halte ich für gut, doch wissen wir, dass das endgültige Urteil durch die Fakten gesprochen wird. Das, was wir beschließen, birgt große Chancen, aber auch Risiken in sich. Insgesamt übertragen wir dem politischen Beschlussfassungsorgan neue Verantwortung, und wir müssen dafür Sorge tragen, dass diese Verantwortung in Richtung Integration und nicht in Richtung Auflösung gelenkt wird.
Die integrierten Richtlinien und die nationalen Reformprogramme dürfen nicht nur allgemeine Aussagen, sondern müssen wirklich übereinstimmende und messbare Entscheidungen enthalten. Die Flexibilität des Paktes muss zunehmend deutlicher und sie muss ausgehend von unverrückbaren gemeinsamen Kriterien ausschließlich auf Wachstumsziele ausgerichtet sein. In diesem Zusammenhang hat sich der heikle Fall Italien aufgetan, und ich möchte darauf hinweisen, dass wir von der Regierung, von der Kommission, vom Rat und von Eurostat verlangen, dass jeder seine Aufgabe seriös, transparent und ehrlich wahrnimmt, denn die italienischen Bürger haben ein Recht darauf, Klarheit zu bekommen und die Wahrheit über die öffentliche Finanzlage, d. h. über ihre Zukunft, zu erfahren.
Mit den Beschlüssen des Frühjahrsgipfels kommen wir in eine völlig neue Lage: würden wir nicht mehr Europa bekommen, dann bekommen wir weniger. Deshalb sind diese Weichenstellungen sehr wichtig, denn sie können die Integration und somit die Koordinierung der makroökonomischen Maßnahmen gewährleisten, die Verbesserung der statistischen Grundlagen, die Einbeziehung der nationalen Parlamente, die wirkliche Integration der nationalen und europäischen Programmplanungsinstrumente, die Wirksamkeit des EU-Haushalts, Infrastruktur- und Forschungsinvestitionen, die europäische Dimension usw. In all diesen Fragen werden wir uns bewähren müssen. Momentan jedoch möchte ich dem luxemburgischen Vorsitz meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen.
Toubon (PPE-DE).–(FR) Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst ein Bravo für Herrn Juncker, den amtierenden Ratspräsidenten, für Herrn Barroso, den Kommissionspräsidenten, und seine Kollegen, ohne die Staats- und Regierungschefs zu vergessen. Dank Ihres Anteils war diese Ratstagung vom 22. und 23. März meiner Meinung nach ausschlaggebend, um Europa voranzubringen, war sie ihrem Inhalt und der Form nach wahrscheinlich eine der besten, die ich je erlebt habe.
Denn diese Ratstagung hat Lösungen für eine Reihe von Fragen gebracht, die sich schon lange stellten. Erstens eine intelligente Reform des Stabilitätspaktes, wobei ich meine, dass auch in der Politik, auch in der europäischen Politik Intelligenz gebraucht wird. Weiterhin Verbesserungen und neue Orientierungen, damit die im Annahmeprozess befindlichen Rechtsvorschriften ausgewogen gestaltet werden, wobei ich an die Dienstleistungsrichtlinie sowie an REACH denke. Weiterhin ist die Umwelt zu nennen zu einem Zeitpunkt, da Kyoto umgesetzt wird. Schließlich ging es um unsere Beziehungen zu China sowie um die europäischen Forschungsaufwendungen. In diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere die getroffene historische Entscheidung über die Inangriffnahme des ITER anführen.
In dieser Hinsicht hoffe ich, dass die Europäische Union nicht zu lange auf den guten Willen Japans warten muss; dass mit Japan verhandelt wird, vorausgesetzt, Herr Präsident, dass das Vorhaben am 14. Juli in Angriff genommen wird, denn es ist von großer Wichtigkeit für Europa, für die Zukunft der Energieversorgung und für die Jugend, d. h. für diejenigen, die in dreißig oder fünfzig Jahren hier leben werden.
