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Ausführliche Sitzungsberichte
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Mittwoch, 8. Juni 2005 - Straßburg Ausgabe im ABl.
1. Eröffnung der Sitzung
 2. Schriftliche Erklärungen (Artikel 116): siehe Protokoll
 3. Vorbereitung des Europäischen Rates einschließlich Zukunft der Europäischen Union nach den Referenden über die Verfassung (Brüssel, 16./17. Juni 2005)
 4. Begrüßung
 5. Zusammensetzung der Fraktionen: siehe Protokoll
 6. Abstimmungsstunde
 7. Misstrauensantrag gegen die Kommission
 8. Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union 2007-2013
 9. Überwachung der Verbringung von Barmitteln
 10. Verbrauchsteuerpflichtige Waren
 11. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
 12. Schutz von Minderheiten und Antidiskriminierungsmaßnahmen in einem erweiterten Europa
 13. Stimmerklärungen
 14. Berichtigungen des Stimmverhaltens: siehe Protokoll
 15. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
 16. Reform der UNO
 17. Transatlantische Beziehungen
 18. Lage in Usbekistan
 19. Vereinbarung Kommission-Mitgliedstaaten / Philip Morris: Mittel für die Betrugsbekämpfung
 20. Fragestunde (Anfragen an den Rat)
 21. Haushalt / Wirtschaft
 22. Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas
 23. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
 24. Gemeinschaftspatent
 25. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll
 26. Schluss der Sitzung


  

VORSITZ: JOSEP BORRELL FONTELLES
Präsident

 
1. Eröffnung der Sitzung
  

(Die Sitzung wird um 9.05 Uhr eröffnet.)

 
  
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  Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Herr Präsident, gestern haben Sie sich darüber gewundert, dass sich zur Aussprache nur so wenige Abgeordnete im Plenarsaal eingefunden hatten. Heute Morgen hatten wir dasselbe Problem und Sie mussten warten, bis die Mitglieder kamen. Die hohe Abwesenheitsquote überrascht nicht, denn es finden ja gar keine echten Debatten statt. Alles, was wir in diesem Hohen Haus tun, ist, uns vorbereitete ein oder zwei Minuten lange Redebeiträge anzuhören. Einen echten Dialog gibt es dabei nicht, diese Beiträge sind reine Monologe. Ich bin der Meinung, dass das Verfahren geändert werden muss, wenn wir einen Dialog führen wollen, wenn wir Aussprachen haben wollen, die diesen Namen verdienen, und wenn wir eine hohe Anwesenheitsquote im Plenum erreichen wollen.

 
  
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  Der Präsident. Herr Matsakis, das war keine Frage zur Geschäftsordnung, sondern eher eine Erklärung.

 

2. Schriftliche Erklärungen (Artikel 116): siehe Protokoll

3. Vorbereitung des Europäischen Rates einschließlich Zukunft der Europäischen Union nach den Referenden über die Verfassung (Brüssel, 16./17. Juni 2005)
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über die Erklärungen des Rates und der Kommission – Vorbereitung des Europäischen Rates einschließlich Zukunft der Europäischen Union nach den Referenden über die Europäische Verfassung (Brüssel, 16./17. Juni 2005).

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Herr Präsident, sehr verehrte Abgeordnete! Der Europäische Rat wird auf seiner Tagung am 16. Juni über zwei entscheidende Fragen für die künftige Entwicklung der Europäischen Union zu beraten haben: den Prozess zur Ratifizierung des Verfassungsvertrags und die Erzielung einer politischen Einigung über die Finanzielle Vorausschau.

Nach intensiven Auseinandersetzungen haben zuerst die französischen und dann die niederländischen Bürger den Entwurf eines Vertrags zur Einsetzung einer Verfassung für Europa, der am 29. Oktober 2004 in Rom unterzeichnet worden war, abgelehnt. Die Gründe für diese ablehnenden Voten sind vielfältig, ja widersprüchlich. Viele von uns haben nach diesen Abstimmungen ihre Enttäuschung und ihr Bedauern geäußert. Aber es hat eine demokratische Debatte stattgefunden, und wir müssen die demokratische Entscheidung einer unbestreitbaren Mehrheit französischer und niederländischer Wähler natürlich respektieren.

Ich muss hier an das massive Votum erinnern, das das Europäische Parlament am 12. Januar 2005 zugunsten des Entwurfs für eine europäische Verfassung abgegeben hat. Dies war Ausdruck einer großen Hoffnung, der Überzeugung, dass die Europäische Union nach der Erweiterung um zehn neue Mitglieder ihre demokratischen Grundlagen stärken, ihre Arbeitsweise effizienter und transparenter gestalten, ihre Zukunft in den gemeinsamen Werten, die uns teuer sind, verankern und somit endlich das volle Vertrauen der Bürger gewinnen könne.

Zehn Länder haben den Verfassungsentwurf ratifiziert, davon eines - Spanien – im Wege eines Referendums. Wir müssen auch hier ihre demokratische Entscheidung respektieren. Jedoch haben die Abstimmungsergebnisse in den beiden Gründungsländern Niederlande und Frankreich eine neue Situation geschaffen, der wir uns stellen müssen. Mit diesen Abstimmungen wurden Ängste formuliert, Hoffnungen und Erwartungen, aber auch Enttäuschungen zum Ausdruck gebracht.

Leider erweist sich die europäische Vereinigung nicht mehr als jenes mobilisierende Projekt, das es jahrzehntelang ermöglicht hat, unseren Kontinent in Frieden und Wohlstand aufzubauen und ihn dann mittels der Erweiterung auszusöhnen. Sollte die Hoffnung die Seiten gewechselt haben? Weckt Europa nur noch Ängste und Unverständnis? Wird es zum Kulminationspunkt des ganzen sozialen Unbehagens, das viele Mitbürger zu Recht angesichts der Schwierigkeiten, angesichts der andauernden, der bereits zu lange andauernden Arbeitslosigkeit empfinden? Ich glaube nicht.

Die Botschaft, die von vielen französischen Bürgern und von vielen niederländischen Bürgern ausgesandt wurde, ist doppelter Natur. Gewiss herrscht Unzufriedenheit über Europa, wie es ist und wie es funktioniert, aber zugleich empfinden sehr viele der Bürger, die Nein gesagt haben, zugleich noch immer eine starke Verbundenheit mit der europäischen Idee und ihrer Notwendigkeit, aber eine Verbundenheit mit einem Europa, das in einer im vollen Umbruch befindlichen Welt anders handelt. Der Europäische Rat muss ein offenes Ohr für diese Botschaften haben, die nach einer demokratischen Debatte ausgesandt wurden, die ganz sicher zu lange auf sich warten ließ. Alle diejenigen, die ihre ablehnende Entscheidung mit einem hypothetischen Plan B gerechtfertigt haben, müssen sich heute darüber im Klaren sein, dass der Ausweg aus einer Situation, die äußerst kompliziert geworden ist, nicht leicht ist. Wir müssen heute feststellen, dass die Erklärung Nr. 30 immerhin die Situation vorgesehen hat, dass es am Ende des Ratifizierungszeitraums mehreren Länder nicht gelungen ist, dieses Verfahren abzuschließen. Wir müssen auch der Tatsache Rechnung tragen, dass zehn Länder ihr Ratifizierungsverfahren erfolgreich abgeschlossen haben, während mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten sich noch nicht geäußert hat. Es ist nicht so einfach, diesen Völkern oder diesen Parlamenten eine demokratische Debatte und die Möglichkeit, ihre Meinung ebenfalls zum Ausdruck zu bringen, vorzuenthalten.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass der Verfassungsentwurf das Ergebnis eines globalen Kompromisses ist, dass er in sich kohärent ist und man die einzelnen Elemente schwerlich voneinander loslösen kann. Der Europäische Rat muss also eine gemeinsame und gründliche Analyse der Situation vornehmen, bevor er klar festlegt, wie der Prozess weitergehen soll. Eines scheint sicher zu sein: Die Europäische Union darf nicht in eine Art permanenter Ungewissheit, in Unbeweglichkeit oder schlimmer noch in Lähmung abgleiten. Unsere Institutionen funktionieren, sie funktionieren weiter. Wir verfügen über uneingeschränkte Entscheidungsfähigkeit, selbst wenn selbstverständlich die Bestimmungen des Vertrags von Nizza angesichts der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen, denen sich die Union und unsere Mitgliedstaaten noch dringender stellen müssen, unzureichend sind. Die Bürger erwarten konkretes Handeln, eine bessere Berücksichtigung ihrer Anliegen, sei es auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene oder hinsichtlich ihrer Sicherheit. Die Welt fragt sich, wie es mit der Union weitergeht, die lange Zeit zahlreiche Völker auf allen Kontinenten fasziniert hat. Die Überlegungen des Europäischen Rates müssen also breiter werden. Sie können sich nicht auf Verfahrensfragen beschränken, wenn die Erwartungen vor allem politischer Art sind. Die politische Union muss unser Ziel bleiben, und die Errichtung einer echten europäischen Demokratie ist nach wie vor der einzige Weg, um dorthin zu gelangen.

(Beifall)

In diesem Zusammenhang erlangen die Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau eine ganz besondere Dimension. Ein Misserfolg, die Unfähigkeit, zu einem guten Kompromiss zu gelangen, wäre für unsere eigenen Bürger und vor allem für die Außenwelt, das Zeichen einer gefährlichen Blockade. Diese Finanzielle Vorausschau spiegelt vielleicht nicht alle Ambitionen der einen und der anderen wider, aber sie gestattet der Union immerhin, im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit, der Beschäftigung, des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, eines besseren Umweltschutzes, der inneren Sicherheit und einer aktiveren internationalen Rolle zu handeln. Andererseits würde die Tatsache, dass diese Vorausschau trotz unserer Meinungsverschiedenheiten angenommen wird, einen politischen Impuls bedeuten, den die Union heute dringender denn je braucht.

Nach Ihrer gestrigen inhaltsreichen Debatte kann von dem Votum, das Ihr Parlament nachher zu der Entschließung abgeben wird, ein höchst wichtiges Signal ausgehen, ein Signal der Ermutigung. Seien Sie sicher, dass die Präsidentschaft alles in ihren Kräften Stehende tun wird, um einen für alle akzeptablen Kompromiss zu erleichtern. Herr Präsident, neben diesen entscheidenden Fragen wird sich der Europäische Rat mit weiteren Themen befassen, die für die Bürger nicht weniger wichtig sind.

Es geht jetzt darum, der Neubelebung der Strategie von Lissabon im Interesse von Wachstum und Beschäftigung konkrete Gestalt zu verleihen. Zu diesem Zweck muss der Europäische Rat gemäß dem im März beschlossenen neuen Ansatz die integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung im Zeitraum 2005-2008 verabschieden. So kann auf der Grundlage der Arbeit aller betroffenen Ratsformationen die Umsetzung der makroökonomischen, mikroökonomischen und beschäftigungspolitischen Maßnahmen auf der Grundlage von 24 integrierten Leitlinien erfolgen. Bis zum Herbst werden die Mitgliedstaaten diese Leitlinien in kohärente nationale Programme für Wachstum und Beschäftigung umgesetzt haben. Dabei darf es sich nicht um eine Formalität handeln, sondern um eine Unternehmung, in die alle betroffenen Akteure und besonders die parlamentarischen Gremien sowie die Sozialpartner eingebunden werden.

Im Sinne der im März gefassten Beschlüsse möchte ich auch erwähnen, dass der Europäische Rat aufgefordert wird, eine Erklärung über die Leitprinzipien der nachhaltigen Entwicklung anzunehmen. Sie soll es ermöglichen, möglichst bis Ende 2005 eine erneuerte Strategie für nachhaltige Entwicklung zu verabschieden.

Der Europäische Rat muss sich gleichzeitig einigen wichtigen Fragen der Schaffung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts widmen. In diesem Bereich müssen wir zeigen, dass die Union in der Lage ist, die Erwartungen der Bürger effizient zu erfüllen. Die europäischen Bürger erwarten zu Recht von der Europäischen Union, dass sie einen effizienteren gemeinsamen Ansatz hinsichtlich der grenzüberschreitenden Probleme, wie illegale Einwanderung, Menschenhandel, Bekämpfung des organisierten Verbrechens und des Terrorismus, über die Sie gestern diskutiert haben und denen wir große Bedeutung beimessen, verfolgt.

Wir haben im November vergangenen Jahres das Haager Programm verabschiedet, das genau die Prioritäten für die nächsten fünf Jahre für die Errichtung eines echten Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts festlegt. Auf dieser Linie wird dem Europäischen Rat auf seiner nächsten Tagung ein Aktionsplan vorgelegt werden, der die Ziele des Haager Programms in konkrete Maßnahmen umsetzt. Hierzu unterstreicht die Präsidentschaft, dass es in erster Linie darauf ankommt, dass die Mitgliedstaaten die darin enthaltenen verschiedenen Maßnahmen effizient und fristgemäß umsetzen. Der Europäische Rat wird vor allem Bilanz über die unternommenen Anstrengungen bei der Bekämpfung des Terrorismus ziehen. Sie haben mit Nachdruck auf die Dringlichkeit dieser Frage und die Notwendigkeit eines globalen Ansatzes, der Sicherheit und Freiheit miteinander verbindet, hingewiesen. Der Europäische Rat sollte vor allem einige vorrangige Aktionsbereiche für die nächsten Monate herausarbeiten: beispielsweise die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, die laufenden Arbeiten zur Prävention der Rekrutierung von Terroristen, die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus oder die Stärkung der Katastrophenschutzkapazitäten, vor allem zur Bekämpfung jeglicher bioterroristischer Bedrohung.

Lassen Sie mich abschließend noch einige wichtige Fragen im Bereich der Außenbeziehungen ansprechen. Es handelt sich in erster Linie um die Reform der Vereinten Nationen, die Gegenstand des UN-Gipfels im September sein wird. Wir erachten es für wesentlich, dass dieser Gipfel zu einem ausgewogenen und ambitionierten Ergebnis gelangt, das es ermöglicht, die UNO zu reformieren, um den im Bericht des UN-Generalsekretärs genannten multidimensionalen Bedrohungen und Herausforderungen wirksamer begegnen zu können. Ich glaube, darüber werden wir vor allem heute Nachmittag sprechen.

Zu den anderen internationalen Fragen gehört die Diskussion über die Vorbereitung der gemeinsam von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten organisierten internationalen Irak-Konferenz, die am 22. Juni in Brüssel stattfinden soll. Das Ziel besteht darin, einen neuen Rahmen für die Koordinierung der Anstrengungen zur Unterstützung des Irak ins Leben zu rufen. Diesbezüglich ist die vorrangige und wesentliche Rolle der irakischen Regierung in der Periode des Übergangs und des Wiederaufbaus dieses Landes hervorzuheben.

Wie Sie sehen, muss es bei all diesen Themen in Europa weitergehen. Wir müssen deutlich machen, dass Europa seine volle Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit behält. Die Debatten, die Sie jetzt führen, müssen meiner Meinung nach einen Ansporn in dieser Richtung darstellen.

(Beifall)

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. (PT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Europäische Rat muss sich auf seiner bevorstehenden Tagung am 16. und 17. Juni gezielt mit zwei großen Herausforderungen für die EU auseinandersetzen. Zum einen geht es darum, unseren Mitbürgern zu signalisieren, dass es beim Prozess der Ratifizierung des Verfassungsvertrages eine Annäherung zwischen den Mitgliedstaaten gibt, zum anderen darum, der Union für die nächsten Jahre einen stabilen Finanzrahmen zu geben.

Doch obwohl diese Fragen ohne Zweifel von Bedeutung sind, dürfen andere Tagesordnungspunkte darüber nicht aus unserem Blickfeld geraten, so beispielsweise die integrierten Leitlinien für die Verwirklichung der Lissabonner Strategie und die Strategie für nachhaltige Entwicklung. Eine Frage möchte ich dabei in den Vordergrund rücken: die Entwicklungshilfe vor dem Hintergrund der Millenniumsziele. Unsere internen Probleme dürfen uns nicht von unseren externen Verantwortlichkeiten ablenken, insbesondere gegenüber den Entwicklungsländern.

Im Jahr 2005, das schon jetzt als Jahr der Entwicklung gilt, muss Europa seiner Verantwortung zur Unterstützung der Bedürftigsten nachkommen und im Kampf gegen Armut und Hunger in der Welt an vorderster Front stehen. In Anbetracht des bevorstehenden G8-Gipfels, bei dem Afrika zu Recht ein Schwerpunktthema sein wird, und der für September anberaumten wichtigen Konferenz der Vereinten Nationen ist es von höchster Wichtigkeit, dass der Rat die Übereinkunft bestätigt, die die Minister der Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission erzielt haben, und sich nachdrücklich zu den Entwicklungszielen bekennt, um die Entwicklung zu unterstützen.

Dies und nichts anderes wird von einem Europa erwartet, das auch weiterhin Solidarität zeigen und sich der Welt öffnen muss, anstatt den Blick nur nach innen zu wenden. Ich wollte sichergehen, dies gleich am Anfang einer Diskussion zu sagen, bei der die europäische Frage natürlich im Mittelpunkt stehen wird; doch auch in dieser schwierigen Zeit dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass andere unsere Hilfe brauchen. Jeden Tag verhungern und verdursten etwa 25 000 Menschen. Europa darf das nicht länger stillschweigend hinnehmen. Entscheidend ist jetzt, dass unsere Zivilisation sagt, es reicht und es ist an der Zeit, diesem für uns alle unerträglichen Zustand ein Ende zu bereiten.

(Beifall)

(EN) Herr Präsident, ich will heute nicht auf die Einzelheiten der gestrigen Aussprache über die Finanzielle Vorausschau eingehen. Dem Nichtständigen Ausschuss des Parlaments unter Ihrem Vorsitz, Herr Präsident, ist es in bemerkenswerter Weise gelungen, alle Positionen zu berücksichtigen und eine einheitliche Linie zu finden. Ich bin zuversichtlich, dass sich dies auch in der heutigen Abstimmung widerspiegeln wird. Das Parlament wird damit für die kommenden Jahre einen klaren Rahmen für die Union und ihre Finanzierung schaffen.

In der Zeit bis zur Tagung des Europäischen Rates liegen noch mehrere Etappen vor uns, bei denen es uns, wie wir hoffen, gelingen wird, im Rat eine mit dem Parlament übereinstimmende Position zu erreichen und anschließend die interinstitutionelle Vereinbarung zu verabschieden.

Natürlich stellt sich angesichts der aktuellen politischen Ereignisse die Frage, wie wahrscheinlich eine Einigung über die Finanzielle Vorausschau ist. Ich möchte ganz klar sagen, dass ich voll und ganz mit dem Ratsvorsitz darin übereinstimme, dass eine Einigung auf der Tagung des Europäischen Rates nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich ist. Wir werden alles tun, um dieses Ziel zu erreichen.

Wenn wir auf politische Probleme mit Nichtstun und Lethargie reagieren würden, so wäre das die schlechteste Lösung. Wir sollten vielmehr zeigen, dass die Union nach wie vor eine dynamische politische Kraft ist, die stark genug ist, ihre Arbeit auch unter schwierigen Umständen weiterzuführen. Gerade in einer Zeit, in der einige Verwirrung und Orientierungslosigkeit in der Union erwarten, wäre eine Einigung über die Finanzielle Vorausschau ein Signal, das zeigen würde, dass die Union entschlossen ist, die Probleme zu überwinden, und das neuen Schwung in ihre Politik bringen könnte.

Was den Inhalt betrifft, so möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass wir die grundsätzliche Ausrichtung und das Gleichgewicht der ursprünglichen Vorschläge der Kommission nicht antasten dürfen. Doch uns ist klar, dass hier über unterschiedliche Positionen verhandelt wird. Wir wissen, dass das bedeutet, dass Änderungen an den Vorschlägen vorgenommen werden und dass diese Änderungen unvermeidbar sind. Es besteht immer die Gefahr, dass wir uns in dem Wunsch, eine Einigung zu erreichen, dazu verleiten lassen, die Kohärenz der Politiken zu untergraben, um bestimmten Interessen gerecht zu werden. Ich hoffe, dass wir dieser Versuchung widerstehen oder ihr nur so wenig wie möglich nachgeben werden.

In den Vorschlägen der Kommission ist sorgfältig auf ein Gleichgewicht zwischen den bewährten Politiken und den Vorschlägen für die neuen Politiken der Union geachtet worden. Wir würden der Union einen schlechten Dienst erweisen, wenn wir dieses Gleichgewicht stören würden. Der Zweck des Haushalts der Union besteht darin, gemeinsam festgelegte politische Ziele umzusetzen.

Auf der Tagung des Europäischen Rates wird es natürlich detaillierte und manchmal auch schwierige Verhandlungen geben, aber wenn wir uns klarmachen, dass es um die zentralen Aufgaben der Union geht, können wir eine Einigung erreichen, die der Union die effiziente Wahrnehmung ihrer Aufgaben ermöglicht. Ich halte es für wichtig, dass die Kommission und das Parlament im Vorfeld und in der letzten Phase der Verhandlungen in engem Kontakt bleiben, damit wir gemeinsam dazu beitragen können, dass die bestmögliche Lösung für die Union erreicht wird.

Der luxemburgische Ratsvorsitz hat die letzte Runde der Gespräche eingeläutet. Er hat ein neues „Verhandlungspaket“ vorgeschlagen. Nächsten Sonntag werden die Minister zu ihrer letzten Sitzung zusammenkommen und am Vorabend des Gipfeltreffens werden Dreiergespräche zwischen den Institutionen stattfinden. Dem Ratsvorsitz gebührt unsere Anerkennung für seine enormen Anstrengungen und seine Entschlossenheit, mit der er sich für eine Einigung einsetzt. Es ist nicht zu leugnen, dass der nun vorliegende Vorschlag eher dem minimalistischen Ansatz entspricht, der von einigen Mitgliedstaaten bevorzugt wird, als der Position des Parlaments. Wie ich gestern bereits sagte, hoffe ich, dass der Ratsvorsitz die ausgewogene Stellungnahme des Parlaments sorgfältig prüfen und in der letzten Verhandlungsrunde berücksichtigen wird.

Ich hoffe, dass wir eine Einigung erreichen werden, die zeigt, dass Europa an seinen Zielen und am Grundsatz der Solidarität festhält.

(FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Ergebnisse der Referenden in Frankreich und den Niederlanden sind für die Europäische Kommission – und, ich bin sicher, auch für die Mehrheit des Parlaments – eine Quelle der Besorgnis, denn es besteht die Gefahr, dass diese Ergebnisse die Union schwächen, waren doch diese beiden Länder stets wichtige Protagonisten unseres gemeinsamen Projekts.

Während ihrer ganzen Geschichte hat die EU bereits andere schwierige Situationen erlebt, aber dank des Engagements und der Überzeugung ihrer Verantwortlichen konnten diese überwunden und das europäische Projekt stets neu vorangebracht werden. Gestatten Sie mir, Herr Präsident, dem Parlament einige Überlegungen vorzutragen, zu denen mich die Parallelität veranlasst, welche zwischen der derzeitigen Situation und der Situation vor fünfzig Jahren besteht, als das Projekt der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft scheiterte und die führenden europäischen Politiker nicht etwa einen Schlussstrich unter ihre Ambitionen für Europa gezogen, sondern die beste Form gefunden haben, um dieses Problem zu überwinden.

Nunmehr sollte man ehrlich versuchen, zu verstehen, was das negative Votum von zwei so wichtigen Ländern wie Frankreich und den Niederlanden bedeutet. Es ist sehr bedeutsam, dass diese Sorgen durch ein demokratisches Votum nach einer sehr intensiven Debatte zum Ausdruck gebracht wurden. Für einen Demokraten ist dies ein positives Element an sich. Wir müssen alle den Ausdruck des Bürgerwillens respektieren, aber wir müssen auch ehrlich anerkennen, dass diese Debatte häufig mit nationalen Problemen vermischt war und dass vielfach die angeführten Argumente wenig mit der europäischen Verfassung zu tun hatten.

Neben rein nationalen Erwägungen ist es eine Tatsache, dass die Volksbefragungen Gelegenheit boten, Befürchtungen zum Ausdruck zu bringen, die man ernst nehmen muss, besonders die Ängste der Bürger im Zusammenhang mit dem europäischen Sozialmodell, der Entkolonialisierung, der Tatsache, dass Europa zu schnell vorangeht, sich zu weit ausdehnt und manchmal mit der Drohung der Globalisierung in Verbindung gebracht wird. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass diese Debatten um das Referendum in gewissem Maße von anderen Themen vergiftet waren, muss man doch ehrlich anerkennen, dass dieses Votum eine Unzufriedenheit gegenüber der Union und dem europäischen Projekt in diesen beiden Ländern zum Ausdruck bringt. Deshalb haben die Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates und ich im Berlaymont-Gebäude in unserer gemeinsamen Erklärung nach dem französischen Referendum unterstrichen, dass die nationalen und die europäischen politischen Verantwortlichen mehr tun müssen, um die wahre Dimension der Herausforderungen und die Art der Lösungen, die nur Europa erbringen kann, zu verdeutlichen, und dass wir uns die Frage stellen müssen, worin die Rolle jedes Einzelnen von uns besteht, um einen Beitrag zu einem besseren Verständnis dieses Projekts zu leisten, dessen Legitimität davon abhängt, dass es den Bürgern Gehör schenkt.

Der Tenor der Debatten und die Ergebnisse der beiden Referenden machen es also erforderlich, ernsthaft über unsere Fähigkeit nachzudenken – sowohl die der europäischen Institutionen als auch der nationalen Behörden –, die Zustimmung und das Engagement der Europäer zu mobilisieren. Es gilt, die Europäische Union wieder mit den Bürgern und die Bürger mit der Union in Kontakt bringen. Das ist ein dringendes Gebot, und ich werde Gelegenheit haben, darauf in den nächsten Wochen zurückzukommen.

Heute jedoch lautet die dringendste Frage, die es angesichts einer Situation, in der das Ende der europäischen Integration droht, zu beantworten gilt, folgendermaßen: Wie lässt sich ein neuer politischer Konsens erreichen und wie lässt sich dieser schwierige Moment für einen Neubeginn in Europa nutzen? Wir stehen vor einer politischen Schwierigkeit, und die gilt es, politisch zu lösen. Es ist unumgänglich, der Realität ins Auge zu sehen.

Lassen Sie mich zunächst ganz klar unterstreichen, dass die Ratifizierung in erster Linie Sache der Mitgliedstaaten ist. 25 Regierungen haben den Verfassungsvertrag unterschrieben. Sie haben nun zu entscheiden, wann und wie er ratifiziert werden soll und ob sie zu der Verpflichtung stehen, die sie eingegangen sind, oder davon abrücken. Zehn Mitgliedstaaten haben bisher die Verfassung ratifiziert, einer von ihnen, Spanien, im Wege eines sehr klaren Referendums. In zwei anderen Mitgliedstaaten sind die Referenden negativ ausgegangen Jedoch steht die Position einiger anderer Mitgliedstaaten noch aus, und ich glaube, dass alle Mitgliedstaaten der Union das Recht haben, ihre Position gleichberechtigt zum Ausdruck zu bringen.

Worauf es aus meiner Sicht heute allerdings ankommt, ist, dass die Mitgliedstaaten auf die derzeitige Situation gemeinsam reagieren und dass wir einseitige, individuelle und uneinheitliche Handlungen vermeiden. Aus diesem Grunde habe ich sie aufgefordert, die Tagung des Europäischen Rates in der nächsten Woche abzuwarten, bevor sie ihre Position festlegen. Ich stelle fest, dass die Regierungen weitgehend Zurückhaltung geübt haben und dass sie dort, wo eine Stellungnahme aus internen Gründen als unumgänglich angesehen wurde, auf Mäßigung bedacht waren und an der Möglichkeit einer Debatte und einer kollektiven Entscheidung festgehalten haben.

Das Schicksal der Verfassung liegt jetzt in den Händen der Mitgliedstaaten. Es kommt darauf an, dass die Staats- und Regierungschefs die derzeitige Situation analysieren und allen Europäern eine klare Botschaft übermitteln. Nach meiner Überzeugung ist es möglich und wünschenswert, dass diese Botschaft den Willen widerspiegelt, zu einem neuen politischen Konsens in Europa zu gelangen. Bei der Analyse der aktuellen Situation wird deutlich, dass es zwei eventuelle – ich betone, eventuelle – Lösungen gibt, die Extreme verkörpern und die es meiner Meinung nach um jeden Preis zu vermeiden gilt.

Die erste falsche Lösung bestünde darin, zu sagen, dass nichts geschehen sei, dass man weitermachen könne – business as usual – als ob es diese beiden negativen Voten in zwei so bedeutenden Ländern nicht gegeben hätte. Das wäre aus meiner Sicht eine selbstgerechte, unverantwortliche, arrogante Haltung und würde dem Willen nicht gerecht, den die Mehrheit der Bürger in zwei Ländern zum Ausdruck gebracht hat, denen wir zuhören müssen.

Eine andere extreme falsche Lösung bestünde darin, den Entwurf des Verfassungsvertrages sofort aufzugeben. Damit würde man ignorieren, dass zehn Mitgliedstaaten ihn bereits ratifiziert haben und dass das negative Votum in zwei Staaten zwar eine negative Haltung zur Verfassung bedeutet, jedoch nicht die Unterstützung für ein alternatives Projekt darstellt und ebenfalls mit Widersprüchen behaftet ist.

Wenn wir also diese beiden extremen Lösungen vermeiden wollen, müssen wir nach einer anderen Lösung suchen. Nach meinem Dafürhalten sollten wir jetzt damit beginnen, die Voraussetzungen zu schaffen, die eine Lösung ermöglichen, welche in der Herausbildung eines neuen politischen Konsenses besteht, denn – lassen Sie mich das wiederholen – wir müssen eine politische Lösung finden. Es gibt keine administrative, bürokratische und technokratische Lösung. Wir brauchen eine politische Debatte in Europa für eine politische Lösung für die Zukunft unseres Europas.

Ohne das Verfassungsprojekt in Frage zu stellen, müssen wir Europa voranbringen und eine Lähmung vermeiden. Diese Lösung kann nur das Ergebnis einer eingehenden Analyse und einer offenen Debatte sein. Sie muss notwendigerweise in einem Geist des Kompromisses zwischen den 25 Mitgliedstaaten im Europäischen Rat ausgearbeitet werden, wobei die Europäische Kommission voll einbezogen werden muss und das Europäische Parlament, aber auch die nationalen Parlamente und unsere Gesellschaften aufmerksam angehört werden müssen.

Es gibt also, meine Damen und Herren Abgeordnete, wie wir immer gesagt haben, keinen Plan B. Es gibt ihn nicht, und es hat ihn nie gegeben. Aber vielleicht könnte man künftig von einem Plan D reden? D für Demokratie und Dialog. Ein Plan D, um den Leuten zuzuhören; ein Plan, mit dessen Hilfe sich die europäischen und nationalen Institutionen im Zuhören üben, in der Debatte mit den Bürgern und der Zivilgesellschaft, um die Diagnose einer komplizierten Situation zu vertiefen. Er sollte es uns ermöglichen, einen stärker konsensgeprägten Weg zu finden, vor allem weil dieser stärker den Willen all unserer Mitbürger repräsentiert.

Angesichts des von einem Teil unserer Mitbürger zum Ausdruck gebrachten Skeptizismus müssen wir deutlich machen, dass die Europäische Union heute mehr denn je in der Lage ist, auf ihre Anliegen einzugehen und den zahlreichen Herausforderungen des neuen Millenniums zu begegnen. Gewiss stellen die Ergebnisse der beiden Referenden der vergangenen Woche ein ernsthaftes Problem dar, aber es ist nicht das erste Mal, dass sich Europa einem Problem gegenübersieht, und wird sicher nicht das letzte Mal sein. Europa ist notwendiger denn je. Deshalb wird die Kommission auch weiterhin wichtige Beschlüsse fassen, die für alle Bürger Europas echte Vorteile bringen, weil das politische Leben der Union auch nach den Referenden weitergeht. Wir haben strategische Ziele umzusetzen, die im Übrigen durch dieses Europäische Parlament und durch den Europäischen Rat unterstützt wurden. Sie entsprechen den Anliegen der Bürger, denn sie konzentrieren sich auf Wohlstand, Solidarität und Sicherheit.

Alle europäischen Institutionen müssen nunmehr ganz besonders viel Kompromissbereitschaft zeigen und sich in dem Ehrgeiz zusammenschließen, voranzuschreiten und die Ziele zu erreichen, besonders durch Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Unsicherheit. In den nächsten Tagen und Wochen haben wir gemeinsam eine komplizierte Situation zu bewältigen. In diesem Zusammenhang gilt es meiner Meinung nach, zwei gefährliche Fallen zu vermeiden: eine erste, die ich blame game nenne, und eine zweite Falle, die ich die Vertiefung negativer ideologischer Meinungsverschiedenheiten nenne.

Zunächst muss man um jeden Preis vermeiden, sich ein blame game zu liefern, das heißt unnütze und gefährliche Anschuldigungen zu erheben, die vor allem darauf abzielen, die europäischen Institutionen – sei es die Kommission, das Europäische Parlament oder den Rat – zu Sündenböcken für die auf nationaler Ebene oder im Zusammenhang mit den globalen Herausforderungen auftretenden Schwierigkeiten zu machen.

Gewiss sind die europäischen Institutionen nicht perfekt. Wer könnte Anspruch darauf erheben, das zu sein! Eben weil wir erkannt haben, dass es gewisse Probleme gibt, hat meine Kommission bereits bei ihrer Amtsübernahme vor sechs Monaten beschlossen, Initiativen einzuleiten, um eine bessere Kommunikation zu erreichen und die Qualität der Rechtsetzung zu verbessern, indem unnütze Rechtsvorschriften und eine unnütze Bürokratie vermieden werden. So haben wir die Initiative „Bessere Rechtsetzung“ gestartet.

Zugleich haben wir Überlegungen zur Transparenz der Funktionsweise der Institutionen eingeleitet. Wir erkennen an, dass sich das Vertrauens- und Verantwortungsverhältnis zwischen den Bürgern und der Union stets verbessern lässt, vor allem durch eine bessere Achtung des Subsidiaritätsprinzips, von dem alle reden, das jedoch sehr häufig nicht angewandt wird.

Aber aufgepasst, meine Damen und Herren Abgeordnete, die Versuchung, unpopuläre Entscheidungen Brüssel – was man gemeinhin Brüssel nennt – anzulasten, hat bereits in der Vergangenheit immense Schäden angerichtet, und dies setzt sich fort. Wir müssen dieser Versuchung widerstehen. Die Zusammenkünfte der Vertreter der Mitgliedstaaten dürfen nicht als Schlachtfelder beschrieben werden, auf denen es Sieger und Besiegte gibt. Europa entsteht im Kompromiss und durch den Kompromiss, und es ist die vordringliche Aufgabe der Vertreter der Nationalstaaten, dies zu erklären und zugunsten von Europa zu argumentieren, anstatt die nationalen Egoismen in einem für unser Europa negativen Sinne auszunutzen.

(Beifall)

Seien wir doch ehrlich, meine Damen und Herren Abgeordnete: Wenn Brüssel sechs Tage in der Woche, von Montag bis Samstag, attackiert wird, wie können wir dann hoffen, dass die Bürger Europa am Sonntag unterstützen? Das ist doch wohl schwierig, oder?

(Beifall)

Aber da ist noch eine zweite Falle. Diese würde darin bestehen, sich hinter ideologischen Diskrepanzen zu verschanzen, selbst wenn es zugegebenermaßen unterschiedliche Konzepte von Europa gibt. Wenn man die Auseinandersetzung um zwei monotheistische Politikkonzepte schürt, den Marktmonotheismus und den Staatsmonotheismus, erweist man Europa keinen Dienst. Keiner der beiden, weder der Gott Markt noch der Gott Staat, wird die Probleme Europas lösen. Jeder Versuch, Europa einen der beiden, ein europäisches Einheitsdenken aufzuzwingen, ist zum Scheitern verurteilt. Was wir jetzt brauchen, ist eine intelligente Synthese zwischen Markt und Staat, die Europa helfen kann, angesichts der Globalisierung zu gewinnen und nicht zu verlieren. Machen wir uns keine Illusionen: Europa ist per definitionem pluralistisch und es ist gut, wenn es pluralistisch bleibt. Wir haben verschiedene ideologische Positionen, vor allem im politischen Kampf auf nationaler Ebene. Europa auf der Ebene der europäischen Institutionen ein einheitliches Denken, eine einheitliche ideologische Orientierung aufzwingen zu wollen, würde wirklich bedeuten, dass man vergisst, dass Europa im Pluralismus, in der Verschiedenheit gewachsen ist, aber auch, das muss gesagt werden, in der Suche nach dem Kompromiss und dem Konsens. Deshalb halte ich es für lebenswichtig, diese Periode der Krise in eine Periode der Chancen zu verwandeln und diese zu nutzen, um einen neuen politischen Konsens zu schmieden. Die Rolle der Kommission, wie ich sie verstehe, besteht darin, diesen Konsens zu fördern und die Verschärfung der unnützen und gefährlichen Widersprüche zu vermeiden. Ohne diesen neuen politischen Konsens wird es schwieriger sein, zu einem Kompromiss und zu Lösungen zu gelangen.

In diesem Sinne und mit diesem Ziel richte ich einen Appell an alle europäischen Verantwortlichen, vor allem auf nationaler Ebene. Wir müssen alle Verantwortungsbewusstsein an den Tag legen und uns der äußerst schwierigen Situation, mit der wir konfrontiert sind, gewachsen zeigen. Ich fordere daher alle nationalen Behörden auf, sich ernsthaft zu bemühen, um nicht dem nationalen Egoismus zu erliegen, der in Europa so viel Leid angerichtet hat und der ihm auch weiterhin ernsthaft schadet.

(Beifall)

Ich fordere eine Besinnung auf die europäischen Werte, auf die - warum sollte man das nicht aussprechen - europäische Kultur, auf unseren europäischen Geist, damit wir gemeinsam einen neuen politischen Konsens aufbauen können, der dynamisch und konstruktiv zugleich ist, einen Konsens, der hilft zu vermeiden, dass Europa zum ersten Opfer der Globalisierung wird, sondern im Gegenteil dass Europa diese Globalisierungsschlacht gewinnen kann. Ich kann Ihnen versichern, dass die Kommission voll mobilisiert und bereit ist, dazu beizutragen, und dass wir gewillt sind, mit Ihnen allen, mit den verschiedenen politischen Gruppierungen zusammenzuarbeiten, vorausgesetzt Sie verstehen und akzeptieren, dass Europa nicht das Problem ist, sondern die Lösung für die Probleme, denen sich die Bürger heute gegenübersehen.

(Beifall)

 
  
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  Hans-Gert Poettering, im Namen der PPE-DE-Fraktion. Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Europäische Volkspartei sind die Abstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden, eine große Enttäuschung. Aber die größte Gefahr, der wir jetzt begegnen müssen, ist, dass wir in Orientierungslosigkeit verfallen. Deswegen sagen wir: Die Europäische Union kann zwar nicht alle Aufgaben lösen, aber ohne die Europäische Union werden wir keine der großen Herausforderungen bewältigen, und deswegen sagen wir: Das Ziel bleibt richtig!

(Beifall)

Frankreich und die Niederlande – zugegeben, zwei wichtige Länder – können nicht für 25 Länder der Europäischen Union die Verantwortung übernehmen. Zweitens: Die zehn Länder, die den Verfassungsvertrag ratifiziert haben, repräsentieren 220 Millionen Menschen; diese zehn Ratifizierungen dürfen und können nicht unter den Tisch fallen. Drittens: Die 13 Länder, die noch ratifizieren müssen, müssen das Recht haben, ihre Meinung zur Verfassung zu sagen. Deswegen empfehlen wir, dass wir nachdenken. Keiner hat heute die schnelle Lösung. Wir müssen nachdenken. Wir müssen besonnen sein. Wir müssen aber in gleicher Weise Besonnenheit mit Entschlossenheit verbinden, und wahrscheinlich ist es die richtige Lösung – das müssen die Staats- und Regierungschefs entscheiden –, eine Phase der Besinnung, des Nachdenkens einzulegen und die Referenden für einen bestimmten Zeitraum auszusetzen. Darüber muss man nachdenken.

Es gibt eine Fülle von Überlegungen, warum wir in den Niederlanden und in Frankreich das Nein hatten. Zum Teil sind diese Gründe identisch, zum Teil sind sie nicht identisch. Die Unbeliebtheit der Staatsführung, der Regierung ist vielleicht ein Element. Dann das, Herr Präsident, was Sie gesagt haben: Ist nicht manchmal weniger Gesetzgebung in Europa – das betrifft auch uns als Europäisches Parlament – mehr für uns alle? Dann die Frage der Erweiterung: Es ist sehr entscheidend, dass die Menschen den Eindruck haben, dass vieles zu schnell geht. Das müssen wir in Rechnung stellen.

Unsere Fraktion sagt: Erstens müssen wir uns bemühen – und bei den Sachgegenständen wird man sich dann wieder streiten –, dass man sich auf das Wesentliche konzentriert, dass Europa dort stark sein muss, wo nur Europa handeln kann, dass wir aber auch verstärkt das Subsidiaritätsprinzip anwenden müssen. Zweitens dürfen wir diese Europäische Union politisch, kulturell und geographisch nicht überdehnen. Das ist die große Sorge, die in den Referenden zum Ausdruck gekommen ist. Das müssen wir sehr ernst nehmen.

Wir sagen sehr entschieden: Pacta sunt servanda. Aber Pacta sunt servanda gilt nicht nur für die Europäische Union, sondern auch für die Staaten, die der Europäischen Union beitreten wollen. Es gilt auch für Rumänien und Bulgarien! Herr Kommissionspräsident, ich bitte Sie und Ihre Kommission. Wenn Sie den Fortschrittsbericht für Rumänien und Bulgarien schreiben – das Parlament hat für beide Länder Ja gesagt, aber es wird diesen Fortschrittsbericht geben –, bitte schreiben Sie keine Gefälligkeiten in diesen Bericht, sondern beschreiben Sie die Lage so, wie sie wirklich ist, offen und ehrlich. Das erwarten wir jetzt von Ihnen. Dann können wir aus diesem Fortschrittsbericht die Schlussfolgerungen ziehen.

Was die Türkei angeht: Wir erwarten – es muss ja noch einen Ratsbeschluss geben –, dass auch die Türkei die gestellten Bedingungen – die sechs Gesetze, um die es geht – erfüllt. Sie müssen ratifiziert sein. Es gilt dabei auch die Frage der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union. Auch Zypern muss eindeutig anerkannt werden, denn wie will man mit jemandem verhandeln, den man gar nicht anerkennt? Auch darauf muss es eine Antwort geben. Die Verhandlungen werden ergebnisoffen sein. Aber wir bitten, darüber nachzudenken, und ich gestehe, dass es darüber auch bei uns in der Fraktion wie in anderen Fraktionen unterschiedliche Meinungen gibt. Das Ziel kann die Mitgliedschaft sein. Das Ziel kann aber auch eine privilegierte Partnerschaft sein. Auch darüber müssen wir offen und ehrlich sprechen, damit wir keine falschen Erwartungen wecken.

Ich wünsche Ihnen, Herr Präsident des Rates, zusammen mit der Kommission – und ich bin sehr froh darüber, dass Sie beide diese beeindruckenden Reden gehalten haben –, dass Sie bei der Finanziellen Vorausschau Erfolg haben werden. Hier müssen alle einen Schritt tun: diejenigen, die die Briefe geschrieben haben, aber auch Großbritannien, damit wir wieder Handlungsfähigkeit beweisen. Dann werden wir auch insgesamt wieder Vertrauen schaffen können. Dafür wünsche ich dem Präsidenten des Rates, dem Präsidenten der Kommission und natürlich auch unserem Parlamentspräsidenten viel Erfolg. Diese Krise muss eine Chance sein! Der Weg geht weiter, vielleicht nicht ganz so schnell. Wir haben die Botschaft verstanden, aber Europa bleibt unser großes Engagement und unser großes Ziel!

(Beifall)

 
  
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  Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will hier bekennen, dass ich ratlos bin. Ich glaube, damit bin ich nicht alleine. Selten ist mir eine Rede so schwer gefallen wie die, die ich heute morgen hier zu halten habe, weil ich als Sprecher einer über 200 Mitglieder starken Fraktion versuchen muss, die vielfältigen Gefühle, die es in meiner Fraktion unter dem Eindruck der aktuellen Lage immer noch gibt, zusammenzubinden. Das ist nicht einfach, weil die Interpretationen vielfältig sind. Deshalb will zu dem, was schon gesagt worden ist, ein paar Elemente hinzufügen.

Eines will ich unterstreichen: Kein Land lässt sich von einem anderen Land vorschreiben, wie es sein innerstaatliches Recht umsetzt, und das ist auch gut so. Wir sind eine Union von souveränen Staaten. Das eine Land sagt: Wir frieren den Ratifizierungsprozess ein, das andere Land sagt, wir wollen die Ratifizierung parlamentarisch oder über Volksabstimmung durchführen. Das werden wir hier zur Kenntnis zu nehmen haben. Das macht jedes Land, wie es will, und es ist auch das Recht eines jeden Landes, das so zu tun, wie es das für richtig hält. Es gibt keine Golden-Goal-Regel in der Europäischen Union. Einer hat ein Tor geschossen, und jetzt ist das Spiel aus. So kann das nicht laufen. Die 77% der Spanierinnen und Spanier, die zu dieser Verfassung ja gesagt haben, haben den gleichen Wert wie die 55% der Franzosen und Französinnen, die nein gesagt haben. Deshalb geht der Prozess weiter.

(Beifall)

Nur, müssen wir alle – und ich schließe mich persönlich ausdrücklich ein – in der Interpretation der Ergebnisse auch selbstkritische Fragen stellen. Das, was wir in den Referenden gesehen haben, ist nämlich nicht neu. Wir haben nur sehr lange vor diesen Entwicklungen die Augen verschlossen. Jede Europawahl – die von 2004, die von 1999, die von 1994 und schon die von 1989 – hat ähnliche Tendenzen gezeigt: dass es nämlich in zunehmendem Maße eine Abwendung der Bürgerinnen und Bürger in Europa von dem Projekt Europa gab. Das haben wir alle nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Ich sage ausdrücklich an meine eigene Adresse: ich auch nicht!

Jetzt ist es einmal mit voller Wucht sichtbar geworden, dass es zwischen den Regierungen, den Institutionen Europas und den Bürgerinnen und Bürgern eine Kluft gibt. Warum gibt es die Kluft? In den 50er-, 60er- und 70er-Jahren haben die Menschen zu Zeiten von Jean Monnet oder Helmut Kohl, von de Gasperi und Mitterrand die Verträge auch nicht gelesen. Die Bürgerinnen und Bürger Europas haben den Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl nicht gelesen. Aber sie hatten ein Vertrauen zu Europa, ein Grundvertrauen, ein Gefühl. Europa war das Versprechen von Frieden und Demokratie! Und sichtbar wurden Frieden und Demokratie geschaffen. Das heißt: Anspruch und Wirklichkeit stimmten überein. Das führte zum Vertrauen in die Regierungen und in die europäischen Institutionen.

Dieses Versprechen von Demokratie und Frieden wurde ergänzt durch ein Versprechen von Wohlstand, Arbeitsplätzen und sozialer Sicherheit. Der Anspruch – mehr Arbeitsplätze, mehr soziale Sicherheit, mehr Schutz – ist sichtlich nicht mit den Ergebnissen kompatibel, denn es gibt in vielen Ländern weniger Arbeitsplätze und weniger Sicherheit. Diese Kluft spüren die Bürger. Und wir schließen diese Kluft nicht, weil wir die Europäische Union nicht in einem ausreichenden Maße als Chance begreifen und weil wir sie auch nicht als Chance vermitteln. Und das hat einen Grund.

Bei aller Selbstkritik, die ich an uns, an mir, an diesem Haus, an der Kommission übe, gibt es auch ein Faktum, das man nicht übersehen kann und das im Rat vielleicht am 16./17. endlich einmal diskutiert werden muss. Wir alle wissen, dass das, was wir in Brüssel tun, keinen unmittelbaren Beziehungsrahmen zwischen uns und den Bürgerinnen und Bürgern herstellt, sondern einen mittelbaren. Dazwischen sind immer die nationalen Regierungen. Die in Frankreich und in den Niederlanden hat jetzt in voller Wucht der Fluch der bösen Tat erreicht. Man kann nicht jeden Erfolg für sich als nationale Regierung reklamieren und jeden Misserfolg denen da in Brüssel in die Schuhe schieben und erwarten, dass die Menschen anschließend über Brüssel jubilieren. Das geht nicht!

(Beifall)

Ich sage deshalb in aller Klarheit: Wir haben im Europäischen Parlament unsere Aufgaben zu machen. Ich teile die Auffassung, dass wir verstärkt über Subsidiarität, über Entbürokratisierung, über mehr Effektivität und mehr Transparenz reden müssen. Aber die Regierungen der Europäischen Union müssen auch ihre Verantwortung übernehmen, und das heißt: sagen, was man tut, und anschließend tun, was man sagt. So einfach ist das!

Ich will zum Abschluss eines zur Erweiterung sagen: Wer die Erweiterungsperspektive für die Staaten, die auf sie hoffen, aufgibt, der zündelt mit dem Feuer!

(Beifall)

Die Erweiterungsperspektive muss bleiben. Das ist die einhellige Meinung unserer Fraktion. Aber ein Erweiterungsversprechen abzugeben, ohne dass die Grundlage für diese Erweiterung geschaffen ist – die Verfassung sollte diese Grundlage sein –, ist ebenso fahrlässig. Wir können keine Reformen und Transformationsprozesse von Ländern verlangen, wenn wir selbst nicht zu eigenen Reformen in der Lage sind.

(Beifall)

Deshalb muss diese Union etwas tun. Sie muss sich reformieren. Deshalb bleibt die Verfasstheit Europas unser Ziel. Denn nur durch diese Verfasstheit ist der Frieden bringende Gedanke der europäischen Erweiterung durchzusetzen.

(Beifall)

 
  
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  Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Thomas Jefferson sagte 1787: „Eine kleine Rebellion ab und zu ist eine gute Sache ...“. Die Rebellion unserer Bürger, die wir vergangene Woche erlebt haben, könnte neben der düsteren Stimmung und all dem Pessimismus über die Zukunft Europas auch eine positive Wirkung haben. Die Mitgliedstaaten haben nun die Quittung für ihre eigene Unehrlichkeit bekommen. Wenn man sich jeden Erfolg auf die eigenen Fahnen schreibt und Brüssel für jeden Misserfolg verantwortlich macht, werden die Bürger dieses Spiel eines Tages durchschauen. Genau das ist jetzt passiert.

Als der Airbus 380 letzten Sommer auf die Rollbahn fuhr, haben wir alle gejubelt. Aber der Airbus hat Eigenschaften und einen Namen, die potenzielle Passagiere abschrecken. Einige bemängeln, dass zu viele Drittländer an dem Projekt beteiligt sind, andere, dass der Airbus durch die neuen französischen und deutschen Vorgaben für den Antrieb an Attraktivität verloren hat. Es gibt niemanden, der wirklich zufrieden ist mit einem Beförderungsmittel, bei dem strategische Entscheidungen ohne eine angemessene öffentliche Debatte getroffen werden.

Das ist ein Versäumnis, nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch in unseren nationalen Debatten. Wir waren so mit all unseren großartigen Plänen für eine länderübergreifende Zusammenarbeit beschäftigt, dass wir vergessen haben, unseren Bürgern zu erklären, was wir auf europäischer Ebene tun und warum wir es tun und ihre Ängste in Bezug auf Arbeitsplätze, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und einen aktiven Ruhestand in einer sich rasch verändernden Welt ernst zu nehmen. Europa ist zu verschlossen und zu undurchsichtig. Noch immer werden zu viele Entscheidungen hinter verschlossenen Türen und ohne echte parlamentarische Kontrolle getroffen. Grundlegende Vorrechte des Parlaments werden ignoriert und förmliche Stellungnahmen nicht berücksichtigt, wie zum Beispiel bei den Vorschlägen zur Speicherung von Daten oder zur Weitergabe von Passagierdaten, die vom Parlament als ungeeignet betrachtet wurden. Ist es verwunderlich, dass große Vorhaben wie die Verfassung abgelehnt werden, wenn sich die Organe der EU nicht einmal ein Mindestmaß an gegenseitigem Respekt entgegenbringen?

Dem britischen Außenminister wurde vorgeworfen, dass er schon die Beerdingung vorbereitet, obwohl noch gar nicht sicher ist, dass der Patient tot ist. Doch er hat nur ausgesprochen, was viele hinter vorgehaltener Hand sagen, nämlich dass der Vertrag in der derzeitigen Form keine großen Überlebenschancen hat. Es wäre gut gewesen, die Meinung aller Mitgliedstaaten zu diesem Thema zu hören. In Zukunft müssen bei einer solchen Ratifizierung die Volksabstimmungen für alle Bürger in Europa zeitgleich durchgeführt werden. Die Absage bei den aktuellen Volksabstimmungen galt aber nicht dem vorliegenden Text, sondern der Arbeitsweise unserer Union.

Herr Schmit, Herr Barroso, wir geben Ihnen nicht die Schuld an dem Schlamassel, in dem wir uns jetzt befinden, aber wir hoffen darauf, dass Sie uns da wieder herausholen. Natürlich gibt es Grenzen für das, was ein kleiner Mitgliedstaat oder die Kommission tun können. Ein erheblicher Teil der Verantwortung für die wirtschaftlichen und sozialen Krankheiten, von denen die Union heimgesucht wird, liegt bei den größeren Tieren des europäischen Dschungels. Doch nachdem der französisch-deutsche Motor nun definitiv nicht mehr läuft, erwarten wir von Ihnen, dass Sie einen neuen Motor bauen. Europa braucht heute mehr denn je tatkräftige und visionäre Führungspersönlichkeiten, die unsere Bürger dazu inspirieren, ihr Potenzial und ihre Chancen so gut wie möglich zu nutzen. Und wer käme dafür besser in Frage als Sie?

Sie können, mit oder ohne diese Verfassung, die Arbeitsweise und die Kommunikation der Union verbessern. Ich möchte nur drei Beispiele dafür nennen: Der Rat könnte und sollte offener werden, die Öffentlichkeit bei der Gesetzgebung nicht ausschließen und die Informationsfreiheit respektieren; die Politik im Bereich Justiz und Inneres könnte und sollte, wie in den bestehenden Verträgen festgelegt, der üblichen Gemeinschaftsmethode unterliegen; das Europäische Parlament könnte und sollte ein echtes Mitspracherecht bei internationalen Abkommen erhalten. Diese drei Schritte würden dazu beitragen, das Vertrauen in das europäische Projekt wiederherzustellen.

Bei der Tagung des Europäischen Rates brauchen Sie eine Antwort von Chirac und Balkenende auf die Frage, ob diese Verfassung in ihren Ländern jemals zustimmungsfähig sein wird und, wenn dies nicht der Fall ist, wie ein Text aussehen müsste, der von den Bürgern akzeptiert wird. Wir brauchen einen Vertrag für eine Union mit 27 Mitgliedstaaten, aber in der Zwischenzeit gibt es vieles, was Sie aufbauend auf der Grundlage der bestehenden Verträge tun können, und viele Möglichkeiten, das Vertrauen der Öffentlichkeit in das europäische Projekt wiederherzustellen.

(Beifall)

 
  
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  Daniel Marc Cohn-Bendit, im Namen der Verts/ALE-Fraktion.(FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Offensichtlich haben heute alle Lust, einige Wahrheiten auszusprechen, und das ist gut so.

Die erste Wahrheit: Wenn heute die liberale Fraktion entdeckt, dass man die Ratifizierung hätte am gleichen Tage vornehmen müssen, so möchte ich daran erinnern, dass, als wir ein europäisches Referendum in ganz Europa vorgeschlagen haben, selbst dieses Parlament uns nicht gefolgt ist.

(Beifall)

Und heute möchte jeder, man hätte ein europäisches Referendum am gleichen Tage durchgeführt, weil, auch wenn dies vielleicht wirklich in einer Niederlage geendet wäre, wir nicht dieses lächerliche Problem hätten, uns zu fragen, ob man die Ratifizierung fortsetzen soll oder nicht: Alle hätten sich am gleichen Tage geäußert. Das wollte ich sagen, und wir können uns nur an die eigene Nase fassen: Warum hat dieses Parlament nicht das europäische Referendum gefordert, wie wir es vorgeschlagen hatten?

Die zweite Wahrheit: Ich glaube, und das muss man offen aussprechen, dass, was die Finanzielle Vorausschau selbst betrifft, die Regierungen und dieses Parlament noch nicht begriffen haben, worum es geht. Sie haben noch nicht begriffen, dass, wenn wir ein Europa wollen, das handlungsfähig ist für Arbeit, für Sozialschutz, man ihm die Mittel hierfür geben muss. Nun ist aber selbst der Kompromiss, den Herr Schröder vorschlägt, selbst der Kompromiss, den die anderen vorschlagen, kein Kompromiss, der uns die Mittel geben wird. Wir sind dabei, unsere Bürger wieder einmal zu belügen. Sagen wir es doch ganz klar: Entweder wir verfügen über ein Budget, das es Europa gestattet zu funktionieren, oder wir können für Europa nichts versprechen. Sprechen wir doch diese Wahrheit wenigstens einmal aus.

(Beifall)

Die dritte Wahrheit: Lassen Sie uns eine klare Sprache sprechen! Herr Pöttering, was in Frankreich geschehen ist, ist keine Enttäuschung, es ist eine Niederlage, aber die Niederlagen von heute werden unsere Siege von morgen sein, das verspreche ich Ihnen. Deshalb müssen wir, Rat, Kommission, Parlament, in der Lage sein, wirklich einen Konvent mit dem Wirtschafts- und Sozialausschuss, mit dem Ausschuss der Regionen, mit der Zivilgesellschaft auf die Beine zu stellen und zu organisieren, um nachzudenken und um die Wirtschafts- und Sozialpolitiken Europas in Frage zu stellen: Was ist uns gelungen? Was ist uns nicht gelungen? Öffnen wir uns! Herr Ratspräsident, öffnen Sie die Black Box des Rates, führen Sie am 16. und 17. eine öffentliche Debatte, damit die europäischen Bürger wissen, was Sie uns sagen wollen!

(Beifall)

Das europäische Volk hat genug von diesen Pressekonferenzen nach den Ratstagungen, bei denen jedes Land, jeder Regierungsvertreter nur die Hälfte der Wahrheit sagt und darauf bedacht ist, die andere Hälfte, die er hinter verschlossenen Türen ausgesprochen hat, im Dunkeln zu halten,.

Wir, die europäischen Bürger, die Parlamentarier, haben wie alle Bürger das Recht zu wissen, welche Probleme Sie im Rat haben, wie Sie darauf antworten. Nicht nur was Schröder in der Öffentlichkeit zu Blair sagen wird, sondern wie die Ratsmitglieder sich gegenseitig antworten, wenn andere Positionen vertreten werden. Wie sie auf die Position von Herrn Juncker, der weitermachen will, von Herrn Blair, der aufhören will, der Polen, die unschlüssig sind, der Dänen, die ebenfalls unschlüssig sind, reagieren: Wir wollen, dass all das öffentlich gemacht wird. Der Mangel an Transparenz ist einer der Gründe für das Scheitern.

Herr Barroso, diese Krise ist in gewisser Weise eine Chance, die es zu ergreifen gilt, indem man öffentlich die Wahrheit sagt. Beispielsweise zur Globalisierung, zu China, zu alledem, und sagen wir doch ein für alle Mal, dass die WTO wichtig ist, dass die WTO aber nur funktionieren kann, wenn sie sich die Kriterien des Internationalen Arbeitsamtes zu Eigen macht. Das Problem besteht nicht darin, Barrieren gegen China zu errichten, sondern die Demokratisierung in China durchzusetzen, damit die chinesischen Arbeitnehmer um ihre Löhne kämpfen können.

(Beifall)

Wenn China das nicht akzeptiert, nun, dann muss man eben China aus der WTO ausschließen! Die Dinge sind ganz einfach, und für die anderen Länder gilt das Gleiche. Wir haben die Nase voll: Geschäfte, immer wieder Geschäfte, aber wenn es um die Demokratie geht, hören wir nichts als Ausflüchte. So kann das nicht weitergehen. Das wollen die europäischen Bürger wissen!

Deshalb sage ich allen: Wir haben verloren, ja, wir haben in Frankreich verloren, aber weil ich den Wahlkampf geführt habe, will ich nicht mehr verlieren, und ich will nicht mehr lügen, wenn es um Dinge geht, die ganz klar sind. Lassen Sie mich abschließend eine der Lügen in Erinnerung rufen: Wir brauchen einen europäischen Haushalt, der wirtschaftliche Initiativen möglich macht, wir müssen die wissenschaftliche Forschung entwickeln, aber hierfür muss man zumindest sagen, dass Europa interessanter ist als die schäbigen Vorschläge der Regierungen, wie sie heute vorliegen.

(Beifall)

 
  
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  Francis Wurtz, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident! Soll man den Prozess der Ratifizierung des Verfassungsvertrags fortsetzen, aussetzen oder stoppen?

Sollte man ihn aussetzen und auf bessere Zeiten warten? Ein Bravo für den politischen Mut, die demokratische Konsequenz und das Vertrauen in die Verfassung. Aus meiner Sicht darf niemand einem Volk, das zu diesem Text Stellung nehmen möchte, dieses Recht verweigern. Gleichzeitig schulden wir jedermann die Sprache der Wahrheit: Es geht nunmehr um einen Konsultationsprozess und nicht mehr um einen Ratifizierungsprozess, denn der Entwurf der Verfassung ist unwiederbringlich hinfällig geworden. Er ist rechtlich hinfällig, denn er bedarf der einstimmigen Zustimmung, um in Kraft treten zu können. Er ist politisch hinfällig, aufgrund der Macht der zwei Nein und ihrer Auswirkung in zahlreichen anderen Ländern der Union.

Was ist also zu tun? Was da geschehen ist, ist kein französischer oder niederländischer Donnerschlag an einem wolkenlosen europäischen Himmel. Ja, Herr Schulz, die Vertrauenskrise zwischen den Bürgern und den europäischen Institutionen vergrößert und vertieft sich unaufhörlich seit der großen liberalen Wende des Binnenmarktes und des Vertrags von Maastricht.

Im Laufe der Jahre erleben nicht mehr nur die Volksschichten, sondern auch die Mittelschichten diesen Wendepunkt als ein Abgleiten zu einem Gesellschaftsmodell, das sie ablehnen. Wettbewerb um jeden Preis, die galoppierende Verunsicherung, die zynischen und unerbittlichen Kräfteverhältnisse, der Konsens, der ganz oben hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wird: Das kommt nicht mehr an! In diesem massiven Nein zeigt sich ein Aufbäumen der Würde. Viele dieser Menschen möchten noch von Europa träumen, aber man träumt nicht vom Stabilitätspakt oder der Bolkestein-Richtlinie.

Die Krise des heutigen Europas ist eine Existenzkrise. Wir haben bereits andere Schwierigkeiten erlebt, erklärte Herr Barroso zur Beruhigung. Nein, diesmal geht es um etwas anderes. Bisher endeten die politischen Stürme, die durch die berüchtigten Reformen ausgelöst wurden, welche den Liberalen im Rat und der Kommission teuer sind, an den Grenzen der Mitgliedstaaten. Welch ein Massaker hat unter der Linken seit den gar nicht so fernen Zeiten, da sie mehr als zwei Drittel der Regierungen der Union führte, stattgefunden. Dort, wo die Rechte noch vor kurzem die Zügel in der Hand hielt, war die Abstrafung ebenso niederschmetternd, nicht wahr, Herr Barroso?

Was haben die führenden europäischen Politiker im Rat und in der Kommission nach diesen Missbilligungen durch das Volk getan? Sie haben die Gewinner beglückwünscht und die gleiche Politik fortgesetzt: Business as usual! Dieses Mal – und das ist das grundlegend Neue an der Situation – haben die Bürger begonnen, das Herz des Systems ins Visier zu nehmen. Nunmehr wird man früher oder später Rechenschaft ablegen und echte Veränderungen akzeptieren müssen.

Wie soll man nun aus dieser Sackgasse herauskommen? Zunächst gilt es nachzuweisen, dass man sich der Tiefe des europäischen Unbehagens bewusst ist, indem man eindeutig den Verfassungsvertrag für hinfällig erklärt. Dann muss man im gleichen Sinne ankündigen, dass man die Texte zurückzieht, die am umstrittensten sind, weil sie am deutlichsten die Fehlentwicklungen offenbaren, die es zu stoppen gilt: die Bolkestein-Richtlinie, die Arbeitszeitrichtlinie ebenso wie die Reihe der in Diskussion befindlichen Richtlinien, die auf grenzenlose Liberalisierung zielen, ohne dass zuvor die Folgen der gleichartigen vorangegangenen Maßnahmen bewertet wurden. Schließlich gilt es, eine große freie Bürgerdebatte einzuleiten, nicht einen Konvent, sondern eine Bürgerdebatte ohne jeden Druck auf der Ebene der gesamten Union, um über das gegenwärtige Europa Bilanz zu ziehen und festzulegen, was verändert werden muss, um ein Europa zu konzipieren, in dem die Mehrheit der Europäer sich wieder erkennen und sich einbringen kann.

Abschließend möchte ich mich an die Linkskräfte wenden, die unabhängig von ihrer Position zur Verfassung die Überzeugung teilen, dass man sich nunmehr auf diesem Weg engagieren muss, um Europa auf neue Grundlagen zu stellen. Schließen wir uns zusammen und tun wir das Unsrige, um Vertrauen und Hoffnung wiederherzustellen.

(Beifall der GUE/NGL-Fraktion)

 
  
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  Philippe de Villiers, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Was vor wenigen Tagen in Frankreich und in den Niederlanden geschehen ist, lässt sich in zwei Worten zusammenfassen: die große Distanzierung der Völker von dem, was Herr Barroso „Brüssel“ nannte. Das heißt, dass die Völker Europas kein Vertrauen mehr zu Brüssel haben. Die zweite Feststellung ist, dass die Verfassung tot ist. Sie ist in Paris gestorben und wurde in Holland beerdigt.

Ich appelliere an alle führenden europäischen Politiker – und dabei billige ich die Worte von Herrn Cohn-Bendit: „Ich will nicht länger lügen“, – sich von dem Europa der Missachtung zu lösen und sich zu Sprechern nicht der europäischen Maschinerie gegen ihre Völker zu machen, sondern ganz einfach und demokratisch zu Sprechern ihrer Völker unter ihresgleichen.

Was wollen denn die Völker? Sie wollen freie Völker bleiben. Konkret heißt das: die Entscheidung zu treffen, dass die Verhandlungen über den Beitritt der Türkei sofort ausgesetzt werden; sofort zu sagen, dass wir, das heißt, dass Europa in Zukunft das Prinzip der Volkssouveränität respektieren wird, das heißt sofort die Idee der Organisation einer vielfältigen politischen, industriellen, wissenschaftlichen Zusammenarbeit nach dem Prinzip des freien Beitritts, der freien Zusammenarbeit einführen. Das ist die Zukunftsformel.

Abschließend möchte ich sagen, dass wir neue Mechanismen ins Leben rufen müssen, die die Rückkehr zur gemeinsamen europäischen Präferenzregel ermöglichen, zumindest in so sensiblen Industriebereichen wie der Textilindustrie. Das ist, meine Damen und Herren, die einzig mögliche Formel, um Europa zu retten und die Völker zurückzugewinnen und wieder an Europa zu binden.

 
  
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  Cristiana Muscardini, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für seine politische Einheit auf der Basis eines wirtschaftlichen und sozialen Projekts und zur Wiederbelebung der Entwicklung braucht Europa Institutionen, die mit seinen Bürgern kommunizieren. Die Zukunft hängt von einem aufgeklärten Konsens ab. Das Votum in Frankreich und in den Niederlanden bedeutet kein Nein zu Europa, sondern die Entschlossenheit, eine Fortführung des Wegs, auf dem Entscheidungen zu oft von oben getroffen wurden oder sich verändernde Gegebenheiten und neue wirtschaftliche und soziale Verhältnisse unberücksichtigt blieben, zu verhindern. Die durch das von einigen Ländern praktizierte Sozialdumping ausgelöste Beschäftigungskrise und das verzögerte Angehen des Problems durch Europa haben schlechthin jene Unsicherheit und Angst hervorgerufen, die das Nein zum Verfassungsvertrag forciert haben. Dieses Nein galt nicht so sehr dem Vertrag als vielmehr der mangelhaften Information, die im Übrigen in den letzten Wochen von der Kommission selbst zugegeben wurde.

Als der Vertrag entstand, stellte er zwar den bestmöglichen Kompromiss dar, war jedoch an die bereits bestehenden Herausforderungen nicht ausreichend angepasst. Was die europäischen Völker verlangen sind klare und anwendbare Regeln, die das Subsidiaritätsprinzip wahren und Lösungsmöglichkeiten nicht nur für die unmittelbaren, sondern auch für jene Probleme bieten, die mithilfe einer Analyse des geopolitischen und geoökonomischen Umfelds vorhersehbar sind. Die Lage verlangt von den drei Organen ein neues Verantwortungsbewusstsein, damit das vollendet wird, was möglich ist, und beschlossen wird zu vertagen, was vertagt werden muss.

Nachdem Bulgarien und Rumänien nach Europa heimgekehrt sind, sollte die Erweiterung unserer Meinung nach aufhören, damit die Union durch den Dialog zwischen den Institutionen und den Bürgern Kraft schöpfen kann. Gleichzeitig ist eine Neugestaltung der Beziehungen zur Europäischen Zentralbank vonnöten, denn die Union wird keine Zukunft haben, wenn die politischen Organe nicht den notwendigen Einfluss auf die Festlegung der Geldpolitik nehmen. Wir fordern die Kommission und den Rat auf, sich schnellstens zu diesen Fragen zu äußern.

Die Union hat schon schwierige Zeiten erlebt, aus denen sie mit neuen Initiativen hervorgegangen ist: Die Ablehnung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft durch die Französische Nationalversammlung 1954 führte zur Konferenz von Messina und dann zu den Römischen Verträgen. Die Stagnation der Europäischen Gemeinschaft in den 70er-Jahren wurde mit dem Genscher-Colombo-Vorschlag überwunden, und durch das Votum des Europäischen Rates von Mailand im Jahr 1985, unter Präsident Craxi, wurde die Einheitliche Europäische Akte angenommen. Deshalb sind wir voller Zuversicht, dass das neue Europa just in diesen Zeiten entstehen kann, in denen das Vorpreschen der Europabegeisterten und die Skepsis der Europapessimisten offenkundig weder eine Garantie für die Zukunft des Einzelnen noch für die der Gesellschaft bieten. Eine realistische Europapolitik ist der einzige Weg, der jetzt beschritten werden muss, um auf der Grundlage demokratischer Entscheidungen und unter Wahrung der nationalen Identitäten ein solidarisches und gemeinsam getragenes Europa zu gestalten.

 
  
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  Jean-Marie Le Pen (NI).(FR) Herr Präsident! Die Messe ist gesungen. Die europäische Verfassung ist ein totgeborenes Kind: Schon ein einziges ablehnendes Votum hätte genügt. Doch es gab zwei davon, innerhalb von drei Tagen, in zwei der sechs Gründerstaaten Europas, Frankreich und die Niederlande. Morgen wird Großbritannien, dessen Währung nicht der Euro ist, den Ratsvorsitz übernehmen, und es kündigt bereits an, dass es den Ratifizierungsprozess als unnütz betrachtet.

Niemals schien der Graben zwischen den Parlamenten und den Völkern so tief zu sein. Im französischen Parlament stimmten 8 % der Abgeordneten mit Nein, im Volk 55 %! Man kann sich nur wundern, dass die Volksbefragung als die demokratischste Form nicht die einzige Form der Ratifizierung in allen Unionsländern ist, für die sich eigentlich vor allem jene einsetzen müssten, die sich in diesem Hause über das demokratische Defizit der Institutionen beklagen. Es stimmt, dass es für die Fürsten, die zum eigenen Profit regieren, gefährlich ist, den Völkern das Wort zu erteilen, die alles zu ihrem Nachteil ertragen.

Gegen die Oligarchien – in der Politik, den Medien, der Wirtschaft, im sozialen Bereich und anderswo –, die in der Debatte über hundertfach stärkere Mittel verfügten, haben die Völker gesprochen und es abgelehnt, ihre Unabhängigkeit in einem supranationalen Staat zu opfern, der sich im Übrigen zugleich ultraliberal und bürokratisch, wirtschaftlich mittelmäßig und sozial verhängnisvoll ankündigte. Sie haben nein zu der unbegrenzten Erweiterung über Europa hinaus auf die Türkei gesagt.

Einige könnten vielleicht versucht sein, sich über das Nein der Franzosen und der Holländer hinwegzusetzen. Sie sollten sich hüten, den legitimen Zorn der Bürger zu wecken. Es wäre klüger, den Willen der Völker zu berücksichtigen und sich zu bemühen, der wünschenswerten europäischen Zusammenarbeit einen realistischeren Rahmen zu geben. Es ist klar, dass die Völker nicht den nationalen Rahmen aufgeben wollen, das Fundament ihrer Identität, den Verteidiger ihrer höheren Interessen, den Garanten ihrer Freiheit, ihrer Kulturen und ihrer Sprachen. Sie wollen ihre Souveränität über ihr Territorium und ihre Grenzen bewahren, ihr Schicksal und das ihrer Kinder selbst gestalten, das heute durch Globalisierung, Einwanderung, Sozialruin und moralischen Verfall bedroht ist.

 
  
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  Timothy Kirkhope (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Ein früherer Premierminister der Labour-Partei sagte einmal, dass eine Woche in der Politik eine lange Zeit ist. Dem dürfte wohl kaum jemand widersprechen, ganz gleich, was man über den Ausgang der Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden denkt.

Ich möchte nicht noch einmal auf die Verfassung und die Ergebnisse der Referenden eingehen, aber ich glaube, dass es nun sehr schwierig sein wird, die Verfassung in ihrer derzeitigen Form weiter voranzutreiben. Das ist ein Thema, über das wir endlos diskutieren könnten. Wir sollten uns heute Morgen besser auf die positiven Seiten der Entwicklungen in Europa konzentrieren und darauf, was wir außerhalb dieser Situation erreichen können. Wir müssen die Debatte darüber weiterführen, welches Europa wir aufbauen wollen. Die Menschen haben eine klare Botschaft vermittelt und Teil dieser Botschaft ist, dass ihnen die Verfahren und Institutionen fremd sind. Das ist nicht gut für die Demokratie und es untergräbt das Vertrauen, das wir von unseren Bürgern brauchen, damit wir unsere Verantwortung wahrnehmen können.

Wir sollten jetzt aber mit unserem Programm weitermachen und uns nicht zu sehr ablenken lassen. Im Moment ist es sehr wichtig, dass die Agenda von Lissabon, die aktuellen Liberalisierungsmaßnahmen und die Diskussionen über die nachhaltige Entwicklung ohne Verzögerung weiter vorangetrieben werden. Wie der Präsident sagte, müssen wir den Herausforderungen begegnen, die China, Indien oder andere Teile der Welt mit schnell wachsenden Volkswirtschaften für uns darstellen. Es wäre daher falsch, unseren Bürgern wegen eines strukturellen Problems, für das es im Moment anscheinend keine Lösung gibt, die Chance auf größeren Wohlstand vorzuenthalten, weil wir uneinig und, möglicherweise noch lange Zeit, mit anderen Dingen beschäftigt sind.

Es besteht also die dringende Notwendigkeit für uns, unsere Chance für eine Erneuerung zu nutzen. Wir müssen uns die Tragweite der Ereignisse dieser Woche bewusst machen, aber wir müssen unsere Arbeit und unseren Weg so fortsetzen, dass alle Bürger Europas damit einverstanden sind. Die Union hat diese Chance erhalten, um neu über ihre Zukunft nachzudenken und sich mit den tiefgreifenden Fragen zu befassen, die ihre zukünftige Ausrichtung betreffen. Wir dürfen uns aber nicht von der bereits festgelegten und energisch vorangetriebenen Politik abbringen lassen, die zu unser aller Nutzen notwendig ist.

 
  
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  Bernard Poignant (PSE). (FR) Herr Präsident! Es ist das zweite Mal, dass Frankreich einen Vertrag über eine politische Union ablehnt: im Jahr 1954, weil es die deutsche Wiederaufrüstung fürchtete; im Jahr 2005 zweifellos aus Angst vor dem globalen Kapitalismus. Wir sollten darin auch ein Zeichen für unsere eigenen Politiken sehen.

Was ist zu tun? Meiner Meinung nach sollten wir uns von drei Prinzipien leiten lassen. Das erste Prinzip ist die Gleichheit zwischen den Völkern. Eine parlamentarische Ratifizierung ist gleichrangig mit einer Ratifizierung durch ein Referendum. Im Übrigen habe ich die Ergebnisse der drei Referenden zusammengezählt: Das Ja überwiegt, denn bei den Spaniern, Niederländern und Franzosen zusammengenommen überwiegt das Ja mit 54,04 % der Stimmen, eine Zahl, die für mich als Franzose tröstlich ist. Gleichheit zwischen den großen und den kleinen Ländern, Gleichheit aller Völker. Das Wort „Gründer“ gefällt mit heute im Jahre 2005 nicht so ganz, denn Sie, Herr Kommissionspräsident Barroso, und Sie, Herr Parlamentspräsident Borell, Sie konnten ja nicht zu den Gründern im Jahr 1957 gehören, denn Ihre Länder waren nicht dabei: Sie lebten unter einer Diktatur. Andere lebten unter einem totalitären Regime. Wir, die Franzosen und die Niederländer, hatten die Chance, frei zu sein. Folglich muss man mit diesem Begriff heute behutsam umgehen. Wenn eine Verfassung einstimmig angenommen werden soll, muss sie auch einstimmig abgelehnt werden: Dieses Prinzip muss in beiden Fällen gelten.