Daher, Herr Präsident, unterstütze ich voll und ganz die gemeinsame Entschließung, die die positive Haltung des Parlaments zu dieser äußerst wichtigen und äußerst positiven Ratstagung zum Ausdruck bringt.
Myller (PSE). – (FI) Herr Präsident, die gute Nachricht vom Frühjahrsgipfel lautete, dass ein Beschluss über eine langfristige Strategie zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen gefasst wurde. Ebenfalls beschlossen wurde, die Aufstellung verbindlicher mittel- und langfristiger Ziele anzustreben. Es ist absolut unerlässlich, jetzt Schritte zu unternehmen, um ehrgeizige Vorschläge für die Zeit nach 2012 auszuarbeiten.
Bedauerlicherweise hat die jüngste Geschichte gezeigt, dass es der Europäischen Union bislang deutlich leichter gefallen ist, ehrgeizige Ziele aufzustellen und zu verabschieden, als sie umzusetzen. Wenn wir einen erfolgreichen Neustart für die Lissabon-Strategie anstreben, dann sollten wir uns in der Europäischen Union um eine neue Führungsstärke in allen Politikbereichen bemühen. Wir müssen die Interessen der Gemeinschaft im Auge behalten, gefasste Beschlüsse müssen eingehalten werden, und es muss so gehandelt werden, dass alle Mitgliedstaaten von der europäischen Zusammenarbeit profitieren.
Oomen-Ruijten (PPE-DE).–(NL) Herr Ratspräsident! Herr Präsident der Europäischen Kommission! Sie haben heute beide einen Großteil Ihrer Erklärungen dem Lissabon-Prozess gewidmet. Der Ratsvorsitzende hat ihn in groben Zügen umrissen und dabei den Nachdruck auf Ausgewogenheit und Wirtschaftswachstum gelegt, die nicht ohne ökologische und soziale Verantwortung verwirklicht werden können. Diese dreidimensionale Einheit haben Sie, Herr Ratsvorsitzender, durch den integrierten Ansatz, der auch in den Schlussfolgerungen des Rates zum Ausdruck kommt, verdeutlicht. Ebenso möchte ich meine Anerkennung dafür aussprechen, dass Sie den KMU besondere Aufmerksamkeit schenkten. Noch nie habe ich Schlussfolgerungen des Rates gesehen, in denen das Wort KMU, Innovation und Umwelt so häufig erwähnt wurden. In dem dem Europäischen Parlament heute zur Abstimmung vorliegenden Entschließungsantrag fordern wir eine neue Dynamik im Lissabon-Prozess, eine neue Dynamik mit einem zielgerichteten Ansatz, bei dem neue Führungsstärke gezeigt wird.
Ich möchte mich nun an Sie, Herr Kommissionspräsident, wenden. Diese Führungskraft und diese Dynamik sind nur realisierbar, wenn Sie mit den Mitgliedstaaten, den Regionen und den Sozialpartnern eng zusammenarbeiten. Bei Ihren Darlegungen heute Vormittag hatte ich das Gefühl, dass dieses „mano in mano“, wie es der Ratsvorsitzende nannte, keineswegs so selbstverständlich ist. Möglicherweise täusche ich mich, doch habe ich den Eindruck, dass den Mitgliedstaaten viel Bürokratie auferlegt, dass weniger Augenmerk auf die sozialpolitische Agenda gerichtet und ihr nicht der nötige Nachdruck verliehen wird. Außerdem bin ich der Meinung, dass dieses „mano in mano“ mit dem Parlament im Bereich der integrierten beschäftigungspolitischen Leitlinien, für den ich mir in Zukunft ein gewisses Maß an Konsultation erhoffe, zu wünschen übrig lässt.
Hatzidakis (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Der luxemburgische Vorsitz ist meiner Ansicht nach ein guter Ratsvorsitz. Er kann zu seinen Errungenschaften bereits den kreativen Kompromiss zum Stabilitätspakt rechnen, der den Mitgliedstaaten in der Euro-Zone die Möglichkeit gibt, auf der Grundlage der durch die Haushaltsdisziplin auferlegten Regeln mit dem notwendigen Maß an Flexibilität in ihrer Entwicklung voranzugehen.
Gleichzeitig ist es dem luxemburgischen Ratsvorsitz gelungen, auf dem Europäischen Rat in Brüssel die Lissabon-Strategie zu spezifizieren; es ist jedoch in der Tat zu bedauern, dass es nicht möglich war, bei dieser Gelegenheit die Mitgliedstaaten zu benennen, die nicht in der Lage sind, diese Strategie voranzutreiben.
Ein anderes wichtiges Thema, mit dem wir uns im Rahmen der Lissabon-Strategie auseinander setzen müssen, ist die Dienstleistungsrichtlinie, die, so hoffe ich, in rationaler Weise überprüft werden wird und die vor allem darauf ausgerichtet sein wird, Missverständnisse zu beseitigen, sodass sich der Nebel, der uns daran hindert, das Wesen der Sache zu erkennen, lichtet. Mitunter entsteht nämlich der Eindruck, dass wir in der Europäischen Union über ein vollkommen anderes Thema diskutieren.
Abschließend möchte ich dem luxemburgischen Ratsvorsitz für die Zukunft viel Erfolg bei der Bewältigung eines bedeutenden Themas wünschen, mit dem wir uns bereits befassen. Damit meine ich die Finanzielle Vorausschau und insbesondere den Haushalt für die Regionalpolitik und die Kohäsionspolitiken der Union. Hierbei handelt es sich um ein außerordentlich wichtiges und zugleich schwieriges Thema. Ich persönlich meine, dass uns allen auferlegt ist, bis Juni zu einer Einigung zu gelangen, da die regionalpolitischen Programme andernfalls einer auf europäischer Ebene herrschenden Uneinigkeit zum Opfer fallen werden.
Sudre (PPE-DE).–(FR) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, meine Damen und Herren! Die jüngste Ratstagung hat der europäischen Wirtschaft eine neue Ausrichtung im Sinne des Pragmatismus, der Flexibilität und der Innovationsförderung gegeben.
Was den Stabilitäts- und Wachstumspakt betrifft, so bin ich erfreut darüber, dass sich Realismus und Flexibilität gegenüber Dogmatismus und blinder Anwendung der Regeln durchgesetzt haben, die in einer Zeit mit einem deutlich höheren Wirtschaftswachstums als das, was heute vorherrscht, festgelegt wurden. Regeln sind selbstverständlich notwendig, denn davon hängt die Stabilität unserer Währung ab, doch die Reform des Paktes ist insofern positiv, als dass sie es ermöglicht, den wesentlichen Grundsatz der Achtung der Rechtsstaatlichkeit mit dem für die Verwaltung der öffentlichen Gelder der Mitgliedstaaten erforderlichen Mindestmaß an Flexibilität zu vereinbaren. Ich möchte Präsident Barroso und Präsident Juncker für ihren Scharfsinn und ihre Überzeugungskraft bei diesem heiklen Thema danken.
Dieser Pragmatismus herrschte auch in der Frage des Entwurfs der Richtlinie zur Liberalisierung des europäischen Dienstleistungsmarktes vor. Indem der Rat anerkannte, dass die gegenwärtige Fassung der Richtlinie den Anforderungen nicht voll gerecht wird, und dazu aufforderte, alle Anstrengungen zu unternehmen, um den Binnenmarkt für Dienstleistungen unter Bewahrung des europäischen Sozialmodells voll funktionsfähig zu machen, hat er nicht – wie in den Medien allzu oft behauptet – Frankreich einen Gefallen getan, sondern vielmehr anerkannt, dass das Herkunftslandsprinzip offensichtliche Risiken des Sozial- und Steuerdumpings mit sich bringt, und auf die Weisheit des Europäischen Parlaments vertraut, eine akzeptable Lösung zu finden. Genau diese Art von Haltung erwarten die Bürger von Brüssel.