Das zweite Prinzip ist, was die Erweiterung betrifft, die Einhaltung des gegebenen Wortes. Ich denke da besonders an Rumänien und Bulgarien, aber auch an andere, und würde den Balkan hinzufügen. Wir müssen den Balkanländern die Perspektive eines EU-Beitritts geben und einhalten. Wenn wir ihnen diesen Horizont versperren, unterhalten wir dort ein Pulverfass.

Das dritte Prinzip: Europa braucht noch immer eine Verfassung, trotz dieser beiden ablehnenden Voten. Es gibt in Frankreich ein Departement, das uns den Weg gezeigt hat. Es ist das Departement von Philippe de Villiers, denn das Departement, dem er vorsteht, die Vendée, hat 1992 Nein zu Maastricht gesagt, aber es sagt Ja zur Verfassung. Herr de Villiers steht vollkommen im Widerspruch zu den Bewohnern der Vendée, deren Präsident er ist.

(Beifall)

Um einen Technokraten zu finden, muss man, wie Sie wissen, nicht nach Brüssel gehen. Ein Technokrat ist einfach ein Techniker, den man nicht mag, das ist alles. Dieses Departement zeigt uns den Weg: vertrauen wir also auf die Bewohner der Vendée von de Villiers.

(Beifall)

 
  
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  Marielle De Sarnez (ALDE).(FR) Herr Präsident! Wir erleben gerade eine schwierige Zeit, und ich möchte Ihnen sagen, welch unendliche Traurigkeit ich empfinde, ebenso wie alle jene, die in der Europäischen Union und in der Welt sich dem Projekt eines politischen Europas verbunden fühlen. Europa ist in der Krise. Unser Europa, das wir gewollt und das wir aufgebaut haben, ist in der Krise.

Natürlich haben, wie wir alle wissen, die innenpolitischen Fragen bei den französischen und niederländischen Ergebnissen eine große Rolle gespielt. Aber wir müssen den Mut haben einzugestehen, dass auch eine gewisse Art und Weise, wie Europa gemacht wird, abgelehnt wurde. Jahrelang hatten unsere Mitbürger das Gefühl, dass Europa ohne sie gestaltet wird, dass sie nicht in die vielfach wichtigen Entscheidungen, die in ihrem Namen getroffen wurden, eingebunden waren. Europa schien ihnen so fern und fremd: Dafür tragen wir gemeinsam die Verantwortung. Unsere Mitbürger hatten auch das Gefühl, dass Europa ein Projekt ist, das der Kontrolle entglitten ist, das in seiner Identität und seinen Grenzen nicht bestimmt ist. Und dieses Gefühl des Unbekannten weckte bei ihnen Reaktionen der Ablehnung und der Angst. Schließlich hat Europa seine Schutzrolle nicht gespielt und konnte sie nicht spielen und gab keine Antwort auf die Frage der Globalisierung, wobei die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen das Bekenntnis unserer Mitbürger zur europäischen Idee noch weiter erschwerten.

Heute ist das europäische Projekt nicht ausreichend wahrnehmbar und verständlich. Wir befinden uns in einer tiefen Vertrauenskrise, und um zu versuchen, darauf zu antworten, müssen die europäischen Institutionen sich dieser Herausforderung gewachsen zeigen. Ihre Antwort kann und darf nicht nur juristischer Art sein. Sie muss vor allem politischer Art sein, und unabhängig vom Fortgang des Ratifizierungsprozesses muss der Europäische Rat auf seiner nächsten Tagung Perspektiven aufzeigen und Antworten auf die Erwartungen unserer Mitbürger finden. Es gibt große Erwartungen hinsichtlich der Demokratie und der Transparenz, eines klar definierten Europas, schließlich die Erwartung einer Union, die eine echte wirtschaftliche und soziale Governance einführt, welche allein in der Lage ist, Wachstum, Beschäftigung und Zusammenhalt wiederzubeleben. Jetzt muss gehandelt werden. Es ist Dringlichkeit geboten.

(Beifall)

 
  
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  Johannes Voggenhuber (Verts/ALE). Herr Präsident, Herr Ratspräsident! Ich möchte gerne, dass Sie Ihren Kollegen am Europäischen Gipfel eine traurige Nachricht überbringen. Der Sündenbock hat seine Pflicht getan, aber es geht ihm elend. Er ist zusammengebrochen, man hat ihn dem Zorn der Menschen ausgeliefert und sie haben ihn ein wenig zu viel geschlagen. Wovon ich rede, ist einerseits Europa und andererseits die Regierungen. Sie haben Europa nicht zum ersten Mal, sondern zum x-ten Mal dem Zorn der Menschen ausgeliefert, für Dinge, für die Sie die Verantwortung tragen.

Ich weiß, es ist schon längst der Kampf um die Interpretation des Nein ausgebrochen, und wer ihn gewinnt, wird den Gang der Dinge bestimmen und den Ausweg aus der Krise definieren. Ist es der Sieg des Nationalismus über Europa? Ist es die Unzufriedenheit der Menschen über unsere Leistungen oder geht es – und das glaube ich – um einen Aufstand der Menschen gegen das bestehende Europa? Die Farce daran ist, dass der Aufstand gegen das bestehende Europa das neue Europa unmöglich macht.

Der Patient hat aus Ärger über die Krankheit den Arzt erschossen, aber Sie werden verstehen, Herr Ratspräsident, dass mich eine gewisse Nervosität befällt, wenn ich sehe, dass sich ausgerechnet die Regierungen wieder um das Bett des kranken Europas versammeln. Was ist denn das bestehende Europa, das hier eine Quittung der Bürger erhält? Ist es wirklich die Diktatur der eiskalten Brüsseler Bürokratie. Ist es wirklich die Krake eines neuen Superstaates, der sich von der nationalen Identität seiner Bürger ernährt? Oder ist es nicht vielmehr dieses schwache, kränkelnde, unentschlossene, den Nationalismus keineswegs überwunden habende Europa, das Europa der Staatskanzleien, das Europa der verschlossenen Türen, das unentschiedene, das asoziale, das Europa mit den schweren Demokratiedefiziten? Ist es nicht das Europa der Regierungen, die sich in ihrer Arroganz der Macht eingebildet haben, sie könnten Europa nebenberuflich regieren? Nebenberuflich – als Regierung, Verwaltung, Gesetzgeber und auch noch als Verfassungsgeber! Ist es nicht dieses Europa, mit dem wir aufräumen müssen? Haben die Regierungen nicht doch mehr Verantwortung als der Sündenbock, der hier geschlagen wird? Geht es nicht darum, dass die Regierungen schon den Konvent blockiert haben, nachdem sie versucht haben, ihn zu dominieren? Ist die soziale Frage nicht dort gescheitert?

(Der Präsident unterbricht den Redner)

(Beifall)

 
  
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  Erik Meijer (GUE/NGL). (NL) Herr Präsident! Zwei Monate lang habe ich mich aktiv an der Kampagne beteiligt, mit der in den Niederlanden erreicht wurde, dass 62 % nein zur Verfassung sagten. Als größte Organisation im Lager der Gegner hat sich unsere Sozialistische Partei für das Recht des Wählers eingesetzt, den Wortlaut des Texts abzuändern. Wir haben uns weder gegen eine europäische Verfassung noch gegen neue oder künftige Mitgliedstaaten gestellt, ja nicht einmal gegen die Tatsache gesperrt, dass die Niederlande inzwischen der größte Nettozahler der Europäischen Union sind. Es ging um den Inhalt der Verfassung.

Der Text ist viel zu sehr ein Rezept für ein Europa eher amerikanischer Ausprägung, das den freien und ungehinderten Wettbewerb, die Liberalisierung von Dienstleistungen, die Aufrüstung, die Bindung an die NATO und Möglichkeiten zur Intervention außerhalb des EU-Territoriums in den Vordergrund stellt. Kapitel 3 gehört nicht in eine Verfassung; dessen Inhalt sollte Bestandteil der üblichen Rechtsvorschriften sein, die das Europäische Parlament mit Unterstützung der nationalen Parlamente ändern können sollte.

Dann könnten die Wähler im Wege von Wahlen Veränderungen einfordern. Der kleine Mann hätte so nicht länger das Gefühl, er habe keine Möglichkeit, an politischen Veränderungen mitzuwirken. Zudem bleibt das Demokratiedefizit im vorgeschlagenen Text weiter bestehen, solange die nationalen Parlamente die Verabschiedung von Gesetzen lediglich hinauszögern können, solange Unterschriftensammlungen mit einer Million Unterschriften keine Anpassung der Politik oder eine Volksabstimmung bewirken und solange der Rat das einzige Organ ist, das die Verfassung ändern kann.

Mit diesen Argumenten konnten wir viele Menschen zur Stimmabgabe bewegen, die zwar über die Politik der EU und deren Neigung schimpfen, sich in alles einzumischen, aber eigentlich zu Hause bleiben wollten, da sie keine Hoffnung auf Besserung hatten. Statt der erwarteten niedrigen Beteiligung mit einem von den Verfassungsbefürwortern dominierten Referendum verzeichneten wir eine hohe Wahlbeteiligung der Verfassungsgegner. Die Verfassung ist somit gestorben. Falls die Wähler in anderen Mitgliedstaaten noch die Chance zu einer Volksabstimmung bekommen, rechne ich jedoch ebenfalls mit einer mehrheitlichen Ablehnung des Verfassungstexts. Auf diese Weise erhalten die Völker das Änderungsrecht...

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

(Beifall)

 
  
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  Bastiaan Belder (IND/DEM). (NL) Herr Präsident! Die niederländische Bevölkerung hat der Europäischen Verfassung eine deutliche Abfuhr erteilt. Die europäischen Institutionen sollten dies tunlichst zur Kenntnis zu nehmen. Die Ablehnung des Verfassungsvertrags ist in erster Linie ein Ausdruck des Widerstands gegen das Tempo und die Richtung des europäischen Integrationsprozesses. Angesichts des Eifers, mit dem auf das Unvermögen der nationalen Politik verwiesen wird, des absoluten Mangels an Selbstkritik sowie des Werbens für eine Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses fürchte ich, dass Brüssel nichts daraus gelernt hat.

Die Staats- und Regierungschefs müssen auf dem Gipfel am 16. und 17. Juni unter Beweis stellen, dass sie das Nein in Frankreich und den Niederlanden besser verstanden haben als viele meiner Kolleginnen und Kollegen. Die Sackgasse, in die die Europäische Verfassung geraten ist, erfordert ein entsprechendes Handeln. Daher ist unverständlich, warum die politische Elite in Brüssel zögert und die Tortur der baldigen Vorlage eines neuen Vertrags vorzieht.

Es freut mich, dass die Wähler ihrem mangelnden Vertrauen in ein geografisch vage definiertes Europa mit schwammigem politischen Inhalt, in dem eine ungesunde Machtkonzentration mit unrealistischen politischen Ambitionen gepaart ist, Ausdruck verliehen haben.

 
  
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  Brian Crowley (UEN).(EN) Herr Präsident! Wenn man sich die Debatte heute Morgen anhört, könnte man meinen, dass sich Europa nicht nur in einer Krise befindet, sondern dass Europa auch keine Antworten oder Möglichkeiten hat, um auf den Willen und die Wünsche der Menschen einzugehen. Es ist nicht zu leugnen, dass dies eine schwierige Zeit und eine Zeit großer Unsicherheit ist, aber diese Krise gibt uns auch die Chance, auf das bereits Erreichte zurückzuschauen und einen besseren Weg für die Zukunft zu finden.

Doch diesen Weg werden wir nicht bei der Suche nach den Gründen für das Nein der Wähler in Frankreich und Holland finden. Es gibt viele unterschiedliche Gründe für ihr Nein. Und was sollen wir den Wählern in Spanien sagen, die dem Verfassungsvertrag zugestimmt haben? Zählt ihre Zustimmung nicht? Diejenigen, die uns einreden wollen, dass wir diesen ganzen Prozess aussetzen und auf die Stimme der Demokratie hören sollen, ignorieren diese Stimme der neun anderen Länder vollkommen, die die Europäische Verfassung bereits ratifiziert haben.

Ich halte es nun für wichtig, dass wir die Führungskompetenz Europas unter Beweis stellen. Diese Führungskompetenz muss nicht nur von diesem Haus, sondern auch von der Kommission ausgehen. Ich gratuliere Präsident Barroso zu seiner Haltung unmittelbar nach den Volksabstimmungen. Er hat versucht, die Regierungen zu ermutigen, Ruhe zu bewaren, sich das langfristige Ziel vor Augen zu halten und die Ideologie und den selbstlosen Wunsch nach einer Verbesserung der Lebensumstände aller Völker Europas zu verfolgen, die die Gründerväter der Europäischen Union beim Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg geleitet haben.

Die Bürger Europas haben bei den aktuellen Volksabstimmungen nicht gegen mehr Arbeitsplätze, gegen einen besseren Sozialschutz, gegen eine Verbesserung des Handels, gegen bessere Entwicklungsprogramme der Gemeinschaft, gegen die stärkere Unterstützung der Entwicklungsländer, gegen den Schutz unserer Umwelt, gegen die Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung in der Fischerei und anderen Wirtschaftszweigen gestimmt. Sie haben für all das gestimmt, weil sie ihre Unterstützung dafür fortsetzen wollen.

Luxemburg als das Land, das den Vorsitz im Rat führt, hat nun die Aufgabe, auf der Tagung des Europäischen Rates einen Kompromiss und einen Weg aus der Krise zu finden. Was uns selbst betrifft, ist es am besten, wenn wir den Bürgern Europas eingestehen, dass wir uns in einer Krise befinden, dass dies aber nicht das Ende des europäischen Projekts ist. Wir müssen alle Völker in Europa daran erinnern, dass wir unsere eigenen Interessen und unsere gemeinsamen Interessen am besten vertreten können, wenn wir verstehen, dass wir aufeinander angewiesen sind. Das gilt nicht nur für die Kostenvorteile des Binnenmarkts, sondern auch für unsere menschlichen Verpflichtungen, die wir auf dem europäischen Kontinent einander gegenüber haben.

 
  
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  Irena Belohorská (NI).(SK) Der Verfassungsvertrag wurde bereits von zehn Ländern ratifiziert; davon gehörten jeweils fünf zur Gruppe der alten – Österreich, Deutschland, Griechenland, Italien und Spanien – und der neuen Mitgliedstaaten – Ungarn, Litauen, Lettland, Slowenien und die Slowakei. Auf diese entfallen zusammengenommen 50 % der Bevölkerung der Europäischen Union; da ein Gründungsstaat keine privilegierte Stellung einnimmt, könnte man sagen, dass es nun zehn zu zwei steht.

Ich weiß nicht, ob die Franzosen ihre Probleme mit der Arbeitslosigkeit, mit denen sie im Vorfeld des Referendums Stimmungsmache betrieben haben, durch das negative Ergebnis des Letzteren in den Griff bekommen haben. Meiner Ansicht nach haben sie vielmehr die Ideen und den guten Willen der neuen Mitgliedstaaten missbraucht und überdies ein großes europäisches Land – mein Nachbarland Polen – gedemütigt, indem sie den polnischen Schweißer zum Symbol machen.

Ich fordere das Parlament auf, weder den negativen Ausgang zu beklagen, noch sich mit einigen der hier Anwesenden darüber zu freuen, dass die Idee eines starken Europas als Unsinn abgetan wird, sondern energische und wirksame Schritte einzuleiten, um den Prozess in Zukunft zu erleichtern. Darüber hinaus ist es traurig, Herr Präsident, dass ich die erste Abgeordnete aus einem neuen Mitgliedstaat bin, die zu diesem Thema spricht.

 
  
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  Erna Hennicot-Schoepges (PPE-DE).(FR) Herr Präsident! In unserer letzten Sitzung gedachten wir des 60. Jahrestags des Kriegsendes. Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass wir heute über ein Europa in der Krise debattieren, weil die Bürger einem Vertrag die Unterstützung versagen, der bestätigen will, dass unsere Länder sich im Guten wie im Schlechten vereinigen, einem Vertrag, den die demokratisch gewählten Staatschefs in Vertretung des Souveräns, das heißt der Völker unserer Länder, unterschrieben haben. 220 Millionen haben bereits Ja gesagt zu dieser Verfassung, und gestatten Sie mir die Bemerkung, Herr Präsident, dass Europa nicht nur aus Frankreich und den Niederlanden oder Großbritannien besteht. Dazu gehören auch all die anderen.

Den Text zu verändern, wäre eine Missachtung gegenüber mehr als der Hälfte der Bevölkerung der Europäischen Union, die bereits ratifiziert hat. Was den Konsultationsprozess betrifft, so wäre es meiner Meinung nach auch Sache der nationalen Verantwortlichen, über die Verfahren zu entscheiden. Natürlich muss die amtierende Präsidentschaft nicht nur Geschick und Sensibilität beweisen, sondern auch Entschlossenheit.

Was wir brauchen, um die Bürger zu überzeugen, sind Taten, eine Finanzielle Vorausschau, mit deren Hilfe sich beweisen lässt, dass Europa die Wirtschaft wieder ankurbeln und Arbeit schaffen kann, dank seiner Investitionen in die großen Infrastrukturen oder dank „Galileo“, das 100 000 neue Arbeitsplätze schaffen kann und auf ein Signal des Rates wartet, um zu starten. Wir müssen auch den Glauben und Enthusiasmus für das europäische Projekt und seine Botschaft der Solidarität und des Humanismus vermitteln.

Faktisch ist diese Krise auch eine Krise der Demokratie. Europa lässt sich nur gestalten, wenn die Bürger mitziehen. Häufig ist die Delegation von Macht ein Synonym für Desinteresse, und wir konnten feststellen, welche Informationsdefizite es hinsichtlich der europäischen Politik gibt. Man muss also besser informieren und das Wesentliche unserer gemeinsamen Politik, für den Wohlstand der Bürger, für das soziale Europa in den Vordergrund stellen.

Herr Präsident, das Nein war auch die Ablehnung eines Europas, in dem die Gesetze des Marktes und der Wettbewerbsfähigkeit Vorrang haben, eines liberalen Europas, das die Arbeitnehmerinteressen außen vor lässt, und das sage ich an die Adresse derer, die die 72-Stunden-Woche einführen wollten.

 
  
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  Margrietus van den Berg (PSE). (NL) Herr Präsident! Die Wähler in den Niederlanden und Frankreich haben uns eine deutliche Botschaft übermittelt: Halt, wir stürmen voran, ohne genau zu wissen, wohin die Reise geht. In den Niederlanden stimmten 62 % derjenigen, die zu den Wahlurnen gingen, mit Nein. Jetzt ist es an der Zeit, mit diesen Wählern etwas Positives anzufangen. Die Ablehnung kam aus zwei verschiedenen Lagern.

Zum einen gibt es den rechten Wähler, der klar antieuropäisch eingestellt ist und das europäische Projekt ablehnt. Daneben gibt es jedoch die Nein-Stimmen der fortschrittlichen Wähler, die zwar die europäische Zusammenarbeit befürworten, die vorliegende Verfassung allerdings für zu dominant und zu wenig sozial halten. Diese Gefühle hegen auch jene progressiven Wähler, die in der Überzeugung, es sei ein Schritt nach vorn, unter Vorbehalt für die Verfassung gestimmt haben. Wir müssen nun die fortschrittlichen Wähler aus den Lagern der Befürworter und Gegner im Interesse eines klar umrissenen europäischen Projekts wieder zusammenführen. Selbstverständlich sollten auch andere Länder die Chance haben, sich zur europäischen Verfassung zu äußern, aber in den Niederlanden und Frankreich sind die Würfel gefallen. Nicht diese Verfassung, kein zweites Referendum zur selben Frage.

Wir dürfen jetzt nicht in die Isolation geraten oder auf der Stelle treten – im Gegenteil. Wir wollen uns für Reformen in Europa stark machen, um sowohl den Ja- als auch den Nein-Sagern zu beweisen, dass wir ihre Bedenken gehört haben. Diese Reform muss auf einer breiten und offenen Debatte über die Zielrichtung und das Tempo der europäischen Integration fußen. Wie viele Länder sollen noch beitreten dürfen? Wie stärken wir Europa und machen es sozial? Vielleicht kann sich der Europäische Rat, der am 16. und 17. Juni stattfinden wird und bei dem Tony Blair die Präsidentschaft übernehmen wird, erste Gedanken darüber machen, wie man in einem vereinfachten Vertrag Schlüsselelemente retten kann, insbesondere Kapitel 1 und 2 der Verfassung, die Prinzipien Europas, die bessere Stimmengewichtung, den hohen Subsidiaritätsgrad, die Zugänglichkeit, die erweiterten Einflussmöglichkeiten der nationalen Parlamente und die Bürgerrechte. Ansonsten gerät das Ganze zu einer Art Echternacher Springprozession, wobei wir allerdings nur rückwärts gehen ohne reale Aussicht auf europäische Zusammenarbeit, wobei Herr Barroso übrigens zu Recht bemerkte, dass Europa trotz viel öffentlicher Kritik die richtige Antwort ist und er sich darum weiterhin intensiv dafür engagiert.

 
  
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  Jules Maaten (ALDE). (NL) Herr Präsident! Europa hat ein Problem, und dieses Problem lässt sich nicht einfach durch eine bessere Außendarstellung oder dadurch lösen, dass eindringlicher erklärt wird, wie gut Europa wirklich ist. Europa spricht bei vielen Menschen zwar noch den Verstand an, aber nicht mehr das Herz. Die Bürokratie hat die Ausstrahlung von armiertem Beton und die Kundenfreundlichkeit eines Nashorns. Die europäischen Institutionen müssen dazu gezwungen werden, den Bürgern Europas besser zuzuhören. Es freut mich daher, dass dies aus den Worten von Präsident Barroso herauszuhören war.

Wovor fürchten wir uns eigentlich? Warum lassen wir den Präsidenten der Europäischen Kommission nicht direkt von allen Europäern wählen, und warum gibt es nicht die Möglichkeit eines gemeinsamen Referendums über europäische Gesetze. Nicht 25 einzelne Volksabstimmungen, sondern ein europäisches Referendum. Geben wir doch den Bürgern endlich echte Macht über die Europäische Union!

Jetzt stellt sich die Frage, welche Art von Reform die EU bewerkstelligen kann. Der Verfassungsvertrag hätte die Union befähigt, die Erweiterung erfolgreich zu bewältigen. Wie geht dieser Prozess nun weiter? Die Vertreter meiner Partei im Europäischen Parlament befürworten die Erweiterung der EU, sind jedoch der Auffassung, es wäre klug, diese auf Eis zu legen, bis wir im eigenen Haus klar Schiff gemacht haben. Danach diskutieren wir gern wieder über den Beitritt von Ländern, die die Kriterien erfüllen.

Wir brauchen eine neue Diskussion über das Selbstverständnis von Europa, darüber, in welche Richtung es sich entwickelt und wo seine Grenzen sind. Diese Debatte sollte nicht nur auf Regierungsebene stattfinden. Es sollte ein europaweiter gesellschaftlicher Diskurs über die wirtschaftliche und soziale Zukunft unseres Kontinents sein, die sich, wenn nötig, erneut auf eine Art Konvention stützt, mit einem neuen Mandat, einer neuen Zusammensetzung und einem neuen Präsidenten. Europa muss wieder in der Lage sein, Menschen zu begeistern; Europa muss Sinnbild für Qualität, Kreativität und Demokratie sein, für ein sicheres, freies, tolerantes und blühendes Europa. Europa hat ein Problem, aber es hat auch eine Chance, und wir müssen uns von der Vergangenheit lösen.

 
  
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  Carl Schlyter (Verts/ALE). (SV) Herr Präsident! Ich möchte dem französischen Volk Folgendes sagen: „Noch nie haben so viele Europäer so wenigen für so viel zu danken gehabt.“ Zusammen mit dem niederländischen Volk haben die Franzosen gezeigt, dass sie es leid sind, dass das Establishment ständig Vorschläge durchboxt, die die Macht vom Volk in die geschlossenen Räume der Regierungskanzleien und die Vorstandsetagen der Großunternehmen verschiebt.

Das Problem besteht nicht darin, dass die EU zu schnell voranschreitet, sondern darin, dass sie in die falsche Richtung geht. Die Europäische Union ist in alten Problemen festgefahren. Sie integriert Staaten und maximiert die Produktion, anstatt Menschen zu integrieren und den sozialen und Umweltschutz zu maximieren.

Hören Sie auf, die Verfassung zu quälen, lassen Sie sie in Frieden sterben und setzen Sie einen neuen Prozess in Gang, bei dem jede Gemeinde ihren eigenen Konvent hat. Deren Vorschläge sollten dann für eine europäische Zusammenarbeit auf lokaler Ebene und als Grundlage für einen neuen Vertragsentwurf genutzt werden.

 
  
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  Nigel Farage (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Noch vor einem Jahr hat jeder hier gesagt, dass die Verfassung einstimmig angenommen werden muss. Damals ging man natürlich von einem positiven Ausgang aller Volksabstimmungen aus. Wie David gegen Goliath haben die französischen Bürger ihren Stein gut gezielt und der Verfassung den Garaus gemacht. Die Niederländer haben sie anschließend beerdigt und nun streckt sich, wie in einer Szene aus dem „Hammer House of Horror“ plötzlich ein Arm aus dem Sarg hervor. Man will uns weismachen, dass das alles gar nicht wahr ist, dass der Patient noch am Leben ist und dass der Ratifizierungsprozess fortgesetzt wird. Das überrascht mich und ich habe den Eindruck, dass Sie sich damit nur selbst quälen. Wenn Sie daran festhalten, werden schwierige Zeiten auf Sie zukommen.

Herr Barroso, es geht nicht darum, dass das Tempo zu hoch ist, Sie haben die falsche Richtung eingeschlagen. Als Begleiterscheinung dieser ganzen Entwicklung sehe ich die rasante Ausbreitung des politischen Extremismus, eines üblen und blinden Nationalismus, eines europäischen Nationalismus, für den es keine Grenzen gibt. Ich weiß, dass Sie vorhaben, den Willen der Bürger Europas zu missachten und die Verfassung ohne Ratifizierung in Kraft zu setzen. Die Geschichte wird sie einholen.

(Beifall)

 
  
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  James Hugh Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! Ich gratuliere den Menschen in Frankreich und in den Niederlanden dazu, dass sie all denen in Europa Genugtuung verschafft haben, die die Demokratie und die Freiheit der Nationen wertschätzen. Die Situation, in der wir uns nun befinden, wird zeigen, wie ernst die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union den demokratischen Willen nehmen. Sie haben klar festgelegt, was notwendig ist, damit die Verfassung in Kraft treten kann: Sie muss von allen 25 Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Sie haben eine Niederlage erlitten. Es ist an der Zeit, diese Tatsache zu akzeptieren und die Leiche, das heißt, die EU-Verfassung, zu begraben. Ihre Versuche, sie wiederzubeleben, sind ebenso geschmack- wie erfolglos.

Herr Watson hat ein Zitat aus dem Jahr 1787 erwähnt, doch ich möchte noch ein bisschen weiter zurückgehen. Es ist nicht das erste Mal, dass die Niederlande Europa aus der politischen Tyrannei gerettet haben. In genau dieser Woche des denkwürdigen Jahres 1690 war es, als Prinz Wilhelm von Oranien in Carrickfergus landete, das in meinem Wahlkreis liegt, und uns im Vereinigten Königreich die Glorreiche Revolution und das „Willamite Settlement“ brachte, die bis heute die Grundlage für Freiheit ...

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  João de Deus Pinheiro (PPE-DE).(PT) Herr Präsident! Die wichtigste Frage für den Rat und unser Parlament ist meiner Meinung nach die, ob die Menschen verstehen, dass wir faktisch in eine neue Phase eingetreten sind, eine Phase, in der Europa nicht mehr so auf die Belange der Bürger reagiert wie früher, als Frieden und Demokratie die obersten Ziele waren. Heute wünschen wir uns von den europäischen, nationalen und institutionellen Führungsgremien, dass sie objektiv und unpolemisch auf einige der wichtigsten Herausforderungen reagieren.

Daher wollen wir wissen, ob sich das europäische Sozialmodell mit einer Globalisierung vereinbaren lässt, die in anderen Ländern ein massives Sozialdumping und Umweltdumping hervorgerufen und in Europa zu Standortverlagerungen und Arbeitslosigkeit geführt hat. Es ist wichtig, ja sogar dringend geboten, dass Europa – entweder von sich aus oder nach Möglichkeit gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, beginnend mit der Doha-Runde – Maßnahmen ergreift, um für die Einhaltung der Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation zu sorgen, ebenso wie auch die Lissabonner Strategie entbürokratisiert und unternehmerfreundlicher bzw. KMU-freundlicher gestaltet werden muss.

Dasselbe gilt für die Subsidiarität, die wir zwar propagieren, die aber von den Institutionen in der Praxis fortwährend ignoriert wird. Die Kommission und vor allem das Parlament müssen ein für allemal sicherstellen, dass die Subsidiarität in allen Bereichen auch wirklich zur Anwendung kommt. Nicht zuletzt müssen wir uns Klarheit über den Spielraum Europas und das Tempo der Erweiterung verschaffen, wenn man sich die erfolglose Vertiefung ansieht. Dies sind die wichtigsten Aufgabenstellungen für den Europäischen Rat.

 
  
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  Robert Goebbels (PSE). (FR) Herr Präsident! In der Demokratie ist stets das Votum der Mehrheit zu akzeptieren und zu respektieren, selbst wenn die Mehrheit nicht unbedingt Recht hat. Das Votum der Franzosen und der Niederländer ist unwiderruflich. Dennoch geht davon keine klare Botschaft aus. Wir haben es mit einem vielfältigen Nein zu tun, dem unterschiedliche und zuweilen widersprüchliche Motive zugrunde liegen. Zwischen den Demagogen der extremen Rechten und den Demagogen der extremen Linken gibt es keinen gemeinsamen Nenner. Die Nationalsozialisten, die hoffen, alle Unzufriedenen um sich sammeln zu können, werden bald merken, dass dies ein Pyrrhus-Sieg ist.

Was ist zu tun? Da es keinen Plan B gibt, da niemand weiß, welche Verbesserung so widersprüchliche und unterschiedliche Neins in ein offenes und massives Ja verwandeln könnte, besteht der einzig mögliche Ausweg darin, auf Sicht zu navigieren. Der nächste Gipfel muss eine Finanzielle Vorausschau verabschieden, die ein normales Arbeiten der Institutionen ermöglicht. Ebenso wie die Eurogruppe im Vorgriff einen Präsidenten für zwei Jahre gewählt hat, müssten die Regierungen weitere innovative Maßnahmen des Vertrags auf der Grundlage einer freiwilligen Übereinkunft in Kraft setzen. So müsste die Kommission die nationalen Parlamente zu jeder künftigen Gesetzesinitiative konsultieren.

Das Nein wird weder der Globalisierung noch dem internationalen Wettbewerb oder den Produktionsverlagerungen ein Ende setzen. Im Übrigen kann sich der erste Exporteur weltweit keinen egoistischen Protektionismus erlauben. Man muss also neue Solidaritäten entwickeln, nicht nur zwischen den Europäern, sondern auch mit den zahlreichen Ländern, die außerhalb des Globalisierungsprozesses bleiben.

Der Beitritt Rumäniens und Bulgariens wird auf der Grundlage des Vertrags von Nizza erfolgen. Selbst die Türkei könnte sich uns auf der Grundlage dieses Vertrags anschließen. Natürlich könnte die Union im Rahmen eines Vertrags, der heute blockiert ist, besser funktionieren. Da aber das Nein keine Lösung bringt, müssen wir den gewiss schwierigen Nachweis erbringen, dass Europa weiter lebt, und uns dafür einsetzen, dass die Bedürfnisse unserer Mitbürger durch fantasievollere und solidarischere Politiken besser erfüllt werden.

 
  
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  Sophia in 't Veld (ALDE). (NL) Herr Präsident! Mit einigem Bedauern vernehme ich die Reaktionen auf das niederländische und französische Nein. Europa sei zu bürokratisch, zu teuer, zu viele neue Länder seien beigetreten und Europa sei zu schnell unterwegs. Gestatten Sie mir, die Sache anders darzustellen. Das Umfeld verändert sich schneller und die chinesische Wirtschaft wächst rascher, was übrigens auch für die internationale Kriminalität gilt. Statt auf die Bremse zu treten, muss Europa einen Satz nach vorn machen. Im Hinblick auf die Erweiterung setze ich offen gestanden auf die Dynamik der neuen Länder als Motor der europäischen Integration. Wir brauchen ein starkes, demokratisches Europa. Wir brauchen mehr, nicht weniger Europa. Wem Europa am Herzen liegt, den möchte ich eigentlich dazu aufrufen, Führungsbereitschaft und Mut zu zeigen, ansonsten überlassen wir Populisten und Extremisten das Feld. Wir müssen uns vorwärts bewegen. Nationale Politiker müssen die Vergangenheit hinter sich lassen und Verantwortung für Europa übernehmen. Deswegen beunruhigt mich die gestern vom Rat bekundete Haltung zur Frage der Vorratsdatenspeicherung, der nämlich beschloss, das Europäische Parlament komplett zu ignorieren. Das entspricht nicht dem Geist der stattgefundenen Debatte.

Vergessen wir nicht, dass es neben den beiden Ländern, die mit Nein gestimmt haben, auch zehn Länder gibt, die sich für die Verfassung ausgesprochen haben. Das ist eine wichtige Tatsache. Daher lehne ich eine Aussetzung des gesamten Prozesses ab. Offenkundig wird Zeit zum Nachdenken gebraucht, aber meiner Meinung nach sollten alle Länder und Völker das Recht haben, sich zur Verfassung zu äußern. Gerade jetzt müssen wir eine Lanze für Europa brechen. Statt zum status quo ante zurückzukehren, müssen wir unsere Anstrengungen für Europa verdoppeln.

 
  
  

VORSITZ: JANUSZ ONYSZKIEWICZ
Vizepräsident

 
  
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  Jens-Peter Bonde (IND/DEM).(DA) Herr Präsident! Die Verfassung ist tot in Frankreich und begraben in den Niederlanden. Der Versuch des ansonsten für seine Besonnenheit bekannten amtierenden Ratspräsidenten, die Ratifizierung des abgelehnten Texts dennoch weiter voranzutreiben, erweckt jedoch den Anschein von Leichenfleddererei. Fangen Sie noch einmal von vorne an. Ermöglichen Sie die Bildung einer Arbeitsgruppe, in der gleich viele Befürworter und Gegner vertreten sind und die sich zusammensetzen wird, um ein Diskussionspapier mit Vorschlägen zu Grundregeln auszuarbeiten, die Europa einigen können und nicht trennen.

Die Referendum-Gruppe des Parlaments würde sich gerne an diesem Vorhaben beteiligen. Wir stellen sieben Forderungen zu Themen wie Offenheit, Wahl der Kommissionsmitglieder, Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit und Vetorecht, Grundsatz der örtlichen Nähe, Kontrollrechte der nationalen Parlamente, flexible Mindestbedingungen und bessere Zusammenarbeit anstelle von Zwang. Lesen Sie unseren Vorschlag. Wir haben zu den beiden ersten Forderungen eine Meinungsumfrage in Dänemark durchgeführt. Befürwortet wurden sie von 80 % der Wählerschaft und abgelehnt von gerade einmal 12 %. Dieses Maß an Unterstützung brauchen wir für gemeinsame Grundregeln. Gebrauchen Sie Ihre Ohren, hören Sie auf die Wähler und kommen Sie zu unserer für 16.00 Uhr anberaumten Pressekonferenz.

 
  
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  Alessandro Battilocchio (NI).(IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche im Namen der Neuen Sozialistischen Partei Italiens. Machen wir uns nichts vor: Das französische Nein bedeutet ein starkes, entschiedenes „Halt!“ für den europäischen Integrationsprozess, so wie er sich seit Maastricht gestaltet hat.

1992, bei der Unterzeichnung des Vertrags zur Einführung der gemeinsamen Währung, der auch den Prozess des politischen Zusammenhalts einleitete, wusste Europa, dass es einen Weg einschlug, der zum vollständigen Umbau sowohl des institutionellen Modells als auch der Gesamtarchitektur der Union führen sollte und mit der allmählichen Aufgabe des geopolitischen Systems des Kalten Kriegs verbunden war.

Allerdings haben einige Räder in diesem Mechanismus nicht funktioniert, und viele der durch den Vertrag von Maastricht aufgeworfenen Probleme stehen heute immer noch auf der Tagesordnung. Es wird Zeit, klare Weichenstellungen zur Beschaffenheit der europäischen Dimension vorzunehmen: Es gilt zu entscheiden, ob der Lissabon-Prozess wirklich durch eine Verlagerung der entsprechenden Interessenschwerpunkte weiter verfolgt werden soll; Rahmen und Grenzen der politischen Integration müssen neu abgesteckt werden und es muss, deutlicher als im Verfassungsvertrag, die Entscheidung für ein freies und wettbewerbsfähiges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem bekräftigt werden, das fähig ist, Europa wirklich zu einem Protagonisten in dem sich vollziehenden Globalisierungsprozess zu machen.

 
  
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  Elmar Brok (PPE-DE). Herr Präsident, verehrte Kommission, verehrte Ratspräsidentschaft, Kolleginnen und Kollegen! Wenn Herr Bonde davon geredet hat, paritätisch zu besetzen: Dieses Parlament hat mit 80–90% beschlossen, für die Verfassung zu sein, und 52% der Bevölkerung haben heute schon durch ihre Parlamente und per Referendum ja gesagt! Dies sollte hier nicht vergessen werden.

Im Übrigen ist es klar – und das ist von vielen Rednern gesagt worden – dass die Gründe für das Nein eine vielfältige Mischung bilden und dass die Verfassung als solche den geringsten Teil dabei einnimmt. Es geht um Unpopularität nationaler Politik, Angst vor Globalisierung, Arbeitslosigkeit sowie auch um die Mitteilung an uns: Ihr habt es in den Bereichen innere Gesetzgebung und Erweiterung übertrieben, und manches mehr. Das heutige Europa ist dabei kritisch beleuchtet worden, zu Recht oder zu Unrecht. Aber es ist kritisch beleuchtet worden, und dies müssen wir zur Kenntnis nehmen. Deswegen ist eine Reflexionszeit außerordentlich wichtig, in der wir unsere Begrenzung, unsere Mäßigung zum Ausdruck bringen und durch entsprechende Politiken deutlich machen, dass wir die Herzen der Völker zurückgewinnen können, wenn wir einen solchen Dialog führen. Ich glaube, dass wir diese Zeit für eine Suspendierung des Ratifikationsprozesses brauchen, um uns nicht noch mehr Neins auf dieser falschen Grundlage einzuhandeln und auf diese Art und Weise dann während der österreichischen Ratspräsidentschaft zum geeigneten Zeitpunkt fortzufahren – nicht in einem zwischenstaatlichen Ansatz, sondern vielleicht durch einen Konvent, der das Ergebnis dieser Reflexion – ich sage nicht die Verfassung – prüft.

Ich halte es auch für außerordentlich wichtig, dass wir dies auch offensiv beschreiben! Diese Europäische Union bedeutet nach der Verfassung nichts anderes, als dass die Bürger beteiligt werden, dass die Bürger Rechte bekommen, dass mehr Demokratie hineinkommt, dass die nationalen Parlamente mehr Rechte bekommen und dass wir Handlungsfähigkeit in dieser Welt bekommen, um unsere innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten. Sie bedeutet auch, dass wir deutlich machen können, dass Europa nicht ein Teil des Problems Globalisierung ist, sondern dass Europa ein Teil der Antwort auf das Problem Globalisierung ist und dass wir aus diesen Gründen heraus in der Lage sein können, die Herzen der Bürger für unsere Politik zurückzugewinnen. Dazu möchte ich uns herzlich einladen.

Im Übrigen noch eine Anmerkung. All dies wird auch in Deutschland einen Paradigmenwechsel bringen. Denn Deutschland wird wieder auf der Seite der kleinen Länder stehen, was für die Identität dieses Europas wichtig ist!

(Beifall)

 
  
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  Poul Nyrup Rasmussen (PSE).(DA) Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident! Die größte Aufgabe, die der Europäische Rat in einer Woche bewältigen muss, besteht darin, Klarheit, Klarheit und noch einmal Klarheit zu schaffen. Die schlechteste Entscheidung, die in der kommenden Woche getroffen werden könnte, wäre ein Weitermachen wie bisher, denn dann dürfte Klarheit wohl kaum die passende Losung sein. Reihenweise Referenden bergen die Gefahr einer endlosen Kette von Nein-Abstimmungen in sich. Ich halte Klarheit daher für eine grundlegende Forderung.

Zudem fürchte ich, Herr Ratspräsident, dass uns, wenn nicht endlich für Klarheit gesorgt wird, nur die Wahl bleibt, uns entweder mit dem Vertrag von Nizza zufrieden zu geben oder ein wenig mehr Zeit zu gewinnen. Wenn ich zwischen der Möglichkeit, mich mit dem Vertrag von Nizza zufrieden zu geben, und der Alternative, ein wenig mehr Zeit zum Nachdenken über die Frage zu haben, wie diese Angelegenheit geregelt werden kann, wählen müsste, würde ich mich für mehr Zeit entscheiden. Mit dem Vertrag von Nizza können wir nicht leben. Für die anstehenden Probleme bietet dieser Vertrag keine Lösungen. Wir brauchen den Verfassungsvertrag, und wenn es bis dahin etwas länger dauert, nehme ich das gern in Kauf.

Herr Präsident, auch wenn wir an sämtlichen Übereinkommen festhalten und alle nur denkbaren Vertragstexte vorlegen, wird dass nichts nützen, solange wir nicht die wahren Probleme in Europa angehen. Im Verlauf von zwei Jahren haben die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament und die Sozialdemokratische Partei Europas, deren Vorsitzender ich bin, unmissverständliche Forderungen an Europa gerichtet, in mehr neue Arbeitsplätze zu investieren und gemeinsam mit anderen eine Antwort auf das zu geben, was viele Menschen als Gefahren der Globalisierung wahrnehmen. Unsere größte Aufgabe wird es nunmehr, also unter der britischen Präsidentschaft, sein - und meines Erachtens haben wir in dieser Hinsicht wirklich einige sehr viel versprechende Signale von Premierminister Tony Blair erhalten -, in einer globalisierten Welt den notwendigen Sozialschutz für die Menschen und neue Arbeitsplätze miteinander zu verknüpfen.

Darüber hinaus findet die an uns Parlamentarier gerichtete Aufforderung des amtierenden Ratspräsidenten und des Kommissionspräsidenten, in einer Woche endlich die Finanzielle Vorausschau in trockene Tücher zu bringen, meine volle Unterstützung. Das wichtigste Signal überhaupt wäre, dass wir nicht unfähig sind, Beschlüsse zu fassen, sondern die Sorgen und Nöte der Bürger ernst nehmen.

 
  
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  Andrew Duff (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Präsident Barroso sagte, dass wir auf gegenseitige Schuldzuweisungen verzichten sollten. Trotzdem sollten wir uns fragen, ob der Europäische Rat die richtige Stelle ist, um die umfassende Debatte über die soziale und wirtschaftliche Zukunft Europas anzustoßen und zu leiten. Der Europäische Rat sollte und wird wahrscheinlich auch den Ratifizierungsprozess aussetzen, aber er sollte nicht das gesamte Verfassungsprojekt auf Eis legen. Stattdessen sollte er seine grundsätzliche Bereitschaft zur Einberufung eines neuen – pluralistischen, parlamentarischen und transparenten – Konvents erklären, dessen Auftrag über den von Laeken hinausgeht und insbesondere die Modernisierung und Neugestaltung von Teil III umfasst, damit in den gemeinsamen Politiken den Wünschen und Ängsten unserer Bürger Rechnung getragen werden kann. Der neue Konvent sollte außerdem aufgefordert werden, die starre Verbindung zwischen dem ersten, zweiten und dritten Teil aufzulösen und eine angemessene Rangfolge zwischen diesen Teilen herzustellen, damit deutlich gemacht wird, dass die Politiken in Teil III Teil I ergänzen sollen.

Diese Fraktion und das Parlament werden einen solchen Konvent tatkräftig unterstützen.

 
  
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  Mirosław Mariusz Piotrowski (IND/DEM). (PL) Meine Damen und Herren, die entschiedene Ablehnung des Entwurfs des Verfassungsvertrages in Frankreich und den Niederlanden ist ein eindeutiges Misstrauensvotum gegenüber der politischen Führung dieser Länder sowie Europas. Zu unserer Verwunderung gibt es jedoch Versuche, dieses Dokument wiederzubeleben. So wurde vorgeschlagen, den Ratifizierungsprozess fortzuführen und den Vertragsentwurf neu zu verhandeln, ja es wird sogar nach legalen Mitteln gesucht, das Ergebnis der Referenden zu negieren. Ein solches Verhalten ist antidemokratisch und anmaßend und kommt dem Totalitarismus gefährlich nahe.

Die politisch Verantwortlichen müssen begreifen, dass die Mehrheit der Völker Europas gegen die Errichtung eines bürokratischen, von Brüssel aus regierten „Superstaats“ ist, der das Monopol auf die Sozial-, Wirtschafts- und Währungspolitik hat. Sie möchte sich vielmehr auf demokratischer Basis an den Entscheidungsprozessen und an einer europäischen Integration, die sich auf die ungehinderte Zusammenarbeit zwischen freien Staaten stützt, beteiligen.

Die Staats- und Regierungschefs, die den souveränen Willen ihrer Völker missachten, müssen damit rechnen, von diesen als Diktatoren angesehen und entsprechend behandelt zu werden.

 
  
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  Jean-Luc Dehaene (PPE-DE). (NL) Herr Präsident! In dieser Debatte geht es in erster Linie um den bevorstehenden Europäischen Rat. Darauf möchte ich mich im Folgenden auch konzentrieren, denn dem Europäischen Rat kommt zum gegenwärtig Zeitpunkt, da Europa in der Krise steckt, eine entscheidende Aufgabe zu, nämlich Signale zu setzen. Wichtig ist zunächst das weitere Funktionieren Europas und die Erfüllung seiner Aufgaben, nicht nur intern, sondern auch extern. Mit großer Freude habe ich vernommen, dass Präsident Barroso auf unsere Pflicht im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit verwies. Das wichtigste Signal wird zweifelsohne die Einigung über die Finanzielle Vorausschau sein, denn sie sollte den Rahmen für Europas weitere Arbeit in den kommenden Jahren bilden. Obwohl ich größtenteils mit dem Kollegen Cohn-Bendit darin übereinstimme, dass die Finanzmittel möglicherweise nicht ausreichen, damit Europa seine Aufgaben wirklich ordnungsgemäß wahrnehmen kann, scheint es mir doch von grundlegender Wichtigkeit, an erster Stelle eine Übereinkunft im Hinblick auf besagte finanzielle Mittel zu erzielen.

Zweitens muss der Europäische Rat aufzeigen, wie es weitergeht, denn die Fragen, die wir in der Erklärung von Laeken gestellt haben, wurden bislang noch nicht beantwortet. Noch immer fehlt der Rahmen für das erweiterte Europa. Europa ist weiterhin eine Antwort auf die Globalisierung schuldig, wobei diese Antwort nur europäisch geprägt sein kann. Dennoch sollten wir im Auge behalten, dass zwar in zwei Ländern mit Nein gestimmt wurde, aber zehn ihre Zustimmung gegeben haben. Poul Rasmussen meint, der Europäische Rat müsse Klarheit schaffen, doch ist er dazu meiner Ansicht nach derzeit kurzfristig nicht in der Lage, denn dafür ist auch das Nein viel zu diffus.

Daher forderte ich eine Zeit der Reflektion, die jedoch organisiert und zeitlich begrenzt werden sollte. Vorab muss klar festgelegt werden, wann Schlussfolgerungen gezogen werden. Ein Jahr scheint mir dafür ein angemessener Zeitraum. Es wäre in der Tat am besten, die Sache auszusetzen, allerdings nicht bis in alle Ewigkeit. Wir brauchen eine klare, zeitlich begrenzte Reflektionsphase mit einem eindeutig festgelegten Zeitpunkt, zu dem Schlussfolgerungen gezogen werden.

(Beifall)

 
  
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  Jo Leinen (PSE). Herr Präsident! Die Verfassung ist nicht tot, wie einige sagen. Die Verfassung lebt, und sie muss auch weiter leben, weil ich keine plausible Alternative gehört habe. Es gibt keinen Plan B mit Aussicht auf Erfolg. Das ist auch in dieser Debatte deutlich geworden. Wir brauchen vielleicht mehr Zeit. Deshalb sollte jedes Land selbst entscheiden, wann es zur Ratifizierung schreitet. Ich halte es aber für völlig falsch, einen kollektiven Aufruf zum Stopp und zur Suspendierung der Ratifizierung zu machen. Das ist doch falsch!

(Beifall)

Das muss jedes Land selbst entscheiden, wissend, dass wir vielleicht mehr Zeit brauchen.

Der Status des Gründungslandes ist mit dem Nein in Frankreich und in den Niederlanden kräftig beschädigt worden. Das hat auch etwas Gutes, weil jetzt vielleicht alle Länder gleich sind. Ich hoffe vor allen Dingen, dass die neuen Länder ein kräftiges Ja sagen, weil sie verstehen müssen, dass ein Teil des Neins auch gegen sie gerichtet war. Und da hoffe ich auf Polen und auf Tschechien, dass dort die Bevölkerung zur europäischen Verfassung deutlich ja sagt, weil dies ihre Zukunft und auch ihr Projekt für die Zukunft in Europa ist.

Wir brauchen natürlich auch eine Antwort für die Sorgen der Menschen. Die Menschen sagen: Wir wollen mehr Information. Wir wollen mehr Partizipation. Wir wollen mehr Klarheit über das europäische Projekt, und wir wollen mehr Orientierung, wie es weiter geht. Geben wir doch den Menschen diese Chancen! Ich glaube, das Projekt D, von dem Herr Kommissionspräsident Barroso gesprochen hat, ist ein Ansatz. Organisieren wir gemeinsam eine große europäische Debatte über die Zukunft der europäischen Einigung, nicht isoliert in 25 nationalen Debatten, sondern eine gemeinsame Debatte.

Wir brauchen ein Instrument. Einige sagen: einen neuen Konvent, vielleicht Assisen, irgendein Instrument. Und dieses Signal des Aufbruchs müsste nächste Woche beim Gipfel kommen.

(Beifall)

 
  
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  Françoise Grossetête (PPE-DE).(FR) Herr Präsident! Europa ist es nicht gelungen, den Hindernislauf zu gewinnen. Die Verfassung konnte nicht alle Hürden nehmen. Obwohl sie als Favoritin galt, hat diese europäische Verfassung das Rennen verloren. Hat sie es aber aufgrund der schlechten Qualität ihres Textes verloren? Hat sie es nur wegen europäischer Erwägungen verloren? Ich glaube nicht. Ich denke eher, dass das Terrain nicht vorbereitet war, dass die Verfassung es mit Gegnern zu tun hatte, die mit Lügen gedopt waren.

Wir müssen alle reagieren: Parlament, Kommission, Rat. Was haben uns die Wähler gesagt? „Europa, das kennen wir leider nicht so gut. Hingegen hat sich die Situation in unserem eigenen Land verschlechtert, also nutzen wir unsere Macht, um dies zu sagen“, und sie haben entsprechend abgestimmt. Die Ergebnisse liegen vor, und wir müssen daraus die Schlussfolgerungen ziehen. Allzu lange haben einige unserer Regierungen der Herausbildung einer echten europäischen Kultur den Rücken gekehrt. Dabei denke ich natürlich an Frankreich. Wie viele Generationen von Ministern aller Couleur erlitten zwischen Brüssel und ihrer Hauptstadt einen Gedächtnisschwund? Zwischen dem Zeitpunkt, da sie im Ministerrat in Brüssel im Namen ihres Landes sprechen, und dem Moment, da sie eine Maßnahme erläutern, scheinen alle von akuten Gedächtnisstörungen befallen worden zu sein. Sie billigen in Brüssel eine europäische Maßnahme, die, wenn sie populär ist, sofort der Regierungsinitiative zugeschrieben wird. Handelt es sich hingegen um eine unerlässliche, aber unpopuläre Maßnahme, dann wird die Verantwortung Europa angelastet.

Diese Haltung hat uns nun in ein Dilemma geführt. Seit zu vielen Jahren spricht man nicht über Europa. Die Erweiterung wurde nicht richtig erläutert. Wir sind zu schnell vorangegangen, angesichts einer Öffentlichkeit, die nicht vorbereitet wurde und die meint, eher etwas über sich ergehen lassen zu müssen als mitzugestalten. Wenn man Liebe zu Europa wecken will, muss man sich verständlich machen. Einer der großen Fehler im Zusammenhang mit dem Verfassungsvertrag war, dass man keine Volksbefragung bzw. parlamentarische Abstimmung am gleichen Tag in allen Mitgliedstaaten organisiert hat. Aber vergessen wir nicht, dass zehn Länder mit Ja gestimmt haben und dass wir mit Hilfe der Einbeziehung des europäischen Gesichtspunkts in alle Fragen der nationalen Politik den populistischen Hurrikan ablenken können, der derzeit über unsere Länder hinwegfegt.

 
  
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  Richard Corbett (PSE). – (EN) Herr Präsident! Die Fortsetzung des Ratifizierungsverfahrens in den übrigen Mitgliedstaaten hätte den Vorteil, dass dabei deutlich würde, dass diese Verfassung von der Mehrheit der Mitgliedstaaten und der Bevölkerung der Europäischen Union unterstützt wird. Doch das ist in mehrfacher Hinsicht eine riskante Strategie. Sie birgt die Gefahr, dass weitere Länder die Verfassung ablehnen, dass wir den Eindruck vermitteln, ohne Rücksicht auf den Willen der Bürger zur Tagesordnung überzugehen, und sie wirft natürlich auch die Frage auf, ob man den Franzosen oder den Niederländern denselben Text so ohne weiteres einfach ein zweites Mal zur Abstimmung vorsetzen kann. Es muss etwas geschehen.

Der Europäische Rat muss eine gemeinsame Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen. Es hat keinen Sinn, dass einige Länder mit der Ratifizierung fortfahren, während andere erklären, dass die Verfassung tot ist. Wir müssen uns auf einen gemeinsamen Weg einigen. Ich bin der Meinung, dass wir dabei eine Pause einplanen müssen, in der wir den bis dahin zurückgelegten Weg kritisch überprüfen und in der die Möglichkeit zu einer weiteren Debatte und Korrektur besteht. Dies sollte in zwei Stufen erfolgen. Zunächst auf nationaler Ebene: Die Länder, die die Verfassung abgelehnt haben oder bei denen die Gefahr einer Ablehnung besteht, müssen die Gelegenheit erhalten, darüber nachzudenken und den übrigen Ländern der Europäischen Union mitzuteilen, wie aus ihrer Sicht der zukünftige Weg aussehen sollte und welche Änderungen sie für erforderlich halten. Anschließend auf europäischer Ebene: Wir müssen dieses Thema zu einer europäischen Debatte machen. Es darf keine weitere schnell durchgezogene Regierungskonferenz hinter verschlossenen Türen geben, was wir brauchen, ist eine öffentliche Debatte.

Deshalb glaube ich, dass die Einberufung eines neuen Konvents unter einem neuen Präsidenten gar keine so schlechte Idee ist. Der Konvent tagt schließlich öffentlich. In ihm sind Abgeordnete der nationalen Parlamente vertreten. Ihm gehören sowohl Vertreter der Regierungsparteien als auch der Oppositionsparteien an. Ein Konvent ist der richtige Weg. Die Öffentlichkeit würde diesen Konvent mit sehr viel größerem Interesse verfolgen als den letzten.

Es gibt keine einfache Lösung. Wir müssen einen Weg finden, weil wir es uns nicht leisten können, die in dieser Verfassung enthaltenen Reformen aufzugeben. Wir brauchen eine effizientere und demokratischere Europäische Union.

 
  
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  Giorgos Dimitrakopoulos (PPE-DE).(EL) Herr Präsident! Leider werden die Debatten, die in der kommenden Woche auf dem Europäischen Rat geführt werden, vom negativen Ausgang der beiden Abstimmungen über die Europäische Verfassung überschattet, aus denen wir den Schluss ziehen müssen, dass es an der Zeit ist, grundsätzlich und gemeinsam über die Zukunft Europas zu sprechen. Dabei müssen wir - wenn wir die Botschaft richtig verstanden haben, die uns die Bürger Frankreichs und der Niederlande haben zukommen lassen – sämtliche politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fragen erörtern, die für die Bürger in der Europäischen Union von Belang sind und sein müssen.

Am Ende dieser Debatte müssen wir wahrscheinlich die verabschiedeten und bislang von der Europäischen Union verfolgten Konzepte auf den Prüfstand stellen, wobei diese Forderung gleichermaßen für die unionsinternen Politiken als auch für diejenigen gilt, die die Außenbeziehungen der Union betreffen. Wir sollten uns nicht vor der Vorstellung oder der Möglichkeit fürchten, Politiken einer Überprüfung zu unterziehen, beinhaltet die europäische Integration als ein dynamischer Prozess doch auch die Notwendigkeit, politische Vorgaben gegebenenfalls und bei Bedarf immer wieder neu unter die Lupe zu nehmen.

Meines Erachtens müssen wir der europäischen Idee heute mehr denn je die Treue halten. Aber gerade deswegen ist es vielleicht an der Zeit, deren Inhalt zu überprüfen und neu zu definieren.

 
  
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  Enrique Barón Crespo (PSE). – (ES) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, verehrte Kommission, meine Damen und Herren! Warum beschweren wir uns so sehr darüber, dass die Politik Eingang in das europäische Leben gefunden hat? Wir alle wissen, dass Politik kein langer ruhiger Fluss ist, sondern dass sie manchmal auch ein wilder Strom sein kann.

Ich möchte zunächst bemerken, dass dieser Prozess fortgesetzt werden muss, denn da wir alle gleich sind, haben wir alle das Recht auf Meinungsäußerung, und die Schweizer, die vor uns an den Wahlurnen waren, haben sich in einem Referendum über den Beitritt zu Schengen für die Europäische Union entschieden.

Zweitens, ein Nein ist ebenso viel wert wie ein Ja, aber ein Nein ist kein Vetorecht, und jene, die mit Nein votiert haben, müssen sagen, was sie tun wollen. Wollen sie bei uns bleiben oder wollen sie gehen? Sie müssen es sagen, nicht wir.

Da ich der erste Sprecher aus einem Land bin, das im Referendum mit Ja gestimmt hat, gestatten Sie mir bitte, einige Ratschläge zu geben.

Erstens: In Spanien haben wir ein Referendum über die europäische Verfassung abgehalten, und ich möchte allen Oppositionsparteien, die sich auf Europa bezogen haben und nicht auf unsere nationalen Probleme, meine Anerkennung zollen.

Zweitens: Wir müssen über Europa sprechen, und wir müssen positive Worte finden. Wie Herr Zapatero während der Kampagne sagte, ist gut von Europa zu sprechen eine Massenaufbauwaffe. Wir haben deutlich unsere Dankbarkeit für den „Marshall-Plan“ zum Ausdruck gebracht, den wir von Europa erhalten haben, und wir haben versucht, Hoffnung zu wecken. Denn hier wird viel über Probleme und Klagen geredet, aber unsere Aufgabe ist es, Hoffnung zu wecken und Antworten auf die Probleme der Menschen zu geben, nicht zu jammern.

Wir müssen darüber nachdenken, was zu tun ist, aber wir dürfen nicht stehen bleiben. Wenn wir auf der Stelle treten, wird die Gemeinschaft der Neinsager behaupten, dass sie gesiegt hat, und dieser Gefahr dürfen wir uns nicht aussetzen.

Abschließend möchte ich dem amtierenden Ratspräsidenten sagen, dass er zwei weitere Punkte in seine Liste aufnehmen sollte: Wir müssen den Euro verteidigen und wir müssen aktiv im Rahmen der Doha-Runde arbeiten, wo in diesem Jahr über die Globalisierung diskutiert wird.

(Beifall)

 
  
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  Josef Zieleniec (PPE-DE).(CS) Herr Präsident! Der Europäische Rat in der kommenden Woche wird einer der wichtigsten Gipfel in der Geschichte der europäischen Integration sein. Jeder von uns weiß doch, dass ein Scheitern der Verfassung bedeuten würde, dass Europa am gleichen Punkt steht wie vor dem Beginn des Ratifizierungsprozesses. Wenn wir verhindern wollen, dass Europa in eine lang andauernde Krise gerät, muss der Rat mit aller Entschiedenheit das Ruder übernehmen.

Uns stehen jetzt zwei Lösungswege offen. Wenn der französische Präsident und der niederländische Ministerpräsident erklären, dass sie nochmals über die Verfassung entscheiden lassen wollen, können wir unser Aufbauwerk fortsetzen. Wenn sie sich dazu außerstande sehen, müssen wir eine politische Grundlage schaffen und den ersten und zweiten Teil der Verfassung von den einzelnen gemeinsamen Politikbereichen trennen. Der Konvent, dem ich angehörte, gelangte zu der Ansicht, dass die EU, um wirksame Reformen durchführen zu können, nicht nur die Beziehungen zwischen den Organen regeln und die Charta der Grundrechte in den Verfassungsvertrag aufnehmen, sondern auch bestehende Verträge und Vereinbarungen einschließlich der Politiken konsolidieren müsste. Allerdings war weder der Konvent noch die nachfolgende Regierungskonferenz bereit, diese beiden Problembereiche voneinander zu trennen.

Herr Präsident, wir stehen heute an diesem Punkt, weil die Verfassung in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde. Die Debatte in diesen Ländern offenbarte die Unzufriedenheit mit vielen Maßnahmen, die auf europäischer Ebene in jüngster Zeit getroffen wurden, nicht jedoch mit der institutionellen Lösung, die die Verfassung mit sich gebracht hätte. Die Bürger mussten aber im Paket über beide Fragen abstimmen. Der Europäische Rat sollte daher gesonderte Beschlüsse über die Unterteilung des Verfassungsrahmens in die Kapitel 1 und 2 sowie deren Vorlage zur Ratifizierung fassen.

Die Teile I und II der Verfassung sind ausgewogen; darüber waren sich sowohl der Konvent als auch die Regierungskonferenz einig. Die alles entscheidende Frage lautet jetzt, ob der Europäische Rat die Willensstärke aufbringen kann, einen mutigen Schritt nach vorn zu wagen. Ein Scheitern an dieser Aufgabe würde bedeuten, dass sich die akute Krise, in der wir uns im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Verfassungsvertrags befinden, zu einem Dauerzustand auswächst, der das Aufbauwerk in seiner Gesamtheit gefährdet.

 
  
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  Genowefa Grabowska (PSE). (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Ratifizierungsprozess wird fortgeführt, das ist das Recht und die Pflicht eines jeden Staates. Deshalb darf dieser Prozess nicht gestoppt werden, nur weil zwei Länder „Nein“ gesagt haben.

Ich möchte die Abgeordneten dieses Hauses, die sich heute für einen Stopp der Ratifizierung ausgesprochen haben, nachdrücklich auffordern, die Demokratie und das souveräne Recht eines jeden Staates zu respektieren, in dieser Frage selbst zu entscheiden. Als polnische Bürgerin möchte ich dazu ebenfalls zu Wort kommen. Ich möchte in Sachen Verfassung mitreden, und ich denke, niemand sollte mir dieses Recht streitig machen oder mir weismachen wollen, dass Frankreich und die Niederlande bereits für mich und alle Polen entschieden haben. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Eingedenk des Ergebnisses der Referenden in Frankreich und den Niederlanden möchte ich außerdem feststellen, dass das polnische Volk durch den Ton und den Verlauf der Debatte in diesen Ländern geradezu alarmiert ist. Dabei geht es nicht nur um die Allgegenwart des sprichwörtlichen polnischen Klempners. Aus dieser Debatte, in der die Europäische Verfassung tatsächlich nur eine nebensächliche Rolle spielte, ergibt sich für uns folgende entscheidende Frage: Wären wir denn – und mit wir meine ich die zehn neuen Mitgliedstaaten – der EU wirklich beigetreten, wenn dieses Referendum vor der jüngsten Erweiterung stattgefunden hätte? Sind wir Mitglied einer auf Solidarität basierenden oder einer egoistischen EU geworden, die sich nach außen hin abschottet? Ich hoffe, nach dem bevorstehenden Gipfel, der meiner Überzeugung nach einen Ausweg aus dieser schwierigen Situation finden wird, eine Antwort auf diese Fragen zu erhalten.

 
  
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  Stanisław Jałowiecki (PPE-DE). (PL) Herr Präsident, nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden sind wir mit Analysen, Interpretationen und Spekulationen geradezu überschwemmt worden. Eine oft wiederholte Behauptung besteht darin, dass der Sieg des Lagers der „Neinsager“ in diesen Ländern ein Protest der Öffentlichkeit gegen die jüngste EU-Erweiterung ist und die gescheiterten Referenden eine Art Strafe für das sind, was vor einem Jahr geschah.

Führt man diesen Gedanken weiter, gelangt man zu dem Schluss, dass die Erweiterung gestoppt werden muss und dass wir abwarten sollten, bis die EU die neuen Mitgliedstaaten „verdaut“ hat, so wie eine Boa constrictor ein Kaninchen verschluckt und verdaut. Es wurden bereits Zweifel laut – sowohl hier in diesem Hause als auch anderswo –, ob es eine kluge Entscheidung war, Bulgarien und Rumänien den Beitritt zur EU am 1. Januar 2007 zu gestatten. Die Entscheidung, im Oktober Verhandlungen mit der Türkei aufzunehmen, wird ganz offen in Frage gestellt, und die Ambitionen der Ukraine in Bezug auf Europa spielen keine Rolle mehr.

Selbstverständlich kann man niemandem verbieten, diese und ähnliche Meinungen zu äußern. Es wäre jedoch ein schwerer Fehler, daraus restriktive politische Entscheidungen abzuleiten, und das aus mindestens drei Gründen.

Erstens: Wir dürfen uns unseren Verpflichtungen, die wir gegenüber den Bürgern der Kandidatenländer eingegangen sind, nicht entziehen. Ich möchte dieses Haus daran erinnern, dass wir Grundsätze nicht nur dann befolgen sollten, wenn sie uns ins Konzept passen und im Grunde überflüssig sind, sondern auch dann, wenn ihre Einhaltung uns Schwierigkeiten bereitet. Zweitens: Jede bisherige Erweiterung war ein wirtschaftlicher Erfolg. Drittens: Die Europäische Union darf kein elitärer Klub sein, zu dem nur Mitglieder Zutritt haben. Vielmehr muss sie ein Raum sein, der offen ist für Demokratie, in dem die Menschenrechte und die Rechte der Minderheiten geachtet und Konflikte auf friedlichem Wege gelöst werden.

Dieser letzte Punkt ist meines Erachtens von besonderer Bedeutung, spiegeln sich darin doch das Wesen und die Mission der Europäischen Union wider. Wird diese Mission nicht erfüllt, so ist das der Untergang nicht nur des Verfassungsvertrags, sondern der EU selbst.

 
  
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  Libor Rouček (PSE).(CS) Meine Damen und Herren! Der Aufbau Europas und die europäische Integration waren, sind und bleiben höchst komplizierte Vorgänge, bei denen es häufig erst zwei Schritte vorwärts und anschließend einen Schritt zurückgeht. In den letzten Jahren sind wir zwei Schritte vorangekommen – denken Sie doch nur einmal an die beispiellose und erfolgreiche Erweiterung der Europäischen Union um zehn neue Mitgliedstaaten. Das Ergebnis der Referenden in Frankreich und den Niederlanden ist natürlich ein Rückschritt und eine riesige Enttäuschung. Das empfinde ich auch selber so, weil ich aus einem der neuen Mitgliedstaaten komme.

Doch bedeutet dies weder in Frankreich noch in den Niederlanden das Aus für den Integrationsprozess, und nach meiner Überzeugung bedeutet es auch nicht zwangsläufig das Ende der Europäischen Verfassung. Ich glaube und erwarte, dass der Europäische Rat eindeutig erklären wird, dass die anderen Mitgliedstaaten ebenfalls die Chance erhalten sollten, ihre Ansichten zum europäischen Verfassungsvertrag zu äußern.

Bislang haben zehn Länder für und zwei gegen die Verfassung gestimmt. Ich denke, die Menschen in Polen, der Tschechischen Republik, Luxemburg und Dänemark sollten das Recht und die Möglichkeit haben zu sagen, ob sie den Vertrag über eine Verfassung für Europa wollen oder ablehnen, und erst dann, auf dieser Grundlage – wie in der Verfassung vorgesehen – sollte der Rat im kommenden Jahr über das Schicksal dieses Dokuments entscheiden.

Eine kurze Bemerkung noch zur Finanziellen Vorausschau. Ich gehe davon aus, dass am 16. und 17. Juni ein Kompromiss erzielt wird, so dass Europa bei den Finanzen vorankommen kann, die selbstverständlich gebraucht werden, damit wir unsere Ziele erreichen und unsere Ziele verwirklichen können.

 
  
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  Hartmut Nassauer (PPE-DE). Herr Präsident, meine Damen und Herren! Rechtlich gesehen ist dieser Vertrag, wie jedermann weiß, gescheitert. Politisch ist die Notwendigkeit, ihn in Kraft zu setzen, noch größer als jemals zuvor. Deswegen müssen wir uns fragen, wie wir dem Gedankengut des Vertrages helfen können. Unter diesem Aspekt stelle ich die Frage, wie klug es ist, den Vertrag jetzt fortlaufend einer Reihe von öffentlichen Hinrichtungen in Form von Referenden auszusetzen. Da halte ich es für bedeutend klüger, wenn wir eine Besinnungspause einlegen, um dem Vertrag eine Chance zu geben.

Diese Pause muss genutzt werden, um einige Fragen zu klären. Es ist jetzt und heute nicht die Zeit der Antworten und der Patentrezepte, sondern es ist die Zeit der Fragen. Eine Frage ist: Sind wir in Europa vielleicht an den Grenzen der Integration angelangt? Sind wir nicht auf dem Weg dazu, dass immer mehr Zuständigkeiten von den Mitgliedstaaten auf die Union übertragen werden, um sie dort in einem demokratisch etwas fragwürdigen, in jedem Fall intransparenten und hochbürokratischen Verfahren zu regeln, das dann kein Bürger mehr nachvollziehen kann?

Man möge in der Kommission einmal die Zahl der dort lagernden Richtlinienentwürfe überprüfen und auch nur eine einzige finden, in der sorgsam getrennt wird zwischen dem, was in Europa geregelt werden muss, und was man klugerweise der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten und ihrer Regionen überlässt. Ich wette, es gibt keine einzige Richtlinie, in der diese Art von Subsidiaritätskultur gepflegt wird. Diesen Fragen müssen wir uns zuwenden.

Die zweite Frage ist: Sind wir vielleicht an den Grenzen der Erweiterung angekommen? Kein Mensch weiß, wie weit die erweiterte Union reichen soll. Ukraine, Weißrussland, Marokko, Israel – alles ist schon diskutiert worden. Diese Grenzenlosigkeit erzeugt Unsicherheit und Unsicherheit erzeugt Ablehnung. Auch deswegen haben die Wählerinnen und Wähler nein gesagt. Unter diesem Aspekt war der Kandidatenstatus für die Türkei ein historischer Fehler der Union, über den wir noch gewaltig werden nachdenken müssen.

 
  
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  Nicola Zingaretti (PSE).(IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! In erster Linie erteilen uns die gegenwärtigen Ereignisse eine Lehre für die Zukunft. Diese Ratifizierungsmethode hat sich als ein Fehler erwiesen, und ein Referendum an ein und demselben Tag wäre besser gewesen. Hätten wir damals mehr Mut besessen, würden wir uns heute nicht in dieser Situation befinden.

Der Europäische Rat im Juni muss nun, wie gesagt worden ist, fähig sein, die Signale, die von dem Nein bei dem Referendum ausgesandt wurden, zu deuten und einen Ausweg zu finden. Es wird jedoch immer offenkundiger, dass sich zwei mögliche Lösungen bieten: Die Erste – das haben wir auch in diesem Haus gehört – heißt weniger Europa. Sie bedeutet Rückschritt, Verlangsamung, Abbrechen der Erweiterung, bis hin zu den Torheiten, die ich selbst in meinem Land über den Euro vernommen habe. Die Zweite bedeutet, eine neue Herausforderung zu starten, die mehr Europa beinhaltet – ich würde sagen, das reale Europa. Wenn wir allerdings wollen, dass diese zweite Lösung die Oberhand gewinnt, und ich will das, dann müssen wir erneuerungs- und veränderungsfähig sein und offen zugeben, dass wir jetzt für die Versäumnisse der letzten Jahre bezahlen: wir zahlen für die Versäumnisse von Nizza und von Lissabon sowie für den Mangel an entsprechenden Ressourcen, um unseren Ambitionen gerecht werden zu können.

Deshalb ist es richtig, weiter voranzuschreiten, so wie es richtig ist anzuprangern, welche Rolle nationaler Egoismus gespielt hat. Doch dieser Rückschlag muss uns dazu antreiben, die noch offenen Probleme entschlossen anzupacken, dann wird Europa wirklich wieder darauf hoffen können, den Ängsten, Unsicherheiten und Befürchtungen, die unsere Bürger heute hegen, erneut zu begegnen.

 
  
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  Othmar Karas (PPE-DE). Herr Präsident! Es geht eigentlich immer um die Frage: Nationalpopulismus oder europäische, soziale, solidarische Verantwortung? Daher möchte ich den Rat unter das Motto „Einkehr statt Umkehr“ stellen.

Ich verlange von Ihnen, dass Sie einen Verhaltenskodex für alle erarbeiten, die innenpolitisch Exekutive und europapolitisch Legislative sind, damit mit der Schuldzuweisung und der Doppelmoral Schluss gemacht wird. In Brüssel muss das Gleiche gesagt werden wie zu Hause. Man muss zur Mitverantwortung stehen, statt Schuld zuzuweisen. Man muss informieren, statt die Fragen und Ängste der Bürger zu ignorieren.

Ich erwarte von Ihnen, dass Sie neben der Erarbeitung dieses Verhaltenskodexes den Startschuss für eine Reflexionsphase geben, die zeitlich begrenzt ist, und dass Sie eine Informations- und Kommunikationsstrategie erarbeiten, die eine demokratische Debatte mit den Bürgern eröffnet, damit danach der Ratifizierungsprozess erfolgreich fortgesetzt werden kann.

(Beifall)

 
  
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  Jacques Toubon (PPE-DE).(FR) Herr Präsident! Die Situation, in der wir uns befinden, nennt sich Krise. Es wäre müßig und gefährlich, dies zu leugnen. Aber klarsichtig zu sein, bedeutet nicht, wild zu gestikulieren. Werfen wir doch nicht die Flinte ins Korn! Jedes Land muss seine Haltung zur Verfassung nach seinen eigenen konstitutionellen Regeln bestimmen. Inzwischen müssen wir über die Folgen des eindeutigen Ausbleibens einer einstimmigen Ratifizierung nachdenken, um so rasch wie möglich einen neuen Konsens über das politische Europa zu erzielen, das für uns unverzichtbar ist.

Was die Europäer durch ihr Votum und durch ihre Haltung zum Ausdruck gebracht haben und was eingehender analysiert werden muss, gebietet vor allem Änderungen in den europäischen Politiken und in der Art und Weise ihrer Umsetzung. Europa muss sich aus der Schizophrenie befreien, in der es täglich funktioniert. Die Entscheidungen sind supranational, die Debatten werden ausschließlich national geführt. Bei der Debatte in jedem einzelnen Land muss es künftig – was bei der Kampagne für das Referendum in Frankreich der Fall war – um die gemeinsamen Herausforderungen und die ureigensten Interessen Europas gehen.

Zunächst muss der Europäische Rat das System, so wie es ist, stabilisieren und deutlich machen, dass er die Botschaft voll verstanden hat. Vorrangig heißt das für mich: die Zentralbank zu überzeugen, dass sie ihren Leitzins senkt, denn das ist die Voraussetzung für Wachstum, ansonsten laufen wir Gefahr, an geldpolitischer Starrheit zugrunde zu gehen; eine politische Einigung über die Finanzielle Vorausschau zu erzielen; einige Rechtsetzungsprojekte zu streichen, die nicht einem realen Bedürfnis entsprechen; eine echte Industrie- und Wissenschaftspolitik zu betreiben; in den Fragen Asyl und Einwanderung, Justiz und der gemeinsamen Politik von Reden zu Entscheidungen und von Entscheidungen zu Taten überzugehen; die Einleitung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu verschieben, um in das Verhandlungsmandat die Perspektive einer privilegierten Partnerschaft aufzunehmen.

Herr Präsident, wir können die Krise überwinden und voranschreiten, wenn wir Demokraten sind. Machen wir die europäische Politik, die die Völker von uns verlangen!

 
  
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  Reinhard Rack (PPE-DE). Herr Präsident! Sehr viele Menschen in Europa sind unzufrieden. Sie fühlen sich von zu vielen Gesetzen überfordert und in zentralen Bereichen verunsichert: am Arbeitsmarkt, in den verschiedenen Systemen der sozialen Sicherheit und im Gefühl der subjektiven Sicherheit. Die Menschen reagieren, wo sie können und wie sie können. Sie sagen nein zum politischen Establishment bei Wahlen und sie sagen nein bei den Volksabstimmungen über die europäische Verfassung.

Die Politik muss in dieser Situation mit Ruhe und Augenmaß reagieren. Angesagt sind weder „business as usual“ noch Schnellschüsse und Überreaktionen. Verfehlt wäre es jedenfalls, die Verfassung zum Sündenbock zu machen. Sie ist nicht das Problem, sondern am ehesten noch der Ansatz zu einer besseren Lösung unserer Probleme in Europa und mit Europa. Die europäische Politik sollte sich daher die Mühe machen nachzudenken, wie wir diese Situation meistern.