Die Zukunft unserer Wirtschaft ist bedroht, wenn wir keine verstärkten und massiven Investitionsanstrengungen im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung, der Forschung und Entwicklung unternehmen. In diesen beiden Aspekten haben wir einen beträchtlichen Rückstand gegenüber unseren amerikanischen und asiatischen Partnern. Die Fünfundzwanzig haben ihren Willen bekräftigt, die Union zu einem attraktiveren Raum für Investitionen und Beschäftigung zu machen, um Wissen und Innovation zu fördern und damit das Wachstum zu unterstützen. Dies alles sind ehrgeizige, notwendige und realisierbare Ziele, sofern unsere Staaten den politischen Willen dazu aufbringen und die notwendigen Mittel bereitstellen.
Posselt (PPE-DE).– Herr Präsident! Die Erweiterungsstrategie des Rates ist verfehlt. Das mitteleuropäische Land Kroatien, das die Kriterien besser erfüllt als mancher Mitgliedstaat, wird diskriminiert. Rumänien, ein eindeutig europäisches Land, das aber die Kriterien bei weitem nicht erfüllt, wird sozusagen durchgepeitscht. Die Ukraine, ein zwar europäisches Land, das aber noch jahrzehntelang nicht beitrittsreif sein wird und für das auch wir in den nächsten Jahren nicht aufnahmereif sein werden, wird auf den Sankt Nimmerleinstag vertröstet – es wird keine konkrete Strategie entwickelt. Und mit einem eindeutig nicht europäischen Land wie der Türkei sollen bereits in diesem Jahr Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden.
Ich möchte wirklich an den Rat appellieren, diese Strategie gründlich zu überdenken und erstens dafür zu sorgen, dass unverzüglich, spätestens aber am 21. Mai, grünes Licht für Beitrittsverhandlungen mit Kroatien gegeben wird und dass die dankenswerterweise durch Ihren Einsatz, Herr Ratspräsident, eingesetzte Arbeitsgruppe unverzüglich zu einem Resultat kommt. Zweitens möchte ich appellieren, Rumänien und Bulgarien zwar fristgerecht beitreten zu lassen, aber uns die Chance zu geben, bis zum Herbst zu warten, bis die entsprechenden Fortschrittsberichte vorliegen. Drittens möchte ich an Sie appellieren, nach der Aufnahme von Rumänien, Bulgarien und Kroatien der EU eine lange Atempause für ihre innere Konsolidierung zu gönnen, die sie dringend notwendig hat.
Des Weiteren möchte ich an Sie appellieren, auf jeden Fall zu verhindern, dass die die EU überfordernden und überdehnenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Herbst nicht aufgenommen werden, sondern dass hier eine Strategie der guten Nachbarschaft entwickelt wird, und dass auch für die Ukraine ein Konzept entwickelt wird. Ansonsten wird auch das, was aus der Orangenen Revolution hervorgegangen ist, scheitern, was ernste Auswirkungen auf Europa hätte.
(Beifall)
Juncker,amtierender Ratspräsident. (FR) Herr Präsident, zum Schluss dieser größtenteils recht ungeordneten Debatte möchte ich einige Klarstellungen zu bestimmten Punkten vornehmen.
Ich freue mich darüber, dass es hinsichtlich der Entscheidungen des Europäischen Rates zur Lissabon-Strategie nur ganz wenige Meinungsverschiedenheiten gegeben hat. Dies erscheint mir völlig normal, kohärent und konsequent, da – und das sollten einige aufmerksam lesen – die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lissabon-Strategie so gut wie vollständig in die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates eingeflossen ist. Dass heute bestimmte Elemente davon kritisiert werden, zeugt von einem ausgeprägten Sinn für Selbstkritik. Dies ist meine Feststellung!
Im Übrigen halte ich es für wesentlich, dass wir der Entscheidung des Europäischen Rates zur Lissabon-Strategie zumindest eines zugute halten, nämlich dass sie den Mitgliedstaaten eine hohe Verantwortung auferlegt hat. Als wir im Januar über dieses Thema diskutiert haben, waren wir uns ziemlich einig, dass es den nationalen Regierungen zukomme, die Lissabon-Strategie nicht nur für jedes einzelne Land zum Erfolg werden zu lassen, sondern für ganz Europa.
Künftig müssen die nationalen Regierungen Rechenschaft über die nationalen Reformprogramme vor ihren Parlamenten ablegen, der Rat ist dem Europäischen Parlament gegenüber verantwortlich, und die Kommission wird ihre übliche Rolle spielen, d. h. eine vermittelnde und anregende Rolle, die darin besteht, alle Mitgliedstaaten in dem gleichen Bestreben zur Realisierung der Ziele der Lissabonner Strategie zu mobilisieren, mit der gewährleistet werden soll, dass das europäische Sozialmodell auch künftig für eine möglichst große Anzahl von Europäern zugänglich bleibt.
Von einigen mehr ökumenischen als katholischen Fraktionen höre ich deutlich von einander abweichende Meinungen zu den Grundlinien des politischen Wirkens auf europäischer Ebene. Herr Radwan, es ist leichter, einen Kompromiss zum Stabilitäts- und Wachstumspakt zu erreichen als Einigkeit in der Fraktion zu erzielen, zu der Sie gehören. Das habe ich gestern ebenso festgestellt wie heute.
Zum Stabilitätspakt möchte ich gerne sagen, dass es mich sehr wundert, dass man alle Zwischenetappen der Reform des Stabilitätspakts mit der gleichen rhetorischen Schärfe und einschlägigen Kommentaren begleitet. Als einige Regierungen den Vorschlag gemacht haben, ganze Ausgabenblöcke aus dem Stabilitätspakt herauszurechnen, klang die Kritik genauso, wie sie jetzt klingt, nachdem dies nicht passiert ist! Irgendetwas kann da nicht stimmen. Der präventive Teil des Pakts wurde wesentlich gestärkt. Wieso musste er wesentlich gestärkt werden? Weil der alte Pakt – ich hatte mit dessen Zustandekommen wesentlich zu tun – diesen Aspekt einfach sträflichst vernachlässigt hatte. Einige Regierungen haben es in so genannten guten Zeiten auch unterlassen, die richtige Politik in Richtung Defizit- und Schuldenabbau zu verfolgen. Das kann sich nach einigen ins Haus stehenden Wahlen ja nur zum Besseren wenden, was ich allerdings erheblich bezweifle.
Den korrektiven Teil des Pakts haben wir eigentlich nur unwesentlich gegenüber dem, was Vertrag und Pakt zu der Frage ausdrücken, verändert. Wenn man natürlich die Vorstellung hat, der Stabilitätspakt bestünde darin, dass 3,0% auch wirklich 3,0% bedeuten, dass gegen Länder, die ein Defizit von über 3,0% aufweisen, ein Verfahren eingeleitet wird und dass diese Länder, wenn sie im nächsten Jahr nicht wieder unter die 3,0%-Grenze gelangen, mit Sanktionen belegt werden, dann entspricht die Reform des Stabilitätspakts nicht den Erwartungen. Das hätte erhebliche Vertragsänderungen bedingt und zur Folge gehabt, dass wir uns in wesentlichen Teilen nicht mehr an dem alten Stabilitätspakt hätten orientieren können.