Ich stimme denen zu, die den Ratifizierungsprozess für die Verfassung für eine bestimmte Zeit unterbrechen wollen. Damit könnte man den negativen Domino-Effekt stoppen. Dann aber sollte der Entscheidungsprozess wieder aufgenommen werden, vielleicht sogar in der zeitlich koordinierten Form einer gebündelten Entscheidung über die Verfassung. Eine Woche für Europa im kommenden Juli würde ich mir wünschen.

 
  
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  Íñigo Méndez de Vigo (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Es fällt mir nicht leicht und ich habe keine Freude daran, heute hier zu sprechen. Ich habe viel über die Position nachgedacht, die meine Fraktion und dieses Parlament zum Ratifizierungsprozess einnehmen sollten.

Ich glaube, Europa hat immer Fortschritte auf der Grundlage von Konsensen gemacht. Heute habe ich festgestellt – wie hier gesagt wurde –, dass es trotz der Tatsache, dass zehn Mitgliedstaaten die Verfassung ratifiziert haben, trotz der Tatsache, dass viele Europäer ihr zugestimmt haben, keinen Konsens gibt, dass wir uns vorwärts bewegen müssen. Ich beobachte, dass nicht über den Text der Verfassung, sondern über den politischen Kontext diskutiert wird. Deshalb ist das Schlimmste, das wir meiner Ansicht nach tun können, nicht aufmerksam die Realität zu beobachten und nicht zur Kenntnis zu nehmen, was die Menschen von uns fordern. Sie verlangen von uns, dass wir zuhören, diskutieren und einen Dialog führen.

Ich glaube heute wie auch gestern – vielleicht noch stärker als gestern –, dass die Verfassung für Europa notwendig ist; und da sie meines Erachtens notwendig ist und wir sie bewahren müssen, ist es doch nur folgerichtig – und dies ist die Position meiner Fraktion, der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten –, dass der Ratifizierungsprozess verschoben wird.

Wenn die Staats- und Regierungschefs einen einstimmigen Beschluss dazu fassen, können wir uns nach meiner Überzeugung alle Zeit lassen – vielleicht ein Jahr bis zum Ende der österreichischen Präsidentschaft –, um nachzudenken, was wir mit der Verfassung tun sollen, wie wir diese Dinge den Menschen erklären, wie wir den Kontakt mit ihnen wiederherstellen sollen.

Es sind Zeiten wie diese, die schwierigen und unerfreulichen Zeiten, in denen die Bedeutung der Menschen klar wird, wo wir nicht einfach die Hände in den Schoß legen und abwarten dürfen, was geschieht, sondern wo wir eher das tun sollten, was wir für das Beste halten, um umzusetzen, was unserer Meinung nach notwendig ist.

Nach meinem Dafürhalten ist die Verfassung notwendig. Und da dies eine schwierige Situation und eine schmerzliche Entscheidung ist, glaubt meine Fraktion nach gründlicher Überlegung, dass im Moment die beste Option in einer Verschiebung besteht.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. – (FR) Herr Präsident! Lassen Sie mich zunächst allen Abgeordneten für ihre Überlegungen, ihre Ratschläge und die dargelegten Standpunkte danken. Vor allem möchte ich das Parlament beglückwünschen: Weiter so! Wenn heute erneut über die Verfassung abgestimmt würde, wäre klar erkennbar, dass in diesem Parlament die Verfassung nicht tot ist, sondern sehr lebendig. Dies ist die Aufgabe für uns alle. Es ist eine schwierige Aufgabe, die wir aber mit Entschlossenheit und Hartnäckigkeit durchführen müssen.

All jene, die dem Konvent angehörten, haben sich in gewissem Maße einer Illusion hingegeben, denn wir haben wahrhaftig und ehrlich geglaubt, dass dieser Konvent in direktem starken Kontakt zu unserer Öffentlichkeit stand, zu dem, was unsere Mitbürger denken und wünschen. Wir wollten die Methode ändern, um einen Text, einen Vertrag und letztlich eine Verfassung zu erarbeiten. Heute müssen wir nun feststellen, dass der Konvent zwar enorme Verdienste hatte, jedoch nicht ganz diesen Erwartungen entsprochen und diese Neuerungen umgesetzt hat.

Eine erste Schlussfolgerung, die ich ziehen möchte, lautet, dass auf jeden Fall die demokratische Debatte, die in Europa in Gang gekommen ist, die durch diese Art von Krise, deren Bedeutung man heute nicht überbewerten sollte, ausgelöst wurde, weitergehen muss. Also nochmals, ob wir nun eine Pause einlegen oder nicht – und das ist eine wichtige Frage, die ich dem Präsidenten des Europäischen Rates vorlegen werde, bei dem ich mich auch zum Sprecher der verschiedenen Sensibilitäten und Einschätzungen machen werde, die in Ihrer Debatte zum Ausdruck kamen –, die Überlegungen, die es anzustellen gilt, können sich nicht allein auf die Regierungskabinette beschränken. Auf diese Weise werden wir nicht aus der aktuellen Krise herauskommen.

Ob Pause oder nicht, vor allem darf zu dem gegenwärtigen Unbehagen, das durchaus ein reales Unbehagen ist, nicht noch Konfusion hinzukommen. Wir müssen klare Entscheidungen treffen, wir müssen den Völkern und mit den Völkern sagen, welchen Ausweg wir sehen und für den besten halten. Ich schließe mich der Einschätzung an, dass es Sache jeder souveränen Nation ist – und als Luxemburger fühle ich mich direkt angesprochen, denn unser Referendum soll schon bald, am 10. Juli, stattfinden –, zu entscheiden, ob man sofort und unverzüglich weitermachen will, als sei nichts geschehen. Das ist eine Option. Vielleicht sollte man auf diesem Weg fortfahren. Wie dem auch sei, wenn wir eine Entscheidung treffen, müssen wir dies in aller Klarheit tun und keine Konfusion zulassen.

Die demokratische Debatte muss auf unsere Länder, auf unsere Parlamente ausgeweitet werden; sie muss mit den lebendigen Kräften unserer Länder, mit den Sozialpartnern geführt werden: Es gilt, die so lange verschwendete Zeit wieder aufzuholen. Parallel zu den nationalen Debatten muss es eine europäische Debatte geben. Ich kenne keine Zauberformel, aber auf jeden Fall ist dies der einzige Weg, um aus dieser Prüfung größer und stärker hervorzugehen. Ich teile voll die Auffassung des Kommissionspräsidenten, dass man einen neuen politischen Konsens anstreben muss, vor allem hier, in diesem Parlament, aber auch in unseren Mitgliedstaaten. Europa muss ein Ziel sein, aber auch Gegenstand eines grundlegenden Konsenses zwischen allen Demokraten, zwischen all jenen, die der Auffassung sind, dass Europa die Lösung ist und nicht das Problem. Wir müssen uns also zunächst über das Wesentliche verständigen und dann die politische Debatte über diese oder jene Orientierung eröffnen, in Gang setzen und zu Ende führen.

Ich glaube, Herr Präsident, dass Sie auf der Tagung des Europäischen Rates Gehör finden werden, weil Sie eine sehr nützliche Debatte geführt haben. Ich glaube, dass Ihre Botschaft zur Aufklärung derer beitragen wird, die nächste Woche eine Entscheidung zu treffen haben. Ich danke Ihnen nochmals: Sie haben vielleicht noch nicht die Lösung gefunden, aber Sie haben möglicherweise den Weg zu einer Lösung aufgezeigt.

(Beifall)

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. (FR) Herr Präsident! Zunächst möchte auch ich das Parlament beglückwünschen. Ich glaube, wir haben eine ernsthafte Debatte geführt. Ich habe verstanden, dass ausgehend von unterschiedlichen Positionen doch eine Anstrengung zu intellektueller Ehrlichkeit unternommen wurde, um anzuerkennen, dass es ein Problem gibt, und um es ernsthaft und verantwortungsbewusst zu analysieren. Am Ende dieser Debatte ist jedoch ebenso klar geworden, dass es keine magische Lösung gibt und dass wir alle uns der großen Kompliziertheit dieses Problems bewusst sind.

Wenn die Situation kompliziert und schwierig ist, müssen wir eine Wahrheit akzeptieren, die durch die Politikwissenschaft seit der Antike weitergegeben wurde: Das ist die Zurückhaltung. Ich weiß, dass wir heute in einer Gesellschaft leben, in der wir – auf Grund der Allgegenwart der Medien – der Diktatur der Aktualität und der Dringlichkeit unterliegen. Jedoch sind wir verantwortungsbewusste Politikerinnen und Politiker und müssen Zurückhaltung üben. Das ist auch eine große politische Tugend. Deshalb müssen wir uns vielleicht die Zeit für eine gute und gründliche Analyse, für eine gute Debatte und eine kollektive Lösung nehmen und die Bedingungen dafür schaffen.

Meiner Meinung nach lassen sich allerdings aus der heutigen Debatte einige Schlussfolgerungen ziehen. Ich habe festgestellt – und das wurde gerade in den Schlussfolgerungen des amtierenden Ratspräsidenten unterstrichen –, welch positive Aufnahme die Idee eines intensiveren Dialogs im europäischen Rahmen, im nationalen Rahmen, eines Dialogs sogar über die politischen Institutionen hinaus, gefunden hat. Wenn man sich auf dieses Prinzip einigen kann, dann besteht eine wichtige Idee darin, dass Europa die Augen nicht vor dem negativen Ergebnis in zwei so wichtigen Ländern wie Frankreich und den Niederlanden verschließt, dass Europa zuhört, dass die Institutionen, die Politiker zuhören und verstehen wollen, was geschieht, und darauf antworten wollen, indem sie Lösungen finden. Ich glaube, in diesem Punkt gab es eine ziemlich umfassende Einmütigkeit zugunsten dieser Idee. Auch zugunsten der Anerkennung – ich glaube dazu bestand auch Einmütigkeit – der gemeinsamen Verantwortung aller Akteure und der Notwendigkeit, gemeinsam nach einem neuen Konsens zu suchen, um Europa voranzubringen.

Denn es gibt noch eine dritte Vorstellung, zu der meines Erachtens mehr oder weniger Einmütigkeit besteht, dass wir nämlich eine Lähmung vermeiden müssen. Wir haben ein institutionelles Problem. Jedoch hat niemand davon gesprochen, das europäische Projekt sei gelähmt, niemand hat gesagt, dass Europa nun aus diesem Grunde am Ende sei, dass man die Programme, die die Menschen, die Bürger interessieren, in den Bereichen Wachstum, Beschäftigung, Bekämpfung der Unsicherheit, Bekämpfung der Kriminalität nicht weiterführen könne.

Wir müssen weiter voranschreiten. Die Bürger erwarten trotz der institutionellen Auseinandersetzung und der verfassungsrechtlichen Diskussionen konkrete Antworten. Wenn man das akzeptiert, wenn man die Idee der Ablehnung der Lähmung Europas akzeptiert, wenn man die Idee einer echten europäischen Debatte, die Idee der Anerkennung der gemeinsamen Verantwortung für einen neuen Konsens in Europa akzeptiert, kann man zu Recht erwarten, dass der Europäische Rat einen neuen dynamischen Konsens erreichen kann, mit der erneuten Bekräftigung des Willens, unsere gemeinsame Sache voranzubringen, aber auch, dass – unabhängig von der neuen Sicht Europas, die wir brauchen – konkrete Antworten auf konkrete Probleme gefunden werden müssen.

Welches ist nun unser vordringlichstes konkretes Problem? Das ist der europäische Haushalt, das ist die Notwendigkeit, in einem Geiste des Kompromisses einen Konsens zur Finanziellen Vorausschau zu erzielen. Ich glaube, dass dies ein sehr starkes Signal wäre, das der Europäische Rat an alle Europäer aussenden könnte, das Signal, dass Europa nicht stehen bleibt! Gewiss gibt es Schwierigkeiten, aber wir sind, das möchte ich wiederholen, in der Lage, diese Schwierigkeiten zu überwinden.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich.(PT) Die Maske ist gefallen!

Nachdem der so genannten „europäischen Verfassung“ in Frankreich und den Niederlanden eine erfolgreiche Absage erteilt wurde, ist klar, dass die führenden politischen Seilschaften in der EU – nämlich die Rechte und die „Sozialdemokraten“ – und die von ihnen vertretenen Interessengruppen – die großen Wirtschafts- und Finanzvereinigungen – in den Referenden lediglich einen Akt sahen, bei dem das Volk abnicken kann, was diesen Kräften und Interessengruppen genehm ist.

Jetzt herrscht große Verwirrung in ihren Reihen.

Einige wollen den Prozess der „Ratifizierung“ fortsetzen, um den aufmüpfigen Bürgern letztendlich neue Referenden aufzuzwingen (bis sie Ja sagen); andere dagegen wollen bei dem Gedanken an weitere Referenden mit negativem Ausgang – und nur deshalb – zuerst in Erfahrung bringen, wie sich eine Wiederholung des Debakels in Frankreich und den Niederlanden vermeiden lässt.

Niemand will also diese heiße Kartoffel, solange noch kein Geheimrezept dafür entdeckt ist, wie man die „europäische Verfassung“, ob nun neu bearbeitet oder nicht, retten kann. Das aber kann dauern.

In Portugal bestehen die Sozialistische Partei, die Sozialdemokratische Partei und die Koalition Força Portugal ungeachtet dessen, dass die Ereignisse sie längst überholt haben, immer noch darauf, zeitgleich mit den Kommunalwahlen ein Referendum zu der bereits zwei Mal abgelehnten „europäischen Verfassung“ abzuhalten, das garantiert zur Farce geraten und die Möglichkeit einer offenen und konstruktiven Diskussion im Keim ersticken würde.

In Anbetracht dessen gibt es nur eine sinnvolle Lösung: die „europäische Verfassung“ endgültig zu Grabe zu tragen.

 
  
  

(Die Sitzung wird um 11.50 Uhr unterbrochen und um 12.00 Uhr wieder aufgenommen.)

 
  
  

VORSITZ: JOSEP BORRELL FONTELLES
Präsident

 

4. Begrüßung
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  Der Präsident. Ich möchte Herrn Woronin, Präsident der Republik Moldau, sowie die ihn begleitende Delegation willkommen heißen.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, wird Moldau, wenn Rumänien der Europäischen Union beitritt, ein direkter Nachbar unserer Union sein. Deshalb, Herr Präsident, arbeitet die Union aktiv an der Vertiefung der Beziehungen mit Moldau, wie ich zuvor sagte. Der zwischen der Europäischen Union und Moldau vereinbarte Aktionsplan, mit dessen Umsetzung wir unlängst begonnen haben, ist ein gutes Instrument für die weitere Entwicklung dieser Beziehungen.

Herr Präsident, ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Aufenthalt in unserer Institution.

 

5. Zusammensetzung der Fraktionen: siehe Protokoll

6. Abstimmungsstunde
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Abstimmung.

(Die Ergebnisse und weitere Einzelheiten der Abstimmung: siehe Protokoll.)

 

7. Misstrauensantrag gegen die Kommission
  

Vor der Abstimmung:

 
  
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  Jens-Peter Bonde (IND/DEM).(DA) Herr Präsident! 90 Mitglieder des Europäischen Parlaments haben einen Misstrauensantrag gegen die Kommission unterzeichnet, weil dies für uns das einzige Mittel war...

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Der Präsident. Herr Bonde, ich habe Ihnen das Wort entzogen, weil dies nicht der Zeitpunkt für Erklärungen ist. Wenn Sie zur Geschäftsordnung sprechen möchten, sagen Sie mir bitte, auf welchen Artikel Sie sich berufen.

 
  
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  Jens-Peter Bonde (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Ich habe eine Bemerkung zur Geschäftsordnung. Das angewandte Verfahren ist in Artikel 100 der Geschäftsordnung festgelegt und hier geht es um die Auslegung der Geschäftsordnung.

 
  
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  Der Präsident. Berufen Sie sich auf Artikel 100 zur Auslegung der Geschäftsordnung? Warten Sie bitte einen Moment.

 
  
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  Jens-Peter Bonde (IND/DEM).(DA) Herr Präsident! 90 Mitglieder des Europäischen Parlaments haben einen Misstrauensantrag gegen die Kommission unterzeichnet...

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Der Präsident. Herr Bonde, Sie sind nicht berechtigt, unter Berufung auf Artikel 100 zu sprechen. Darin findet sich kein Hinweis auf Wortmeldungen zur Geschäftsordnung.

 
  
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  Jens-Peter Bonde (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Es geht hier darum, wie wir die Geschäftsordnung auslegen. Ich habe mit dem Generalsekretär eine Redezeit von einer Minute vereinbart. Das reicht in der Regel für einen Fraktionsvorsitzenden aus.

 
  
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  Der Präsident. Gut, Herr Bonde, erklären Sie mir das Problem, das Sie mit Artikel 100 haben.

 
  
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  Jens-Peter Bonde (IND/DEM).(DA) Herr Präsident! Das Problem besteht darin, dass 90 Mitglieder des Europäischen Parlaments einen Misstrauensantrag gegen die Kommission unterzeichnet haben, weil er das einzige Mittel darstellte, um zu gewährleisten, dass der Kommissionspräsident dem Parlament gegenüber den Zusammenhang zwischen der Annahme eines Geschenks im Wert von 20 000 bis 25 000 Euro von seinem Freund und der einen Monat später getroffenen Entscheidung erklärt, diesem eine regionale Beihilfe in Höhe von 10 Millionen Euro zu bewilligen. Zudem haben wir in dem Antrag unsere Bereitschaft erklärt, diesen zurückzuziehen, wenn wir eine vernünftige Erklärung erhalten.

Wir haben eine Erklärung erhalten, doch hat der Parlamentspräsident inzwischen entschieden, dass - anders als im eigentlichen Misstrauensantrag gewollt - über den Antrag abgestimmt werden muss. Wir begrüßen es, dass künftig Misstrauensanträge angenommen werden müssen, wenn sie die Unterschriften von 74 Abgeordneten tragen; daraufhin werden sie automatisch zur Abstimmung gestellt. Der Antrag wurde jedoch nach der alten Geschäftsordnung eingereicht. Daher werden sich einige von uns bei der Abstimmung über den Antrag der Stimme enthalten, was jedoch nicht bedeutet, dass wir mit der Antwort der Kommission zufrieden sind. Vielmehr halten wir die während der Aussprache geleisteten Zusagen für ein positives Zeichen, und wir werden die Angelegenheit im Haushaltskontrollausschuss weiter verfolgen und auch künftig für vollständige Offenheit im Hinblick auf Geschenke kämpfen...

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Der Präsident. Danke, Herr Bonde. Ich stelle fest, dass dies nichts mit einem Geschäftsordnungsantrag zu tun hat. Nehmen Sie bitte Platz. Praktizieren Sie hier keine Verschleppungstaktik. Was Sie anführen, ist in keiner Weise eine Frage zur Geschäftsordnung.

 

8. Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union 2007-2013
  

Vor der Abstimmung:

 
  
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  Reimer Böge (PPE-DE), Berichterstatter. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten bei der Abstimmung im Nichtständigen Ausschuss am 10. Mai etwa 620 Änderungsanträge zu bearbeiten und darüber abzustimmen. Auf der Grundlage der 620 Änderungsanträge im Nichtständigen Ausschuss hatte ich dem Ausschuss 44 Kompromissänderungsvorschläge vorgelegt, von denen 41 angenommen wurden.

Ich möchte Sie bitten, bei Ihrer Abstimmung Folgendes zu berücksichtigen: Wir haben aufgrund der Abstimmung die Notwendigkeit, drei technische Anpassungen vorzunehmen, um den Text und die Tabelle des Zahlenwerkes kohärent zu machen. Es geht um folgende technische Anpassungen bei den Zahlen: in Ziffer 50 siebter Spiegelstrich und neunter Spiegelstrich. Im siebten Spiegelstrich müsste der Betrag 4,5 Milliarden Euro durch den Betrag 4,7 Milliarden Euro ersetzt werden. Der Betrag von 2,5 Milliarden Euro im siebten Spiegelstrich wäre zu ersetzen durch den Betrag von 2,7 Milliarden Euro. Im neunten Spiegelstrich ist – auch im Sinne der notwendigen technischen Anpassung – der Betrag von 1,5 Milliarden Euro durch den Betrag von 1,2 Milliarden Euro zu ersetzen. So weit die notwendigen technischen Anpassungen, um Text und Tabelle kohärent zu haben.

Dann möchte ich darauf hinweisen, dass es einen Änderungsantrag 6 zu Ziffer 31 gibt. Ich würde darum bitten, den zweiten Teil des Änderungsantrags 6, wenn er angenommen wird, als Ergänzung zu Ziffer 31 zu akzeptieren. Es geht um den Teil des Änderungsantrags, der auf Englisch lautet: „considers that allocation of funding should fall under the „normal“ EU budget and thus under the discharge authority of the EP;“. So weit zu diesem Änderungsantrag.

Drittens möchte ich aufgrund von soeben noch geführten Gesprächen meine Fraktion bitten, entgegen der Stimmliste bei der Ziffer 50 zweiter Spiegelstrich dem Änderungsantrag 19 der Sozialdemokratischen Fraktion zu folgen und ihn zu unterstützen. Es handelt sich hier letztendlich nur um eine leichte Nuancierung, die meine Intention als Berichterstatter nicht verändert.

 
  
  

– Nach der Abstimmung:

Der Präsident. Wir nehmen Ihre Bemerkungen zur Kenntnis, die natürlich in den zur Abstimmung vorliegenden Text aufgenommen werden.

Gestatten Sie mir bitte einige Kommentare zur Bedeutung, die die Abstimmung des Parlaments über diese Entschließung hat. Wir wissen alle, dass die europäischen Institutionen in den nächsten Tagen die schwere und verantwortungsvolle Aufgabe haben, eine Einigung über die Prioritäten der Europäischen Union für die kommenden Jahre zu erzielen und die erforderlichen Finanzmittel dafür zur Verfügung zu stellen.

Das Parlament hat seine Position definiert, für die wir gerade mit großer Mehrheit gestimmt haben. Während unserer gestrigen Debatte sagte uns Präsident Barroso, dass er trotz einiger Differenzen mit dem Vorschlag des Parlaments gut leben kann, weil das, wofür wir gerade gestimmt haben, und der Vorschlag der Kommission nicht so weit auseinander liegen.

Meiner Meinung nach müssen die Mitgliedstaaten alles in ihrer Macht Stehende tun, um am 16. und 17. Juni zu einer Einigung zu gelangen, und ich glaube, dass wir auf die Anstrengungen der luxemburgischen Präsidentschaft vertrauen können.

Minister Schmit vertritt den Standpunkt, dass der Ansatz des Parlaments realistisch und aus einem Guss ist. Meines Erachten befinden wir uns in einer Lage, in der wir verlangen können, dass auch der Rat Realismus, Engagement und Konsequenz zeigt, damit die Europäische Union funktionsfähig bleibt.

Schließlich sollten wir uns alle darüber im Klaren sein, dass die Union, wenn es keine Finanzielle Vorausschau gibt, auf der Grundlage des jährlichen Haushaltsverfahrens nach Artikel 272 des derzeitigen Vertrags arbeiten würde, der dem Parlament einen sehr großen Handlungsspielraum bietet. Das Parlament würde ihn nutzen, aber da dies zu Konflikten führen könnte, die wir zwischen den beiden Zweigen der Haushaltsbehörde nicht wollen, möchten wir den Rat nochmals dringend ersuchen, zu einer Vereinbarung zu kommen, mit der das Parlament leben kann.

(Beifall)

 
  
  

VORSITZ: ALEJO VIDAL-QUADRAS ROCA
Vizepräsident

 

9. Überwachung der Verbringung von Barmitteln

10. Verbrauchsteuerpflichtige Waren

11. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
  

– Vor der Abstimmung:

 
  
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  Jean-Marie Cavada (ALDE).(FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Nach den Volksbefragungen in den beiden Ländern, die Nein zum Verfassungsvertrag gesagt haben, erweist sich eine demokratischere Strategie als notwendig. Auf dem Terrain, das uns derzeit beschäftigt, ist es an der Zeit, dies zu beweisen. Zunächst möchte ich fordern, dass der Rat aufgefordert wird, wie unter Ziffer 4 der Entschließung vorgeschlagen, die Positionen der nationalen Delegationen im Rahmen des Rechtsetzungsprozesses unter Angabe der jeweiligen Namen zu nennen, einschließlich des Berichterstatters des Parlaments, anstatt sie mit der bizarren Begründung, die Effizienz des Entscheidungsprozesses der Institution schützen zu wollen, geheim zu halten.

Zweitens zielt der Text darauf ab, dass die Debatten des Rates öffentlich geführt werden, wenn er als Gesetzgeber handelt, was uns insbesondere ermöglichen würde, zu erfahren, was er von den Änderungsvorschlägen des Europäischen Parlaments hält. Ich stelle beispielsweise fest, dass die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zum Rahmenbeschluss über den Rassismus aus dem Jahre 2002, das heißt von vor drei Jahren, noch immer nicht vom Rat „Justiz“ erörtert wurde – zumindest nicht in der letzten Woche.

Drittens zielt der Text, wie es in den Ziffern 5 und 6 dieser Entschließung heißt, darauf ab, das Europäische Parlament bei der Aushandlung von internationalen Übereinkommen durch die Europäische Union einzubeziehen, denn diese Abkommen werden nicht einmal den nationalen Parlamenten vorgelegt. Schließlich möchte ich daran erinnern, dass dieses Parlament bereits auf der vorangegangenen Sitzung gefordert hat, im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens in die Schaffung der künftigen Grundrechteagentur einbezogen zu werden.

Schließlich können wir die katastrophale Finanzielle Vorausschau zu diesem Kapitel nur bedauern. Als Berichterstatter sowie im Namen des Ausschusses, dem vorzustehen ich die Ehre habe, bitte ich den Parlamentspräsidenten, diese Forderungen dem nächsten Europäischen Rat und der künftigen britischen Präsidentschaft vorzulegen. Wir hatten bei der Ernennung der neuen Kommission eine Überarbeitung der Transparenzvorschriften gefordert. Die Antwort war, dies sei verfrüht. Nun muss ich angesichts der internationalen Abstimmungsergebnisse feststellen, dass es möglicherweise zu spät ist. Jemand muss die Verantwortung hierfür übernehmen.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. Vielen Dank, Herr Cavada. Ihre Anliegen werden von der Präsidentschaft ordnungsgemäß bearbeitet.

 

12. Schutz von Minderheiten und Antidiskriminierungsmaßnahmen in einem erweiterten Europa
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  Der Präsident. Meine Damen und Herren, es bleiben zwei Berichte übrig: der Bericht Gaubert und der Bericht Bowis. Es ist jetzt 13.15 Uhr. Wenn Sie einverstanden sind – und selbstverständlich nur mit Ihrem Einverständnis –, könnten wir die Abstimmung über diese beiden Berichte auf morgen vertagen.

(Das Parlament stimmt diesem Vorschlag zu.)

 

13. Stimmerklärungen
  

– Misstrauensantrag gegen die Kommission (B6-0318/2005)

 
  
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  Bruno Gollnisch (NI).(FR) Wenn die Abgeordneten, die der Coordination des droites européennes angehören, nicht an der Abstimmung über den Misstrauensantrag teilgenommen haben, so taten sie dies nicht aus politischer Sympathie für die Kommission, sondern weil der Antrag falsch präsentiert und schlecht begründet war.

Wir wären durchaus bereit gewesen, Herrn Barroso für seine politischen Handlungen abzustrafen, vor allem für die Hartnäckigkeit, mit der die Kommission sich weigert, dem klaren Votum Rechnung zu tragen, das unlängst durch das französische und das niederländische Volk zum Ausdruck kam. Wenn man jedoch die Ehrenhaftigkeit einer Person in Frage stellt, so muss man sich seiner Sache sicher und in der Lage sein, die Dinge bis zum Ende durchzustehen.

Das stillschweigende Abrücken von Herrn Bonde von seinem Misstrauensantrag, noch bevor darüber abgestimmt wurde, zeigt, dass dem nicht so war. Folglich mussten wir befürchten, dass ein solches übereiltes Vorgehen dem Misstrauensantrag schadet, der für die schweren Fälle vorbehalten bleiben muss, in denen meine Fraktion gewillt ist, ihn in Zukunft anzuwenden.

 
  
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  Jens-Peter Bonde, Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (DA) 90 Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben einen Misstrauensantrag gegen die Kommission unterzeichnet, da dies die einzige Möglichkeit war, den Präsidenten der Kommission zu veranlassen, sich in das Parlament zu begeben und den Zusammenhang zu erklären zwischen einer ihm geschenkten Reise im Wert von 20 000 bis 25 000 Euro und einer späteren Entscheidung, seinem Freund Spyros Latsis, der Nummer 54 auf der Liste der reichsten Menschen weltweit, Regionalbeihilfe in Höhe von 10 Millionen Euro bereitzustellen.

Wir schrieben in unserem Misstrauensantrag, dass wir besagten Antrag zurückziehen würden, wenn wir eine plausible Erklärung erhielten.

Wir erhielten eine Erklärung, doch der Präsident des Parlaments hatte in der Zwischenzeit beschlossen, dass wir, entgegen unseren Wünschen, über den Antrag abstimmen müssen.

Wir sind zufrieden, dass Misstrauensanträge künftig von dem Augenblick an angenommen werden müssen, in dem sie von 74 Personen unterzeichnet wurden, woraufhin sie automatisch zur Abstimmung gestellt werden.

Der Antrag wurde jedoch gemäß der alten Geschäftsordnung eingereicht. Daher werden einige von uns sich für eine Enthaltung entscheiden, wenn er zur Abstimmung vorgelegt wird.

Das bedeutet nicht, dass wir mit der Antwort der Kommission zufrieden sind, doch wir sind erfreut über die während der Aussprache gegebenen Versprechen und werden die Angelegenheit im Haushaltskontrollausschuss weiterverfolgen und weiterhin für eine völlige Offenheit kämpfen, was Geschenke und die Mitgliedschaft in den 3 000 geheimen Arbeitsgruppen der Kommission angeht.

 
  
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  Nigel Farage (IND/DEM), schriftlich. – (EN) Die heutige Abstimmung über den Misstrauensantrag war eine Farce. Das Parlament hat sich heute mit großer Mehrheit dafür entschieden, Herrn Barroso auf die Schulter zu klopfen und ihm zu versichern, wie gut er seine Arbeit doch macht. Für ihn und die anderen Kommissionsmitglieder bedeutet das, dass sie jede Form der Gastfreundschaft, ganz gleich von welcher Seite annehmen können, ohne fürchten zu müssen, dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Der Misstrauensantrag wurde nur deshalb eingebracht, weil Herr Barroso sich weigerte, Auskunft über die ihm erwiesene Gastfreundschaft zu geben und weil die großen Fraktionen sich uneinsichtig zeigten und keinerlei Kritik aufkommen lassen wollten. Doch trotz des massiven Drucks und der Schikanen haben wir es geschafft, eine Debatte darüber zu führen und das ist ein kleiner Sieg für die Transparenz. Das Schweigen von Herrn Barroso zu den entscheidenden und direkten Fragen über die Latsis-Gruppe und die Verbindungen zur EU ist ein eindeutiger Beweis dafür, dass keine geschäftlichen Verbindungen mehr bestehen.

Die heutige Abstimmung, die nie unser Ziel war, wird uns durch eine geänderte Auslegung der Geschäftsordnung aufgezwungen. Das müssen wir so hinnehmen. Das Europäische Parlament mag Vertrauen in Herrn Barroso haben, aber bei anderen Abstimmungen draußen in der realen Welt hat sich gezeigt, dass die Bürger Europas das Vertrauen in sein Projekt verloren haben.

 
  
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  Roger Helmer (NI), schriftlich. – (EN) Als Unterzeichner des Misstrauensantrags war es, wie im Antrag erläutert, meine Absicht, sicherzustellen, dass Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor dem Parlament erscheint, um zu der großzügigen Gastfreundschaft Stellung zu nehmen, die ihm ein griechischer Großreeder erwiesen hat. Dieses Ziel ist erreicht worden, und es wäre ebenso in meinem wie im Sinne der meisten anderen Unterzeichner gewesen, wenn der Antrag anschließend zurückgezogen worden wäre. Anscheinend war dies aber aus verfahrenstechnischen Gründen nicht möglich.

Da ich eine Abstimmung über diesen Antrag zu keiner Zeit für wünschenswert gehalten habe, erschien es mir nur logisch, mich bei der Abstimmung der Stimme zu enthalten.

 
  
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  Kartika Tamara Liotard, Erik Meijer, Esko Seppänen, Jonas Sjöstedt, Eva-Britt Svensson (GUE/NGL), schriftlich. – (EN) Staatsbeamte, ob sie nun bei der Europäischen Union oder bei einer Kommunalbehörde angestellt sind, dürfen keinerlei Zuwendungen annehmen. Sie müssen Interessenskonflikte vermeiden, wie sie zum Beispiel durch Verbindungen zur Wirtschaft entstehen könnten, aus denen sich persönliche Vorteile ergeben könnten. Im Fall von Herrn Barroso, dem Präsidenten der Europäischen Kommission, sind Zweifel in Bezug auf solche Verbindungen zur Wirtschaft aufgetreten. Daher haben wir einen Misstrauensantrag unterzeichnet, dessen konkretes und alleiniges Ziel darin bestand, eine Aussprache in einer Plenarsitzung zu erreichen. Diese Aussprache hat zwar bereits am 25. Mai stattgefunden, aber die bisherigen Auskünfte von Herrn Barroso waren für uns alles andere als zufrieden stellend. Wir sind der Auffassung, dass es Herrn Barroso von einer Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments zu leicht gemacht worden ist, diese Kritik nicht ernst zu nehmen. Inzwischen haben wir neue Informationen über die Verbindungen von Herrn Barroso zum besagten Unternehmen erhalten. Diese Informationen reichen zwar noch nicht aus, um eine Abstimmung über diesen Misstrauensantrag zu erreichen, aber das könnte zu einem späteren Zeitpunkt durchaus der Fall sein. Wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, diesen Misstrauensantrag zurückzuziehen oder zu verschieben, hätten wir davon Gebrauch gemacht. Doch da es offensichtlich nicht mehr möglich ist, diesen Antrag zurückzuziehen, haben wir beschlossen, uns bei der heutigen Abstimmung der Stimme zu enthalten.

 
  
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  Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Es ist mir nicht möglich, für den vorliegenden Misstrauensantrag zu stimmen.

Die Kommission und ihr Präsident haben im Zuge der Debatte um die Finanzielle Vorausschau eine sehr wichtige Arbeit geleistet. Folglich ist dieser gegen ihn gerichtete Angriff, dem jegliche Moral abgeht, nichts anderes als der Versuch, eine Gemeinschaftsinstitution zu unterminieren. Der Fehler in der Einstellung derer, die dahinter stehen, liegt darin, dass sie nicht etwa eine kontrastierende Meinung vertreten, sondern grundsätzlich Kontra sind, ohne irgendwelche konstruktiven Vorschläge zu unterbreiten.

Moralische Integrität geht mit einer verantwortungsbewussten Haltung einher, was bei diesem Misstrauensantrag eindeutig nicht der Fall ist.

 
  
  

– Bericht: Böge (A6-0153/2005)

 
  
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  Zita Pleštinská (PPE-DE).(SK) Ich habe für den Bericht Böge gestimmt, weil es meines Erachtens notwendig ist, nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden die Fähigkeit der EU unter Beweis zu stellen, durch ihre Organe tätig zu werden.

Das dem Rat ebenbürtige Parlament hat seine politischen Prioritäten hinsichtlich der Finanziellen Vorausschau klar und deutlich formuliert. Dem Berichterstatter ist es zu verdanken, dass mit äußerster Professionalität ein Rahmen erarbeitet wurde, der einen echten Gewinn bedeutet und in dem machbare und tragbare finanzielle Schwellen festlegt sind, die letzten Endes in spezielle Instrumente und Programme einfließen werden. Die Tatsache, dass für den Kohäsionsfonds weiterhin 4 % des BIP bereitgestellt werden, ist von großer Bedeutung für die neuen Mitgliedstaaten, erhalten sie doch somit eine nicht unerhebliche Summe für Kohäsions- und Strukturmaßnahmen. Zugleich wird im Geiste der Solidarität auf eine gerechtere Verteilung der Beiträge der Nettozahler geachtet.

Der Bericht Böge stellt einen annehmbaren Kompromiss zwischen dem großzügigen Vorschlag der Kommission und dem unzulänglichen Vorschlag des Rates dar. Die Herausforderung für den Rat besteht nun darin, solange Luxemburg noch den Ratsvorsitz innehat, durch seine einstimmige Billigung beim Gipfeltreffen im Juni, in jedem Fall aber spätestens bis Ende des Jahres, einen Abschluss der Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau zu ermöglichen.

 
  
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  Mairead McGuinness (PPE-DE). (EN) Herr Präsident! Ich möchte im Namen meiner Kollegen Frau Doyle, Herrn Mitchell, Herrn Coveney und Herrn Higgins in der irischen Delegation der PPE-DE-Fraktion zum Bericht von Herrn Böge Stellung nehmen. Wir gratulieren Herrn Böge zu seinem Bericht und unterstützen diesen in den wesentlichen Punkten. Dennoch möchte ich unsere Bedenken über die Finanzierung der Landwirtschaft zu Protokoll geben. Wir haben uns bei der Abstimmung unseren spanischen Kollegen angeschlossen und das bedeutet, dass der Rat etwaige Defizite ausgleichen muss und nicht die Mitgliedstaaten.

Vor dem Hintergrund der kürzlichen Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik wird die derzeitige Position des Parlaments, die eine Kofinanzierung vorsieht, bei unseren Landwirten und der ländlichen Bevölkerung wenig Zustimmung finden. Ich glaube, dass dies in einer Zeit, in der das Vertrauen der Öffentlichkeit in Europa erschüttert ist, ein falsches Signal ist und dass die Gemeinsame Agrarpolitik durch die Erwähnung der Kofinanzierung Schaden nimmt. Wir haben daher in diesem Sinne abgestimmt.

 
  
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  Gerardo Galeote Quecedo (PPE-DE). – (ES) Ich freue mich über die Position, die das Europäische Parlament zur Finanziellen Vorausschau eingenommen hat, und ich hoffe jetzt nur, dass der Rat seiner Pflicht nachkommen und am 17. zu einer Einigung gelangen wird. Aber einige von uns haben sich wegen einer prinzipiellen Frage der Stimme enthalten, und zwar akzeptieren wir nicht – nicht einmal hypothetisch –, dass die Vereinbarung von 2002 über die Gemeinsame Agrarpolitik wieder aufgeschnürt wird. Wir wollen sie wie vereinbart bis 2013 geschlossen lassen.

 
  
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  Francisco Assis, Fausto Correia, Edite Estrela, Emanuel Jardim Fernandes, Joel Hasse Ferreira, Jamila Madeira e Manuel António dos Santos (PSE), schriftlich. (PT) In Anbetracht

1. der politischen Gegebenheiten und der Notwendigkeit, die verschiedenen europäischen Partner am Aufbau eines stabilen Finanzrahmens zu beteiligen, der eine nachhaltige Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen gewährleistet;

2. der Tatsache, dass die europäischen Institutionen klar ihr Engagement für die Suche nach Lösungen für die Probleme der Bürger demonstrieren müssen;

3. der Notwendigkeit, sich gezielt um eine Übereinkunft zu bemühen, mit der sich die Mehrheit der 453 Millionen Bürger identifizieren können, damit sie wirklich in Vielfalt geeint werden;

4. der Tatsache, dass die Kohäsionspolitik Ausdruck der inneren Solidarität der EU ist und dass dieser Grundsatz trotz der derzeitigen Einschränkungen zumindest aufrechterhalten worden ist;

haben die portugiesischen Sozialdemokraten im Parlament für den Bericht Böge über die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 gestimmt.

 
  
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  Charlotte Cederschiöld, Lena Ek, Christofer Fjellner, Gunnar Hökmark, Anna Ibrisagic, Cecilia Malmström und Anders Wijkman (PPE-DE), schriftlich. (SV) Eine straffe Setzung von Prioritäten bezüglich der Ressourcen der Europäischen Union ist von entscheidender Bedeutung für die in Europa erforderlichen Veränderungen. Fragen der Erweiterung und der engeren Bindung der Mitgliedstaaten der Union aneinander muss Vorrang eingeräumt werden, ebenso wie der Bekämpfung der Kriminalität und der Umwandlung der EU in den wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt.

Die Beihilfen für die schwächsten Regionen benötigen ebenso große Aufmerksamkeit wie das Bestreben, den Forschungshaushalt der Union erheblich aufzustocken. Ferner ist der Rolle der EU bei den Klimafragen sowie im Kampf gegen Armut und Infektionskrankheiten ebenfalls Priorität einzuräumen. Wir akzeptieren keinen Anstieg der Verwaltungskosten um jährlich 3 %.

Niedrige Steuern auf Arbeit und für Unternehmen sind eine Voraussetzung für die Umwandlung Europas in eine erfolgreiche Wirtschaft. Das erfordert einen Spielraum in der Finanzpolitik der Mitgliedstaaten. Daher sind wir der Meinung, dass die vom Europäischen Parlament angenommenen Werte für Zahlungsermächtigungen und Verpflichtungsermächtigungen zu hoch sind. Zur Reduzierung des EU-Haushalts fordern wir eine Überarbeitung der Vereinbarung von 2002 bezüglich der Ausgaben für die Agrarpolitik sowie eine gründliche Überprüfung der Regionalbeihilfen mit neuen Prioritäten bei den ärmsten Regionen.

Aus diesen Gründen haben wir uns in der Schlussabstimmung der Stimme enthalten – und nicht dagegen gestimmt –, da wir wesentliche Teile des Vorschlags des Parlaments befürworten. Wir können jedoch die zu hohen Ausgaben nicht unterstützten, insbesondere nicht, da ihre Verteilung nicht mit unseren Prioritäten übereinstimmt.

 
  
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  Jean-Claude Fruteau (PSE), schriftlich. – (FR) Der Bericht von Herrn Böge stellt das Verhandlungsmandat des Parlaments mit Blick auf die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 dar.

Ich habe aus folgenden Gründen gegen diesen Bericht gestimmt:

1. Der Ratifizierungsprozess für den Verfassungsvertrag hat die Zweifel eines Teils der Völker hinsichtlich der Effizienz der europäischen sozioökonomischen Politiken deutlich gemacht. Nach meiner Überzeugung muss die Europäische Union über einen ambitionierten Haushalt verfügen, der den Gemeinschaftsinstanzen die Mittel in die Hand gibt, um diese Aufgabe zu erfüllen. Der Bericht Böge, der die Mittelzuweisungen auf 1,07 % des BNP festlegt, wird dieser Herausforderung nicht gerecht.

2. Die Logik der Haushaltsbeschränkung gefährdet die europäischen Verpflichtungen gegenüber den Landwirten. Sie gefährdet zugleich die Tragfähigkeit der GMO Zucker, deren Reform nicht finanziert werden kann. Ich kann nicht akzeptieren, dass die Landwirte zum Opfer der nationalen Egoismen werden, die im Bericht Böge zum Ausdruck kommen.

3. Die Einführung der Kofinanzierung, die den Weg zur Renationalisierung der GAP ebnet, ist aus meiner Sicht ein Zeichen für die Preisgabe der einzigen wirklich europäischen öffentlichen Politik zu einem Zeitpunkt unserer Geschichte, da Europa gestärkt werden muss, indem es seine Kräfte zum gegenseitigen Nutzen bündelt. Ein Rückfall in die nationalen Alleingänge würde den Graben zwischen den europäischen Völkern nur noch vertiefen.

 
  
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  Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (SV) Der schriftliche Vorbehalt von Herrn Wohlin zum Bericht Böge sowie Frau Goudins Rede in diesem Hohen Haus vom 7. Juni 2005 fassen die Gründe der Juniliste für ihre Ablehnung des Berichts sehr gut zusammen. Wir unterstützen die Forderungen der schwedischen Regierung und der anderen fünf Mitgliedstaaten nach Begrenzung des EU-Haushalts auf 1,00 % des BNE, sowohl bei den Zahlungsermächtigungen als auch den Verpflichtungsermächtigungen. Die Europäische Union muss ihre Verpflichtungen gegenüber den zehn neuen Mitgliedstaaten erfüllen, wobei diese Ausgaben jedoch im gegenwärtigen Finanzrahmen enthalten sind. Die Differenz zwischen unserer Forderung nach 1,00 % und dem Vorschlag des Europäischen Parlaments (und der Kommission) besteht darin, dass die EU-15 (mit Ausnahme Griechenlands und Portugals) vor allem auf die Beihilfen aus dem Kohäsionsfonds verzichten müssen. Die Juniliste begrüßt die Initiative bezüglich der Kofinanzierung und hofft, dass diese den Weg für eine zukünftige Renationalisierung, unter anderem der Agrarpolitik, freimacht. Wir unterstützen auch den Gedanken eines Korrekturmechanismus, der einen Ausgleich für die Länder schafft, die nach dem jetzigen System einen unproportional hohen Anteil an den Einnahmen der Union tragen. Dieser Korrekturmechanismus wird hoffentlich eine Alternative zum britischen Beitragsrabatt bilden.

Frankreich und die Niederlande haben durch ihre Ablehnung der Verfassung deutlich gemacht, dass sie eher weniger als mehr Überstaatlichkeit haben wollen. Ein schwedisches Veto im Rat gegen einen schlechten Kompromiss ist eine bessere Alternative als ein neuer langfristiger Haushaltsplan. Ein Nein zu diesem Bericht ist ein Ja zu mehr Subsidiarität.

 
  
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  Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Wir sagen Nein zu den Vorschlägen der Kommission und des Parlaments zur Finanziellen Vorausschau 2007-2013, weil sie erstens in politischer und finanzieller Hinsicht die Ziele der so genannten „europäischen Verfassung“ widerspiegeln, so beispielsweise das Primat des Wettbewerbs, den Ausbau der „Festung Europa“ und die Militarisierung der EU, und weil sie zweitens eine völlig unzureichende finanzielle Grundlage für die Förderung des „sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalts“ und die Bewältigung der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen der erweiterten EU bieten.

Wir sagen Nein, weil wir gegen jeden Versuch sind, den wirtschaftlich stärksten Ländern – oder vielmehr ihren großen Wirtschafts- und Finanzgruppen – dabei zu helfen, dass sie wieder einmal den weitaus größten politischen und materiellen Nutzen aus der EU ziehen können und dass ihre Interessen über die Interessen Portugals und des portugiesischen Volkes gestellt werden.

Wir sagen Nein, weil es darauf ankommt, dass wir der neoliberalen Politik der EU eine klare Absage erteilen und auf der Grundlage der Zusammenarbeit zwischen gleichermaßen souveränen Staaten eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung fördern, Arbeitsplätze schaffen und die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit sowie Armut, soziale Ausgrenzung und Einkommensungleichheit bekämpfen.

Daher lehnen wir den Bericht von Herrn Böge ab. Stattdessen befürworten wir die von unserer Fraktion vorgelegte alternative Entschließung zur Finanziellen Vorausschau 2007-2013, in der Vorschläge enthalten sind, die die Interessen Portugals wahren.

 
  
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  Satu Hassi, Anneli Jäätteenmäki, Henrik Lax, Lasse Lehtinen, Riitta Myller, Reino Paasilinna, Esko Seppänen, Hannu Takkula, Paavo Väyrynen ja Kyösti Tapio Virrankoski (ALDE), schriftlich. (FI) Erklärungen zur Abstimmung.

Wir haben gegen Änderungsantrag 26 gestimmt, weil er so zu interpretieren ist, dass die Nördliche Dimension der EU als Ostsee-Strategie neu formuliert werden soll. Wir befürworten die Schaffung einer Ostsee-Strategie für die Europäischen Union, diese sollte jedoch Teil der Nördlichen Dimension sein.

Wir hätten uns gewünscht, dass die Antragsteller einem mündlichen Änderungsantrag zugestimmt hätten, der die Bedeutung der Nördlichen Dimension und der Ostsee-Strategie ihrem wesentlichen Bestandteil herausgestellt hätte.

 
  
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  Marie Anne Isler Béguin (Verts/ALE), schriftlich. – (FR) Für Natura 2000 gibt es keine Haushaltsmittel!

Was in der Finanziellen Vorausschau nicht vorkommt, ist wieder einmal die Natur. In den zahlreichen Debatten räumten die Abgeordneten immerhin ein, dass Natura 2000 integraler Bestandteil der Politiken der Union sei, dass die ersten Erfahrungen der Verwaltung der Schutzgebiete positive Ergebnisse erbracht haben und mehr noch: dass sie ermöglicht hatten, die Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung in den Gebieten mit hohem biologischen Wert zu legen. Die Umwelt, die einst als ein Zwang empfunden wurde, erwies sich als ein Trumpf für eine neue Entwicklung auf der Grundlage der Berücksichtigung des Wertes des nationalen Naturerbes. Obwohl der Bericht die 21 Milliarden nennt, die für die Weiterführung von Natura 2000 im Zeitraum 2007-2013 erforderlich sind, kommt diese Zahl in keiner Haushaltslinie unter den geplanten Ausgaben vor. Mit einem im Plenum angenommenen Änderungsantrag ist es sogar gelungen, Natura 2000 aus den Mitteln für die Fischerei herauszustreichen!

Das bedeutet, dass es keine Politik gibt, um zur Umsetzung von Natura 2000 beizutragen. Bedeutet das, dass Natura 2000 mit der Finanziellen Vorausschau im Keim erstickt wird?

Die letzte Hoffnung für die Natur liegt derzeit im Fonds LIFE +. Das Europäische Parlament muss sein Versäumnis ausgleichen, indem es einen Natura 2000 gewidmeten Abschnitt in dieses Finanzinstrument für die Umwelt aufnimmt.

 
  
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  Timothy Kirkhope (PPE-DE), schriftlich. – (EN) Meine Kollegen von den britischen Konservativen und ich haben gegen diesen Bericht gestimmt, weil er keine Vorschläge zur Reform der Finanzen beinhaltet, die notwendig ist, damit die europäischen Steuerzahler eine bessere Gegenleistung für ihr Geld erhalten.

Jetzt ist kein guter Zeitpunkt, um eine Aufstockung der Mittel von den Mitgliedstaaten zu verlangen, weil die Öffentlichkeit den Haushalt der EU als Fass ohne Boden wahrnimmt. Stattdessen sollte die EU die Quantität ihrer Aktivitäten reduzieren, dafür aber ihre Qualität verbessern. Wir unterstützen deshalb die Festlegung einer Höchstgrenze für die Beiträge der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt bei 1 % des Bruttosozialprodukts. Die EU muss die Mittel, die sie erhält, transparenter und wirtschaftlicher einsetzen und damit vor allem das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand in Europa fördern.

Abschließend möchte ich sagen, dass die britische Regierung den Beitragsrabatt des Vereinigten Königreichs nicht für irgendwelche kurzfristigen Alternativen aufgeben darf. Wenn man die Bevölkerungszahl zugrunde legt, erhält das Vereinigte Königreich derzeit vermutlich die geringste Gegenleistung in der gesamten EU, und bei den Beihilfen für Infrastruktur und Landwirtschaft bekommt sie weniger als Staaten wie Frankreich und Italien. Dabei leistet Großbritannien bereits den zweitgrößten Beitrag zum Haushalt und ohne den Rabatt stünden wir an erster Stelle. Das ist wahrlich kein gutes Beispiel dafür, dass das Geld der britischen Steuerzahler gut angelegt ist!

 
  
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  Christa Klaß (PPE-DE), schriftlich. Landwirtschaft ist mehr als die Produktion von Lebensmitteln. Deshalb ist der Erhalt der Landwirtschaft in allen Mitgliedsstaaten eine wichtige Aufgabe der Europäischen Union. Sie stärkt die wirtschaftliche und die ländliche Entwicklung und ist Garant für eine gesunde Natur- und Kulturlandschaft. Eine finanzielle Unterstützung der Landwirte durch die Gemeinsame Agrarpolitik muss weiterhin gesichert werden. Dies muss sich in der langfristigen Finanzplanung der Union widerspiegeln. Durch den 2007 bevorstehenden Beitritt Bulgariens und Rumäniens wird sich die finanzielle Situation verschärfen. Eine Steigerung der Finanzausstattung der Agrarpolitik, die dieser Erweiterung Rechnung tragen würde, ist derzeit nicht vorgesehen. Vielmehr sieht der Entwurf eine Kürzung beziehungsweise Deckelung der Finanzmittel vor. Der Beitritt würde die Mittel weiter verringern, die für die Landwirte der bisherigen Mitgliedsstaaten vorgesehen sind. Sollten die finanziellen Mittel der Agrarpolitik nicht ausreichen, diesen Bedarf zu decken, müssen daher die einzelnen Mitgliedsstaaten in die Pflicht genommen werden. Ihnen fiele die Aufgabe zu, den Fehlbetrag für ihre Landwirte aufzubringen. Dies bedeutet keine Renationalisierung der Agrarpolitik, vielmehr eine langfristige Absicherung ihrer Finanzierung. Zur Bewahrung der Leistungen der Gemeinsamen Agrarpolitik kann in Zukunft die Beteiligung der Mitgliedsstaaten an den Kosten notwendig sein. Denn es ist nicht akzeptabel, dass die Erweiterung der Europäischen Union auf Kosten der Landwirte finanziert und dass das Agrarbudget als Steinbruch für andere Politiken gebraucht wird.

 
  
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  Stéphane Le Foll (PSE), schriftlich. – (FR) Ich enthalte mich zu diesem Bericht aus folgenden Gründen der Stimme:

- Ich bin Anhänger eines stärkeren und politischeren Europas. Das Europäische Parlament kann schwerlich einen Betrag für den allgemeinen Haushalt fordern, der unterhalb des Vorschlags der Kommission liegt. Man kann schwerlich mehr Europa wollen und dafür kein ausreichend ausgestattetes Budget vorsehen. Folglich scheint es mir notwendig zu sein, den Staats- und Regierungschefs, die die abschließende Entscheidung über die Höhe der Finanziellen Vorausschau zu treffen haben, einige deutliche Hinweise zu geben. Diese müssen Europa wirklich mit den Mitteln ausstatten, die seinen Ambitionen gerecht werden.

- Die Kofinanzierung des ersten Pfeilers der GAP muss abgelehnt werden. Sie bringt Ideen mit sich, die sich als zerstörerisch für eine der Gründungspolitiken der Europäischen Union erweisen könnten, und drängt sie in Richtung Renationalisierung. Sie löst in keiner Weise das Problem der unzureichenden europäischen Mittel, sondern erlegt die Last eines Teils der Ausgaben den Staaten und/oder den Gebietskörperschaften auf, ohne sicher zu sein, dass diese über die entsprechenden Mittel verfügen. Dies ist eine falsche Lösung für diejenigen, die sich weigern, Entscheidungen zugunsten einer besseren Verteilung der öffentlichen Subventionen in der Landwirtschaft und einer gründlicheren Überarbeitung der GAP im Sinne einer nachhaltigeren Landwirtschaft zu treffen.

 
  
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  Kartika Tamara Liotard und Erik Meijer (GUE/NGL), schriftlich. (NL) Als Mitglieder der Sozialistischen Partei der Niederlande haben wir keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Möglichkeit, dass der Europäischen Union der in den Verträgen festgelegte Höchstbetrag von 1,26 % des Bruttosozialprodukts zur Verfügung steht. Gelder, die gemeinsam für Demokratie, Umwelt, öffentliche Dienstleistungen, soziale Sicherheit und internationale Solidarität ausgegeben werden, sind sinnvoll angelegt. Eine Gesellschaft, die es versäumt, die dafür nötigen Mittel bereitzustellen, befindet sich permanent in der Krise. Obwohl wir kein Verständnis für all jene haben, die über den Rückzug des Staates Steuersenkung durchsetzen wollen, kritisieren wir dennoch, wie die EU Mittel ausgibt, die unnötigerweise in Regionen in den reichsten Mitgliedstaaten gepumpt werden, wobei ein Großteil der Landwirtschaftsgelder bei Großbauern landet und in Exportbeihilfen fließt. Und dann gibt es im Unterstützungsfonds für Naturkatastrophen plötzlich einen Terrorismusfonds. Das Europäische Parlament kostet aufgrund der beträchtlichen Auslagenerstattungen und des ständigen Pendelns zwischen zwei Städten unnötig viel Geld. Viele grenzüberschreitende Probleme, bei denen sich die EU als nützlich erweisen könnte, werden nicht gelöst, und viel Geld geht durch fragwürdige Ausgaben und durch Betrug verloren. Solange dieser Zustand anhält, haben wir wenig Grund, uns aktiv jenen zu widersetzen, die die Ausgaben auf 1 % senken wollen, auch wenn wir ihre oft egoistischen Ansichten und Argumente zurückweisen.

 
  
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  Diamanto Manolakou (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Es ist eine Schande, über die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 zu debattieren, besteht doch deren erklärtes Ziel in der Umsetzung des neuen Verfassungsvertrags, der abgelehnt und für untauglich befunden wurde und tot ist. Dass die Menschen in Frankreich und den Niederlanden die Verfassung verurteilt haben, hat mit ihren täglichen Erfahrungen mit der europäischen und einzelstaatlichen Politik zu tun, die für sie Entbehrungen, Arbeitslosigkeit, Inflation und Unsicherheit als Folge kapitalistischer Umstrukturierungen der Art bedeutet, wie sie in der Finanzielle Vorausschau 2007-2013 befürwortet werden. Diese Richtung wird eingeschlagen, um die Profite des europäischen Kapitals und die Plutokratie in den einzelnen Ländern zu schützen und zu stärken, einen Angriff auf grundlegende Rechte zu unternehmen und die Militarisierung der EU voranzutreiben, wobei es natürlich zahlreiche Mittelzuweisungen für Propagandazwecke und dafür gibt, Arbeitnehmer von ihren wahren Interessen abzulenken.

Die inneren Machtkämpfe zwischen den Imperialisten nehmen an Schärfe zu, der Handlungsspielraum wird zunehmend enger und die Ablehnung der „Europäischen Verfassung“ ist ein gutes und zuversichtlich stimmendes Zeichen.

Der für die Völker in der Union positive Ausgang dieser Referenden, den Sie – und das ist Ihre Pseudo-Demokratie – in Ihrem Standpunkt verächtlich machen, kann nicht durch einen Beschluss über die Finanzielle Vorausschau rückgängig gemacht werden, gegen den die Vertreter der Kommunistischen Partei Griechenlands in der Fraktion stimmen werden. Immerhin wird den Arbeitnehmern der Weg zu Ungehorsam und Widerstand gegen die Politik der EU gewiesen, und es eröffnen sich Perspektiven für den Kampf für ein Europa des Friedens, der Rechte für das Volk und des Sozialismus.

 
  
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  Eluned Morgan (PSE), schriftlich. – (EN) Ich möchte zu Protokoll geben, dass ich für die Beibehaltung des britischen Beitragsrabatts bin. Dieser Rabatt sollte solange gewährt werden, bis eine drastische Reduzierung der Ausgaben für die Landwirtschaft erfolgt ist.

 
  
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  Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Ich habe mich bei der Abstimmung über den vorliegenden Bericht der Stimme enthalten, weil er zum Teil Dinge enthält, die ich befürworte (den Vorschlag der Kommission), zum Teil jedoch von meinem eigenen Standpunkt kaum weiter entfernt sein könnte (die 1 % des BNE).

Da der in diesem Bericht enthaltene Vorschlag nicht mehr dem Standpunkt der Kommission (sowohl der Prodi-Kommission als auch der jetzigen) entspricht und zu einer ungerechtfertigten und inakzeptablen Kürzung der Gesamtbeträge führen würde, kann ich nicht dafür stimmen.

Ich kann aber auch nicht gegen den Bericht stimmen, denn die darin enthaltenen Vorschläge sind günstiger als die des Ratsvorsitzes – soweit Letztere publik wurden – und zweifellos besser als das Vorhaben der sechs größten Beitragszahler der Gemeinschaft, den Unionshaushalt auf 1 % des gemeinschaftlichen BNE zu begrenzen.

Daher ist mein Stimmverhalten als Votum für die Fortsetzung von Gesprächen anzusehen, die darauf abzielen, dass die EU ihre Zusagen in Bezug auf den Zusammenhalt und die Solidarität einhalten kann und dass der Finanzbedarf, der sich aus der Erweiterung und einem breiteren Spektrum von Zuständigkeiten ergibt, gedeckt werden kann, ohne dass dies zu Lasten anderer Haushaltsrubriken wie beispielsweise der Strukturfondsmittel geht.

 
  
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  Frédérique Ries (ALDE), schriftlich. (FR) Vertrauen wiederherstellen, Europa nicht größer, sondern besser machen - das ist eine der zentralen Botschaften, die eine Mehrheit der Bürger Frankreichs und der Niederlande letzte Woche ihren führenden Politikern übermittelt hat.

Zu unseren vorrangigen Aufgaben gehört es, unser Projekt, ja unsere Identität neu zu definieren und die Mittel, die wir dafür aufwenden wollen, besser einzusetzen.

Heute ist zu lesen, dass das zweifache Nein die Chancen einer Einigung der Regierungen über die Finanzielle Vorausschau vergrößere, so offenkundig sei die Notwendigkeit, Vertrauen wiederherzustellen, dem europäischen Projekt neue Kraft zu geben. Und ich frage mich, ob diese Aussicht für diejenigen, die sich wie ich ein ambitioniertes Budget wünschen, damit das Europa von morgen ein Erfolg wird, eine gute Nachricht ist.

Wie sollen wir unseren Ambitionen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Umwelt, Beschäftigung und Schutz der benachteiligten Regionen gerecht werden, wie soll die Erweiterung gelingen, wenn der „Club der sechs Geizhälse“ nicht einige Zugeständnisse macht? Das Europa der 25 kann mit weniger Geld als zu Zeiten der 15 nicht gelingen!

Seit den beiden Volksabstimmungen florieren die Versprechen: ein besseres Europa, ein Europa des Aufschwungs und der Beschäftigung usw. Das sind nichtige Versprechen, wenn das Budget nicht angemessen ist. Aus diesem Grunde habe ich für den Bericht Böge gestimmt, der von den Beträgen und den Orientierungen her ambitioniert ist!

 
  
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  Kathy Sinnott (IND/DEM), schriftlich. – (EN) Ich habe gegen Änderungsantrag 3 gestimmt, weil die Lissabon-Strategie ursprünglich auf der Basis der drei Bereiche Soziales, Umwelt und Wirtschaft aufgebaut war. Bei der Überarbeitung der Strategie wurden die Bereiche Soziales und Umwelt zugunsten einer Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt, die zum Markenzeichen der EU werden soll. Das ist ein Weg, der in die soziale und wirtschaftliche Stagnation führt und katastrophale Auswirkungen für die Umwelt hat.

Ich habe gegen Änderungsantrag 28 gestimmt, weil sich die EU damit aus der Verpflichtung zur Unterstützung der Landwirte zurückziehen könnte, indem sie die Länder zur Kofinanzierung von Regelungen wie der Betriebsprämie zwingt.

In Irland kämpfen die Landwirte schon heute unter künstlich erschwerten Wirtschaftsbedingungen um ihr Überleben. Mit dieser Regelung würde die Lage unserer Landwirte noch schwieriger werden.

 
  
  

– Bericht: Peillon (A6-0167/2005)

 
  
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  Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Ich habe für den Bericht gestimmt, weil ich seine Zielsetzungen befürworte und von der Realisierbarkeit der vorgeschlagenen Lösungen überzeugt bin.

Es wird heute allgemein anerkannt, dass die Bekämpfung der Geldwäsche – des Verbrechens der Verbrecher – eine der wirksamsten Vorgehensweisen gegen die große organisierte Kriminalität einschließlich des Terrorismus ist, die ja einen der schwersten Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit darstellt.

In Anbetracht dessen befürworte ich die in dem Bericht genannten Zielsetzungen. Ich bin der Auffassung, dass die interinstitutionelle Zusammenarbeit überdies zu einer Lösung geführt hat, die vernünftig, ausgewogen und potenziell realisierbar ist.

 
  
  

– Bericht: Rosati (A6-0138/2005)

 
  
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  Jan Andersson (PSE), schriftlich. (SV) Die gegenwärtigen Vorschriften zu den Verbrauchsteuern sind teilweise undeutlich und kompliziert anzuwenden. Sie führen zu unnötiger Mehrarbeit für Privatpersonen und Unternehmen. Daher begrüßen wir die Überprüfung der Vorschriften über verbrauchsteuerpflichtige Waren durch die Kommission. Gleichzeitig stehen wir einigen der Lösungsvorschläge der Kommission kritisch gegenüber. Aus diesem Grunde haben wir heute gegen die legislative Entschließung des Europäischen Parlaments gestimmt, die in großen Teilen auch die schlechteren Aspekte des Vorschlags der Kommission unterstützt hat.

Unserer Ansicht nach sollten nur die von einer Privatperson selbst transportierten Waren als Privateinfuhr gelten und damit von einer Besteuerung im Heimatland befreit werden. Es sollte die Möglichkeit bestehen, Tabak und Alkohol von der allgemeinen Vorschrift auszunehmen, dass die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat zu entrichten ist, in dem die für den Eigenbedarf erworbenen Waren verbraucht werden. Der Grund für unsere Haltung ist die Tatsache, dass Tabak und Alkohol die Volksgesundheit gefährden und daher nicht wie alle beliebigen anderen Waren zu behandeln sind.

Wir wenden uns auch dagegen, dass Privatpersonen selbst große Mengen Mineralöl transportieren können. Unseres Erachtens sollte auf umweltschädigende Waren eine Sonderverbrauchsteuer erhoben werden können. Auf diese Weise könnte die Wahl der Bürger in eine umweltfreundlichere Richtung gelenkt werden. Darüber hinaus werden sowohl der Verkehr als auch die Transportarten sicherer, wenn sie professionell durchgeführt werden.

 
  
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  Jan Andersson, Anna Hedh, Ewa Hedkvist Petersen, Inger Segelström und Åsa Westlund (PSE), schriftlich. (SV) Die gegenwärtigen Vorschriften zu den Verbrauchsteuern sind teilweise undeutlich und kompliziert anzuwenden. Das führt zu unnötiger Mehrarbeit für Privatpersonen und Unternehmen. Daher begrüßen wir die Überprüfung der Vorschriften über verbrauchsteuerpflichtige Waren durch die Kommission. Gleichzeitig stehen wir einigen der Lösungsvorschlägen der Kommission kritisch gegenüber. Aus diesem Grunde haben wir heute gegen die legislative Entschließung des Europäischen Parlaments gestimmt, die in großen Teilen auch die schlechteren Aspekte des Vorschlags der Kommission unterstützt hat.

Unserer Ansicht nach sollten nur die von einer Privatperson selbst transportierten Waren als Privateinfuhr gelten und damit von einer Besteuerung im Heimatland befreit werden. Es sollte die Möglichkeit bestehen, Tabak und Alkohol von der allgemeinen Vorschrift auszunehmen, dass die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat zu entrichten ist, in dem die für den Eigenbedarf erworbenen Waren verbraucht werden. Der Grund für unsere Haltung ist die Tatsache, dass Tabak und Alkohol die Volksgesundheit gefährden und daher nicht wie jede beliebige andere Waren zu behandeln sind.

Wir wenden uns auch dagegen, dass Privatpersonen selbst große Mengen Mineralöl transportieren können. Unseres Erachtens sollte auf umweltschädigende Waren eine Sonderverbrauchsteuer erhoben werden können. Auf diese Weise könnte die Wahl der Bürger in eine umweltfreundlichere Richtung gesteuert werden. Darüber hinaus werden sowohl Verkehr als auch Transporte sicherer, wenn sie professionell durchgeführt werden.

 
  
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  Lena Ek, Cecilia Malmström und Anders Wijkman (PPE-DE), schriftlich. (SV) Aus Gründen der Volksgesundheit habe ich heute gegen den Bericht Rosati über eine Änderung der Richtlinie über das allgemeine System verbrauchsteuerpflichtiger Waren wie Alkohol und Tabak gestimmt. Weder der Vorschlag der Kommission noch der Bericht des Europäischen Parlaments schützen die Volksgesundheit in dem Umfang, den ich als wünschenswert betrachte. Richtig angewandt und zusammen mit anderen Maßnahmen können die indikativen Grenzen eine wichtige Rolle bei der Entscheidung darüber spielen, ob eine Ware kommerziellen Zwecken oder dem privaten Verbrauch von Einzelpersonen dient. Zur Begrenzung der schädlichen Auswirkungen von Alkohol und zur Verringerung des Gesamtalkoholverbrauchs sollten diese indikativen Grenzen meines Erachtens beibehalten werden. Außerdem sollten besondere Anstrengungen zur Harmonisierung der Verbrauchsteuern mit dem expliziten Ziel einer Reduzierung der tabak- und alkoholbedingten Gesundheitsschäden unternommen werden.

 
  
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  Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (SV) Sowohl die Kommission als auch das Europäische Parlament wollen mit diesem Vorschlag die Möglichkeit begrenzter Einfuhrquoten für Alkohol und Tabak in der Praxis abschaffen. Die Juniliste enthält sich daher der Stimme bezüglich der Änderungsanträge des Ausschusses, da ein Nein eine Unterstützung des Vorschlags der Kommission bedeuten würde. Die schwedische, finnische und dänische Regierung befürworten stattdessen eine Halbierung der indikativen Grenzen, die als Obergrenzen für die Privateinfuhr betrachtet werden sollten. Die Juniliste unterstützt damit die Positionen der Regierungen Schwedens, Finnlands und Dänemarks im Rat. Glücklicherweise gehört diese Frage zu den Gebieten, bei denen Schweden noch immer ein Vetorecht im Rat besitzt, so dass dieser Vorschlag keine Bedrohung des gegenwärtigen Rechts darstellen dürfte.

 
  
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  Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Obwohl ich die Befürchtungen verstehen kann, zumal die Besteuerung ein heikles Thema ist, bin ich doch bei diesem spezifischen Aspekt für eine liberalere Lösung, die einen wirksamen Beitrag zur Errichtung des Binnenmarktes leistet. Dies gilt vor allem deshalb, weil es hier um Verbraucheraktivitäten und nicht um Unternehmenstätigkeit geht, wie klar zum Ausdruck gebracht wurde.

 
  
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  Peter Skinner (PSE), schriftlich. – (EN) Ich möchte den Präsidenten darüber informieren, dass sich die Labour Party im Europäischen Parlament bei der Schlussabstimmung über den oben genannten Bericht der Stimme enthalten wird.

Die Labour Party im Europäischen Parlament ist der Auffassung, dass ein Binnenmarkt für Waren, die von Privatpersonen gekauft werden, zwar wichtig ist, dass aber auch andere Fragen bei Entscheidungen über Verbrauchsteuern eine Rolle spielen.

Außerdem wird in diesem Bericht bei den Fernkäufen das damit zusammenhängende Konzept des elektronischen Geschäftsverkehrs nicht berücksichtigt.

Ein weiterer Punkt ist, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten sollten, die Verbrauchsteuersätze selbst festzulegen. Durch eine weitgehende Harmonisierung wird dieses Recht beeinträchtigt.

Der dritte Punkt ist, dass die indikativen Untergrenzen im Vereinigten Königreich ein verlässlicher Anhaltspunkt für den privaten Verbrauch sind und von den Behörden im Vereinigten Königreich zur Unterstützung bei der Betrugsbekämpfung herangezogen werden.

 
  
  

– Entschließungsantrag: Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (B6-0327/2005)

 
  
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  Carlos Coelho (PPE-DE), schriftlich. (PT) Wir stehen am Beginn der zweiten Phase der Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Bei der Erfüllung des Bedürfnisses der Bürger nach mehr Freiheit und mehr Sicherheit kommt es darauf an, in rechtlicher, vor allem aber in politischer und institutioneller Hinsicht das richtige Verhältnis zu finden.

Dies gilt vor allem für drei maßgebliche Fragen:

- Glaubwürdigkeit: Ich weiß um die Schwierigkeiten und Verzögerungen, die in einigen Bereichen aufgetreten sind. Sie zeigen, dass noch viel getan werden muss, um das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten zu stärken. Jedoch bin ich nicht der Ansicht, dass das optimale Vorgehen darin besteht, Initiativen außerhalb des Gemeinschaftsrahmens wie etwa Schengen+ (zwischen sieben Mitgliedstaaten) zu entwickeln, die die Bemühungen um gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten untergraben.

- Legitimierung: Der Stand der demokratischen Legitimierung ist erschreckend niedrig. Es kommt auf die wirkliche Einbeziehung des Parlaments in die Erarbeitung von Rechtsvorschriften an.

- Effektivität: Zielsetzungen, Prioritäten und Zuständigkeiten müssen klar festgelegt werden, um Doppelarbeiten und Mehraufwand zu vermeiden.

Eine Ursache für die Verschärfung des vorhandenen Demokratiedefizits war schließlich auch die Beibehaltung der geltenden Rechtsvorschriften in der Erwartung, dass die Verfassung ratifiziert würde. Es gibt mehrere klärungsbedürftige Fragen, die nicht angesprochen wurden, wie beispielsweise die demokratische Kontrolle von Europol und Eurojust.

 
  
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  Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (SV) Nach Ansicht der Juniliste sollte die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit auf zwischenstaatlicher Ebene erfolgen, das Strafrecht nicht auf EU-Ebene harmonisiert und keine europäische Staatsanwaltschaft eingerichtet werden. Die Asyl- und Einwanderungspolitik sollte auch weiterhin auf nationaler Ebene verbleiben, um die Schaffung einer Festung Europa zu verhindern. Außerdem sollten die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Kopenhagener Kriterien, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union selbst über die Gestaltung ihrer demokratischen Institutionen entscheiden können.

Aus diesen Gründen können wir die Entschließung nicht befürworten.

 
  
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  Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Die Schaffung eines großen offenen Raums ohne Grenzen, in dem Freizügigkeit herrscht, setzt eine verstärkte Zusammenarbeit und Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den politischen Instanzen, den Polizeibehörden und nicht zuletzt den Justizbehörden voraus.

Ich halte nicht jeden Vorschlag in diesem Bericht für wesentlich, notwendig, nützlich oder wünschenswert. Dennoch habe ich dafür gestimmt, da der Bericht meiner Meinung nach von der Überzeugung und dem Bewusstsein getragen ist, dass es ohne Zusammenarbeit, ohne Vertrauen und ohne ein gewisses Gemeinschaftselement in bestimmten Bereichen der Innenpolitik nicht möglich sein wird, den angestrebten Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen. Dies gilt insbesondere für die Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus, die einer seiner wichtigsten Aspekte ist.

 
  
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  Britta Thomsen (PSE), schriftlich. (DA) Die dänischen Sozialdemokraten im Europäischen Parlament haben heute für den Entschließungsantrag zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gestimmt. Wir sind uns jedoch der Tatsache bewusst, dass Teile des Entschließungsantrags in einen von Titel IV EG-Vertrag abgedeckten Bereich fallen und daher nicht für Dänemark gelten, vergleiche das Protokoll über die Position Dänemarks.

 
  
  

Bericht: Moraes (A6-0140/2005)

 
  
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  Philip Claeys (NI). (NL) Herr Präsident! Der Bericht Moraes ist wieder eines jener Dokumente, die voller guter Absichten stecken, in der Praxis jedoch meist das genaue Gegenteil dessen bewirken, was eigentlich beabsichtigt war. Ständig ist von Rassismus und Diskriminierung die Rede, obwohl diese Begriffe nicht genau definiert werden. Verständlicherweise wird es problematisch, wenn diese Begriffe dann in repressiven Gesetzen auftauchen, was hier empfohlen wird. Auf diese Weise wurde Belgiens größte politische Partei wegen eines Texts zur Beschneidung von Frauen mitverurteilt. Nach Ansicht des Gerichts wurde der Text nicht veröffentlicht, um die Situation der Frau im Islam zu verbessern, sondern um den Islam zu stigmatisieren. So wird die Meinungsfreiheit untergraben und werden Probleme tabuisiert. Natürlich wird man sie so nicht lösen.

Im Bericht ist von der Akzeptanz – ich zitiere – „zutiefst rassistischer, antisemitischer, islamfeindlicher und homophober Erklärungen und Aktionen prominenter Politiker und Regierungsmitglieder“ die Rede. In Wahrheit gehen fast alle antisemitischen Vorfälle auf das Konto islamischer Zuwanderer. In Wirklichkeit ist die so genannte Diskriminierung oft die Folge mangelnder Integrationsbereitschaft vonseiten der Zuwanderer. Im Grunde genommen wurde die einheimische Bevölkerung nie demokratisch gefragt, ob sie in einem multikulturellen Land leben will. Hier muss sich dringend etwas ändern.

 
  
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  James Hugh Allister (NI), schriftlich. – (EN) Ich habe gegen den Bericht von Herrn Moraes gestimmt, weil ich die Abschnitte 22 und 24 nicht akzeptieren kann. Ich kann es nicht unterstützen, dass die Heirat gleichgeschlechtlicher Paare und andere Rechte für homosexuelle Paare gefördert werden. Ich bin der Auffassung, dass ein Mitgliedstaat das Recht hat, solchen Partnerschaften die Gleichstellung mit heterosexuellen Partnerschaften zu verweigern. Ich unterstütze ausdrücklich die Familie als Einheit, die der natürlichen Ordnung gemäß auf der Partnerschaft zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts beruht, und ich achte den Wert der Familie für die daraus hervorgehenden Kinder.

 
  
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  Adam Jerzy Bielan (UEN), schriftlich. (PL) Einige Festlegungen in der endgültigen Fassung des Berichts Moraes zum Schutz von Minderheiten, die die Rechte von Minderheiten mit bestimmter sexueller Ausrichtung betreffen, bergen naturgemäß Risiken in sich, da die im Bericht verwendeten Begriffe sehr weit gefasst sind und zu einer allzu großzügigen Auslegung dieser Rechte führen könnten.