Im Vertrag steht nicht, dass jedes Defizit über 3,0% ein übermäßiges Defizit ist. Wer dies sagt, interpretiert den Vertrag in einer unzulässigen Weise. Es steht einfach nicht im Vertrag, und ich akzeptiere nicht, dass man so tut als ob, und dass diejenigen, die wieder zu einer korrekten Auslegung des Vertrags zurückfinden, jetzt wie Stabilitätssünder behandelt werden. Wieso kann man sich anmaßen, die alleinige Interpretationshoheit über den Vertrag und den Pakt für sich in Anspruch zu nehmen? Ich lese – und das amüsiert mich teilweise sogar –, dass der Rat, die 25 Finanzminister, die 25 Staats- und Regierungschefs vor Deutschland und Frankreich in die Knie gegangen wären. Dies ist strikt lächerlich und im Übrigen beleidigend für die 23 anderen.
(Beifall)
Die Vorstellung, dass es nur eines scharfen Zurufs aus Berlin oder eines deutlichen Hinweises aus Paris bedürfe, damit 23 andere Regierungen kuschen, ist eine völlig uneuropäische Auffassung und widerspricht der immer wieder auftretenden Notwendigkeit, sich in Europa zusammenzuraufen und zu Kompromisslösungen zu kommen. Ich möchte mich nicht fragen müssen, wie groß die Kritik hier im Hause wäre, wenn wir bei Lissabon gescheitert wären, wenn wir es nicht geschafft hätten, die Gleichgewichte so hinzubekommen, wie sie vom Europäischen Parlament angemahnt wurden, oder wenn wir bei der Stabilitätspaktreform total gescheitert wären! Es gibt einige, die der Auffassung sind, der alte Pakt wäre so gut gewesen, dass er nicht hätte geändert werden müssen. Diese Auffassung wird aber von keiner Regierung der 25 Mitgliedstaaten geteilt. Die Vorstellung, dass die 25 Staats- und Regierungschefs und die 25 Finanzminister sich jetzt in Richtung Defizit und Schuldenspirale auf den Weg gemacht haben, ist eine absolut abenteuerliche Vorstellung, der ich sehr energisch widersprechen möchte!
(Beifall)
(FR) Im Übrigen, Herr Präsident, ist viel von der Glaubwürdigkeit Europas gesprochen worden. Meiner Meinung nach ist diese zuweilen ernsthaft gefährdet, und ich habe die Ausführungen von Herrn Watson nicht ganz verstanden, denn mir ist nicht klar, ob er sich an mich oder an eine Gruppe von Mitgliedstaaten gewendet hat. Ich will nicht glauben, dass Sie mir vorwerfen, es sei mir nicht gelungen, die Abgeordneten der EVP-Fraktion zu der gleichen Haltung in allen Fragen zu veranlassen, denn ich vertrete hier nicht die EVP, sondern ich vertrete den Europäischen Rat.
Denjenigen, die von einer mangelnde Glaubwürdigkeit Europas gesprochen haben, möchte ich Folgendes sagen: Ich danke allen Abgeordneten, die seit heute Morgen 9.00 Uhr an dieser Aussprache teilnehmen. Die Besucher, die heute ins Europäische Parlament gekommen sind, waren überrascht zu sehen, dass die Reihen nicht mehr gefüllt sind, wenn Europa über wesentliche Themen debattiert.
(Beifall)
Der Präsident. Danke schön, Herr Ratspräsident! Ich hoffe bzw. erwarte, dass die Kritik angekommen ist.
Barroso,Kommissionspräsident. (FR) Herr Präsident, einige kurze Worte zum Abschluss. Was die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts angeht, so müssen wir wirklich anerkennen, wenn wir eine ehrliche Debatte führen wollen, dass die Probleme nicht von dieser Reform herrühren, sondern bereits seit einiger Zeit bestehen. Seit November 2003 gab es keinen Konsens zum Stabilitäts- und Wachstumspakt mehr. Was wir nun vorgenommen haben, was die Mitgliedstaaten mit aktiver Unterstützung der Präsidentschaft und der Europäischen Kommission vorgenommen haben, ist eine glaubwürdige Reform des Paktes.
Ich kann Ihnen jegliche Garantie geben – und damit wende ich mich vor allem an jene, die im Übrigen ganz legitime Besorgnisse zum Ausdruck gebracht haben –, dass die Kommission beabsichtigt, diese Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts objektiv und unterschiedslos auf alle Mitgliedstaaten anzuwenden. Ich kann ebenfalls versichern, dass die Rolle der Kommission durch diese Reform ganz und gar nicht geschwächt wurde, denn die Palette der Situationen, in denen die Kommission künftig aufgefordert ist, ihre Stellungnahme abzugeben oder die Initiative zum Handeln zu ergreifen, ist beträchtlich erweitert worden. Wir haben somit jetzt einen Pakt, der weitaus glaubwürdiger in seiner Anwendung sein wird als vor der Reform.
Was Lissabon betrifft, so besteht ebenfalls eindeutig – wie ich bereits heute Morgen in der Diskussion festgestellt habe – ein umfassender Konsens über ein System, dessen Governance gestärkt wurde und das eine bessere Abgrenzung zwischen dem, wofür die Union zuständig ist, und dem, was in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt, gewährleistet. Die Mitgliedstaaten haben diese verstärkte Governance akzeptiert, was – wie ich nochmals betonen möchte – auch die Glaubwürdigkeit der Ziele von Lissabon erhöht.
Doch lassen Sie mich auch auf einen wichtigen Punkt der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates eingehen, den ich zum Auftakt dieser Aussprache nicht angesprochen habe: die Entwicklungspolitik im Kontext der Millenniums-Entwicklungsziele. Auf seiner jüngsten Tagung hat der Europäische Rat die Kommission aufgefordert, ihre Arbeit an der Fertigstellung der Positionen der Union für die im kommenden September in den Vereinten Nationen anstehenden wichtigen Termine zu beschleunigen.
Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Kommission gestern hier in Straßburg ein bedeutendes Paket von Vorschlägen verabschiedet hat, das Kommissar Michel und ich selbst gestern angekündigt haben. Es beinhaltet neue Zwischenziele, eine stärkere Betonung der Qualität der Hilfe und eine größere Kohärenz zwischen den Politiken. In diesem entwicklungspolitischen Paket wird dem subsaharischen Afrika ebenfalls größere Bedeutung eingeräumt. Meine Damen und Herren Abgeordneten, die Kommission misst diesen Vorschlägen eine hohe Priorität bei. Wir arbeiten gegenwärtig aktiv mit den Mitgliedstaaten, um diese Zusammenkunft zu den Millenniumszielen zum Erfolg werden zu lassen, und wir zählen dabei stark auf Ihre Unterstützung.
Wenn ich dieses Beispiel herausgegriffen habe, Herr Präsident, dann auch, um einen Punkt zu illustrieren, der mir wichtig scheint. Wir arbeiten wirklich an operativen Entscheidungen. Im Europäischen Rat sind die Ziele und die neuen Instrumente der erneuerten Lissabonner Strategie festgelegt worden, und wir haben vor kurzem die integrierten Leitlinien einschließlich der makroökonomischen Politik, der mikroökonomischen Politik und der Beschäftigungspolitik bestätigt, die wir übrigens hier im Parlament vorgestellt haben. Der Europäische Rat hat eine Aufforderung im Hinblick auf die Entwicklungspolitik geäußert, und wir werden konkrete Vorschläge unterbreiten.
Mir ist wohl bewusst, dass in den schwierigen Zeiten, die wir jetzt in Europa erleben, die Aufmerksamkeit sehr oft stärker auf die umstrittenen Aspekte konzentriert wird, auf die Themen, die entweder nicht die Zustimmung der Mitgliedstaaten finden oder zu denen keine Einmütigkeit zwischen ihnen herrscht. Doch möchte ich hervorheben, dass wir trotz dieser Meinungsunterschiede und zuweilen trotz der Divergenzen in der Lage sind, wie dies auf dem Frühjahrsgipfel der Fall war, zu einem Konsens in sehr bedeutenden Fragen zu gelangen.