Die Formulierung in Ziffer 24, in der die Kommission aufgefordert wird, Hindernisse für die Freizügigkeit in der EU für verheiratete oder rechtlich anerkannte homosexuelle Paare zu beseitigen, könnte als Grundlage für die Anerkennung bestimmter Rechtsansprüche homosexueller Paare dienen, die nur in einigen wenigen EU-Mitgliedstaaten rechtlich anerkannt sind.

Das wäre ein ungerechtfertigter Eingriff in das Familienrecht mehrerer EU-Mitgliedstaaten. In Anbetracht dessen, dass dieser Bereich der Gesetzgebung nicht unter die Integrationsmaßnahmen fällt, wäre ein solcher Eingriff nicht hinnehmbar.

Die Rechte der Religionsschulen könnten unter Berufung auf Ziffer 22 eingeschränkt werden, wenn diese verpflichtet wären, Homosexuelle einzustellen und die Homosexualität in ihren Lehrplan für Sexualerziehung aufzunehmen. Dies würde womöglich dem Ethos, den Überzeugungen und der Mission dieser Schulen zuwiderlaufen. Ein gutes Beispiel für eine Richtlinie, in der diese Fragen keine Erwähnung finden, ist die Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000/78/EG)).

Obwohl das Parlament nachdrücklich zur Aufnahme eines Passus aufgefordert wurde, in dem das „Recht der Eltern, ihren Kindern Bildung in Übereinstimmung mit ihren religiösen Anschauungen zu bieten“ unterstrichen wird, hat es dies nicht getan. Dieses so formulierte Elternrecht ist allgemein anerkanntes internationales Recht.

Aufgrund dieser Entscheidungen des Parlaments habe ich mich entschlossen, gegen den Bericht und den Entschließungsantrag zu stimmen.

 
  
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  Carlos Coelho (PPE-DE), schriftlich. (PT) Entscheidend ist, dass wir ein integriertes und schlüssiges Konzept für die Bekämpfung von Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit anwenden und optimalen Nutzen aus dem Austausch von Erfahrungen und Bestlösungen ziehen. Gleichbehandlung und Achtung der Vielfalt liegen im Interesse der gesamten Gesellschaft.

Es wurden mehrere Richtlinien verabschiedet, die gewährleisten sollen, dass jeder Bürger wirksamen Rechtsschutz gegen alle Formen von Diskriminierung genießt. Doch obwohl ein solider Rechtsrahmen für die Bekämpfung der Diskriminierung geschaffen wurde, ist ein großes Problem noch nicht gelöst, und zwar die Gewährleistung seiner wirksamen und effizienten Anwendung.

Von größter Wichtigkeit ist der Schutz der Minderheiten, was insbesondere seit der letzten Erweiterung gilt, bei der mit der Zahl der Mitgliedstaaten auch die kulturelle und sprachliche Vielfalt enorm zugenommen hat. Die Rechtsvorschriften und die Politik der Gemeinschaft müssen einen Beitrag zu den Bemühungen dieser Mitgliedstaaten um die Lösung der Probleme der Minderheiten und insbesondere um ihre Integration und Teilhabe leisten.

Diskriminierung ist in jeder Form untragbar, doch können wir keinen Mitgliedstaat zwingen, seine Gesetze zu ändern und Bedingungen zu akzeptieren, die seinen moralischen und kulturellen Traditionen zuwiderlaufen. Es kommt darauf an, dass das Subsidiaritätsprinzip gewahrt bleibt und die Union und die Mitgliedstaaten ihre Verantwortung in dieser Menschenrechtsfrage gemeinsam wahrnehmen.

 
  
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  Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (SV) Eine effiziente Anti-Diskriminierungspolitik ist von großer Bedeutung, ebenso wie ein gut funktionierender Minderheitenschutz. Dies sind jedoch Fragen, die gemäß den Kopenhagener Kriterien jedem einzelnen Mitgliedstaat obliegen und daher nicht auf europäischer Ebene behandelt werden sollten.

Nach Ansicht der Juniliste sollten der Europäische Rat und der Europäische Gerichtshof die politische bzw. juristische Kontrolle dafür übernehmen.

 
  
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  Stavros Lambrinidis (PSE), schriftlich. – (EL) Die Vertreter der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung im Europäischen Parlament werden für den Bericht Moraes stimmen, ist doch die Gleichbehandlung, wie es im Bericht heißt, ein Grundrecht.

Zugleich wird darin festgestellt, dass die Mitgliedstaaten der Union unterschiedliche Definitionen für ethnische, nationale und religiöse Minderheiten und Gruppen haben, die in ihrem Hoheitsgebiet ansässig sind, wobei sich diese Definitionen aus nationalen Rechtsvorschriften und/oder internationalen Übereinkommen herleiten. Es darf unter keinen Umständen der Eindruck entstehen, dass die Rechts- und Verfassungsordnung der Mitgliedstaaten und die einschlägigen Bestimmungen des Völkerrechts durch den Bericht in Frage gestellt oder beeinträchtigt werden.

 
  
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  Marcin Libicki und Konrad Szymański (UEN), schriftlich. (PL) Die Formulierung in Ziffer 24, in der die Kommission aufgefordert wird, Hindernisse für die Freizügigkeit in der EU für verheiratete oder rechtlich anerkannte homosexuelle Paare zu beseitigen, könnte als Grundlage für die Anerkennung bestimmter Rechtsansprüche homosexueller Paare dienen, die nur in einigen wenigen EU-Mitgliedstaaten rechtlich anerkannt sind.

Das wäre ein ungerechtfertigter Eingriff in das Familienrecht mehrerer EU-Mitgliedstaaten. In Anbetracht dessen, dass dieser Bereich der Gesetzgebung nicht unter die Integrationsmaßnahmen fällt, wäre ein solcher Eingriff nicht hinnehmbar.

Die Rechte der Religionsschulen könnten unter Berufung auf Ziffer 22 eingeschränkt werden, wenn diese verpflichtet wären, Homosexuelle einzustellen und die Homosexualität in ihren Lehrplan für Sexualerziehung aufzunehmen. Dies würde womöglich dem Ethos, den Überzeugungen und der Mission dieser Schulen zuwiderlaufen. Ein gutes Beispiel für eine Richtlinie, in der diese Fragen keine Erwähnung finden, ist die Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000/78/EG)).

Obwohl das Parlament nachdrücklich zur Aufnahme eines Passus aufgefordert wurde, in dem das „Recht der Eltern, ihren Kindern Bildung in Übereinstimmung mit ihren religiösen Anschauungen zu bieten“ unterstrichen wird, hat es dies nicht getan. Dieses so formulierte Elternrecht ist allgemein anerkanntes internationales Recht.

Aufgrund dieser Entscheidungen des Parlaments habe ich mich entschlossen, gegen den Bericht und den Entschließungsantrag zu stimmen.

 
  
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  Αthanasios Pafilis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Der „Bericht zum Schutz von Minderheiten und den Maßnahmen gegen Diskriminierung in einem erweiterten Europa“ bietet alles außer der Grundaussage, dass die Diskriminierung von Frauen, Jugendlichen, zugewanderten ethnischen Minderheiten, Behinderten usw. in der Europäischen Union einerseits das Ergebnis von integrationsfeindlichen und herzlosen Maßnahmen ist und andererseits von einem tief greifenden Klassencharakter geprägt ist. Die Wirkung ist auf den beiden Seiten der sozialen Trennlinie nicht gleich; die Leidtragenden sind hauptsächlich die ärmeren, unteren Schichten der Gesellschaft. In dem Bericht werden zahlreiche Formen der Diskriminierung von Frauen und Jugendlichen am Arbeitsplatz genannt, doch die hohe Arbeitslosigkeit und die unmenschlichen und in vielerlei Gestalt daherkommenden Beschäftigungsformen, von denen infolge von Maßnahmen à la Lissabon-Strategie in erster Linie Jugendliche und Frauen betroffen sind, werden mit keinem Wort erwähnt. Stillschweigend wird die skandalöse Diskriminierung der russischen Minderheit in den baltischen Staaten übergangen, und das, obwohl die Kommunistische Partei Griechenlands im Europäischen Parlament mehrfach auf dieses Problem hingewiesen hat.

Die von Diskriminierung Betroffenen sollten sich nichts vormachen; nur im Schulterschluss mit entschlossenen Arbeiterbewegungen, mit an der Basis verwurzelten Kampfbewegungen kann ihrer Ausgrenzung und ihrem Ausschluss von den sozialen und politischen Rechten, die ihnen der Kapitalismus und dessen politische Exponenten genommen haben, Einhalt geboten werden.

 
  
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  Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Beim Minderheitenschutz und in der Antidiskriminierungspolitik sind oftmals zwei Extreme zu beobachten – teils gibt es ein Zuwenig an Maßnahmen und an Schutz, teils ein Zuviel, indem die Lösungen eindeutig über das erklärte Ziel hinausschießen und den Charakter von Modellbeispielen erlangen, die man den Mitgliedstaaten nicht aufzwingen sollte und die ich generell ablehne.

Genau dies ist im vorliegenden Bericht geschehen. Meine Fraktion hat mehrere Änderungsanträge eingebracht, die eine Reihe von annehmbaren und konstruktiven Vorschlägen in den Bericht eingeführt hätten. Da diese Änderungsanträge leider nicht angenommen wurden, habe ich gegen den Bericht gestimmt.

Ich möchte nochmals betonen, dass in Fragen wie dieser sowohl ein Zuwenig als auch ein Zuviel von Nachteil sind. Das Recht auf Andersartigkeit ist nicht mit erzwungener Gleichheit zu verwechseln. Sie sind nicht dasselbe und bewirken nicht dasselbe.

 

14. Berichtigungen des Stimmverhaltens: siehe Protokoll
  

(Die Sitzung wird um 13.25 Uhr unterbrochen und um 15.05 Uhr wieder aufgenommen.)

 
  
  

VORSITZ: INGO FRIEDRICH
Vizepräsident

 

15. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll

16. Reform der UNO
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über die Erklärungen des Rates und der Kommission über die Reform der UNO.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren Abgeordnete! Heute Vormittag habe ich darauf verwiesen, dass eines der Themen auf der Tagesordnung des Europäischen Rates die Reform der UNO und insbesondere der Gipfel im September dieses Jahres ist, auf dem – wie wir hoffen – diese Reform konkretere Gestalt annehmen wird. Die Europäische Union misst dieser Reform sehr große Bedeutung bei; wir hatten bereits Gelegenheit, darüber zu sprechen und dies hervorzuheben. Wir haben wiederholt unsere Zustimmung zum Inhalt des am 21. März dieses Jahres vorgestellten Berichts des UN-Generalsekretärs Kofi Annan sowie für die ihm zugrunde liegenden vorbereitenden Berichte zum Ausdruck gebracht. Diese Berichte stehen im Einklang mit der in der europäischen Sicherheitsstrategie beschriebenen allgemeinen Philosophie und eröffnen viel versprechende Wege zu einem stärkeren und wirksameren Multilateralismus.

Die Europäische Union unterstützt das generelle Konzept der kollektiven Sicherheit, das davon ausgeht, dass die Bedrohungen für Frieden und Sicherheit nicht nur in Krieg, internationalen Konflikten, ziviler Gewalt, organisiertem Verbrechen, Terrorismus und Massenvernichtungswaffen bestehen, sondern auch in Armut, Unterentwicklung, tödlichen Epidemien und Umweltzerstörung, zu der insbesondere auch die Frage der Erderwärmung gehört. Die Europäische Union bringt ihr grundsätzliches Einverständnis mit dem vom Generalsekretär dargelegten Paket von Vorschlägen zum Ausdruck, wobei sie einen offenen Ansatz vertritt. Sie hat die Absicht, in dem zum September-Gipfel führenden Prozess eine wegweisende Rolle zu spielen.

Nach Auffassung der Union sind beträchtliche Anstrengungen erforderlich, um auf dem Gipfel die bestmöglichen Ergebnisse zu einem breiten Themenspektrum zu erreichen. Es kommt darauf an, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den drei vom Generalsekretär beschriebenen Hauptaufgaben Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte zu wahren. Das Ziel besteht dabei darin, eine kritische Masse von Reformen mit einem kohärenten langfristigen Ansatz zu erreichen, während gleichzeitig die Möglichkeit für spätere Fortschritte offen gehalten wird. In der Europäischen Union sind wir an ein solches Vorgehen in Etappen, in Übergangsperioden gewöhnt.

Hinsichtlich der Entwicklung stimmt die Europäische Union völlig mit der Einschätzung des Generalsekretärs über die wechselseitige Abhängigkeit der einzelnen Bereiche überein. Sie hebt ebenfalls ohne Wenn und Aber hervor, dass Entwicklung kein Selbstzweck und auch kein bloßes Mittel zur Erreichung von Sicherheit ist. Die Union ist fest entschlossen, die Millenniumserklärung umzusetzen. Sie unterstreicht den Zusammenhang zwischen der Realisierung der Millenniumsziele und der Umsetzung der Ergebnisse der internationalen UN-Konferenzen und -Gipfeltreffen in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Umwelt und anderes. Ich werde nicht nochmals auf die Ziele eingehen, die wir uns auf der letzten Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten“ im Hinblick auf die Erhöhung der Entwicklungshilfe bis zum Jahr 2015 gesetzt haben.

Die Union tritt dafür ein, dass eine Reihe von Fragen, die für die Realisierung der Millenniumsziele besonders wichtig sind, in den Schlussfolgerungen des Gipfels angemessen berücksichtigt wird. Auch dem gemeinsamen, solidarischen Kampf gegen Aids messen wir besondere Bedeutung bei. Wir wollen gemeinsam über den Zusammenhang zwischen ökologischer Nachhaltigkeit, Sicherheit und Beseitigung der Armut nachdenken.

Was die verschiedenen sicherheitsrelevanten Aspekte betrifft, so unterstützt die Europäische Union nachdrücklich die Vorstellung von der Schaffung einer Kommission für Friedenskonsolidierung. Sie stellt eine Priorität für die Union dar. Zu diesem Thema muss unbedingt eine Einigung auf dem Septembergipfel erreicht werden, denn mit diesem Vorschlag wird eine Lücke geschlossen. Beim Übergang von einem Zustand des Krieges zu einem Zustand des Friedens könnte diese Kommission für Friedenskonsolidierung zur Intensivierung der von der UNO durchgeführten Planungsaktivitäten für einen dauerhaften Wiederaufbau beitragen und die Institutionen, welche die Rechtsstaatlichkeit und das verantwortungsvolle Regierungshandeln gewährleisten, stärken. Parallel dazu könnte sie eine beträchtliche Rolle bei der Verhinderung von neuen Konflikten spielen, was in vielen Fällen ein wichtiges Element für die Stärkung eines dauerhaften Friedens darstellt. Diese Kommission für Friedenskonsolidierung soll ein ständiges Organ sein, das den Sicherheitsrat und den Ecosoc in Abhängigkeit von den Konfliktphasen unterstützen könnte.

Die Verbindung mit dem Ecosoc ist für die Entwicklungsdimension besonders wichtig. Des Weiteren sollte die Kommission dazu beitragen, die Kohäsion der Wiederaufbau- und Friedenserhaltungsstrategien zu gewährleisten.

Was den Kampf gegen den Terrorismus betrifft, so unterstützt die Union die vom Generalsekretär in seinem Bericht wie auch in seiner Madrider Rede vorgeschlagene globale Strategie. Es muss darauf verwiesen werden, dass Terrorismus unter jeglichen Umständen inakzeptabel ist, welches auch immer die angeführten zugrunde liegenden Faktoren sind. Die Union verweist darauf, dass die fünf Säulen des vom Generalsekretär vorgeschlagenen Konzepts mit der von der Union seit den Anschlägen vom 11. September 2001 entwickelten und nach den tragischen Ereignissen von Madrid bekräftigten Strategie übereinstimmen.

Die Europäische Union unterstützt ebenfalls die vom Generalsekretär im Hinblick auf die Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und die Abrüstung ausgesprochenen Empfehlungen, welche generell mit dem Konzept der europäischen Strategie gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen übereinstimmen. Da Ergebnisse nur durch gemeinsame Anstrengungen erreicht werden können, ist die Union bereit, in dieser Richtung Initiativen in einem multilateralen Kontext zu ergreifen und diese Fragen im Rahmen ihrer regelmäßigen Kontakte sowie des politischen Dialogs anzusprechen, um ihre Partner zu überzeugen, diese Empfehlungen ebenfalls zu berücksichtigen.

Die Union betrachtet die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen als die bedeutendste und unmittelbarste Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Stabilität. Heute sollten die allgemeinen Sicherungsübereinkommen und die Zusatzprotokolle die Norm für die Überwachung im Nuklearbereich darstellen. Des Weiteren müssen die Verhandlungen über einen Vertrag zur Einstellung der Produktion von spaltbarem Material rasch zu einem Ergebnis geführt werden. Die Union hat ebenfalls die Absicht, sich aktiv an der Erarbeitung verbindlicher internationaler Instrumente zur Regelung der Identifizierung, der Rückverfolgbarkeit sowie des illegalen Handels mit Klein- und Leichtwaffen zu beteiligen, ein Thema, das bereits Gegenstand der Beratungen Ihres Parlaments war.

Die Union wiederholt ihren Wunsch, dass die Schutzverantwortung ganz oben auf der Prioritätenliste des Gipfels stehen sollte. Verletzungen der Menschenrechte, Straflosigkeit sowie die Missachtung der Rechtsstaatlichkeit gehören zu den Hauptfaktoren, die Frieden und Sicherheit bedrohen und den Entwicklungsprozess behindern. Die Union unterstützt die Bemühungen des Generalsekretärs zur Annahme und Anwendung des Grundsatzes der Schutzverantwortung gegenüber tatsächlichen oder potenziellen Opfern von Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderer massiver Menschenrechtsverletzungen.

Was schließlich den Einsatz von Gewalt betrifft, so ist die Union der Auffassung, dass der Ansatz und die Kriterien, die der Generalsekretär vorgeschlagen hat, eine gute Grundlage darstellen, auf der alle Parteien bereit sein müssten zu arbeiten. Die vorgeschlagenen Kriterien sind eher politischer als rechtlicher Art und dürften einen breiten internationalen Konsens widerspiegeln, von dem sich die Mitglieder des Sicherheitsrates in ihren Beratungen über die mögliche Anwendung von Gewalt leiten lassen sollten.

Begrüßen möchte ich, dass den Menschenrechten und der Rechtsstaatlichkeit im Bericht des Generalsekretärs ein so hoher Stellenwert beigemessen wurde. Die Union unterstützt jeden Vorschlag, der darauf abzielt, die Demokratie zu stärken und den Menschenrechten eine zentrale Stellung im System der UN einzuräumen. Wir verweisen mit Nachdruck auf die Notwendigkeit, das System der Menschenrechte zu stärken, indem sie insbesondere in sämtliche Aktivitäten des Systems der Vereinten Nationen einbezogen werden, was deren Fähigkeit verstärken würde, jederzeit auf Menschenrechtsverletzungen zu reagieren.

Wir unterstützen ebenfalls den Appell zur Stärkung des Hohen Kommissars der VN für Menschenrechte sowie zu einer ausreichenden Mittelausstattung, um ihn besser in die Lage zu versetzen, sein Amt auszuüben. Die Union erklärt somit ihr Einverständnis mit der Schaffung eines Menschenrechtsrates als ständige Einrichtung, da dieser zur Verstärkung der Stellung der Menschenrechte im System der UNO beitragen kann.

60 Jahre nach dem Krieg und der Gründung der Vereinten Nationen ist es an der Zeit, dem Multilateralismus neuen Schwung zu verleihen und das System der Vereinten Nationen zu reformieren, das unverzichtbar für die Sicherheit der Welt, für die harmonische Entwicklung aller Nationen und die Festigung des Friedens ist. Ich glaube, dies ist eine Chance, die uns geboten wird. Die Europäische Union muss eine aktive Rolle bei dieser Reform spielen, und ich zähle darauf, dass Ihr Parlament den Rat und die Kommission dabei unterstützen wird.

 
  
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  Joe Borg, Mitglied der Kommission. – (EN) Herr Präsident! Ich freue mich über diese Gelegenheit zu einer Aussprache über die Reform der UN vor dem wichtigen UN-Gipfeltreffen im September. Ich gratuliere dem Berichterstatter, Herrn Laschet, zu seinem Bericht.

Das UN-Gipfeltreffen im September 2005 anlässlich des 60. Jahrestags der Gründung der UN ist eine Gelegenheit, die wir nicht verstreichen lassen dürfen. Der Gipfel bietet die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, die die Effizienz der Vereinten Nationen stärken und sie in die Lage versetzen, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen.

In den vergangenen drei Wochen waren sowohl Kommissionspräsident Barroso als auch Frau Ferrero-Waldner in New York, wo Sie mit UN-Generalsekretär Kofi Annan, seiner Stellvertreterin Louise Fréchette und dem Präsidenten der UN-Generalversammlung, Botschafter Ping, konstruktive Gespräche über die Vorbereitung des Gipfels geführt haben. Bei diesen Gesprächen haben alle Beteiligten unterstrichen, dass die EU weiterhin eine maßgebliche Rolle bei den Vorbereitungen des Gipfeltreffens einnehmen muss, damit im September konkrete Ergebnisse erreicht werden können.

Deshalb hat die Kommission gemeinsam mit dem Ratsvorsitz und den Mitgliedstaaten begonnen, Kontakt mit den Partnern in New York und in anderen Hauptstädten der Welt aufzunehmen. Die aktive Mitwirkung des Parlaments bei der weltweiten Mobilisierung anderer Parlamentarier für die Agenda des Gipfeltreffens wäre ebenfalls sehr hilfreich.

Am 3. Juni haben wir den Entwurf für das Abschlussdokument des Gipfeltreffens erhalten, das uns eine gute Ausgangsbasis bietet, aber die Europäische Union muss einen umfassenden Beitrag leisten, wenn wir auf dem Gipfel im September die ehrgeizigen Ziele erreichen wollen. Ich freue mich, dass die im Entschließungsantrag des Parlaments erläuterten Positionen des Parlaments in vielen Punkten mit denen der Kommission übereinstimmen.

Der UN-Generalsekretär hat in seinem Bericht zu Recht darauf hingewiesen, und auch im Entschließungsantrag des Parlaments wird dies betont, dass unverzüglich Maßnahmen unternommen werden müssen, um Fortschritte bei der Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele zu erreichen. Die gemeinsamen Maßnahmen müssen erheblich verstärkt werden, damit die Millenniums-Entwicklungsziele bis 2015 verwirklicht werden können.

Am 24. Mai wurden auf der Tagung des Europäischen Rates die ehrgeizigen Vorschläge der Kommission angenommen, die bis 2010 einen Beitrag von 0,56 % des Bruttonationaleinkommens der Europäischen Union zur öffentlichen Entwicklungshilfe und bis 2015 einen Beitrag von 0,7 % vorsehen. Das ist ein wichtiger Fortschritt für die internationale Solidarität und ein klares Zeichen, dass sich die Europäische Union für ein erfolgreiches Gipfeltreffen einsetzt. Wir hoffen, dass dies ein wirksamer Anstoß für andere sein wird, unserem Beispiel zu folgen.

Ich möchte nun auf einige der vorliegenden Vorschläge für die Reform der UN eingehen, die für die erneute Stärkung der Effizienz der Vereinten Nationen von besonderem Interesse sind. Die Kommission hat sich aktiv an den Gesprächen über die vorgeschlagene Einrichtung einer Kommission für Friedenssicherung beteiligt, die die derzeit bestehende Lücke im System der UN für die Zeit zwischen dem Ende eines Konflikts und dem Beginn der langfristigen nachhaltigen Entwicklung schließen könnte.

Ich freue mich, dass diese Kommission für Friedenssicherung im Entschließungsantrag unterstützt wird. Die Kommission unterstützt ein möglichst breit angelegtes Mandat der Kommission für Friedenssicherung, das unter anderem die Förderung der Demokratie, funktionierende Institutionen und die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit umfassen sollte. Die Kommission soll mit ihrer Arbeit den Frieden festigen und den Ausbruch neuer Konflikte verhindern. Dieser Kommission sollen Vertreter sowohl des UN-Sicherheitsrats und des Wirtschafts- und Sozialrats als auch der wichtigen Geldgeber und der an der Friedenssicherung beteiligten Akteure, der internationalen Finanzinstitutionen und wichtiger UN-Agenturen, Fonds und Programme angehören.

Es ist allgemein bekannt, dass die Europäische Gemeinschaft seit vielen Jahren konsequente Anstrengungen für die weltweite Friedenssicherung unternimmt. Daher freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Europäische Union im Zuge der Vorbereitungen des Gipfeltreffens beschlossen hat, sich für die uneingeschränkte Teilnahme der Europäischen Gemeinschaft an allen Sitzungen der Kommission für Friedenssicherung einzusetzen. Ich hoffe, dass das Parlament diese Position unterstützen kann.

Die Kommission begrüßt die Vorschläge des UN-Generalsekretärs zur Stärkung der Menschenrechte ausdrücklich. Eine grundlegende Reform der derzeitigen Struktur des für die Menschenrechte zuständigen Organs, in deren Rahmen die angeschlagene Menschenrechtskommission durch einen ständigen Menschenrechtsrat ersetzt wird, ist zur Verbesserung der Effizienz und Glaubwürdigkeit des Systems unverzichtbar.

Das wichtigste Ziel ist dabei der wirksame Schutz und die Förderung von Menschenrechten weltweit. Deshalb freue ich mich, dass wir im Hinblick auf den Menschenrechtsrat einer Meinung sind. Durch den Vorschlag, dass dieser Rat von der Generalversammlung gewählt werden sollte, könnte das Verantwortungsbewusstsein aller Mitglieder der UN in diesem Bereich gestärkt werden. Doch dieses Verantwortungsbewusstsein muss mit verantwortlichem Handeln einhergehen, und daher ist die Forderung des UN-Generalsekretärs sehr begrüßenswert, dass die Staaten, die in den Menschenrechtsrat aufgenommen werden wollen, die praktische Umsetzung ihres Bekenntnisses zu den höchsten Menschenrechtsstandards nachweisen müssen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Verpflichtungen, die mit einer Mitgliedschaft in diesem Rat verbunden sind.

Die Reform des Sicherheitsrats gehört natürlich zu den zentralen Elementen der aktuellen Debatte über die Reform der UN. Ich habe die Vorschläge im Entschließungsantrag zur Einrichtung eines Sitzes für die EU mit Interesse zur Kenntnis genommen. Doch obwohl die Reform des Sicherheitsrats zweifellos ein Thema von großer Bedeutung ist, darf dadurch nicht der gesamte Prozess der dringend erforderlichen Reform der übrigen UN-Organe oder anderer wichtiger Bereiche blockiert werden, in denen dringend Fortschritte erreicht werden müssen. Ich rufe alle Mitgliedstaaten der UN dazu auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit es nicht zu einem solchen Stillstand kommt.

Die Kommission unterstützt die stärkere Berücksichtigung der Umwelt in allen Bereichen des UN-Systems ausdrücklich, darunter fällt auch die Einrichtung einer UN-Umweltorganisation, und begrüßt die Einigkeit, die sich in der Europäischen Union in diesem Zusammenhang abzeichnet.

Ich möchte zum Abschluss meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass unsere Positionen zu diesem Thema in vielen zentralen Punkten übereinstimmen. Außerdem möchte ich bekräftigen, dass sich die Kommission weiterhin sehr engagiert dafür einsetzen wird, dass im September gute Ergebnisse erreicht und die Ergebnisse des Gipfels umgesetzt werden.

 
  
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  Armin Laschet, im Namen der PPE-DE-Fraktion. Herr Präsident, Herr Minister Schmit, Herr Kommissar Borg, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei all den Krisen, die die Europäische Union im Moment durchlebt und diskutiert, ist Bekenntnis zu einem effektiven Multilateralismus und zu starken Vereinten Nationen ein Bekenntnis, das das Parlament in seiner großen Mehrheit, den Rat und die Kommission eint. Die Europäische Union sollte im September in New York das klare Signal setzen, dass wir die Reform und besser funktionierende Institutionen wollen, und wir ermuntern Kofi Annan, auf diesem Weg weiterzugehen.

Ich denke, das ist auch ein typisches Beispiel, das man den Bürgern gegenüber, die denken, man könne vielleicht wieder mehr auf nationalstaatlicher Ebene lösen, anführen kann. Bei den Herausforderungen, vor denen wir stehen, geht dies aber nur in weltweitem Maßstab. Wenn man den Terrorismus bekämpfen will, wenn man das Problem zerfallender Staaten bekämpfen will, wenn man weltweite Klimaverschiebungen bekämpfen und für Menschenrechte und Demokratie in der Welt eintreten will, dann braucht man starke Vereinte Nationen.

Deshalb hat sich das Parlament im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten in dem Bericht, der dem Plenum morgen vorgelegt wird, darauf beschränkt, auf die Vorschläge des high panel zu reagieren. Wir haben keinen neuen UN-Bericht ausgearbeitet – den haben wir im letzten Jahr verabschiedet –, sondern wir gehen konkret auf die Vorschläge des high panel ein. Und dabei ist uns das Thema kollektive Sicherheit wichtig. Prävention, Bewusstsein und gemeinsame Verantwortung sind die Prinzipien, die die Reform der Vereinten Nationen tragen sollten.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Freiheit von Mangel, also eine erneuerte Entwicklungspolitik; und das verbindet sich in diesem Jahr sehr günstig mit dem fünfjährigen Jubiläum der Millenniumsziele des Jahres 2000.

Drittens: Erneuerte Institutionen, mehr Repräsentanz und Effizienz. Hier haben wir unsere Forderung nach einem europäischen Sitz noch einmal wiederholt. Wir wissen, dass es nicht realistisch ist, dies bis September zu erreichen. Aber wir wollen, selbst wenn der europäische Sitz nicht kommt, mehr Europa. Wenn es neue Sitze gibt, egal in welcher Form, wollen wir, dass diese Sitze an die Europäische Union gegeben werden und diese ihre Vertreter benennt, die dann Europa im Sicherheitsrat vertreten. Das wäre ein kleines Signal in die richtige Richtung.

Der UN-Generalsekretär kann die Vereinten Nationen nicht reformieren, das müssen die Staaten tun. Deshalb unser Appell an den Europäischen Rat: Schließen Sie sich als Staaten zusammen und unterstützen Sie Kofi Annan bei seinem Reformprogramm.

 
  
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  Jo Leinen, im Namen der PSE-Fraktion. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Globalisierung der Wirtschaft braucht auch eine Globalisierung der Politik. Die Stärkung der Vereinten Nationen ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen, vor denen die Völkergemeinschaft im 21. Jahrhundert steht. Ich bin froh, dass wir eine große Übereinstimmung im Parlament gefunden haben, und danke Herrn Laschet für seinen Bericht. Über Parteigrenzen hinweg sehen wir die Dinge ähnlich.

Die Sozialdemokraten haben Wert darauf gelegt, dass sich die Reform nicht auf die Institutionen beschränkt, sondern auch die Stärkung der Aufgaben, der Missionen der UNO zum Ziel hat. Die Erfüllung der Entwicklungsziele, der Millenniumsziele ist eine der herausragenden Zielsetzungen in den nächsten Jahren. Wir müssen es schaffen, die Armut, den Analphabetismus und die großen Krankheiten bis 2015 zu halbieren. Dann haben wir auch einen Beitrag zu Frieden und Stabilität in der Welt geleistet.

Wir brauchen eine Stärkung der Rolle der UNO bei Friedensmissionen und im Konfliktmanagement. Hier liegen viele Vorschläge auf dem Tisch, angefangen von einer Konvention gegen Terrorismus bis hin zur Delegation der in Kapitel VII der UN-Charta enthaltenen Rechte an anerkannte Regionalorganisationen, an die Afrikanische Union oder auch an die Europäische Union. Warum sollen die Völker die Konflikte auf ihrem Kontinent nicht selbst beilegen, bevor Blauhelme aus anderen Kontinenten dorthin kommen?

Ich komme zur Stärkung der Institutionen. Der Sicherheitsrat ist das heikle Thema. Wir sind uns einig, dass Europa langfristig einen Sitz bekommen soll. Vielleicht wird jetzt schon in Bezug auf die nichtständigen Mitglieder ein Mechanismus gefunden, mit dem der Europäische Rat Mitgliedstaaten mandatiert, im Auftrag der Europäischen Union und in Abstimmung mit den Institutionen diese Aufgabe wahrzunehmen.

Wir brauchen auch eine Demokratisierung der UNO. Eine Parlamentarische Versammlung in der UNO ist eine weitere Forderung. Ergreifen wir die Chance, sie kommt selten. Jetzt muss dieses Paket auch geschnürt werden!

 
  
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  Alexander Lambsdorff, im Namen der ALDE-Fraktion. Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! 2004 war für die Weltorganisation ein sehr schwieriges Jahr. Das Jahr 2005 wird deshalb umso mehr zum entscheidenden Jahr für die Vereinten Nationen werden. Der Willen zu einer grundsätzlichen Erneuerung der Organisation war noch nie so groß, eine Reform war aber auch noch nie so notwendig. Ich freue mich, ähnlich wie die Kollegen Leinen und Laschet das schon gesagt haben, dass hier ein breiter Konsens besteht: Das klare Bekenntnis zu den Millennium Development Goals wird hier allgemein geteilt. Auch das Ziel, „bessere Synergieeffekte“ zwischen Konfliktprävention, Friedensschaffung und -erhaltung zu erzielen, wird allgemein geteilt. Wir sind uns einig, dass hierzu bessere und mehr Ressourcen notwendig sind, eine schnellere Reaktionsfähigkeit und klare Regeln für den Einsatz in Krisengebieten. Bei akuten Bedrohungen, wie der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, braucht es neben klar definierten und international anerkannten Regeln auch den politischen Willen zu handeln. Die entstehende Völkerrechtsnorm, der zufolge uns die Verantwortung obliegt zu schützen, ist ein ganz wichtiger Fortschritt auf dem Gebiet.

Die schwierigste Hürde wird die Reform der UN-Organe sein. Die Generalversammlung muss leistungsfähiger werden. Sie muss sich wieder wesentlichen Diskussionen widmen und weniger inhaltsleere, sich Jahr für Jahr wiederholende Debatten ohne konkrete Ergebnisse führen. Der ECOSOC muss seine Aufgaben deutlich besser bewältigen.

Auch der Sicherheitsrat muss reformiert werden. Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten hat hierzu am 24. Juni eine Entscheidung getroffen und sie dem Parlament vorgelegt. Wir sind uns einig, dass unsere gemeinsame Vision ein ständiger Sitz ist. Wir wissen aber auch, dass die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für einen solchen Sitz, insbesondere nach dem Scheitern der Referenden, bis Mitte September dieses Jahres nicht zu erreichen sind. Soll deswegen die Reform aufgehalten werden? Nein! Die Welt wartet nicht auf die EU. Deshalb muss die Reform um der Vereinten Nationen willen und um des Multilateralismus willen von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterstützt werden, auch wenn nicht alle im September einen Sitz bekommen können.

Der Mechanismus, den der Kollege Laschet angesprochen hat und den wir gemeinsam entwickelt haben, besteht darin, dass die europäischen Sitze in enger Abstimmung mit der Union wahrgenommen werden. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass diese Debatte – erst recht nach dem Scheitern des Referendums in Frankreich – in Brüssel geführt werden sollte und nicht in Straßburg.

 
  
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  Frithjof Schmidt, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt die historische Gelegenheit, eine grundlegende Reform der Vereinten Nationen zu erreichen. Europa kann und muss hierbei eine wichtige Rolle spielen. Deshalb ist es sehr gut, dass es im Parlament eine große Mehrheit dafür gibt, sich hinter den High-panel-Bericht zur Reform der UNO und den darauf aufbauenden Bericht von Kofi Annan zu stellen. Es geht weltpolitisch darum, diesen Bericht durchzusetzen und diese Reform zu erreichen. Ich habe mich sehr gefreut zu hören, dass sich auch der Rat und die Kommission in diese Richtung engagieren.

Es geht bei dieser Reform um vier große, zentrale Punkte, in denen wir vorankommen müssen. Der erste ist eine Reform und Erweiterung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und eine klare und eindeutige Definition des UN-Gewaltmonopols. Im Zusammenhang mit der Diskussion über die Erweiterung wäre es sehr gut, wenn es uns gelänge, einen europäischen Sitz im Sicherheitsrat durchzusetzen und hier zu einer wirklichen Strukturveränderung in der Repräsentanz europäischer Politik zu kommen.

Der zweite Punkt ist der Ausbau der internationalen Entwicklungspolitik zu einer wirklichen internationalen Strukturpolitik. Das zentrale Instrument hierfür ist die Stärkung und Aufwertung des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen, des ECOSOC; und in Verzahnung mit der Gruppe der Zwanzig könnte hier in der Zusammenarbeit wirklich der Keim und die Grundlage für einen neuen Weltwirtschaftsrat entstehen, der die Weltwirtschaft maßgeblich im Sinne einer nachhaltigen Politik beeinflussen kann.

Der dritte Punkt ist: Wir brauchen eine Transformation der UN-Umweltprogramme zu einer echten UN-Umweltorganisation, die nachhaltig und gut organisiert wirkt. Das ist eine große Aufgabe.

Der vierte wichtige Punkt ist eine Aufwertung der bisherigen Menschenrechtskommission zu einem ständigen Menschenrechtsrat, der von der Generalversammlung gewählt wird.

Sicherheitspolitik, Entwicklungspolitik, Umweltpolitik, Menschenrechtspolitik, das sind die vier Säulen, in denen wir vorankommen müssen.

 
  
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  Luisa Morgantini, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit ihren 60 Jahren sind die Vereinten Nationen jünger als ich, doch hoffe ich wirklich, dass ihnen ein längeres Leben als mir bzw. als uns beschieden sein möge und dass sie Zeuge der Entwicklung, Demokratie und Gerechtigkeit für die Völker dieser Welt sein können.

Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, der Schrecken und die Einzigartigkeit des von den Nazis verübten Holocaust, der Tod von Millionen Menschen und Soldaten sowie das ungesühnte Verbrechen des Atombombenangriffs auf Hiroshima und Nagasaki brachten eine Hoffnung und eine Verpflichtung hervor: dass die Völker der Vereinten Nationen sicher sein können, über ein Instrument zu verfügen, dank dessen der Krieg der Geschichte angehören wird . Das ist inzwischen lange her. Die UNO hat ihre Effizienz eingebüßt, und die größten Länder haben auf ihre Untergrabung hingearbeitet – man denke nur an die Präventions- und an die humanitären Kriege, die in Wirklichkeit Versuchsfelder für zerstörerische Waffen, quasi Massenvernichtungswaffen, waren.

Eine Reform oder vielmehr eine Neuerschaffung der Vereinten Nationen ist unerlässlich. Die UNO muss ihre Fähigkeit zurückerlangen, den Frieden mit rechtlichen Mitteln zu bewahren, die Abrüstung zu fördern, die Armut zu bekämpfen, die Demokratie durchzusetzen. Durchsetzung der Demokratie bedeutet auch, Transparenz und Mitwirkung zu gewährleisten, und zwar nicht nur der nationalen Regierungen, sondern auch der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft.

Der Bericht von Herrn Laschet ist bedeutend, ebenso wie die Fähigkeit unseres Parlaments, sich für die Stärkung und Koordinierung der Vereinten Nationen einzusetzen, wichtig ist. Den darin enthaltenen Vorschlägen stimme ich zu: mehr Engagement für die Menschenrechte, den Natur- und den Umweltschutz, die Armutsbekämpfung und die Aufwertung des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC). Das alles sind entscheidende Verpflichtungen, auch für die Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele. Herr Laschet sprach von der „Freiheit von Mangel“ und von der Notwendigkeit, Kofi Annan zu unterstützen und selbstverständlich die Friedensagenda von Boutros Boutros-Ghali von 1992 entschlossen wiederaufzunehmen.

Abschließend möchte ich noch eine grundlegende Frage hervorheben, nämlich den totalen Anachronismus des Sicherheitsrats und seinen antidemokratischen Charakter, symbolisiert durch das Vetorecht. Ich halte es für wichtig, auf seine Abschaffung hinzuwirken sowie darauf, dass die Europäische Union zusammen mit den anderen Kontinenten mit nur einer Stimme im Sicherheitsrat vertreten ist.

 
  
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  Paul Marie Coûteaux, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Wir befinden uns in einer recht merkwürdigen Lage, denn wir debattieren heute Nachmittag über ein Vorhaben, das in einem Gremium, das dazu keinerlei Legitimität besitzt, jeglicher Grundlage entbehrt. Über die Nichtigkeit dieses Vorhaben will ich mich nicht weiter auslassen, denn als ich die Ehre hatte, meinen Dienst für mein Land im Rahmen der UNO im Jahr 1992 anzutreten, war bereits von einer Reform der UNO die Rede. Dies ist ein endlos wiederkehrendes Thema! Die einzige Realität besteht darin, dass die UNO auf einem Sicherheitsrat beruht, der sich wiederum auf fünf ständige Mitglieder stützt, die die UNO so weit geführt haben, wie diese zu gehen vermochte, was oft zum Besten und zuweilen zum Schlechtesten ausschlug. Was Europa betrifft, so ist es im Sicherheitsrat mit turnusmäßig wechselnden nichtständigen Mitgliedern sowie durch zwei mit einem Vetorecht ausgestatteten Großmächten: Großbritannien und Frankreich vertreten. Eine andere mögliche Architektur scheint gar nicht vorstellbar.

Viel schwerwiegender ist jedoch, dass dieses Parlament in keiner Weise befugt ist, über dieses Thema zu beraten oder – wie von Herr Laschet in lachhafter Weise vorgeschlagen – Botschaften nach New York zu schicken. Dies entbehrt jeglicher Grundlage. Daher wird sich unsere Delegation der französischen Souveränisten morgen auch nicht an der Abstimmung beteiligen, um ihren Protest gegen die Haltung dieses Parlaments zum Ausdruck zu bringen, das so tut, als könne es sich in Dinge einmischen, die einzig und allein Angelegenheit der Staaten sind, und – schlimmer noch – das so tut, als hätte es keine Volksbefragung gegeben, d. h. als ob die Verfassung nicht tot wäre.

Ich warne nachdrücklich vor einem gemeinsamen Amtsmissbrauch, denn wir tun so, als könne es eines Tages eine Verfassung geben, als könne es eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geben, als könne es einen europäischen Außenminister geben. Nichts davon wird es jemals geben! Weil die Völker es nicht wollen. Und wenn Sie dies gewaltsam durchzusetzen versuchen, dann wird die weitere Zukunft des europäischen Einigungswerks auf einem Putsch beruhen, was allen unseren Entscheidungen die Rechtsgrundlage entziehen und angemessene, zweifellos gewaltsame Reaktionen unserer Bürger auslösen würde.

 
  
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  Roberta Angelilli, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mitte Juni soll die Offensive der so genannten „G 4“ gestartet werden, in deren Rahmen der Generalversammlung ein Resolutionsantrag vorgelegt werden soll, um die Zahl der ständigen Mitglieder auf 11 anzuheben, während den anderen 180 Mitgliedern der UNO nichts anderes übrig bliebe, als um die nichtständigen Sitze zu wetteifern. Eine Annahme dieses Vorschlags würde die Disparitäten zwischen den UN-Mitgliedstaaten verschärfen und das Problem der Ausdehnung des Vetorechts aufwerfen, wodurch die Gefahr einer Lähmung des Sicherheitsrats entstünde. Auf europäischer Ebene würde die Aufnahme Deutschlands in den Sicherheitsrat jedoch bedeuten, das Vorhaben eines mit einer ernsthaften und effizienten Außenpolitik ausgerüsteten Europas endgültig aufzugeben.

Italien, das sich stets für einen gemeinsamen Sitz der Europäischen Union eingesetzt hat, steht nun an der Spitze der UFC-Gruppe, die sich dem Vorschlag der G 4 entgegenstellt und eine Umstrukturierung des Sicherheitsrats auf regionaler Grundlage anstrebt. Nur mit einer derartigen Reform würde die Europäische Union die Rolle bekommen, die ihr auf internationaler Ebene gebührt. Nationalen Eigensüchten muss entsagt werden, um der Europäischen Union eine glaubwürdige politische Zukunft zu eröffnen.

 
  
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  Jas Gawronski (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind uns der unbedingten Notwendigkeit bewusst, die Vereinten Nationen und insbesondere den Sicherheitsrat zu reformieren. Damit eine Reform auch wirksam ist, muss sie allerdings von möglichst vielen Ländern mitgetragen werden, muss sie breite Zustimmung finden und das zunehmende Gewicht des Regionalismus in den internationalen Beziehungen widerspiegeln, und sie darf nicht überstürzt durchgeführt werden.

Wir verurteilen, worauf Frau Angelilli hinwies, Pläne zur Reform des Sicherheitsrats wie den so genannten „G 4-Plan“, denn sie würden zu einer Schwächung des Hauptorgans der Vereinten Nationen führen und es in seinen gegenwärtigen Schwierigkeiten stagnieren lassen. Wir glauben, dass alle Länder das Recht haben, sich in den Sicherheitsrat einzubringen, und zwar durch regelmäßige Wahlen, die gewährleisten, dass die vielen regionalen Erfahrungen vertreten werden. In diesem Sinne haben wir die getrennte Abstimmung über die Ziffern 19, 20 und 21 beantragt, um einige Unklarheiten in dem ansonsten hervorragenden Bericht von Herrn Laschet zu beseitigen.

Es wird viel, auch in diesem Haus, von einem europäischen Sitz gesprochen. Hierfür brauchen wir jedoch eine gemeinsame europäische Außenpolitik, und ich glaube, dass wir noch sehr weit von diesem Ziel entfernt sind. Außerdem besteht kein Zweifel daran, dass das vor kurzem erfolgte doppelte Nein zur Verfassung den Weg noch schwieriger gemacht hat. Eines Tages wird es diesen europäischen Sitz geben, doch hier und heute lehnen wir eine ständige Delegierung der EU-Vertretung an einen Staat, wodurch die anderen Staaten diskriminiert werden könnten, ab, obwohl Italien in diesem Falle alle Trümpfe in der Hand hätte, um als Kandidat in Frage zu kommen.

Die Vereinten Nationen sind gegenwärtig in peinliche Enthüllungen und Skandale verwickelt, die ihrem Ansehen schaden. Deshalb dürfen, wir, wenn wir von Reformen sprechen, nicht nur den Sicherheitsrat ins Auge fassen, sondern auch, wie es dieser Bericht ganz richtig tut, die Vereinten Nationen im Ganzen. Über viele Jahre hinweg durch die Rivalitäten zwischen den Supermächten ihres Einflusses beraubt und blockiert, müssen die UN zu neuen Kräften und neuem Leben erweckt werden.

 
  
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  Michel Rocard (PSE).(FR) Herr Präsident! Als französischer Bürger sehe ich mich gezwungen, meinen Redebeitrag mit einer Verurteilung der Ausführungen zu beginnen, die ich soeben aus dem Munde eines meiner Mitbürger gehört habe. Der Tod eines Verfassungsentwurfs ist nicht das Ende aller Verträge, an die wir gebunden sind! Europa hat genug getan, um das Recht zu haben, gemeinsame Botschaften zu versenden. Bravo, Herr Laschet, für Ihren ausgezeichneten Bericht! Wenn es Amtsmissbrauch – das Wort ist gefallen – gibt, dann besteht er darin, das Entgelt eines Europaabgeordneten zu benutzen, um in die eigene Suppe zu spucken und alles das zu negieren, was wir seit 60 Jahren tun.

(Beifall)

Herr Präsident, Herr Minister, Herr Kommissar! Mir gefällt der Bericht Laschet sehr gut. Ich freue mich darüber, dass ich in diesen schwarzen Tagen für Europa diesen Augenblick seltener Übereinstimmung zwischen Rat, Kommission und unserem Parlament erleben kann. Ich freue mich, den ausgezeichneten Bericht eines Kollegen würdigen zu können, der etwas mehr als üblich auf seine Kollegen gehört hat, doch gleichzeitig schäme ich mich, denn wir sind in dieser Sitzung nur 25, was unseren Beratungen kaum ein angemessenes Gewicht verleiht.

Herr Präsident, ich möchte Sie bitten, der Präsidentschaft eine Botschaft zu übermitteln. Wir können versuchen, die Vereinten Nationen zu reformieren, doch besser wäre es, zuerst einmal uns selbst zu reformieren! Ich kann bezeugen, dass die nicht anwesenden reichlich siebenhundert Abgeordneten keinen Mittagsschlaf halten, sondern in ihren Büros arbeiten. Unsere Arbeit ist schlecht organisiert. Wir brauchten ein oder zwei große Plenardebatten pro Monat in diesem Saal und die übrige Zeit Beratungen in den Ausschüssen. Diese Debatten müssen eine bestimmte Würde erhalten. In zwei Minuten kann man nichts analysieren und keine Überlegung zu Ende führen.

Ich möchte Ihnen, Herr amtierender Ratspräsident, daher sagen - wobei ich mich entschuldige, ein Parlament zu vertreten, für das ich mich etwas schäme -, dass meine Hauptsorge darin besteht, dass Sie sich bei der Verteidigung dieses guten Berichts und der guten Arbeit, die wir gemeinsam in Europa verrichten, nicht im Ziel irren. Es gibt zu viele Aufgaben, zu viele Ziele. Gewiss hat Europa Gründe, einen Sitz im Sicherheitsrat anzustreben. Gewiss ist die Zeit dafür noch nicht reif, so dass dies heute kaum möglich ist. Ich rate Ihnen daher, sich nicht zu sehr auf diese Fragen zu versteifen, sondern sich auf das zu konzentrieren, was vernünftigerweise möglich ist, was nützliche Auswirkungen hat, sowie auf die Aspekte, in denen unsere Arbeiten und insbesondere der Bericht Laschet innovativ sind. Als Beispiel möchte ich Artikel 2 und Kapitel 7 im Hinblick auf die Übertragung von Befugnissen gemäß der Charta an Regionalorganisationen anführen. Eine wirklich bedeutende Neuerung! Zu nennen wäre weiterhin die Umwandlung des Treuhandrats in einen Rat für zusammengebrochene Staaten. Und schließlich möchte ich die Einfügung eines Verweises auf gemeinsame öffentliche Werte unter Ziffer 17 nennen. Da ich meine Redezeit überschritten habe, muss ich hier Schluss machen.

All das ist absurd, wir sagen alle in etwa das Gleiche. Sie dürfen nicht das falsche Ziel anvisieren! Setzen Sie auf die neuartigen Elemente und auf nichts anderes, dann werden wir gute Arbeit leisten.

(Beifall)

 
  
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  Raül Romeva i Rueda (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident! Wie meine Kolleginnen und Kollegen glaube auch ich – wie im Fall der Europäischen Union –, dass man die Vereinten Nationen erfinden müsste, wenn es sie nicht schon gäbe. Das ist ein Fakt. Und es ist auch wahr, dass die Vereinten Nationen reformiert werden müssen, so wie wir es in der Europäischen Union tun.

Im konkreten Fall der Vereinten Nationen ist nicht zu übersehen, dass eine tief greifende und unverzügliche Reform dringend notwendig ist, vor allem, weil die Mitgliedstaaten gegenwärtig einer doppelten Restriktion unterliegen, zum einen in Bezug auf den Haushalt und zum anderen in politischer Hinsicht. Die Berichte der hochrangigen Gruppe und des Generalsekretärs, Kofi Annan, sind meiner Ansicht nach – und hier stimme ich mit Herrn Laschet überein – ein hervorragender Ausgangspunkt für die Analyse und Debatte, und deshalb möchte ich auch die Kommission und den Rat drängen, sie gebührend zu berücksichtigen.

Es ist wichtig, an die Antikriegsbewegungen zu erinnern, insbesondere jene, die uns veranlassten, die Bedeutung eines Kriegs im Irak in Frage zu stellen. Nach meiner Überzeugung ist diese Revision heute, da die Militärausgaben weltweit auf eine Billion Dollar pro Jahr gestiegen sind, während die Staaten gleichzeitig kein Geld für die Millenniumsziele zur Verfügung stellen, notwendiger denn je zuvor.

 
  
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  Michael Henry Nattrass (IND/DEM) . – (EN) Herr Präsident! Im jüngsten Bericht von Herrn Brok heißt es, dass die EU als Ganzes eine maßgebliche Rolle in der UN spielen sollte. Die PPE-DE-Fraktion hatte in ihrem Änderungsantrag zu dem Bericht gefordert, dass der EU ein Sitz im UN-Sicherheitsrat garantiert werden sollte. Das Wort „garantiert“ ist unvereinbar mit der Position der Hochrangigen Gruppe der UN, die besagt, dass zukünftig keine Änderung in der Zusammensetzung des Sicherheitsrats auf Dauer angelegt sein sollte. In beiden von der Hochrangigen Gruppe vorgeschlagenen Modellen für die Reform des Sicherheitsrats würden die derzeitigen ständigen Mitglieder ihre Sitze behalten. Das ist nicht das, was die Eurofanatiker hören wollen. Sie haben es auf die Sitze Frankreichs und des Vereinigten Königreichs abgesehen. Doch selbst im Bericht von Herrn Brok wurde eingeräumt, dass eine Stärkung der Rolle der EU erst nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassung vorangetrieben werden kann. Die Verfassung ist tot; die EU hat keine Rechtspersönlichkeit; Europa ist keine Nation und die EU hat daher keinen Anspruch auf einen Platz in den Vereinten Nationen.

 
  
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  Nirj Deva (PPE-DE). (EN) Herr Präsident! Wir müssen bei allem, was wir tun, bedenken, dass unser gemeinsames Interesse auch unser nationales Interesse ist. Das gilt ganz besonders in einer Welt, in der der Terrorismus allgegenwärtig ist.

Eine der wichtigsten Funktionen der Vereinten Nationen besteht in der Bereitstellung ihrer Hilfe für die Entwicklungsländer. Korruption und mangelnde Transparenz haben dazu geführt, dass die Unterstützung der Öffentlichkeit zurückgegangen ist. Eine grundlegende Reform der Verfahren der Vereinten Nationen, die die Bereitstellung ihrer Hilfe betreffen, ist erforderlich. Das Internet sorgt erstmals für Transparenz in der Beschaffung internationaler Hilfen in den Geberländern sowie bei der Bereitstellung der Hilfen in den Empfängerländern. Wir müssen ganz genau nachvollziehen können, wie die Hilfen eingesetzt werden. Durch die stärkere Beteiligung der Bürger über das Internet wird ein neuer Ansporn für den effizienten Einsatz der Hilfe und die Rechenschaftspflicht von Regierungen, den Vereinten Nationen und anderen NRO entstehen.

Bürgerkriege und schwere Menschenrechtsverletzungen sind die Haupthindernisse für die Verwirklichung der Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Ein Bürgerkrieg kann Jahrzehnte der Entwicklungshilfe zunichte machen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir die Arbeit internationaler Strafgerichtshöfe uneingeschränkt unterstützen und klarstellen, dass jeder, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, persönlich für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird.

Die Vereinten Nationen müssen Konflikte im Vorfeld erkennen und verhindern. Sie müssen Frieden schaffen und Frieden erhalten. Am 24. Februar wurde von diesem Parlament einstimmig ein Entschließungsantrag verabschiedet, in dem gefordert wurde, dass Nigeria den früheren Präsidenten von Liberia an den Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen ausliefert, der vom Sonderstrafgerichtshof für Sierra Leone wegen Kriegsverbrechen angeklagt worden ist. Warum hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dieser Forderung nicht mit einer Resolution mit verpflichtendem Charakter gemäß Kapitel VII Nachdruck verliehen? Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen muss durch einen stärkeren Menschenrechtsrat ersetzt werden, zu dem Nationen, die gegen die Menschenrechte verstoßen, keinen Zugang haben.

Mein letzter Punkt ist, dass sich die Vereinten Nationen wieder auf ihren ursprünglichen Auftrag besinnen müssen. Sie müssen eine träge Bürokratie reformieren. Sie müssen einen Ausschuss absetzen, der seinen Auftrag nicht erfüllt. Im Mittelpunkt muss eine aktive parlamentarische Versammlung der Vereinten Nationen stehen, die eine verantwortungsvolle Staatsführung und die Demokratie fördert. Sie muss die drei Säulen Frieden und Sicherheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte und Entwicklung verkörpern.

 
  
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  Alexandra Dobolyi (PSE).(HU) Zuerst möchte ich Herrn Laschet zu seinem ausgezeichneten Bericht gratulieren, ebenso wie der UN-Arbeitsgruppe, die auch an dessen Erstellung beteiligt war. Die Reform der UNO ist unerlässlich, da es sich um die einzige multilaterale Organisation handelt, die sich wirkungsvoll und erfolgreich den Herausforderungen der neuen Ära stellen kann. Zu diesem Reformprozess wird auch die Überprüfung der Anzahl der Mitglieder im Sicherheitsrat, seines Zuständigkeitsbereichs und seiner Mittel sowie deren Anpassung an die neuen Herausforderungen gehören. Der einzig gangbare Weg zur Lösung der Probleme besteht in der Annahme eines integrierten Ansatzes, bei dem die wirtschaftliche, soziale, entwicklungs- und sicherheitspolitische sowie die Menschenrechtsdimension berücksichtigt werden.

Wir dürfen nicht vergessen, dass sich die Bemühungen zur Reform der UNO sowie die Reformen der gemeinsamen Sicherheit und der Institutionen, die die Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele befördern sollen, gegenseitig stark ergänzen. Deshalb begrüße ich die Entscheidung der Entwicklungsminister, eine Ressource für diesen Zweck einzurichten. Die erfolgreiche Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele ist in einer globalisierten Welt für Europa ausschlaggebend. Die Verringerung der Armut, die wirksame Beseitigung des Hungers und die Sicherstellung des Trinkwasserbedarfs sind alles zentrale Themen, deren Lösung nicht aufgeschoben werden darf. Es handelt sich um drohende und komplexe Gefahren, so dass eine erfolgreiche Umsetzung der Reformen jetzt dringlicher als eh und je ist.

 
  
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  Hélène Flautre (Verts/ALE).(FR) Herr Präsident! Ich möchte meinen kurzen Beitrag auf eine sehr wichtige Frage beschränken, die der Reform des Programms der Vereinten Nationen für Menschenrechte. Ich begrüße nachdrücklich, dass sich – nicht nur in unserem Haus, sondern auch in der Kommission und im Rat – die Grundzüge einer Reform der UN-Instrumente zur Bewertung der Menschenrechte abzeichnen und dass diese zudem mit den laufenden Arbeiten übereinstimmen, das heißt mit dem vom UN-Generalsekretär vorgeschlagenen Paket sowie dem Aktionsplan, der Kofi Annan unlängst von der Hochkommissarin Louise Arbour vorgelegt wurde. Es handelt sich dabei um sehr interessante Ansätze, die auch in den ausgezeichneten Bericht von Herrn Laschet eingeflossen sind.

Die Umwandlung in einen ständigen Rat ist natürlich eine Revolution im UN-Menschenrechtssystem. Wieso? Weil wir dann damit über ein Organ zur ständigen Druckausübung auf die Länder, die die Menschenrechte verletzen, verfügen und weil festgestellt wurde, dass diese Verletzungen eine permanente Gefahr für die Sicherheit, die Entwicklung und den Frieden darstellen. Diese Reform ist äußerst wichtig. Mit der Aufstockung der Mittel für das Hochkommissariat sind, wie ich glaube, wohl alle einverstanden.

Aufmerksamkeit gebührt meiner Meinung nach ebenfalls dem Inhalt der Arbeiten, der Arbeitsweise dieses Rates. In diesem Zusammenhang erscheint mir von grundlegender Bedeutung, dass im Bericht des Europäischen Parlaments auf die Peers-Review eingegangen wird, d. h. die Bewertung durch die anderen Länder, die ein transparentes, gerechtes und faires Verfahren für alle Länder darstellt, um die Kritik der Anwendung von zweierlei Maß zu vermeiden.

 
  
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  Hélène Goudin (IND/DEM).(SV) Herr Präsident! Die EU-Mitgliedstaaten vertreten unterschiedliche Standpunkte bezüglich der Reform des UNO-Systems und sollten die Möglichkeit erhalten, diese mit anderen UNO-Mitgliedsländern zu diskutieren. Diese Diskussionen sollten nicht im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit, sondern in einem größeren internationalen Zusammenhang stattfinden. Es ist offensichtlich, dass die EU-Strategie für die Reform der UNO in hohem Maße eher auf die Wahrung europäischer als globaler Interessen abzielt.

Im Entschließungsentwurf wird auf das Ziel hingewiesen, dass die EU-Mitgliedstaaten langfristig im Sicherheitsrat mit einer Stimme sprechen sollen. Diesem Vorschlag stehen wir ablehnend gegenüber. Es ist deutlich, dass die europäischen Länder unterschiedliche außenpolitische Standpunkte vertreten, was sich nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Irakkrieg gezeigt hat. Frankreich und Großbritannien beispielsweise sind Länder, die bei außenpolitischen Fragen oft verschiedene Sichtweisen haben. Ist es überhaupt möglich, im Sicherheitsrat mit einer einzigen europäischen Stimme zu sprechen? Wären dabei die Stimmen der kleinen Länder wie Schweden überhaupt zu hören?

 
  
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  Francisco José Millán Mon (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, zunächst möchte ich dem Berichterstatter, Herrn Laschet, für seine Arbeit danken. Es ist schwierig, einen breiten Konsens zwischen den verschiedenen Fraktionen und Delegationen zu solch einer komplexen Materie wie der Reform der Vereinten Nationen zu erreichen. Diese Reform schließt viele wichtige Punkte ein.

Ich werde mich im Wesentlichen auf drei Aspekte beschränken. Erstens, die Notwendigkeit eines wirksamen Multilateralismus, um die Probleme der internationalen Gemeinschaft zu bewältigen. Kein einzelnes Land und keine einzelne Ländergruppe kann alles sagen; vielmehr brauchen wir ein multilaterales Konzept, und der Multilateralismus erfordert repräsentative und effektive Institutionen. Daher die Bedeutung und die Notwendigkeit einer Reform der Vereinten Nationen.

Zweitens, die Reform des Sicherheitsrates, des Gremiums, das für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit auf der Welt von großer Bedeutung ist. Seine Repräsentativität muss verstärkt und seine Arbeit verbessert werden, aber meiner Ansicht nach ist die beste Lösung nicht das so genannte Modell A, das eine Erhöhung der Zahl der ständigen Mitglieder vorsieht. Das ist eine Vorstellung, die ich für ziemlich anachronistisch halte.

Eine wichtige Zielsetzung, die im Bericht von Herrn Laschet klar zum Ausdruck gebracht wird, ist, dass die Europäische Union selbst einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erhält. Dieses Ziel liegt auf einer Linie mit der Idee einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und wird es noch mehr sein, wenn der Verfassungsvertrag in Kraft tritt. Wenn aber das in New York akzeptierte Modell doch in der Aufnahme neuer ständiger Mitglieder besteht, so sollte meiner Ansicht nach der neue Sitz von der Europäischen Union eingenommen werden.

Ich finde es besonders bemerkenswert, dass so viel von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder einem künftigen Außenminister die Rede ist, dieses Thema jedoch erstaunlicherweise im Rat der Union nicht diskutiert wird; über die Vertretung der Europäischen Union im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird im Rat nicht debattiert, und heute hat der Vertreter des Rates – ich weiß nicht, ob er zuhört – dieses Thema anscheinend auch nicht angesprochen.

Meiner Meinung nach muss die Reform der Vereinten Nationen und insbesondere des Sicherheitsrates angesichts ihrer elementaren Bedeutung auf der Basis des größtmöglichen Konsenses beschlossen werden. Eine Reform von dieser Tragweite sollte nicht nur mit einer Zweidrittelmehrheit durchgeführt werden, das macht keinen Sinn. Ein breiterer Konsens ist notwendig.

Drittens finde ich es erfreulich, dass der Bericht den Kampf gegen den Terrorismus in den Vordergrund stellt, und in diesem Zusammenhang will ich nicht nur die Resolution 1373, sondern auch die Bedeutung der Hilfe für die Opfer des Terrorismus hervorheben. Mit der Resolution 1566 wurde ein erster Schritt in diese Richtung getan.

Hier müssen wir weitere Verbesserungen und Fortschritte erzielen.

 
  
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  Panagiotis Beglitis (PSE).(EL) Herr Präsident! Die Kräfteverhältnisse der Nachkriegszeit, die sich auch in den Strukturen der Vereinten Nationen widerspiegelten, haben sich mittlerweile grundlegend verändert. Neue internationale Probleme und Herausforderungen gefährden weltweit Frieden und Stabilität. Das internationale Geschehen wird von den Vereinigten Staaten und deren einseitiger Sichtweise auf mögliche Lösungsansätze für weltweite Probleme bestimmt. Die legitimierende Rolle der Vereinten Nationen wurde beschnitten und zugleich deren Einfluss und Glaubwürdigkeit in bedrohlicher Weise geschwächt. Die Menschheit braucht ein neues, demokratisches, multilaterales System, in dem sich die heutigen geografischen und politischen Gegebenheiten widerspiegeln. Aus diesen Gründen ist die Reform der UNO eine unabdingbare Voraussetzung für eine Welt, in der Frieden, Freiheit, Demokratie, Wachstum und Gerechtigkeit herrschen.

Der Bericht des UNO-Generalsekretärs und seine Reformvorschläge sind eine mutige Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Ähnliches gilt für den Bericht Laschet. Dennoch: Wenn es der UNO nicht gelingt, ihre Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen, was die Durchsetzung ihrer Resolutionen anbelangt, wird jede Reform ins Leere gehen. Richtungweisende Resolutionen zu Frieden und Stabilität wurden unter dem Vorwand, dass dies der derzeitigen internationalen Wirtschaftslage und den Interessen der Großmächte dienen würde, nicht umgesetzt. Bislang ist bei der Anwendung von UNO-Resolutionen eher selektiv vorgegangen worden, und ich halte es für ein schwerwiegendes Versäumnis, dass Herr Laschet dies in seinem Bericht nicht angesprochen hat.

 
  
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  Marie Anne Isler Béguin (Verts/ALE).(FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kofi Annan hat erklärt, dass die Umweltzerstörung, der Wassermangel, die Folgen des Klimawandels heute mehr Opfer fordern als Terroranschläge. Die Reformvorschläge der UNO im Umweltbereich werden zwar erwähnt, doch sind sie ungenügend angesichts der Herausforderungen, vor denen die Welt steht. Es gehört jedoch auf jeden Fall zu den Verantwortlichkeiten der Vereinten Nationen, die Mittel zur Bekämpfung der vorhersehbaren Katastrophen, die zu Millionen von Ökoflüchtlingen führen werden, zu organisieren.

Wer wird die Angehörigen der landlosen Nationen aufnehmen, deren Territorium im Ozean verschwunden ist? Welche Instanz verteidigt die Natur im kommerziellen Entscheidungsprozess der WTO, die bereits unter Beweis gestellt hat, wie wenig Umweltschäden für sie zählen?

Weil die Umwelt keine Ware ist, weil die Umweltstandards Vorrang vor dem Handel haben müssen, weil die Rechtsbeziehungen bei der Konfliktlösung zwischen der WTO und den multilateralen Umweltabkommen im Rahmen des Systems der Vereinten Nationen geklärt werden müssen, muss das UN-Umweltprogramm in eine Weltorganisation für Umwelt umgewandelt werden, die unser gemeinsames Gut, den Planeten, der unsere Heimstatt ist, verteidigt. Aufgrund der internationalen institutionellen Anerkennung wird sich dann keiner mehr seiner Verantwortung gegenüber unserem Planeten und den künftigen Generationen entziehen können.

 
  
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  Der Präsident. Zum Abschluss der Aussprache wurde gemäß Artikel 103 Absatz 2 ein Entschließungsantrag(1) eingereicht.

 
  
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  Joe Borg, Mitglied der Kommission. – (EN) Herr Präsident! Wie ich schon sagte, stimmen wir im Hinblick auf die Reform der Vereinten Nationen in vielen Punkten mit dem Parlament überein. Wir sind uns alle darin einig, dass nicht nur die Europäische Union, sondern auch die internationale Gemeinschaft als Ganzes von starken und effizienten Vereinten Nationen profitiert.

Wir können einen großen Teil der Vorschläge im Bericht des Generalsekretärs unterstützen. Wie bereits erwähnt, gehört es zu unseren Prioritäten, größere Fortschritte bei der Verwirklichung der Millenniumsziele zu erreichen. Ein wichtiges Anliegen sind uns auch die Fortschritte bei den Maßnahmen nach Konflikten, und daher unterstützen wir die Vorschläge für eine Kommission für Friedenssicherung als Instrument, das eine bestehende Lücke zwischen dem Ende eines Konflikts und dem Beginn der langfristigen Entwicklung zur Förderung eines dauerhaften Friedens füllen kann.

Wir setzen uns weiterhin mit großer Entschlossenheit für die Menschenrechte ein und werden die vorliegenden Vorschläge für einen Menschenrechtsrat uneingeschränkt unterstützen. Ebenso unterstützen wir die Einrichtung einer UN-Umweltorganisation, durch die der zentrale Schwerpunkt unserer Maßnahmen im Bereich der Umwelt weiter gestärkt wird.

Was die Klimaänderung betrifft, so sind wir der Auffassung, dass auf dem Gipfeltreffen zu einer Verstärkung der gemeinsamen Anstrengungen aufgerufen werden sollte, damit die Ziele der UN-Klimakonvention erreicht werden können. Auf dem Gipfel sollten die Vorschläge des Generalsekretärs angenommen werden, um ein abgestimmtes internationales Handeln zur Abfederung des Klimawandels sicherzustellen und einen umfassenderen internationalen Rahmen zur Bekämpfung der Klimaänderung nach 2012 entwickeln zu können.

Die Kommission befürwortet den Inhalt des Berichts des UN-Generalsekretärs über den Vorschlag für ein umfassendes Übereinkommen zur Terrorismusbekämpfung ausdrücklich und ruft die Mitgliedstaaten auf, gemeinsam eine Definition für den Terrorismus festzulegen.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat in seinem Bericht zu Recht darauf verwiesen, dass die Anhäufung und Weitergabe von Klein- und Leichtwaffen weiterhin eine Bedrohung für die internationale Sicherheit, die Sicherheit der Menschen und die sozioökonomische Stabilität darstellt. Bei dem Gipfeltreffen sollten dem Appell des UN-Generalsekretärs folgend ein Konsens über ein rechtsverbindliches Übereinkommen über die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von Kleinwaffen erreicht und die Verhandlungen über ein Instrument zur Bekämpfung des unrechtmäßigen Handels mit Waffen vorangetrieben werden. Außerdem hofft die Kommission darauf, dass auf dem Gipfeltreffen der Weg für die Aufnahme von Verhandlungen über einen internationalen Vertrag über Waffenhandel freigemacht wird.

Die vorgeschlagene Einrichtung eines Demokratiefonds könnte einen zusätzlichen Nutzen erbringen. Mit einem solchen Fonds könnte viel erreicht werden, wenn er zur gemeinsamen Festlegung wichtiger Prioritäten, zur allgemeinen Programmplanung und zur Unterstützung der politischen Orientierung der förderungswürdigen Länder eingesetzt würde, die ihre demokratische Praxis stärken wollen. Nun müssen die notwendigen Schritte unternommen werden, die eine Einigung über die Modalitäten dieses Fonds erleichtern.

Die Kommission hebt hervor, dass das politische Profil der Generalversammlung wiederhergestellt und ihre Rolle als wichtigstes universelles Beratungsgremium behauptet werden muss. Die Kommission hat darüber hinaus ein besonderes Interesse an der Reform des Wirtschafts- und Sozialrats. Wir treten für eine grundlegende Reform ein, um die Einsatzfähigkeit dieses Gremiums zu verbessern, und sind der Meinung, dass seine Rolle in Bezug auf alle Säulen der nachhaltigen Entwicklung gestärkt werden sollte.

Einige Mitglieder haben die Reform des Sicherheitsrats angesprochen. Dies ist eindeutig ein wichtiges und zentrales Thema. Es darf aber nicht zu einem Thema werden, das uns daran hindert, in den anderen Bereichen, die ich genannt habe, aktiv zu werden. Ich habe Ihre wiederholte Forderung nach einem Sitz der EU im Sicherheitsrat erneut zur Kenntnis genommen.

Zum Abschluss möchte ich darauf hinweisen, dass es bei der Reform der Vereinten Nationen nicht allein um eine Änderung der institutionellen Strukturen geht. Unser Ziel besteht in der Verbesserung der Fähigkeit dieser globalen Organisation, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, damit sie den Erwartungen der Menschen in den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen gerecht werden kann. Wenn wir versuchen, die Bereiche zu bündeln, in denen Übereinstimmung zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission besteht, können wir unsere Chancen auf gute Ergebnisse bei der Reform dieser wichtigen Einrichtung erhöhen.

 
  
  

VORSITZ: LUIGI COCILOVO
Vizepräsident

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Herr Präsident! Ich danke der Kommission, dass sie mich während meiner kurzen Abwesenheit so rasch vertreten hat. Ich denke, der Rat nimmt die Anregungen, die Ideen und Vorschläge, die das Parlament in dieser Aussprache, aber auch in diesem Berichtsentwurf entwickelt hat, gebührend zur Kenntnis. Die Präsidentschaft wird der kommenden Präsidentschaft natürlich die wesentlichen Elemente dieser Aussprache übermitteln, denn es kommt jetzt darauf an, dass die Europäische Union ihren Standpunkt für den Gipfel im September eindeutig festlegt.

Ich bin der Meinung, wie viele von Ihnen ausgeführt haben, dass die Vereinten Nationen ein wesentliches Element einer globalisierten Welt darstellen. Um die Probleme der heutigen Welt lösen zu können, brauchen wir ein starkes und effizientes multilaterales System. Und genau deswegen darf diese Reform sich nicht auf einige Einzelheiten oder einige Interessen mit nationalem Charakter beschränken. Die Europäische Union ist am besten geeignet oder sollte es sein, um zu zeigen, dass der Multilateralismus die Antwort auf die Probleme darstellt, die nicht mehr auf nationaler Grundlage gelöst werden können.

Ich möchte ebenfalls kurz auf den Vorschlag zu einem Fonds zugunsten der Demokratie eingehen. Das System der Vereinten Nationen muss im Menschenrechtsbereich tief greifend reformiert werden. Es gibt allzu oft – und wir hatten wiederholt Anlass, darüber zu diskutieren – gleichsam absurde Entwicklungen in der Menschenrechtskommission. Daher ist eine Reform absolut erforderlich, um der Verteidigung der Menschenrechte innerhalb des Systems der Vereinten Nationen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Und ich bin der Meinung, dass die Europäische Union auch auf diesem Gebiet an der Spitze der Reform stehen, diese ermutigen und zu positiven Ergebnissen und Schlussfolgerungen gelangen kann.

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr statt.

 
  

(1) Siehe Protokoll


17. Transatlantische Beziehungen
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  Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zu den transatlantischen Beziehungen.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Herr Präsident! Wir hatten vor einigen Monaten eine Aussprache über die Verstärkung der transatlantischen Beziehungen. Sie folgte auf den Besuch von Präsident Bush bei den europäischen Institutionen und auf das, was man als Neubelebung dieser Beziehungen bezeichnen kann.

Wir befinden uns gegenwärtig in der Phase der Vorbereitung des bevorstehenden euro-atlantischen Gipfels, der Ende dieses Monats stattfinden soll. Es ist wichtig, dass dieser Gipfel in konkrete Ergebnisse mündet, damit die Neubelebung des Dialogs, die mit dem Besuch von Präsident Bush erreicht wurde, zum Tragen kommen kann. Ich möchte daher einige Punkte ansprechen, die mir im Kontext einer Verstärkung der transatlantischen Beziehungen besonders wichtig erscheinen.

Erstens das Thema Iran, das ein wichtiger Tagesordnungspunkt während des Besuchs von Präsident Bush war. Die Amerikaner haben nicht nur ihre Unterstützung für die europäische Initiative zum Ausdruck gebracht, sondern auch akzeptiert, mit Iran Beitrittsverhandlungen zur WTO zu eröffnen, und dieser Beitritt Irans zur Welthandelsorganisation ist heute integraler Bestandteil der europäischen Strategie. Ich glaube daher, dass es uns bei diesem äußerst heiklen und sensiblen Thema gelungen ist, zu zeigen, dass die Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa zu Lösungen führen kann, vor allem aber dass sie ein stringentes Konzept hervorbringen kann, das zudem im Wesentlichen ein europäisches Konzept ist.

Die Union und die USA werden gemeinsam eine Konferenz über den Wiederaufbau des Irak organisieren und leiten, von der ich heute Vormittag gesprochen habe. Diese Entscheidung ist während des Besuchs von Präsident Bush bekannt gemacht worden. Mit dieser Ankündigung konnten wir zeigen, dass wir die Meinungsverschiedenheiten zu Irak hinter uns gelassen haben. Die USA und die Union haben dieselben Ziele in diesem Land, das heißt die irakische Regierung bei der enormen Aufgabe des Wiederaufbaus und insbesondere der Stärkung der Sicherheit zu unterstützen. An dieser Konferenz, die auf Ministerebene stattfinden wird, werden über 80 Delegationen teilnehmen, darunter eine Vielzahl aus der betroffenen Region. Die irakische Regierung, die im Mittelpunkt dieser Konferenz stehen wird, wird somit Gelegenheit haben, ihre Vorhaben vorzustellen und deren wirtschaftliche, politische und sicherheitsbezogene Aspekte mit der auf dieser Konferenz vertretenen internationalen Gemeinschaft zu erörtern.

Was Sudan betrifft, so war der Europäischen Union nicht nur daran gelegen, dass die Schuldigen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestraft werden, sondern auch dass dies durch den Internationalen Strafgerichtshof geschieht. Wie Sie wissen, gehört die Union zu den hauptsächlichen Instanzen, die diesen Strafgerichtshof unterstützen. Für uns stellt der Fall des Sudan einen bedeutenden Präzedenzfall dar, denn der Gerichtshof ist genau für diese Art von Fällen geschaffen worden. Wenn dieser Fall nicht vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht worden wäre, dann hätte das bedeutet, dass ein ungünstiger Präzedenzfall mit ernsten Folgen für die Zukunft geschaffen wird. Nach mehreren Wochen intensiver Verhandlungen haben wir eine für alle akzeptable Lösung gefunden, die es ermöglichte, dass die Lage im Sudan ohne US-Veto vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht wurde. Auch in diesem Fall hat die Europäische Union im Rahmen der transatlantischen Beziehungen einen recht positiven Einfluss ausgeübt, der ein wirksameres multilaterales Handeln ermöglichte.

Der politische Dialog zwischen der Europäischen Union und den USA weist nunmehr auch in wirtschaftlicher Hinsicht einen häufigeren und strategischeren Charakter auf. Allerdings ist zu unterstreichen, dass weiterhin beträchtliche Probleme bestehen. Wir alle kennen den Fall Boeing und Airbus, wobei zu hoffen ist, dass wir beim nächsten Gipfeltreffen noch eine befriedigende Lösung erreichen, so dass dieser Fall nicht vor die WTO kommt und damit die Zukunft der euro-atlantischen Beziehungen belastet.

Des Weiteren ist ein strategischer Dialog über Asien aufgenommen worden. Die Diskussionen über die Aufhebung des Embargos für Waffenexporte nach China hatten deutlich gemacht, dass es an einer Debatte über die strategischen Veränderungen in Asien fehlt. Die Aufnahme dieses Dialogs soll daher unsere gemeinsamen Interessen zeigen und der Union helfen, ihre eigenen strategischen Überlegungen zu dieser wichtigen Region, die politisch und insbesondere auch wirtschaftlich ständig an Bedeutung zunimmt, zu verstärken. Im US-Kongress ist kürzlich ein EU-Caucus ins Leben gerufen worden. Wir hoffen, dass Sie diese Gelegenheit ergreifen und das wachsende Interesse Ihrer US-amerikanischen Parlamentskollegen für die Europäische Union nutzen werden. Der Dialog zwischen den Gesetzgebern ist wichtig und sollte verstärkt werden, insbesondere wenn man sich die Bedeutung des Senats auf außenpolitischem Gebiet vor Augen hält. Ich denke daher, dass die Entwicklung der Beziehungen zwischen Ihrem Parlament und dem US-Kongress ein äußerst wichtiges Ziel sein muss.

Herr Präsident, diese Beispiele belegen den guten Stand der transatlantischen Zusammenarbeit in den letzten Monaten. Es ist wichtig, mit unseren US-amerikanischen Partnern bei der Bewältigung der vor uns stehenden Herausforderungen zusammenzuarbeiten. Die verschiedenen Beispiele zeigen auch, dass wir Divergenzen überwinden und gemeinsame Positionen finden können. Es laufen also umfangreiche Vorbereitungsarbeiten für das nächste Gipfeltreffen Europäische Union-USA, das am 21. Juni in Washington stattfinden wird. Wir erwarten einen substanziellen und strategischen Gipfel, denn er wird auf die wesentlichen Fragen der internationalen Beziehungen ausgerichtet sein.

Zu Beginn dieses Monats ist die Troika zu diesem Zweck mit Außenministerin Rice zusammengetroffen. Wir arbeiten an mehreren Erklärungsentwürfen: zum Nahen Osten, zu Frieden und Sicherheit auf internationaler Ebene, zur Förderung von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, aber auch zu Afrika, zur Umwelt und zu den wirtschaftlichen Beziehungen. Wie letztes Jahr wollen wir diese Erklärungen als Arbeitsgrundlage nutzen. Während des Gipfels werden wir über die wichtigsten strategischen Fragen debattieren, insbesondere über den Nahen Osten und Osteuropa, den Balkan, die Lage im Kosovo, aber auch –wir haben vorhin darüber diskutiert – die Reform der Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen können nur mit Unterstützung der USA reformiert werden, und uns ist bewusst, dass in dieser Hinsicht noch ein beträchtlicher Weg zurückzulegen ist. Ebenso wie wir unterstützen zwar die USA die Vorschläge zur Errichtung einer Kommission für Friedenskonsolidierung, doch ist es jetzt erforderlich, dieser einen konkreteren und insbesondere praxiswirksameren Inhalt zu verleihen. Die Europäische Union ist im Bereich der wirtschaftlichen Beziehungen, wie ich bereits sagte, recht anspruchsvoll.

Die nächste Präsidentschaft – denn die unsere wird dann zu Ende sein – wird Sie über die Ergebnisse dieses Gipfels informieren. Ich bin zuversichtlich, dass die starke Wiederbelebung der transatlantischen Beziehungen, die wir anlässlich des Besuchs von Präsident Bush erreicht haben, auf diesem Gipfel weitergeführt werden kann und dass konkrete Ergebnisse erzielt werden können, so dass künftig eine solidere Basis für die transatlantischen Beziehungen besteht, denn diese bleiben von grundlegender Bedeutung für die Europäischen Union.

 
  
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  Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Meine Damen und Herren! Vielen Dank für die Gelegenheit, kurz vor unserem jährlichen Gipfeltreffen EU-USA, das am 20. Juni in Washington stattfinden wird, hier im Parlament sprechen zu dürfen. Ich möchte gleich zu Beginn zum Ausdruck bringen, dass wir viele der Ansichten, die in Ihrem Entschließungsantrag enthalten sind, teilen und die Unterstützung des Europäischen Parlaments bei der Festigung der transatlantischen Beziehungen begrüßen.

Die transatlantischen Beziehungen sind an einem Wendepunkt angelangt. Es zeichnet sich eine neue Ära der transatlantischen Einigkeit ab. Dies wurde vor kurzem auch von Condoleezza Rice bestätigt, als sie meinte, dass wir, anstatt uns zurückzulehnen und den Stand der transatlantischen Allianz zu analysieren, die Allianz wieder zum Laufen bringen sollten. Diese Entwicklung findet genau zum richtigen Zeitpunkt statt und ist nachdrücklich zu begrüßen. Als globale Partner müssen die EU und die Vereinigten Staaten beim Aufbau einer wohlhabenden und sicheren Welt sowie bei der Förderung der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit die Federführung übernehmen. Wir müssen eine gemeinsame Strategie erarbeiten, mit der wir die globalen Probleme, wo immer sie auch auftreten mögen, angehen können. Das ist die Botschaft, die unsere Staats- und Regierungschefs auf dem bevorstehenden Juni-Gipfel zweifelsohne zu übermitteln versuchen werden.

Der erfolgreiche Besuch von Präsident Bush im Februar dieses Jahres in Brüssel war Ausdruck des Wunsches der US-amerikanischen Regierung, sich an Europa wieder anzunähern und mit der Europäischen Union partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Dies stellte ein wichtiges Signal dar, denn es wurde deutlich, dass wir die Probleme, die bei der Herangehensweise an die Irak-Frage aufgetaucht waren, hinter uns gelassen hatten und dass wir bereit sind, auf konstruktive Weise als Verbündete zusammenzuarbeiten. Die Vereinigten Staaten nehmen gegenüber der Europäischen Union eine zunehmend offenere Haltung ein und schenken unseren Anliegen mehr Beachtung. Und selbst wenn es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen uns kommt, sind wir dabei zu lernen, wie wir diese am besten im Wege des Dialogs ausräumen können. Ein gutes Beispiel dafür ist der strategische Dialog über Ostasien, der erst kürzlich von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten aufgenommen wurde. Hierbei handelt es sich um ein Diskussionsforum zu den Sicherheitsherausforderungen in der Region, wozu auch die Probleme gehören, die mit einem mächtiger werdenden China verbunden sind. Auch bei der Reform der Vereinten Nationen wird die Zusammenarbeit fortgeführt, wenngleich hier noch großer Handlungsbedarf besteht.

Im Mittelpunkt des Gipfeltreffens EU-USA am 20. Juni werden drei globale Themen stehen: Förderung der demokratischen Regierungsführung und der Menschenrechte in der ganzen Welt, Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstands unserer Bürger und Förderung von Sicherheit und Entwicklung. Ich möchte mich zu jedem dieser drei Punkte kurz äußern.

Die Förderung der Demokratie und der Freiheit bildet in der zweiten Amtszeit von Präsident Bush den Kernpunkt seiner Außenpolitik. Auch die Außenpolitik der Europäischen Union, die auf den Grundsätzen der Sicherheitsstrategie der Vereinten Nationen und der Europäischen Union beruht, zielt auf die Förderung der Demokratie sowie der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit ab. Die Förderung der Demokratie steht nach wie vor im Mittelpunkt unserer Arbeit im Nahen und Mittleren Osten und im Mittelmeerraum, wobei sich hier die transatlantische Zusammenarbeit in den vergangenen zwölf Monaten erheblich verbessert hat.

Kurz nach unserem Gipfeltreffen in Washington wird in Brüssel eine internationale Konferenz zum Irak stattfinden, die wir und die USA mitorganisiert haben. Diese Konferenz stellt ein wichtiges Signal dafür dar, dass die Regierung und das Volk bei ihrer schwierigen Aufgabe der Stabilisierung und des Wiederaufbaus auf internationale Unterstützung zählen können. Darüber hinaus standen wir während der Wahlen im Libanon täglich in Kontakt und werden das libanesische Volk bei der Festigung der Demokratie auch weiterhin gemeinsam unterstützen. Was Israel und Palästina angeht, bauen wir unsere Zusammenarbeit innerhalb des Quartetts ebenfalls aus.

Zum Thema wirtschaftlicher Wohlstand ist anzumerken, dass die Europäische Union und die Vereinigten Staaten über die am stärksten integrierten Volkswirtschaften der Welt verfügen und von den umfassendsten Handels- und Investitionsbeziehungen profitieren. Aber wir können und möchten mehr tun. Deshalb haben wir neun Monate lang alle Interessengruppen nach den Hindernissen befragt, auf die sie gestoßen sind, und die Ergebnisse in der vor kurzem veröffentlichten Mitteilung der Kommission „Eine stärkere Partnerschaft zwischen EU und USA und ein offenerer Markt für das 21. Jahrhundert“ zusammenfassend dargestellt. Die Mitteilung enthält eine Reihe pragmatischer Vorschläge zur Belebung der Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen der EU und den USA, was dazu beitragen soll, die Wettbewerbsfähigkeit, das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen auf beiden Seiten des Atlantiks zu fördern.

Mit unseren Vorschlägen verfolgen wir drei grundlegende Ziele: Erstens die Regulierung des transatlantischen Marktes, einschließlich solcher Bereiche wie Dienstleistungen, Investitionen, öffentliche Auftragsvergabe und Wettbewerb, zweitens die Förderung von Wissen und Innovationen und drittens die Schaffung von „smarter borders“ und mehr Sicherheit an den Grenzen für eine Beschleunigung von Handel und Investitionen.

Hinter der Zusammenarbeit bei der Regulierung steckt der Gedanke, dass nach Möglichkeiten gesucht werden soll, wie die Regulierungsbehörden von Anfang an zusammenarbeiten können. Dadurch sollen unnötige Konflikte und Kosten vermieden und die Konvergenz gefördert werden.

Das zweite Ziel – die Förderung von Wissen und Innovationen – ist für die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und die Schaffung von Arbeitsplätzen von entscheidender Bedeutung. So stießen neue Technologien, insbesondere E-Commerce, Internet-Governance und Mobilfunkdienste, bei den befragten Interessengruppen auf großes Interesse.

Das dritte Ziel unseres Pakets besteht darin, das richtige Gleichgewicht zwischen strengeren Sicherheitsauflagen und der Fortführung des offen Handels und des Personenverkehrs zu finden.

Ferner geht es in unserer Mitteilung auch um die allgemeine Struktur und die allgemeinen Ziele der transatlantischen Beziehungen. Wir befassen uns darin mit der Frage, wie das politische Profil unserer Beziehungen zehn Jahre nach der Unterzeichung der Neuen Transatlantischen Agenda von 1995 und 15 Jahre nach der Transatlantischen Erklärung von 1990 aussehen soll. Wir müssen vor allem sicherstellen, dass die Struktur und die Ziele der transatlantischen Beziehungen an die aktuellen Herausforderungen angepasst werden.

Zudem würden wir begrüßen, wenn die Gesetzgeber – das Europäische Parlament und der Kongress der Vereinigten Staaten – untereinander engere Beziehungen knüpfen würden. Deshalb schlagen wir vor, den Transatlantischen Dialog der Gesetzgeber zu verbessern und ihn zu einer vollwertigen Transatlantischen Versammlung auszubauen. Die Kommission ist bereit, dabei gegebenenfalls Unterstützung zu leisten, aber natürlich muss eine solche Initiative zunächst einmal von diesem Parlament und dem Kongress der Vereinigten Staaten ausgehen.

Das dritte Thema des Gipfeltreffens betrifft die Förderung von Sicherheit und Entwicklung. Bei unserer anhaltenden Suche nach Maßnahmen, mit denen wir den Schutz unserer Bürger vor Terrorismus und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verbessern können, sollten wir nicht vergessen, dass solche Phänomene wesentlich mehr Opfer außerhalb als innerhalb unserer Grenzen fordern. Dies hat uns in unserer Entschlossenheit bestärkt, bei der Verbreitung der Sicherheit und aller damit verbundenen Vorzüge mit den Vereinigten Staaten zusammenzuarbeiten und dabei mitzuhelfen, die Völker dieser Welt von der täglichen Tyrannei des Terrorismus und der Gewalt zu befreien.

Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten sollten ihre Fähigkeiten und Erfahrungen im Bereich der Konfliktverhütung und der Krisenbewältigung bündeln und dabei sämtliche, ihnen zur Verfügung stehende zivile und militärische Mittel nutzen. Im Falle aktueller und potenzieller Krisen sollten wir uns zu regelmäßigen Beratungen treffen. Wir sollten bei der Hilfe und dem Wiederaufbau nach dem Ende von Konflikten verstärkt zusammenarbeiten. Außerdem sollten wir uns durch gemeinsame Ausbildungs- und Übungsprogramme auf Krisen vorbereiten und gemeinsam daran arbeiten, die internationale Fähigkeit zur Krisenbewältigung zu verbessern und künftige Krisen zu verhindern. Die Europäische Union ist bestrebt, mit den Vereinigten Staaten beim Krisenmanagement auf ziviler und militärischer Ebene zusammenzuarbeiten.

Im Übrigen sind wir uns dessen bewusst, dass Armut, Krankheiten, Korruption und Instabilität bekämpft werden müssen, da sie von Terroristen für ihre Zwecke ausgenutzt und dadurch noch verschlimmert werden. Den Schwerpunkt unserer Agenda sollten die Millenniums-Entwicklungsziele bilden.

Abschließend möchte ich zum Ausdruck bringen, dass die Kommission den Entschließungsantrag des Parlaments begrüßt und – wie ich vorhin bereits ausführte – größtenteils befürwortet. Beim Ausbau unserer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten verfolgen wir ein ehrgeiziges, vorausschauendes Konzept und arbeiten aktiv an den Bereichen, die in dem Entschließungsentwurf genannt werden.

Wir haben es hier mit einer anspruchsvollen Agenda zu tun. Insofern sehen wir Ihrer Unterstützung und der Unterstützung des Kongresses der Vereinigten Staaten erwartungsvoll entgegen.

 
  
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  Elmar Brok, im Namen der PPE-DE-Fraktion. Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissar! Ich glaube, dass wir in diesen Tagen, wo wir als Europäische Union schwächeln, deutlich machen müssen, dass die transatlantischen Beziehungen für uns von großer Bedeutung sind, und dass gerade die Verbesserung dieser Beziehungen in vielerlei Hinsicht auch uns wiederum hilft, unsere Handlungsfähigkeit zu verdeutlichen. Deswegen kommt dem Gipfel große Bedeutung zu, indem er sowohl bestimmte Fragen löst als auch bestimmte Prozesse in Gang setzt.

Es ist wichtig, in den wirtschaftlichen Fragen zu schnelleren Lösungen und Vereinbarungen zu kommen, weil die beiden großen Demokratien auf beiden Seiten des Atlantiks wirtschaftlich immer noch die starken Kräfte dieser Welt sind. Wenn sie entsprechende Wachstumsimpulse setzen können, was für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und eine bessere Situation der Welt insgesamt sehr wichtig ist, sollte dies im Rahmen des multilateralen Konzeptes stattfinden.

Das ist auch für die allgemeine politische Lage wichtig. Wenn wir sehen, dass es Entwicklungen in der Welt gibt, die ungelöst sind, die Gefahren und Druck mit sich bringen, wissen wir, dass hier die Demokratien nur gemeinsam Lösungen finden können, und nicht nur auf der Grundlage der Nato, sondern auf der Grundlage dessen, was die Europäische Union inzwischen an Kompetenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik, in der Rechts- und Innenpolitik wie auch in der wirtschaftspolitischen Dimension erworben hat.

Nun müssen wir dies auch in ein geeignetes Konzept hineinsetzen. Hier kann das von uns vorgeschlagene Transatlantische Partnerschaftsübereinkommen eine entscheidende Rolle spielen, um einen Rahmen zu schaffen, in dem wir diese Politik in Zukunft in vernünftiger Weise entwickeln können.

In der Mitteilung der Kommission habe ich mit Interesse gelesen, dass dies keine politische Unterstützung habe – außer vielleicht im Amerikanischen Kongress und im Europäischen Parlament. Aber es scheint für die Kommission nicht relevant zu sein, dass die Unterstützung aus diesen beiden Häusern kommt.

Man sollte doch einmal überlegen, ob man in dieser Zeit hier nicht einen mutigen Schritt nach vorne gehen kann und nicht nur in Kleinkram die Lösung zu finden sucht, sondern bei dem Gipfel den Auftrag gibt, in den nächsten zwölf Monaten zu prüfen, wie wir in diesen Bereichen vorankommen können.

Die USA haben fast mit jedermann in dieser Welt Verträge, die Europäische Union hat mit fast jedermann in dieser Welt Verträge, aber es gibt keinen Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union. Darüber sollten wir einmal nachdenken, damit wir dies zu einem besseren Funktionieren bringen und nicht dreißig Jahre lang meinen, der Airbus–Boeing–Streit stünde im Mittelpunkt unseres Geschehens und unserer Diskussion.

 
  
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  Jan Marinus Wiersma, im Namen der PSE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Auch wir hoffen, dass die Europäische Union trotz der Ungewissheit im Hinblick auf die Zukunft des Verfassungsvertrags nach dem Nein in den Niederlanden und Frankreich in der Lage sein wird, beim bevorstehenden Gipfel gegenüber den USA geschlossen aufzutreten. Die Welt hat nicht aufgehört, sich zu drehen, und einige Fragen, bei denen eine Einigung zwischen den USA und der EU wichtig ist, können nicht warten, bis wir unsere internen Probleme gelöst haben.

Auch wenn sich das Klima zwischen den Vereinigten Staaten und Europa zweifellos verbessert hat, bedeutet dies nicht, dass alle Unstimmigkeiten der Vergangenheit angehören. Die EU muss dafür sorgen, dass Amerika ihre Standpunkte begreift. Die gemeinsame Entschließung, die wir morgen annehmen werden, enthält einen ganzen Katalog von Punkten, die unserer Ansicht nach auf der Tagesordnung stehen sollten. Auf drei Aspekte möchte ich näher eingehen.

Zunächst stellt sich die Frage, wie wir mit der Globalisierung umgehen. Obwohl die diesbezügliche Diskussion unmöglich in zwei Minuten zusammengefasst werden kann, ist doch klar, dass das gemeinsame wirtschaftliche Gewicht der Europäischen Union und der USA beiden Seiten sowohl Einfluss gibt als auch große Verantwortung aufbürdet. Wie beziehen wir Fragen rund um die Themen fairer Handel, Umwelt und sozialere Dimension in unseren Standpunkt zur wirtschaftlichen Globalisierung ein?

Zweitens mache ich mir nach dem Scheitern der Konferenz zur Überprüfung des Vertrags über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen große Sorgen um die Verbreitung nuklearer Waffentechnologie. Trotz langwieriger und gründlicher Vorbereitungen ist es den Unterzeichnerstaaten nicht gelungen, in wesentlichen Punkten eine Einigung zu erzielen, was nicht zuletzt auf die Haltung der Amerikaner zurückzuführen ist. Möglicherweise ist der Vertrag, das heißt die rechtliche Grundlage des Nichtweiterverbreitungsregimes und damit eine unabdingbare Voraussetzung, ernsthaft geschwächt. Die Konsequenzen sind offenkundig. Ich fordere daher die EU-Mitgliedstaaten und die USA dringend auf, Maßnahmen vorzuschlagen, die dazu beitragen, das Vertrauen in den Nichtweiterverbreitungsvertrag wieder herzustellen.

Eng damit verknüpft ist drittens die Reform der Vereinten Nationen, um die es im Herbst geht. Erfreut stelle ich fest, dass sich auch der Ratspräsident der Bedeutung dieses Tagesordnungspunkts bewusst ist. Obgleich die Notwendigkeit von Reformen ein allgemeines Bedürfnis ist, bleibt die Position der USA vorerst weiter unklar. In meinen Augen ist dieses Vorhaben ein Prüfstein für die amerikanischen Sichtweisen im Hinblick auf das multilaterale System und letztlich die Zukunft der UNO insgesamt. Ich hoffe zutiefst, dass die Europäische Union den Amerikanern Zusicherungen für eine konstruktive Haltung abringen kann.

 
  
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  Annemie Neyts-Uyttebroeck, im Namen der ALDE-Fraktion. (NL) Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Tief in der letzten EU-Wahlperiode und unter der vorigen US-Regierung scheint der Himmel über dem Atlantik wieder aufzuklaren. Der Besuch von Präsident Bush bei der Europäischen Union und in einer Reihe von Mitgliedstaaten hat offenbar eine neue Ära eingeläutet. Natürlich hätten wir Präsident Bush gern in diesem Sitzungssaal begrüßt, aber wir haben die Hoffnung darauf noch nicht aufgegeben.

Von größerer Wichtigkeit ist jedoch die Tatsache, dass wir uns offenkundig einig sind über die Bedingungen zur Beendigung einer schwierigen Periode in den Beziehungen zwischen der EU und den USA und die Voraussetzungen, um das Fundament für eine erneute Zusammenarbeit zu legen, die auf gegenseitigem Respekt, Gleichwertigkeit und dem festen Willen beruhen muss, unsere gemeinsamen Anstrengungen in den multilateralen Rahmen der Vereinten Nationen, der Welthandelsorganisation und der Nato zu stellen. Selbstverständlich müssen einseitige Initiativen vermieden werden, die schwerwiegende Handelskonflikte auslösen könnten.

Dass wir uns nach den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden in einer Phase der Besinnung und möglichen Umorientierung befinden, darf keinen nachteiligen Einfluss auf den bevorstehenden Gipfel haben. Zehn Jahre nach der Verabschiedung des neuen transatlantischen Dialogs ist es höchste Zeit, diesen auszudehnen. Der erweiterte Dialog muss uns jedoch auch die Möglichkeit geben, unsere Bedenken im Hinblick auf die unannehmbaren Zustände im Gefängnis von Guantanamo Bay oder die Einschränkung der persönlichen Freiheit und Privatsphäre durch einseitige Sicherheitsmaßnahmen zu äußern. Sowohl die USA als auch wir legen großen Wert auf die weltweite Verbreitung von Demokratie, Wohlstand und Menschenrechten, wenngleich sich unsere Ansichten über die Umsetzung mitunter unterscheiden. Die unsrigen sind darum jedoch nicht unbedingt schlechter.

Hinsichtlich der Verringerung der Armut in der Welt, der Bekämpfung tödlicher Krankheiten, des Friedens im Nahen Osten und der friedlichen Beilegung so genannter eingefrorener Konflikte stehen wir enormen Herausforderungen gegenüber. Daher hoffe ich, dass sowohl Amerikaner als auch Europäer in der Lage sein werden, ihre Kräfte wirksam zu bündeln.

 
  
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  Cem Özdemir, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch meine Fraktion begrüßt es ausdrücklich, dass nach der Eiszeit, die vorübergehend im transatlantischen Verhältnis herrschte, die Dinge offensichtlich wieder auf den richtigen Weg gebracht werden. Ich glaube, beide transatlantischen Partner müssen verstehen, wie sehr sie sich gegenseitig brauchen, um die gemeinsamen Werte weltweit zu schützen und durchzusetzen. In diesem Zusammenhang ist der transatlantische Gipfel sehr wichtig, weil er hoffentlich helfen wird, weiter voranzukommen.

Ich möchte es auch ausdrücklich begrüßen, dass unsere amerikanischen Freunde nach dem Scheitern der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden keine Schadenfreude gezeigt haben. Manche haben da sicherlich etwas anderes erwartet. Man muss dies sicherlich positiv verbuchen.

Trotzdem weist der vorgelegte Entschließungsantrag auch einige Mängel auf, weshalb meine Fraktion Änderungsanträge eingebracht hat. Ich möchte diese nun in aller Kürze vorstellen. Es geht da beispielsweise um den Bereich des Klimaschutzes. Erst heute haben wir in den Nachrichtenagenturen gelesen, dass es auch Tony Blair nicht gelungen ist, die Vereinigten Staaten von Amerika dazu zu bringen, Zugeständnisse im Bereich des Klimaschutzes zu machen. Nach wie vor blockieren unsere amerikanischen Freunde leider einen effektiven, Klimaschutz und gerade jetzt merken wir, wie stark der Zusammenhang zwischen Armutsbekämpfung und Klimaschutz andererseits ist.

Schließlich das Thema Menschenrechte und internationales Recht. Der amerikanische Senator Biden hat noch einmal sehr deutlich gemacht, wie wichtig es für das Ansehen unserer amerikanischen Freunde ist, dass das Gefangenenlager Guantánamo geschlossen wird. Wir haben jetzt wieder von der Meuterei der Gefangenen in Abu Gharaib gelesen. Diese beiden Lager, aber auch die anderen illegalen Lager weltweit müssen dringend geschlossen werden, da sie einen Schandfleck darstellen und im Widerspruch zu den Werten der Vereinigten Staaten von Amerika stehen.

Ich glaube, es ist sehr, sehr wichtig zu erkennen, dass wir, wenn wir die Armut bekämpfen wollen, uns nicht in neue Rüstungsinvestitionswettläufe hineinsteigern dürfen. Das Zeichen der Zeit darf nicht sein, neue Rekorde bei den Ausgaben in den Rüstungsetats aufzustellen. Wir müssen vielmehr alles dafür tun, um unserer Verantwortung weltweit gerecht zu werden.

 
  
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  Vittorio Agnoletto, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit scheint, der Bericht des Rates und der Bericht der Kommission zielen ebenso wie der von der Mehrheit der politischen Fraktionen eingereichte Entschließungsantrag allesamt darauf ab, um jeden Preis ein Abkommen mit den USA zu erzielen und dabei sogar Prinzipien aufzugeben, die seit jeher das Fundament der Europäischen Union bildeten.

Ich denke dabei zum Beispiel an die Achtung der Menschenrechte: Die Guantánamo-Affaire ist kein Einzelfall, was unter anderem die Situation in Abu Ghraib – über die niemand gesprochen hat – und die Entführungen freier Bürger durch amerikanische Geheimdienste im Gebiet der Europäischen Union zeigen, die von den größten europäischen Zeitungen dokumentiert wurden. Wir sehen das alles nicht und äußern uns in keiner Weise dazu. Außerdem wird mit keinem Wort erwähnt, dass wir den Präventionskrieg, der absolut völkerrechtswidrig ist, verurteilen. Darüber hinaus wird beim Aufbau der transatlantischen Beziehung dem Liberalismus in all seinen Formen ein ständiger Tribut gezollt und sogar vorgeschlagen – das habe ich von dem Vertreter der Kommission gehört –, die Dienstleistungen auf dem Markt der transatlantischen Beziehungen feilzubieten, die bisher – glücklicherweise – von den Vereinbarungen der Welthandelsorganisation ausgenommen sind und noch als Dienste für den Zugang zu Rechten und nicht als Ware zur Profiterwirtschaftung betrachtet werden.

 
  
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  Bastiaan Belder, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Wie dem Rat bestens bekannt ist, lehnt das Europäische Parlament aufgrund der Menschenrechtssituation in China (siehe Ziffer 7 des gemeinsamen Entschließungsentwurfs) weiterhin sein Vorhaben ab, das Waffenembargo gegen die Volksrepublik aufzuheben. Wenngleich ich diese Haltung unterstütze, ist sie viel zu restriktiv, denn sowohl das erodierende militärische Gleichgewicht in Taiwan als auch die allgemeine regionale Stabilität in Ostasien werden komplett außer Acht gelassen. Es gibt geopolitische Entwicklungen, die den USA im Zusammenhang mit einer möglichen Aufhebung des Waffenembargos gegen Peking durch Europa Sorgen bereiten.

Es sieht ganz danach aus, als wolle Brüssel Washington die alleinige Verantwortung für Frieden und Sicherheit im Fernen Osten aufbürden. In diesem Fall steht nach dem Irak bald eine neue Krise in den transatlantischen Beziehungen ins Haus. Ich hoffe, der Rat straft dieses düstere Szenario auf dem Gipfel EU-USA am 20. Juni Lügen. Wie? Indem wir gemeinsam mit den Amerikanern Verantwortung übernehmen, echte Verantwortung für die geopolitische Stabilität in Asien. Schließlich ist die EU als Chinas wichtigster Handelspartner dazu verpflichtet.

 
  
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  Marcin Libicki, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Herr Präsident, die Beziehungen der EU zu den Vereinigten Staaten sollten in erster Linie auf einem gesunden wirtschaftlichen Wettbewerb basieren. Diesen Wettbewerb wird die Europäische Union aber nur dann erfolgreich führen können, wenn die europäische Wirtschaft nicht durch verschiedene merkwürdige Vorstellungen in Bezug auf den Staat, die Gesellschaft und den steuerlichen Bereich behindert wird. Auch wird die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten für uns nur dann von Nutzen sein, wenn sie auf einer US-freundlichen Außenpolitik beruht.

Die Vereinigten Staaten sind ein Stabilitätsfaktor in der Weltpolitik. Ohne sie würde sich die Welt in ein einziges riesiges Schlachtfeld verwandeln. Antiamerikanische Äußerungen, wie wir sie besonders oft von französischen Politikern hören, sind den gutnachbarlichen Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten nicht eben förderlich.

An die Adresse der Länder gerichtet, die die US-Intervention im Irak unterstützten, sagte Präsident Chirac vor zwei Jahren, sie hätten den Mund halten sollen, solange noch Gelegenheit dazu war. Nun, da Präsident Chirac und sein Vorgänger Gistard d'Estaing durch ihre vorschnelle Unterstützung für die Verfassung in Europa ein totales Durcheinander angerichtet und so die Vision einer künftigen gemeinsamen europäischen Politik zunichte gemacht haben, sind wir es, die dem französischen Präsidenten sagen können, dass er den Mund hätte halten sollen, solange noch Gelegenheit dazu war, oder – wie es in seiner Muttersprache heißt: „Vous avez perdu l'occasion de vous taire!“

 
  
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  Philip Claeys (NI). (NL) Herr Präsident! In der Vergangenheit haben wir wiederholt über die transatlantischen Beziehungen diskutiert. Erst im Januar gab es dazu eine Aussprache, auf die eine Entschließung folgte; Ende Juni findet ein euro-atlantischer Gipfel in Washington statt usw. Natürlich ist das alles nützlich und interessant, aber die transatlantischen Beziehungen können dennoch weiter verbessert werden, in erster Linie durch einen Mentalitätswechsel. Wir sind uns beispielsweise darüber einig, dass zum einen der Kampf gegen den Terrorismus und zum anderen die Stärkung von Demokratie und Frieden in der Welt nur dann von Erfolg gekrönt sein werden, wenn wir unsere Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten auf der Grundlage unserer gemeinsamen westlichen Werte intensivieren.

Aber wenn es darauf ankommt, die Prinzipien in die Praxis zu übertragen, läuft unweigerlich etwas schief. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Absicht des Europäischen Rates, das Waffenembargo gegen China aufzuheben. Der Widerstand der USA gegen diese Pläne ist völlig berechtigt. Es macht überhaupt keinen Sinn, gegenüber der Demokratisierung im Rest der Welt Lippenbekenntnisse abzugeben, wenn wir in der Praxis genau das Gegenteil machen, indem wir den Wünschen eines chinesischen Regimes entgegenkommen, das noch immer so diktatorisch ist wie zu Zeiten der Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Als Europäer sollten wir daher ab und an auch den Fehler bei uns suchen.

Im Plenum war die Situation in Guantanamo Bay schon mehrfach Gegenstand von Debatten. Es steht mir nicht zu, in Abrede zu stellen, dass wir hier ein Problem haben, aber das ständige Pochen auf dieses Thema zeugt von einer gewissen Scheinheiligkeit unsererseits – auf jeden Fall, wenn wir an die europäischen Unzulänglichkeiten bei der Terrorbekämpfung denken.

Wir können nur froh sein über den positiven Verlauf der Besuche von Präsident Bush bzw. Condoleezza Rice in Europa. Wir müssen diese Kurs weiterverfolgen, aber wenn wir von Respekt reden, dann doch bitte von gegenseitigem Respekt.

 
  
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  João de Deus Pinheiro (PPE-DE).(PT) Zunächst möchte ich den Verfassern des Berichts zu einer außergewöhnlichen Leistung gratulieren: Sie haben ein Dokument erarbeitet, das sich für den Washingtoner Gipfel am 20. Juni als äußerst nützlich erweisen könnte.

Außerdem möchte ich auf zwei Punkte eingehen. Erstens möchte ich daran erinnern, dass Europa während des Kalten Krieges ein strategischer Schauplatz war und dass die Bedrohung auf beiden Seiten des Atlantik in gleicher Weise wahrgenommen wurde. Dies ist seit dem Ende des Kalten Krieges, der deutschen Wiedervereinigung, dem Zerfall der Sowjetunion und dem 11. September anders geworden. Die strategischen Schauplätze haben sich geändert, aber der wahre Unterschied liegt in der Wahrnehmung der Bedrohung auf den beiden Seiten des Atlantik; und wenn sich die Bedrohungswahrnehmung geändert hat, dann muss dies auch für die Strategien und Vorgehensweisen gelten.

Während wir in Europa ein vielseitiges Konzept zur Nutzung von Soft Power – also Diplomatie, Wirtschaftssanktionen und politischen Sanktionen – entwickelt haben, setzen die USA seit dem 11. September eher auf Hard Power, nämlich auf ein unilaterales Vorgehen nach der Devise „zusammen wenn möglich, allein wenn nötig“. Somit haben sich die Konzepte und die Bedrohungsvorstellung auf beiden Seiten des Atlantik voneinander entfernt.

Es sind Versuche im Gange, einen Mittelweg dahingehend einzuschlagen, dass der weichen Macht etwas von ihrer Weichheit und der harten Macht etwas von ihrer Härte genommen wird und dass vor allem eine stärkere Übereinstimmung und Abstimmung im Hinblick auf die Wahrnehmung der Bedrohung und die Instrumente zu ihrer Bekämpfung erreicht wird. Dies ist das Hauptziel des transatlantischen Gipfels.

Ein zweites Ziel betrifft den Handel, und zwar sowohl den bilateralen Austausch als auch insbesondere das konzertierte Vorgehen in der Frage der Globalisierung und in der Welthandelsorganisation. Es ist völlig untragbar, dass das Sozialdumping und das Umweltdumping, die in Europa Arbeitsplätze gefährden und den unfairen Wettbewerb anfachen, in der Welt ungehindert fortbestehen und weiteren Schaden anrichten können. Wenn die EU und die USA in dieser Frage nicht mit vereinten Kräften vorgehen, wird sich dies jedoch schwerlich verhindern lassen und früher oder später einen ungezügelten Protektionismus zur Folge haben.

 
  
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  Hannes Swoboda (PSE). Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht vor allem um zwei Dinge: Es geht einerseits darum, dass die Vereinigten Staaten von Amerika und Europa den Reichtum, den sie geschaffen haben, auch dazu verwenden, den Ärmeren in dieser Welt zu helfen, zu ähnlichem Wohlstand zu gelangen. Ich glaube, dass gerade die britische Präsidentschaft hier in nächster Zeit einiges vor hat, und dass wir dabei auch helfen können – selbst wenn wir in dem einen oder anderen Punkt unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Es geht auch darum, dass wir auf die Demokratie und Freiheit, die wir in unseren Ländern entwickelt haben, nicht nur stolz sind, sondern diese Instrumente der Entwicklung auch anderen anbieten. Ich sage bewusst nicht „aufzwingen“, sondern „anbieten“, wie wir das in Europa selbst, in Osteuropa und in den Balkanländern, getan haben – ich sage das auch deshalb, weil ich höre, dass eine große Gruppe mazedonischer Besucherinnen und Besucher anwesend ist – und wie wir das sicherlich auch in der Region des Nahen Ostens tun wollen.

Der Nahe Osten ist ja für uns eine sehr prekäre und wichtige Region. Wir, die Amerikaner und Europäer, stimmen darin überein, dass Demokratie und Entwicklung – vor allem die freie Entwicklung – in diesen Ländern für alle Bürgerinnen und Bürger notwendig und friedensstiftend ist. Daher ist die Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA besonders wichtig. Ich betone allerdings nochmals: Das Konzept muss sein, dass die Menschen in ihren Ländern diese Freiheit und Demokratie selbst entwickeln und nicht das Gefühl haben, dass sie ihnen aufgezwungen wird.

Wichtig ist auch, dass wir gemeinsam verhindern – siehe zum Beispiel im Iran –, dass neue Gefahren und neue Risiken entstehen. Aber auch hier befürworte ich eindeutig den Weg der Verhandlungen und nicht den der Drohungen. Ich hoffe, dass wir auf dem Verhandlungswege gemeinsam zu einem Erfolg kommen.

 
  
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  Nicholson of Winterbourne (ALDE). (EN) Herr Präsident! Es ist erfreulich zu hören, dass der Rat und die Kommission so nachdrücklich bekräftigen, dass die Europäische Union die Wiederbelebung der transatlantischen Zusammenarbeit anstrebt. Es gibt viele Tätigkeitsfelder, in denen die gemeinsamen Werte beider Partner genau übereinstimmen. So haben die USA in jüngster Zeit eine führende Rolle dabei übernommen, die Einführung der Demokratie auf der Arabischen Halbinsel aktiv zu fördern. Die Europäische Union wiederum hat die einzigartige Partnerschaft Europa-Mittelmeer ins Leben gerufen: eine bedächtigere und vertiefte Zusammenarbeit, um beim Aufbau der Rechtsstaatlichkeit und einer entsprechend konzipierten Gesetzgebung in Nordafrika und im östlichen Mittelmeerraum mitzuhelfen.

Allerdings reicht der Dialog zwischen diesen beiden Hauptakteuren nicht aus. Denn überall auf der Welt stehen Konflikte auf der Tagesordnung und ist die Sicherheit bedroht. Man denke nur an die Massenvernichtungswaffen, die ja leider vorhanden sind, oder an die Völkermorde, die in verschiedenen Ländern noch immer verübt werden. Sie stellen eine Gefahr für unsere Bürger und die Menschen auf der ganzen Welt dar. Nur wenn die Europäische Union und die USA sowie andere wichtige demokratische Staaten, wie beispielsweise Indien, zusammenarbeiten, können wir dauerhaften Frieden erzielen.

 
  
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  Jaromír Kohlíček (GUE/NGL).(CS) Meine Damen und Herren! Terrorismus, Terrorismus und noch mehr Terrorismus, Demokratie und gemeinsame Werte; wir vernehmen stets dieselben leeren Worte, wenn es um unseren großen Bruder geht, der uns von der anderen Seite des Atlantiks her und aus dem All beobachtet, uns von Militärbasen in Deutschland, Italien, Ungarn und der Türkei, in afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern aus, mithilfe von Atom-U-Booten, unbemannten Flugzeugen und wer weiß von wo aus sonst noch überwacht. Wir sollten daher endlich eine Entschließung zum Thema gegenseitig vorteilhafte, ausgewogene und vorwärtsgerichtete Beziehungen vorlegen.

Vor heiklen Themen müssen wir uns aber hüten. Unmenschliche und erniedrigende Bedingungen in bestimmten Haftanstalten der USA dürfen kein Thema sein. Lauthals abgegebene Erklärungen über die Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Krieg gegen Terror und Bioterrorismus und den Versuch, die Finanzierungsquellen des Terrorismus offen zu legen, sind gefragt. Welche Themen sprechen wir in unserer Entschließung nicht an? Die Herkunft moderner Waffen für terroristische Organisationen, die Zusammenarbeit bei der Beseitigung von Kernwaffen im Nahen Osten und die Einstellung der Unterstützung für Terroristen in Zentralasien, im Kaukasus sowie in West- und Zentralafrika. Ganz gewiss ist es nicht gerade ein leichtes Unterfangen, einem stärkeren Partner gegenüber die eigenen Ansichten offen und unmissverständlich zu vertreten. Wir sind aber sehr wohl in der Lage, Kritik an der Türkei und Russland, vielleicht sogar an Bangladesch üben.

Ihnen dürfte sicher bekannt sein, dass Lese- und Schreibfähigkeiten und eine allgemeine Krankenversicherung zu den Errungenschaften der europäischen Zivilisation gehören. Wie beschämend, dass unser Partner den Wert eben dieser Errungenschaften nicht anerkennt. Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, wird die Aufnahme dieser gemeinsamen Werte in den nächsten Entschließungsantrag vorschlagen? Wissen Sie denn nicht, dass Millionen Menschen auf der anderen Seite des Großen Teichs Analphabeten sind und dass die Einführung eines allgemeinen Krankenversicherungsschutzes noch immer auf sich warten lässt? Laut Aussagen von Forschern aus dem öffentlichen Bereich ist die Kernfusion eine ganz normale Aufgabe der Zivilisation, die gemeinsam gelöst werden sollte. Wenn wir wirklich Verbündete sind, sollten wir uns nicht scheuen, diese Probleme zu benennen und unseren Partner aufzufordern, diese zu lösen.

 
  
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  Adam Jerzy Bielan (UEN). (PL) Herr Präsident! Der 60. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges, dessen wir kürzlich gedacht haben, hat uns die historische Bedeutung der Hilfe vor Augen geführt, die uns die Vereinigten Staaten zuteil werden ließen. Europa war zu jener Zeit wirtschaftlich wie militärisch schwach, und ohne diese Hilfe hätte es weder die Nazis besiegen noch der kommunistischen Diktatur zumindest teilweise Widerstand leisten können.

Wie die Dinge heute liegen, ist die EU ohne die militärische und politische Kooperation mit den Vereinigten Staaten nicht in der Lage, ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten. Die hervorragenden Beispiele für einen Zusammenschluss der Kräfte wie im Irak, in Bosnien und im Kosovo in den 1990er Jahren oder – in jüngerer Vergangenheit – in Afghanistan zeigen, wie unsere militärische und politische Zusammenarbeit künftig aussehen sollte. Welche Bedeutung diese Zusammenarbeit besitzt, ist in Mittel- und Osteuropa deutlich zu erkennen, und die Erweiterung der NATO beweist, dass diese Region als glaubwürdiger Partner angesehen wird.

Ein Gefühl der Sicherheit ist vor allem für jene Länder wichtig, die in ihrer Geschichte großes Leid erfahren haben wie Estland, Litauen, Lettland und Polen. Diese Länder waren über Jahrzehnte ihrer Souveränität beraubt, weil sie keinen Partner hatten, der ohne Zögern bereit gewesen wäre, seine Verpflichtungen als Verbündeter zu erfüllen.

Wirtschaftliche Zusammenarbeit ist selbstverständlich ein untrennbarer Bestandteil der politischen Kooperation. Es liegt in Europas ureigenstem Interesse, einen Wirtschaftskrieg mit den Vereinigten Staaten zu vermeiden. Schließlich sind wir zurzeit die beiden größten Handelspartner in der Welt. Daran sollte sich das Europäische Parlament im Vorfeld des Juni-Gipfels orientieren, und wir sollten ein deutliches Signal aussenden, dass sich unsere Politik auf glaubwürdige Partner stützt, die unsere Werte teilen.

 
  
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  Ryszard Czarnecki (NI). (PL) Herr Präsident, ich werde mich nicht Herrn Kohlíčeks Beispiel anschließen und über das Analphabetentum in den USA oder darüber sprechen, dass in Amerika auch nicht immer alles in Ordnung ist. Vielmehr möchte ich feststellen, dass Europa und Amerika zu ein und derselben Familie gehören. Mitglieder derselben Familie sind oft unterschiedlicher Meinung, doch sollte eine Familie stets geeint auftreten. Unsere Ansichten über den Irak mögen durchaus verschieden sein, was sie in der Tat auch sind, strategisch gesehen sind wir jedoch Verbündete.

Ein hysterischer Anti-Amerikanismus liegt nicht im Interesse Europas, und es liegt nicht im Interesse der USA, Europa wie einen kleinen Bruder zu behandeln. Wir sehen uns heute vor zwei Aufgaben gestellt, die wir gemeinsam bewältigen müssen. Die erste ist der Kampf gegen den Terrorismus und die zweite eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts. Wir dürfen nicht vergessen, dass Asien im Schatten der bizarr anmutenden Rivalität zwischen Amerika und Europa zunehmend an politischer und wirtschaftlicher Bedeutung gewinnt, und daraus sollten wir folgende Schlussfolgerungen ziehen. Anstatt einen sinnlosen Wirtschaftskrieg zu führen, brauchen wir enge Zusammenarbeit. Wir mögen durchaus Gründe haben, uns über den wirtschaftlichen Perfektionismus der USA zu beklagen, doch sollten wir in Wirtschaftsfragen größere Flexibilität zeigen.

Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass die anderen Kontinente nichts so sehr freuen würde, als uns kämpfen zu sehen. Ich denke, die neuen EU-Mitgliedstaaten und vor allem mein Heimatland Polen wissen genau, was ich meine.

 
  
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  James Elles (PPE-DE). (EN) Herr Präsident! Unser Verhältnis hat sich zwar seit dem Besuch von George W. Bush vor einigen Monaten in Brüssel beträchtlich verbessert, doch interessanterweise spiegelt sich dies noch nicht in der internationalen Presse wider. Es wäre schön, Herr Ratsvorsitzender, wenn Sie bei Ihrem Besuch gemeinsamen mit der Kommission in Washington zeigen könnten, dass wir bei den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den USA einen wirklichen Schritt nach vorn machen können. Auf der Agenda, die sie eben erwähnten, stehen natürlich die verschiedensten politischen und sicherheitspolitischen Themen, wobei insbesondere die politischen Herausforderungen in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit hervorzuheben sind. Es wäre nett, Herr Ratsvorsitzender, wenn Sie mir zuhören würden, da ich Sie auf ein bestimmtes wirtschaftliches Problem aufmerksam machen möchte. Wir müssen dieser besonderen Beziehung vor allem im wirtschaftlichen Bereich neue Impulse verleihen. Denn gerade auf diesem Gebiet möchten die Unternehmen die verbleibenden Handels- und Investitionsschranken beseitigt sehen. Aus einem Bericht der OSZE, der diese Woche veröffentlicht wurde, geht hervor, dass wenn wir auf Wachstum setzen und diese Schranken beseitigen, ein Anstieg des Pro-Kopf-BIP in Europa um zwei bis drei Prozent möglich ist.

Deshalb hoffe ich, dass auf dem Gipfeltreffen eine ehrgeizige Agenda aufgestellt werden kann; eine Vision, wie diese verbleibenden Schranken abgebaut und beseitigt werden können. Damit würde uns eine Roadmap – ein klarer Zeitplan – zur Verfügung stehen, an dem wir uns orientieren könnten, um nicht nur unsere eigenen Volkswirtschaften anzukurbeln, sondern auch Europa und Amerika einander wieder anzunähern. Hierfür werden Sie die Unterstützung dieses Parlaments benötigen. Sie haben von der Zusammenarbeit zwischen diesem Parlament und dem Kongress der Vereinigten Staaten sowie von der großen Unterstützung des Europäischen Parlaments für dieses Konzept und für eine umfassendere Partnerschaft zwischen den USA und Europa gesprochen.

Nun ist es an Ihnen, Herr Junker – in ihrer Eigenschaft als amtierender Ratsvorsitzender –, und an Herrn Barroso, die Federführung zu übernehmen und sicherzustellen, dass wir diese Chance für eine Stärkung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten nicht ungenutzt lassen. Dies wird nicht nur in bilateraler Hinsicht von Vorteil sein, sondern uns auch in die Lage versetzen, die multilateralen globalen Herausforderungen anzugehen, die ohne eine solche Beziehung nicht gemeistert werden können.

 
  
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  Erika Mann (PSE). Herr Präsident! Ich kann gleich mit dem fortfahren, was Kollege James Elles angesprochen und mein Kollege Hannes Swoboda erwähnt hat, nämlich den Punkt, dass beide, Europa und die Vereinigten Staaten, eine große Verantwortung in der Welt tragen und dass wir nur dann, wenn beide das gemeinsam tun, erreichen, dass die anderen Länder, denen es schlechter geht, in die Weltwirtschaft integriert werden.

Die Kommission, die ich ausdrücklich zu ihrer Erklärung beglückwünschen möchte, ist einen mutigen Schritt gegangen. Wir haben eine schwierige politische Phase gehabt, und es war lange Zeit unklar, was wir überhaupt in der Vorbereitung auf den jetzigen Gipfel erreichen können. Wir haben Wortregelungen und Wortsprachen vorliegen, die uns einen Schritt weiter tragen. Das sind besonders die Vorschläge hinsichtlich der Kooperation im Bereich der Regulierung von spezifischen Abkommen, im Bereich der neuen Technologien und besonders im Forschungsbereich sowie im Bereich der Sicherheit.

Das sind alles richtige und wichtige Punkte. Ich freue mich ganz besonders, dass die Kommission sich das erste Mal getraut hat, das Wort „transatlantischer Markt“ in den Mund zu nehmen und auch eine Formulierung dafür zu finden – zwar noch ein bisschen verschlüsselt, aber das ist ein richtiger Weg. Wir haben das von Seiten des Parlamentes mehrmals in den Entschließungen angesprochen. Es ist sehr klug, dass wir die Realität dessen, was wir heute bereits haben – nämlich einen integrierten Markt – anerkennen. Kollege Elles hat die OECD-Studie angesprochen, die im Übrigen nicht nur dafür spricht, dass wir Wachstum bekommen, wenn wir nur die Integration des Marktes innerhalb Europas weiter vorantreiben – im Übrigen wird Europa der Studie zufolge mehr profitieren als die Vereinigten Staaten –, sondern wir müssen das auch im Rest der Welt tun. Das ist ein wichtiger Punkt! Wenn wir davon profitieren, werden auch die anderen Länder davon profitieren. Insofern sollte diese Studie sehr genau zur Kenntnis genommen werden.

Ich möchte aber zu der Studie, die die Kommission in Auftrag gegeben hat, ausdrücklich gratulieren. Sie ist gut gelungen und wird uns voranbringen.

Nun zum letzten Punkt: Auch hier hat die Kommission einen Vorschlag des Parlaments aufgegriffen, nämlich, dass wir im Bereich des parlamentarischen Austausches enger zusammenarbeiten sollten. Kollege Jonathan Evans wird später darauf noch eingehen. Das ist ein wichtiger Punkt, und ich schlage vor, dass wir alle Punkte, die die Kommission hier vorschlägt und die hoffentlich auf dem Gipfel aufgegriffen werden, dann im Rahmen des parlamentarischen Austausches weiter besprechen.

 
  
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  Bogdan Klich (PPE-DE). (PL) Herr Präsident, wir erleben zurzeit, wie sich das Klima der Zusammenarbeit zwischen Europa und Amerika tatsächlich verbessert, und das sind gute Neuigkeiten für all jene unter uns Europäern, die Amerika freundschaftlich verbunden sind. Es bleibt zu hoffen, dass weitere gute Neuigkeiten folgen.

Allerdings müssen weitere Hürden genommen werden. Zu den größten Hindernissen für uns gehören zurzeit die Beschränkungen bei der Einreise in die Vereinigten Staaten, die für die Bürger bestimmter EU-Mitgliedstaaten gelten, mit anderen Worten – die Visabeschränkungen. Viele Menschen in Europa sehen in diesen Maßnahmen eine Diskriminierung, nicht zuletzt deshalb, weil sie auf eine Ungleichbehandlung der EU-Mitgliedstaaten hinauslaufen. Diese Meinung ist vor allem in der Öffentlichkeit meines Heimatlandes Polen, aber auch der anderen Länder Mitteleuropas weit verbreitet, deren Bürger für die Einreise in die Vereinigten Staaten nach wie vor ein Visum benötigen.

Ich möchte das Hohe Haus außerdem daran erinnern, dass die Veränderungen, die wir kürzlich am Gegenseitigkeitsmechanismus vorgenommen haben, eine Koordinierung der EU-Visumpolitik auf Gemeinschaftsebene ermöglichen. Nunmehr wird es die Kommission sein, die darüber entscheidet, ob einem Drittland Sanktionen auferlegt werden, und nicht mehr die Mitgliedstaaten oder der Rat. Deshalb ist es auch die Pflicht der Kommission, dafür Sorge zu tragen, dass die Bürger aller EU-Mitgliedstaaten die gleichen Rechte genießen. Ich hoffe, diese Frage wird ein Thema des bevorstehenden Gipfeltreffens sein.

Als zweiten Punkt möchte ich die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zur Förderung der Demokratie und der Menschenrechte – vor allem im ehemaligen sowjetischen Einflussbereich – ansprechen. Europa und Amerika müssen in dieser Frage mit einer Stimme sprechen, wie sie es bereits während der Orangenen Revolution getan haben oder als Dr. Condoleezza Rice und Herr Solana ihre jüngste Erklärung zur Unterstützung der belarussischen Opposition abgaben. Worte allein reichen jedoch nicht aus, es bedarf des gemeinsamen Handelns. Bedauerlicherweise hinkt Europa in dieser Hinsicht Amerika hinterher. Wir sind weniger flexibel als die Amerikaner und viel zu langsam und bürokratisch, wenn es darum geht zu handeln. Das gilt ganz besonders für die Kommission.

Wir sollten uns meines Erachtens darauf konzentrieren sicherzustellen, dass die Europäische Union und Amerika mit einer Stimme sprechen und gemeinsame Anstrengungen zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten unternehmen.

 
  
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  Józef Pinior (PSE). (PL) Herr Präsident, einer der wichtigsten Aspekte der transatlantischen Beziehungen ist die Zusammenarbeit der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten zur Unterstützung von Demokratie und Menschenrechten in der ganzen Welt. Das Wiederaufleben der Demokratie, das wir zurzeit in Osteuropa, im Nahen Osten, im Kaukasus, in Zentralasien und in Afrika erleben, bringt die Notwendigkeit mit sich, dass die Europäische Union und die USA ihre Maßnahmen zur Förderung der demokratischen Werte, zur Beobachtung freier Wahlen, zur Unterstützung der Gründung von politischen Parteien, von Gewerkschaften und unabhängigen Organisationen der Zivilgesellschaft sowie zur Verteidigung der Pressefreiheit koordinieren.

In dieser neuen globalen Epoche brauchen wir eine neue Vision einer auf Demokratie und Menschenrechte gegründeten internationalen politischen Ordnung. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Europäische Union müssen jetzt und heute verhindern, dass sich Völkermord und ethnische Säuberungen, wie sie sich vor den Augen der ganzen Welt abgespielt haben, wiederholen.

Um das zu erreichen, brauchen wir eine neue Vereinbarung, die darauf abzielt, die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zur Förderung von Freiheit, Frieden und Sicherheit zu vertiefen. Sie sollte auch – wo immer sich das als notwendig erweist – gemeinsame Präventivmaßnahmen ermöglichen, um humanitäre und Umweltkatastrophen zu verhindern.

 
  
  

VORSITZ: JACEK EMIL SARYUSZ-WOLSKI
Vizepräsident

 
  
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  Benoît Hamon (PSE).(FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! In unserer Entschließung werden die von den Vereinten Nationen festgelegten Millenniumsziele angesprochen. Die USA und die Europäische Union sind gemeinsam verantwortlich für die Umsetzung dieses Programms, das für die Verringerung der Armut in der Welt unabdingbar ist.

Denn die USA und die Europäische Union führen gemeinsam den Vorsitz in den Institutionen von Bretton Woods. Diese geteilte Verantwortlichkeit zeigt sich insbesondere in der Tradition, dem stillschweigenden Übereinkommen, dass die Europäer die Leitung des Internationalen Währungsfonds übernehmen und die USA die der Weltbank.

Der IWF ist, wie ich erinnern möchte, geschaffen worden, um die Stabilität des internationalen Währungssystems zu gewährleisten. Heute ist seine Aufgabe jedoch eine ganz andere. So hängen sämtliche Entwicklungsländer vom IWF, von seinen Finanzierungen und seinem Wohlwollen ab, um die für ihre nachhaltige Entwicklung erforderlichen Kredite zu erhalten. Vor der Bilanz dieser Politik können wir die Augen nicht verschließen. Abgesehen davon, dass der IWF in seiner Aufgabe, die Stabilität der Weltwirtschaft zu überwachen, teilweise versagt hat, indem er es nicht vermochte, mehrere regionale und internationale Finanzkrisen vorherzusagen, und sogar einige mit hervorgerufen hat, müssen wir mit den USA die negativen Auswirkungen der vom Washingtoner Konsens diktierten Gegenleistungen untersuchen, die der IWF von den Ländern verlangt, welche um seine Hilfe ersuchen.

Des Weiteren muss im Hinblick auf die globale Reform des multilateralen Systems die Wiedereingliederung der Institutionen von Bretton Woods in das System der Vereinten Nationen auf die Tagesordnung der transatlantischen Gespräche gesetzt werden.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Herr Präsident! Die Aussprache hat gezeigt, wie zahlreich die Herausforderungen sind, die die USA und die Europäische Union gemeinsam und solidarisch bewältigen müssen. Uns ist auch bewusst, dass es bei der Festlegung besser abgestimmter Standpunkte noch viele Probleme gibt. Diese sind hier genannt worden.

Im Hinblick auf die Erderwärmung sind unsere Standpunkte noch sehr weit voneinander entfernt, doch wir wissen, dass ohne die USA keine Fortführung des Kyoto-Protokolls vorstellbar ist. Es gibt somit viel Diskussionsbedarf mit den Amerikanern, um diese dafür zu gewinnen, sich im Hinblick auf die Klimaerwärmung dem multilateralen Ansatz anzuschließen.

Die Reform des Systems der Vereinten Nationen ist ein weiteres schwieriges Problem, denn ohne die Unterstützung der USA wird es keine wirkliche Reform des UN-Systems geben. Im Bereich der Entwicklungspolitik – dies ist bereits teilweise im Zusammenhang mit den Institutionen von Bretton Woods festgestellt worden – können die Amerikaner und die Europäer wirkliche eine Trendwende im Hinblick auf die Millenniumsziele bewirken und eine neue Dynamik auslösen. Doch in diesen Bereichen bleibt noch viel zu tun.

Hingegen haben wir beträchtliche Fortschritte im Umgang mit den großen Krisen, den großen internationalen Problemen, wie denen im Zusammenhang mit dem Nahen Osten, mit Iran und Sudan gemacht. In all diesen Bereichen sind Fortschritte erreicht worden, indem Europa und die USA bei der Suche nach Lösungen zusammenwirkten. Ich nehme auch die Anregung zur Kenntnis, die mehrere von Ihnen gemacht haben, dass wir vielleicht darüber nachdenken sollten, den Rahmen der transatlantischen Beziehungen weiter auszubauen, denn es ist schon etwas seltsam, dass zwei Partner, die sich grundsätzlich so nahe stehen, über keinen eigentlichen Rahmen für ihre Beziehungen, ihre Zusammenarbeit verfügen, sondern diese in der Praxis auf eine einfache Erklärung stützen. Liegt dies daran, weil sie sich eben so nahe stehen? Mit dieser Frage müsste man sich vielleicht einmal näher beschäftigen. Ich bin jedenfalls der Überzeugung, dass wir uns in den kommenden Jahren ernsthaft die Frage stellen müssen, ob es nicht an der Zeit ist, einen präziseren und genauer festgelegten Rahmen für die transatlantischen Beziehungen zu schaffen.

Aus Ihren Debatten geht auf jeden Fall hervor, dass der bevorstehende Gipfel ein bedeutsames Treffen ist, das es ermöglichen muss, die erreichten Fortschritte zu konsolidieren, unsere Beziehungen in den Bereichen, in denen wir noch keine gemeinsamen Grundlagen zu finden vermochten, weiter voranzubringen und ebenfalls die seit Anfang des Jahres zu verzeichnende Verbesserung der transatlantischen Beziehungen zu konsolidieren. Die luxemburgische Präsidentschaft misst diesem Gipfel auf jeden Fall große Bedeutung zu, und wir wollen, dass er zu einem Erfolg, einem Erfolg für Europa wird. Dies ist wichtig, weil Europa den USA auch zeigen muss, dass es noch handlungsfähig ist, dass die internen Probleme seine Handlungsfähigkeit auf der internationalen Ebene nicht beeinträchtigen.

 
  
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  Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Wie ich zuvor bereits erwähnte, nehmen wir nun mit neuem Elan die Stärkung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten in Angriff. Die Initiative hierfür ging von beiden Seiten des Atlantik aus.

Im politischen Bereich erfolgte eine Zusammenarbeit bei Fragen, die den Irak, den Iran, den Sudan, den südlichen Kaukasus, Zentralasien und Belarus sowie – nicht zu vergessen – den Nahen und Mittleren Osten und den Mittelmeerraum betrafen.

Auf wirtschaftlichem Gebiet wurde zwar bereits viel erreicht, doch es kann zweifelsohne noch mehr getan werden. Daran arbeiten wir momentan gemeinsam. Es stimmt zwar, dass es im Bereich des Handels Schwierigkeiten gibt, doch hoffen wir, dass wir diese immer häufiger im Wege des Dialogs ausräumen können.

Was den Boeing-Airbus-Streit angeht, bedauern wir, dass die USA vergangene Woche den Verhandlungstisch verlassen haben und die Einleitung eines formalen Streitbeilegungsverfahrens vor der WTO wegen der angeblichen Subventionierung von Airbus beantragt haben. Daraufhin haben wir uns entschlossen, den Fall der Boeing-Subventionierung vor der WTO wieder aufzunehmen. Kommissar Mandelson hat seit seinem Amtsantritt im November des vergangenen Jahres dafür plädiert, den Streit auf dem Verhandlungswege beizulegen. Es ist zwar noch immer möglich, dass unter Befolgung der WTO-Regeln letztendlich eine Verhandlungslösung erzielt wird, doch zum jetzigen Zeitpunkt muss die Kommission die Interessen von Airbus gegen Boeing schützen. Trotz der bedauerlichen Eskalation dieses Streits bin ich zuversichtlich, dass die jüngsten Entwicklungen unsere bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit nicht beeinträchtigen werden.

Im Bereich Sicherheit haben die EU und die USA viele Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit ergriffen. Wir müssen jedoch versuchen, ihre Auswirkungen auf den Handel und den Reiseverkehr zu verringern, indem wir globale Sicherheitsnormen erarbeiten und unsere Zusammenarbeit im Zollwesen verbessern.

An dieser Stelle möchte ich mich bei Frau Mann dafür bedanken, dass sie die Mitteilung der Kommission und die von uns in Auftrag gegebene Studie über die Beziehungen zwischen der EU und den USA so nachdrücklich unterstützt.

Was Ihre wiederholte Forderung nach einer Vollendung des transatlantischen Marktes bis zum Jahr 2015 angeht, teilt die Kommission voll und ganz die Ansicht, dass wir die bereits gut funktionierenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und den USA noch weiter ausbauen sollten. So verfolgt die Kommission mit der Transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft von 1998 und der Positiven Wirtschaftsagenda von 2002 ein und dasselbe Ziel, nämlich die Aufdeckung und den weitestgehenden Abbau der Schranken, insbesondere im gesetzlichen Bereich, und die Sicherstellung des reibungslosen Funktionierens dieser Beziehung. Auch die kürzlich veröffentlichte Mitteilung zielt auf die Vertiefung der Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen der EU und den USA ab, und ebenso würde ein Forum für Regulierungszusammenarbeit, dessen Einrichtung in der Mitteilung vorgesehen ist, zum Abbau der gesetzlichen Schranken beitragen. Während der transatlantische Markt bereits eine wirtschaftliche Realität ist, stellt der Abbau der Handels- und Investitionsschranken einen allmählichen Prozess dar, an dem wir noch immer arbeiten.

Im Hinblick auf die Globalisierung möchten wir uns auf dem Gipfeltreffen EU-USA dazu verpflichten, die Doha-Entwicklungsagenda innerhalb der nächsten zwölf Monate fertig zu stellen.

Was die Visaregelung für die Bürger der zehn neuen Mitgliedstaaten angeht, die ja nicht unter das Visa-Waiver-Programm der USA fallen, kann ich Ihnen versichern, dass wir die USA weiterhin auf allen Ebenen dazu drängen werden, die neuen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse in den zehn Mitgliedstaaten, die im vergangenen Jahr der Europäischen Union beigetreten sind, anzuerkennen und sie genauso wie die anderen Mitgliedstaaten zu behandeln.

In diesem Zusammenhang begrüßen wir den US-amerikanischen Fahrplan für die Regelung der Visafrage mit Polen und die vorgesehene Ausdehnung dieses Plans auf die anderen Mitgliedstaaten, die der EU bei der jüngsten Erweiterung beigetreten sind. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Bei der Frage des Klimawandels stehen wir mit den USA in Verhandlungen über eine Umwelterklärung. Unser Ziel ist es, eine eindeutige Verpflichtung zur Erarbeitung einer langfristigen internationalen Regelung zum Klimawandel zu erreichen, die nach 2012 in Kraft tritt. Deshalb werden wir darauf hinwirken, dass der Umweltdialog zwischen der EU und den USA auf höchster Ebene wieder aufgenommen wird.

In Bezug auf Ihre Forderung nach einem Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und den USA räume ich ein, dass wir zwar vertragliche Beziehungen zu den meisten Dritte-Welt-Ländern unterhalten, aber mit unserem wichtigsten Partner ein solches Abkommen noch nicht abgeschlossen haben. Da wir jedoch unsere Zusammenarbeit bereits gefestigt haben, sehen wir nicht die Notwendigkeit für ein transatlantisches Abkommen, das lange offizielle Verhandlungen erfordern würde, ohne dass sich substanziell etwas ändert. Zudem möchte ich hervorheben, dass die Probleme, die in der Vergangenheit in der transatlantischen Beziehung auftraten, nicht auf institutionelle, sondern auf politische Ursachen zurückzuführen waren. Die Erarbeitung und Verteidigung einheitlicher Standpunkte der EU gegenüber den USA ist nicht von einer vertraglichen Struktur abhängig.

In Anbetracht dessen spricht viel für eine Überarbeitung unserer bestehenden Strukturen und die Auffrischung und Modernisierung der neuen Transatlantischen Agenda von 1995, um sie an die gegenwärtigen Bedürfnisse anzupassen.

Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass Sie zu den wichtigsten Akteuren in diesem strategischen Bündnis gehören und dass wir bei der Umsetzung unserer gemeinsamen Agenda auf Ihre Unterstützung angewiesen sind. In der Mitteilung wird die Errichtung einer Transatlantischen Versammlung gefordert. Solch eine Versammlung könnte gemeinsam mit dem Gipfeltreffen abgehalten werden.

 
  
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  Der Präsident. Ich teile Ihnen mit, dass ich gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung fünf Entschließungsanträge(1) erhalten habe.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr statt.

 
  

(1) Siehe Protokoll.


18. Lage in Usbekistan
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zur Lage in Usbekistan.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Lage in Usbekistan bleibt sehr Besorgnis erregend, da Präsident Karimow weiterhin eine internationale Untersuchung zu den jüngsten tragischen Ereignissen ablehnt. Verschiedenen Meldungen zufolge befinden sich immer noch über 500 usbekische Flüchtlinge in Kirgisistan.

Gegenwärtig konzentrieren sich die Bemühungen der Europäischen Union auf zwei Ziele: Druck auf Präsident Karimow auszuüben, damit eine internationale Untersuchung möglich wird, und den Flüchtlingen in Kirgisistan Hilfe zu leisten. Längerfristig gesehen darf allerdings die Notwendigkeit der Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in der Region sowie die Notwendigkeit zur Fortführung der inneren Reformen in Usbekistan nicht vernachlässigt werden.

Gleich zu Beginn der Ereignisse in Andischan, am 14. Mai 2005, hat die Präsidentschaft eine Erklärung veröffentlicht, in der sie ihre große Beunruhigung über diese Situation zum Ausdruck brachte und alle Seiten aufforderte, keine Gewalt anzuwenden und nach einer friedlichen Lösung zu suchen. Der Rat hat die Entwicklung der Lage in Usbekistan aufmerksam verfolgt und sich mit dieser Frage auf höchster Ebene befasst. Am 23. Mai 2005 veröffentlichte er Schlussfolgerungen zur Lage in Ostusbekistan. Diese Schlussfolgerungen enthielten eine dringende, eindeutige und nachdrückliche Botschaft an die usbekischen Behörden. Der Rat brachte darin seine tiefe Besorgnis über die jüngsten Entwicklungen in Ostusbekistan zum Ausdruck und verurteilte die nach Berichten übermäßige und unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch die usbekischen Sicherheitskräfte auf das Schärfste.

Der Rat appellierte nachdrücklich an die usbekische Regierung, ihren internationalen Verpflichtungen zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten nachzukommen. Er rief die usbekische Regierung ferner auf, den humanitären Organisationen und anderen relevanten internationalen Organisationen unverzüglich und ungehindert Zugang zu dem Gebiet zu gewähren. Des Weiteren unterstrich der Rat die Notwendigkeit, die grundlegenden Ursachen der Instabilität durch umfassende innerstaatliche Reformen anzugehen, die von der usbekischen Regierung durchzuführen sind. Der Rat wird sich auch weiterhin mit der OSZE und anderen relevanten internationalen Akteuren, wie der Russischen Föderation und den USA, abstimmen, damit diese Reformen wirksam unterstützt werden.

Die Botschaft des Rates an die usbekische Regierung ist somit unmissverständlich: Wir sind bereit, Sie zu unterstützen, allerdings nur unter der Bedingung, dass eine friedliche und dauerhafte Lösung für die gegenwärtige Lage gefunden wird und innerstaatliche Reformen zur Beseitigung der tieferen Ursachen für die Instabilität im Lande durchgeführt werden. Am 1. Juni 2005 wurde der örtliche Vertreter des britischen Vorsitzes beim usbekischen Außenminister Ganiew vorstellig, um ihn zu bitten, die usbekischen Behörden zu ersuchen, ihre Ablehnung einer unabhängigen internationalen Untersuchung zu überdenken, und seine Aufmerksamkeit auf die internationalen Verpflichtungen des Landes zu lenken. Die Aufforderung der usbekischen Regierung an die in Taschkent ansässigen EU-Botschafter zur Beobachtung der nationalen Untersuchung der Ereignisse von Andischan durch den usbekischen Generalstaatsanwalt und das Parlament ist nicht als annehmbare Alternative zu einer unabhängigen internationalen Untersuchung anzusehen. Der Generalsekretär/Hohe Vertreter, Herr Solana, hatte beschlossen, seinen persönlichen Vertreter für Menschenrechte, Herrn Matthiessen, nach Kirgisistan und Usbekistan zu entsenden. Doch diese Reise konnte nicht stattfinden, da die usbekischen Behörden die Ausstellung eines Visums verweigerten. Der Rat betrachtet diesen Vorfall als eine sehr enttäuschende, ja beunruhigende Entwicklung in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Usbekistan.

Trotz der anhaltenden Ablehnung der Forderungen nach einer unabhängigen internationalen Untersuchung der Ereignisse in Andischan durch Präsident Karimow wird der Rat an seiner Forderung nach einer solchen Untersuchung festhalten und mit der OSZE, den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen deren praktische Einzelheiten für den Fall abstimmen, dass die usbekischen Behörden ihre Entscheidung überdenken. Der Rat wird in Abhängigkeit von der Antwort der usbekischen Behörden und den Ergebnissen einer eventuellen Untersuchung die geeigneten Maßnahmen ergreifen.

 
  
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  Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Die Kommission kann sich der Erklärung des Rates nur anschließen, in der unserer Sorge über die jüngsten Ereignisse in Usbekistan klar und unmissverständlich Ausdruck verliehen wurde. Die furchtbaren Verluste an Menschenleben haben uns schockiert. Besorgt sind wir außerdem über die Abwanderung der Bevölkerung, die vor den gewalttätigen Auseinandersetzungen über die Grenze nach Kirgisistan flüchtet, und die nach Berichten übermäßige und unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch die usbekischen Sicherheitskräfte.

Nach Ansicht der Kommission müssen die Menschen in Usbekistan dringend auf eine friedliche und dauerhafte Lösung für die gegenwärtige Situation hinarbeiten. Die Kommission hat den Vorschlag der usbekischen Behörden hinsichtlich der internationalen Untersuchung zur Kenntnis genommen, der in dem Schreiben von Präsident Karimow vom 31. Mai an die US-amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice enthalten war, wobei eine Kopie dieses Schreibens an Frau Ferrero-Waldner ging. Es ist unbedingt erforderlich, dass die usbekischen Behörden unverzüglich einer umfassenden unabhängigen internationalen Untersuchung der jüngsten Vorfälle zustimmen. Die Kommission hält es für wichtig, dass der Dialog aufrechterhalten wird und diplomatische Gesandte Nachrichten nach Usbekistan übermitteln können.

Schon vor den schockierenden jüngsten Ereignissen unterstützte die Kommission den schwachen Reformprozess in Usbekistan. Wir müssen uns zwar realistische Ziele setzen, doch meines Erachtens ist beispielsweise die Zusammenarbeit mit dem usbekischen Parlament zum Aufbau einer modernen Legislative von entscheidender Bedeutung, um die Lebensbedingungen des usbekischen Volkes zu verbessern.

Das, was wir in Usbekistan in den letzten Wochen nach den Ereignisse in Andischan beobachten konnten – nicht nur die furchtbaren Verluste an Menschenleben, sondern auch die Reaktion der Behörden auf die internationale Kritik und, wie berichtet wurde, das harte Vorgehen gegen Menschenrechtsorganisationen und -aktivisten – unterstreicht die dringende Notwendigkeit, den Reformprozess in Gang zu halten. Dies wäre der denkbar schlechteste Moment, um sich aus Usbekistan zurückzuziehen oder dieses Land zu isolieren. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir einfach wieder zur Geschäftsordnung übergehen werden.

Die Kommission hat bereits eine Delegation mit EU-Beamten nach Usbekistan entsandt, die herausfinden soll, was wir noch tun können, um die Reformen zu unterstützen und – was weitaus wichtiger ist – die Lebensbedingungen im Fergana-Tal zu verbessern. Unsere Vorschläge werden in den kommenden Wochen fertig gestellt und sollen dann im Rahmen des Programms TACIS umgesetzt werden. Unser aktuelles Programm zur Armutsbekämpfung im Fergana-Tal umfasst alle drei Länder – Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan –, unter denen das Tal aufgeteilt ist. Unsere bestehenden Ressourcen lassen uns noch etwas Spielraum für weitere Maßnahmen, und die Kommission wird dafür sorgen, dass diese Möglichkeit nicht ungenutzt bleibt.

In der Zwischenzeit werden wir im Rahmen des Programms TACIS weiterhin technische Hilfe leisten, um soziale und wirtschaftliche Reformen zu fördern. Dabei werden wir nicht nur mit der Regierung, sondern auch mit der Basis der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten.

Wir sollten jedoch nicht nur auf eine vollkommen unabhängige Untersuchung der stattgefundenen Ereignisse drängen, sondern uns auch damit beschäftigen, wie mit denjenigen, die an den Unruhen teilnahmen, verfahren werden soll. Es ist klar, dass die Behörden jegliche Beteiligung als kriminell ansehen. In diesem Zusammenhang prüft die Kommission verschiedene Projekte, wozu auch die Verbesserung der Zustände in den Gefängnissen und die Behandlung der Gefangenen gehört.

Die Kommission begrüßt die Zusammenarbeit zwischen den Behörden in Kirgisistan, die sich einer äußerst schwierigen humanitären Lage gegenübersehen, und dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. Daher befürworten wir den jüngsten Beschluss, die Asylbewerber, deren Zahl sich momentan auf 475 beläuft, aus der Grenzregion in andere Gebiete umzusiedeln.

 
  
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  Albert Jan Maat, im Namen der PPE-DE-Fraktion. (NL) Herr Präsident! So sehr ich die Reaktion der Ratspräsidentschaft und von Kommissar Borg, das heißt ihre Absicht begrüße, stärkeren politischen Druck auf die Regierung Usbekistans auszuüben und usbekischen Flüchtlingen gezielt Hilfe zukommen zu lassen, kann man doch nicht verhehlen, dass der Ausbruch von Gewalt und der Aufstand in Usbekistan Folge einer Mischung aus extremer Armut, schwerwiegenden politischen Repressionen seitens des Staates und muslimischem Fundamentalismus sind. Die Brutalität, mit der die usbekische Regierung reagiert hat, macht die Lage in Usbekistan zu einem schwelenden Brandherd. Die Europäische Union kann sich angesichts dessen nicht erlauben, tatenlos zusehen, denn wir einschließlich des Europäische Parlaments unterhalten stabile Beziehungen zu diesem Land. Schließlich gibt es auch eine Delegation für Zusammenarbeit mit Zentralasien. Jährlich gibt die Europäische Union Hilfen in Höhe von 10 Millionen Euro an Usbekistan, in denen auch ein Betrag für das usbekische Parlament enthalten ist. Zum Haushaltsplan 2005 habe ich dagegen einen Änderungsantrag eingebracht, um einen Teil dieses Budgets einzufrieren. Bedauerlicherweise wurde der Änderungsantrag mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt. Angesichts der Tatsache, dass den meisten politischen Parteien in Usbekistan verboten wurde, an den Parlamentswahlen teilzunehmen, ist diese Haltung verwunderlich.