Daher möchte ich unterstreichen, was der Ratspräsident vorhin gesagt hat. Wie wäre Ihre Reaktion ausgefallen, wenn wir nicht mit Ergebnissen aufgetreten wären, die trotz allem einen Konsens widerspiegeln, und welches Signal hätten wir dann der Öffentlichkeit übermittelt? Daher stellt sich doch gegenwärtig, auch wenn ich die von vielen von Ihnen zum Ausdruck gebrachten Beunruhigungen und die Besorgnisse teile, die Frage, ob wir die Aspekte in den Vordergrund stellen, zu denen kein vollständiger Kompromiss erzielt wurde, oder nicht vielmehr das, was wir gemeinsam in der Lage sind zu tun.
Denn darin besteht die Kompromisskultur in Europa, die ich besonders hervorheben möchte. Wir werden in einer Union mit 25 Mitgliedern nicht vorankommen, wenn wir unseren Bürgern nicht klarmachen, dass man in Europa seine Vorstellungen nicht zu 100 % verwirklichen kann. Kein Mitgliedstaat wird bei allen Positionen, die er vertritt, zu 100 % auf seine Kosten kommen. Unser Europa wird immer komplexer! Daher ist es an uns, die wir eine führende, eine politische Stellung im Rat, in der Kommission oder im Europäischen Parlament einnehmen, unseren Mitbürgern zu erklären, dass Kompromisse notwendig sind, dass Europa im Kompromiss besteht. Europa bedeutet, gemeinsam für Ziele zu arbeiten, die weit wichtiger sind als kurzfristige Fragen oder nationale Sensibilitäten.
Darin besteht Verantwortung, und Verantwortung ist die wichtigste Voraussetzung für eine effektive Führung, die Europa zum gegenwärtigen Zeitpunkt braucht.
(Beifall)
Der Präsident. Danke schön, meine Herren Präsidenten des Rates und der Kommission! Zum Abschluss der Aussprache wurden sechs Entschließungsanträge gemäß Artikel 103 der Geschäftsordnung eingereicht.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet um 12.00 Uhr statt.
(Die Sitzung wird für einige Augenblicke unterbrochen.)
SCHRIFTLICHE EKLÄRUNG (ARTIKEL 142)
Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. –(PT) Der Europäische Rat vom 22. und 23. März war leider durch ein Thema gekennzeichnet, das in der Tagesordnung nicht enthalten war, sondern dem Rat aufgezwungen wurde.
Jüngste Umfragen, die einen möglichen Sieg der „Nein“-Sager beim Referendum in Frankreich am 29. Mai über die so genannte „Europäische Verfassung“ ausweisen, haben die Alarmglocken läuten lassen.
Die Rechten und die Sozialdemokraten haben sich zusammengetan und sich an die Arbeit gemacht, wobei sie einer nahezu offenen Einmischung in die in Frankreich stattfindende Kampagne Vorschub leisten.
Das Parlament wendet 8 Millionen Euro für die „Ja“-Kampagne auf, und dies ist nicht hinnehmbar.
Staats- und Regierungschefs und alle, die meinen, sie könnten das Ergebnis des Referendums beeinflussen, stehen Schlange bei dem Versuch, die Franzosen von den „Vorzügen“ – so hypothetisch und nichtexistent sie sind – der so genannten „Europäischen Verfassung“ zu überzeugen.
Die großen Arbeitgeber und die Gewerkschaftsführer, die von den Sozialdemokraten und den Rechten beherrscht werden – angeführt vom Europäischen Gewerkschaftsbund – geben sich alle Mühe, dieses Projekt zu unterstützen, das die Souveränität der Menschen beeinträchtigt und neoliberalen Kapitalismus und Militarismus fördert.
Kommission und Parlament zögern Entscheidungen hinaus und versuchen so, zu verhindern, dass mehr und bessere Argumente für ein „Nein“ geliefert werden.
Allem Widerspruch zum Trotz wird ein „Nein“ in Frankreich die beste Antwort sein.