Jetzt muss die EU den Druck erhöhen, um die Durchführung von Reformen und Verbesserungen in der rechtlichen Struktur durchzusetzen. Außerdem sollten sämtliche Beihilfen, die über die Regierung oder das Parlament laufen, eingefroren werden, denn europäische Mittel sollten nicht für staatliche Repressionen verwendet werden. Außerdem müssen die Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen unterstützt werden. Des Weiteren sind Pressefreiheit und Religionsfreiheit zu garantieren, denn es ist unbegreiflich, dass auch Kirchen stark behindert und drangsaliert werden, obwohl sie nichts mit religiösem Fundamentalismus, geschweige denn Terrorismus oder ähnlichem, zu tun haben. Auf lange Sicht muss der politische Druck zu größerer politischer Freiheit und Neuwahlen führen. Das ist für die Existenz Usbekistans entscheidend. Obgleich das Land noch unter Armut leidet, wächst seine Wirtschaft. Für die Stabilität in der Region spielt es eine grundlegende Rolle, dass wirtschaftliches Wachstum einerseits und echte Demokratie und Meinungsfreiheit andererseits miteinander verknüpft werden.

 
  
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  Bernadette Bourzai, im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich unterstütze den Entwurf einer Entschließung des Parlaments, der den Standpunkt des Rates vom 23. und 24. Mai dieses Jahres aufgreift. Ich will nicht nochmals auf den Bericht über die jüngsten Ereignisse in Usbekistan zurückkommen, sondern möchte die Notwendigkeit einer schnellen und entschlossenen Reaktion des Europäischen Parlaments auf diese dramatische Situation für die örtliche Bevölkerung und insbesondere für die Flüchtlinge bekräftigen.

Angesichts der tragischen Ereignisse von Andischan möchte ich zunächst die unumgängliche Notwendigkeit hervorheben, möglichst umgehend eine internationale Untersuchungskommission einzurichten, die die Tatsachen ermittelt und die Regierung Karimow dazu drängt, zu ihrer Verantwortung zu stehen. Die Union muss ebenfalls gemeinsam mit den NRO und dem Hochkommissariat für Flüchtlinge handeln, um eine angemessene Behandlung der Flüchtlinge an der kirgisischen Grenze zu gewährleisten.

Das Europäische Parlament muss Usbekistan ebenfalls dazu drängen, grundsätzliche Reformen durchzuführen, um das Land auf den Weg zu einer wirklichen Demokratie und einer für alle Bürger nutzbringenden wirtschaftlichen Entwicklung zu bringen. Die um sich greifenden willkürlichen Verhaftungen sowie die Anwendung von Folter und Hinrichtungen müssen definitiv eingestellt werden. Die Achtung der Meinungs- und Pressefreiheit, aber auch die Freiheit der NRO stellt ebenfalls eine Voraussetzung für die normale Umsetzung unserer Partnerschafts- und Kooperationsabkommen dar.

Hervorheben möchte ich weiterhin, dass die Gründe für die Demonstrationen und die Verzweiflung des usbekischen Volkes in der sich verschlechternden wirtschaftlichen und sozialen Lage, in der Armut und in der Ohnmacht gegenüber der Korruption liegen. Sollten wir die Politik von Zuckerbrot und Peitsche anwenden? Wenn das Tacis-Programm mit einer gewissenhaften Überwachung der Mittelzuweisungen aufrechterhalten werden soll, dann können wir die Regierung Karimow daran erinnern, dass die Partnerschafts- und Kooperationsabkommen an die strikte Einhaltung der Klauseln zur Demokratie und Achtung der Menschenrechte gebunden sind.

 
  
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  Ona Juknevičienė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) Ich wende mich jetzt als Mitglied der ALDE-Fraktion und Leiterin der Delegation für die Beziehungen zu Zentralasien an Sie. Sehr geehrte Abgeordnete, ich ersuche Sie heute dringend um Ihre Unterstützung für eine allgemeine Entschließung zur Verurteilung des äußerst gewalttätigen Vorgehens seitens des usbekischen Präsidenten Islam Karimov [gegen Demonstranten] in Andischan. Der Präsident ordnete Schüsse auf Menschen an, die lediglich für wirkliche Demokratie und einen echten Wechsel eintraten. Damit wiederholen sich faktisch die Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Wir müssen eine faire und angemessene Bewertung dieser Ereignisse vornehmen. Die Völker Zentralasiens leiden unter ständigen Verletzungen der Menschenrechte sowie unter der Beschränkung der Aktivitäten der Opposition und der Massenmedien. Die Zivilgesellschaft hat sich in dieser Region noch nicht genügend entwickeln können. Usbekistan ist das Land mit dem härtesten autoritären Regime in der Region. Das Land verfügt weder über ein unabhängiges und faires Justizsystem noch über Meinungs- und Religionsfreiheit; Aktivitäten von Oppositionsparteien und der Zivilgesellschaft sind verboten, die Pressefreiheit ebenfalls, und Repressalien und Folter durch das Militär sind an der Tagesordnung. Obwohl die Tulpenrevolution in Kirgisistan langfristig auf einen demokratischen Prozess hoffen lässt, beunruhigen uns die jüngsten Ereignisse im usbekischen Andischan und die Reaktionen der benachbarten zentralasiatischen Republiken darauf sehr. Die Ereignisse von Andischan sind Ausdruck des Widerstands des usbekischen Volkes gegen die Unterdrückung. Das Europäische Parlament darf nicht wegsehen. Wir müssen herausbekommen, was geschehen ist und was jetzt passiert, damit die richtigen Maßnahmen ergriffen werden können. Wir fordern eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse. Wir ersuchen Amerika dringend, auf die Stationierung seiner Streitkräfte in Usbekistan zu verzichten, da diese mit hohen Zahlungen verbunden ist, die nur zur weiteren Stärkung des Regimes von Präsident Karimov beitragen. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Tätigkeit unseres Parlaments sollte weiterhin vorrangig auf die Verhinderung von Gewalt und Blutvergießen ausgerichtet sein. Wir sollten keine Mühe scheuen, um die Zivilgesellschaft und die Meinungsfreiheit zu stärken.

 
  
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  Bart Staes, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. (NL) Herr Präsident, Herr Schmit, Herr Borg, liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem Bericht bezeichnete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch – die 50 Zeugen befragte, deren Aussagen alle übereinstimmten – das brutale Vorgehen der usbekischen Armee gegen Aufständische und Demonstranten am 13. Mai als Massaker. Die Schießerei hatte ein unglaubliches Ausmaß und war völlig willkürlich und unverhältnismäßig, so dass man zu Recht von einem Blutbad sprechen kann.

Ich stimme sowohl den Anmerkungen von Rat und Kommission, auf jeden Fall aber den Worten von Kommissar Borg zu, der meinte, wir könnten nicht tun, als sei nichts geschehen, als sei es business as usual. Als Europäische Union müssen wir ein klares Zeichen gegenüber dieser diktatorischen, äußerst autoritären Regierung setzen. Daher stimme ich mit allen Kolleginnen und Kollegen überein, die eine Erhöhung des politischen Drucks, die Beschleunigung von Reformen und die Einstellung von Beihilfen, die über Regierung bzw. Parlament laufen, und stattdessen nur noch Hilfen, die über NRO verteilt werden, fordern. Eine internationale Untersuchung muss durchgeführt werden, ansonsten können wir das Kooperations- und Partnerschaftsabkommen, das wir mit Usbekistan geschlossen haben, nicht kommentarlos fortsetzen.

 
  
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  Charles Tannock (PPE-DE). (EN) Herr Präsident! Usbekistan ist das bevölkerungs- und kulturreichste Land der fünf zentralasiatischen, postsowjetischen Neuen Unabhängigen Staaten. Allerdings hat dieses Land keinerlei demokratische Traditionen oder Erfahrungen mit guter Regierungsführung, da es ganz früher von den Khaghanen, dann von den Zaristen und schließlich von Sowjetrussland beherrscht wurde, um sich im Jahr 1991 nach dem Zerfall der Sowjetunion völlig überraschend als souveräner Staat wiederzufinden. Zwangsläufig wurde das Machtvakuum von der damals herrschenden usbekischen Nomenklatura ausgefüllt, was die Zusammensetzung des derzeitigen Regimes erklärt.

Präsident Karimow verfolgt zweifelsohne einen autoritären Regierungsstil. Zudem stehen Menschenrechtsverletzungen auf der Tagesordnung und werden insbesondere gegenüber der Islamischen Bewegung Usbekistan verübt. Diese war ein enger Verbündeter der Taliban in Afghanistan, wurde jedoch größtenteils von der angeblich friedlichen, aber fundamentalistisch geprägten Hizb ut-Tahrir verdrängt bzw. ersetzt. Zu unserer Überraschung unterhält diese Büros in der Europäischen Union, um Mittel zu sammeln und Anhänger anzuwerben.

Während der jüngsten Aussprache zum Bericht Coveney über Menschenrechte versuchte ich, die Balance zwischen Zuckerbrot und Peitsche zu finden, das heißt zwischen der scharfen Kritik an Usbekistan und einem engeren Dialog mit dem usbekischen Präsidenten, wenn dieser bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Erfüllung seiner Verpflichtungen – Aufbau einer unabhängigen Judikative, Gewährung der Pressefreiheit und Bestrafung von Personen, die sich der Folter und Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben – weiterhin mit uns zusammenarbeitet. Kaum hatten wir diesen Bericht verabschiedet, da ereignete sich leider auch schon die Tragödie von Andischan. Die ganze Geschichte gibt uns noch immer viele Rätsel auf. Wer waren diese 23 Gefangenen, die von den bewaffneten Aufständischen aus dem Gefängnis befreit wurden? Wer nahm Zivilisten als Geiseln, um mit dem regionalen Gouverneur zu verhandeln? Wer forderte die Massen zum Protest auf? Und wer erteilte den Truppen den Befehl, auf unschuldige Demonstranten zu schießen?

Ich bedauere natürlich zutiefst, dass Herr Karimow eine internationale Untersuchung abgelehnt hat. Daher rufe ich die OSZE auf, den weniger bekannten Moskauer Mechanismus, der zuletzt im Falle Turkmenistans – einem ebenfalls autoritären Regime – angewendet wurde, in Gang zu setzen, um eine internationale Untersuchung anzuordnen und die Ergebnisse mit oder ohne Usbekistans Zustimmung bekannt zu geben. Meiner Meinung nach wird diese Methode eher zu einem Ergebnis führen als jede andere Methode.

 
  
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  Giulietto Chiesa (ALDE). (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Während ich die Erklärungen des Rates und der Kommission begrüße, möchte ich sogleich sagen, dass ich in dem gemeinsamen Entschließungsantrag, der morgen zur Abstimmung gestellt wird, eine inakzeptable Passage entdeckt habe, in der die Rolle Usbekistans bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus anerkannt wird. Allein schon der Gedanke, der Westen und Europa könnten Islam Karimow als Verbündeten betrachten, ist für mich wirklich Besorgnis erregend, weil jemand, der terroristische Methoden gegen sein Volk anwendet, nicht als Verbündeter angesehen werden kann.

Ich bin der Ansicht, dass das Parlament und die Kommission strikt auf einer internationalen Untersuchungskommission bestehen müssen, die klärt, wer für das Massaker verantwortlich war. Auch sollte meines Erachtens die Entsendung offizieller internationaler Beobachter in das Gebiet gefordert werden, um zu verhindern oder zumindest sich dem entgegenzustellen, dass die repressiven Maßnahmen, die Verhaftungen von Mitgliedern der Opposition, die Angriffe gegen Journalisten und die terroristische Gewalt des Staates gegen die Zivilbevölkerung fortgesetzt werden.

Europa muss fähig sein, sich in den Augen der Usbeken klar abzugrenzen, sowohl von der Staatsräson der russischen und der chinesischen Regierung als auch von dem absoluten Zynismus Washingtons, das weiterhin Millionen von Dollar an Karimow zahlt als Gegenleistung für Militärstützpunkte.

 
  
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  Alojz Peterle (PPE-DE). – (SL) Das ist nicht das erste Mal, dass in Usbekistan solche tragischen Ereignisse stattgefunden haben, und wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, damit sie sich nicht wiederholen. Wenn uns das nicht gelingt, könnte es zu einer Destabilisierung nicht nur in Usbekistan, sondern in ganz Zentralasien kommen.

Forderungen nach einer unabhängigen internationalen Untersuchung wurden bereits vom UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, von der Europäischen Union, vertreten durch ihren Rat, und vom amtierenden OSZE-Vorsitzenden erhoben. Angesichts dessen können wir die Beschlüsse des Europäischen Rates natürlich nur unterstützen.

Die Europäische Union und alle anderen, die sich an der Lösung dieser außerordentlich komplexen und anspruchsvollen Aufgabe beteiligen wollen, müssen sich völlig im Klaren sein über die Ursachen, den Verlauf und die Folgen dieser tragischen Ereignisse. Meiner Ansicht nach müssen im Zuge der Untersuchung, die unzählige Male gefordert wurde, auch die Quellen jedweder möglichen weiteren Destabilisierung in Usbekistan ermittelt werden. Ich bin davon überzeugt, dass die außergewöhnlich schwierige Lage nicht einfach dem Terrorismus oder religiösem Fundamentalismus zugeschrieben werden kann. Wir sollten uns nicht den Luxus einer oberflächlichen Diagnose erlauben, da dies zu falschen Schlüssen und ungeeigneten Maßnahmen führen könnte. Bestimmte andere Aspekte der Instabilität wurden heute bereits genannt.

Unerlässlich für die Europäische Union ist, dass wir alles daran setzen sollten, um dafür zu sorgen, dass Usbekistan innerhalb eines demokratischen Rahmens Stabilität erzielen und Reformen einführen kann, was den internen politischen Dialog vereinfachen und dem Land dann ein höheres Niveau an Demokratie und wirtschaftlichem Fortschritt verschaffen würde.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Herr Präsident! Es ist wichtig, dass dieses Land, das enorme Reichtümer besitzt, insbesondere Gas, nicht destabilisiert wird. Dies liegt weder in unserem, noch in irgendjemandes Interesse. Zugegebenermaßen gibt es in diesem Land fundamentalistische Kräfte, doch diese dürfen nicht als Vorwand genutzt werden, um dem usbekischen Volk eine Zwangsjacke anzulegen, denn genau das geschieht gegenwärtig. Das Regime von Präsident Karimow benutzt dieses Schreckgespenst, diese mehr oder weniger reale fundamentalistische Gefahr, um sein Unterdrückungsregime an der Macht zu halten.

Ich denke, wir müssen den Druck auf die usbekische Regierung und auf Präsident Karimow aufrechterhalten. Wir müssen ihn dazu bewegen, eine internationale Untersuchung zu akzeptieren, und gleichzeitig müssen wir unsere Solidarität klar und deutlich zum Ausdruck bringen. Diesbezüglich ist die Entschließung, die Sie gleich annehmen werden, von Bedeutung. Wir müssen deutlich machen, dass die Europäische Union die in den letzten Wochen festzustellenden Haltungen und Vorgehensweisen nicht akzeptieren wird.

Diese Solidarität, die weit davon entfernt ist, das Land zu destabilisieren, muss zur Stärkung der Demokratie genutzt werden, um die Demokratie zu fördern, denn darin besteht unser Ziel. Wir sind überzeugt, dass kein Argument, auch wenn es ernsthaft sein sollte, wie die Frage des Fundamentalismus, uns daran hindern kann, starken Druck auf dieses Regime auszuüben, das eines der diktatorischsten in der ganzen Region ist.

 
  
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  Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Wir müssen den Kontakt zu den usbekischen Behörden aufrechterhalten, wenn wir Reformen in den Bereichen Menschenrechte und Demokratie bewirken möchten. Auch im humanitären Bereich ist die Kommission nach wie vor aktiv. Wir stehen in engem Kontakt mit dem UNHCR, um eine Bewertung der Lage der Flüchtlinge in den Grenzregionen zu erhalten. ECHO beobachtet die Situation vor Ort, und die Kommission wäre erforderlichenfalls imstande, schnell humanitäre Hilfe zu mobilisieren.

Wie ich bereits in meinen einleitenden Bemerkungen zum Ausdruck brachte, sind wir der Auffassung, dass wir uns weiterhin im Rahmen der TACIS-Programme engagieren müssen, denn diese sind im Wesentlichen auf demokratische und wirtschaftliche Reformen ausgerichtet, die ja die Hauptursachen für die bestehenden Probleme darstellen. Die Kommission hat bereits 3 Millionen Euro an Hilfsgeldern für die usbekischen Enklaven in kirgisischem Hoheitsgebiet bereitgestellt, die zur Armutsbekämpfung, zur grenzübergreifenden Zusammenarbeit und zur Verhinderung einer Eskalation der Spannungen in dieser instabilen Region dienen sollen.

Wir werden den Druck auf die usbekischen Behörden aufrechterhalten, damit die notwendigen Reformen eingeleitet werden und eine demokratische Gesellschaft aufgebaut wird. Wir werden weiterhin eine internationale Untersuchung der jüngsten Ereignisse fordern und Präsident Karimow dazu drängen, seinen Standpunkt noch einmal zu überdenken.

Was die Frage des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens angeht, vertreten wir die Ansicht, dass eine Aussetzung dieses Abkommens nur dazu führen würde, dass die institutionellen Kontakte zu den Behörden abbrechen.

Wir sind zwar davon überzeugt, dass der Druck auf die usbekischen Behörden aufrechterhalten werden muss, damit sie einer internationalen Untersuchung zustimmen und tatsächlich konkrete Maßnahmen im Bereich der Menschenrechte und der Demokratie ergreifen, doch unseres Erachtens müssen wir auch den Kommunikationskanal offen halten, um diese Situation zu beheben.

 
  
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  Der Präsident. – Ich teile Ihnen mit, dass ich gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung sechs Entschließungsanträge(1) erhalten habe.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr statt.

 
  

(1) Siehe Protokoll.


19. Vereinbarung Kommission-Mitgliedstaaten / Philip Morris: Mittel für die Betrugsbekämpfung
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgen die mündlichen Anfragen (B6-0241/2005 und B6-0232/2005) von Herrn Staes im Namen des Haushaltskontrollausschusses an den Rat und die Kommission zur Zusammenarbeit innerhalb der Haushaltsbehörde bezüglich der Zuweisung und der möglichen Verwendung der in der Vereinbarung Kommission–Mitgliedstaaten/Philip Morris vorgesehenen Finanzmittel für die Betrugsbekämpfung.

 
  
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  Bart Staes (Verts/ALE), Verfasser. (NL) Herr Präsident, Herr Schmit, Herr Borg, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich den Hintergrund der beiden Fragen des Haushaltskontrollausschusses darstellen. Die Europäische Union und die Mitgliedstaaten verlieren jährlich viele hundert, wenn nicht gar Milliarden Euro durch den illegalen Verkauf von Tabakerzeugnissen aufgrund entgangener Tabaksteuer, Mehrwertsteuer und Zollgebühren. Jeder Container mit geschmuggelten Zigaretten kostet die europäischen und nationalen Behörden ca. 1,5 Millionen Euro. In den Jahren 1995 und 1996 ergriff das Europäische Parlament die Initiative im Kampf gegen diese Art von Betrug und setzte einen Untersuchungsausschuss ein, der unter Leitung von Lord Tomlinson und mit Edward Kellett-Bowman als Berichterstatter die im Transitverkehr auftretenden Probleme inventarisierte und Lösungen erarbeitete. Der Untersuchungsausschuss reiste in die Häfen von Antwerpen und Rotterdam und untersuchte die von kriminellen, meist mafiosen Organisationen zur Umgehung der üblichen Steuerverpflichtungen eingesetzten Betrugstechniken. Ich möchte betonen, dass es sich hierbei um mafiose Praktiken handelt, die in den vergangenen Jahren Menschenleben gefordert haben; Morde wurden begangen, Beamte eingeschüchtert und bestochen; in einigen Fällen machten Politiker und Betrüger sogar gemeinsame Sache.

Die ausgezeichnete Arbeit des Untersuchungsausschusses, die Ermittlungsarbeit der Abteilung zur Koordinierung der Betrugsbekämpfung Uclaf und des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung Olaf, die Taskforce Zigarettenbetrug sowie die enge Zusammenarbeit zwischen Zoll- und Polizeidiensten haben inzwischen zur Aushebung großer Netze geführt. Im November 2000 reichte die Europäische Gemeinschaft beim US-Bezirksgericht für den Östlichen Bezirk von New York eine Zivilklage gegen Philip Morris und Reynolds wegen angeblicher Beteiligung am Zigarettenschmuggel in die Europäische Union ein. Zehn Mitgliedstaaten schlossen sich im Zeitraum von Januar bis April 2001 der Klage an.

Die reinen Fakten, die im Rahmen der Plädoyers vor dem Gericht gegen Philip Morris vorgebracht wurden, zwangen den Tabakgiganten zur Unterzeichnung eines Vergleichs mit der Europäischen Kommission. Diese mehrjährige Vereinbarung wurde am 9. Juli 2004 unterzeichnet und hat die wirkungsvolle Bekämpfung des Schmuggels und der Fälschung von Zigaretten zum Ziel. Gleichzeitig enden damit auch die Rechtsstreitigkeiten zwischen der EU und Philip Morris. Gemäß der Vereinbarung muss Philip Morris über einen Zeitraum von 12 Jahren enorme Summen – bis zu 1,5 Milliarden US-Dollar – auf ein von der Europäischen Kommission verwaltetes Bankkonto einzahlen. Mit dieser Vereinbarung wird ein neuer Weg in der Betrugsbekämpfung eingeschlagen. Dank des Übereinkommens bündeln Philip Morris und die europäischen Behörden nun ihre Anstrengungen und arbeiten enger zusammen. In absehbarer Zeit wird dieser innovative Ansatz wahrscheinlich zum Abschluss ähnlicher Vereinbarungen mit den anderen beiden großen Tabakproduzenten British American Tobacco und Japan Tobacco führen.

Das Europäische Parlament und der Rat bilden zusammen die Haushaltsbehörde der Europäischen Union. Als Parlamentsabgeordnete sind wir äußerst besorgt über die Art und Weise, wie die Kommission und die Mitgliedstaaten mit diesen unerwarteten, aber beträchtlichen Mehreinkünften umgehen werden. Nach Aussagen von hohen Beamten im Rat wird der Löwenanteil der Gelder von Philip Morris in die Geldsäckel der Mitgliedstaaten fließen. Offenbar gehen 10 % an die Kommission, während die zehn Mitgliedstaaten, die sich der Klage angeschlossen haben, 90 % erhalten. Können Rat und Kommission diesen Verteilungsschlüssel bestätigen?

In diesem Zusammenhang sieht es wirklich so aus, als benähmen sich die Mitgliedstaaten wie habgierige Opportunisten und mittelmäßige Buchhalter. Meiner Ansicht nach werden bei der Aufteilung 10 % zu 90 % die Anstrengungen der Kommission und von Olaf verkannt, denn was wird mit den Geldern passieren? Eigentlich sollten sie in erster Linie für die Betrugsbekämpfung verwendet werden. Mir ist sehr wohl klar, dass das so genannte Earmarking, das heißt die Zweckbindung bestimmter Mittel für bestimmte Aktivitäten, von der Haushaltsbehörde nicht gern gesehen wird, aber meiner Meinung nach ist es nur recht und billig, wenn sich Rat und Kommission vor diesem Parlament politisch dazu verpflichten, einen beträchtlichen Teil der Gelder für die Bekämpfung von Betrug und Fälschung einzusetzen. Ist die Kommission bereit, einen Aktionsplan vorzulegen sowie einen Vorschlag für die Schaffung einer Haushaltslinie, um dieses Problem zu lösen? Verwendungsmöglichkeiten gäbe es viele, zum Beispiel für eine intensivere grenzüberschreitende Zusammenarbeit, eine größere Zahl von Computern an den Grenzen, zusätzliches und gut ausgebildetes Kontrollpersonal, die Verstärkung der Zolldienste, Investitionen in Ermittlung und Fahndung, eine effektivere Verfolgungspolitik und zusätzliches Personal für Olaf.

Lassen Sie uns daher nicht nur über die Verteilung der Gelder diskutieren, sondern auch darüber, wie die Mittel ausgegeben werden können. Es geht nicht nur darum, wem das Geld zusteht, es sollte auch sinnvoll investiert werden. Zudem erwarte ich von der Kommission einen Fortschrittsbericht zum Stand der Verhandlungen mit British American Tobacco und Japan Tobacco – wenn es sein muss, auch hinter verschlossenen Türen.

Schließlich können wir die Debatte nur auf dieser Grundlage und auf der Basis der von uns getroffenen Vereinbarungen fortsetzen. Vom Rat erwarten wir Ideen, die über die Buchhaltermentalität hinausgehen, sowie Vorschläge, wie die Mittel sinnvoll verwendet werden können. Was haben der Rat und die Kommission darauf zu entgegnen?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Ich möchte zunächst darauf verweisen, dass der Rat dem Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union sehr große Bedeutung beimisst. Ich kann dem Herrn Abgeordneten auch bestätigen, dass der Rat voll und ganz der Notwendigkeit zustimmt, den Kampf gegen alle Arten von Schwarzhandel, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben, zu intensivieren. In diesem Zusammenhang ist auch die Vereinbarung zwischen der Kommission, zehn Mitgliedstaaten und dem Unternehmen Philip Morris zu begrüßen.

Was jedoch die Verteilung und die Verwendung des von Ihnen genannten Betrags, der mir korrekt erscheint, betrifft, so möchte ich darauf verweisen, dass es sich um eine Vereinbarung handelt, die von der Kommission und zehn Mitgliedstaaten abgeschlossen wurde, was bedeutet, dass der Rat als Institution an dieser Angelegenheit nicht beteiligt ist. Ich kann Ihnen jedoch mitteilen, dass Gespräche zwischen der Kommission und diesen zehn Mitgliedstaaten über die Verteilung der Mittel begonnen haben. Ich kann Ihnen versichern, dass in dem ausgezeichneten Geist der Zusammenarbeit zwischen unseren Organen der Rat Sie auf der Grundlage der uns übermittelten Informationen weiterhin über die Entwicklungen in dieser Angelegenheit informieren wird.

Sie sprechen die Frage an, ob ein Teil dieser Mittel zugunsten des Gemeinschaftshaushalts verwendet werden kann. Falls ein Teil dieses Geldes dem Gemeinschaftshaushalt zugewiesen werden sollte, dann müsste der entsprechende Betrag gemäß dem geltenden Haushaltsverfahren als Einnahme verbucht werden. Sollten diese Mittel zur Durchführung von Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung verwendet werden, wie Sie vorschlagen, dann müsste die Kommission, wenn sie dies für angebracht hält, Vorschläge vorlegen, über die das Europäische Parlament und der Rat - die beiden Zweige der Haushaltsbehörde – befinden müssten, sobald sie vorliegen.

Der Rat hat, wie Sie unterstrichen haben, gebührend zur Kenntnis genommen, dass die Vereinbarung die Möglichkeit vorsieht, dass die Mitgliedstaaten diese Gelder zur Finanzierung von Betrugsbekämpfungsmaßnahmen verwenden können. Der Rat möchte darauf verweisen, dass für diese Mittel - da es sich um die Bekämpfung von Betrug im nationalen Rahmen unter Verwendung von den nationalen Haushalten zustehenden Mitteln handelt – ausschließlich die betreffenden Mitgliedstaaten zuständig sind.

 
  
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  Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Zunächst möchte ich dem Parlament für seine Unterstützung und seine Bemühungen danken, die am 9. Juli 2004 in den Abschluss eines Abkommens mit Philip Morris International zur Bekämpfung des Zigarettenschmuggels mündeten. Darin ist vorgesehen, dass die Europäische Gemeinschaft und teilnehmende Mitgliedstaaten über einen Zeitraum von zwölf Jahren 1,25 Milliarden US-Dollar erhalten werden. Das Abkommen unterstreicht, wie wichtig Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung sind, und gilt als großer Erfolg für die Kommission und OLAF.

Seit der Unterzeichung des Abkommens drängt die Kommission darauf, dass auch alle anderen Mitgliedstaaten dem Abkommen beitreten. So haben sich vor kurzem auch Österreich, Irland, Malta und Polen dem Abkommen angeschlossen, und wir hoffen, dass die anderen Mitgliedstaaten bald nachziehen werden. Zudem hoffen wir sehr, dass das Abkommen mit Philip Morris als Modell für ähnliche Vereinbarungen mit anderen Unternehmen dienen wird.

Die Kommission wird im Namen der Europäischen Gemeinschaft und der zehn Mitgliedstaaten, die das Abkommen zur Bekämpfung von Zigarettenschmuggel und -fälschungen mit Philip Morris International abgeschlossen haben, einen Beschluss über die Verteilung der Mittel fassen. Die Diskussionen laufen noch, und die Kommission hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es dringend erforderlich ist, eine Einigung über die Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel zu erzielen. Insofern sind wir dem Parlament dafür dankbar, dass es die Kommission bei ihren Bemühungen unterstützt, einen angemessenen Anteil an den Mitteln zu erhalten.

Das Abkommen soll zur Bekämpfung von Schmuggel und Fälschungen beitragen. Darin ist festgelegt, dass die Zahlungen als zusätzliche Finanzquelle dienen könnten, um Maßnahmen gegen Schmuggel und Fälschungen zu ergreifen. Es enthält jedoch keine konkreten Verpflichtungen zur Verwendung der Mittel.

Im Bericht Bösch zur Betrugsbekämpfung, der erst gestern verabschiedet wurde, ersucht das Parlament die Kommission und die Mitgliedstaaten darum, die Zahlungen, die sich aus dem Abkommen ergeben, zur Finanzierung von Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Zigarettenschmuggel, einschließlich Fälschungen, zu verwenden.

Die Mittel, die die Europäische Gemeinschaft im Rahmen des Abkommens erhält, werden gemäß den geltenden Regelungen der Haushaltsordnung als nicht zweckgebundene Mittel in den Gemeinschaftshaushalt einfließen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber und die Haushaltsbehörde können jedoch beschließen, ein neues Programm ins Leben zu rufen oder den Geltungsbereich eines bestehenden Programms zu erweitern.

Nach Auffassung der Kommission steht der Gemeinschaft gemäß den Grundsätzen des EU-Eigenmittelsystems ein angemessener Anteil an diesen Zahlungen zu.

Die Kommission erörtert gegenwärtig mit den zehn Mitgliedstaaten die Mittelverteilung und ist zuversichtlich, dass bald ein Konsens erzielt werden wird. Im Dezember 2004 übermittelte Kommissar Kallas ein Schreiben an die Finanzminister und hat zwei Sitzungen zu diesem Thema einberufen. Bisher wurde noch keine endgültige Einigung erzielt. Die Höhe des Betrags, der dem Gemeinschaftshaushalt zugewiesen wird, hängt davon ab, welche Lösung für die Aufteilung der Mittel zwischen den Mitgliedstaaten gefunden wird.

Die Kommission arbeitet weiterhin aktiv an der Erzielung eines endgültigen Konsens.

 
  
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  Valdis Dombrovskis, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (LV) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Schmuggel und Umgehung von Zollgebühren sind Probleme, von denen alle EU-Mitgliedstaaten betroffen sind. Aus nachvollziehbaren Gründen ist das Problem des illegalen Handels mit verbrauchsteuerpflichtigen Waren besonders aktuell. Nach Berechnungen der Mitgliedstaaten entstand dem EU-Haushalt im Jahre 2003 ein Verlust von ca. 200 Millionen Euro allein aufgrund des illegalen Zigarettenhandels. Die Verluste für die Mitgliedstaaten liegen noch weitaus höher. Natürlich haben die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten und das Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) viel unternommen, um den illegalen Zigarettenhandel zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang ist die Initiative zur Bündelung der Kräfte im Kampf gegen den illegalen Zigarettenhandel auf europäischer Ebene, an der auch die legal agierenden Zigarettenhersteller beteiligt sind, sehr zu begrüßen.

Die von der Europäischen Kommission und mehreren EU-Mitgliedstaaten geschlossene Kooperationsvereinbarung mit Philip Morris International ist das erste Beispiel einer solchen Zusammenarbeit. Im Rahmen der Vereinbarung wird Philip Morris International sein Zigarettenvertriebssystem verbessern und den Justiz- und Steuerbehörden der Mitgliedstaaten ausführlichere Informationen zur Verfügung stellen, die für die wirksame Bekämpfung des illegalen Zigarettenhandels erforderlich sind. Ferner wird Philip Morris International über einen Zeitraum von 12 Jahren 1,25 Milliarden US-Dollar an die Haushalte der EU und der Mitgliedstaaten zahlen. Das Europäische Parlament vertritt die Auffassung, dass im Idealfall alle diese Mittel, oder zumindest der größte Teil davon, gebündelt werden sollten, um den Handel mit illegalen Tabakerzeugnissen zu unterbinden und zu bekämpfen.

Als einer der Zweige der Haushaltsbehörde sollte das Europäische Parlament an der Entscheidungsfindung über die Verteilung und die Nutzung dieser Mittel beteiligt sein. Wir sind der Meinung, dass die Mitgliedstaaten, die sich dieser Vereinbarung bisher nicht angeschlossen haben, insbesondere die neuen Mitgliedstaaten, die Möglichkeit eines Beitritts ernsthaft erwägen sollten. Durch genauere Informationen und zusätzliche Finanzmittel wird es möglich werden, den illegalen Handel mit Zigaretten wirksamer zu bekämpfen und den Einzug von Verbrauchsteuern zu verbessern. Es sollten auch mit anderen Tabakkonzernen ähnliche Verträge geschlossen werden, und man kann nur hoffen, dass dieser Präzedenzfall auch zur Unterzeichnung weiterer Vereinbarungen mit Herstellern anderer verbrauchsteuerpflichtiger Erzeugnisse, wie z. B. von Alkohol, führt.

 
  
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  Herbert Bösch, im Namen der PSE-Fraktion. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte zuerst dem Berichterstatter, unserem zuständigen Mann im Haushaltskontrollausschuss, für diese Initiative herzlich danken.

Wir haben, wie Herr Kommissar schon angesprochen hat, uns in einem schon gestern hier im Haus angenommenen Bericht vor allem dem Zigarettenschmuggel gewidmet. Das ist eines der ganz großen Probleme, die wir derzeit in der Europäischen Union haben. Das hat auch damit zu tun, dass die Finanzminister – wenn sie denn einmal kein Geld mehr haben – auf die glorreiche Idee verfallen, vor allem die Tabaksteuer anzuheben. Gleichzeitig haben sie am Schluss weniger Geld in der Tasche als vorher, weil auf einmal illegale Zigaretten ins Land kommen. Das ist ein roter Teppich, den die Mitgliedstaaten – zum Teil sehr bewusst, muss ich inzwischen sagen – der organisierten Kriminalität ausbreiten.

Wir haben, wie bereits angesprochen, ein Abkommen, das die Kommission und OLAF initiiert haben. Dies ist eine großartige Sache; sie hat aber, wie vom Berichterstatter erwähnt, eine Achillesferse: Wir haben nämlich in dem Abkommen nicht festgelegt, was mit dem Geld geschehen soll. Falls zukünftig derartige Abkommen geschlossen werden, muss – das ist eine Forderung dieses Parlaments – festgelegt werden, wie der Verteilungsschlüssel aussehen soll.

Des Weiteren, Herr Ratspräsident Schmit, wäre ich auch sehr dafür, dass auch im Rat darüber diskutiert wird, was mit diesem Geld geschieht. Das kann einfach nicht jedem Mitgliedstaat überlassen bleiben. Wir haben im Bereich der Zollbehörden zu große Personallücken. Wir haben zu große Lücken, was die Computerisierung unserer Zolldienststellen anbelangt. Es ist auch die Verpflichtung Ihrer Institution, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Wir erwarten, dass dieses Geld tatsächlich zweckgewidmet ausgegeben wird. Für diese Initiative danke ich unserem Berichterstatter, Herrn Staes.

 
  
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  Szabolcs Fazakas (PSE).(HU) Wie mein Kollege, Herr Dombrovskis, habe auch ich um die Möglichkeit gebeten, im Namen der von diesem Thema betroffenen neuen Mitgliedstaaten kurz das Wort zu ergreifen. Wie jedem bekannt ist, liegt Ungarn in der Mitte Europas, oder wie wir sagen, im Herzen Europas. Das bedeutet, dass es an der Kreuzung zwischen Nord und Süd, Ost und West liegt, an einem Knotenpunkt, der nicht nur für rechtmäßige Handelswaren, sondern auch für Schmuggelware, darunter Zigaretten, Drogen und Alkohol, genutzt wird. Bereits vor dem Beitritt stellten der Stopp und die Drosselung des Handels mit Schmuggelware für unser Land eine wichtige Aufgabe dar; seit dem Beitritt jedoch sind wir zu einer Art Bastion geworden, die Europa schützt.

Daher waren wir sehr erfreut, als wir von dieser beispielhaften und bedeutenden Vereinbarung erfuhren, die dank des entschiedenen Handelns seitens der Europäischen Kommission und OLAF mit Philip Morris International unterzeichnet worden ist. Unseres Erachtens ist sehr wichtig, dass sie auch auf die neuen Mitgliedstaaten ausgeweitet werden kann, obwohl die Kommission die Vereinbarung nur im Namen von zehn Mitgliedstaaten unterzeichnet hat. Insofern sind die Vorteile, die sie bei der Bekämpfung des Schmuggels und des Betrugs mit sich bringt – nämlich fachliche, technische und finanzielle Unterstützung von der EU und von OLAF –, jetzt auch uns zugänglich. Ferner freuen wir uns, dass OLAF angesichts unserer besonderen Situation Verbindung zu den ungarischen Behörden aufgenommen hat und diese für beide Seiten nützliche Zusammenarbeit, die gleichzeitig sowohl die europäischen als auch die ungarischen finanziellen Interessen schützt, ausbaut.

 
  
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  Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Dies ist eine komplexe und wichtige Frage. Wir stehen mit den Mitgliedstaaten in Verhandlungen, um eine Einigung zu erzielen. Ich möchte dem Parlament noch einmal dafür danken, dass es unseren Standpunkt unterstützt.

Sie haben insbesondere gefordert, dass die Gelder, die im Rahmen des Abkommens fließen werden, für Programme zur Betrugsbekämpfung verwendet werden sollten. Ihnen ist ja bekannt, dass es sich hierbei – wie ich vorhin bereits erwähnte – um außerbudgetäre Mittel handelt. Im Mittelpunkt unserer Bemühungen steht derzeit der Abschluss eines Abkommens über die Mittelverteilung, wobei nicht nur über die Verteilung zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten, sondern auch zwischen den Mitgliedstaaten selbst diskutiert wird. Die Verhandlungen erwiesen und erweisen sich auch weiterhin als schwierig, aber ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Problem kurzfristig lösen können.

Was die Programme angeht, in die die Mittel fließen sollen, hat die Kommission die entsprechenden Vorschläge zur Kenntnis genommen. Diese werden zweifelsohne in absehbarer Zeit geprüft werden, sobald wir eine Einigung über die Verteilung der Mittel erzielt haben. Der erarbeitete Verteilungsschlüssel sollte dann als Grundlage für künftige ähnliche Vereinbarungen dienen.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

(Die Sitzung wird um 18.10 Uhr unterbrochen und um 18.15. Uhr wieder aufgenommen.)

 
  
  

VORSITZ: SYLVIA-YVONNE KAUFMANN
Vizepräsidentin

 

20. Fragestunde (Anfragen an den Rat)
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  Die Präsidentin. Nach der Tagesordnung folgt nun die Fragestunde (B6-0246/2005)

Wir prüfen die folgenden Anfragen an den Rat:

 
  
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  Die Präsidentin.

Anfrage Nr. 1 von Marie Panayotopoulos-Cassiotou (H-0358/05)

Betrifft: Maßnahmen zur Umsetzung des Europäischen Pakts für die Jugend

In den Schlussfolgerungen der luxemburgischen Präsidentschaft (22.–23. März 2005) und in Anlage I dieser Schlussfolgerungen wird der Europäische Pakt für die Jugend erwähnt, der theoretisch Maßnahmen in drei Bereichen umfasst.

Welches sind die konkreten Maßnahmen, die getroffen werden sollen, und nach welchem Verfahren sollen sie von der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten durchgeführt werden, damit die Ziele des Pakts für die Jugend auch unter Berücksichtigung der notwendigen Solidarität zwischen den Generationen verwirklicht werden?

Besteht eine konkrete Frist, bis zu der die international anerkannten best-practice-Verfahren in die nationalen Aktionspläne und bestimmte Programme einzubeziehen sind?

Unter welchen Voraussetzungen werden die Ergebnisse der Umsetzung des Paktes für die Jugend als positiv bewertet werden?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Der Rat bestätigt, dass der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 22. und 23. März einen Europäischen Pakt für die Jugend angenommen hat. Er wird weiterhin in Kürze die Beschäftigungspolitischen Leitlinien verabschieden, die in ihrer allgemeinen Einführung Bezug auf den Europäischen Pakt für die Jugend nehmen. Zudem enthält die Leitlinie 18, die sich mit dem Berufslebenszyklus befasst, im Zusammenhang mit der Beschäftigung und der Arbeitslosigkeit Jugendlicher einen Verweis auf diesen Pakt. Diese Leitlinie ist somit Gegenstand des für sämtliche Leitlinien auf der Grundlage der nationalen Berichte vorgesehenen Follow-up.

Es sei ebenfalls darauf verwiesen, dass eine Reihe von bezifferten Zielen, die für den Europäischen Pakt für die Jugend von Belang sind, bereits 2003 im Rahmen der Beschäftigungsstrategie festgelegt wurde. Dabei geht es insbesondere darum, bis 2010 die Frist für die Vermittlung eines Arbeitsplatzes an jugendliche Arbeitslose auf sechs Monate zu reduzieren, die Rate der Schulabbrecher auf 10 % zu verringern und die Anzahl der 25-jährigen Jugendlichen mit einem Sekundarschulabschluss auf 85 % zu erhöhen.

Des Weiteren hat der Rat die Absicht der Kommission zur Kenntnis genommen, ihm in Kürze eine spezielle Mitteilung zum Pakt für die Jugend mit dem Titel „Die Anliegen junger Menschen in Europa aufgreifen – Umsetzung des Europäischen Pakts für die Jugend und Förderung der aktiven Bürgerschaft“ vorzulegen. Ich denke, es ist in der Tat erforderlich, dass die Europäische Union sich mehr um die Jugend kümmert, denn die Ergebnisse der Volksbefragungen zeigen, dass die Jugendlichen zu den ersten gehören, die ihre Begeisterung für Europa verlieren und mehrheitlich gegen die Verfassung stimmen.

Auf der Grundlage dieser Mitteilung werden die Gremien des Rates beginnen, konkret an der Umsetzung des Paktes zu arbeiten. Daher ist der Rat noch nicht in der Lage, der Frau Abgeordneten Angaben zum Zeitplan für die Verwirklichung des Europäischen Paktes für die Jugend zu geben oder die dabei erreichten Fortschritte einzuschätzen.

 
  
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  Maria Panayotopoulos-Cassiotou (PPE-DE).(EL) Frau Präsidentin! Ich danke dem amtierenden Ratspräsidenten für seine ausführliche Antwort und für sein besonderes Interesse an der Jugend, für die wir uns alle einsetzen sollten.

Es fragt sich nur, ob die drei Bereiche des Paktes, insbesondere der Bereich über die Vereinbarkeit von Familienleben und Beruf, oder anders gesagt, die Möglichkeiten für jungen Menschen, eine Familie zu gründen, im nächsten Jugendprogramm entsprechend vertreten sein werden.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Ich denke, dass eines der Ziele der Lissabon-Strategie im sozialen und im beschäftigungspolitischen Bereich darin besteht, Familie und Berufsleben besser miteinander in Einklang zu bringen. Wie wir wissen, ist es in vielen, jedoch nicht in allen Ländern oft schwierig, das Familien- und das Berufsleben insbesondere wegen des Mangels an Krippen miteinander zu vereinbaren. Dieser Aspekt ist bereits in den einzelnen Beschäftigungsstrategien enthalten, doch muss er auch bei der Umsetzung des Jugendpaktes Berücksichtigung finden.

 
  
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  Die Präsidentin.

Anfrage Nr. 2 von Jonas Sjöstedt (H-0362/05)

Betrifft: Urteil gegen Egitim Sen

Das Urteil im Fall der türkischen Lehrerorganisation Egitim Sen wird spätestens Ende Mai im höchsten Gericht der Türkei gefällt. Der Lehrerverband wird beschuldigt, mit seinem Eintreten für den Grundsatz des Rechts aller Kinder, in ihrer Muttersprache unterrichtet zu werden, gegen die türkische Verfassung verstoßen und die Einheit der Republik gefährdet zu haben.

Welche Maßnahmen wird der Rat ergreifen, falls das höchste Gericht der Türkei zu einem nachteiligen Urteil im Fall Egitim Sen kommt? Welche Folgen wird ein solches Urteil für die Bestrebungen der Türkei um die Mitgliedschaft in der EU haben?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Wie der Herr Abgeordnete weiß, hat der Europäische Rat vom 16. und 17. Dezember 2004 eingeschätzt, dass die Türkei die politischen Kriterien von Kopenhagen so weit erfüllt, dass Beitrittsverhandlungen eröffnet werden können, gleichzeitig aber deutlich gemacht, dass die Kommission weiterhin überprüfen soll, ob der politische Reformprozess vollständig und wirksam fortgeführt wird. Die Kommission ist aufgefordert, sich dabei mit allen in ihrem regelmäßigen Bericht und der Empfehlung aufgeführten Fragen zu befassen, die Anlass zu Besorgnis bieten, wozu natürlich die Meinungsfreiheit und die Achtung der Minderheiten gehören, und dem Rat regelmäßig Bericht zu erstatten.

Auf der Sitzung des Assoziationsrates EU-Türkei am 26. April dieses Jahres hat der Vorsitz im Namen der Union die absolute Notwendigkeit hervorgehoben, dass die Türkei die ausgesetzten Reformen vollständig durchführt und die volle und effektive Umsetzung dieser Reformen energisch vorantreibt, zu denen ganz eindeutig die Achtung sämtlicher Rechte und insbesondere der Meinungsfreiheit gehört.

 
  
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  Eva-Britt Svensson (GUE/NGL), Stellvertreterin des Fragestellers. – (SV) Vielen Dank für Ihre Antwort. Ich muss jedoch fragen, ob das Urteil des Obersten Gerichts der Türkei vom 25. Mai nicht beunruhigend ist, denn dadurch wird den Kindern das selbstverständliche Recht auf Unterricht in der eigenen Muttersprache und der Entwicklung vor dem eigenen kulturellen Hintergrund genommen.

Das Urteil des Obersten Gerichts stellt eine Verletzung der Menschenrechte und demokratischen Freiheiten dar. Darüber hinaus wird durch dieses Urteil auch der Lehrerverband aufgelöst, dem damit das Recht entzogen wird, seine 200 000 Mitglieder zu vertreten. Dies verstößt gegen die ILO-Konvention. Der Rat sollte die Türkei darüber informieren, dass die Tür, die ihr geöffnet worden ist, auch wieder geschlossen werden kann, wenn die Menschenrechte nicht geachtet werden.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Meiner Meinung nach muss die Achtung der Rechte der Minderheiten, einschließlich des Rechts, seine Muttersprache zu sprechen, einer der Faktoren sein, an denen die Einhaltung der demokratischen Kriterien gemessen wird, die alle gegenwärtigen Mitgliedstaaten und selbstverständlich auch diejenigen, die sich um die Mitgliedschaft bewerben oder diese anstreben, erfüllen müssen. Ich bin mir nicht sicher, ob das Wort „Vergehen“, das Sie gebraucht haben, angemessen ist, aber auf jeden Fall sind die Minderheitenrechte ein wesentlicher Aspekt unseres Ansatzes auch gegenüber der Bewertung der Türkei.

 
  
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  Josu Ortuondo Larrea (ALDE). – (ES) Herr Ratspräsident, der Leitsatz der Europäischen Union lautet „Einigkeit in Vielfalt“, und Sie wissen sehr wohl, dass dieses Europa ohne Achtung der sprachlichen und kulturellen Vielfalt nicht errichtet werden könnte.

Sie haben uns eine positive Antwort gegeben, als Sie sagten, dass der Rat besorgt ist und dass er das Thema Türkei und das Recht der Kinder auf Unterricht in ihrer Muttersprache weiter verfolgt, doch ich möchte Sie fragen, ob Sie mehr tun werden als dieses Problem nur zu beobachten.

Ich glaube, der Ministerrat müsste jetzt etwas im Hinblick auf die Türkei unternehmen – ihre Aufmerksamkeit irgendwie auf dieses Thema lenken –, so dass wir in dieser Frage nicht einfach nur auf den nächsten Bericht der Kommission über die Einhaltung oder Nichteinhaltung des gemeinschaftlichen Besitzstands warten müssen.

Herr Ratspräsident, was gedenken Sie in dieser Hinsicht zu unternehmen?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Ich möchte lediglich anführen, dass die türkische Staatsanwaltschaft in diesem speziellen Fall bereits zweimal unterlegen ist und dass das in Kürze erwartete Urteil, das sicherlich ebenso ausfallen wird, endgültig sein wird. Natürlich werden in den Gremien, in denen die Europäische Union mit der Türkei spricht, alle diese speziellen Fälle und die anderen – wie ich sagen möchte – generelleren Fälle angesprochen. Ich glaube, wir müssen diesen Dialog mit der Türkei über Fragen der Meinungsfreiheit, der Sprachbenutzung, der Gewerkschaftsfreiheit weiterführen.

 
  
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  Inger Segelström (PSE).(SV) Frau Präsidentin! Nachdem dieses Urteil gefallen war, hatte ich eine diesbezügliche Anfrage an die Kommission gerichtet, denn dies betrifft die Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten und hat uns alle schockiert. Meine Frage an den Rat lautet: Wird es eine Koordinierung geben, da diese Frage sowohl den Rat als auch die Kommission und das Europäische Parlament angeht? Das Geschehene ist sehr ernst. Ich möchte daher wissen, ob Sie diese Koordinierung vornehmen werden oder ob wir diese Diskussion erneut aufgreifen sollen, wenn ich meine Antwort von der Kommission erhalte?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Ich glaube, es gibt eine Abstimmung, doch ist es wahrscheinlich sinnvoll, die Frage auch der Kommission zu stellen.

 
  
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  Die Präsidentin. Da die folgenden Anfragen das gleiche Thema betreffen, werden sie gemeinsam behandelt

Anfrage Nr. 3 von María Esther Herranz García (H-0364/05)

Betrifft: Regularisierung von Einwanderern in Spanien

Der Rat (Justiz und Inneres) hat auf seiner Tagung vom 14. April die Europäische Kommission ersucht, bis Ende Mai 2005 einen Vorschlag für die Einrichtung eines Systems der gegenseitigen Information zwischen den für die Migrations- und Asylpolitik zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten über Sachverhalte zu unterbreiten, die wichtige Beschlüsse eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erfordern.

Inzwischen hat die spanische Regierung erneut die Kriterien für die außerordentliche Regularisierung von Einwanderern geändert, die derzeit in Spanien stattfindet, indem sie jetzt die so genannte „Anmeldung durch Unterlassung“ zulässt.

Wann und wie wurde der Rat von den neuen Kriterien unterrichtet?

Anfrage Nr. 4 von Javier Moreno Sánchez (H-0379/05)

Betrifft: Kampagne zur Legalisierung von Einwanderern in Spanien

Die Kampagne zur Legalisierung von Einwanderern, die von der spanischen Regierung durchgeführt wurde, ist am 7. Mai äußerst erfolgreich zu Ende gegangen, da fast 700 000 Anträge eingereicht wurden. Ziel ist es, der illegalen Beschäftigung ein Ende zu setzen und die illegalen Einwanderer in die spanische Gesellschaft zu integrieren. Daher wurde das Legalisierungsverfahren an die Vorlage eines Arbeitsvertrages geknüpft. Die Kampagne wurde von den Gewerkschaften, dem Arbeitgeberverband und der gesamten Zivilgesellschaft unterstützt. Dieses Verfahren trägt nicht nur zur Beseitigung der Schwarzarbeit und zur Integration der illegalen Einwanderer bei, sondern versetzt Spanien auch in die einzigartige Lage, an der Ausarbeitung einer gemeinsamen EU-Politik im Bereich Zuwanderung mitzuwirken und dieser Politik neue Anstöße zu verleihen.

Befürwortet der Rat das erfolgreiche Legalisierungsverfahren in Spanien zur Beseitigung der Schwarzarbeit und zur Integration der illegalen Einwanderer mit allen dazugehörigen Rechten? Ist der Rat der Ansicht, dass sich die spanische Regierung aufgrund dieser Erfahrung nunmehr in einer besseren Position befindet, um zur Ausarbeitung einer gemeinsamen EU-Politik im Bereich Zuwanderung beizutragen?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Die Abgeordneten werden auf die Antwort verwiesen, die der Rat bereits zu einer mündlichen Anfrage zum selben Thema gegeben hat. Der Rat verweist die Frau Abgeordnete darauf, dass die Festlegung der Anzahl zuzulassender Arbeitszuwanderer in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten der Union fällt.

Über den von der spanischen Regierung durchgeführten und in der Anfrage angesprochenen Legalisierungsprozess hat der Rat auf seiner Tagung im Januar 2005 in informellem Rahmen debattiert. Er möchte die Frau Abgeordnete auf die Schlussfolgerungen zu einem System der gegenseitigen Information verweisen, die er auf seiner Sitzung am 14. April 2005 angenommen hat. Darin wird die Kommission aufgefordert, bis Ende Mai dieses Jahres eine Initiative vorzulegen – was sie übrigens nicht getan hat -, die auf die Errichtung eines Systems der gegenseitigen Information zwischen den für Einwanderungs- und Asylpolitik zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten abzielt. Ich möchte Sie daher bitten, die Frage an die Kommission zu richten, warum sie den von ihr im Januar geforderten Vorschlag nicht vorgelegt hat.

 
  
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  Antonio López-Istúriz White (PPE-DE), in Vertretung des Verfassers. – (ES) Herr Ratspräsident, vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Ich werde keine Erklärung abgeben, sondern ich möchte eine klare und direkte Frage stellen: Sind Sie der Ansicht, dass die in Spanien in Bezug auf die illegale Einwanderung getroffenen Entscheidungen einen negativen oder positiven Beitrag zur künftigen Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Einwanderungspolitik leisten?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Ich möchte zunächst hervorheben, dass Spanien eine Entscheidung getroffen hat, zu der es voll und ganz berechtigt war. Wir wissen jedoch alle, dass wir zu einer besser koordinierten oder gar gemeinsamen Politik auf diesem Gebiet kommen wollen, die es bisher noch nicht gibt. Fest steht auch, dass es besser ist, solche Entscheidungen mit den Partnern abzustimmen.

Allerdings verstehe ich auch, dass diese Entscheidung in einem ganz bestimmten Kontext getroffen wurde und dass das damit verfolgte Ziel eben darin besteht, die sich bereits in Spanien befindlichen Menschen weitest- und bestmöglich zu integrieren. Zudem wird durch ihre Integration in die spanische Gesellschaft wahrscheinlich verhindert, dass sie in andere Mitgliedstaaten abwandern. So gesehen denke ich nicht, dass diese Entscheidung zum Nachteil anderer Mitgliedstaaten getroffen wurde. Fest steht auch, dass wir uns alle vor Augen halten müssen, dass eine bessere Koordinierung im Bereich der Zuwanderung auf europäischer Ebene die einzige Lösung darstellt.

 
  
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  Antonio Masip Hidalgo (PSE), in Vertretung der Verfassers. – (ES) Herr Ratspräsident, meiner Meinung nach haben wir diese Fragen bereits ausführlich diskutiert, die sich auf Spanien beziehen – wie Sie ganz richtig sagten –, und das sogar mit durchschlagendem Erfolg. Deshalb möchte ich Ihnen für Ihre Geduld und die Kontinuität Ihrer Politik danken, und als Spanier bieten wir Ihnen unsere Zusammenarbeit an.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Geduldig zu sein, ist offensichtlich auch eine Tugend. In Ihrem Parlament habe ich einiges darüber gelernt.

 
  
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  Die Präsidentin.

Anfrage Nr. 5 von Bernd Posselt (H-0372/05)

Betrifft: Beitrittsverhandlungen mit Kroatien

Welche Maßnahmen hat die Ratspräsidentschaft ergriffen, um die unnötigerweise verzögerten Beitrittsverhandlungen mit Kroatien endlich voranzutreiben?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Am 07. März 2005 hat der Rat das Eintreten der Europäischen Union für den Beitritt Kroatiens zur EU bekräftigt und den Verhandlungsrahmen für dieses Land angenommen. Der Rat hat ebenfalls auf die Bedeutung einer uneingeschränkten Zusammenarbeit aller Länder des Westbalkan mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien verwiesen. Es handelt sich dabei um eine wesentliche Voraussetzung für ihre weitere Annäherung an die Europäische Union. Da die Beratungen des Rates zu dieser Frage nicht zu einem Einvernehmen führten, musste die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien verschoben werden.

In der Zwischenzeit ist eine Arbeitsgruppe aus der Präsidentschaft, dem Generalsekretär/Hohen Vertreter, der Kommission und der beiden kommenden Präsidentschaften gebildet worden. Sie hat die Aufgabe, in engem Kontakt mit dem Gerichtshof und mit Kroatien die Maßnahmen zu prüfen, die Kroatien ergriffen hat und noch ergreifen muss, um eine uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof zu erreichen.

Vor diesem Hintergrund ist die Arbeitsgruppe am 26. April 2005 mit dem Gerichtshof und der kroatischen Seite zusammengetroffen, um die jüngsten Entwicklungen der Zusammenarbeit zwischen Kroatien und dem Gerichtshof zu analysieren. Die Arbeitsgruppe beschloss, dass die Schlussfolgerungen des Rates von Dezember und März gültig bleiben und dass der Rat die Angelegenheit zu gegebener Zeit auf der Grundlage künftiger wesentlicher Entwicklungen in enger Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof nochmals prüfen wird.

 
  
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  Bernd Posselt (PPE-DE). Frau Präsidentin! Erstens möchte ich fragen, ob die luxemburgische Präsidentschaft das Thema Kroatien nächste Woche auf die Agenda des Gipfels setzen wird. Zweitens möchte ich fragen, worin die Logik besteht, dass – wie ich jetzt gehört habe – man zwar am 16. März die für 17. März geplanten Verhandlungen mit Kroatien absetzen konnte, aber jetzt schon sagt, für die Aufnahme der Verhandlungen mit der Türkei am 3. Oktober gelte: pacta sunt servanda. Warum braucht man bei Kroatien Einstimmigkeit für den Beginn der Verhandlungen und bei der Türkei Einstimmigkeit für den Nichtbeginn von Verhandlungen? Darin liegt doch überhaupt keine Logik!

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Zunächst möchte ich unterstreichen, dass die Zusammenarbeit Kroatiens mit dem Rat und insbesondere mit der in seinem Rahmen gebildeten Arbeitsgruppe ausgezeichnet war; dies ist im Übrigen ebenfalls vom Gerichtshof und insbesondere von dessen Ankläger bestätigt worden.

Ich denke, die Entscheidung ist noch immer ungewiss, doch habe ich die Hoffnung, dass sie getroffen und dann positiv sein wird. Sie wird einstimmig gefasst, wie das bei allen Entscheidungen zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen der Fall ist. Es ist auch möglich, dass der Europäische Rat sich mit diesem speziellen Fall befasst, doch ist es meiner Meinung nach erst sinnvoll, darüber zu diskutieren, wenn Aussicht auf eine rasche Lösung dieser Frage besteht.

 
  
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  Die Präsidentin.

Anfrage Nr. 6 von Erna Hennicot-Schoepges (H-0375/05)

Betrifft: Kampf gegen Alkopops und Alkoholismus bei Kindern und Jugendlichen

In seiner Empfehlung vom 5. Juni 2001 zum Alkoholkonsum unter jungen Leuten, besonders unter Kindern und Jugendlichen, hat der Rat die Staaten aufgefordert, Maßnahmen zur Eindämmung der Produktion von für Kinder und Jugendliche bestimmten alkoholhaltigen Getränken und der Werbung für diese Getränke zu ergreifen. Vier Jahre nach dieser Entscheidung stellt sich heraus, dass mit den ergriffenen Maßnahmen offenbar keinerlei Wirkung erzielt worden ist: Die Unternehmen verkaufen nach wie vor die nachweislich für Jugendliche bestimmten so genannten „Alkopops“, und der Verbrauch dieser Erzeugnisse steigt weiter an – mit allen schädlichen Folgen, die das für die Gesundheit der Menschen hat.

Zu welchen Ergebnissen hat diese Empfehlung geführt, und welche Maßnahmen sind in den verschiedenen Mitgliedstaaten ergriffen worden? Wie gedenkt der Rat angesichts der Verbreitung des Alkoholmissbrauchs unter Jugendlichen zu reagieren? Welche fiskalischen Maßnahmen sind für die Festlegung von Verbrauchsabgaben auf Designer-Drinks vorgesehen, und welche rechtlichen Maßnahmen sind geplant, damit die Etikettierung dieser Getränke klar ausweist, dass ihr Gehalt an synthetischem Alkohol und Zucker gesundheitsschädlich ist?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Der Rat möchte Frau Hennicot danken, dass sie diese Angelegenheit, die uns alle und insbesondere diejenigen von uns betrifft, die Kinder haben, so aufmerksam verfolgt. Der Rat misst dem Schutz Jugendlicher vor Alkohol angesichts deren Schutzbedürftigkeit große Bedeutung bei.

Wie die Frau Abgeordnete darlegte, hat der Rat am 5. Juni 2001 eine Empfehlung angenommen, in der insbesondere die Mitgliedstaaten ersucht werden, Maßnahmen zur Eindämmung der Erzeugung von für Kinder und Jugendliche bestimmten alkoholischen Getränken sowie der auf Jugendliche abzielenden Werbung für solche Getränke zu ergreifen. An diesem 5. Juni 2001 wurden vom Rat ebenfalls Schlussfolgerungen zu einer Gemeinschaftsstrategie zur Minderung der schädlichen Wirkungen des Alkohols angenommen. Darin wurde namentlich die Kommission aufgefordert, Vorschläge für eine globale Gemeinschaftsstrategie in diesem Bereich zu unterbreiten, mit der die einzelstaatlichen Politiken ergänzt und ein Zeitplan für verschiedene Maßnahmen festgelegt werden sollte.

Nach dieser Empfehlung ist der Rat nicht inaktiv geblieben. Da es sich jedoch als schwierig herausstellte, die Erzeugnisse vom Typ der Alkopops eindeutig festzulegen und die möglichen Maßnahmen zu bestimmen, hat er es vorgezogen, eine globalere Politik gemäß den vorgenannten Schlussfolgerungen von 2001 durchzuführen. So bekräftigte er, dass der Alkohol als wichtiger gesundheitsrelevanter Faktor in die Strategie der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit sowie in das unter Mitentscheidung Ihres Parlaments im September 2002 verabschiedete Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit (2003-2008) einbezogen wurde. Mit diesem Programm konnten insbesondere von der Kommission und den Mitgliedstaaten kofinanzierte Projekte in Angriff genommen werden, um die Empfehlung von 2001 umzusetzen und eine Gemeinschaftsstrategie zur Vorbeugung im Hinblick auf Alkoholkonsum vorzubereiten. Zu diesem Zweck ist ebenfalls eine Arbeitsgruppe aus Sachverständigen der Mitgliedstaaten eingesetzt worden.

Des Weiteren hat der Rat im Juni 2004 Schlussfolgerungen mit dem Titel „Die Problematik Alkohol und junge Menschen“ angenommen, in denen er die Aufforderung an die Kommission wiederholte, ihm 2005 über die Durchführung der vorgeschlagenen Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten zu berichten. In den Schlussfolgerungen wurden ebenfalls die von der Kommission zur Aufstellung einer umfassenden Strategie zur Alkoholproblematik durchgeführten Arbeiten unterstützt, wobei hervorgehoben wurde, dass es im Rahmen dieser Strategie notwendig sei, dem Problem des Alkoholkonsums unter Jugendlichen besondere Aufmerksamkeit einzuräumen.

Auf der Tagung des Rates vom 6. Dezember 2004 wurde schließlich diese Aufforderung an die Kommission wiederholt. Bis Ende 2005 wird die Kommission im Prinzip in der Lage sein, gleichzeitig mit dem in der Empfehlung von 2001 geforderten Bewertungsbericht eine Mitteilung über eine umfassende Strategie zur Alkoholproblematik vorzulegen. Nach Erhalt dieses Dokuments wird der Rat so rasch wie möglich seine Arbeiten beginnen. Allerdings wird mit diesen Initiativen als solchen das spezifische Problem der Alkopops nicht zu regeln sein. Doch langfristig werden sie die Einführung eines Gemeinschaftsrahmens ermöglichen, um die Bürger, insbesondere die Jugendlichen, besser über die Gefahren des Alkoholmissbrauchs zu informieren.

 
  
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  Erna Hennicot-Schoepges (PPE-DE).(FR) Ich danke dem Rat, dass er sich mit der Problematik des Alkoholmissbrauchs unter Jungendlichen befasst. Meiner Meinung nach ergeben sich aufgrund der Kombination von Alkohol und hohem Zuckergehalt der betreffenden Getränke besonders schwerwiegende gesundheitliche Probleme, wobei ich insbesondere an das verstärkte Auftreten von Diabetes unter Jugendlichen und das Problem der Übergewichtigkeit denke. Ich verstehe nicht, warum der Rat das Problem der Etikettierung nicht stärker angeht, denn viele Eltern wissen nicht, dass ihre Kinder Alkohol konsumieren, wenn sie diese Getränke zu sich nehmen, die sie für Limonade halten.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Die Kommission, die mehrfach vom Rat aufgefordert worden ist, Vorschläge zu dieser Thematik vorzulegen, sollte berücksichtigen, was die Frau Abgeordnete eben gesagt hat. Sie sollte auch die Höhe des Alkoholgehalts berücksichtigen. Diese Frage gehört zum Verbraucherschutz, denn die Verbraucher müssen auf jeden Fall wissen, was sie konsumieren.

 
  
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  Mairead McGuinness (PPE-DE).(EN) Herr Ratspräsident! Was das Thema Gesundheit anbelangt, so gestatte ich mir den Hinweis, dass eines der großen Probleme der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Selbstmorden bei Jugendlichen ist. Dies gilt insbesondere für Irland. Ich würde mir wünschen, dass diese Problematik in unserer Strategie stärker in den Vordergrund gerückt wird.

Zweitens beobachten wir mit Sorge, dass in Kindersendungen Werbung für Spielzeug läuft, dass Kinder aber auch schon sehr früh mit Alkoholwerbung konfrontiert werden und mit Alkohol in Berührung kommen und so Alkohol akzeptabel wird. Diese Entwicklung müssen wir im Auge behalten. Vielleicht könnten Sie mir erläutern, was Sie davon halten, diese Aspekte in unsere künftige Alkohol-Strategie aufzunehmen und auf die damit zusammenhängenden Probleme einzugehen.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Dies zeigt deutlich, dass die Mitgliedstaaten schnell handeln können müssen und dass sie das Recht dazu haben. In diesem Bereich kann die Subsidiarität Anwendung finden und bestimmte Grundsätze der Marktfreiheit können nicht geltend gemacht werden, denn es geht hier nicht einfach um den freien Warenverkehr, sondern vor allem um Gesundheitsschutz. Ich denke, mittels solcher Beispiele muss Europa zeigen, dass es nicht in einem Rahmen gefangen ist, der die tatsächlichen Besorgnisse nicht berücksichtigt. Ich danke Ihnen, dass Sie mir diese Frage gestellt haben, doch sie sollte eher an die Kommission gerichtet werden.

 
  
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  Daniel Caspary (PPE-DE). Frau Präsidentin! Herzlichen Dank für die Gelegenheit zur Nachfrage. Ich frage den Rat: Gibt es überhaupt alkoholische Getränke, die, wie die Fragestellerin sagt, nachweislich extra für Kinder und Jugendliche bestimmt sind?

Zweitens: Ist dem Rat bekannt, dass es auch mündige Erwachsene gibt, denen diese Getränke schmecken und die durch eine Sondersteuer, die es beispielsweise in Deutschland schon gibt, bestraft werden?

Drittens: Stimmt mir der Rat zu, dass wir statt fiskalischer, zentralistischer und bevormundender Lösungen lieber die Kinder, Jugendlichen, Erwachsenen und Älteren über die Gefahren von Alkohol im Allgemeinen aufklären sollten?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Meiner Meinung nach stehen Ihre Worte nicht im Widerspruch zu dem, was ich eben ausführte. Es ist klar, dass diese Getränke nicht ausschließlich für Kinder und Jugendliche bestimmt sind. Wenn wir von dem Grundsatz ausgehen: im Zweifel zugunsten der Hersteller, dann denke ich, dass diese Erzeugnisse nicht von vornherein für Jugendliche bestimmt sind. Sie üben jedoch eine besondere Anziehungskraft auf diese Altersgruppe aus.

Sie sind ebenfalls auf die Besteuerung eingegangen. Auch wenn diese möglich ist, wird in erster Linie eine Informationskampagne unter den Jugendlichen gebraucht, denn Steuern allein stellen keine Lösung dar. Es ist in erster Linie Sache der Mitgliedstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Doch müssen sie in die Lage versetzt werden, gewissermaßen die Freiheit haben, solche Entscheidungen treffen zu können, ohne letzten Endes Schwierigkeiten zu bekommen, weil sie theoretisch in den freien Markt und in den freien Warenverkehr eingegriffen haben. Daher meine ich, dass die Europäische Union auch unter diesem Gesichtspunkt zu diesen Erzeugnissen Stellung beziehen muss.

 
  
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  Die Präsidentin.

Anfrage Nr. 7 von Bill Newton Dunn (H-0377/05)

Betrifft: Gemeinsame Ermittlungsteams zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität

Angeblich haben noch nicht alle 25 Mitgliedstaaten den Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 (14242/01) ratifiziert, auf dessen Grundlage es möglich wäre, gemeinsame Ermittlungsteams zu bilden. Wie viele Parlamente der Mitgliedstaaten haben den vorgenannten Rahmenbeschluss noch nicht ratifiziert, und wann wird der Ratifizierungsprozess nach Ansicht des Rates abgeschlossen sein, damit die Union konsequenter und effektiver gegen die organisierte Kriminalität vorgehen kann?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Bisher haben 21 Mitgliedstaaten dem Generalsekretariat des Rates mitgeteilt, dass sie den Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 über gemeinsame Ermittlungsteams umgesetzt haben. Diese Mitgliedstaaten können somit gemeinsame Ermittlungsteams gemäß dem Rahmenbeschluss bilden. Des Weiteren haben zwei Mitgliedstaaten das Generalsekretariat des Rates darüber informiert, dass ihre Rechtsvorlagen zur Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses ihren Parlamenten bereits übermittel wurden bzw. in Kürze übermittelt werden. Ein Mitgliedstaat hat dem Rat mitgeteilt, dass er den Rahmenbeschluss teilweise umgesetzt hat.

 
  
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  Bill Newton Dunn (ALDE).(EN) Mit meinen Rechenkünsten ist es zwar nicht zum Besten bestellt, doch ich komme auf 24, das heißt, zu einem der Mitgliedstaaten haben Sie überhaupt nichts gesagt. Was gedenken Sie gegen den einen Mitgliedstaat zu unternehmen, der offensichtlich gar nichts tut?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Ich muss überprüfen, ob es tatsächlich nur 24 Mitgliedstaaten sind. Ich muss überprüfen, ob ein Mitgliedstaat wirklich nicht reagiert hat. Diese Information kann ich Ihnen jetzt nicht geben, doch verspreche ich Ihnen, dass ich dies nachprüfen werde. Diese Information kann dann sicherlich schriftlich übermittelt werden.

 
  
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  Die Präsidentin. Die Anfrage Nr. 8 wurde zurückgezogen.

 
  
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  Philip Bushill-Matthews (PPE-DE).(EN) Frau Präsidentin, ich habe eine Frage zur Geschäftsordnung und würde gerne Ihre Meinung dazu hören. Gerade eben teilten mir die Sitzungsdienste mit, dass diese Anfrage zurückgezogen worden sei. Meines Wissens erhält jedoch jedes Mitglied des Europäischen Parlaments in der Regel Zugang zur vollständigen Liste der Anfragen. Jeder Abgeordnete hat das Recht, eine zusätzliche Frage zu stellen; trotzdem ist derjenige, der die Anfrage zurückzieht, anscheinend nicht verpflichtet, sämtliche anderen Mitglieder davon zu unterrichten. Denjenigen von uns, die eine Zusatzfrage stellen wollten, wird damit ihr demokratisches Recht verweigert.

Meinen Sie nicht auch, dass die Geschäftsordnung überprüft werden muss, wenn es sich tatsächlich so verhält? Darf ich stattdessen eine Nachfrage zur Anfrage von Herrn Newton Dunn stellen? Es ist wirklich ein Verbrechen, dass ich keine Nachfrage stellen darf, und dahinter stecken ohne jeden Zweifel die Sozialdemokraten!

 
  
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  Die Präsidentin. Verbrechen organisieren wir in diesem Haus überhaupt nicht! Wir gehen demokratisch, freundlich und friedlich miteinander um, Herr Kollege! Was die zurückgezogene Frage angeht, sind die Regeln ganz klar. Wenn ein Fragesteller oder eine Fragestellerin die Frage zurückzieht, dann existiert sie nicht mehr. Damit haben Sie die Möglichkeit der Nachfrage nicht. Ob die Kollegen sich gegenseitig informieren und noch dazu über die Fraktionsgrenzen hinweg, ist ein interessantes Thema. Ich würde Ihnen empfehlen, einfach mal mit der Debatte mit Kollege Martin zu beginnen.

Wenn Sie jetzt eine Nachfrage zur Anfrage von Herrn Newton Dunn haben, dann würde ich diese gestatten, weil es zwei Nachfragen pro Anfrage gibt. Also bitte: Fragen Sie nochmals den Ratsvorsitzenden zur Anfrage zur organisierten Kriminalität.

 
  
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  Philip Bushill-Matthews (PPE-DE).(EN) Das ist zwar sehr freundlich von Ihnen, Frau Präsidentin, wäre aber unredlich, denn meine Frage betrifft die Arbeitszeit, und ich möchte mich nicht des Betrugs schuldig machen.

 
  
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  Die Präsidentin. Das ist sehr fair. Wir diskutieren weiter, wie es sich mit zurückgezogenen Anragen von Kolleginnen und Kollegen verhält.

 
  
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  Die Präsidentin.

Anfrage Nr. 9 von Mairead McGuinness (H-0385/05)

Betrifft: Bedürfnisse von Kindern als Prioritäten bei der Konzeption der Politik

Dem jüngsten Bericht von „Save the Children“ mit dem Titel „Wir sind nicht zuständig für Kinderarmut – Wir sind zuständig für große Straßen!“ Die EU, die Millennium-Entwicklungsziele und Kinder“ zufolge ist einer von zwei Menschen, die heute in Armut leben, ein Kind, und in fünf Jahren werden 25 Millionen Kinder allein in Afrika durch HIV und AIDS zu Waisen geworden sein. Eines der in dem Bericht hervorgehobenen Argumente besagt, dass Kinder im Rahmen der Politik nicht angemessen berücksichtigt werden. Ein Mainstreaming der Bedürfnisse von Kindern hat nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht.

Akzeptiert der Rat die Notwendigkeit, im Rahmen des Beschlussfassungsprozesses den Kindern mehr Bedeutung beizumessen, und besteht eine politische Bereitschaft, die Konzeption der Politik entsprechend umzugestalten?

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Der Rat ist sich der dramatischen Lage bewusst, in der Millionen Kinder generell in den meisten Entwicklungsländern und speziell in Afrika aufgrund ihrer Anfälligkeit gegenüber Hunger, Gewalt, übertragbaren Krankheiten, vor allem natürlich Aids, Malaria und Tuberkulose, leben.

Der Rat verweist darauf, dass die Kinder direkt oder indirekt in den acht Millenniums-Entwicklungszielen angesprochen werden. Nach Auffassung des Rates können diese Ziele ohne eine kohärente Politik zugunsten der Kinder der Dritten Welt nicht bis 2015 erreicht werden. Der Rat hat die Notwendigkeit in den Vordergrund gestellt, bei der Umsetzung der Entwicklungspolitik der Europäischen Union mittels einer Reihe von Initiativen jüngeren Datums den Kindern besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Der Europäische Rat hat am 16. Dezember 2004 die feste Entschlossenheit der Europäischen Union bekräftigt, die Millenniums-Entwicklungsziele zu verwirklichen. Auf dieser Tagung hat der Rat ebenfalls seine rückhaltlose Unterstützung für das europäische Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose mittels externer Aktionen zum Ausdruck gebracht. Die Kommission hat diese dann Ende April 2005 vorgelegt.

So ist eine gemeinsame Aktion der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit den bedeutendsten internationalen Organisationen auf diesem Gebiet, insbesondere Unicef, sowie mit den Lehrkräften und den Elternverbänden in den Partnerländern vorgesehen. Die gemeinsame Erklärung vom November 2000 über die Entwicklungspolitik der Europäischen Union befindet sich gegenwärtig im Prozess der Überarbeitung. Eine Mitteilung der Kommission zur künftigen Entwicklungspolitik wird Ende Juni erwartet. In dem erweiterten Konsultationsprozess sind zahlreiche Themen als mögliche thematische Prioritäten genannt worden, wozu auf jeden Fall der Schutz der Kinder gehört. Weiterhin ist darauf zu verweisen, dass auf Gemeinschaftsebene das Parlament und der Rat 2004 den Beschluss über die Annahme des Daphne-II-Programms zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt, insbesondere gegen Kinder, angenommen haben.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Kinder eine wesentliche Dimension der Entwicklungspolitik der Europäischen Union darstellen und dass der Rat beabsichtigt, diese Priorität sowohl bei der Vorbereitung des im September 2005 in New York stattfindenden Gipfeltreffens über die Realisierung der Millenniumsziele als auch im Prozess der Festlegung der künftigen Entwicklungspolitik der Union hervorzuheben.

 
  
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  Mairead McGuinness (PPE-DE).(EN) Herr Ratspräsident, ich danke Ihnen für die sehr ausführliche Antwort. Ich möchte Sie bitten, die Ansichten derjenigen zu berücksichtigen, die mehr über Kinder in Entwicklungsländern wissen als vielleicht Sie oder ich, und die besorgt feststellen, dass wir als eine Union wahrgenommen werden, für die große Infrastrukturvorhaben wichtiger sind als Kinder, und nach Möglichkeit gründlicher über die Bedürfnisse nachzudenken, die die Kinder hinsichtlich ihrer medizinischen Versorgung und sonstiger Hilfe haben.

Ich akzeptiere, was Sie gesagt haben, möchte Sie aber dennoch bitten, die Meinungen all jener, die wissen, worum es geht, eingehender zu prüfen.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Ich teile Ihre Einschätzung, dass der Rat der NRO eingeholt werden muss. Bei der Erarbeitung der Entwicklungspolitik für die kommenden Jahre, die für die Europäische Union in der Umsetzung der Millenniumsziele besteht, gilt es, diese Aspekte ganz konkret zu berücksichtigen. Sie können mir glauben, dass zumindest die luxemburgische Präsidentschaft, die noch bis Ende dieses Monats mit dieser Frage befasst ist, sorgfältig darauf achten wird, dass das Ziel des Schutzes der Kinder eines der Hauptziele unserer Entwicklungsstrategie ist.

 
  
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  Vittorio Agnoletto (GUE/NGL). (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte speziell auf einen der angesprochenen Punkte zurückkommen: das Problem von AIDS und HIV. Am 2. Dezember 2004 hat dieses Parlament einen wirklich klaren Entschließungsantrag angenommen, in dem die Kommission und der Rat aufgefordert wurden, sich einzuschalten und insbesondere zu versuchen, die gegenwärtigen TRIPS-Regelungen zu ändern, denn sie gehören zu den Hauptfaktoren, die den Zugang der in den südlichen Ländern lebenden Erwachsenen und Kinder zu Arzneimitteln verhindern.

Soweit ich weiß, ist in dieser Richtung, das heißt in Bezug auf die Änderung des TRIPS-Übereinkommens, nichts unternommen worden, und ich möchte nun nach den Gründen dafür fragen, auch weil die Lage vor kurzem durch die Anpassung der indischen Regierung an die TRIPS-Regelungen noch dramatischer geworden ist.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Ich denke, dass der Rat, wie ich bereits ausführte, das europäische Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Aids und der anderen Krankheiten nachdrücklich unterstützt hat. Der Rat hat auch den Wunsch geäußert, sich mit dem Dossier der wesentlichen Arzneimittel zu befassen, und die Änderungen unterstützt, mit denen erreicht werden soll, dass bestimmte Arzneimittel zur Bekämpfung von Aids zugänglich werden. In der WTO gibt es allerdings ein Problem in dieser Hinsicht, das noch nicht gelöst ist. Wir gehören zu den größten Geldgebern für die Bekämpfung von Aids, denn ohne Geld wären wir nicht in der Lage, Aids in den Entwicklungsländern wirksamer zu bekämpfen. Im Gegensatz zu anderen hat Europa seine Zusagen mehr oder weniger eingehalten.

 
  
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  Eoin Ryan (UEN).(EN) Zwischen der von Frau McGuinness gestellten Anfrage Nr. 9 und meiner eigenen Anfrage, der Nr. 11, gibt es ganz viele Berührungspunkte, und wieder einmal schaffen wir es nicht, uns mit einer weiteren Anfrage zu befassen. Darüber bin ich sehr verärgert. Wie oft warten wir hier, und Sie kommen nicht zu unseren Anfragen.

Wir reden über Aktionspläne für die Dritte Welt, insbesondere im Hinblick auf Kinder, hören aber nie etwas über detaillierte Pläne oder konkrete Initiativen in diesem Bereich. Ich weiß natürlich, dass das alles hoch kompliziert und schwierig ist, doch nur sehr selten werden wir über Einzelheiten des Geschehens in diesen Teilen der Welt und darüber unterrichtet, wie wir mit den gravierenden Problemen von Kindern umgehen, die mit dem HI-Virus infiziert oder an Aids erkrankt sind.

 
  
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  Nicolas Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Sie sprechen eine sehr treffende und interessante Frage an. Ich meine, Sie müssen die Kommission fragen – denn diese muss diese Frage beantworten -, welche konkreten, spezifischen Maßnahmen es ermöglichen, über die einzelnen Entwicklungshilfeprogramme der Europäischen Union die Aids-Problematik oder andere Probleme dieser Art anzugehen.

Ich denke, es ist Ihr gutes Recht, von der Kommission zu verlangen, dass sie Sie im Einzelnen über die konkreten Maßnahmen in diesem Sinne unterrichtet. Leider kann der Rat dies nicht tun, da die Kommission für die Umsetzung dieser Programme und Aktionen zuständig ist.

 
  
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  Die Präsidentin. Ich möchte darauf hinweisen. dass das Plenum selbst am Montag beschlossen hat, dass die Fragestunde auf eine halbe Stunde gekürzt wird, und wir haben jetzt bereits eine Dreiviertelstunde gemacht. Jetzt lasse ich keine Wortmeldung zur Geschäftsordnung mehr zu.

Da die vorgesehene Fragestunde beendet ist, werden die Fragen 12 bis 30 schriftlich beantwortet(1).

Damit ist die Fragestunde beendet.

(Die Sitzung wird um 19.00 Uhr unterbrochen und um 21.00 Uhr wieder aufgenommen.)

 
  
  

VORSITZ: ALEJO VIDAL-QUADRAS ROCA
Vizepräsident

 
  

(1) Nicht behandelte Fragen: siehe Anhang „Fragestunde“.


21. Haushalt / Wirtschaft
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht von Othmar Karas im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken (KOM(2005)0154 - C6-0119/2005 - 2005/0064(SYN)) (A6-0168/2005)

und über den Bericht von Othmar Karas im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (KOM(2005)0155 - C6-0120/2005 - 2005/0061(CNS)) (A6-0158/2005).

 
  
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  Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. (ES) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 26. April hatte ich das Vergnügen, Ihnen im Ausschuss die Änderungen der beiden Verordnungen zu präsentieren, auf denen der Stabilitäts- und Wachstumspakt beruht und die das Kommissionskollegium am 20. desselben Monats angenommen hatte. Fünf Wochen später haben wir die Berichte von Herrn Karas über beide Verordnungen hier in der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments erörtert, was einmal mehr zeigt, in welchem Geist der guten Zusammenarbeit das Parlament dieses wichtige Thema behandelt hat.

In diesen wenigen Wochen haben das Parlament, der Rat und wir in der Kommission daran gearbeitet, das Legislativverfahren zur Reform des Paktes vor dem Ende der luxemburgischen Präsidentschaft abzuschließen. Nach dieser ersten Phase der Prüfung der Kommissionsvorschläge hier im Parlament ist eine Einigung in Sicht, die wir - wenn überhaupt - vor Ablauf dieses Monats zustande bringen könnten.

Wie ich vor dem Ausschuss erklärte, beschränkte sich unser Vorschlag entsprechend dem Mandat des Europäischen Rates – der wiederum den Bericht des Ecofin-Rates vom März unterstützt hatte –, auf die Änderungen der Verordnungen, die unbedingt notwendig waren, um sie mit der Vereinbarung des Rates in Einklang zu bringen. Während der Rat noch an seinem Vorschlag arbeitete, haben allerdings einige Mitgliedstaaten den Standpunkt vertreten, dass bestimmte Regelungen in die Artikel der Verordnung aufgenommen werden sollten, beispielsweise die jährliche Mindeststeueranpassung von 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts für Länder mit einem übermäßigen Defizit oder jene, die mittelfristig eine doch eher ausgeglichene Bilanz erreichen müssen, oder die ausdrückliche Nennung anderer relevanter Faktoren.

Diese Anträge haben die Diskussion über einige Punkte, zu denen es im Rat bereits Übereinstimmung gab, um mehrere Tage verlängert. Glücklicherweise wurde die Vereinbarung aufrechterhalten, und nach meiner Kenntnis hat die Arbeitsgruppe des Rates heute eine endgültige Einigung in diesem Punkt erreicht.

Das Parlament seinerseits hat in dem Bericht von Herrn Karas seine Sorge über einige Kennziffern zum Ausdruck gebracht, die die Glaubwürdigkeit der multilateralen Haushaltskontrolle beeinträchtigen, zum Beispiel die Qualität der nationalen Finanzstatistiken, die Überwachung des Schuldenstands oder die Zuverlässigkeit makroökonomischer Vorhersagen. Das Parlament fordert ebenfalls völlig zu Recht, über die Defizitverfahren regelmäßig informiert zu werden.

Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sagen, dass die Kommission die Sorgen des Parlaments teilt. Viele davon sind in einen der verschiedenen Teile der Gesetzestexte zur Regelung der Koordinierung der Wirtschaftspolitiken in der Wirtschafts- und Währungsunion aufgenommen worden bzw. besteht die Möglichkeit der Aufnahme. Aus Sicht der Kommission können bestimmte andere Bedenken, die in einigen der Änderungsanträge in den Berichten von Herrn Karas zum Ausdruck kommen – ich meine konkret die Überwachung des Schuldenstands und die regelmäßige Unterrichtung des Parlaments über Defizitverfahren – problemlos in die Verordnungen zum Pakt einbezogen werden.

Das sagte ich gerade am Montag dieser Woche den Ministern der Eurogruppe, und ich machte auch einige konkrete Bemerkungen darüber, wie sie Berücksichtigung finden könnten. Natürlich obliegt es dem Rat, diese Empfehlungen zu prüfen, und er wird dann – vermutlich nächsten Montag – formell seinen Standpunkt äußern.

Auf jeden Fall hoffe ich, dass unsere Zusammenarbeit der letzten Wochen bis zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens fortgesetzt wird, damit wir so bald wie möglich einen erneuerten Stabilitäts- und Wachstumspakt haben, der sowohl in politischer als auch in rechtlicher Hinsicht an die tatsächliche Wirtschaftsdynamik der Mitgliedstaaten angepasst ist. Der breite Konsens für diese Reform trägt zweifellos zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit des Paktes bei und verdeutlicht den unmissverständlichen Wunsch, sich für gesündere öffentliche Finanzen als notwendige Voraussetzung für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum einzusetzen.

Gerade gestern hat das Kommissionskollegium hier in Straßburg einen Bericht angenommen, der die Eröffnung eines Defizitverfahrens gegen einen Mitgliedstaat, Italien, empfiehlt. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Wirksamkeit des Stabilitäts- und Wachstumspakts und ein praktisches Beispiel für den Geist, der von der Reform des Paktes ausgeht. Es ist auch ein Hinweis darauf, dass wir schnellstmöglich eine Diskussion über die Normen für das Funktionieren des Paktes führen und uns auf die Anwendung dieser Normen und die Umsetzung der Prinzipien und Leitlinien des Paktes konzentrieren müssen.

Abschließend, Herr Präsident, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir bitte zu betonen, dass durch die jüngsten Abstimmungen gegen den Entwurf der europäischen Verfassung in Frankreich und den Niederlanden meines Erachtens eines klar geworden ist, nämlich die Notwendigkeit, zu handeln und greifbare Ergebnisse zu erzielen, die spürbare Vorteile für das Wohl der Bürgerinnen und Bürger bringen, angefangen mit der Beschäftigung und der Stärkung unseres Sozialmodells. Daraus ergibt sich die Forderung, im Laufe der nächsten Wochen eine endgültige Vereinbarung zur Reform des Paktes zu erzielen, die die Grundlagen für ein entschlossenes Handeln der Europäischen Union zur Dynamisierung unserer Wirtschaften, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Förderung der Nachhaltigkeit des Niveaus unseres sozialen Zusammenhalts legen wird.

Die Anstrengungen aller Organe – des Parlaments, des Rates und der Kommission – gehen in diese Richtung, und ich bin überzeugt, dass sie die Verabschiedung der geänderten Verordnungen vor Ende dieses Monats und damit vor dem Ende der luxemburgischen Präsidentschaft ermöglichen werden.

 
  
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  Othmar Karas (PPE-DE), Berichterstatter. Herr Präsident, Herr Kommissar, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich erst einmal bei den Anwesenden für die gute Zusammenarbeit in den letzten Jahren und bei der Vorbereitung der Berichte, die wir heute diskutieren, bedanken. Ich möchte meine Ausführungen in zwei Teile gliedern: Ich werde kurz noch zum Stabilitäts- und Wachstumspakt sprechen und mich dann mit den beiden Verordnungen befassen.

Der Umgang zu vieler Repräsentanten im öffentlichen Leben mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt, verankert im Vertrag und 1997 in Amsterdam unterzeichnet, ist für mich ein deutliches Beispiel für die Doppelmoral mancher Politiker und das Doppelspiel: hier Innenpolitik, dort Brüssel. Er hat in der Vergangenheit leider auch manchmal für nationalpopulistische Erklärungen herhalten müssen statt der notwendigen solidarischen Wahrnehmung von Verantwortung in der Europäischen Union zu dienen.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist für mich keine lästige Pflicht oder eine Fleißaufgabe der Europäischen Union, sondern er ist ein zwingender Koordinierungsrahmen für die nationalen Haushaltspolitiken im Rahmen der Währungsunion, in der die Geldpolitik zentralisiert ist, die Haushaltspolitik aber auf nationaler Ebene stattfindet. Es steht aber eines fest: Die Anreizstrukturen für die Haushaltspolitik haben sich mit der Währungsunion verändert. Vorher waren die Strafen der Finanzmärkte klarer und stärker. Wenn zum Beispiel Italien eine unsolide Haushaltspolitik betrieben hat, sind die Zinsen auf den Finanzmärkten wegen der Abwertungserwartung sofort gestiegen. Jetzt ist für Regierungen nicht immer sichtbar, was die Finanzmärkte von einer schlechten Haushaltspolitik halten. Die immer wieder kritisierten Strafen und Sanktionen am Ende eines langen Prozesses sind daher sinnvoll, da die Finanzmärkte nicht mehr über ihre frühere Macht verfügen.

Ein weiterer Punkt: In der Währungsunion ist es leider auch möglich, Trittbrett zu fahren und eine unsolidarische Haushaltspolitik zu betreiben. Daher ist Koordinierung notwendig, um die Geldpolitik insgesamt zu entlasten und für niedrigere Zinsen zu sorgen. Es ist für mich unstrittig, dass es einen Rahmen für die Haushaltspolitik in den Mitgliedstaaten der Währungsunion geben muss, auch um eine Überverschuldung zu verhindern und die Stabilität der Währung zu gewährleisten.

Für mich hat der Stabilitätspakt einen Konstruktionsfehler, der bleibt, und den können wir leider auch nicht ändern, weil er im Vertrag steht. Es ist leider so, dass sich die Sünder zu Richtern machen und sich über die Vorschläge der Hüterin der Verträge, der Kommission, hinwegsetzen können, was leider passiert ist. Dies hat zum Vertrauensverlust und zu Glaubwürdigkeitsverlust geführt, und es war teilweise auch Ausdruck unsolidarischen Handelns. Trotzdem ist der Euro ein Erfolg! Trotzdem ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt ein Erfolg, denn ohne Stabilitäts- und Wachstumspakt hätten wir nicht jene Debatten über die Ursachen von Defizit und die Ziele der Haushaltspolitik, und er ist auch die Grundlage der Debatte heute und die Grundlage notwendiger Reformen und Anpassungen, die durchgeführt werden.

Ich halte es für gut, dass es diesen Rahmen gibt, weil wir damit intensiver über Defizite, die Ursache von Defiziten und Auswirkungen von Defiziten in aller Öffentlichkeit sprechen. Und die Bürger haben größeres Vertrauen in den Euro als in manches andere politische Projekt der Europäischen Union.

Es geht aber heute nicht um den Stabilitätspakt an sich, sondern um zwei Verordnungsvorschläge der Kommission, die auf dem Beschluss des Europäischen Rates vom 22. und 23.März basieren. Sowohl die Mehrheit des Ausschusses als auch ich als Berichterstatter haben die Ergebnisse des Rates zur Kenntnis genommen; wir stellen diese Entscheidungen nicht in Frage, sondern beurteilen diese beiden Verordnungsvorschläge nach den Grundsätzen und den Erklärungen.

Uns ist es bei der Beurteilung der Verordnungsvorschläge darum gegangen, für mehr Klarheit zu sorgen, stärker zu definieren als zu interpretieren, und die versprochenen Beschlüsse umzusetzen, statt sie zu unterlaufen. Wir wollen mehr Klarheit haben und eine bessere Definition.

Wir haben es bei diesen beiden Verordnungen mit einer unterschiedlichen Zuständigkeit zu tun. Bei der Verordnung 1466/97, die die präventiven Aspekte betrifft, gilt das Verfahren der Zusammenarbeit, bei der Verordnung 1467/97 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit, sind wir in Konsultation mit der Kommission und dem Rat.

Ich möchte zuerst auf die Verordnung über die präventiven Aspekte eingehen. Hier haben wir als Ausschuss zwei zentrale Forderungen erhoben. Das ist auf der einen Seite die Verbesserung der Qualität der Statistiken. Wir alle kennen das Beispiel Griechenland – aber es gibt nicht nur das Beispiel Griechenland. Wir meinen, dass die Qualität der Statistiken auf nationaler und gemeinschaftlicher Ebene sichergestellt werden muss, um die Unabhängigkeit, die Integrität und die Rechenschaftspflicht sowohl der nationalen Statistikämter als auch von Eurostat zu gewährleisten.

Wir fordern auf der anderen Seite, dass die Kommission nicht nur die Statistiken annimmt, sondern im Mitgliedstaat den Dialog mit den handelnden Personen und Institutionen zwecks Hinterfragen der Situation führt. Wir wollen eine stärkere Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank, weil es nicht sein kann, dass zwei unterschiedliche Statistiken nicht vergleichend überprüft werden und schon ein möglicher Widerspruch Fragen der Kommission an den Mitgliedstaat zur Folge hat. Diese Zusammenarbeit, diese Vergleiche, diese Interpretation, und die Fragestellungen zur Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und der Kommission bei der Beurteilung und Abgleichung der Statistiken ist für uns wichtig.

Als zweiten Punkt wollen wir, dass die mittelfristigen Haushaltsziele nicht regelmäßig, sondern zumindest jährlich überprüft werden und dass die öffentliche Schuldenquote mit berücksichtigt wird. Bei der Verordnung 1467/97, bei der Frage des Verfahrens wegen übermäßigen Defizits, geht es uns um eine klare Definition der außergewöhnlichen Umstände, weil hier die Interpretation zu breit ist und die Klarheit zu gering. Wir wollen die Schaffung europäischer Mindestnormen zur Haushaltsplanerstellung. Die Kommission sollte die Parameter, auch für einheitlichere Wachstumsprognosen in den Mitgliedstaaten, vorgeben. Wir fordern, dass der maximale Zeitraum für die Wiedererreichung der Kriterien mit drei Jahren ab Auftreten des Defizits begrenzt wird. Wir sind auch der Auffassung, dass es eine spezifizierte Liste der zu berücksichtigenden relevanten Faktoren im Defizitverfahren geben muss.

Wir nehmen den Vorschlag an, wie er ist. Wir wollen ihn konkretisieren, berechenbarer und glaubwürdiger machen und die Interpretationsspielräume reduzieren, damit die Einhaltung leichter gewährleistet ist und wir mit diesen beiden Verordnungen dem Pakt mehr Glaubwürdigkeit verleihen, das Vertrauen in ihn zurückgewinnen und damit auch eine Antwort auf Unsicherheiten der Bevölkerung über die Ernsthaftigkeit im Umgang mit europäischen Beschlüssen geben.

 
  
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  Alexander Radwan, im Namen der PPE-DE-Fraktion. Herr Präsident, sehr geehrter Herr Kommissar! Wir haben ja hier schon oft über den Stabilitätspakt diskutiert. Ich danke dem Berichterstatter für seinen Bericht, der, aufbauend auf dem Ratsbeschluss, die Arbeit vollzogen hat, wobei ich nicht verhehlen möchte – und das sage ich direkt –, dass ich mich mit dem Ratsbeschluss nicht anfreunden kann.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt in einem Gebiet mit einer einheitlichen Währung setzt ja voraus, dass die Haushaltspolitiken zusammengeführt werden, dass sie nicht zu stark divergieren, und es geht letztendlich um nichts anderes als um die Zukunftsfähigkeit unserer Währung. Wir hatten ja in den letzten Tagen genügend Diskussionsstoff dazu, wie manche, auch in verantwortlichen politischen Positionen, darüber denken, und womöglich haben die Diskussionen in den Monaten davor auch ein Stück weit dazu beigetragen.

Wir erwarten von der Kommission – und der Berichterstatter hat das ja angeführt –, dass sie genau darlegt, wie der Ratsbeschluss zukünftig durch die Verordnungen interpretiert wird. Was heißt geringfügiges Überschreiten? Was heißt kurzfristiges Überschreiten? Welche Bereiche werden zukünftig von der Kommission akzeptiert? Hier erhoffe und erwarte ich mir von der Kommission Strenge, und wir werden ja in nächster Zeit erleben, wie sie – mit Blick auf Italien – mit dem neuen Pakt umgeht, und ob er dann noch das Papier wert ist, auf dem er gedruckt ist. Hier erhoffe ich mir entsprechende Strenge. Ich erhoffe mir auch, dass die Kommission immer dort den Finger hineinlegt, wo wirklich die Probleme sind.

Diese Zusammenhänge – Arbeitslosigkeit, Stabilitätspakt – sind typisch für die billige Politik in den Nationalstaaten. Wir dürfen uns dann nicht wundern, wenn bei den Referenden ein Großteil der Bevölkerung das glaubt, was die Nationalstaaten in Brüssel vortragen: Der Euro ist schuld an der Arbeitslosigkeit, und am besten schaffen wir ihn gleich ab. Hier hat die Kommission eine große Verantwortung, dieser billigen Polemik der Nationalstaaten nicht nachzugeben, sondern, wenn es darauf ankommt, wie ihr Vorgänger entsprechende Konsequenzen zu ziehen, zur Not zum EuGH zu gehen und für den Euro, für eine starke Währung und für die Zukunft zu kämpfen.

Diese Verordnung und der Ratsbeschluss machen Ihr Leben nicht leichter. Darum werden Sie noch mehr Verantwortung haben. Ich wünsche Ihnen dabei viel Glück.

 
  
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  Robert Goebbels, im Namen der PSE-Fraktion. (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die politische Lage in der Union ist zu ernst, um sich in juristischen Spitzfindigkeiten über den Stabilitätspakt zu ergehen. 25 Staats- und Regierungschefs haben die Notwendigkeit anerkannt, den Stabilitätspakt flexibel zu handhaben, so dass Anpassungen an die Konjunkturzyklen möglich sind. Sie haben den Vorschlägen der Kommission ohne Änderungen zugestimmt und damit ermöglicht, dass der erneuerte Pakt rasch in Kraft tritt.

Unser Parlament darf nicht päpstlicher sein als der Papst. Wir müssen aufhören, die Stabilität zu einem Dogma zu erheben! Stabilität ist notwendig. Niemand kann ewig auf Kredit leben, nicht einmal die Amerikaner. Allerdings haben diese eine pragmatischere Haltung zur Geldpolitik, und sie verzeichnen sowohl Defizite als auch Wachstum, während die Eurozone in der Stagnation verharrt.

Die Wirtschaftspolitik ist keine exakte Wissenschaft. Es reicht nicht aus, einen ausgeglichenen Haushalt zu haben, um Wachstum zu erzielen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Da die Union keine andere Politik als Haushaltskürzungen zu bieten hat, lehnen sich die Völker Europas auf. Durch die Union muss ein Ruck gehen, es ist erforderlich, die Nachfrage anzuregen und die Investitionen zu fördern. Mit so genannten Strukturreformen, die die Kaufkraft der Arbeitnehmer beschneiden, werden die Auftragsbücher der Unternehmen nicht gefüllt.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde eingeführt, um die Länder der Eurozone daran zu hindern, den Kapitalmarkt allzu sehr in Anspruch zu nehmen. Eine übermäßige staatliche Kreditaufnahme würde die Zinsen in die Höhe treiben, die privaten Investoren abschrecken und die Inflation anheizen. Doch genau das Gegenteil ist eingetreten. Trotz wiederholter Verstöße bestimmter Staaten gegen die Regeln des Pakts ist der Euro eine starke Währung geworden, bleibt die Inflation gering und die Zinsen verzeichnen einen Tiefststand. Doch die Rechte scheint zu denken, dass sich der Stabilitätspakt trotz der Verstöße einiger großer Länder bewährt hat. So haben die PPE und die Liberalen mit ihren Stimmen folgenden Zusatz zu meinem Bericht zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik durchgesetzt: „in der Erwägung, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakts zur Aufrechterhaltung einer niedrigen Inflationsrate und eines historischen Tiefs bei den Zinsen beigetragen hat“. Nach diesem Glaubensbekenntnis, das die Rolle der Europäischen Zentralbank ignoriert, dürften Verstöße gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt gar nicht die angekündigten makroökonomischen Auswirkungen nach sich ziehen.

Doch Spaß beiseite! In Wahrheit ist die wirtschaftliche Lage Europas von außen gesehen wesentlich besser. Als größter Exporteur der Welt, als größter Markt für die übrige Welt ist Europa ein wirtschaftlicher Riese, der immer noch eine hohe Wettbewerbsfähigkeit aufweist. Natürlich können wir bei der Herstellung von T-Shirts und Jeans nicht mit den Chinesen konkurrieren, doch unsere Verbraucher profitieren von dieser Kaufkrafterhöhung, für die wir nichts zu tun brauchen.

Gleichzeitig macht Europa Fortschritte bei den Erzeugnissen mit hoher Wertschöpfung. Nehmen wir als Beispiel den Kfz-Sektor. Während die Obligationen von General Motors und Ford auf das Niveau von Junk Bonds abgesunken sind, erreichte die europäische Industrie bei den erzeugten Fahrzeugen mit 17,2 Millionen in Europa und 14,6 Millionen in der 15er Union den ersten Platz in der Welt. Die USA, das Urland der Massenproduktion, brachten es 2003 nur auf 4,5 Millionen Fahrzeuge, einschließlich der hohen Zahl an den dort hergestellten japanischen Fahrzeugen.

Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Meine Schlussfolgerung ist eindeutig. Wir müssen aufhören, pessimistisch im Hinblick auf Europa zu sein, und den Europäern wieder Vertrauen, insbesondere Verbrauchervertrauen, vermitteln! Die hohen Sparraten in Frankreich, Deutschland und Italien verweisen auf unbegründete Zukunftsängste. Die Durchführung der Wirtschaftspolitik setzt zwar Stabilität voraus, aber vor allem Wachstum und ebenfalls psychologische Maßnahmen zur Wiederherstellung des Vertrauens. Wir müssen daher unserer Bevölkerung eine viel optimistischere Botschaft übermitteln.

 
  
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  Margarita Starkevičiūtė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) Die neuesten verfügbaren Daten belegen, dass die öffentlichen Finanzen in der Europäischen Union ein gut gehütetes Geheimnis sind, da wir bei manchen Zahlen erst später herausfinden, dass die wirklichen Zahlen ganz anders lauten. Wir sollten dieses Problem angehen, und zwar unabhängig davon, ob es um ein größeres oder ein kleineres Land geht. Daher sind die von der Kommission vorgelegten Vorschläge notwendig und sie kommen zum absolut richtigen Zeitpunkt. Als Vertreterin Litauens, das bei der Umsetzung einer rigiden Steuerpolitik sowie von Kosten sparenden Maßnahmen auf Kosten des öffentlichen Dienstes stets die gebotene Sorgfalt gezeigt hat, komme ich jedoch nicht umhin, die Tatsache zu bedauern, dass wir diese Anforderungen wahrscheinlich gar nicht hätten umzusetzen brauchen. Dies sage ich, damit Sie die Reaktion der neuen Mitglieder verstehen. Ich möchte darauf verweisen, dass wir nicht erwarten sollten, dass unsere Entscheidungen oder Prüfaktivitäten die Transparenz der öffentlichen Finanzen, die Verlässlichkeit der Daten und die Finanzstabilität direkt beeinflussen. Das sollten die Mitgliedstaaten selbst tun, denn sie müssen die eigentliche Umsetzung aller Bestimmungen erreichen. Aus diesem Grunde bedauere ich, dass der Verhaltenskodex noch immer nicht vorliegt und dass die Bestimmungen dieser revidierten Fassung des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht wie vorgeschlagen überwacht werden. Weshalb musste die Überarbeitung durchgeführt werden, wenn in Aussicht stand, dass wir die neuen Bestimmungen gar nicht zu befolgen brauchen? Allgemein gesehen ist die Überarbeitung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes keine schlechte Sache, denn wie die Erfahrungen in meinem Land gezeigt haben, hemmen übermäßig strenge Vorschriften das Wachstum und üben einen gewissen deflationären Druck aus. Zudem sind Strukturreformen ohne zusätzliche Ausgaben gar nicht durchführbar. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass all dies nur über eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik erreicht werden kann, die zukunftsorientiert und sicher sein sollte. Die Länder der EU haben gar keine andere Wahl, als finanzielle Stabilität zu erreichen und ihre Wirtschaftspolitik und -maßnahmen zu koordinieren, wie wir bereits auf unserer Vormittagssitzung zur Verfassung festgestellt haben.

 
  
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  Alain Lipietz, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Wenn es einen Punkt gibt, in dem ich mit dem Berichterstatter, Herrn Karas, einer Meinung bin, dann der, dass die vorgeschlagene Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts Europa bei weitem nicht die wirtschaftspolitische Fähigkeit verleiht, die es ihm ermöglichen würde, seine Bürger der jetzigen wie auch der kommenden Generationen zufrieden zu stellen.

Wir sind noch weit entfernt von der Lage, die sich in einer viel stärker integrierter Föderation als der unsrigen, in den USA, herausgebildet hat, wo es einen umfangreichen Bundeshaushalt gibt, wo es Regeln für die Abstimmung zwischen den Haushalten der Bundesstaaten gibt, wo die Haushalts- und die Geldpolitik vom Kongress weitgehend koordiniert werden, wo der Kongress die Möglichkeit hat, Einfluss auf die Entscheidungen des Präsidenten der Federal Reserve zu nehmen, und wo die Ziele der Federal Reserve mehr umfassen als bloße Preisstabilität.

Davon abgesehen, bin ich der Meinung, dass die Vorschläge von Kommissar Almunia von der vorhergehenden Legislaturperiode bis zu ihrer Annahme in einer durch den Rat verbesserten Version einen äußerst positiven Schritt darstellen, und unsere Fraktion wird sich den Forderungen – insbesondere der PPE – nach Rückkehr zu einem dümmeren Pakt, um den ehemaligen Kommissionspräsidenten zu zitieren, widersetzen. Unserer Meinung nach haben wir einen maßgeblichen Schritt hin zu einem intelligenten Pakt gemacht.

Um - lediglich zur Präzisierung - noch einige Anregungen zu machen, schlagen wir in einem unserer Änderungsanträge vor, zu den einschlägigen Faktoren, die eine Erhöhung des Defizits rechtfertigen können, auch die Bildungsausgaben ebenso wie die Forschungsausgaben hinzufügen und im Rahmen der Ziele der Union ausdrücklich die Ausgaben für die Stabilität des ökologischen Gleichgewichts der Erde zu nennen. Hierbei denken wir an die Ausgaben für die Umsetzung des Kyoto-Protokolls.

 
  
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  Ilda Figueiredo, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (PT) Herr Präsident! Wir warnen schon seit langem vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts und davor, wie riskant es ist, die nominelle Konvergenz zur absoluten Priorität zu erheben, ohne die Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten, ihr unterschiedliches Entwicklungsniveau und ihren unterschiedlichen Finanzbedarf zu berücksichtigen. Der irrationale Charakter der Kriterien – Haushaltsdefizit unter 3 % des BIP, Staatsverschuldung unter 60 %, letztliches Ziel sogar Abbau des Defizits auf Null – war und ist wirtschaftlich in keiner Weise gerechtfertigt. Wir haben immer gesagt, dass sich dieser Kurs nachteilig auf das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze auswirken wird, und die Realität beweist es jetzt.

Außerdem hat die Möglichkeit der Verhängung von Geldbußen, die Kopplung des Kohäsionsfonds an den Stabilitäts- und Wachstumspakt und die Beschränkung der öffentlichen Investitionen, die wiederum die ordnungsgemäße Durchführung der Strukturfonds beeinträchtigt, die Krise in den Ländern mit übermäßigem Defizit noch verschärft. Dies ist einer der Hauptgründe für die so genannte „Verschlechterung“ der Finanzlage der EU, eine Problematik, die in den letzten Jahren in den Vordergrund gerückt ist und zu der die Überbewertung des Euro gewiss beigetragen hat.

Die momentane wirtschaftliche und soziale Realität zeigt, dass unser Standpunkt begründet ist. Dasselbe gilt für die umstrittenen Äußerungen des früheren Präsidenten Prodi und anderer Mitglieder seiner Kommission, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt als „dumm“ und seine Kriterien als „mittelalterlich“ bezeichneten. Deshalb findet heute diese Aussprache statt. Außerdem würde der Stabilitäts- und Wachstumspakt ansonsten nicht revidiert, abgesehen von den zahlreichen kosmetischen Veränderungen, die auf der letztjährigen Frühjahrstagung des Europäischen Rates vorgenommen wurden. Inzwischen haben der Rat und die Kommission tatsächlich wiederholt erklärt, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt vernünftiger gestaltet werden muss, dass bei der Analyse der Haushaltslage alle relevanten Faktoren berücksichtigt werden müssen und dass das Null-Defizit nicht das Maß aller Dinge ist.

Allerdings beharren sie auf dem Stabilitäts- und Wachstumspakt als Schlüsselinstrument zur Verwirklichung ihrer neoliberalen Vorhaben, die sich gegen den öffentlichen Sektor und die soziale Verantwortung des Staates richten, und zugleich auf der Förderung der Preisstabilität, der Lohnmäßigung und, was am bedenklichsten ist, der Privatisierung der sozialen Sicherung.

Deshalb bestätigt der Rat die Ziele und Referenzwerte des Stabilitätspakts und verhindert, dass irgendwelche Ausgaben bei der Defizitberechnung ausgeklammert werden.

Was der Rat angenommen hat, war nichts weiter als die Gewährung eines zeitlichen Aufschubs, insbesondere für Länder wie Deutschland und Frankreich, die die Vorgaben nicht eingehalten haben. Der Auslegungsspielraum auf der Grundlage der Lissabonner Strukturreformen – auch als „Lissabonnisierung“ des Pakts bezeichnet – ist im Grunde nur dazu da, den mächtigeren Ländern die für sie günstigste Interpretation zu ermöglichen, und nicht etwa, um wirklich einen Pakt „à la carte“ zu schaffen.

Was wir brauchen, ist die Aussetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts und ein radikaler Bruch mit den derzeitigen politischen Orientierungen – wie das französische und das niederländische Nein zur so genannten „europäischen Verfassung“ deutlich zum Ausdruck brachten –, um die makroökonomischen Voraussetzungen für eine erneute Konjunkturbelebung zu schaffen, Anreize für die Arbeitsplatzschaffung zu bieten und entschieden gegen die wachsende Arbeitslosigkeit und das hohe Niveau von Armut und Ungleichheit in der EU vorzugehen.

 
  
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  John Whittaker, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident, ich weiß eigentlich nicht, warum wir diese Debatte führen. Herr Karas hat doch gesagt, dass der Stabilitätspakt nur funktionieren kann, wenn sich die Mitgliedstaaten in Selbstdisziplin üben. Er muss nur noch einen Schritt weiter gehen und daraus den Schluss ziehen, dass der Pakt aus genau diesem Grund nicht funktionieren kann und dies auch zu keiner Zeit konnte. Ich bedauere daher, dass seine gut gemeinten Bemühungen, dem Pakt durch strengere Definitionen sozusagen das Laufen beizubringen, nicht fruchten werden.

Statt so zu tun, als ob Haushaltsdisziplin erreichbar wäre, sollten wir lieber über die Folgen reden, zu denen es kommt, wenn selbige nicht erreicht wird. Ich möchte hier insbesondere Italien nennen, wo sich jetzt herausgestellt hat, dass die Defizit-Grenze von 3 % in mehreren Jahren überschritten wurde; die Staatsverschuldung liegt bei 106 % des BIP; wegen der Inflation sinkt die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft immer mehr, und das Land hat mit einem negativen Wirtschaftswachstum zu kämpfen. Die eigentliche Gefahr besteht allerdings darin, dass die Zustände sich so zuspitzen, dass Italien glaubhaft mit der Wiedereinführung seiner nationalen Währung droht, diese dann abwerten kann und seine Wettbewerbsfähigkeit ohne schmerzhafte und lang anhaltende Deflation wiederherstellt. Ein solches Vorgehen hätte schwerwiegende, mit der Entwicklung in Argentinien vergleichbare Folgen für Italien, könnte aber dennoch als bestmögliche Handlungsweise angesehen werden.

Ein Beschluss der Italiener, die Lira wieder einzuführen, würde das Vertrauen in die Fähigkeit des Euro aushöhlen, sich auf Dauer als multinationale Währung zu etablieren. Andere EU-Länder würden sich dann vor die Wahl gestellt sehen, die italienische Regierung in großem Umfang finanziell zu unterstützen, um sie dazu zu bewegen, nicht aus der Währungsunion auszuscheren.

 
  
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  Eoin Ryan, im Namen der UEN-Fraktion. (EN) Herr Präsident, bedauerlicherweise haben die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union in den letzten Wochen zugenommen. Anstatt den Versuch zu unternehmen, auf einen neuen Konsens hinzuwirken, hat Herr Barroso in der vergangenen Woche vorschlagen, dass wir uns darauf konzentrieren sollten, den bestehenden europäischen Konsens im Hinblick auf wettbewerbsfähige Märkte, Haushaltsdisziplin und harte Währung zu festigen.

Die Bürger fordern eine solide Wirtschaftspolitik, Realitätssinn und Ergebnisse, und genau das wird auch gebraucht, um das europäische Aufbauwerk fortsetzen zu können. Wie sich in Europa mehrfach gezeigt hat, sind Wirtschaftsreformen eine unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung dynamischer Volkswirtschaften. Wir müssen unsere Volkswirtschaften reformieren, wenn wir in der europäischen Tradition stehende Sozialpolitiken wollen. Für jedermann sichtbare Vorbilder sind vorhanden.

Der reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt gibt mehr Ländern mehr Zeit, Maßnahmen gegen übermäßige Defizite zu ergreifen, und bietet Ländern mit starken öffentlichen Finanzen größeren Spielraum. Die Währungsunion erfordert dieses Maß an Flexibilität, denn nur so kann der Wettbewerb im Binnenmarkt angekurbelt werden. Handeln nach der Devise „Was für einen gut ist, ist für alle gut“ hat sich stets als Problem erwiesen. Denn während in einigen Ländern Etatkürzungen erforderlich sind, müssen andere – darunter auch mein Heimatland Irland – mehr in die Infrastruktur investieren, weil sie auf diesem Gebiet Nachholbedarf haben, was aber nach den geltenden Regeln nicht erlaubt ist. Wenn man nur ein wenig mehr Freiraum lässt, bedeutet das doch nicht, dass die Länder dies massiv ausnutzen und die Haushaltsdefizite ausweiten würden. Die Durchsetzung der bestehenden Vorschriften ist das Kernproblem. Das Vertrauen in den finanzpolitischen Rahmen, auf dem die Europäische Union beruht, muss jederzeit gegeben sein.

Der jüngste Wertverlust des Euro war ein willkommener Entschuldigungsgrund für alles, was letzter Zeit im Zusammenhang mit der europäischen Verfassung geschehen ist. Der Euro ist aber nicht das Problem; vielmehr entstehen Probleme dadurch, dass einige Länder die Augen vor der schlichten Tatsache verschließen, dass sich die Weltwirtschaft im Umbruch befindet und weiter verändern wird. Die Weltwirtschaftsordnung unserer Zeit erfordert, dass deutlich mehr, deutlich schneller und deutlich billiger produziert wird. Es macht doch keinen Sinn, über das grundlegende Wirtschaftsprinzip zu lamentieren, und es führt zu nichts, wenn argumentiert wird, dass wir mit der globalen Wirtschaft nicht mithalten können. Wir tun es, und zwar dank des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Weil aber die Anwendung der Vorschriften nicht durchgesetzt wurde, verharrten zu viele Länder in einem Wirtschaftszeitalter, das es nicht mehr gibt.

So können wir nicht weitermachen, denn dabei nimmt die Glaubwürdigkeit des WWU-Rahmens insgesamt Schaden. Das hat sich bis auf das positive Wirken der Europäischen Union ausgewirkt, das den Bürgern in Europa hätte gezielt vermittelt werden müssen. Noch nie war das so deutlich wie heute. Europa hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, das wir nur beheben können, wenn es uns gelingt, die Rolle des Regulierers abzulegen und die des Wirtschaftsmachers zu übernehmen. Die Bürger fordern eine solide Wirtschaftspolitik, Realitätssinn und Ergebnisse, und unsere Aufgabe besteht darin, all das zu leisten.

 
  
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  Sergej Kozlík (NI).(SK) Es sind die Fragen in Bezug auf die stärkere Überwachung der Haushaltspläne, wie die Beschleunigung und Klärung der Verfahren bei übermäßigen Defiziten, bei denen parlamentarische Institutionen als unabhängige und direkt gewählte Organe sowohl auf der Ebene der EU als auch der Mitgliedstaaten als Hüter der Solidität der Wirtschaftspolitiken fungieren können und sollten, insbesondere was deren haushaltspolitische und zu Defiziten führende Folgen angeht. In dieser Hinsicht halte ich die vorgeschlagenen Änderungen des Europäischen Parlaments für positiv und begrüße sie sehr.

Das Paket der Richtlinien des Rates wird allerdings ein offenes Kapitel bleiben; damit haben die nationalen Regierungen noch für lange Zeit die Möglichkeit, verschiedene Schlupflöcher zu nutzen, um diesen klugen Haushalts- und Defizitrahmen zu unterlaufen, ihre Länder mehr oder weniger offensichtlich in die Verschuldung zu treiben und den Einsatz von beispielsweise aus der Privatisierung erzielten einmaligen Sondererlösen für die laufende staatliche Wirtschaftslenkung geschickt zu verschleiern. Natürlich dient dies den Zwecken kurzfristiger Strategien der Regierungen. Es liegt daher noch ein weiter Weg vor uns, den wir jedoch gehen müssen.

 
  
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  Piia-Noora Kauppi (PPE-DE).(EN) Herr Präsident, der Stabilitäts- und Wachstumspakt wird bei Aussprachen über die Wirtschaft in diesem Hause regelmäßig thematisiert. Dies ist ein anschaulicher Beleg für die zentrale Stellung dieses Regelwerks bei der Ausgestaltung der europäischen Wirtschaftspolitik. In diesem Zusammenhang möchte ich Herrn Karas meine Glückwünsche zu seinen beiden, dieses Thema betreffenden Berichten aussprechen.

Dass im Bericht besonderes Gewicht auf eine stärkere Rolle der Kommission bei der Durchsetzung der Haushaltsdisziplin gelegt wird, ist eine längst überfällige Entwicklung. Gerade jetzt muss die Kommission für die Einhaltung einer klaren und strikten Linie sorgen, was die ohnehin schon verwässerten Regeln des Pakts anbelangt. Ferner wird die fehlende Beteiligung des Europäischen Parlaments an der Entscheidung zum Stabilitäts- und Wachstumspakt zu Recht als gravierender Konstruktionsfehler in der europäischen Wirtschaftspolitik herausgestellt. Das Parlament in seiner Funktion als einziges direkt demokratisch gewähltes EU-Organ konnte sich nicht maßgeblich am Vorgehen gegen den politischen Bockmist beteiligen, der im Rat immer noch verzapft wird, und hatte auch kaum die Möglichkeit darauf hinzuwirken, dass der Pakt die von so vielen Abgeordneten geforderte und dringend gebotene Glaubwürdigkeit erhält.

Wir sollten uns aber nichts vormachen: Auch mit den besseren institutionellen Rückmeldemechanismen, die im Bericht empfohlen werden, kann der Stabilitätspakt allein Europa nicht aus seinem wirtschaftlichen Dornröschenschlaf reißen. So hilfreich ein Regelwerk auch immer sein mag, es wird uns nicht helfen, die öffentlichen Finanzen in Europa auf ein starkes Fundament zu stellen. Was wir brauchen, sind Wirtschaftswachstum und Fortschritte bei der Wettbewerbsfähigkeit, und die entstehen nicht durch die Vorschriften des Pakts, sondern durch sinnvolle Wirtschaftsreformen, vor denen viele Mitgliedstaaten der Europäischen Union schon viel zu lange zurückgescheut sind. Wir haben also einen neuen Pakt, und hoffentlich – wie von Herrn Karas in seinen Berichten zum Ausdruck gebracht – bessere Möglichkeiten dafür Sorge zu tragen, dass die Vorschriften vernünftig und in gleicher Weise wirken. Wenn die Länder jedoch keine sinnvollen Wirtschaftsreformen in Angriff nehmen, werden wir schon bald eine neue Debatte über die aufgeblähte Bedeutung des Pakts führen. Ich hoffe, dass Sie, Herr Kommissar, alles in Ihrer Macht Stehende tun werden, um eine weitere Aufweichung der gemeinsam vereinbarten Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu verhindern.

 
  
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  Pervenche Berès (PSE).(FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Wenn ich das, was am 29. Mai in Frankreich geschehen ist, objektiv betrachte, so werden zahlreiche Gründe angeführt, einschließlich der Erweiterung. Ich persönlich sehe eine reale Quelle von Besorgnis und eine wahre Erklärung für das, was in meinem Land geschehen ist, in der Schwierigkeit, die wir haben, von dem gesamten Raum, von dem gesamten zusätzlichen Nutzen zu profitieren, den die Wirtschafts- und Währungsunion uns hätte bringen können.

Heute debattieren wir über die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, und ich teile die Einschätzung meiner Kollegin Piia-Noora Kauppi, dass diese Reform uns nicht alle die Antworten bringen wird, die wir brauchen, um in der Eurozone, die eigentlich als Wachstumslokomotive des Europa der 25 als Ganzes fungieren müsste, die angemessene Lösung zu finden.

Trotzdem sollten wir akzeptieren, dass das, was Sie, Herr Kommissar, im Einvernehmen mit dem Präsidenten der Eurogruppe getan haben, einen Schritt in die richtige Richtung darstellt. Und ich hoffe, dass Sie in gutem Einvernehmen einige der Änderungsanträge des Europäischen Parlaments akzeptieren werden, damit wir diese Verhandlungen unter der luxemburgischen Präsidentschaft abschließen können. Was die Reform der Statistik, die Voraussehbarkeit und die Einigung über die makroökonomischen Daten betrifft, auf die sich die Erarbeitung der Haushalte der Mitgliedstaaten stützten sollte, so scheint es Elemente zu geben, die uns ermöglichen dürften, auf dem richtigen Weg voranzukommen. Doch natürlich ist diese Etappe nur eine von vielen.

In einem Punkt allerdings stimmte ich nicht mit meiner Kollegin Piia-Noora Kauppi überein, der im Übrigen immer wieder in unseren Debatten im Ausschuss für Wirtschaft und Währung auftaucht: Die Strukturreform allein reicht auch nicht aus, um das Vertrauen der Haushalte wieder herzustellen, die Binnennachfrage zu stimulieren und die Ziele der Lissabonner Strategie zu erreichen.

Was wir brauchen, ist mehr Koordinierung, und diesbezüglich bedaure ich zutiefst den intellektuellen Kurzschluss, der seit dem Übergang zur WWU herrscht. Wir müssen mehr Mittel entwickeln, andere Wege neben dem Stabilitätspakt finden, der noch immer nicht genügend auf Wachstum ausgerichtet ist. Ich wünsche Ihnen, Herr Kommissar, viel Erfolg für diese erste Etappe.

 
  
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  Diamanto Manolakou (GUE/NGL).(EL) Herr Präsident! Die Arbeitnehmer in den Ländern der Europäischen Union sind gegen die kapitalistischen Umstrukturierungen, die zu einem sinkenden Lebensstandard und steigender Arbeitslosigkeit führen. Sie lehnen die Kommerzialisierung im Gesundheits- und Bildungsbereich und die Einschnitte bei den übrigen öffentlichen Versorgungsleistungen und deren Privatisierung ab. Sie leisten Widerstand und kämpfen gegen die neuen, schlechteren Versicherungssysteme. Völlig zu Recht fordern sie die Abschaffung des Stabilitätspakts als Instrument und Feigenblatt für gegen die Grundfesten unserer Gesellschaft gerichtete Aktionen.

Die auf dem Europäischen Rat vom 22. und 23. März beschlossene Reform des Stabilitätspakts wurde als Lockerung der Kriterien verkauft. Es handelt sich aber mitnichten um eine Abmilderung von Maßnahmen, die die unteren Schichten der Gesellschaft treffen; erneut werden die unteren Einkommen zugunsten von Großunternehmen belastet. Deswegen sollten sich die Arbeitnehmer keinen Illusionen hingeben oder gar Erwartungen hegen.

Bedauerlicherweise geht auch der vorliegende Bericht nicht in die richtige Richtung. Nicht nur, dass er keinerlei Aussagen zu den Problemen der Arbeitnehmer enthält, nein, darin werden sogar noch ungünstigere Bedingungen für die Durchsetzung der multilateralen Überwachung und sogar eine gemeinschaftliche Eingreiftruppe für die Verfolgung der Finanzkriminalität gefordert, die vor Ort Finanzaudits durchführen soll. An die Zentralbanken ergeht die Aufforderung, als Hüterin der Statistik zu fungieren, und es werden Fristen für die Anpassung an den Pakt mit entsprechenden Empfehlungen zu übermäßigen Defiziten und Schulden festgelegt, was beispielsweise Griechenland betrifft.

In Griechenland hat die Regierung zahlreiche gegen die Arbeitnehmerschaft gerichtete Sparmaßnahmen und -programme mit Defiziten und finanziellen Sachzwängen begründet und damit dafür gesorgt, dass die Armut weiter wächst.

Offenbar wurden die Referenden in Frankreich und den Niederlanden ignoriert. Es ist, als ob sie nie stattgefunden hätten, und man so weitermachen kann wie bisher. Die Volksabstimmungen endeten jedoch mit einem deutlichen „Nein“ und waren ein Ausdruck des Ungehorsams und des Widerstands gegen die Befehle und die Politik der Europäischen Union wie auch gegen die politischen Kräfte, die diese Politik befürworten – und das ist doch ein ermutigendes Signal.

 
  
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  Johannes Blokland (IND/DEM). (NL) Herr Präsident! Auf dem Europäischen Gipfel am 22. März wurde die Überprüfung des Stabilitätspakts beschlossen. Der Rat einigte sich auf eine Art neuen Stabilitätspakt, an den sich die Mitgliedstaaten dieses Mal hoffentlich halten werden. Ich habe stets darauf hingewiesen, dass das Aufweichen des Stabilitätspakts schädlich für das Wirtschaftswachstum und die Währungsstabilität sei. Gleichzeitig würde so das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Euro und damit auch in Europa untergraben. Mit der Nichtveröffentlichung der Änderung des Stabilitätspakts in Bezug auf die 3 %-Grenze wird das Vertrauen in den Euro nicht gestärkt. Obwohl diese Grenze von den Mitgliedstaaten übertreten werden darf, haben Rat und Kommission bislang nicht dargelegt, wie die neue Vereinbarung umgesetzt werden soll. Wenn das 3 %-Limit nicht eingehalten werden muss, wird dann folglich ein neuer Grenzwert eingeführt? Auf diese dringende Frage hätte ich gern von Kommissar Almunia eine Antwort.

 
  
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  José Manuel García-Margallo y Marfil (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar! Wir haben schon oft über den Stabilitätspakt diskutiert, und ich werde versuchen, hier einiges von dem zusammenzufassen, was gesagt wurde.

Der Sprecher meiner Fraktion, Herr Radwan, machte eine Aussage, der ich zustimme: Wir geben klein bei. Der Pakt, der mir gefallen hat, war der Pakt von 1996, unterzeichnet von CDU-Minister Theo Waigel und verteidigt von Ihrem Vorgänger, Kommissar Solbes. Wir waren nicht imstande, ihn beizubehalten. Der Rat hat eine allgemeine Nichteinhaltung in Europa festgestellt, und er hätte zwei Dinge tun können: die Einhaltung fordern oder euphemistisch den Pakt flexibilisieren, und genau das hat er getan.

Sie sind hierher gekommen, um uns die Änderungen zu erklären, die in den Verordnungen vorgenommen werden müssen, damit dieser Pakt funktionieren kann.

Was konnte das Parlament tun? Was konnte meine Fraktion tun?

Wir hätten Änderungsanträge formulieren können, um den vorherigen Pakt in der ursprünglichen Form wieder zu beleben. Wir haben es nicht getan, weil wir, einem Rat Ortegas folgend, nicht gern nutzlose Anstrengungen unternehmen, die nur dazu führen, dass man Trübsal bläst. Wir haben einige Änderungsanträge eingereicht, die von Herrn Karas sehr gut erläutert wurden. Wir wollen sicherstellen, dass nicht noch größerer Schaden entsteht. Es geht uns darum zu gewährleisten, dass er technisch richtig angewendet wird, mit verlässlichen Statistiken; wir wollen den Spielraum für Willkür einengen, die rechtlichen Lücken füllen, kurz gesagt, wir wollen dafür sorgen, dass der Rückzug nicht zu einem völligen Desaster wird.

Hier wurde gesagt, dass es Europa nicht gut geht, und das ist wahr. Doch wenn es Europa nicht gut geht, dann nicht infolge des Stabilitätspakts, sondern eher aufgrund der Tatsache, dass wir diesen Pakt nicht eingehalten haben.

Der Stabilitätspakt als oberste Haushaltsinstanz ist - quasi theologisch gesprochen - eine Tugend, eine notwendige, wenngleich allein nicht ausreichende Bedingung für Wachstum. Zudem brauchen wir diese Reformen, wie Frau Kauppi betonte, zu deren Durchführung wir nicht in der Lage gewesen sind.

Das Parlament hilft Ihnen; es hilft Ihnen, den Ermessensspielraum der Regierungen zu verringern. Es ist Ihre Aufgabe zu gewährleisten, dass es nicht noch schlimmer kommt.

 
  
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  Udo Bullmann (PSE). Herr Präsident, Herr Kommissar, Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich bei Kollege Karas und bei den Schattenberichterstattern des Europäischen Parlaments für die Vorlage, die wir diskutieren, bedanken. Es ist ihnen in guter Kooperation gelungen, diese wichtige Diskussion aus einer vordergründigen, ideologischen Debatte herauszuführen und sicherzustellen, dass das Europäische Parlament an der dringend gebotenen Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes mitwirken kann.

Warum sage ich „dringend gebotene Reform“? Erinnern wir uns doch einfach an die ökonomischen Fakten. Wir haben einen Pakt konstruiert, der ausschließlich von der Idee gelebt hat, Inflationsbekämpfung betreiben zu müssen. Das ist ein wichtiges Ziel, das wir in vielen Mitgliedstaaten weitgehend erreichen konnten. Aber er war zu keiner Zeit konzipiert für eine Wirtschafts- und Währungsunion, in der wir auch dringend makroökonomische Koordination betreiben müssen, und zwar deshalb, weil wir die nötige Flexibilität haben müssen, um in einem Wirtschaftszyklus auch angemessen, in großen wie in kleinen Volkswirtschaften, reagieren zu können.

Vergleichen Sie die Datenlage der USA mit der Datenlage der Europäischen Union! Seit 2002 war die USA sehr viel besser in der Lage, auf externe Schocks zu reagieren: auf die Ölpreisentwicklung, auf den 11. September, auf die Krise in den Aktienmärkten. Warum? Weil dort die Notenbank in der Lage war, flexibler zu sein, als dies bei der Europäischen Zentralbank der Fall war. Insbesondere aber deswegen, weil die Finanzpolitik das getan hat, was in der entsprechenden konjunkturellen Situation nötig war.

Wir brauchen eine flexible, bessere Koordination unserer Finanzpolitiken, damit wir das Vertrauen in die Europäische Wirtschaft wiederherstellen können, in erster Linie aber im Interesse unserer Arbeitsplätze.

 
  
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  Werner Langen (PPE-DE). Herr Präsident! Ich möchte zuerst dem Berichterstatter, Othmar Karas, herzlich danken. Er hat es fertig gebracht, ein strittiges Thema in relativ kurzer Zeit so zu formulieren, dass das Parlament mit breiter Mehrheit dahinter stehen kann.

Es war auch keine ideologische Debatte, Herr Kollege Bullmann, sondern es war die Erkenntnis, dass der politische Wille gefehlt hat, den Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1996 einzuhalten. Bei der ersten großen Generalprobe haben die beiden größten Staaten, Deutschland und Frankreich, voll und ganz versagt, damals schon von Luxemburg und Griechenland assistiert. Dieser Start hat nicht die Möglichkeit eröffnet, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt seine vernünftige und vorgesehene Rolle entfalten konnte.

Insofern ist die jetzige Reform allenfalls die zweitbeste Lösung, bei der es unter dem Stichwort der Flexibilität darum geht, einen Verstoß gegen die Regeln in Zukunft auszuschließen. Ich übe dabei auch Kritik an meiner eigenen Regierung in Deutschland. Die Tatsache, dass die Kosten der europäischen Einigung als neues Kriterium eingeführt wurden, öffnet der Willkür Tür und Tor und führt dazu, dass im Grunde in Zukunft auch bei 4% und 5% Überschreitung keine Sanktionen mehr möglich sind. Das halte ich für einen ausgesprochenen Fehler.

Die Kommission hat in Anbetracht der übermächtigen Rolle des Rates und der unzureichenden Rolle des Parlaments in dieser Frage nur defensiv reagieren können. Wir haben darüber hier in diesem Hause oft diskutiert. Deshalb finde ich es gut, dass der Kollege Karas in seinen Berichten genau diese Punkte anspricht. Höhere Kompetenzen für die Kommission, Loslösen von der Mitbeurteilung durch die Sünder und eine stärkere Beteiligung des Europäischen Parlaments – darauf können wir uns verständigen. Aber niemand wird sagen können, dass diese Lösung des Stabilitäts- und Wachstumspakts auf die Zukunft ausgerichtet ist und zur künftigen Stabilität des Euros irgendetwas beitragen kann.

 
  
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  Poul Nyrup Rasmussen (PSE).(DA) Herr Kommissar Almunia, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich feststellen, dass sich die Dinge für Kommissar Almunia, was den Stabilitäts- und Wachstumspakt anbelangt, außerordentlich positiv entwickelt haben. Herausgekommen ist eine Modernisierung mit Augenmaß, die wir uneingeschränkt befürworten können. Wir haben jetzt ein goldenes europäisches Dreieck mit drei Arten von Instrumenten, deren Zusammenspiel wir bewerkstelligen müssen. Das erste Instrument ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt, das zweite die Lissabonner Strategie und das dritte sind die Grundzüge der Wirtschaftspolitik.

Gleichwohl, Herr Präsident, kann ich nicht verhehlen, dass unsere heutige Aussprache im Zeichen der Referenden in Frankreich und den Niederlanden stattfindet, deren Ausgang unter anderem ein Ausdruck für die von den Menschen ausgehende Forderung nach einer echten Agenda für Europa ist. Eine solche Agenda bedeutet auch, dass wir erklären müssen, dass wir verstanden haben, dass Europa den Stabilitäts- und Wachstumspakt braucht, der aber an sich noch keine neuen Arbeitsplätze schaffen kann. Er bildet die Grundlage für Strukturreformen und zugleich auch für gesamtwirtschaftliche Investitionen. Gerade deswegen müssen die Regierungen in den einzelnen Ländern unsere Argumentationslinie übernehmen. Mit dem modernisierten Stabilitäts- und Wachstumspakt steht uns ein sinnvolles Instrument zur Verfügung, das aber von zahlreichen weiteren Instrumenten auf nationaler Ebene flankiert sein muss, die zur Entstehung der so dringend gebrauchten neuen Arbeitsplätze führen können.

Darum, Herr Kommissar Almunia, hoffe ich, dass dieser Pakt, den wir schon so gut wie zustande gebracht haben – und der nach meiner Überzeugung auch umgesetzt wird -, der erste Schritt auf dem Weg zu einer neuen Agenda ist, die diesen Namen auch wirklich verdient und im Grunde die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass die Bürger Verständnis für die Modernisierung der Verträge aufbringen, über die wir in den vergangenen Tagen so heftig debattiert haben.

 
  
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  Ivo Strejček (PPE-DE).(CS) Obwohl ich hier die Tschechische Republik vertrete, die ja kein Mitglied der Eurozone ist, würde ich gerne ein paar kurze Bemerkungen machen. Ersten möchte ich sagen, dass der wichtigste Grund für den Sieg des Lagers der Nein-Sager beim Referendum in Frankreich die Befürchtungen der Franzosen im Hinblick auf die Zukunft ihres kostspieligen Sozialsystems waren. Frankreich gehört der Eurozone an und kann sich demzufolge auf lange Sicht keinen Verstoß gegen die Regeln des Wachstums- und Stabilitätspakts erlauben; meiner Meinung nach wird dies die Kluft zwischen den bestehenden Vorschriften und der Entschlossenheit französischer Politiker, große Teile ihrer einheimischen Wählerschaft zufrieden zu stellen, weiter vertiefen.

Zweitens wird kurzfristig überhaupt nicht klar sein, wie rigoros und vor allem mit welchem politischen Mut die Reform der öffentlichen Finanzen betrieben wird. Ich habe dabei insbesondere Frankreich im Auge, das seine Finanzen nur unter Kontrolle halten wird, wenn es bei den Staatseinnahmen und -ausgaben Umschichtungen vornimmt bzw. - anders gesagt - unpopuläre Reformen durchführt.

Etwas anders sieht es in den Niederlanden aus, und dies ist der dritte Punkt, den ich aufgreifen möchte. Nach dem Beitritt zur Eurozone mussten die Niederländer auf ihre starke Währung verzichten – und dies unter den extrem ungünstigen Bedingungen eines unterbewerteten Wechselkurses. Zweifellos erinnern sie sich voller Wehmut an den starken Gulden, der ihnen heute helfen würde, das Problem des praktisch gegen Null tendierenden Wirtschaftswachstums zu bewältigen.

Viertens haben andere wichtige Mitglieder der Eurozone, nämlich Italien und Deutschland, mit zu teuren Sozialsystemen und wirtschaftlicher Stagnation zu kämpfen, wobei in diesen Ländern mit Strukturreformen zu rechnen ist, die ganz gewiss zu harten Einschnitten führen werden.

Die Stabilität des Euro – und ich denke, dass die Analyse von Herrn Karas in diesem Punkt recht genau war – hängt maßgeblich davon ab, dass die Grundregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts unverändert bestehen bleiben bzw. stets und jederzeit für alle Länder gelten. Daher sollten die der Eurozone angehörenden Länder zunächst einmal die für jedermann geltenden Vorschriften einhalten und erst dann über mögliche Lockerungen diskutieren.

 
  
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  Benoît Hamon (PSE). (FR) Herr Präsident! Da wir über die Steuerung der europäischen Wirtschaft sprechen, kann ich nicht umhin, folgende Anmerkung zu machen: Innerhalb von wenigen Tagen hat das übereinstimmende Handeln der französischen und der niederländischen Bürger, das zu einer Annäherung von Euro und Dollar führte, mehr dazu beigetragen, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Exporterzeugnisse zu verbessern, als das Wirken der Europäischen Zentralbank. Lassen Sie mich deshalb anstatt der Gewissheiten der Zentralbanker die Effizienz der europäischen Bürger würdigen.

Die Entscheidung der Ratstagung im März - zu der Sie viel beigetragen haben, Herr Almunia -, den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu reformieren, geht in die richtige Richtung. Das reicht jedoch nicht aus, um die Zweifel über die Fähigkeit der Europäischen Union zur Erarbeitung einer Strategie zur dauerhaften Wiederbelebung der Wirtschaft zu zerstreuen. Nein, denn die Debatte über die Zukunft des Stabilitäts- und Wachstumspakts und damit über die Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitiken kann nicht von der Debatte über die Finanzielle Vorausschau getrennt werden. Wie sollen die Defizite der Mitgliedstaaten reduziert werden, wenn sich die Europäische Union nicht im Gegenzug mit den erforderlichen Haushaltsmitteln ausrüstet, um den sozialen Zusammenhalt und die Wiederankurbelung der europäischen Wirtschaft gewährleisten zu können?

Ich persönlich glaube nicht, dass die Politik der Haushaltskürzungen in den Mitgliedstaaten im Zusammenspiel mit der Haushaltspassivität der Union es ermöglichen wird, die beiden Herausforderungen Wachstum und Beschäftigung zu bewältigen. Lassen Sie mich daher sagen, dass wir jetzt, in dieser Etappe, über die Erhöhung und Diversifizierung der Ressourcen der Union sprechen müssen - selbst wenn dies eine Änderung der Verträge bedeuten würde -, um die Union in die Lage zu versetzen, Kredite aufzunehmen und die Europasteuer einzuführen, die unsere gegenwärtige wirtschaftliche und politische Krise erforderlich macht.

 
  
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  Cristóbal Montoro Romero (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, gestatten Sie mir, folgende Frage an das Haus zu richten: Würden wir die derzeitige Krise in der Europäischen Union erleben, wenn Wirtschaftswachstum und Schaffung von Beschäftigung hier stark wären, wenn die großen europäischen Länder uns ein anderes Bild bieten würden, wenn sie der gesamten Europäischen Union Impulse verleihen und zur Austarierung der Weltwirtschaft beitragen würden? Sicher würde die Antwort „Nein“ lauten. Es gäbe Mittel, es gäbe Geld zur Finanzierung der Erweiterung, für die Aufgaben der Europäischen Union. Doch es gibt kein Wirtschaftswachstum, weil kein Vertrauen vorhanden ist. Und es gibt kein Vertrauen, weil es uns bei der Anwendung und Umsetzung von Vertrauens- und Stabilitätspolitiken an Entschlossenheit fehlt.

Dies ist der Beitrag des Stabilitätspakts. Seine Reform, Herr Almunia, kommt zu einem schwierigen Zeitpunkt. Als nächstes ist in dieser Krise der Europäischen Union der Euro bedroht. Die Reform des Stabilitätspakts muss deshalb in die richtige Richtung gehen.

Herr Karas hat ausgezeichnete Arbeit geleistet. Er hat versucht, Abhilfe für einen missglückten Vorschlag zum Hauptinhalt des Stabilitätspakts zu schaffen.

Herr Almunia sagte uns heute Abend, dass die Kommission mit der Position des Parlaments in Bezug auf die Verbesserung der Qualität der Statistiken und die Schuldenüberwachung zufrieden ist. Ich würde auch gern von Herrn Almunia hören, dass er mit der Aufzählung der einschlägigen Faktoren einverstanden ist, die äußerst wichtig sind, damit der Stabilitätspakt keine Kiste ist, in die wir alles hineinpacken können, und in der letzten Endes die Vorschriften ignoriert werden können. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem jedes Land macht, was es für geeignet hält, um die Haushaltsstabilität zu verbessern, und wenn die einschlägigen Faktoren nicht definiert sind, wäre das praktisch unmöglich.

Wir haben ein Beispiel in der Europäischen Union der Fünfzehn: Die Länder, die ihre Aufgaben im Haushaltsbereich erledigt haben, sind diejenigen, die heute Wirtschaftswachstum und Beschäftigung haben. Wir müssen nicht anderswo nach Modellen Ausschau halten. Wir sollten jene Länder in der Europäischen Union benennen und sollten alle deren Konzepte übernehmen.

 
  
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  Manuel António dos Santos (PSE).(PT) Herr Präsident, Herr Kommissar! In den Augen der Bürger Europas sind der Stabilitäts- und Wachstumspakt und die Einheitswährung nach wie vor die wahren Schuldigen an der anhaltenden wirtschaftlichen und sozialen Krise in Europa. Zugleich warten europäische Politiker fast aller Gesinnungsrichtungen mit ein und denselben politisch korrekten Phrasen auf, um die Vorzüge der restriktiven Finanzpolitik und der Fixierung auf die Preiszurückhaltung herauszustreichen.

Diesem Widerspruch muss ein Ende gesetzt werden, und darin besteht die wahre Herausforderung, der sich die europäischen Institutionen jetzt stellen müssen. Der Rat und die Kommission haben vor kurzem Maßnahmen zur Überwindung dieses Dilemmas ergriffen, wozu auch die Novellierung des Pakts und die hier von uns erörterten Verordnungen gehören. Auch das Parlament tut alles in seiner Macht Stehende. Dem Berichterstatter gebührt höchstes Lob dafür, dass er auf problematische Fragen wie den Konstruktionsfehler, die Zuverlässigkeit von Statistiken, die relevanten Faktoren, die Fristen für die Korrektur von Defiziten und die Verstärkung der Haushaltsüberwachung hingewiesen hat.

Trotz dieser Schritte und der unbestrittenen Qualität unserer Arbeit bleibt abzuwarten, Herr Kommissar, ob diese Abhilfemaßnahmen rechtzeitig getroffen wurden und ob sie ausreichen. Pangloss sagte, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben, und doch gab es 1755 in Lissabon ein verheerendes Erdbeben, das grundlegende Auswirkungen auf die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen in Europa im 18. Jahrhundert hatte. Es ist unsere Pflicht, zumindest darüber nachzudenken.

 
  
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  Karsten Friedrich Hoppenstedt (PPE-DE). Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Grunde ist alles gesagt, allerdings nicht von jedem und im Besonderen nicht von mir. Zunächst möchte ich dem Berichterstatter Othmar Karas ganz herzlich danken. Er hat das Beste aus der verfahrenen Situation gemacht. Einige Anmerkungen seien dennoch erlaubt.

Ich bin heute das dritte Mal hier auf diesem Podium, um zum Stabilitätspakt zu reden. 1997 musste das Parlament zwingend seine Meinung zur Einführung des Euro und zum damals dazugehörigen Stabilitätspakt darlegen. Wir haben das gerne gemacht, weil wir überzeugt waren, dass für den Bürger der Stabilitätspakt eine Vertrauensgrundlage darstellte. Diesmal ist das Europäische Parlament, wie der Berichterstatter richtig sagt, am ganzen Verfahren nur unwesentlich beteiligt. Mitwirkung bedeutet meiner Ansicht nach etwas anderes. Währungsfragen sind Vertrauensfragen, und dieses Vertrauen ist durch die Aufweichung des Paktes erschüttert. Die beiden so genannten Großen – der Berichterstatter nennt das „die Komplizenschaft der Gleichrangigen“ – haben den ganzen Aufweichungsprozess – das ist hier auch schon gesagt worden – ins Rollen gebracht. Große Gesten, große Umarmungen überzeugen die Bürger Europas sichtbarerweise nicht mehr. Die Scherbenhaufen der Schröder- und Eichel-Politik in Deutschland und der Chirac-Politik in Frankreich haben den Euro in diese ganze Negativdiskussion mit hineingezogen.

Der vom Berichterstatter formulierte Bericht ist ein verzweifelter Versuch, ein Stück Stabilitätsphilosophie zu retten. Es muss Schluss damit gemacht werden, die Vertrauenskrise noch zu vergrößern. Die beste Lösung wäre, wenn Herr Barroso, aber auch Herr Juncker im Namen des ECOFIN angesichts der jüngsten Entwicklungen alle Änderungen zum Stabilitätspakt zurücknehmen würden.

 
  
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  Szabolcs Fazakas (PSE).(HU) Für Ungarn, wie für alle neuen Mitgliedstaaten, stellt die Einhaltung der Konvergenzkriterien eine der wichtigsten Anforderungen dar, die auch im Interesse des Landes liegt. Bei seinen Bemühungen muss Ungarn berücksichtigen, dass die Erweiterung der EU neben den insgesamt positiven wirtschaftlichen Auswirkungen für den Regierungshaushalt übergangsweise auch eine beträchtliche Belastung mit sich bringt. Die Einhaltung der Beitragsverpflichtungen sowie der Aufbau und Betrieb des neuen institutionellen Netzes verursachen Kosten, während der Ausfall von Zöllen und anderer Einnahmen sowie die Umsetzung neuer, flexiblerer Mehrwertsteuerbestimmungen zu einem schwerwiegenden Defizit geführt haben. Dabei profitiert nicht der Staatshaushalt selbst von den von der EU finanzierten Projekten, die für die Volkswirtschaft so wichtig sind, sondern die Kommunen, Institutionen oder betroffenen Unternehmen; die Last der Kofinanzierung muss vom Staatshaushalt getragen werden. Wir wollen erfolgreiche Mitglieder einer erfolgreichen Europäischen Union sein, und darum akzeptieren wir diese übergangsweisen Belastungen und ersuchen darum, dass sie bei der Bewertung unserer Leistung berücksichtigt werden.

 
  
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  Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. (ES) Herr Präsident, ich möchte noch einmal Herrn Karas für seine Berichte und allen Abgeordneten, die in der Debatte gesprochen haben, für ihre Beiträge meinen Dank aussprechen.

Ich möchte zwei Redebeiträge herausgreifen, konkret jene, in denen der Erfolg des Euro, der Einheitswährung dargelegt wurde, und ich muss meiner Ansicht nach hervorheben, dass uns der Euro zu einem Zeitpunkt, da in einigen Erklärungen anscheinend in Frage gestellt wird, was offenkundig ist, Stabilität, Liquidität, Preise und Zinsen auf historischem Tiefstand beschert hat, dass der Euro uns stärker macht. Das vorweg, denn gleich darauf muss ich sagen, dass der Erhalt dieser soliden Einheitswährung – die uns als Europäer in wirtschaftlicher und anderer Hinsicht stärkt – einen finanzpolitischen Rahmen und einen Stabilitäts- und Wachstumspakt der Art erfordert, wie er im Vertrag definiert und in den Verordnungen vorgesehen ist, die dieses Parlament heute mit seinen partiellen Änderungen diskutiert.

Ich möchte mein Einverständnis mit jenen von Ihnen zum Ausdruck bringen, die auf einige pessimistische Analysen reagiert haben. Unbestritten - es gibt wirtschaftliche Schwierigkeiten, Wachstums- und Beschäftigungsprobleme, und die Bürger haben oft das Gefühl, dass ihren Belangen nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Genauso unstrittig ist aber auch, dass es von außen betrachtet bzw. bei objektiver Sicht auf die Volkswirtschaften in Europa Anlass zum Optimismus gibt.

Vorgestern, auf der Tagung der Eurogruppe, erläuterte uns der Direktor der Europaabteilung des Internationalen Währungsfonds die allgemeine Tendenz der Berichte, die gerade veröffentlicht wurden und die auf der Website des Internationalen Währungsfonds zur Wirtschaft der Eurozone nachgelesen werden können. Er sagte uns zu Beginn, dass er erstaunt sei über den übertriebenen Pessimismus, denn bei der Analyse der europäischen Wirtschaft stellte er fest, dass die Bedingungen für eine völlige Erholung vorhanden sind.

Es besteht ein Vertrauensproblem in einigen unserer wichtigsten europäischen Wirtschaften, und eines der Ziele der Reform des Stabilitätspakts ist fraglos, das Vertrauen in einen notwendigen Rahmen der Steuer- und Haushaltsdisziplin und seine Glaubwürdigkeit zu stärken. Deswegen ist diese Reform ausgewogen; sie bezieht einige Flexibilitätselemente ein, aber sie sieht auch höhere Forderungen vor – insbesondere in der präventiven Komponente, die durch die Verordnung (EG) Nr. 1466/97 geregelt wird. Dies ist eine Reform, die mehr Transparenz fordert, und deshalb hat sie zu wichtigen Beschlüssen für die Verbesserung der Qualität unserer Statistiken beigetragen. Zudem verabschiedete der Ecofin-Rat gestern auf Vorschlag der Kommission einige sehr wichtige Schlussfolgerungen, welche die Verbesserungen aufzeigen, die am europäischen Statistiksystem und insbesondere in den Finanzstatistiken vorgenommen werden.

Die Wiederherstellung des Vertrauens setzt auch eine deutliche Erklärung voraus. In vielen Ihrer Kommentare, meine Damen und Herren, habe ich ein Verständnis des Paktes und der Bedeutung der Reform des Paktes festgestellt. Aus anderen habe ich Ignoranz oder fehlende Kenntnis, in manchen Fällen einfach eine nicht der Realität entsprechende Interpretation herausgehört: Es kann nicht kritisiert werden, dass bei der Reform des Paktes wörtlich auf den Vertragstext Bezug genommen wird, denn was Vertrauen aufs Spiel setzen würde, wäre, gegen den Vertrag zu handeln. In Übereinstimmung mit dem Vertrag vorzugehen, zu wiederholen, was der Vertrag aussagt zum Referenzwert für das öffentliche Defizit, dem Bezugswert zur Staatsverschuldung und zu allen Faktoren, die in Betracht zu ziehen sind – Artikel 143 des Vertrags legt die einschlägigen Faktoren fest, die bei der Feststellung eines übermäßigen Defizits in einem Land Berücksichtigung finden müssen –, den Vertrag in jeder Hinsicht voll zu erfüllen, den für die Durchführung der Wirtschafts- und Währungsunion verabschiedeten Vertrag nochmals sorgfältig zu lesen, das ist eines der Elemente, die sehr viel zur Wiederherstellung des Vertrauens in der Eurozone und der gesamten Wirtschafts- und Währungsunion beitragen können.

Ich bin jedenfalls überzeugt, dass diese Reform, über die wir heute diskutieren – und ich hoffe, dass sie Ende dieses Monats in Kraft treten wird –, die gesetzlichen Bestimmungen respektiert, Klarheit und wirtschaftliche Vernunft bringt, Gleichbehandlung fordert und rigoros angewendet werden wird, wie wir gestern gezeigt haben. Und was von uns allen verlangt wird, ist eine präzise und vollständige Erläuterung dessen, was sie bedeutet, und dadurch werden wir den europäischen Bürgerinnen und Bürgern und dem europäischen Projekt helfen.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

(Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr statt.)

 

22. Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht von Dominique Vlasto im Namen des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie über die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas und die Auswirkungen des industriellen Wandlungsprozesses auf die Politik und die Rolle der KMU (2004/2154(INI)) (A6-0148/2005).

 
  
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  Dominique Vlasto (PPE-DE), Berichterstatter. – (FR) Herr Präsident! Der Bericht, den ich heute Abend vorlege, bekräftigt die Rückkehr einer Ambition, der Ambition einer Industriepolitik für ein erweitertes Europa. Dies war notwendig und unabdingbar. Allerdings müssen wir noch weiter vorangehen. Die Zeit ist knapp für eine Industriepolitik, und daher müssen wir das Tempo erhöhen und von der Ambition zum Handeln übergehen.

Letzte Woche war ich mit einer Delegation der Stadt Marseille in Schanghai: Die Industrie ist das Rückgrat der Entwicklung Chinas. Innovation und neue Technologien sind die Säulen der Entwicklung dieser Industrie, und das Wirtschaftswachstum ist dort konstant. Offen gesagt, nimmt einem die Dynamik dieser Gesellschaft fast den Atem. Natürlich wünsche ich kein chinesisch inspiriertes Entwicklungsmodell für die Europäische Union, sondern möchte vielmehr, dass unser Europa sich mit den Mitteln ausstattet, um es mit den Wirtschaftsgiganten USA, China und anderen aufnehmen zu können.

Unsere Herausforderung muss daher vor allem in Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation, Investitionen in Forschung, Know-how und Wissen bestehen. Die Kommission und Vizepräsident Verheugen unterbreiten zahlreiche Vorschläge in diesem Sinne. Wir erwarten jetzt, dass diese Vorschläge zur politischen Realität werden, und unter diesem Gesichtspunkt sind dieser Bericht und sein Inhalt zu betrachten.

Wir sind erstens der Meinung, dass eine Politik sich Ziele setzen muss, die ihr eine Bedeutung verleihen, wie die Entwicklung einer soliden europäischen Industriebasis, die Erhöhung der Beschäftigung, insbesondere unter den Jugendlichen, die Herausbildung von europäischen industriellen Spitzenreitern, die als Träger unseres Gütezeichens „Made in Europe“ fungieren können. Die europäische Industriepolitik muss sich jedoch an alle Unternehmen richten und zu einem integralen Bestandteil der Lissabonner Strategie werden. Die Kommission befürwortet einen sektoralen Ansatz: Dies ist ein Grund zur Befriedigung für uns, denn ein Teil der Industriepolitik muss unter Berücksichtigung der Besonderheiten jedes Sektors umgesetzt werden. Zudem muss eine wirksame Industriepolitik auch die Art der Unternehmen berücksichtigen, denn nur 1 % der europäischen Unternehmen sind Großkonzerne, während die europäische Industriestruktur von Millionen von Klein- und Mittelbetrieben geprägt wird. Die Kommission muss wirkliche Anstrengungen zur Berücksichtigung der Kleinbetriebe unternehmen.

Die zweite Dimension, die nicht vernachlässigt werden darf, ist die territoriale. Die Industrie übt eine Anziehungskraft auf andere Wirtschaftsaktivitäten aus, was bewirkt, dass ihre Standorte ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung zahlreicher Regionen sind. Die Strukturfonds müssen daher die industrielle Entwicklung fördern und als Förderinstrumente für die Umstellung von Regionen dienen, die von der Verlagerung von Industrieunternehmen betroffen sind. Wir müssen für dieses Problem der Unternehmensverlagerung eine spezifische Antwort finden, die bedrohten Sektoren analysieren, vorausschauend auf Verlagerungen reagieren und die Umstellung der betroffenen Regionen unterstützen. Darüber hinaus müssen auch die Unterschiede zwischen den 25 Ländern der Europäischen Union berücksichtigt werden.

Des Weiteren sind wir der Auffassung, dass jede Politik auf einer eindeutigen und wirksamen Methode beruhen muss, was insbesondere für Ihren Einsatz, Herr Verheugen, für eine bessere Rechtsetzung gilt. Wir erwarten bei der Vereinfachung der Rechtsvorschriften einen Ansatz, der den kumulativen Effekt der Rechtsetzung auf jeden Sektor berücksichtigt. Wir hoffen auf eine Methode zur Durchführung von Folgeeinschätzungen für Rechtsvorschläge, die die KMU berücksichtigt und insbesondere exakte Kriterien zur Auswertung der auf die Konsultationen der Kommission eingehenden Antworten verwendet. Hinzufügen möchte ich noch, dass auch Parlament und Rat ihren diesbezüglichen Beitrag zu erbringen haben und dass sie aktiv an dem Ziel einer besseren Rechtsetzung mitwirken sollten.

Wie Sie sicherlich festgestellt haben, Herr Verheugen, hegen wir große Erwartungen. Bei zahlreichen industriepolitischen Instrumenten hängen sie zum Teil vom Ergebnis der Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau ab; sie hängen auch von unserer Fähigkeit ab, die uns bereits zur Verfügung stehenden Instrumente wie Wettbewerbspolitik, Bildung, Vergabe von staatlichen Beihilfen oder auch die Handelspolitik zu nutzen. Ich hoffe, dass der Beitrag unseres Parlaments eine Hilfe bei der Bewältigung dieser Herausforderung sein wird.

 
  
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  Günther Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bericht, über den wir heute Abend diskutieren, entspricht voll und ganz den Überzeugungen der Kommission und der Politik, die wir betreiben, und ich bin deshalb für die Unterstützung des Europäischen Parlaments außerordentlich dankbar.

An erster Stelle war es notwendig, in Europa dafür zu sorgen, dass Industriepolitik überhaupt wieder als eine politische Aufgabe verstanden wird. Wir mussten klarmachen, dass wir in Europa nicht ohne eine starke und leistungsfähige industrielle Basis auskommen und dass es ein Irrtum ist zu glauben, wir könnten allein von Dienstleistungen leben. Das ist bereits erreicht.

Zweitens geht es darum sicherzustellen, dass die europäische Industrie auf Dauer in einem schärfer werdenden weltweiten Wettbewerb wettbewerbsfähig bleibt. Das ist der Hauptinhalt der neuen Strategie für Wachstum und Beschäftigung, die die Kommission vorgelegt hat und der das Parlament mit großer Mehrheit zugestimmt hat. Hier geht es darum, vor allen Dingen unsere Fähigkeiten zur Innovation zu verbessern. Die europäische Industrie kann weltweit nur überleben und Wachstum und Arbeitsplätze schaffen, wenn das Produkt made in Europe in jedem Fall ein absolutes Spitzenprodukt ist. Wir können nicht über niedrigere Sozialstandards, niedrigere Umweltstandards oder niedrigere Löhne konkurrieren, sondern nur über Leistung, Qualität und technologischen Fortschritt.

Als Drittes müssen wir sehr genau analysieren, wo unsere Industrie strukturelle Probleme hat. Ich werde schon in Kürze eine Mitteilung vorlegen, in der die industriellen Sektoren in Europa genau analysiert werden und wir darlegen werden, welche Schritte im Einzelnen notwendig sind, um die Wettbewerbschancen der europäischen Industrie zu verbessern. Denn das wird jeder einsehen: Die Probleme der Automobilindustrie sind nicht die Probleme der chemischen Industrie, die Probleme der Textilindustrie sind nicht die Probleme des Maschinenbaus.

Ich bin der Berichterstatterin sehr dankbar, dass sie mit Nachdruck auf das Problem der kleinen und mittleren Unternehmen hingewiesen hat. Das ist für mich ein Schwerpunkt unserer Bemühungen. Die europäische Wirtschaft lebt von der Flexibilität und der Innovationsfähigkeit der 25 Millionen kleiner und mittlerer Unternehmen. Wir sollten uns immer der Tatsache bewusst sein, dass neue Arbeitsplätze in Europa nur – ich sage ausdrücklich: nur! – in diesem Bereich entstehen.

Der hohe Produktivitätsfortschritt in der europäischen Industrie wird dazu führen, dass auf Jahre hinaus keine neuen industriellen Arbeitsplätze entstehen werden. Arbeitsplätze schaffen nur die kleinen und mittleren Unternehmen, und deshalb müssen wir ihnen helfen, ihre strukturellen Probleme zu überwinden, das heißt: Zugang zu Risikokapital, Zugang zu Wissen und Können und Innovation sowie verbesserte Rahmenbedingungen, insbesondere weniger bürokratische Belastung für kleine und mittlere Unternehmen.

Die Regelungsdichte, die wir in Europa in manchen Bereichen erreicht haben, ist für kleine und mittlere Unternehmen schlicht und einfach zu viel. Deshalb mache ich Ihnen heute eine Ankündigung, die sich auch an die Adresse des Europäischen Parlaments richtet. Diese Kommission nimmt das Projekt „Bessere Rechtsetzung“ sehr ernst. Dazu gehört nicht nur, dass wir die Qualität der Gesetzgebung verbessern, sondern auch, dass wir in Zukunft viel häufiger nein sagen werden.

Wir werden nein sagen, wenn aus den Reihen der Mitgliedstaaten Forderungen nach Reglementierungen kommen, die nicht notwendig sind, und ich werde auch nein sagen, wenn aus dem Europäischen Parlament – und das ist leider häufig der Fall – die Forderung nach Reglementierungen kommt, die wir nicht brauchen, und dasselbe Parlament dann die Kommission kritisiert, weil sie zu viel reglementiert. Sie werden hier eine neue Kommission erleben. Wir werden nein sagen, wenn es darum geht, Überregulierung in Gang zu setzen, und wir werden sehen, wie die Reaktion der europäischen Öffentlichkeit ist. Ich bin gespannt, und ich hoffe auf Ihre Mitwirkung.

Eine gesunde Selbstbeschränkung im Bereich der Gesetzgebung ist das, was die Bürgerinnen und Bürger Europas im Augenblick von uns erwarten. Es ist auch das, was unsere Wirtschaft braucht, um ihre Wachstumschancen und ihre Investitionsmöglichkeiten zu verbessern.

 
  
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  Romana Jordan Cizelj, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (SL) Was die Entwicklung unter dem Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit anbelangt, haben kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im Vergleich zu Großunternehmen spezielle Anforderungen, weswegen ihnen bei der Ausarbeitung von Strategien besondere Beachtung geschenkt werden muss. Die Industriepolitik sollte da nicht ausgenommen werden, denn die wissensbasierte industrielle Entwicklung beschränkt sich nicht auf Großunternehmen. Mehr Finanzmittel für die Forschung garantieren beispielsweise nicht automatisch auch mehr Innovationen, und deswegen brauchen wir den in KMU vorhandenen Unternehmergeist.

Kleine und mittlere Unternehmen sind nicht nur die treibende Kraft des Wirtschaftswachstums. Uns muss klar sein, dass sie für die Europäische Union auch im politischen Sinne eine Chance darstellen. Zudem tragen sie eine politische Bürde, da die Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden unter anderem auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Menschen in Europa die direkten Auswirkungen der Tätigkeiten und Entscheidungen europäischer Organe nicht spüren.

Ähnliches gilt für KMU, denen es an Eigenmitteln fehlt, um die Vorteile der Europäischen Union zu nutzen. Daher unterstützen wir im Bericht als Europäisches Parlament vor allem institutionelle Maßnahmen, durch die die Innovationsfähigkeit von KMU gestärkt wird. Wir sind dafür, dass die Europäische Union miteinander verbundenen Prozessen wie Forschung, Bildung und Abbau von administrativen Hürden Vorrang einräumt, die besondere Hindernisse für kleine und mittlere Unternehmen darstellen, wenn es um die Nutzung der Möglichkeiten der EU geht.

Herr Kommissar, bei der Ausarbeitung des Berichts haben wir mit großer Begeisterung mit Kollegen aus den neuen Mitgliedstaaten zusammengearbeitet. Ja, wir sind uns dessen bewusst, dass die Industriepolitik eine Chance sein kann, sowohl für die geografisch größeren alten Mitgliedstaaten, die die Voraussetzungen haben, sich zu industriellen Schwergewichten zu entwickeln, als auch für die neuen Mitgliedstaaten, die mit ihren dynamischen Sektoren innovativer KMU das Fundament für ein starkes Wirtschaftswachstum und eine langfristige Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Europas legen können.

 
  
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  Joan Calabuig Rull, im Namen der PSE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar! Mehrere Einschätzungen zeigen, dass die Ungewissheit, insbesondere im Hinblick auf die Beschäftigung und den Sozialschutz, ein wichtiger Grund dafür war, dass viele Bürgerinnen und Bürger in Frankreich und den Niederlanden die Verfassung abgelehnt haben.

Nachdem solche Begriffe wie „Industriepolitik“ viele Jahre verschwunden war, treten sie heute wieder in Erscheinung, und wir alle sollten darüber erfreut sein, denn durch die Förderung eines soliden Industriesektors werden die Bürgerinnen und Bürger in der Lage sein, besser bezahlte und sicherere Arbeitsplätze zu finden. Das ist der Weg, um zur Stärkung des Vertrauens in das europäische Projekt beizutragen.

Die Mitteilung der Kommission schlägt einen integrierten Ansatz vor, der die Vereinfachung und Harmonisierung der Rechtsvorschriften zur Konsolidierung des Binnenmarkts einschließt und FuE und die Notwendigkeit des Transfers ihrer Ergebnisse in die Unternehmen unterstützt. Doch diese Harmonisierung müsste auch eine steuerliche Dimension beinhalten.

Das europäische industrielle Gefüge setzt sich aus verschiedenen Sektoren zusammen, angefangen von der Raumfahrtindustrie bis hin zur Textilindustrie, die jeweils spezifische Antworten erfordern. Sektorbezogene Studien werden uns helfen, die Zusammenarbeit zwischen der Industrie, der Kommission und den Mitgliedstaaten zu fördern, die neue Chancen eröffnen könnte.

Die kleinen und mittleren Unternehmen stellen 90 % der europäischen Industrie dar und erfordern besondere Aufmerksamkeit, was ihren Zugang zu Mitteln und Forschungstransfer angeht. Die Standortverlagerung ist gelegentlich eine unvermeidbare Realität, und wir müssen diesen Veränderungen zuvorkommen.

Zu diesem Zweck müssen wir einen Dialog herstellen, an dem die Verwaltung und die Sozial- und Wirtschaftsakteure beteiligt sind und der die verfügbaren Instrumente im Bereich Forschung und Innovation berücksichtigen muss. Und natürlich wird ein Anpassungsfonds zur Begleitung der Umstellungen unumgänglich sein.

Abschließend möchte ich die Kommission beglückwünschen, da sie die geeigneten Instrumente zur Erhöhung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit vorgeschlagen hat, und zwar im Rahmen der Strategie von Lissabon. Doch wenn wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger die Politiken der Union als Instrument für den Fortschritt und nicht als Bedrohung betrachten, müssen wir das Gleichgewicht zwischen den drei Pfeilern dieser Strategie, das heißt, dem wirtschaftlichen, dem sozialen und dem ökologischen, aufrecht erhalten.

 
  
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  Marcin Libicki, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Herr Präsident, ich habe Frau Vlasto und Herrn Kommissar Verheugen mit Vergnügen zugehört. Ich kann jedoch das, was heute hier in diesem Plenum gesagt wurde, nicht kommentieren, sondern fühle mich verpflichtet, etwas zum Bericht zu sagen. Bedauerlicherweise ist der Bericht in keiner Weise dazu angetan, einen gesunden Wettbewerb zu fördern, der die Grundlage einer freien Wirtschaft bildet. Vielmehr ist er durch und durch mit interventionistischer Ideologie durchsetzt.

In Ziffer 1 heißt es: „[Das Europäische Parlament] begrüßt es, dass die Kommission beschlossen hat, die Industriepolitik ganz oben auf die europäische Tagesordnung zu setzen“. Ich möchte das Hohe Haus daran erinnern, dass es in einer freien Wirtschaft so etwas wie Prioritäten nicht gibt. Es sind die Bedürfnisse der Gesellschaft, die all das bestimmen, was in einer solchen Wirtschaft notwendig ist, und der freie Markt zeigt uns, welcher Art diese Bedürfnisse sind. Prioritäten für die Wirtschaft zu diskutieren, hieße, die Wirtschaft als Ganzes außer Acht zu lassen.

Um Ziffer 2 zu zitieren: „[Das Europäische Parlament] tritt für die Förderung einer voluntaristischen Industriepolitik […] ein“. Bei allem Respekt – wenn festgestellt werden muss, dass die Wirtschaft in jeder Hinsicht voluntaristisch sein soll, dann haben wir meiner Ansicht nach tatsächlich eine ganz falsche Richtung eingeschlagen. Das hieße letztendlich, dass wir die Freiheit nicht mehr als ein Wesensmerkmal der Wirtschaft ansehen, dabei ist doch eine freie Wirtschaft die Voraussetzung für Erfolg.

In Ziffer 5 lesen wir – ich zitiere: „[…] dass auch mit Hilfe des sozialen Dialogs ermittelt werden sollte, welche Sektoren am leistungsstärksten […] sind“. Zu beurteilen – und das sollten Sie sich, meine Damen und Herren Abgeordneten, vor Augen halten –, ob ein Unternehmen leistungsstark ist oder ob diejenigen, die ein Unternehmen führen, sich allzu strikt an die gesunden Prinzipien des freien Marktes halten, ist nicht Sache des sozialen Dialogs.

Nun zu Ziffer 6: „[Das Europäische Parlament] würde es begrüßen, wenn […] Frauen ermutigt würden, eine Ausbildung für eine Laufbahn in der Industrie zu absolvieren“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine grobe Verletzung der feministischen Ideale. Es gibt keinen Anlass, Frauen zu ermutigen, eine Ausbildung für eine Laufbahn in der Industrie zu absolvieren, können sie doch in jedem Sektor Arbeit finden, wenn sie das wünschen. Ich sehe keinen Grund, weshalb Frauen mit Presslufthämmern arbeiten sollten.

In Ziffer 12 heißt es: „[…] dass die […] Industriepolitik den sozialen Zusammenhalt aufrechterhalten und so zu einer ausgewogenen Entwicklung führen sollte“. Hohes Haus, das ist der falsche Weg, wenn wir wettbewerbsfähig sein und Erfolg haben wollen. Vor 130 Jahren sagte der damalige britische Premierminister, dass es die Aufgabe der Ökonomen sei, die Regierung daran zu hindern, dass sie der Wirtschaft Schaden zufügt. Zu jener Zeit war England das sich am schnellsten entwickelnde Land der Welt.

Ich rechne nicht damit, dass die Europäische Kommission meinen Ratschlag befolgen wird, doch appelliere ich an sie, sich meine Anmerkungen zumindest durch den Kopf gehen zu lassen.

 
  
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  Leopold Józef Rutowicz (NI). (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte unterstreichen, dass das Schlagwort von der „Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“ ad nauseam über viele Jahre wiederholt wurde. Es ist an der Zeit, deutlich zu machen, dass die Erreichung einer globalen Wirtschaft ein überaus ehrgeiziges, aber sehr wichtiges Ziel ist. Hieraus ergibt sich eine Reihe von Schlussfolgerungen, und die wichtigste besteht darin, dass für alle Themen und Maßnahmen exakte und detaillierte Durchführungs- und Zeitpläne aufgestellt werden müssen.

In Anbetracht der begrenzten Mittel, die uns zur Verfügung stehen, müssen die Ziele und Prioritäten festgelegt werden, die Vorrang haben, wie z. B. die Entwicklung der kleinen und mittleren Unternehmen in einer globalen Wirtschaft, gleichzeitig müssen aber auch der Umweltschutz und die Arbeitsplatzsicherheit im Blick behalten werden. Besonderes Augenmerk gilt es auf Wissenschafts- und Forschungsprogramme sowie Ausbildungsmaßnahmen im Bereich der neuen Technologien und neuen Generationen von Produkten und Dienstleistungen wie auch auf die Produktivität, mögliche Einsparungen und den Zugang der kleinen und mittleren Unternehmen zur Forschung zu legen.

 
  
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  Ján Hudacký (PPE-DE).(SK) Ich möchte zunächst der Berichterstatterin für ihre hervorragende Arbeit an diesem ausgewogenen Bericht danken. In der Strategie von Lissabon wird klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Priorität der Europäischen Union die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie sein muss. Ich möchte Sie, Herr Kommissar, aber daran erinnern, dass wir auch folgende Aspekte berücksichtigen müssen, wenn wir diese Ziele erreichen wollen.

Erstens müssen unnötige Verwaltung und Bürokratie innerhalb der Europäischen Union abgeschafft werden. Die europäischen Organe müssen die Anzahl der Rechtsvorschriften verringern, die für Unternehmen im Industriesektor, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, gelten, und sie vereinfachen. Dabei sollten die nationalen Rechtsvorschriften die Schlüsselrolle spielen, während die Industriepolitik der Europäischen Union auf die notwendige Koordinierung und Harmonisierung beschränkt werden sollte.

Zweitens muss besonderes Gewicht auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen im Industriesektor gelegt werden. Der KMU-Sektor hat seine Flexibilität eindeutig unter Beweis gestellt, die die wichtigste Voraussetzung für das dauerhafte Erreichen des notwendigen Grads an Wettbewerbsfähigkeit sowohl in Europa als auch auf dem Weltmarkt ist. Aus diesem Grund kann ich der Politik zur Unterstützung „nationaler Champions“ nicht auf ganzer Linie zustimmen. Durch dieses Konzept zur Förderung der Entstehung einer kleinen Anzahl großer marktbeherrschender Unternehmen würden natürlich erhebliche Finanzmittel des EU-Haushalts gebunden und es würde vermutlich gegen die Grundsätze des gesunden Wettbewerbs verstoßen, ohne dass es eine Garantie für einen günstigen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit solcher Unternehmen gibt.

Drittens brauchen kleine und mittlere Unternehmen im Industriesektor neue Anreize für weitere technologische Entwicklungen, Forschung und Innovation. Der Zugang zu den geplanten Programmen wie dem 7. Rahmenprogramm, dem Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation usw. muss jedoch für kleine und mittlere Unternehmen deutlich verbessert werden. Zudem müssen für die rückständigen Regionen und die neuen Mitgliedstaaten mehr Mittel aus den Strukturfonds bereitgestellt werden, damit sie entsprechende technische Infrastrukturen zur Verbesserung der industriellen Basis in diesen Regionen schaffen können.

 
  
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  Adam Gierek (PSE). (PL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Die Überlegungen im Bericht Vlasto sind ausgereift und ausgewogen und markieren eine neue Etappe in der Debatte über die europäische Industriepolitik, die zurzeit in der Krise steckt. Gleichzeitig bringen die Bürger irrationale Ängste und Frustrationen zum Ausdruck, so z. B. in den Referenden in Frankreich und den Niederlanden.

Outsourcing ist zu einem Bestandteil unseres Lebens geworden. Obwohl hierfür angebliche wirtschaftliche Gründe geltend gemacht werden, kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese Entwicklung für die Gesellschaft schädlich ist. Wann immer wir von Outsourcing sprechen, müssen wir uns jedoch vor Augen halten, dass dieser Begriff vielfältige Maßnahmen umfasst, die sowohl das Outsourcing innerhalb der EU, das Vorteile in Form positiver Synergieeffekte bringt, als auch das Outsourcing in Länder außerhalb der EU beinhalten, von dem wir nur Nachteile haben.

Die EU braucht einen homogenen Markt für Produkte und Dienstleistungen, der sich durch eine hohe globale Wettbewerbsfähigkeit und einen stark innovativen Charakter auszeichnet. Es gibt zweierlei Mechanismen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Zum einen sind das die einfachen Mechanismen, die den Errungenschaften des so genannten europäischen Sozialmodells Grenzen setzen, und zum anderen komplexe Mechanismen, die auf dem geistigen und sozialen Kapital basieren und die Grundlage für Innovationen in den organisatorischen, technologischen, technischen und marktrelevanten Bereichen bilden.

Europa sollte dem Beispiel Japans und des Europas der späten 1960er Jahre folgen und eine neue Standortverteilung vornehmen, d. h. – anders ausgedrückt – moderne Produktionsprozesse und Kapital auf den gemeinsamen europäischen Markt zurückholen. Das ist eine dringend notwendige Maßnahme, um das geistige Eigentum zu schützen, Europa zu seiner Führungsrolle im Know-how-Bereich zurückzuverhelfen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Kapitals zu stärken.

All das ist möglich, doch dazu muss Europa sich aus seiner Stagnation lösen und das BIP-Wachstum um mindestens einige Prozentpunkte steigen. Es gibt eine ganze Reihe von Instrumenten, die eine solche neue Standortbestimmung zweifellos befördern würden. Dazu gehören – entgegen der Auffassung jener, in denen der sprichwörtliche polnische Klempner und Maurer nichts anderes als Befürchtungen und Frustration auslösen – die vollständige Liberalisierung der kommerziellen Dienstleistungen, wie sie von den polnischen Sozialisten befürwortet wird. Hierzu zählen darüber hinaus die Einrichtung industrieller Cluster in unmittelbarer Nachbarschaft von Innovationszentren und die Einführung des „Made in Europe“-Prinzips für alle staatlichen Käufe. Dieser letzte Punkt würde eine EU-Richtlinie erforderlich machen.

 
  
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  Małgorzata Handzlik (PPE-DE). (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte Frau Vlasto für diesen Bericht danken, der für mich von einiger Bedeutung ist, da ich selbst viele Jahre ein Unternehmen im KMU-Sektor geführt habe. Die Erfahrungen, die ich dabei gesammelt habe, gestatten es mir, die Wettbewerbsfähigkeit Europas und den KMU-Sektor unter dem Blickwinkel der Praxis zu betrachten.

Was die europäische Wirtschaft meiner Überzeugung nach dringend braucht, sind echter Wettbewerb und die Ausprägung eines besseren Verständnisses für wirtschaftliche Fragen unter den Bürgern Europas. Die erste dieser Aufgaben wurde in der Lissabon-Strategie als eines der prioritären Ziele der EU festgeschrieben, zu deren Anliegen es auch gehört, die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den alten und den neuen Mitgliedstaaten zu beseitigen. Die Unternehmen in den neuen Mitgliedstaaten und vor allem der KMU-Sektor in diesen Ländern, die flexibel und in der Lage sind, sich den sich verändernden Bedingungen anzupassen, stellen ein bedeutendes Potenzial für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa dar. Bevor jedoch dieses Potenzial genutzt werden kann, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Hierzu zählen die Beseitigung der derzeitigen Hindernisse für den Binnenmarkt - etwa 90 an der Zahl -, die Schaffung günstigerer Bedingungen für Existenzgründungen im KMU-Sektor und die Kopplung der Löhne an Arbeitsproduktivität und Effizienz.

Ich denke, der Beschäftigungsgrad wird steigen, wenn wir günstige Bedingungen für die Entwicklung des KMU-Sektors schaffen, die bestehenden Regelungen vereinfachen und neue verabschieden. Die Liberalisierung des Dienstleistungsmarkts wird zu einem weiteren Katalysator für die Wirtschaftsentwicklung in Europa werden und auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen. Darüber hinaus muss meiner Ansicht nach das Verständnis der Öffentlichkeit für wirtschaftliche Fragen vertieft werden. Die Menschen werden erst dann aufhören, sich vor Veränderungen zu fürchten und in solchen Veränderungen erst dann eine notwendige Voraussetzung für die Verbesserung ihrer Lebensqualität sehen, wenn sie die Wirtschaftsmechanismen verstehen, die ihr Leben beeinflussen.

Die einzige Möglichkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu steigern, besteht in der Entwicklung einer wissensbasierten Wirtschaft. Das bedeutet, dass in die Forschung und Entwicklung sowie in unternehmensbasierte Innovationen investiert werden muss, da eine Entwicklung des KMU-Sektors nur mithilfe solcher Investitionen möglich ist. Wir brauchen daher Bildungs- und Ausbildungssysteme, die sich am Bedarf des Arbeitsmarktes orientieren, und ein Konzept des lebenslangen Lernens, um die Zustimmung der Menschen zu erlangen.

Dieser Bericht könnte durchaus eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der europäischen Wirtschaft sowie der Herausbildung eines wahrhaft freien Wettbewerbs spielen. Ich werde deshalb für den Bericht stimmen und plädiere dafür, den KMU-Sektor als Triebkraft der Wirtschaft anzusehen.

 
  
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  Pier Antonio Panzeri (PSE). (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir gerade erörtern, ist vor allem in einer Phase wie dieser, in der sich ein Großteil Europas in einer Situation wirtschaftlicher und sozialer Schwierigkeiten befindet, von besonderer Bedeutung. Diese Schwierigkeiten untergraben die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union und weisen hin auf ein Produktivitätsgefälle gegenüber den USA und Japan, auf niedrige Investitions-, Forschungs- und Entwicklungsniveaus, geringe Investitionsniveaus, insbesondere bei der Hochtechnologie, und auf die Verlagerung von Forschungstätigkeiten. Alldem muss entgegengetreten werden. Wir haben immer wieder betont, dass das durch eine Wiederbelebung der Lissabon-Strategie geschehen muss, doch diese Strategie wird weiter dahinschwinden, wenn wir nicht ernsthaft und energisch in die Industriepolitik investieren.

Ich muss sagen, Herr Kommissar, dass das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation noch hinter den Erwartungen zurück bleibt. Es mutet an wie eine Zusammenfassung dessen, was schon existiert, während wir doch durchgreifende Neuerungen bräuchten. Heute Abend haben wir gehört, dass Sie eine neue Mitteilung vorlegen werden: Wir hoffen, dass sie die geforderten Neuerungen enthält. Es müssen Entscheidungen im Bereich der allgemeinen Wirtschaftspolitik, der Vollendung des Binnenmarkts und der Reformpolitik in der öffentlichen Verwaltung, des Steuersystems und der Infrastruktur getroffen werden. Darüber hinaus muss jedoch ein Governance-Plan ausgearbeitet werden, damit alle bestehenden institutionellen Ebenen Hand in Hand zusammenarbeiten können. Man muss sich die Notwendigkeit bewusst machen, in sektorale und in horizontale Politikbereiche zu investieren, um die kleinen und mittleren Unternehmen, die einen wesentlichen Anteil in der Europäischen Union haben, zu fördern.

Schließlich müssen so genannte Circuli virtuosi – Universitäten, Industriebezirke und Forschungslabors – geschaffen und erweitert werden. Ich denke dabei an die Innovations-„Inkubatoren“, die lebenswichtig für die Industriepolitik sind. Kurz gesagt, wir müssen einen Gang höher schalten – und zwar so schnell wie möglich –, wenn wir wollen, dass die Europäische Union jener wettbewerbsfähigste und dynamischste Wirtschaftsraum wird, den wir vor geraumer Zeit als Ziel festgelegt haben.

 
  
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  Werner Langen (PPE-DE). Herr Präsident! Die Berichterstatterin, Frau Vlasto, hat im Industrieausschuss ja eine sehr breite Zustimmung gefunden. Sie hat alle Ecken ausgeleuchtet, aber der zündende Funke für eine neue Industriepolitik fehlt auch diesem Bericht, wie so vielen Dingen, die wir hier verabschieden. Ich möchte Herrn Libicki ausdrücklich Recht geben: Der ordnungspolitische Rahmen ist noch überprüfungsbedürftig. Deshalb wird dieser Bericht zu meinem Bedauern nicht die Wirkung haben können, die er eigentlich braucht.

Herr Verheugen hat gesagt, dass die Kommission im Sinne der Durchsetzung einer besseren Rechtsetzung in Zukunft häufiger Nein sagen wird, und er hat das Parlament und die Mitgliedstaaten genannt. Die Kommission selbst hat er vergessen. Da können Sie schnell ansetzen, indem Sie Vorschläge durchsehen, die fünfzehn Jahre nicht umgesetzt wurden, indem Sie innerhalb der eigenen Kommission die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Verbraucherschutz und Umweltschutz durchsetzen. Das sind genügend Ansatzpunkte, und nach meiner Meinung muss jede europäische Maßnahme, wie das der europäische Kommissionspräsident einmal vorgeschlagen hat, drei Tests bestehen: den Kostentest, den Wettbewerbsfähigkeitstest und den Subsidiaritätstest. Da möchte ich dem Kollegen Hudacký Recht geben, der gesagt hat: Keine Regulierung dort, wo die Nationalstaaten zuständig sind.

Wir stehen vor der Frage, wie sich Europa zwischen Wettbewerb und Abschottung entscheidet. Wirkt der gesteigerte Wettbewerbsdruck für Europas Wirtschaft als Fitnessprogramm oder ist das alte Europa längst im wirtschaftlichen Abseits? Die Herausforderungen sind gewaltig. Ich bin der Überzeugung: Kerneuropa ist zu satt für den internationalen Wettbewerb und wählt deshalb Abschottung und Abstieg. Da müssen wir ansetzen! Europa ist von oben und von unten unter Wettbewerbsdruck geraten. Wir sind einerseits zu teuer, andererseits nicht produktiv genug, um uns die hohen Kosten leisten zu können. Das wird lediglich durch die neu hinzugekommenen Volkswirtschaften verbessert. Die neuen Mitgliedstaaten bringen uns diesen Wettbewerb. Das ist das Wichtige, was die Erweiterung bringt: mehr Wettbewerb und damit auch eine vernünftige Industriepolitik. Dies ist, was wir dringend brauchen, und keine Auflegung neuer europäischer Programme, mit denen niemand etwas anfangen kann und wo wir am Ende den ordnungspolitischen Rahmen verloren haben.

 
  
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  John Attard-Montalto (PSE). (EN) Herr Präsident, ich glaube an drei Dinge: die europäische Wirtschaft, die europäische Industrie und deren Fähigkeit, im Wettbewerb zu bestehen.

Zu meinem Bedauern applaudieren wir einerseits häufig, wenn der Begriff „Wettbewerbsfähigkeit“ fällt, befürworten andererseits aber Initiativen, die eben dieser Wettbewerbsfähigkeit schaden. So haben Sie, Herr Kommissar, völlig zu Recht bemerkt, dass die Regelungsdichte gelegentlich schlicht und einfach zu groß ist, was mehr Bürokratie und einen Anstieg der Produktionskosten bewirkt. In einigen Fällen ist uns nicht einmal bewusst, dass wir der Wettbewerbsfähigkeit durch die Umsetzung mancher unserer Ideen und durch Rechtsvorschriften schaden. Vor kurzem haben wir beispielsweise Begrenzungen der Arbeitszeit in der Arbeitszeitrichtlinie abgesenkt, was natürlich ein anschaulicher Beleg für Maßnahmen ist, die im Widerspruch zur Wettbewerbsfähigkeit stehen.

Manchmal sprechen wir über Investitionen in technologische Neuerungen und darüber, dass wir auf Partnerschaften zwischen der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Sektor angewiesen sind. Auf diese Art und Weise wird argumentiert. Doch Europa ist nicht gerade ein Paradebeispiel für öffentlich-private Partnerschaften. Ein anderes Mal erlegen wir der Forschung unter Berufung auf verschwommene Moralvorstellungen Grenzen auf.

Schließlich werden auf der einen Seite weitere Investitionen in Innovation und Forschung befürwortet, auf der anderen Seite aber Patente abgelehnt. Wir sollten einsehen, dass wir langsam entscheiden müssen, was nun unsere Prioritäten sind.

(Beifall)

 
  
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  Othmar Karas (PPE-DE). Herr, Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Ich möchte mich zuerst einmal für dieses in der Wettbewerbspolitik und in der industriepolitischen Debatte so erfrischende Bekenntnis zur Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen für die Arbeitsplätze und für die Wettbewerbsfähigkeit in der Europäischen Union bedanken. Dieses Bekenntnis in der heutigen Debatte zeigt auch, dass jeder Versuch, Industriepolitik gegen KMU-Politik auszuspielen, falsch ist, schadet und der Realität widerspricht. Wir benötigen industriepolitische Flaggschiffe, um in der Welt wettbewerbsfähig zu sein, und wir benötigen Cluster zwischen KMUs und den industriepolitischen Flaggschiffen, um aus der industriepolitischen Wettbewerbsfähigkeit heraus auch Impulse für die Wettbewerbsfähigkeit der KMUs zu setzen.

Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie nein zu mehr Regulierung sagen. Aber wir müssen gleichzeitig nein sagen zu den Tendenzen zu mehr Nationalisierung, nein zu den Tendenzen zur Leistungsfeindlichkeit, nein zu den Tendenzen zu Mutlosigkeit, nein zum Populismus, nein zur Novellierung, nein zur Industriefeindlichkeit und ja zu mehr Leistung, ja zum Binnenmarkt, ja zu den vier Freiheiten – Werner Langen hat das angeschnitten. Die Erweiterung stärkt den Binnenmarkt. Der Binnenmarkt stärkt die Wettbewerbsfähigkeit. Das heißt auch ja zur Dienstleistungsrichtlinie. Das heißt aber auch ein stärkeres Engagement in der Steuerpolitik. Das heißt ein stärkeres Engagement bei der finanziellen Perspektive für Forschung, Bildung, Wachstum und Beschäftigung sowie für Unternehmensgründungen.

Das bedeutet für mich natürlich auch, dass wir die Besten fördern müssen, um für die Schwachen da sein zu können. Das Mittelmaß muss aus Europa hinausgetrieben werden. Die neue Art von Verstaatlichung im Denken muss aus unserer Politik hinausgetrieben werden. Die Schuldzuweisung zwischen Staat und Europa muss hinausgetrieben werden, um diese Wettbewerbsfähigkeit, diese Innovation, diese Forschung, diesen Willen, durch Leistung mehr zu erreichen, zu ermöglichen. Hier hoffe ich, dass auf die heutige Debatte und die getätigten Ankündigungen auch Taten folgen, denn nur so können wir eine neue Dynamik in der Europäischen Union erreichen.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

(Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.)

 

23. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über den Bericht von Adamos Adamou im Namen des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung bestimmter polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe in Weichmacherölen und Reifen (Siebenundzwanzigste Änderung der Richtlinie 76/769/EWG des Rates) (KOM(2004)0098 – C5-0081/2004 – 2004/0036(COD)) (A6-0104/2005).

 
  
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  Günther Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich danke den Mitgliedern des Europäischen Parlaments, dass sie sich mit dieser wichtigen, aber auch sehr technischen Fragestellung beschäftigt und konstruktive Änderungen vorgeschlagen haben.

In der Tat müssen wir alle angemessenen Anstrengungen zur Verringerung der Emission so genannter polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe unternehmen, um die Gesundheit und die Umwelt zu schützen. Diese polyzyklischen aromatischen Wasserstoffe sind als Krebs erregende, mutagene und reprotoxische Substanzen eingestuft. Sie werden auch als schwer abbaubare organische Schadstoffe gemäß dem UNECE-Protokoll der UNO betrachtet.

Diese besonderen Kohlenwasserstoffe sind aber Bestandteil von Ergänzungsölen, die bei der Produktion von Reifen verwendet werden, und lösen dadurch Probleme für Gesundheit und Umwelt aus. Das ist der Grund, warum die Kommission vorgeschlagen hat, harmonisierte Beschränkungen der Vermarktung und Verwendung von Ölen, die diese PAKs enthalten, sowie von Reifen, die wiederum solche Öle enthalten, einzuführen.

Der Kommissionsvorschlag wird sicherstellen, dass der Binnenmarkt für Reifen erhalten bleibt und dass nationale Maßnahmen, die ein Handelshemmnis für den freien Warenverkehr schaffen, vermieden werden. Alternativen zu den zu beschränkenden Substanzen werden von der Industrie entwickelt. Damit die Industrie die notwendige Zeit hat, sich an die neuen Normen anzupassen, die von dieser Richtlinie festgelegt werden, hat die Kommission einen vernünftigen Übergangszeitraum zur Umsetzung der Richtlinie vorgeschlagen.

Das Parlament und der Rat haben hierzu ein tragfähiges Kompromisspaket mit Änderungen bezüglich der späteren Einführung der Maßnahmen, der Testanforderungen und der Streichung von unnötigen Befreiungen für bestimmte Sektoren vorgelegt. Die Kommission unterstützt diese Änderungen. Ich möchte das Parlament ermutigen, in der ersten Lesung den Vorschlag zusammen mit den Änderungen anzunehmen, die Teil dieses Kompromisspaketes sind. Dies wird den Willen und die Fähigkeit der europäischen Institutionen zeigen, mit derartigen Problemen ohne Verzögerung umzugehen.

 
  
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  Adamos Adamou (GUE/NGL), Berichterstatter. – (EL) Herr Präsident, Frau Vizepräsidentin! Heute steht die Aussprache über die 27. Änderung der Richtlinie 76/769 für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung bestimmter polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe in Weichmacherölen und Reifen auf der Tagesordnung.

Dies muss als ein wichtiger Schritt bewertet werden, produziert doch die europäische Reifenindustrie pro Jahr etwa 300 Millionen Reifen und verwendet 250 000 Tonnen Weichmacheröle, die in die Kautschukmatrix eingearbeitet werden und dort auch dann noch vorhanden sind, wenn der Reifen ausgedient hat. Diese Öle enthalten bestimmte Mengen an polyzyklischen aromatischen Wasserstoffen, die als karzinogene, mutagene und reprotoxische Stoffe eingestuft werden, sowie an persistenten organischen Schadstoffen.

Zunächst möchte ich die Kommission zu ihrem Vorstoß beglückwünschen, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in Fahrzeugreifen zusätzlich in Anhang 1 der Richtlinie 76/769 aufzunehmen. Ich halte ihren Vorschlag für sehr gut. Ausgehend von Belangen des Schutzes der Volksgesundheit und der Umwelt sowie der öffentlichen Sicherheit und von der Forderung nach reibungslosem Funktionieren des Binnenmarktes und nach Beratungen mit der Kommission und dem Rat wie auch der Reifen- und Ölindustrie sowie Nichtregierungsorganisationen habe ich mich bemüht, einen ausgewogenen Bericht vorzulegen, in den die Änderungen des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit eingeflossen sind.

Am meisten Kopfzerbrechen bereiteten uns die Übergangsfrist für die Anwendung der Richtlinie, die Methode zum Nachweis der verwendeten giftigen Stoffe und die Frage von Ausnahmeregelungen in der Richtlinie.

Nach Abschluss der Konsultationen mit dem Rat und in Zusammenarbeit mit den Schattenberichterstattern wurde ein ganzes Bündel von Änderungen vorgeschlagen, denen die meisten Fraktionen zugestimmt haben.

Wie Sie sehen, habe ich die eingereichten Änderungsanträge empfohlen, so dass wir diese Angelegenheit problemlos in erster Lesung zum Abschluss bringen können.

Im Einzelnen wird im Hinblick auf die Übergangsfrist, die für erforderlich gehalten wird, damit neue Reifen mit Weichmacherölen entwickelt werden können, die nur eine ganz geringe Menge der fraglichen Stoffe enthalten, vorgeschlagen, diese bis zum 1. Januar 2010 zu verlängern. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass wir uns aus Gründen des Umweltschutzes für das Herstellungsdatum des Reifens entschieden haben, mit dem der Reifen gekennzeichnet ist, und zwar darum, weil die Entsorgung von Lagerbeständen - möglicherweise sogar noch größere - Umweltschäden anrichtet, und weil wir selbstverständlich auch die Industrie bei der Entsorgung dieser Bestände unterstützen wollen.

Der Europäische Verband der Reifenhersteller hat uns schriftlich versichert, dass er bei allen Reifenarten die Kriterien der Richtlinie einhalten kann, darunter auch bei Reifen für Rennfahrzeuge, Flugzeuge und Spezialfahrzeuge sowie Oldtimer, und zwar ohne Abstriche bei der Sicherheit für den Fahrzeugführer. Wir schlagen daher vor, keine Ausnahmen im Hinblick auf die Anwendung der Richtlinie zuzulassen.

Heute habe ich drei Faxmitteilungen erhalten, in denen Ausnahmeregelungen gefordert werden. Ich habe mit allen drei Verfassern gesprochen, und nachdem ich den Kompromissvorschlag erläutert hatte, waren sie nach meinem Eindruck einverstanden. Einer meiner Gesprächspartner entschuldigte sich sogar für seine Unwissenheit.

Was die Verfahren zum Nachweis und zur Feststellung polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe anbelangt, so kam von der Kommission der Vorschlag, die Menge an Benzo(a)pyren, also dem Stoff, der als Marker für die gesamte Gruppe dienen wird, auf 1 mg/kg bzw. bezogen auf sämtliche aufgeführten PAK zusammengenommen auf 10 mg/kg zu begrenzen.

Früher nutzte die Industrie die IP-346-Methode des Erdölinstituts zum Nachweis von PAK-Dimethylsulfoxidextrakt, wobei eine Grenze von 3 % nicht überschritten werden darf. In Anbetracht der langjährigen Nutzung dieser Methode wurde ihre Aufnahme vorgeschlagen. So viel zu den Weichmacherölen. Was den Ölgehalt in Fahrzeugreifen betrifft, wird angesichts der Tatsache, dass das Analyseverfahren ISO 21461 entwickelt wurde, um diese Art von Ölen in Fahrzeugreifen nachzuweisen, vorgeschlagen, diesen in der Richtlinie in Ergänzung zum Kommissionsvorschlag zu definieren.

Der letzte Änderungsantrag betrifft die Runderneuerung; dazu trifft die Kommission in ihrem Vorschlag keine Regelungen. Reifenmaterial für die Runderneuerung darf nicht in Verkehr gebracht werden, wenn es Weichmacheröle enthält, die die genannten Grenzwerte überschreiten.

Zum Schluss möchte ich den beiden Schattenberichterstattern meinen Dank für die hervorragende Zusammenarbeit aussprechen, mich aber auch bei den Mitarbeitern im Sekretariat des Ausschusses für Umweltfragen sowie beim Rat für seine konstruktiven Vorschläge und die konstruktive Zusammenarbeit bedanken, die es uns ermöglichen, diese Angelegenheit in erster Lesung zum Abschluss zu bringen.

 
  
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  Robert Sturdy, in Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident, hoffentlich hat der Kommissar endlich aufgehört jedem zu erklären, dass sie es den Reifenherstellern gezeigt haben. Das hat er ganz offensichtlich nicht getan, denn er hört ja nicht auf das, was wir sagen.

Ich gratuliere dem Berichterstatter zu seiner Leistung. Es handelte sich um eine sehr schwierige und technisch äußerst anspruchsvolle Materie, die ein gewisses Maß an Sach- und Fachkenntnissen erforderte. Außerdem beglückwünsche ich die Reifenhersteller, denn im Laufe der Zeit haben sie die Verkehrssicherheit und das Reifenangebot verbessert, aber auch beim Profil und bei der Straßenhaftung von Reifen Verbesserungen erreicht. Daher weiß ich, dass mein Mitberichterstatter leichte Probleme mit der Frist 2010 hat. Soweit ich weiß, wollte er an dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission, das heißt 2009, festhalten, doch waren Änderungen bei etlichen Reifen bis zu diesem Datum nicht zu bewerkstelligen. Daher haben wir uns für die Kennzeichnung mit dem Datum auf dem Reifen entschieden. Mit Freude nehme ich zur Kenntnis, dass er das akzeptiert hat.

Gut ist, dass Kommission und Rat zugestimmt haben, denn wir haben ja auch ein Kompromisspaket vorgelegt. Insbesondere in der derzeitigen Stimmungslage, die durch den Ausgang der Referenden in Frankreich und den Niederlanden geprägt ist, meinen die Menschen, dass der Rat und die Kommission – vor allem die Kommission – Abstand zum Parlament als dem einzigen demokratisch gewählten Organ, das die Wählerschaft vertritt, halten.

Herr Adamou hat völlig zu Recht Anhang I erwähnt, und ich bin ihm sehr dankbar, dass er auf alle technischen Details einer Sache eingegangen ist, die wir uneingeschränkt akzeptieren und die unsere volle Unterstützung findet. Dieser Bericht ist ein Triumph für das Parlament, und es freut mich sehr, dass wir ein Kompromisspaket vorgelegt haben. Traurig stimmt mich nur, dass Sie, Herr Kommissar, nicht hören können, was wir sagen, weil Sie einfach zu sehr damit beschäftigt sind, auf andere Menschen einzureden.

 
  
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  Marios Matsakis, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident, auch ich möchte dem Berichterstatter für seine hervorragende Arbeit danken. Er hat sich äußerst gewissenhaft konsultiert und den Meinungen der Hauptakteure gebührend Rechnung getragen. Lobende Erwähnung verdienen ferner die fruchtbaren Anstrengungen und die effiziente Bewältigung der Aufgabe, eine umfassende und echte Zusammenarbeit der Schattenberichterstatter aus den großen politischen Fraktionen zu organisieren. Dies ermöglichte die Erarbeitung eines Kompromisspakets mit Änderungsanträgen, die offenbar von der Mehrheit der im Parlament vertretenen Fraktionen, vom Rat und von der Kommission im Großen und Ganzen akzeptiert wurden.

Was den Inhalt der Richtlinie einschließlich der Kompromissänderungen anbelangt, so rücken damit die angestrebten Ziele in greifbare Nähe, das heißt, eine Absenkung der Emissionen von Reifenabrieb, der karzinogene Stoffe enthält, in die Umwelt auf ein vertretbares Niveau durch Beschränkung des Inverkehrbringens und der Verwendung von Weichmacherölen und Reifen mit einem hohen Gehalt an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen. Die Umsetzung soll durch Harmonisierung der Vorschriften über das Inverkehrbringen und die Verwendung von Weichmacherölen und Reifen, die diese giftigen Stoffe enthalten, erreicht werden. Die Bedingungen und die Funktionsweise des Binnenmarktes bleiben damit erhalten und verbessern sich, während zugleich ein hohes Maß an Gesundheits- und Umweltschutz sichergestellt wird.

Schließlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass bestimmte Reifenhersteller von der anderen Seite des Atlantik direkte und indirekte Vorstöße unternommen haben, um die Wirksamkeitsklausel dieser Richtlinie zu Fall zu bringen. Es ist dem Berichterstatter und den Schattenberichterstattern zu verdanken, dass sich glücklicherweise die Vernunft und ein Gespür für die Bewahrung der hohen Sicherheits- und Effizienzstandards der EU durchgesetzt haben und diese Versuche zum Scheitern verurteilt waren.

Dies stellt anschaulich und eindeutig unter Beweis, dass Einigkeit und Gemeinsinn uns stets vor dem „Big-Brother“-Modell schützen werden, das gelegentlich von einer kleinen Anzahl US-amerikanischer Industrievertreter und Politiker propagiert wird.

Abschließend möchte ich dringend an Sie appellieren, für das Kompromisspaket mit den entsprechenden Änderungen zu stimmen, das Ihnen zusammen mit dem Bericht Adamou vorgelegt wurde.

 
  
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  Johannes Blokland, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Ich möchte mich den Glückwünschen an den Berichterstatter für den erzielten Kompromiss anschließen. Die Tatsache, dass die meisten Fraktionen, aber auch die Kommission, der Rat und die Industrie fast einhellig einer Meinung sind, ist das Ergebnis der hervorragenden Arbeit von Herrn Adamou.

Gestern – und offenbar erging es nicht nur mir so – wandte sich ein Flugzeugreifenhersteller an mich, der mir erzählte, es sei ihm aufgrund der umfangreichen Tests und Sicherheitsanforderungen für Flugzeugreifen nicht möglich, die Frist bis 2010 einzuhalten. Ich nehme an, man ist auch an den Berichterstatter und den Herrn Kommissar herangetreten. Ich wüsste gern, ob diese Bedenken begründet sind.

Von Herrn Verheugen würde ich gern erfahren, was er davon hält und ob die Hersteller von Flugzeugreifen jetzt die Anforderungen des Kompromisspakets erfüllen können. Ich hatte aufgrund meiner Kontakte im letzten halben Jahr den Eindruck, dies sei machbar, bin aber sehr gespannt auf Ihre Reaktion.

 
  
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  Eija-Riitta Korhola (PPE-DE).(FI) Herr Präsident! Ich danke dem Berichterstatter für seine Arbeit im Sinne der Strategie der Kommission und für den erzielten guten Kompromiss. Da die Linie der Kommission weitgehend annehmbar ist, sollte das Parlament ihn unterstützen, ohne das Thema weiter zu verwässern.

Die vorliegende Gesetzgebungsinitiative stellt eine natürliche Fortsetzung der schon während der vorigen Wahlperiode des Parlaments vorgeschlagenen Richtlinie dar, mit der wir Grenzwerte und Zielwerte für Luftverunreinigungen und PAK für das Jahr 1996 festlegten. Indem wir nun über einen angemessenen Zeitplan und Grenzwerte für PAK-Emissionen in die restliche Umwelt beschließen, stehen wir vor einer anspruchsvollen Aufgabe. PAK finden sich überall und als Gemisch aus vielen Komponenten. In internationalen toxikologischen Bewertungen sind unter den PAK-Verbindungen zahlreiche karzinogene Stoffe identifiziert worden. PAK-Verbindungen sind nicht wasserlöslich, sie gehen in die Nahrungskette ein und kehren in den Kohlenstoff-Kreislauf zurück, wenn sie in die Umwelt gelangen, wobei sie dauerhafte Schäden in der Natur bewirken. Angesichts dessen sollten wir allgemeine Analyseverfahren beschließen, um die Emissionen alsbald unter Kontrolle zu bringen.

Entwicklungsarbeiten und Tests an Reifen werden seit längerem durchgeführt, und tatsächlich sind auch bereits Reifen auf dem Markt, die eine verträglichere Ölmischung enthalten. Ungeachtet der Tatsache, dass wir für die eingesetzten Reifen und die Grenzwerte für darin verwendete Weichmacher jetzt Regelungen treffen wollen, ist der Straßenverkehr an sich ökologisch gesehen bereits problematisch. Durch den Straßenverkehr werden am häufigsten und in der schlimmsten Weise PAK-Verbindungen in die Luft abgegeben. Insbesondere aus Reifenabfällen gelangen große Mengen von Verbindungen in Form kleiner Partikel in die Umwelt.

Ein besonderes Problem bei Reifen und Weichmacherölen stellt das Benzo(a)pyren dar, das leider in den fraglichen Produkten sehr häufig eingesetzt wird. Dieser PAK ist die bekannteste und schlimmste karzinogene Substanz. Wir müssen jetzt nachhaltige Grenzwerte definieren, mit denen die Emissionen von Benzo(a)pyren in die Umwelt auf ein Minimum eingeschränkt werden können, wobei gleichzeitig die Notwendigkeit der Verwendung von Weichmachern in der Reifenindustrie anerkannt wird.

 
  
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  Holger Krahmer (ALDE). Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe sind gefährliche Substanzen und finden in der Herstellung von Reifen für unterschiedliche Fahrzeuge Verwendung. Aufgrund ihrer Toxizität beraten wir heute über ihre Beschränkung.

Uns liegt ein Kompromiss vor, der morgen wahrscheinlich mit großer Mehrheit angenommen wird, und ich freue mich, wenn wir gerade bei technischen Dossiers ideologische Debatten vermeiden und in kurzer Zeit schlanke Richtlinien verabschieden. Wir haben allerdings ein paar kleine, aber doch wichtige Aspekte übersehen. Ein von mir mitinitiierter und im Umweltausschuss ursprünglich angenommener Änderungsantrag hatte zum Ziel, für einige dringend notwendige technische Anwendungen eine Fristverlängerung bis zum Jahr 2012 zu erreichen. Es ging hierbei um Ausnahmen für gepanzerte, Feuerwehr-, Rettungs- und andere Sonderfahrzeuge. Die Zahl der Anwendungen ist denkbar gering, der Schaden für die Umwelt vernachlässigbar.

Gleich mitbeerdigt wurde im Kompromisspaket die ursprünglich ohne zeitliche Befristung vorgesehene Ausnahme für Flugzeugreifen. An dieser Stelle ist das Parlament dabei, eine unverantwortbare Entscheidung zu treffen. In der Luftfahrt bewegen wir uns in physikalischen Grenzbereichen. Deswegen muss dort der Sicherheitsaspekt kompromisslos auch vor Umweltaspekten an erster Stelle stehen. Die Industrie kann nicht garantieren, dass wir ab dem Jahr 2010 Alternativen zur Verfügung haben, die den besonderen und höchsten Anforderungen an die Sicherheit von Flugzeugreifen gerecht werden.

Ich verstehe nicht, wie der Rat diesen Aspekt völlig außer Acht lassen konnte, zumal die Europäische Agentur für Flugsicherheit nicht konsultiert wurde und es auch keine Folgenabschätzung dazu gegeben hat. Ich bin nicht für mehr Bürokratie, aber in einem so sicherheitssensiblen Bereich wie der Luftfahrt hätte man etwas akribischer auf die Risiken achten sollen, zumal wir das ja in anderen Rechtsvorschriften im Umweltbereich tun, wobei wir oft über das Ziel hinauseilen.

Herr Verheugen, mir liegt ein Brief der Europäischen Cockpit-Vereinigung vor, die 34 000 Piloten in Europa vertritt und sich mit großer Sorge dazu äußert. Ich möchte das hervorheben, weil die Piloten sicherlich nicht im Verdacht stehen, Industrielobbyismus zu betreiben. Ich frage Sie, ob Ihnen dieses Problem bewusst ist. Für mich ist ohne Berücksichtigung dieses Aspekts dieser Kompromiss nicht annehmbar.

 
  
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  Kathy Sinnott (IND/DEM).(EN) Herr Präsident, vor zwanzig Jahren wies eine angesehene Pathologin darauf hin, dass sie noch nie einen Tumor untersucht habe, bei dem in den sich aktiv teilenden Krebszellen keine chemischen Stoffe aus der Gruppe der Benzole nachweisbar waren. Krebs hat sich zum Schwarzen Tod der Neuzeit entwickelt. Im Mittelalter fiel die Hälfte der Bevölkerung in Europa der Beulenpest zum Opfer. Sie wussten nicht über die Ursache dieser Krankheit Bescheid und waren nicht in der Lage, diese auf ihren Tod bringenden Pfaden zu stoppen.

Für uns gibt es hingegen keine Entschuldigung, denn wir wissen, woher Benzole und andere polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe kommen. Wir verwenden sie bei der Reifenherstellung, sie entstehen aber auch bei der Abfallverbrennung. Die irische Regierung ist fest entschlossen, in meinem Land ein Netz von Abfallverbrennungsanlagen - zum Teil für giftige Abfälle - zu errichten, und nimmt dafür einen explosionsartigen Anstieg des PAK-Gehalts in unseren Gewässern, in der Luft, im Boden, in Pflanzen und in den Zellen irischer Bürger, wo die Benzole und Dioxine verheerenden Schaden anrichten können, in Kauf. Wir sollten uns unbedingt auf das erhebliche Gefährdungspotenzial konzentrieren, das von PAK aus solchen Quellen wie Verbrennungsanlagen ausgeht, insbesondere, wenn darin PAK-haltige Reifen verbrannt werden sollen.

 
  
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  Günther Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte zu den Fragen von Herrn Blokland und Herrn Krahmer Stellung nehmen, die beide dasselbe Problem behandeln, nämlich die Frage, ob bei Flugzeugreifen gewährleistet ist, dass die Anforderungen bis zum Jahr 2010 erfüllt werden.

Zur Frage von Herrn Blokland: Nein, mich hat kein Reifenhersteller kontaktiert. Das hätte ich auch keinem Reifenhersteller geraten. Denn er hätte die Antwort bekommen, die ich Ihnen jetzt gebe: Die Kommission hat das Problem sorgfältig geprüft. Uns liegt eine formelle Erklärung der europäischen Reifenhersteller vor, dass auch bei Flugzeugreifen bis zum Jahre 2010 die technischen Erfordernisse dieser Richtlinie erfüllt werden. Das ist dann auch die Antwort an Herrn Krahmer, dessen Besorgnisse um die Sicherheit von Flugzeugen ich voll und ganz teile. Aber ich denke, dass in Bezug auf die Zusammensetzung von Reifen die Reifenhersteller doch etwas kompetenter sind als die Piloten.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

(Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr statt.)

 

24. Gemeinschaftspatent
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über die mündliche Anfrage von Giuseppe Gargani im Namen des Rechtsausschusses an die Kommission: Verordnung über das Gemeinschaftspatent und damit zusammenhängende Rechtsvorschriften (B6-0242/2005).

 
  
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  Klaus-Heiner Lehne (PPE-DE), in Vertretung des Verfassers. Herr Präsident! Den Kollegen Gargani, den ich jetzt hier vertrete, möchte ich entschuldigen. Er musste sich wegen einer dringenden Familienangelegenheit zurück nach Italien begeben. Ich werde Ihnen übrigens angesichts des Gedränges, das hier heute herrscht, keine acht Minuten Rede zumuten. Das scheint mir bei diesem Thema nicht erforderlich zu sein. Lassen Sie mich deshalb relativ kurz etwas dazu sagen, was der Zweck dieser Angelegenheit ist.

Wir haben vor einigen Monaten unter den Koordinatoren des Rechtsausschusses zusammengesessen und uns dort überlegt, dass es ja vielleicht angesichts der Tatsache, dass wir mit einer ganzen Reihe von Gesetzgebungsvorhaben, die den Bereich der geistigen Schutzrechte betreffen, Schwierigkeiten haben – ich drücke das einmal etwas zurückhaltend aus –, ganz sinnvoll wäre, dass wir uns auch als Parlament mit dieser Frage erneut befassen und die Gelegenheit nutzen, dies mit der Kommission – vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt auch mit dem Rat – noch einmal zu erörtern.

Es gibt gar keinen Zweifel daran, dass es für die europäische Wirtschaft von zentraler Bedeutung ist, dass wir in Europa auf Dauer ein einheitliches Patent bekommen. Ich erinnere an unsere Beschlussfassung zum Lissabon-Prozess. Ich erinnere an die Entschließungen, die wir dazu verabschiedet haben, und an die Initiativen der zurückliegenden Jahre. Wir waren hier immer – weit fraktionsübergreifend – der Auffassung, dass auch im Rahmen des Lissabon-Prozesses das europäische Patent einen besonderen Stellenwert hat und von zentraler Bedeutung ist, auch um die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft gegenüber der Wirtschaft in anderen Regionen der Welt gewährleisten zu können.

Ich will aber nicht verhehlen, dass einige von uns – und ich in besonderem Maße – die Art und Weise, wie sie sich Dinge im Rat entwickeln, mit großer Sorge betrachten. Wir wissen, dass es im Rat Überlegungen gibt – die zur Zeit noch nicht durchsetzbar sind, weil es ja wegen der Einstimmigkeit an der erforderlichen Zustimmung aller Mitgliedstaaten fehlt – ein Patent zu schaffen, das in alle Amtssprachen der Europäischen Union übersetzt werden muss. Ein solches Patent wäre extrem teuer. Es wäre nicht wettbewerbsfähig, es würde, wenn es einmal da wäre, auch nie wieder auf ein normales vernünftiges Patent zurückgefahren werden können. Alles wissen, dass Englisch die entscheidende Sprache ist, die in der Technik, bei der Patentvergabe die absolute dominante Rolle spielt, und dass die Übersetzung in alle anderen Sprachen im Grunde genommen völlig überflüssig ist und nichts bringt, sondern lediglich Geld kostet.

Wenn man einmal ein solches Sprachenregime geschaffen hat, wird man es nie wieder los. Das ist die Erfahrung in der Europäischen Union, und das ist auch die Folge, wie hier in solchen Fragen üblicherweise Gesetzgebung gemacht wird. Vor diesem Hintergrund mache ich mir große Sorgen darum, ob wir am Ende ein Patent bekommen können und bekommen werden, das wirklich diese Vorgaben, die wir auch im Rahmen des Lissabon-Prozesses gesetzt haben, erfüllen kann.

Hinzu kommt, dass ein solches extrem teures Patent in der Folge auch dazu führen würde, dass der Mittelstand diskriminiert wird. Dann werden die wenigen großen Unternehmen, die es gibt – und das werden nicht nur europäische, sondern vor allem auch außereuropäische Unternehmen sein – ihre Patente nach diesem neuen europäischen Patent mit Gültigkeit in der gesamten Gemeinschaft anmelden. Aber der kleine Mittelstand – und das sind 70% und mehr aller Patentinhaber – wird sich dies vor dem Hintergrund der Kosten nicht leisten können; er wird auf das kleine, schlechtere nationale Patent und die Regelungen entsprechend dem europäischen Patentübereinkommen angewiesen sein. Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft im Patentrecht kann nicht das sein, was wir in der Europäischen Union wollen.

Angesichts der De-facto-Blockade im Rat, aber auch angesichts der Gefahr, dass bei Aufhebung dieser Blockade ein schlechtes Patent, eine schlechte Patentverordnung dabei herauskommen würde, lautet also die Frage: Was gedenkt die Kommission – die ja das Initiativrecht, das Initiativmonopol hat – möglicherweise an neuen Initiativen anzustreben, um diese Dinge wieder in Gang zu setzen und vielleicht doch noch das hehre Ziel der Lissabon-Beschlüsse bis hin zu einem europäischen Patent zu erreichen.

Der zweite Komplex, der uns berührt hat und der damals im Bericht einer „grünen“ Kollegin, der Kollegin Mercedes Echerer aus Österreich, eine erhebliche Rolle gespielt hat, ist die Frage der Verwertungsgesellschaften. Wir haben uns im Rechtsausschuss in der zurückliegenden Legislaturperiode verschiedentlich mit den Verwertungsgesellschaften befasst, sowohl im Rahmen von Richtlinien, in denen diese eine Rolle spielten, als auch in dem Echerer-Initiativbericht. Wir sind mehr oder weniger einhellig zu dem Ergebnis gekommen, dass es notwendig ist, bei Anerkennung der Rolle der Verwertungsgesellschaften jedenfalls sowohl bei den Entscheidungsprozessen dieser Gesellschaften als auch bei den Gebührenstrukturen, sowohl zugunsten des Nutzers als auch im Interesse der Inhaber dieser geistigen Schutzrechte zu einem größeren Maß an Transparenz zu gelangen.

Wir wissen, dass es innerhalb der Kommission Überlegungen gibt und dazu wohl auch schon eine Folgeabschätzung durchgeführt wurde oder durchgeführt wird, wo es darum geht – dies es ist auch im Legislativprogramm der Kommission angekündigt –, dass man im Verlaufe dieses Jahres einen konkreten Rechtsetzungsvorschlag unterbreiten will. Ich höre jetzt aber auch aus der Kommission, dass die Frage noch offen ist, ob es eine Empfehlung werden soll oder ob es gegebenenfalls eine Richtlinie sein wird. Ich hätte zu dieser Frage von der Kommission gerne Auskunft darüber, was passiert.

Wir wissen zwar, dass der „Markt“, um den es hier geht, nicht in der gleichen Größenordnung wie bei anderen Fragen liegt, aber es ist für die Entwicklung des europäischen Binnenmarktes trotzdem auch von Bedeutung, dass wir diese Frage klären, für eine vernünftige Transparenz in diesem Sektor sorgen und vielleicht auch Initiativen ergreifen, um grenzüberschreitend die Nutzung von Urheberrechten zu erleichtern. Dahin gehend gibt es schließlich auch Aktivitäten und Überlegungen. Uns würde interessieren, was die Kommission in dieser Frage zu tun gedenkt.

 
  
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  Charlie McCreevy, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident, die wichtigsten noch offenen Fragen, die bisher die Aufnahme der vom Rat im März 2003 beschlossenen gemeinsamen politischen Ausrichtung in die Endfassung der Verordnung über das Gemeinschaftspatent verhindert haben, betreffen die Frist für die Übersetzung der Patentansprüche und deren rechtliche Wirkung. Sowohl im Rat als auch auf bilateraler Ebene gab es Bemühungen, diese Punkte zu klären. Obwohl während der irischen Ratspräsidentschaft eine deutliche Annäherung der Standpunkte der Mitgliedstaaten zu dieser Frage erreicht wurde, traf keine der zur Diskussion gestellten Lösungen auf einmütige Zustimmung.

Die Kommission hat schon viel Zeit und Mühe in diesen Vorgang investiert. Ich bin bereit, einen weiteren Anlauf zu unternehmen, um eine Einigung über ein Gemeinschaftspatent herbeizuführen, allerdings nur unter der Bedingung, dass ich die Rahmenbedingungen für Erfolg versprechend halte. Neben der Arbeit der Kommission an dieser Problematik geht es auch darum, dass sich alle Befürworter des Gemeinschaftspatents laut und vernehmlich für diese Initiative aussprechen.

Was die Verwertung von Urheberrechten betrifft, so führen meine Dienststellen derzeit in Vorbereitung auf eine mögliche Gemeinschaftsinitiative eine gründliche Folgenabschätzung durch. Das übergreifende Ziel eines solchen Vorstoßes wird darin bestehen, eine transparentere und effizientere grenzüberschreitende Verwertung von Rechten in Europa zu gewährleisten. Dadurch dürfte sich der Zugang von gewerblichen Nutzern, Sendeunternehmen, Webcastern und anderen Onlinediensteanbietern zu Informationen über den Geltungsbereich der Repertoire-Lizenz sowie die geltenden Bestimmungen und Gebührensätze verbessern. Eine transparentere unionsweite Rechteverwertung dürfte die Nutzung von Urheberrechtsinhalten ankurbeln, was wiederum die Entwicklung neuer attraktiver Dienste und der für ihre Bereitstellung erforderlichen Technologie fördern wird.

Im Rahmen der Initiative wird dem Ergebnis der Anhörung der Beteiligten und den Empfehlungen im von Frau Echerer, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments, verfassten Bericht über die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten gebührend Rechnung getragen. Von einer Blockade des Rechtssetzungsprozesses in diesem Bereich kann keine Rede sein.

Zur Frage einer verstärkten Zusammenarbeit möchte ich sagen, dass jegliche Unterstützung durch die Kommission für eine solche Initiative auf dem Gebiet des gewerblichen und geistigen Eigentums davon abhängt, welchen Einfluss sie auf die Wirtschaft und die Gesellschaft haben würde, sowie vom zusätzlichen Nutzen im Vergleich zur bestehenden Regelung. Ferner müssten rechtliche Aspekte, die sich beispielsweise aus dem Umfang der derzeitigen Zuständigkeit der Gemeinschaft ergeben, berücksichtigt werden.

 
  
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  Manuel Medina Ortega, im Namen der PSE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident, die Anfrage des Rechtsausschusses umfasst zwei Aspekte. Der erste, würde ich sagen, ist der sprachliche Aspekt, auf den sich Kommissar McCreevy bezieht, und ich möchte hinzufügen, dass die Dinge vielleicht nicht so stark vereinfacht werden können, wie es Herr Lehne in seiner Rede getan hat.

Abgesehen von der technischen Beherrschung einer Sprache, die fast ein Monopol besitzt, hat das Europäische Patentübereinkommen andere Sprachen anerkannt, weitere Sprachen werden auch im Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt der Europäischen Union mit Sitz in Alicante akzeptiert. Ich habe den Eindruck, dass einige Sprachen möglicherweise bis zu einer bestimmten Ebene einen gewissen Anerkennungsgrad haben, was von der Nutzung von Patenten in diesen Sprachen und der Tätigkeit der nationalen Patentämter abhängt. Daher glaube ich, dass die Frage geklärt werden muss und dass, wie Herr Lehne sagte, die Kommission natürlich helfen könnte, eine Formel zu suchen, um aus dieser Sackgasse herauszufinden.

Was den zweiten Aspekt betrifft, der sich auf die Verwertungsgesellschaften bezieht, so könnte befürchtet werden, dass ein Vorschlag der Kommission, der beispielsweise den radikalen Ansatz der Bolkestein-Richtlinie zur vollständigen Liberalisierung übernimmt, darauf hinauslaufen würde, sämtliche Möglichkeiten zum wirksamen Schutz geistiger Eigentumsrechte abzuschaffen. Im Moment haben wir eine Reihe von nationalen Systemen zum Schutz des geistigen Eigentums, und eine bloße Liberalisierung könnte darauf hinauslaufen, dass die Urheber ihren Schutz verlieren, das heißt, eine Ersetzung des Systems, das aus einer Reihe von durch ihre nationalen Verwertungsgremien relativ gut geschützten nationalen Märkten besteht, durch ein System, in dem es keinerlei Schutz gibt, könnte die Urheber, Designer und Erfinder in eine schwierige Lage bringen.

Deshalb möchte ich die Kommission einfach nur ersuchen, bei der Erarbeitung dieses Vorschlags nicht den gleichen Fehler wie beim Bolkestein-Vorschlag zu begehen, der bekanntlich sogar eines der Elemente war, die benutzt wurden, um in den Referenden gegen die europäische Verfassung zu argumentieren, sondern nach einem System zu suchen, das die Notwendigkeit der Harmonisierung auf diesem Gebiet mit dem Schutz einer elementaren Dienstleistung wie dem Schutz des geistigen Eigentums und des künstlerischen und literarischen Schaffens miteinander verknüpft.

 
  
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  Eva Lichtenberger, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. Herr Präsident! Die Debatte um das Gemeinschaftspatent ist für die europäische Wirtschaft sicherlich nicht unwichtig. Allerdings darf ein Effekt nicht unterschätzt werden: Solange Patente so teuer sind wie jetzt, kann vieles vom notwendigen Schutzzweck nicht erreicht werden, kann die Innovation durch Patente sogar eher blockiert als gefördert werden. Wenn wir aber auf der anderen Seite sehen, dass die Notwendigkeit der Vielfalt und der Pflege der Vielfalt tief in den Entscheidungsprozessen, aber auch in den Köpfen der Europäer verankert ist, so wird es uns schwerlich gelingen, über diese Hürde einfach hinwegzuspringen. Daher glaube ich, dass wir im Parlament vor allem dem Problem der Klein- und Mittelbetriebe mit besonderer Aufmerksamkeit Rechnung tragen müssen. Herr Kommissar, zu diesem Thema habe ich hier von Ihnen zu wenig gehört; denn genau das gehört zur Wettbewerbsfähigkeit, die wir dringend stützen müssen. Wir haben derzeit eine unhaltbare Situation.

Das gilt natürlich auch für die Frage der Urheberrechte. Hier weise ich darauf hin, dass die bisherige Vorgangsweise im Vergleich zum Schutz geistigen Eigentums, gerade im Bereich der Kunst – der darstellenden Kunst, Musik usw. – im Internet und angesichts all dem, was es hier an Veränderungen gegeben hat, nicht mehr ausreicht. Leute sagen ja auch: Man kann nicht eine ganze Generation kriminalisieren, die sich einfach alles Mögliche aus dem Internet herunterlädt, dabei aber das Unrechtsbewusstsein nicht hat. Außerdem ist es unsere Pflicht, eine strikte Grenze zur Patentierung von Software zu ziehen, denn durch das unklare Verhältnis zwischen dem europäischen Patentabkommen und den nationalen Rechtsprechungen haben wir hier eine vor allem für Klein- und Mittelbetriebe problematische Situation.

 
  
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  Ilda Figueiredo, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (PT) Herr Präsident! Natürlich müssen wir uns sehr aufmerksam mit dem Thema Gemeinschaftspatent und den diesbezüglichen Rechtsvorschriften befassen, um sicherzustellen, dass die Innovation nicht behindert und die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) nicht benachteiligt werden.

Wir halten es für falsch, um jeden Preis ein Gemeinschaftspatent schaffen zu wollen, da dies tatsächlich den Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen zuwiderläuft, was sowohl für die Sprachenregelung als auch für die Rolle der nationalen Institutionen und der nationalen Patentämter gilt. Ganz abgesehen davon haben wir natürlich Bedenken in Bezug auf Patente, die Auswirkungen auf Schlüsselbereiche wie das Leben, das natürliche Erbe, Software und Arzneimittel haben und oft nur den Interessen der multinationalen Konzerne dienen. Was die Sprachenregelung anbelangt, auf die hier bereits eingegangen wurde, so ist es unserer Meinung nach nicht richtig, dass nur eine begrenzte Anzahl von Sprachen verwendet werden soll. Dies verstößt gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Unternehmen, da sozusagen eine Liste der bedeutendsten Sprachen aufgestellt wird. Damit wird ein Präzedenzfall geschaffen, der die Verwendung der Gesamtheit der Amtssprachen in Frage stellt.

Daher sehen wir die beste Möglichkeit zum Schutz von Kleinstunternehmen und KMU in allen Mitgliedstaaten darin, am Grundsatz der Gleichbehandlung der Unternehmen festzuhalten, und zwar insbesondere bei der Sprachenregelung.

 
  
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  Der Präsident. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt geschlossen.

 

25. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll

26. Schluss der Sitzung
  

(Die Sitzung wird um 23.35 Uhr geschlossen.)

 
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